Not Over You - Anja Tatlisu - E-Book
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Anja Tatlisu

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Beschreibung

**Wir beide. Du und ich. Ein letztes Mal.** Hayleys Leben könnte nicht besser laufen. Sie ist 23, eine aufstrebende Fotografin in New York und steht kurz vor der Hochzeit mit ihrem bodenständigen Verlobten Dean. Doch dann trifft sie nach ihrem Junggesellinnenabschied auf ihre erste große Liebe Noah, der einige Jahre zuvor von jetzt auf gleich aus ihrem Leben verschwunden ist. Er gesteht Hayley, dass er nie aufgehört hat sie zu lieben, und bittet sie um ein allerletztes Date, bevor sie zum Altar schreitet … Wer würde sie nicht gern ein zweites Mal erleben, die erste große Liebe … Der neue Liebesroman aus der Feder von Anja Tatlisu bringt wirklich jedes Leserherz zum Klopfen. Lies dich rein und begleite Hayley bei ihrer Entscheidung zwischen Herz und Verstand. //»Not Over You« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

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Anja Tatlisu

Not Over You

**Wir beide. Du und ich. Ein letztes Mal.**Hayleys Leben könnte nicht besser laufen. Sie ist 23, eine aufstrebende Fotografin in New York und steht kurz vor der Hochzeit mit ihrem bodenständigen Verlobten Dean. Doch dann trifft sie nach ihrem Junggesellinnenabschied auf ihre erste große Liebe Noah, der einige Jahre zuvor von jetzt auf gleich aus ihrem Leben verschwunden ist. Er gesteht Hayley, dass er nie aufgehört hat sie zu lieben, und bittet sie um ein allerletztes Date, bevor sie zum Altar schreitet …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Glossar

Danksagung

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© STUDIO 157, KOELN

Anja Tatlisu lebt mit ihrer Familie, zwei Katzen und einem Hund in einem Vorort von Köln. Neben ihrem Beruf als Sekretärin schrieb sie mehrere Jahre Twilight-Fanfictions und wagte sich 2015 mit ihrem ersten eigenen Werk an die Öffentlichkeit. Mittlerweile quillt ihr Ideen-Ordner über und sie befürchtet, dass ein Leben kaum ausreicht, um all den schönen Plots gerecht werden zu können.

Prolog

New Jersey, Wildwood Beach

Hayley 16, Noah 18

Den Rücken an Noahs Oberkörper gelehnt saß ich zwischen seinen angewinkelten Beinen im Sand. Vor uns knisterte ein kleines Lagerfeuer und das Dünengras wehte sanft in der Meeresbrise. Bridgets heißer Portland-Import, Winston Hazard, spielte auf seiner Gitarre I see fire von Ed Sheeran, sang gefühlvoll die Vocals und zog sie damit vollständig in seinen Bann. Meine Freundinnen himmelten ihn im Kollektiv an und es machte den Anschein, als würden Anna und Chloé über das intime Unplugged-Konzert sogar ihre Dates vergessen, obwohl sie dem Abend mit den Jungs bereits seit Tagen entgegengefiebert hatten.

Ein zärtlicher Kuss berührte meine Schläfe, Noah umarmte mich und seine Finger verwoben sich mit meinen.

»Du wirst mir wahnsinnig fehlen, Fields«, flüsterte er mir ins Ohr.

Eine unglaubliche Schwere legte sich auf mich. Drei lange Wochen ohne ihn. Tausende Meilen voneinander getrennt. Mehrere Stunden Zeitunterschied. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das aushalten sollte.

»Lass uns ein paar Schritte gehen«, sagte er leise, ließ mich los, stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf und zog mich hoch. Hand in Hand spazierten wir runter zum Ufer und dann die Wellenausläufer entlang Richtung Two Miles Beach.

»Du bist manchmal ein ganz schön fieses kleines Mädchen gewesen«, sagte er nach einer Weile.

»Wieso?«, fragte ich überrascht, weil ich überhaupt nicht wusste, worauf er hinauswollte.

»Du hast mich gezwungen diese schrecklich traumatisierenden Mädchensachen zu machen.«

»Gezwungen?«, wiederholte ich mit gerunzelter Stirn und sah ihn aus den Augenwinkeln an.

»Jep!«, schmunzelte er. »Knallharte emotionale Erpressung.«

»Und … womit?«

»Du hast gesagt, wenn ich es nicht tue, würdest du mich nicht heiraten, sobald wir groß sind.« Er lachte leise und ich stimmte mit ein.

»Das war wirklich fies von mir«, stellte ich amüsiert fest. »Aber was genau musstest du denn so schrecklich Mädchenhaftes machen?«, fragte ich, obwohl langsam vage Erinnerungen aufkamen.

»Blümchentee aus deinem Puppenservice trinken«, murmelte er, »Zöpfe flechten, Die Schöne und das Biest in Dauerschleife gucken«, redete er weiter. »Ich kann den Scheißsong immer noch im Schlaf mitsingen.« Noah räusperte sich und stimmte mehr schief als schön Tale as old as time an. Unweigerlich musste ich wieder lachen. Er hatte unglaublich viele Talente und ich liebte ihn sehr, aber wenn er eins nicht konnte, dann war es singen. Dennoch spielten sich in meinem Kopf kleine Episoden aus unserer Kindheit ab. Ich sah ihn gequält im Garten zwischen meinen Puppen sitzen, tapfer lächelnd mit Gänseblümchen und Kamillenblüten zwischen den Zähnen meine wilden Teekreationen trinkend. Und wie er sich krampfhaft bemühte die Augen aufzuhalten, während mein Lieblingszeichentrickfilm lief. Noah hatte recht. Ich war manchmal wirklich ein fürchterliches kleines Mädchen-Mädchen gewesen, das seinen besten Freund oft gequält hatte. Aber da Jungs ab einem bestimmten Alter einfach doof waren, hatte ich ihn kurzerhand zu meiner Freundin umfunktioniert.

»Dass du dich daran noch so genau erinnern kannst«, gluckste ich vergnügt.

»Ich kann mich an alles erinnern, was wir gemacht haben«, sagte er und schaute gedankenverloren aufs Meer hinaus. »Auch daran, dass du mich nach Nancy Lovejoys Elfenparty zum Abschied geküsst hast. Ziemlich stürmisch sogar.«

»Da bin ich gerade mal fünf Jahre alt gewesen und habe keine Ahnung gehabt, was ich da tue.«

»Ich weiß.« Er blieb stehen, ließ meine Hand los, legte den Arm um meine Schultern und zog mich fest an sich. »Trotzdem hast du mir an diesem Tag mein kleines Herz gestohlen«, flüsterte er in meine Haare und hauchte mir einen Kuss auf die Schläfe.

Seine Worte setzten eine wahre Schmetterlingsflut in meinem Bauch frei. So eng es ging, schmiegte ich mich an ihn und rieb seufzend meine Nase an seinem Hals.

