No Longer Sold - Dana Jai - E-Book

No Longer Sold E-Book

Dana Jai

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Beschreibung

No longer Sold ist der zweite Band der fesselnden Trilogie, welche von Sky erzählt. Nachdem sie in eine neue Stadt gezogen ist, holt ihre Vergangenheit sie ein und sie muss sich erneut den Ereignissen aus ihrer Heimat, New York, stellen. Auf den ersten Blick scheinen viele Dinge unklar zu sein, aber ist es nur der Schein der trübt? Wird es ihr gelingen stark zu bleiben und sich den dunklen Geheimnissen zu stellen?

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Beliebtheit




TRIGGERWARNUNG

»Hey, bevor du dieses Buch aufschlägst, muss ich dir was sagen. Es ist nicht ohne, was hier geschrieben wurde. Ich meine, es geht um Mord, den Tod von unschuldigen Kindern. Leute, die mir die Seele geraubt haben. Sex, Gewalt, Missbrauch – und ja, sogar Selbstmord. Das sind keine leichten Themen, das kann ich dir versprechen. Es hat mich selbst zerfetzt, all das zu durchleben und es hat mich verändert. Wenn du denkst, dass das zu viel für dich ist, dann halt lieber inne und überleg dir zweimal, ob du wirklich weiterlesen willst. Es ist okay, darauf zu verzichten, wenn du dich nicht sicher fühlst. Pass auf dein Herz auf, okay?«, Sky

I AM SO HIGH, I CAN HEAR HEAVEN I AM SO HIGH, I CAN HEAR HEAVEN WHOA, BUT HEAVEN, NO, HEAVEN DON'T HEAR ME

Hero – Chad Kroeger, Josey Scott

Musik hat die einzigartige Fähigkeit, Emotionen zu verstärken und die Fantasie zu beflügeln. Ich glaube fest daran, dass das richtige Lied das

Leseerlebnis auf eine ganz neue Ebene heben kann. Achte auf das folgende Logo:

No Longer Sold Playlist:

HERO – CHAD KROEGER, JOSEY SCOTT

LOVE IS A BITCH – TWO FEET

CALL OUT MY NAME – THE WEEKND

SECRETS – ONEREPULIC

SHUT UP AND LISTEN – NICOLAS BONNIN X ANGELICCA

MY IMMORTAL – EVANESCENCE

DANCING WITH YOUR GHOST – SASHA ALEX SLOAN

THE FEELS– LABRINTH

ALMOST LOVER – A FINE FRENZY

THE SCIENTIST – COLDPLAY

ONLY LOVE CAN HURT LIKE THIS – PALOMA FAITH

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

HUNTER

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

KAPITEL DREISSIG

KAPITEL EINUNDDREISSIG

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG

KAPITEL DREIUNDDREISSIG

KAPITEL VIERUNDDREISSIG

KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG

EPILOG

PROLOG

Die grellen Lichter von Los Angeles spiegelten meine Hoffnungen auf ein neues Leben wider, weit entfernt von den schmerzhaften Erinnerungen, die New York belasteten. Schatten meiner Vergangenheit schlichen sich weiterhin wie Geister in meine Träume. Eine neue Universität, neue Gesichter, und die verlockende Aussicht auf Freundschaften, schienen die Brücke zu einem Neuanfang zu sein. Doch die düsteren

Inmitten der Campusatmosphäre, umgeben von aufstrebenden Wolkenkratzern, versuchte ich verzweifelt, die Fragmente meiner Identität wieder zusammenzusetzen. Die Unsicherheit nagte an mir wie ein ständiger Begleiter, während ich versuchte, mich in dieser neuen Welt zu orientieren. Mein Herz trug die schweren Narben von zwei Männern, die es auf ihre eigene Weise gebrochen hatten.

Die neuen Freunde, die ich fand, versuchten die Leere in meinem Inneren zu füllen, doch die Vergangenheit war wie ein Schatten, der unaufhörlich meine Gegenwart verfolgte. Als ich glaubte, dass die Zeit die Wunden heilen könnte, wurde ich plötzlich mit der Realität konfrontiert, dass die Vergangenheit nicht so leicht abzuschütteln war. Der Schmerz, den ich für immer hinter mir lassen wollte, schien mich wieder einzufangen, und ich fand mich auf unerwartete Weise zurück an dem Ort, an dem mein Leid einst begonnen hatte.

So stehe ich hier, an der Schwelle zwischen Vergangenheit und Zukunft, unsicher über den Weg, den ich gehen soll. Los Angeles, die Stadt der Engel, kann ihre Flügel nicht über die Schatten meiner Geschichte ausbreiten. Und ich frage mich, ob es möglich ist, jemals wirklich von den Ketten der Vergangenheit befreit zu sein.

KAPITEL EINS

08. November New York, Hospital Tylers Geburt

Die Straßen von New York waren von einer dicken Schicht aus gefrorenem Laub bedeckt, welches unter den Schritten der Passanten knirschte. Die Bäume entlang der Gehwege hatten ihre Blätter in den unterschiedlichsten Rottönen verloren und standen nun kahl und einsam da. Der Himmel war von dunklen Wolken verhangen, die den Eindruck erweckten, als würden sie jeden Moment ihre Last an Regen oder Schnee über der Stadt entladen.

Die Menschen eilten gehetzt durch die Straßen, ihre Körper in dicke Wintermäntel gehüllt und ihre Hände tief in den Taschen vergraben. Ihre Atemwolken bildeten kleine Nebelschwaden vor ihren Gesichtern, während sie versuchten, sich vor der eisigen Kälte zu schützen.

Die Geräusche der Stadt wurden vom heulenden Wind übertönt, der durch die engen Gassen pfiff und einem das Gefühl gab, als würde er einem bis auf die Knochen durchdringen. Die berühmten Wahrzeichen, wie die Brooklyn Bridge und das Chrysler Building, ragten majestätisch in den grauen Himmel. Ihre Silhouetten wirkten noch imposanter gegen das triste Wetter. Die Fenster der Hochhäuser spiegelten das düstere Licht wider und ließen erahnen, dass sich hinter ihnen Menschen in ihren warmen Wohnungen versammelten, um dem kalten Wetter zu entkommen.