»Vielleicht könntest du mir vor deiner Abreise noch mal Zöpfe flechten«, nuschelte ich an seinem Oberarm, »und danach flöße ich dir etwas Blümchentee ein, während wir Die Schöne und das Biest gucken.« Angestrengt verkniff ich mir ein Lachen. »Tust du es nicht, werde ich dich nicht heiraten, wenn wir groß sind.«

Kaum hatte ich das ausgesprochen, fand ich mich auf Noahs Armen wieder. Er trug mich bedrohlich nah ans Wasser, dessen Temperatur Ende September nicht mehr als angenehm bezeichnet werden konnte.

Ein spitzer Schrei entwich mir, als er mir mit den Zähnen leicht ins Ohrläppchen zwickte.

»Bitte nicht«, kreischte ich, »es ist kalt … bitte … tu das nicht.«

Die kühle Gischt versprühte ihren feinen Nebel über meine Haut und ich schmeckte Salz auf meinen Lippen. Ein schiefes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er ausholte und andeutete mich ins Meer zu werfen. Abermals entwich mir ein spitzer Schrei und ich klammerte mich an seinem Hals fest.

»Bitte nicht«, keuchte ich. »Ich mache alles, … was du willst, aber schmeiß mich nicht ins Wasser.«

Er hielt inne und schaute mich an. »Alles?«

»Ja, wirklich … ich tue alles, … alles, was du willst«, sagte ich atemlos.

»Wirst du mich auch heiraten, wenn wir groß sind?«, fragte er mit einem niedlichen Lächeln.

»Ganz bestimmt sogar«, wisperte ich. »Aber erst, wenn wir groß sind.«

»Aus der Nummer kommst du nicht mehr raus.« Noah setzte mich behutsam ab, umfasste mein Gesicht mit beiden Händen und küsste mich. Kurz und unwiderstehlich süß. »Ich nehme dich beim Wort, Fields.« In seinen rauchbraunen Augen lag ein aufregendes Funkeln. »Sobald wir beide groß sind.«

Kapitel 1

Pretty in Black & Pink

Gegenwart

»Hayyy…leyyy … wuhuuu«, kreischte es um mich herum, während ich den x-ten Greenshot herunterkippte, das Gesicht verzog und mich schüttelte. Angeekelt knallte ich das Glas falsch herum auf den von Getränkepfützen, Glitzerkonfetti und leeren wie vollen Flaschen übersäten Stehtisch. Anna und ich hatten uns zwischenzeitlich ein paar Barhocker organisiert, während Bridget und Chloé weiter ihren hohen Schuhen trotzten und tanzten, wo sie gerade standen.

Die Hälfte meines Gefolges hatte bereits schlappgemacht. Nach diversen Barwechseln war nur noch der harte Kern um mich herum versammelt: meine besten Freundinnen, die ich bereits seit der Schulzeit kannte.

Der unverkennbare Sound des Infinity-Clubs dröhnte mir in den Ohren. Alles zappelte und bewegte sich zur basslastigen Musik. Mein Kopf schwirrte, was zweifellos an den vielen Greenies – Wodka mit einem Schuss giftgrünem Waldmeistersirup – lag, die ich in den vergangenen Stunden getrunken hatte. Ein Kuss für eine Unterschrift und danach ein Shot zum Desinfizieren. Wer Freunde wie ich hatte, brauchte keine Feinde mehr. Das Schild mit dem Spezialangebot war am tiefen Ausschnitt meines schwarz-weißen Bunnykostüms befestigt. An einem Band, das um mein Handgelenk geknotet war, baumelte ein schwarzer Permanentmarker und auf meinem Körper befanden sich eine Menge Unterschriften, die ich wohl sobald nicht wieder loswerden würde. Hätte ich vor ein paar Stunden auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt, was noch alles auf mich zukommen würde, wäre die nette Party auf Annas Dachterrasse ganz schnell wieder für mich vorbei gewesen. Doch sie hatten mich bewusst hinters Licht geführt und im Glauben gelassen, mir meinen Wunsch nach einem gemütlichen Sit-in zu erfüllen.

Wie schön, war mein erster Gedanke gewesen, während mein Blick über die mit unzähligen kleinen Lämpchen und Windlichtern romantisch arrangierte Dachterrasse geschweift war und sich dann der Reihe nach auf die kleine Gesellschaft gerichtet hatte. Bridget, Chloé, Anna, Cathy, meine Lieblingskolleginnen Helen, Keira und Laura. Genau so hatte ich mir meinen Junggesellinnenabschied vorgestellt. Eine vergnügte, gemütliche Runde ohne viel Tamtam und den ganzen Zirkus, der normalerweise in diesem Zusammenhang praktiziert wurde. Nur wir acht, gute Getränke und köstliches Essen vom besten Caterer der Stadt – einfach herrlich. Sie hatten weder Kosten noch Mühen gescheut und das alles, um mich stilvoll als Bride to be zu feiern.

Anna füllte unsere Gläser mit dieser unglaublich leckeren Prickelbrause nach, stieß einen Prost auf unsere Freundschaft aus und verschwand kurz aus unserem Sichtfeld, was bedeutete, dass sie eine recht große Entfernung zurücklegte, weil ihr Penthouse wirklich riesig war. All den Luxus konnte sie sich als Anwältin einer der größten Kanzleien New Yorks locker leisten und ich gönnte es ihr von Herzen, weil sie verdammt hart dafür gearbeitet hatte und es tagtäglich immer noch tat.

Als sie zu uns zurückkehrte, zog sie zu unserer Überraschung – oder viel mehr zu meiner – einen smarten Typ im schicken Anzug an seiner Krawatte hinter sich her, der einen großen Strauß Rosen in verschiedenen Rot- und Rosatönen in der Hand hielt. Offensichtlich war er nicht allein gekommen, denn zwei ähnlich gekleidete, äußerst gepflegte und attraktive Kerle tauchten hinter ihm auf. Einer trug lässig eine Magnumflasche Champagner unterm Arm. Der andere hatte einen Geschenkkarton mit einer großen pinken Schleife dabei. Alles in allem irgendwie doch ganz nett.

»Darf ich vorstellen?«, lächelte sie breit in die Runde und blieb vor uns stehen. »Ich war so frei meine Kollegen Luke, Neil und Preston einzuladen«, stellte sie die Herren der Reihe ihres Erscheinens nach vor und ließ die Krawatte von Ersterem los. »Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen.«

Kollektives Kopfschütteln. Bloß mir klappte die Kinnlade herunter. Ich wusste absolut nicht, was ich davon halten sollte, wollte aber auch keine Spielverderberin sein und sagen, dass ich diesen Abend lieber mit den Mädchen allein verbracht hätte.

Nach einem freundlichen »Hallo« in die Runde, das ziemlich flirty rüberkam, und mit vielerlei Getuschel seitens meiner Freundinnen einherging, kamen die Herren gezielt auf mich zu. Großartig!

»Du bist also die zukünftige Braut«, sagte der schwarzhaarige Luke mit den mandelförmigen, dunklen Augen und schenkte mir ein Lächeln, das zwei Reihen strahlend weiße Zähne preisgab. »Auf einen schönen Abend, Hayley.« Er drückte mir den Blumenstrauß in die Hand und machte Platz für den Nächsten.

Ich konnte absolut nichts sagen, bloß überfordert gucken.

»Schön, dich kennenzulernen.« Der dunkelblonde Neil drückte mir einen Kuss auf die Wange. »Wirklich eine Schande, dass du vom Markt verschwindest, bevor wir uns richtig kennenlernen konnten.« Die Magnumflasche parkte er auf dem Stehtisch seitlich von mir.

Last but not least war es an Preston, sich vorzustellen, dessen Erscheinung mir einen leichten Stich versetzte. Dunkle, gewellte Haare, Dreitagebart und ein Blick, der verboten gehörte.

»Hi«, sagte er schlicht und überreichte mir den relativ großen Geschenkkarton. »Anna meint, du solltest gleich nachsehen, was drin ist.«

»So, meint sie das …«, erwiderte ich skeptisch und warf der Gastgeberin an Prestons breiten Schultern vorbei einen bösen Blick zu.

Anna grinste, hob ihr Glas, zwinkerte mir zu und trank einen Schluck Champagner.

Ich atmete tief durch, dann wandte ich den Partycrashern den Rücken zu, um das Paket abzustellen und es zu öffnen.

Beim Anblick der pinken Arbeitsoveralls und des schwarzen Bunnykostüms fiel mir restlos alles aus dem Gesicht. Und als wäre das noch nicht schlimm genug gewesen, wechselte im selben Moment die entspannte Hintergrundmusik zu einem durchdringenden Beat, der mich Übles erahnen ließ. Das bestätigte sich auch sogleich, als ich aus den Augenwinkeln bemerkte, wie sich die Arme des zurückhaltenden Preston von hinten um meine Taille wickelten, sich sein Körper extrem eng an mich presste und in einem lasziven Rhythmus bewegte, während um mich herum wildes Gekreische ausbrach.

Stripper waren so ziemlich das Letzte gewesen, was ich mir für diesen Abend gewünscht hatte. Ganz zu schweigen von dem Bunnykostüm, das ich nun am Körper trug.

»Voosischt«, nuschelte mir Chloé, ein leicht durchgedrehter Klonversuch von Meg Ryan und Amanda Seyfried mit widerspenstigen Locken auf dem Kopf, ins Gesicht. »Tu velliest dei…nö Öschen.« Sie grinste schief und schielte dabei unkontrolliert. Wegen ihrer verschmierten Wimperntusche sah sie ein bisschen aus wie ein Panda im pinken Arbeitsoverall mit kognitiven Einschränkungen. Die Aufschrift 24h Abschleppdienst glitzerte im Schein der Spotlights auf ihrer Brust. Unbeholfen nestelte sie an meinen Hasenohren herum. »Bessher!«, zwinkerte sie mir zu, machte einen Ausfallschritt nach hinten und prallte ungebremst gegen einen dunkelblonden Hipster, der mit seinen Begleitern gerade den Club verlassen wollte, dessen Ein- und Ausgang sich schräg gegenüber von unserem Tisch befand. »Ups! Sorrey«, kicherte unser Goldlöcken.

»Alles okay?«, fragte er skeptisch.

Chloé drehte sich um und bekam Sternchenaugen, während sie nickte.

Tu das n–. Ehe ich den Gedanken zu Ende bringen konnte, krabbelten ihre Finger mit den pink lackierten Nägeln flink wie eine Spinne über seine Brust Richtung Bart und kraulten selbigen.

»Schöna Baat«, murmelte Chloé. Sie schaute grinsend zu ihm auf. »Ast du … übeall so weische Haare?«

Die Männertruppe lachte, bloß der Hipster hielt sich ein wenig zurück. Sichtlich amüsiert ergriff er Chloés Hand und hauchte einen Kuss darauf. Gleich danach fiel sein Blick auf mich, beziehungsweise den Stift, der an mir befestigt war. »Darf ich?«, fragte er mit sonorer Stimme.

»Warum nicht?!« Schließlich hatten mich meine Freundinnen für diese Nacht zum Kussfreiwild erklärt. Da konnte ich bei ihm schlecht Nein sagen.

Zu meiner Überraschung nahm er jedoch nur den Edding, zog die Kappe ab und Chloé ein bisschen näher an den Permanentmarker heran. Carl schrieb er auf ihren Unterarm und gleich darunter eine Handynummer. »Ruf mich an, wenn du wieder nüchtern bist, und finde es selbst heraus.«

Chloé starrte ihn mit großen Augen überrascht an. Eigentlich taten wir das in diesem Moment alle.

Unterdessen steckte Carl tiefenentspannt die Kappe auf den Stift, ließ ihn los, nickte mir zwinkernd zu und verließ mit seiner Truppe die Location.

Sie waren noch nicht ganz außer Hörweite, da brach auch schon Kreischalarm aus.

»Wie süß!«, schrillte es neben mir ungewohnt euphorisch.

Anna war die Vernünftigste und Bodenständigste von uns und generell nicht leicht zu beeindrucken. Normalerweise pflegte sie lockere Businesskleidung und ihren dunklen Pagenkopf akribisch geglättet zu tragen, was den strengen Look zusätzlich unterstrich und sie unweigerlich zu einer Blutsverwandten von Cleopatra und Anna Wintour machte. In schärfer. Und jünger. Und eisiger. Doch in dieser Nacht existierte scheinbar keine Normalität.

»Ich liehi be in«, nuschelte Chloé.

»Eindeutig schockverliebt«, stellte Anna kichernd fest.

»Morgen liebst du ihn nicht mehr«, sagte Bridget, deren Stammbaum ohne Frage mit dem von Julia Roberts und Helena Bonham Carter verästelt war. »Du kannst Hipster nicht ausstehen und Bartträger sowieso nicht.«

»Hihi – habbisch vergessn.«

»Die ist durch«, kam es von Anna. »Wer bringt das unkontrollierbare Ding nach Hause, bevor es sich einen irreversiblen Hirnschaden trinkt?«

»Na, wer wohl?!«

Obwohl Bridget Kummer mit ihrer lebenshungrigen Mitbewohnerin gewohnt war, verdrehte sie kopfschüttelnd die braunen Augen. Ihr pinkfarbener Glitzerlidschatten war total verwischt. Das Zeug klebte auf den Schläfen und Wangenknochen. Nicht schön, aber gut sahen wir alle nicht mehr aus.

»Komm schon, du anstrengendes Stück.« Bridge ergriff Chloés Arm, die gerade entgegen der Rhythmen des durchdringenden Beats in inniger Umarmung mit sich selbst tanzte, und schleifte sie hinter sich her zum Ausgang. »Bye, Ladys, wir sehen uns morgen zum Katerbrunch.«

Die beiden waren noch nicht ganz außer Sichtweite, da griff eine gepflegte Männerhand nach dem an mir befestigten Stift. »Hast du noch irgendwo Platz?« Die Stimme klang nervös, irgendwie herzerwärmend, und ich drehte mich um, damit ich mir ein Bild von ihm machen konnte.

Der Kerl war groß und breit, hatte zerzauste blonde Haare und blaue Augen. Trotzdem hätte ich jede Wette darauf abgeschlossen, dass er sich mit einem gefälschten Ausweis Zutritt in den Club verschafft hatte. Siebzehn, allerhöchstens achtzehn. Älter konnte er nicht sein.