In den Parks von New York hingen die letzten verbliebenen Blätter an den Ästen der Bäume und tanzten im Wind. Die Spielplätze waren verlassen und die Bänke leer, da sich kaum jemand freiwillig nach draußen wagte. Nur vereinzelt konnte man Jogger sehen, die tapfer ihre Runden drehten und sich gegen die Kälte stemmten. Dianes Handy klingelte kurz vor Einbruch der Abenddämmerung.

»Claire, ich bin gerade im Dienst. Ist es dringend?«, fragte sie, während sie ihr Handy zwischen Schulter und Ohr einklemmte.

Sie musste ihre Hände freihalten, da sie einem Säugling eine Leitung durch die Vene stechen sollte. Sie war sehr geübt darin, deswegen hatte sie keine Schwierigkeiten damit.

Diane arbeitete im städtischen Krankenhaus in New York und hatte sich einen Namen als angesehene Krankenschwester gemacht. Besonders in der Geburtenstation war sie bekannt für ihre Ruhe und Empathie im Umgang mit den kleinen Patienten und deren Familien.

An diesem Abend herrschte jedoch eine außergewöhnliche Situation. Die Grippe hatte das Krankenhaus erfasst und das Personal war knapp. Die Geburtenstation platzte förmlich aus allen Nähten, denn es schien einen regelrechten Babyboom zu geben.

»Ja! Es ist wichtig, Jason hat mich verlassen, und weißt du, was er mir erzählt hat?«, fragte Claire mit einem Ton, als wäre sie der wichtigste Mensch dieser Welt.

»Du wirst es mir bestimmt gleich sagen.«, seufzte Diane leise. Claire war Dianes jüngere Schwester und war eine ziemlich anspruchsvolle Person.

»Er sagte, dass er jemand anderen besser findet, Diane! Besser als mich?«

»Claire, du bist 17, willst du ernsthaft über Highschool-Jungsproblemen mit mir sprechen? Ich habe hier einen Job zu erledigen, weißt du.«

Diane öffnete den Apothekerschrank und suchte nach der richtigen Infusion, welche sie dem Säugling anhängen wollte.

»Du hast nie Zeit für mich! Nie, weder du noch Mom. Seitdem sie ihren neuen Freund hat, hat sie gar keine Zeit mehr für mich und meine Probleme.«

»Vielleicht liegt es daran, dass es keine echten Probleme sind?«

Diane konzentrierte sich auf die Medikamente, bei denen sie genau die Etiketten durchlas. Sie wusste, dass sie äußerst vorsichtig sein musste. Jeder einzelne Tropfen und jede Dosierung waren von großer Bedeutung für das Wohlergehen des kleinen Patienten.

»Oh, also sind meine Sachen nicht wichtig? Du und ihr Freund, ihr seid wichtig, aber ich mal wieder nicht, na vielen Dank auch!« Claire zeigte wie immer ihr egoistisches und anstrengendes Verhalten, was typisch für sie war. Überforderte hielt Diane das Gemisch in der Hand und ein andres Schmerzmittel in der anderen.

»Warte kurz, Claire, ich muss mich hier konzentrieren.« In diesem Moment betrat eine zweite Krankenschwester den Raum und suchte nach dem Schmerzmittel, welches Diane in der Hand hielt.

»Suchst du das hier?«, fragte Diane sie und reichte ihr die Infusion. Währenddessen redete Claire ununterbrochen weiter, ohne Luft zu holen. Völlig egoistisch und nicht einsichtig, was ihre Schwester sagte. Die Krankenschwester fragte Diane, ob sie das Mittel anstecken solle, woraufhin Diane nickend zum Fenster ging, um es zu öffnen und die frische Luft in den Raum zu lassen. Die andere Krankenschwester verabreichte die Medizin dem Säugling und deutete Diane an, dass sie aus dem Raum geht.

»Claire, bitte, kannst du dich irgendwo leiser schalten? Wir können später weiterreden, ich muss mich um ein Baby kümmern«, sagte sie und blickte kurze Zeit später zum Säugling, als sie plötzlich verstummte.

»Nein!«, schrie Diane auf und ließ ihr Handy fallen. Sie lief zum Säugling hinüber und sah, dass das Schmerzmittel mit vollem Druck durch die Venen des Babys floss.

Es war ein schreckliches Missverständnis gewesen. Diane dachte, die Krankenschwester wollte das Mittel für ihren Patienten haben, und die Krankenschwester dachte, sie sollte es anstecken, während Diane nickend zu stimmte.

Diane wurde blass. Das Baby war blau und seine kleinen Finger waren verkrampft. Sie versuchte alles Mögliche, um das Baby wieder ins Leben zurückzuholen, aber vergebens.

Als sie nach der Arztglocke greifen wollte, fiel ihr der Name des Babys ins Auge:

»Tyler Morgan, Eltern: Rose und Daniel Morgan.«

Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie trat einen Schritt zurück und musste erst einmal verarbeiten, welches Kind vor ihr lag.

Daniel Morgan war ein gefürchteter Geschäftsmann in New York – skrupellos, einer der übelsten Sorte. Es gab viele Gerüchte über ihn, aber ob sie der Wahrheit entsprachen, war unklar.

Plötzlich schrie ein weiteres Baby im Raum auf und riss Diane aus ihren Gedanken. Sie sah zu dem anderen Kind und bemerkte durch das Zimmerfenster, dass Daniel Morgan auf das Zimmer zukam. Völlig aufgelöst wusste Diane nicht, was sie tun sollte.

In einer Kurzschlussreaktion griff sie nach der Namenskarte von Tyler und der Karte des anderen Kindes und vertauschte sie am Babybett. Dann schnitt sie die Bändchen mit den Namen von den Füßchen ab und ließ sie verschwinden, als Daniel durch die Tür trat.

»Kann ich meinen Sohn sehen?«, fragte er und richtete sich in der Tür wie ein Bär auf. Dianes Angst war im gesamten Raum spürbar, aber sie versuchte dennoch selbstbewusst vor einem der gefürchtetsten Männer aufzutreten. Sie sah abwechselnd zum toten Kind, das regungslos im Bettchen lag, und dem Jungen, der kerngesund im Bettchen weinte. Sie musste schnell handeln.

»Miss?«, wiederholte er sich. Was sie noch mehr unter Druck setzte.