»Keine Ahnung.« Ich kehrte ihm den Rücken zu. »Vielleicht da hinten irgendwo?«

Einige Sekunden verstrichen, dann spürte ich, wie meine langen Haare behutsam zur Seite geschoben wurden und in meinem Nacken der feuchte Filzstift für eine Unterschrift ansetzte.

Als der junge Typ fertig war, drehte ich mich wieder um und wappnete mich innerlich für einen ungestümen, übergriffigen Kuss, doch zu meiner Überraschung berührten mich seine Lippen lediglich auf der Wange.

»Bye«, sagte er verlegen.

Wie niedlich …

Ich lächelte nur, erwiderte nichts darauf, bis ich einige Jungs seines Alters im Hintergrund bemerkte, die sich augenscheinlich über seine Unsicherheit lustig machten, und mir wurde klar, dass seine Höflichkeit tagelangen Spott zur Folge haben würde. Das Leben in der Highschool konnte knallhart sein, wenn man nicht in typische Klischeemuster passte.

»Warte«, sagte ich spontan, griff nach seinem Arm und hielt ihn davon ab, vorschnell zu seinen Freunden zurückzugehen. In dieser Nacht war ich bereits von so vielen Männern geküsst worden, da kam es auf ihn auch nicht mehr an, und zwei unberührte Greenies standen ohnehin noch auf dem verklebten Tisch.

Ich packte Blondie am Kragen seines Shirts, zog ihn ein wenig zu mir herunter und küsste ihn hollywoodreif – ohne Zunge versteht sich –, wie es von seiner Boygroup erwartet worden war. Aus dem Gelächter wurde erstauntes Getuschel.

»Wowähm«, stammelte er fassungslos, nachdem ich ihn losgelassen hatte.

»Kein Problem«, zwinkerte ich ihm zu.

Er ging zu seiner Truppe zurück und wurde schulterklopfend in Empfang genommen. So schnell konnte man vom Loser zum Helden mutieren.

Anna stupste mich mit ihrem Ellenbogen an und ich wandte mich wieder meiner Freundin zu. Auffordernd wedelte sie mit den letzten beiden Shots. Ich nahm einen davon und setzte sogleich zum Trinken an. Als sich unsere Blicke erneut begegneten, standen die leeren Gläser vor uns auf dem Tisch.

»Was ist? Hauen wir ab?«, fragte Anna. »Die Luft ist raus und meine Schuhe bringen mich um.«

Ich schaute runter auf meine Füße, die in grottenhässlichen, pinkfarbenen Lackpumps mit zwölf Zentimeter hohen Plateauabsätzen steckten. »Besonders bequem sind die Rotlichtteile, die ihr mir passend zu euren Overalls aufgezwungen habt, jetzt auch nicht.«

»Ich kenne den Blick.« Sie kicherte. »Eines Tages wirst du dich rächen.«

»Gnadenlos und unerwartet«, zwinkerte ich ihr mit vielsagender Miene zu. Sie sollte ruhig wissen, dass die Bunnyaktion nicht ungestraft bleiben würde.

»Es ändert wohl nichts, wenn ich dir sage, dass du die Pornoschuhe meinetwegen nicht hättest tragen müssen?«

»Wer hat die Stripper engagiert und mein Kostüm ausgesucht?«, antwortete ich mit einer Gegenfrage.

»Ich?«

»Wer ist auf die Idee mit dem Scheißedding gekommen?«

»Ich?«

»Dann stehst du ganz oben auf meiner Liste.«

»Das habe ich befürchtet«, schmunzelte Anna. »Bereit?«

»Müssen wir noch irgendwas bezahlen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Bridge hat das vorhin schon erledigt.«

»Okay, dann lass uns abhauen. Ich bin froh, wenn ich die Klamotten ausziehen und endlich duschen kann.«

Wir ließen den verklebten Tisch hinter uns und steuerten auf den Ausgang zu.

»Duschen allein wird da kaum helfen.« Anna hakte sich bei mir ein. »Aber du könntest Dean wecken, damit er dich abschrubbt.«

»Der niedliche Nerd in ihm lässt das einfach nicht zu. Mit Spontanität ist er überfordert, du kennst ihn doch. Ohne Terminkalender läuft bei ihm gar nichts.«

»Nicht mal eine kleine Schaumparty unter der Dusche?«

»Nicht einmal die.«

Das Display meines Smartphones zeigte 4:30 h. Draußen auf den Bürgersteigen herrschte reges Treiben, zumal aus dem Metamorphosis schräg gegenüber ebenfalls scharenweise Menschen strömten. Der Run auf die Taxis war immens und wir brauchten zwei, weil wir in entgegengesetzte Richtungen mussten. Das Luxusappartement meiner Freundin befand sich in der New Yorker Upper East Side, Dean und ich hingegen lebten im Sunset Park in Brooklyn.

»Scheiße! Hier geht’s ja zu wie beim Black Friday«, stöhnte Anna. »Aber wenn ich mich beeile, kann ich die torkelnde Geschmacksverirrte da vorne ausschalten.« Zur Verabschiedung küsste sie mich flüchtig auf die Wange und ließ mich los. »Wir sehen uns morgen. Pass auf dich auf!«

»Und du auf dich.«

»Du kennst mich doch.«

Anna eilte zielstrebig zum Rand des Bordsteins und nutzte ihre Chance auf ein Taxi ohne lange Wartezeit, indem sie einer Brünetten, die sich umständlich in einem mindestens eine Nummer zu kleinen Stretchkleid und viel zu hohen High Heels fortbewegte, kurzerhand die Clutch aus der Armbeuge schubste und ihr den Wagen einfach vor der Nase wegschnappte. Typisch Anna. Das Gezeter war zwar groß, aber dem Fahrer schien es egal zu sein und meiner Freundin sowieso. Amüsiert streckte sie den Kopf aus einem halb geöffneten Fenster des abfahrenden Yellow Cabs und winkte mir über die gebückt schimpfende Brünette hinweg mit einem breiten Grinsen im Gesicht zu.

Kopfschüttelnd sah ich ihr nach.

Da ich nicht wie Anna tickte, machte es für mich wenig Sinn, vor dem Infinity auf einen fahrbaren Untersatz zu warten. Erfahrungsgemäß bekam ich zwei Blocks weiter schneller ein Taxi, wobei ich mir nicht sicher war, ob mich überhaupt irgendein Fahrer in meinem ramponierten Bunnyoutfit mitnehmen würde. Aber einen Versuch war es wert. Und ich musste sowieso von den Angetrunkenen, teils fast schon komatös Besoffenen weg. Gefühlt packte mir im Vorbeiquetschen jeder Zehnte an den puscheligen Stummelschwanz und drückte mir einen unterirdischen Spruch. Obwohl ich selbst einen gewaltigen Schwips hatte, nervten mich die platten Anmachen gewaltig.

Nachdem ich mich mit ausgestreckten Ellbogen durch das Gedränge und Geschubse gekämpft hatte, streifte ich die Schuhe von den Füßen, nahm die hässlichen Dinger in die Hand, wackelte mit den Zehen und stöhnte erleichtert auf – ein herrlich befreiendes Gefühl. Gleich danach wühlte ich in meiner Umhängetasche herum und fand schließlich in einem Seitenschlitz, wonach ich gesucht hatte. Zufrieden seufzend steckte ich mir eine Veilchenpastille in den Mund. Meine ganz persönliche Droge. Es gab einfach nichts Besseres zum Entspannen.

Die Luft war schwül. Weit in der Ferne ertönte leises Gewittergrollen. Ich reckte die Nase nach oben und atmete tief durch. Dichte Wolken in unterschiedlichen Grauschattierungen hingen schwer am Himmel, hoben sich von der Schwärze der Nacht ab und prompt benetzten die ersten warmen Tropfen mein Gesicht. Ich liebte den Regen. Wasser war mein Element. Lächelnd, mit geschlossenen Lidern und gekräuselter Nase wartete ich darauf, dass sich die ersten kleinen Rinnsale auf meiner Haut bildeten, drehte mich einmal um mich selbst, öffnete die Augen und setzte meinen Weg langsam fort.

»Hayley?«

Ganz schwach glaubte ich meinen Namen über dem Geräuschpegel des Stimmenwirrwarrs und der an- und abfahrenden Autos gehört zu haben. Ich hielt inne.

»Hayley?«

Eine Männerstimme. Eindeutig. Ich drehte mich um, schaute auf Hunderte von Menschen, suchte die Menge nach demjenigen ab, der meinen Namen gerufen hatte, konnte aber niemanden ausmachen, der sich von der Vielzahl abhob und zu mir herübersah.

Als ich bereits im Begriff war, mich abzuwenden, streifte mein Blick eher zufällig den Pulk auf der gegenüberliegenden Seite und heftete sich auf einen großen dunkelhaarigen Mann, der gerade in ein Taxi steigen wollte und mich zu sich winkte. Schlagartig rutschte mir das Herz in die schwarze Netzstrumpfhose.

Das kann nicht sein …

Tief durchatmend wandte ich mich ab und eilte dem nächsten Block entgegen, um den Abstand zwischen uns zu vergrößern. Ich konnte nicht denken, achtete lediglich darauf, dass ich keinen Laternenpfahl mitnahm und meine schuhlosen Füße in nichts Ekliges hineintraten.

Hektisch schaute ich nach rechts und links. 9th Street. Die Straße war menschenleer und keine Scheinwerfer in Sicht.

Mist!

Ich flog förmlich über die Fahrbahn und hastete dem nächsten Block entgegen.

»Hayley!«

Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte ich. Spätestens jetzt war ich mir absolut sicher, mich nicht geirrt zu haben.

Noah …

Meine Schritte wurden schneller. Mit etwas Glück schaffte ich es vielleicht, vor ihm den nächsten Straßenblock zu erreichen, und mit noch etwas mehr Glück würde ich direkt einen gelben Wagen erwischen und dem Mann, den ich selbst nicht hätte sehen wollen, wenn er der letzte Mensch auf diesem Planeten gewesen wäre, entkommen. Mein Puls raste, als würde ich einen Marathon laufen. Das Irre daran: Der blöde Muskel in meiner Brust fühlte sich zweigeteilt an. Ein Teil wollte mich daran hindern weiterzugehen, der andere trieb mich zu noch größerer Eile an.

Der Regen nahm zu. Normalerweise wäre ich längst stehen geblieben und hätte jeden einzelnen Tropfen auf meiner Haut genossen, doch wenn mitten in der Nacht völlig unerwartet ein ungeliebter Schatten der Vergangenheit aus der Versenkung kroch, hebelte dieser Umstand die Gesetzmäßigkeit der Normalität aus.

Ich hatte Glück. Teilweise. Noch bevor Noah mich einholen konnte, erreichte ich die 10th Street und sah zwei Yellow Cabs herannahen. Sogleich reckte ich die Hand mit den hässlichen Schuhen in die Höhe. Pfiff mit der anderen auf zwei Fingern. Winkte. Vergeblich. Beide fuhren an mir vorbei. Der zweite Wagen nahm lediglich eine Dreckpfütze mit und nötigte mich zu einem Ausweichmanöver, das mich gegen einen harten Männerkörper katapultierte, dessen Arme sich um meine Taille schlangen, um mich aufzufangen.

Ein leises Lachen erklang – ein Lachen, das mein Herz mit einem Strick aus stechenden Stacheldrahtfasern umwickelte und schmerzhaft zusammenschnürte. Fast fünf Jahre waren vergangen, seit er mich ein paar Monate nach meinem 18. Geburtstag verlassen und mir das Herz zerfetzt hatte. »Schön, dich zu sehen, Fields.«

Kapitel 2

Geist der Vergangenheit

Ich atmete so tief ein, bis meine Lunge schmerzte, drehte mich abrupt in der viel zu intimen Umarmung um und wollte ihm eine Ohrfeige verpassen. Doch wenige Millimeter vor seiner Wange umschloss er mit seinen kräftigen Fingern mein Handgelenk und verhinderte so im letzten Moment, was er verdient hatte.

»Du bist also immer noch wütend auf mich«, sagte er ruhig.

Den Kopf leicht zur Seite geneigt, die unteren Konturen seines markanten Gesichts von Fünftagebartstoppeln gesäumt, den Blick konzentriert auf mich gerichtet – so stand er mir gegenüber, als wäre er ein verschollener Bruder von Douglas Booth und Kit Harrington. Seine Attraktivität blieb unbestritten. Wasser tropfte aus seinen kinnlangen, gewellten Haaren. Einige Strähnen verdeckten teilweise seine Augen, deren ungewöhnlicher Braunton nur mit geschliffenem Rauchquarz zu vergleichen war. Prägnant und durchdringend hoben sie sich von den schwarzen Wimpern unter den ebenso dunklen Augenbrauen ab.

»Lass mich los!«, zischte ich aufgebracht.

Noah sah mich immer noch unverwandt an, hielt mich weiter fest und schüttelte kaum sichtbar den Kopf. Er hatte schon immer etwas Verwegenes an sich gehabt, doch in diesem Moment verschlug mir sein Blick beinahe die Sprache. Fast in Zeitlupe führte er mein Handgelenk zu seinem Mund und berührte die empfindsame Stelle an der Innenseite behutsam mit seinen vollen Lippen. So, wie er es früher stets getan hatte, wenn wir einander besonders nah gewesen waren.

»Tu das nicht«, flüsterte ich mit bebender Stimme. Ich schluckte mehrfach und versuchte mich zu beruhigen. »Kannst du nicht einfach wieder verschwinden?«

»Nein.« Mit dem Daumen strich Noah über das kleine Fleckchen, das er zuvor geküsst hatte. Er wirkte enttäuscht und auch ein bisschen verletzt. »Warum hast du es überstechen lassen?«, fragte er leise.

Dort, wo einige Jahre lang in verspielten Lettern Noah gestanden hatte, befand sich nun ein schwarz-weißer Schmetterling, der täuschend echt auf meiner Haut zu sitzen schien. Nur wenn man ganz genau hinsah, ließen sich die filigranen Buchstaben von damals noch erahnen.