»Selbstverständlich Mr. Morgan«, antwortete sie und schob das Bettchen mit dem weinenden Kind in seine Richtung.

Daniel sah ihn kühl an, als ob er bereits wüsste, dass er keine Liebe für diesen Jungen empfinden könnte.

»Ein Nachfolger«, kam ihm einzig wie ein Hauch über seine Lippen. Diane beobachtete die Situation und hatte außer der Angst, auch einen schweren Kloß im Hals. Alles andere nahm sie nicht wahr. Dennoch musste sie reagieren:

»Ich möchte nicht unhöflich sein, Mr. Morgan, aber ich muss Sie bitten, im Zimmer bei Ihrer Frau zu warten. Ich bereite Ihren Sohn vor und bringe ihn sofort zu Ihnen.«

Daniel sah noch in ihre Richtung, ehe er aus der Tür verschwand. Als die Tür ins Schloss fiel, brach Diane zusammen. Nicht nur, dass unter ihrer Verantwortung ein Kind starb: Sie vertauschte auch noch die Kinder und würde der Familie des gesunden Jungen großen Kummer bereiten.

»Was habe ich nur getan? Wie konnte das nur passieren?«, schluchzte sie, während sie das leblose Kind betrachtete.

»Es tut mir so leid, kleiner Mann, das wollte ich nicht.«, weinte sie bitterlich, als der Arzt das Zimmer betrat.

»Diane, was ist passiert?« fragte er besorgt.

»Dr. Riley, es ist etwas ganz furchtbares passiert«, schluchzte Diane und fuhr fort:

»Ich habe das Kind getötet, das Kind von Daniel Morgan!«

Der Arzt wurde blass und sah sie mit geweiteten Augen an.

»Was? Was reden Sie denn da? Wie konnte das passieren?«

Sofort versuchte er sich um den Jungen zu kümmern, aber es war vergebens: Seine Haut war kühl, seine Lippen waren blau, das Leben, welches doch gerade erst begonnen hatte, hatte ihn verlassen.

Der Schock über den tragischen Vorfall lag wie eine schwere Last in der Luft.

Dr. Riley konnte kaum fassen, was er gerade gehört und gesehen hatte. Er kannte Diane seit Jahren und wusste, dass sie eine gewissenhafte Krankenschwester war. Wie konnte es also zu einem solch verheerenden Fehler kommen?

Der Arzt schüttelte den Kopf und ließ einen tiefen Seufzer aus.

»Mr. Morgan weiß es nicht.«, sagte sie, mit einem Unterton der nur erahnen ließ, wie viel Angst sie haben musste.

Er sah zu ihr und sie fuhr fort:

»Ich wusste mir nicht weiter zu helfen, ich habe die Kinder vertauscht. Das Kind von Mr. Morgan und das Kind von Mrs. Edwans.«

Sie nahm das Namenskärtchen und reichte es dem Dr.

»Gabriel Edwans«, flüsterte Dr. Riley. Er runzelte seine Stirn und war sichtlich überfordert mit der Situation. Es dauerte einen Moment, bis er realisieren konnte, was Diane ihm gerade an den Kopf geschmissen hatte. Nach einer endlos scheinenden Weile kam endlich eine Reaktion:

»Diane, Sie müssen mir gut zuhören. Dieser Fall darf niemals an die Öffentlichkeit geraten. Wenn Mr. Morgan das erfährt, dann sieht es nicht gut aus für uns. Und am wenigsten für Siel«, drohte er ihr.

»Sie meinen...«

»Es ist nie passiert.«

Er unterzeichnete nebenbei den Totenschein des Kindes unter dem falschen Namen. Dr. Riley reichte ihr den Schein. Mit Tränen in den Augen nahm sie diesen entgegen und nickte stumm. Sie fühlte sich wie in einem Albtraum gefangen, unfähig zu handeln oder sich gegen die Situation zu wehren.

»Sie werden das der Familie beibringen.« Er griff nach dem Bettchen des gesunden Jungen. Diane hielt kurz inne, ehe sie reagieren konnte.

»Selbstverständlich kann ich Sie hier nicht mehr länger in diesem Krankenhaus arbeiten lassen. Sie werden heute noch kündigen, und am besten suchen Sie sich einen Ort weit weg von New York, denn sollte der Fall jemals ans Licht kommen, dann wusste ich nie etwas davon und Sie sind dann lieber ganz weit weg. Das ist nur für Ihr eigenes Wohl.«

Er schob Gabriel, das gesunde Kind, aus der Tür heraus, um ihn Daniel und seiner Frau zu überreichen.

Dianes Tränen übergossen ihr Gesicht. Ein Fehler, ein fataler Fehler, der ihr Leben auf den Kopf stellen würde. Aber was macht man in solch einer Situation? Wenn man weiß, dass man sein eigenes Leben schützen musste, wie weit würde man dann gehen? Diane war in der Situation, in welcher sie eine Entscheidung treffen musste, und sie hatte entschieden. Es war eine ihrer schwersten Entscheidungen gewesen.

Da stand sie nun vor der hellen, breiten Tür. Mit einem Zettel in der Hand, der gleich das Leben von zwei unschuldigen Menschen, für immer aus dem Gleichgewicht bringen würde. Sie betrat das Zimmer und die Eltern von Gabriel sahen hoffnungsvoll zu ihr.

»Mr. und Mrs. Edwans.« Sie hielt inne.

»Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, es tut mir von Herzen leid, Gabriel, er hat es leider nicht geschafft.«

Diane sagte diese Worte so zögerlich, und es fühlte sich wie eine Unendlichkeit an, bis diese endlich über ihre Lippen flossen. Das Lächeln aus ihren Gesichtern verschwand in dem Moment, indem sie realisierten, was ihnen gerade gesagt wurde.

»Was? Was haben Sie gerade gesagt?«

»Es tut mir so leid.«

»Das kann nicht wahr sein, Jacob, sie lügt. Unser Junge ist nicht tot, niemals, sag ihr das.«

Verzweifelt fing Gabriels Mutter an zu weinen, zu beten und zu schreien.

Eine Mutter, die gerade zu Ohren bekam, dass ihr Wunschkind, ihr einziges Kind, auf welches sie sich monatelang gefreut hatte, tot sein soll. Diane konnte den Schmerz und die Verzweiflung der Eltern förmlich spüren. Natürlich wusste Diane als einzige im Raum, dass dem nicht so war. Aber welche Wahl hatte sie denn? Ihr Leben oder das eines Fremden?

»Sind sie sicher?«, hakte der Vater nach.

»Ich meine, es war doch nichts, der Arzt sagte, er ist gesund.«

Seine Stimme brach und somit auch sein Herz. Man konnte es fühlen, sogar fast hören.

Dianes Herz zerriss es ebenfalls in tausend Teile, aber sie musste auf ihrer Geschichte verharren.

»Ihr Verlust tut mir unendlich leid, der Arzt wird bald bei Ihnen sein«, sagte sie mit gesenktem Kopf und reichte ihnen den Totenschein.

Dann verließ sie fluchtartig das Zimmer, ohne zurückzusehen. Sie wollte weg, weg von der Situation, weg von dem Geschehen. Diane war am Boden zerstört. Ihre Karriere war vorbei, ihr Ruf ruiniert. Aber das war nicht das Schlimmste, sie hatte ein Leben auf dem Gewissen. Ein totes Kind: Eltern, die um das Kind weinten, welches eigentlich noch am Leben war. Sie hatte einen schrecklichen Fehler begangen und nun musste sie die Konsequenzen tragen. Die Schuldgefühle nagten an ihr und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Sie lief durch die Gänge des Krankenhauses, Tränen strömten über ihr Gesicht. Alles um sie herum verschwamm, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Was würde nun aus ihr werden? Wie konnte sie jemals wieder Frieden finden? Aber wie würde sie das Ganze ihren Eltern erklären, ihren Freunden, ihren Kollegen? Am selben Abend legte sie ihre Dienstsachen im Schwesternzimmer ab und kam nie wieder. Sie wusste, dass sie einen Neuanfang brauchte, weit weg von allem, was mit diesem Vorfall in Verbindung stand.

Am nächsten Morgen kaufte sie sich ein Ticket für den Bus und fuhr nach Ohio. Sie hatte New York nie wieder gesehen. In Ohio fand sie einen kleinen Ort, in dem sie sich niederließ und ein neues Leben begann. Sie nahm einen Job als Näherin an und versuchte, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Es war nicht einfach für Diane, die Schuldgefühle und den Schmerz loszulassen. Aber mit der Zeit lernte sie, sich selbst zu vergeben und nach vorne zu blicken.

JAHRE SPÄTER KONNTE MRS. Edwans den unerträglichen Schmerz nicht länger ertragen und entschied sich, nach dem dritten Todestag des kleinen Gabriels, sich in ihrem Garten an einem Baum zu erhängen. Bereits zuvor hatte sie mit schweren Depressionen zu kämpfen gehabt, und trotz der Bemühungen ihres Mannes konnte er ihr keine Hilfe bieten. Die Last der Trauer und Verzweiflung war einfach zu überwältigend. Ihr Ehemann hingegen fand keinen anderen Ausweg, als in die Arme der Alkoholsucht zu flüchten.

Nachdem er seinen Sohn, seine Frau und schließlich auch seinen Job verloren hatte, häuften sich seine Schulden immer weiter an. In seiner verzweifelten Suche nach Erlösung sah er im Alkohol eine Möglichkeit, dem Schmerz zu entkommen. Doch leider erwies sich dieser Weg als trügerisch und letztendlich konnte ihn die Sucht nicht retten. Er verstarb einige Jahre später aufgrund seiner tief verwurzelten Abhängigkeit.

Dianes Geschichte wurde niemals von Daniel aufgedeckt. Aber es war nicht Daniel, vor dem sie sich hätte verstecken sollen, sondern ausgerechnet das Kind, welches sie in Daniels Familie gebracht hatte.

KAPITEL ZWEI

8 Jahre später Tyler

Daniel saß am Tisch und beobachtete seine Frau, Rose, die gerade mit einer ihrer Haushälterinnen redete. Sein Ruf hatte sich seit damals nicht verändert. Die Leute hatten immer noch Angst vor ihm. Die Gerüchte über Daniels kriminelle Aktivitäten hatten sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitet. Die Menschen mieden ihn aus Angst und weil sie nicht mit jemandem in Verbindung gebracht werden wollten, der solch dunkle Geschäfte betrieb.

Er hatte sich ein Netzwerk von Handlangern aufgebaut, die bereit waren, jeden Befehl auszuführen - seien es Gewalttaten oder Morde. Er nutzte seine Macht und sein Geld, um seine illegalen Aktivitäten zu schützen und zu erweitern.

Die Nachtclubs, die Daniel besaß, waren nur eine Fassade für seine illegalen Geschäfte. Hinter den glamourösen Fassaden fanden Drogendeals und andere kriminelle Aktivitäten statt.

Jeder, der die Augen offen hielt, konnte erkennen, was dort wirklich vor sich ging. Drogen waren nur ein Teil von seinen illegalen Geschäften. Er hatte seine Finger in vielen anderen Bereichen, wie Waffenhandel und Menschenhände im Spiell. Seine Macht und sein Einfluss reichten weit über die Stadtgrenzen hinaus. Diejenigen, die es wagten, sich gegen Daniel zu stellen oder seine Geheimnisse aufzudecken, zahlten oft einen hohen Preis. Sie wurden bedroht, eingeschüchtert oder sogar ermordet. Die Angst vor ihm war allgegenwärtig.

Seine Frau allerdings bekam nicht viel von den illegalen Machenschaften mit. Zumindest schien es so, denn auch sie hatte große Angst vor Daniel.

Rose war eine sehr schöne blonde Frau, mit einer üppigen Oberweite. Die Männer beneideten Daniel sehr um sie. Man könnte meinen, es sei schmeichelhaft, aber das war für seine Rose alles andere als schön. Sie hatte sehr mit seiner Eifersucht zu kämpfen. Er war wahnsinnig gewaltsam ihr gegenüber, schlug sie seit Jahren, sogar während ihrer Schwangerschaft. Ihr gesamter Körper war immer mit Flecken übersät. Aber die First Lady, so wurde sie von den anderen genannt, hatte mittlerweile eine eigene Art entwickelt, wie sie die Flecken überdecken konnte.