»Weil …« Ich schluckte. Obwohl ich wütend auf ihn war und es ihn im Grunde nichts anging, fiel es mir schwer, ihm zu antworten. Auszusprechen, was mir einmal undenkbar erschienen war, schuf eine neue Form der Realität, die mich trotz der vergangenen Jahre unsagbar traurig stimmte. Das Leben hatte all unsere Träume manipuliert und sie waren nicht stark genug gewesen der Wirklichkeit standzuhalten. »… du schon lange kein Teil meines Lebens mehr bist.«

Noah atmete tief durch und wollte etwas darauf erwidern, doch im selben Moment donnerte es markerschütternd und von einer Sekunde auf die andere öffneten sich alle Schleusen, die der Himmel zu bieten hatte. Aus den dicken Tropfen wurden monsunartige Wassermassen, die auf uns hinabstürzten.

Vor Schreck ließ ich die hässlichen Schuhe fallen und schnappte nach Luft. Ehe ich auf den drastischen Wetterumschwung reagieren konnte, rannte Noah auch schon los und zog mich mit sich fort. Nach wenigen Metern kamen wir unter dem Vordach eines Geschäfts prustend zum Stehen und ließen einander los.

»Fuck!«, fluchte Noah und strich sich mit beiden Händen die klatschnassen Haare aus dem Gesicht.

Die Lederjacke hatte ihn nur dort vor der Witterung geschützt, wo sie seinen Körper bedeckte. Sein Shirt, das er darunter trug, klebte wie eine zweite Haut an seinem Oberkörper, jede noch so kleine Wölbung und Vertiefung seiner Bauchmuskulatur war zu erkennen. Um uns herum bildeten sich kleine Seen auf den Pflastersteinen.

»Es ist doch nur Wasser …« Ich raffte meine Haare seitlich zusammen und wrang den dicken Strang wie ein Handtuch aus. »… wahnsinnig viel Wasser.« Unweigerlich musste ich lächeln, als hätte der anhaltende Platzregen meine Wut auf ihn in einen der überlaufenden Rinnsteine gespült. Die Situation hatte etwas Komisches und erinnerte mich an eine typische Liebesschnulze, die vor Klischees nur so strotzte und hollywoodreif inszeniert worden war. Zumal der Laden, unter dessen Vordach wir Unterschlupf gefunden hatten, auch noch sinnigerweise Bride’s Dream Flowers hieß und sich allem Anschein nach dem angeblich schönsten Tag im Leben verschrieben hatte.

»Woran denkst du gerade?«

»An nichts«, log ich und widmete mich weiter dem Auswringen meiner Haare.

Noah machte einen Schritt auf mich zu. Das Wasser aus meinem Schopf tropfte auf seine dunkelgrauen Chucks. »Fields?«

»Was?«

»Sag schon.«

Ich schüttelte den Kopf. Er sollte nicht wissen, woran ich dachte, weil meine Gedanken längst zurück in die Vergangenheit gereist und bei strömendem Regen unter einer überdachten Veranda an der Küste von New Jersey angekommen waren.

Verstohlen sah ich ihn an. Noahs Mundwinkel zuckten und verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. »Daran denke ich auch gerade.« Er kam mir noch näher.

Ich ließ meine Haare los, streckte eine Hand aus und drückte gegen seine Brust, um ihn auf Abstand zu halten. »Bleib weg von mir.«

»Nein.«

Mit seinem Widerspruch wurden meine Erinnerungen vollends lebendig. Sieben Jahre war es her, dass wir uns nach einer ereignisreichen Nacht genauso gegenübergestanden hatten. Es fehlten lediglich Handtücher. Fünf Jungs hatten mich gefragt, ob ich sie zur letzten Beachparty des Jahres begleiten würde. Noah war nicht unter ihnen gewesen. Während meine Wahl auf Logan Boyce, den Kapitän der Basketballmannschaft, gefallen war, hatte Noah Melody Jones, das mit Abstand hübscheste Mädchen der Highschool, um ein Date gebeten.

***

New Jersey, Wildwood Beach

Ich 16, Noah fast 18

»Kommt Noah dich abholen?«, fragte mein Dad von der Türschwelle des Wohnzimmers aus, während ich in einem kurzen Blümchenkleid die Treppen hinunterrannte und nach meinem linken Schuh suchte.

»Nein«, keuchte ich atemlos. »Mom? Hast du meinen anderen weißen Chuck irgendwo gesehen?« Ratlos schaute ich mich um. »Logan kommt mich abholen, Dad.«

»Wer ist Logan?«, fragte mein Vater.

Parallel dazu kam ein beschäftigtes »Vor der Haustür« aus der Küche.

»Mein Beachparty-Date«, sagte ich im Vorbeigehen, öffnete die Tür und fand zwischen Fußmatte und Blumenbeet, wonach ich gesucht hatte. Eilig schlüpfte ich in den zweiten Converse und huschte zurück ins Haus. »Danke, Mom!«

»Zieh nicht immer und überall deine Schuhe aus, Hayley«, schallte es aus der Küche, »dann brauchst du sie auch nicht ständig zu suchen.«

»Warum gehst du nicht mit Noah?«, hakte mein Vater erstaunt nach. »Ihr macht doch sonst immer alles zusammen.«

»Kommt nicht mehr vor. Tasche? … Tasche? … Tasche?« Suchend blickte ich mich um.

Meine Mutter lachte. »Wer’s glaubt.«

»Noah ist mit Melody Jones verabredet«, murmelte ich abwesend. Ich hätte schwören können, dass ich meine weiße Umhängetasche, bis zum Rand gefüllt mit den wichtigsten Sachen, die man so brauchte, schon vor einer halben Stunde irgendwo im Flur oder Wohnzimmer abgelegt hatte. Zwei Drehungen später entdeckte ich sie am Treppengeländer. »Tasche!«

»Ist das die hübsche Blonde, die du nicht leiden kannst?«, fragte mein Dad.

Hübsch war kein Ausdruck für Melody. Mit ihren Modelmaßen, den langen hellblonden Haaren und blaugrünen Augen wirkte sie wie die 16-jährige Schwester von Barbie und einer Elfenprinzessin. Zu allem Überfluss war sie echt nett und deshalb hasste ich sie.

»Ja, genau die«, stöhnte ich genervt.

»Bringt er dich wenigstens nach Hause?«, hakte mein Vater nach.

»Wer jetzt? Logan?«

»Noah.«

»Warum sollte er?«

»Aber er ist auch auf dieser Party.«

»Ja, alle sind heute Abend am Beach.« Draußen hupte es. Ich flitzte an meinem Vater vorbei ins Wohnzimmer und als ich aus dem Fenster schaute, entdeckte ich Logan in seinem knallroten Jeep vor der Einfahrt – braune, verstrubbelte Haare, strahlendes Sonnyboy-Lächeln, der 18-jährige Neffe von James Dean und Johnny Depp.

Mein Vater war mir gefolgt und spähte nun über meinen Kopf hinweg ebenfalls durch die Glasscheibe nach draußen. »Sag diesem Logan, er soll die Finger bei sich behalten, sonst werde ich ihn leider lebendig im Garten verscharren müssen.«

»Nein, das werde ich nicht tun.« Ich quetschte mich an ihm vorbei. »Bye, Mom.«

»Viel Spaß!«, kam es zurück. »Brady? Hilfst du mir mal?«

»Um elf bist du zu Hause«, brummte mein Vater. »Zwei Minuten, Elisa!«

»Da geht es doch gerade erst richtig los.« Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Um drei«, zwinkerte ich ihm zu.