Nach der Geburt von Tyler, verfiel Rose allerdings in eine schwere Depression. Die körperliche und emotionale Gewalt von ihrem Mann hatte ihre Spuren hinterlassen und nun fühlte sie sich noch mehr gefangen und hilflos.

Mit der Zeit zog sie sich immer weiter zurück und ihre Krankheit verschlimmerte sich. Sie vernachlässigte sich selbst und konnte kaum noch Freude empfinden. Die Flecken auf ihrem Körper waren nur ein äußerliches Zeichen für das Leid, das sie innerlich durchmachte. Es gab Momente, in denen Rose darüber nachdachte, aus dieser gewalttätigen Beziehung auszubrechen. Aber die Angst vor den Konsequenzen und die Abhängigkeit von Daniel hielten sie gefangen. Sie fühlte sich isoliert und allein gelassen.

Die anderen Menschen in ihrem Umfeld ahnten vielleicht etwas von den Misshandlungen, aber niemand wagte es, etwas zu sagen oder einzugreifen. Daniels Macht und Einfluss waren zu groß, um sich ihm entgegenzustellen. Rose sehnte sich nach einem Ausweg aus dieser Hölle. Sie träumte von einem Leben ohne Gewalt und Angst. Aber es schien fast unmöglich, diesen Traum zu verwirklichen. Sie fühlte sich gefangen in einer Spirale aus Misshandlung und Depression.

Ihre Depressionen waren so schwer, dass sie Tyler von Anfang an ablehnte. Sie konnte ihn nicht als ihren Sohn annehmen. Dies erzählte sie auch herum, weswegen die Leute sie insgeheim für verrückt hielten. Auch Daniel glaubte nicht daran, dass Tyler sein Sohn war, denn er traute seiner Frau nicht. Die Jahre vergingen und auch Tyler hatte mit der Psyche seiner Mutter zu kämpfen. Er genoss nie die Liebe, die ein Kind sich von seinen Eltern wünschte.

Sein Vater war furchterregend, und seine Mutter zeigte ihm, dass sie ihn nicht wollte, weswegen er auch Probleme in der Schule hatte. Die Kinder gingen ihm aus dem Weg, aus Angst vor Daniel. Die wenigen Mutigen, die sich in seine Nähe trauten, mobbten ihn.

Er wurde oft in schwierige Situationen gebracht und sein Vater wurde häufig in die Schule gerufen. Wenn er etwas kaputt machte, bezahlte sein Vater den Schaden und es wurde unter den Teppich gekehrt. Wenn er andere Mitschüler verletzte, dann geschah dasselbe. Daniel bezahlte und die Sache verschwand aus der Welt. Denn das war eben die einzige Sprache, die Daniel verstand, Geld.

»Wo sind wir hier?«, fragte Tyler seinen Vater, als er mit ihm vor einer Klinik parkte.

»Wir machen eine kleine Untersuchung. Und zwar will ich wissen, ob ich dein Vater bin oder deine Mutter herumgehurt hat.«

Der Kleine sah geknickt zu seinem Vater. Harte Worte, aber das war der Umgang, den Tyler bereits kannte. Liebe konnte er weder von seiner Mutter noch von seinem Vater erwarten.

»Denkst du, ich bin nicht dein Sohn?«, fragte Tyler mit leiser Stimme.

Daniel sah streng zu ihm und antwortete:

»Was ich denke, ist irrelevant.«

Sie betraten das Gebäude schweigend und Tyler setzte sich in den Warteraum, während Daniel den Papierkram erledigte.

Er nahm neben dem Jungen Platz und sie schwiegen sich eine Weile an. Keiner von ihnen wollte reden, zumal Tyler auch nicht den Mut hatte, irgendetwas zu sagen. Endlich waren sie an der Reihe und begaben sich zu dem Raum, wo die Untersuchung stattfinden sollte. Sie nahmen ihnen Speichelproben ab, was Tyler so gar nicht mochte und sein Gesicht verzog.

»Stell dich nicht so an, bist du ein Mann oder eine Pussy?«

Er erniedrigte seinen Sohn, wo er nur konnte. Wieso er es tat, wusste niemand. Tyler schwieg immer, wenn sein Vater redete, denn er wollte jedes Gespräch ohne Prügel überstehen. Daniel legte sehr viel Geld hin, um die Ergebnisse sofort zu erhalten. Eine Stunde später verließen die beiden die Praxis mit dem Kuvert in der Hand, der die Ergebnisse zeigen sollte. Sie setzten sich in den Wagen und Daniel reichte dem Jungen das Kuvert.

»Mach auf.«, forderte er ihn auf.

Er nahm mit seiner zitternden kleinen Hand den Brief und öffnete ihn. Was denkt ihr wohl, geht einem kleinen Jungen in solch einer Situation durch den Kopf? Zweifel. Aufregung. Aber vor allem Angst.

»Lies es vor«, befahl er dem Kind.

Tyler schluckte erstmal und hatte Schwierigkeiten, den Brief zu öffnen, da er verschlossen war und er wahnsinnig nervös war.

»Gib schon her, wie willst du jemals das „Midnight“ führen, wenn du nicht einmal einen Brief aufmachen kannst, du Nichtsnutz.«

Das Midnight.

Das war der Name des Imperiums, der Clubs, des Reichtums seines Vaters. Er riss ihm den Brief aus den Händen und öffnete ihn, ehe er ihn wieder Tyler überreichte. Der Junge hielt kurz inne, aber er verstand das Ganze nicht so, wie Daniel.

»Jetzt lies schon vor, worauf wartest du?«

Der Kleine begann zu stottern.

»Sehr geehrter Mr. Morgan, wir möchten Ihnen mitteilen, dass das Ergebnis des Vaterschaftstests negativ ausgefallen ist. Nach sorgfältiger Analyse der DNA-Proben konnte keine genetische Übereinstimmung zwischen dem getesteten Vater und dem Kind festgestellt werden.«

Tyler brauchte etwas länger, um den Text zu lesen. Er war eben noch jung und lernte es erst richtig.

»Das reicht.«

Er nahm dem Jungen den Brief aus der Hand und blickte nochmal drauf. Wütend zerknüllte er ihn. Tyler verstand kein Wort.

»Was bedeutet das Dad?«

»Ich wusste es, diese Schlampe hat mich von Anfang an betrogen.«

Mit voller Wucht schlug er immer wieder auf das Lenkrad ein. Tyler bekam es mit der Angst zu tun.

Er wartete nur darauf, dass Daniel seine Wut an ihm auslassen würde, aber zu seiner Überraschung geschah nichts. Ein paar Momente später sammelte er sich wieder und startete den Wagen.

»Was passiert jetzt?«, fragte das Kind voller Angst.

»Jetzt, mein Junge, fahren wir in meinen Club, denn ab heute lernst du „Midnight“ richtig kennen und jede noch so dunkle Seite, die sich dort verbirgt, und dann...«, er hielt kurz inne, bevor er wieder ansetzte:

»...zeige ich dir, was wir mit Menschen machen, die uns verraten, die uns ausnutzen, uns verletzen, uns in den Rücken fallen.«

Daniel war so wütend. Er betätigte das Gaspedal und raste die Straße entlang. Tyler fühlte sich sichtlich unwohl, aber traute sich nicht etwas gegen seinen Vater zu sagen. Er umklammerte fest seinen Gurt und versuchte seine Tränen zurückzuhalten.

»Ja, Sir«, brachte er nur mit leiser Stimme heraus.

Als sie wenig später in seinem Club ankamen, setzte er Tyler an die Bar und stellte ihm ein Bier hin. Daniel drückte ihm das kühle Glas in die Hand und sagte mit einem verschmitzten Grinsen:

»Trink das, bald bist du ein Mann und eines Tages wirst du das sowieso trinken.«

Tyler zögerte und warf einen unsicheren Blick auf das Bier.

»Aber Mom sagt, das ist was für Erwachsene«, wandte er ein.

Daniel winkte ab.

»Was sie sagt, ist nicht mehr entscheidend, trink!«, befahl er mit Nachdruck.

Zögernd hob Tyler das Glas an seine Lippen und nippte vorsichtig. Doch schon beim ersten Schluck verzog sich sein Gesicht vor Ekel. Das Bier schmeckte bitter und unangenehm, weit entfernt von dem erfrischenden Genuss, den er erwartet hatte.

Die Tür des Clubs öffnete sich mit einem leisen Quietschen, und ein bekanntes Gesicht trat ein - ein Partner, den auch Tyler bereits kannte, betrat den Raum.

»James ist jetzt hier und hat ebenfalls seinen Sohn mitgebracht, unterhalte dich mit ihm, bis ich hier fertig bin«, wies er ihn an.

Nickend sah er ihm nach und versuchte, seine Nervosität zu verbergen. Er wandte seinen Blick wieder auf das Bierglas. Was hätte er denn sonst tun sollen? Sich gegen ihn stellen? Niemals hätte er sich das getraut. Es war undenkbar, besonders gegenüber einem Erwachsenen wie Daniel.

Selbst ein 8-Jähriger hätte sich das nicht getraut. Während Daniel James begrüßte, nahm dessen Sohn, der etwas älter als Tyler war, Platz neben ihm.

»Du bist Tyler, richtig?«, erkundigte sich der andere Junge.

»Ja, richtig«, antwortete er.

»Ich bin Ian, Ian Woll.«, der junge Mann reichte ihm die Hand.

Er hatte eine Narbe über seiner Nase, die sich bis zu seinem Auge zog. Tyler betrachtete diese genau. So neugierig wie die Jungs in seinem Alter eben sind, hakte er nach.

»Das sieht übel aus, wie ist das passiert?«

Er deutete auf Ians Narbe.

»Das war mein Vater, das war eine Strafe.«, erzählte Ian.

Man konnte aus seiner Stimmlage heraushören, dass er eben auch nur ein Kind war, welches unter der Gewalt seines Vaters litt. James Woll war ebenfalls gefürchtet, mindestens so sehr wie Daniel Morgan.

»Was hast du denn angestellt?«, fragte Tyler, seine Neugier kaum verbergend.

Ian seufzte schwer.

»Ich bin nicht rechtzeitig nach Hause gekommen.«

Tyler war verblüfft über die drastische Strafe für eine vermeintlich kleine Verfehlung.

»Und so schlimm bestraft er dich dann? Wie hat er das gemacht?«, fragte er, bestürzt über Ians Schicksal.

»Das ist schon okay, ich hatte es eben verdient. Das war mir eine Lehre. Danach bin ich nie wieder zu spät gekommen. Mein Vater hat das schon richtig gemacht«, sagte Ian bescheiden.

Doch in seinen Augen spiegelten sich Schmerz und die Unterdrückung seines Vaters wider.

Was wusste schon ein Kind, das unter der Gewalt eines Sadisten stand? Ian atmete tief durch, bevor er fortfuhr:

»Und das war eine Brennstange. Er hat sie ins Feuer gehalten und mir dann durchs Gesicht gezogen.«

Mit diesen Worten beendete er seine schockierende Geschichte. Tylers Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er die Brutalität der Strafe realisierte. Auf so etwas war er nicht vorbereitet, besonders nicht, da Ian anscheinend keine Anstalten machte, von seiner Vergangenheit berührt zu werden. Ein kaputter Junge eben, der es nicht besser wusste, ähnlich wie Tyler, außer, dass ihm die Menschlichkeit blieb.

»Jetzt guck nicht so, das ist schon eine Weile her«, versuchte Ian, die Spannung zu lösen.

Nickend nahm Tyler die Worte zur Kenntnis und beschloss, das Thema nicht weiter zu vertiefen. Stattdessen fragte er weiter:

»Musst du auch so etwas trinken wie ich?«

Er deutete auf sein Bier und sah zu ihm.

Ian schüttelte den Kopf.

»Nein, ich trinke lieber Whiskey«, grinste er, während er sich einen bestellte.

»Wie alt bist du?«, fragte Tyler interessiert.

»Ich bin dreizehn. Und du?«

»Acht.«

»Also ein Baby«, neckte Ian Tyler, der daraufhin leicht die Stirn runzelte.

»Du bist nicht viel älter«, erwiderte er stirnrunzelnd.

Ian lachte und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, wo sein Vater mit Daniel saß.