»Zwölf.«

»Zwei«, schmunzelte ich und verließ den Wohnraum.

»Eins.«

Auf dem Weg zur Haustür warf ich einen letzten prüfenden Blick in den Flurspiegel, machte ein Selfie mit meiner heiß geliebten Polaroidkamera, zog das Bild aus dem Schlitz, wedelte es wie einen Fächer und klemmte es zum Trocknen in den verschnörkelten Rahmen des Spiegels. »Halb zwei.«

»Viertel nach eins und nimm eine Regenjacke mit. Eure Beachparty wird ins Wasser fallen«, rief mein Vater mir nach.

»Wird sie nihicht!« Ich musste lachen. Es war immer wieder dasselbe. »Bye, Dad.«

Glucksend zog ich die Tür hinter mir zu. Möglichst cool bewegte ich mich Richtung Einfahrt, drückte ein weiteres Mal auf den Auslöser der Kamera und zog das Sofortbild heraus.

»Hey«, zwinkerte Logan mir gekonnt zu.

Offensichtlich gefiel ihm, was er sah, und mir gefiel, was ich sah. Zufrieden steckte ich die Retrocam in meine Tasche und wedelte den Schnappschuss meines ersten hochoffiziellen Dates trocken, während ich zu ihm in den Wagen stieg.

Whistle von Flo Rida lief im Radio. Zur Begrüßung beugte Logan sich zu mir rüber und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. Überrascht sah ich ihn an. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Schmunzelnd drehte er den Zündschlüssel rum und fuhr rückwärts aus der Einfahrt.

Die Fahrt zum Beach dauerte nur eine Viertelstunde, in der wir uns anschwiegen. Logan redete generell nicht viel, er war eher körperlich und genau genommen auch ein bisschen selbstverliebt. Aber mit ihm hatte ich das Superdate schlechthin erwischt, den Jackpot. Mindestens die Hälfte der Mädchen meines Jahrgangs stand auf ihn. Die andere Hälfte stand auf Noah.

Als wir beim alten Bootshaus ankamen, wo die Party stieg, waren die meisten schon da. Logan fuhr mit seinem Jeep an den parkenden Autos vorbei über eine Düne und stoppte mitten auf dem Strand, gleich neben einer Treppe, die nach oben in den erweiterten Teil des Bootshauses führte. Gentlemanlike half er mir aus dem Wagen, ergriff meine Hand und lotste mich in die von bunten Lämpchen erleuchtete Party-Location. Vom Aussichtssteg, der auf hohen Pfählen aus dem doppelstöckigen Holzgebäude einige Meter ins Meer führte, prosteten mir Anna, Bridget und Chloé breit grinsend zu. Nett von ihnen, wo ich doch zumindest von Anna wusste, dass sie auf ein Date mit Logan gehofft hatte.

Im Vorbeigehen begrüßten die Basketballer schulterklopfend und mit derben Sprüchen ihren Teamchef, der mich wie eine Trophäe festhielt und schließlich direkt zu den alkoholischen Getränken führte, als könnte er es nicht abwarten, mich möglichst schnell abzufüllen.

»Was trinkst du?«, fragte er.

Mir blieb die Wahl zwischen rotem Wodkapunsch, Bier und Softdrinks. Eigentlich wollte ich eine Coke nehmen, doch als ich Noah und Melody kichernd und viel zu nah beieinander in einer Ecke stehen sah, entschied ich mich um.

»Punsch.«

Logan grinste, ließ mich los, füllte einen Becher mit dem klebrig süßen Gebräu und gab ihn mir. Er selbst nahm sich ein Bier, prostete mir zu und ergriff wieder meine Hand.

Zwei Stunden später lief die Party auf Hochtouren. Bridge hatte größte Mühe, sich »Tentakel Mike«, den übergriffigen Leadsänger der Schulband vom Hals zu halten. Chloé tanzte beschwipst über Tische, Bänke und Stühle. Anna bekam indes ein blutiges Ohr vom Redakteur der Schülerzeitung abgekaut. Noah zog alle Register bei Melody und mein Date redete immer noch nicht besonders viel, tanzte aber immerhin mit mir und versorgte mich kontinuierlich mit Flüssigkeitsnachschub.

»Lauf nicht weg, ich bin gleich wieder da«, sagte Logan zwischen zwei Songs und verschwand. Vermutlich zur Toilette.

Ich atmete auf und ging hinaus auf den mehrere Meter langen Steg, der von knutschenden Pärchen belagert wurde. Etwa in der Mitte fand ich einen freien Platz, stützte mich mit den Unterarmen auf das Geländer und schaute hinaus aufs Meer. Der Wind hatte aufgefrischt, blies mir kühl ins erhitzte Gesicht und schob eine dichte Wolkendecke Richtung Festland vor sich her.

»Warum ignorierst du mich schon den ganzen Abend?«, fragte eine vertraute Stimme. Die dazugehörigen Arme stützten sich neben meinen auf dem verwitterten Holz ab.

»Dasselbe könnte ich dich fragen.«

Noah lachte leise. »Der Punkt geht an dich.«

»Wo hast du Melody gelassen?«, fragte ich eine Spur zu schnippisch.

»Im Bootshaus«, antwortete er emotionsfrei. »Und wo steckt dein Star-Basketballer?«

»Keine Ahnung.« Ich zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Toilette oder so.«

»Ich dachte schon, er lässt dich heute gar nicht mehr los.«

»Na ja … er findet mich eben genauso anziehend wie du Melody.«

»Touché.« Noah drückte sich vom Geländer ab, drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. »Hat sich der Aufriss denn wenigstens gelohnt?«, fragte er leise.

Die Leichtigkeit zwischen uns war nach den Ferien verschwunden. Es war der erste Sommer seit meinem fünften Lebensjahr gewesen, den wir nicht zusammen verbracht hatten. Während ich wie jedes Jahr die freien Monate bei meinen Großeltern am Wildwood Beach verbracht hatte, war er mit seinem Vater auf einer Geschäftsreise in Europa gewesen. Das hatte Noah irgendwie verändert. Vielleicht hatte ich mich auch verändert. Auf jeden Fall war unser Wiedersehen seltsam ausgefallen, befangen, als hätte unsere Freundschaft grundlos einen Riss bekommen. Und seit er offenkundig Interesse an Melody zeigte, sahen wir uns kaum noch, wenngleich wir jeden Abend per WhatsApp texteten.