»Kann es kaum erwarten, bis ich endlich ins Geschäft meines Vaters einsteigen kann«, fügte Ian hinzu, seine Augen glänzten vor Vorfreude.

»Das willst du?«, fragte er, etwas überrascht von seiner Entschlossenheit.

»Ja, und dann wird die ganze Konkurrenz aus dem Weg geschafft. Eines Tages werde ich weltweit Clubs besitzen, und alle werden mich fürchten«, fügte er selbstbewusst hinzu.

Tyler war nicht eingeschüchtert; er kannte diese Entschlossenheit von seinem Vater nur zu gut. Ian war genauso besessen davon, der mächtigste Mann in diesem Milieu zu werden, wie Tylers Vater. In Gedanken versunken beobachtete er, wie sein Vater immer mehr und mehr trank. Er und James amüsierten sich und für ihn war dieses Verhalten nicht neu. Einige Stunden später kam Daniel endlich auf ihn zu:

»Wir gehen«, sagte er und taumelte hinaus, kaum in der Lage, geradeaus zu gehen.

»Machs gut, Ian. Vielleicht sieht man sich mal wieder«, verabschiedete sich Tyler höflich.

»Na klar, ich bin mir sicher, dass wir uns noch öfter sehen werden«, sagte Ian mit einem breiten Grinsen und wandte sich dann an die Kellnerin.

»Hey Kleines, kann ich noch ein Glas bekommen?«, fragte er selbstbewusst und bestellte sich noch eine Runde.

Ganz schön selbstbewusst dachte sich Tyler und folgte Daniel aus dem Club hinaus, wo er schon ein Taxi aufgehalten hatte. Sie fuhren endlich nach Hause. Tyler war erschöpft und müde. Der Tag hatte sich endlos hingezogen, und eigentlich hatte er gehofft, dass sein Vater ihm den Club zeigen würde, so wie er es versprochen hatte. Doch stattdessen hatte er seinen Vater beim Trinken und Amüsieren mit anderen zugesehen, und das Ganze endete in einem betrunkenen Zustand, der den Jungen enttäuschte.

Das Taxi parkte vor dem Anwesen, und die Lichter im Haus waren noch alle an. Es war kurz nach 22 Uhr, als die beiden ausstiegen. Sein Vater lehnte sich schwer an ihn, während sie zusammen das Haus betraten.

»Wo wart ihr denn so lange? Ich habe dich so oft angerufen Daniel«, kam Tylers Mutter auf sie zu.

»Was habe ich dir heute gesagt?«, wandte Daniel sich an den Jungen.

In Tylers Magen drehte sich alles um, er wusste: sein Vater fragte nicht umsonst. Er wusste, dass jetzt der Augenblick gekommen war, an dem sich alles ändern würde.

»Daniel du bist betrunken, leg dich ins Bett.«, sagte seine Frau und wollte gerade nach ihm greifen, als er mit voller Wucht ausholte und Rose einen heftigen Faustschlag verpasste.

Rose stolperte zurück und fiel auf den Glastisch, der in tausend Teile zerbrach. Die Scherben flogen durch den gesamten Raum.

Er wollte zu seiner Mutter laufen, als Daniel ihn fest am Oberarm packte.

»Wenn du dich bewegst, bist du der Nächste.«, drohte er ihm und schubste ihn auf die Couch.

Die Angst durchfloss seinen kleinen Körper. Er war wie versteinert und konnte nur zusehen, was passieren würde.

»Du hast also entschieden, mich zu betrügen?«, fragte er Rose, während er sie an den Haaren durch die Glassplitter hindurch zog.

»Daniel, ich weiß nicht, wovon du redest. Ich habe dich niemals betrogen. Niemals würde ich das machen. Bitte lass mich los!« Schmerzerfüllt schrie Rose um ihr Leben. Sie kannte ihren Mann und wusste genau, dass es nicht gut für sie ausgehen würde.

»Ja? Also ist der Test eine Lüge? Du kleine Hure, du hast mich all die Jahre angelogen!«

Er schrie sie an und seine Stimme hallte durch das gesamte Anwesen. Keine Haushälterin und kein Mitarbeiter trauten sich dazwischen zu gehen. Rose war ihrem Schicksal ausgeliefert.

Sie war Daniel ausgeliefert.

»Wovon redest du? Welcher Test?«, weinte die Frau.

»Der Vaterschaftstest, der negativ ausgefallen ist.«

»Das ist unmöglich, das ist nicht wahr. Bitte glaub mir Daniel.«

Immer wieder schlug und trat er auf sie ein. Tyler war gelähmt von der Angst, da er genau wusste, dass er dabei war, seine Mutter zu verlieren. Aber er traute sich nicht einen Ton von sich zu geben oder eine Bewegung zu machen. Die Schläge trafen ihr Gesicht, ihren Körper, ihre Seele. Immer wieder fiel sie in Ohnmacht, aber Daniel hörte nicht auf. Kurz bevor sie ihren letzten Atemzug nahm, setzte er sie auf den Knien vor Tyler auf.

»Sieh zu, mein Sohn, was wir mit Leuten machen, die uns in den Rücken fallen.«

Er grinste so dreckig und seine Augen waren mit Hass gefüllt. Daniel zog seine Waffe und lehnte diese an Roses Stirn. Tyler setzte der Atem aus. Wie in Trance folgte sein Blick langsam dem Weg von der Waffe zu dem Gesicht seiner Mutter, die ihn mit leeren Augen ansah. Das Blut floss entlang ihres entstellten Gesichtes. Es war gebrochen, geschwollen und die Farben des Regenbogens schmückten ihren einst rosigen Teint.

»Hab keine Angst«, flüsterte Rose, schwer atmend, immer wieder in Tylers Richtung.

Daniel nahm Tylers kleine Hand und legte sie auf die Waffe.

»Dad, was machst du denn da?«

»Das machen wir gemeinsam, sie hat uns beide betrogen.«

Noch bevor der Kleine reagieren konnte, fiel der Schuss. Der Knall war so laut, dass er Tyler für einen kurzen Moment taub werden ließ. Der leblose Körper seiner Mutter sackte auf dem hellen Fußboden zusammen und ihr Blut breitete sich auf diesem aus. Tyler war acht. Er war acht Jahre alt. Er konnte die Situation nicht wirklich realisieren, der Schock saß zu tief. Daniel richtete sich auf und sah ihn an.