»Er ist viel charmanter, als ich dachte«, gab ich ebenso leise zurück. »Und er tanzt ganz gut für einen Basketballer.«

»Sei trotzdem vorsichtig. Er ist ein Blender. Ich trau ihm nicht.«

»Du bist nicht mein Dad.«

»Aber dein Freund.«

»Ein Freund.« Die Betonung auf »ein« klang schärfer als beabsichtigt. Ich richtete mich auf, wollte mich dafür entschuldigen, doch es gelang mir nicht. Stattdessen sah ich ihn an und konnte meinen Unmut kaum verbergen. »Kümmer dich lieber um dein Date. Wenn Melody nicht im Mittelpunkt steht, stellt sie gleich die Weltordnung infrage.«

Normalerweise hätte Noah meine Bissigkeit einfach weggelacht. Diesmal nicht. Er atmete tief durch und stieß sich vom Geländer ab. »Okay, ich hab verstanden.«

»Noah, ich …«

»Vergiss es!«

Ausgerechnet in diesem Augenblick tauchte Logan wieder auf, legte mir seinen Arm um die Schultern, küsste mich wie gehabt auf die Wange und zog mich breit grinsend mit sich.

Ein wenig verlegen sah ich noch einmal zurück zu meinem besten Freund. Noahs Blick sprühte förmlich Hassfunken und seine Nasenflügel bebten.

Ich hätte heulen können, tat es aber nicht, sondern setzte aller Unruhe in meinem Inneren zum Trotz eine glückliche Miene auf und ging mit Logan zurück ins Bootshaus, wo die Stimmung derart überschäumte, dass der DJ zum Runterfahren gekonnt in einen langsamen Sound wechselte – Apologize von One Republic. Dabei hätte ich mir so gerne den Frust von der Seele getanzt.

Logan war groß. Richtig groß. Zumindest im Verhältnis zu meinen Einspaarundsechzig. Während die anderen Mädchen zum Schmusesong die Köpfe an den Schultern oder in den Halsbeugen ihrer Tanzpartner vergruben, starrte ich auf eine Sportlerbrust, die ich den ganzen Sommer über mit Anna, Bridget und Chloé – den sogenannten ABCs – zusammen am Strand angeschmachtet hatte. Die dazugehörenden Arme und Hände rutschten langsam tiefer. Logan beugte sich nach vorne, seine Lippen berührten meine Schläfe, meine Wange und ich bekam einen Herzkasper. Von ihm geküsst zu werden, hatte ich mir gewünscht, mir das perfekte Szenario wochenlang vor dem Einschlafen in den schillerndsten Farben ausgemalt und die Gedanken daran in meine Träume einzuschleusen versucht. Doch jetzt, wo die Romantasy zur Autobiographie werden sollte, war ich mir von einer Sekunde auf die andere nicht mehr sicher, ob ich das wirklich wollte. Als sein Mund meinem gefährlich nah kam, drehte ich den Kopf zur anderen Seite und hoffte, er würde keinen weiteren Versuch wagen, aber da hatte ich mich getäuscht, denn auch sein Kopf wechselte die Seite. Mir blieb nur die Flucht nach hinten und ich bog den Rücken durch, bis es nicht mehr weiter ging. Er lächelte smart, ein aufgeregtes Funkeln lag in seinen blauen Augen und ich schmolz ein Stück weit dahin. Mein erster Kuss stand kurz bevor und das ausgerechnet mit Logan Boyce, einem heißen, mit Sportstipendien überhäuften Abschlussschüler. Es hätte mich durchaus schlimmer treffen können und ich wollte es unbedingt hinter mich bringen. Immerhin war ich bereits sechzehn.

»Komm schon, Hayley …«, flüsterte er in einem unwiderstehlichen Tonfall, »… es wird dir gefallen.«

Ich biss mir auf die Unterlippe, erwiderte sein fast schon anrüchiges Lächeln und schloss trotz sämtlicher Zweifel voller Erwartung die Augen. Mein erster Küsser würde also tatsächlich Logan Boyce werden und es hieß, er sei ein verdammt guter.

Das Nächste, was ich spürte, waren nicht seine Lippen auf meinen, sondern, wie er mich losließ, ich durch meine überstreckte Haltung das Gleichgewicht verlor und mein Po unsanft auf harten Holzdielen aufsetzte. Keuchen. Faustschläge. Tumult. Entsetzt starrte ich auf Noah, der gerade Logan auseinandernahm. Nachdem er zwei, drei harte Schläge kassiert hatte, erwischte er jedoch augenscheinlich einen Punkt am Kinn, der den Baum von Kerl fällte und ihn gegen einen Stehtisch katapultierte. Unter der Wucht des Aufpralls zerfiel das Möbelstück in seine Einzelteile. Getränkebecher flogen umher, Bierflaschen zerbrachen, die Musik ging aus, alles verstummte und sämtliche Blicke waren auf uns gerichtet.

Noah kam auf mich zu und streckte mir seine Hand entgegen. Ich ergriff sie, damit ich einigermaßen elegant vom Boden aufstehen konnte.

»Lass uns abhauen«, sagte er leise, als ich ihm gegenüberstand.

Adrenalin raubte mir die Kontrolle und ohne weiter darüber nachzudenken, holte ich aus und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. »Ich hasse dich!«

Meine Füße bewegten sich wie von selbst, die Sicht auf mein Umfeld verschwamm. Klare Gedanken setzten erst wieder Minuten später ein. Das Bootshaus lag weit hinter mir. Musik und Stimmengewirr hallten über den menschenleeren, dunklen Strand. Die Party ging weiter. Ohne mich. Ich wollte einfach nur weg. Zu meinen Großeltern oder sonst wohin. Hauptsache weg.

Wutschnaubend blieb ich stehen, zog meine Chucks aus und nahm sie in die Hand. Regen setzte ein. Ich atmete tief durch, verharrte sekundenlang auf der Stelle, vergrub meine Zehen im Sand, reckte die Nase gen Himmel und genoss die sommerliche Abkühlung, wobei mich die immer wiederkehrenden Bilder in meinem Kopf jedoch daran hinderten, ruhiger zu werden.

»Hayley?«

Ich rannte los, so schnell ich konnte. Der Regen wurde stärker. Donnergrollen übertönte das Meeresrauschen. Blitze zuckten am Himmel. Mein Vater behielt wie immer recht.

»Hayley!«

Noah holte auf. Ich spürte förmlich seinen Atem in meinem Nacken. Wasser klatschte mir ins Gesicht, als würde ich unter einer Dusche stehen und hätte den Hahn zu weit aufgedreht. Mit jedem Donner- und Blitzschlag zuckte ich zusammen.

Dann war Noah bei mir. Seine Hand griff nach meiner, hielt sie so fest umklammert, dass ich nicht von ihm loskam. Er lief nach links, zerrte mich vom Ufer weg, hechtete nach einer Weile einige Stufen hinauf und blieb mit mir auf der großflächigen Veranda des Strandhauses seiner Großeltern schnaufend stehen. Hätte sich das Gewitter nicht auf schaurig schöne Weise genau über uns entladen, wäre ich um nichts in der Welt bei ihm geblieben, denn das Haus meiner Großeltern lag nur zwei Steinwürfe entfernt.

Unwirsch zog ich meine Hand aus seinem festen Griff und brachte einige Schritte Abstand zwischen uns. Die Luft war abgekühlt. Ich fror, das dünne Sommerkleid klebte wie ein Abziehbild an meinem Körper und dort, wo ich stand, bildete sich eine große Pfütze auf den weiß gebeizten Holzdielen.