» Sehe ich da etwa Tränen?«

Er verpasste dem Jungen eine Ohrfeige, die durch das gesamte Anwesen hallte.

»Reiß dich zusammen, wir zeigen keine Gefühle und schon gar keine Tränen. Verstanden?«

Den Mitarbeitern musste man nichts sagen, stumm brachten sie Roses leblosen Körper weg. Könnt ihr euch diese Situation vorstellen und das, was es aus euch macht? Er war ein Kind und Daniel nahm keinerlei Rücksicht.

»Du wirst mein Nachfolger sein, egal ob du mein Fleisch und Blut bist oder nicht. Hast du verstanden?«

Er packte ihn am Nacken und sah ihn streng an. Tyler nickte verstört und die letzten Worte seiner Mutter hallten, wie ein Echo aus einem tiefen Brunnen, in seinem Kopf wider. Sein Vater gab ihm keine Zeit zu trauern. Er arbeitete nach der Schule direkt mit ihm in seinem Club. Lernte die Partner kennen, das Schema und die Orte, an welchen kein kleiner Junge jemals sein wollte. Sein Vater geriet immer tiefer in den Menschenhandel.

Wo anfangs der Fokus bei den Drogen lag, wurden es nun vermehrt Frauen.

Sie wurden entführt, „besorgt“ und weiterverkauft. Die Frau, die ihm alles bedeutet hatte, bekam nicht einmal einen Grabstein, keinen Ort, an dem man sie hätte besuchen können.

Rose verschwand, als hätte sie niemals existiert. Und Tyler?

An jenem Tag, starb nicht nur seine Mutter. Nein, es starb auch der kleine Junge, der in Tyler gelebt hatte.

KAPITEL DREI

Ian Woll 's Kindheit

Ein Stein flog mit einem weiten Bogen durch das Fenster, bevor er auf die Windschutzscheibe eines Autos prallte, welches Mrs. Deer gehörte.

»Das war ein Volltreffer!«, ermutigte Caspar, der Freund von Ian, sein rüpelhaftes Verhalten.

Das Glas zerbrach und Mrs. Deer ging sofort in Deckung. Anfangs konnte sie den Lärm nicht sofort zuordnen. Als sie jedoch realisierte, was geschehen war, stand sie auf und wagte einen Blick auf die zerstörte Windschutzscheibe. Sie wusste sofort, wer dafür verantwortlich war. Ian nahm gelassen seinen Platz ein und tat so, als wäre nichts passiert. Mit wachsender Wut riss Mrs. Deer die Tür zum Klassenzimmer auf und stellte ihren Lehrerkoffer auf das Schreibpult.

»Ian Woll, ab zum Direktor, sofort!«

Lachend blickte der Junge zu ihr und versuchte, das zu praktizieren, was sein Vater ihm Tag für Tag beibrachte.

»Aber Mrs. Deer, haben Sie einen Beweis dafür, dass ich es war?«

Manipulation.

Ian Woll wusste genau, was er tat. Mit seinen acht Jahren war er erstaunlich schlau. Sein Vater, zwar kein guter Lehrer, brachte ihm aber genau das bei, was er wissen musste, um in dessen Fußstapfen zu treten - nämlich, wie er Frauen um den Finger wickeln und andere Menschen manipulieren konnte. Sein Vater lehrte ihn nichts anderes und falls er sich gegen ihn stellte, bekam Ian Prügel.

»Ich habe es zwar nicht gesehen, aber ich wette, deine Klassenkameraden schon. Also, war es Ian?«, fragte die Lehrerin die Klasse.

Doch keiner von ihnen wagte es, auch nur in Ians Richtung zu schauen. Sie waren sich bewusst, wer er war, vor allem aber, wer sein Vater war. Niemand hatte auch nur den Gedanken, sich mit ihm anzulegen.

»Wenn ihr es mir nicht sagt, dann dürft ihr heute alle zusammen nachsitzen«, drohte sie, in der Hoffnung, dass irgendjemand Ian verraten würde. Doch die Stille im Klassenzimmer schien lauter als der Knall, welcher ihre Scheibe durchbohrt hatte. Triumphierend lehnte sich Ian zurück, denn er wusste, dass er in dieser Welt einen Freifahrtschein hatte. Selbstverständlich musste Mrs. Deer von ihrer Drohung absehen, da sie nicht alle für etwas bestrafen konnte, wofür sie keine Beweise hatte. Sie setzte den Unterricht fort und akzeptierte voller Unmut den Schaden an ihrer Windschutzscheibe.

»Du hattest Glück«, erklärte Caspar Ian, als sie den Klassenraum verließen und in Richtung Ausgang gingen.

»Das ist kein Glück, Caspar, sondern die Macht des Geldes. Und die Macht der Angst. Mein Vater hat sich damit etwas Großes aufgebaut. Also, warum sollte ich das nicht nutzen?«, antwortete Ian bestimmt. Caspar war natürlich beeindruckt von Ian. Er verehrte ihn, seine Macht und die Fähigkeit, andere zu kontrollieren. Er hätte gerne so sein wollen wie Ian. Doch was Caspar nicht wusste war, dass das Leben, welches Ian führte, alles andere als das war, was er sich vorgestellt hatte. Ian hatte viele Freunde in der Schule. Er war der reifste von ihnen, und natürlich war seine Erziehung alles andere als normal.

»Ian, kommst du?«, ertönte eine Stimme aus einem Wagen, der neben ihnen parkte.

»Bis morgen«, sagte Ian barsch, als er sich von Caspar verabschiedete und in den Wagen seines Fahrers stieg. Jeden Tag wurde er in gewohnter Routine nach Hause gebracht, ein Alltag ohne Freiheiten. Sein Leben war festgelegt - nach der Schule gab es keine Auszeit. Stattdessen musste er seinem Vater im Nachtclub „Hawk“ helfen, die dunklen Geheimnisse einer Welt entdecken, die er eigentlich nicht verstehen sollte. Alkohol, Drogen und das unbekannte Terrain der Sexualität waren ihm vertraut, denn Ians Vater, James, war eine dämonische Gestalt im kriminellen Milieu.

Die Existenz seiner Mutter war für Ian ein Rätsel,