3,99 €
Wie kann man sich Respekt als Mensch und noch dazu als Frau, in einer Welt voller Vampire, Werwölfe, Elfen und Gestaltwandler, verschaffen? Das ist unmöglich; das Einzige was man machen kann, ist ihnen Angst zu machen. Ich stelle mich vor: Cora Nacht. Alter: 25 Jahre. Beruf: Agentin der OCN in Deutschland. DNA: menschlich. Eltern: unbekannt. Charaktereigenschaften: stur, Einzelgänger und tödlich. Was ich bin? Verflucht. Ein Leben zu leben, das nie enden soll, voller Wut, Hass und Leid. Mein bester Freund, ein Werwolf, der das Leben genießt. Unsterblichkeit ist für ihn ein Segen, für mich ein ungewünschter Fluch, einer Göttin. Ich stelle mich vor: Alexios, jetzt Alexandre. Alter: Zu alt, um es zu nennen. Berufe: Alles und wieder nichts. Jetziger Beruf: Agent der OCN in Frankreich. DNA: menschlich. Eltern: Schon so lange tot, dass ich mich nicht mehr an sie erinnere. Charaktereigenschaften: hoffnungsvollernarr, gutmütig und geduldig. Zwei Welten, zwei Persönlichkeiten, eine Geschichte. Die Autorin begeistert mit diesem Romantasy einer toughen Heldin. Cora ist eine junge Frau mit außergewöhnlichen Kräften und großer Loyalität gegenüber der OCN, jener Organisation, die ihr seit frühester Kindheit Heimat und Job zugleich war. Ein außergewöhnlicher Fall zwingt sie zur Zusammenarbeit mit der französischen Außenstelle – und dem charismatischen Alex. Langsam gerät Coras Fokus aus der Spur, doch sie findet in Alex und seinen Kollegen tatkräftige Unterstützung. Aber auch Alex hat ein Geheimnis zu hüten. Wird es ihnen gelingen, den Fall zu lösen? Welche Opfer müssen sie dafür bringen? Wem können sie vertrauen? Bald findet sich Cora in einem Labyrinth aus Fragen, Verrat und Lügen wieder. Ein spannender Fantasyroman mit einer ungewöhnlichen Heldin, die das Leben von Alex und seinen Kameraden auf den Kopf stellt. Zusätzliche Spannung bergen die Rückblenden, in denen die Leser*innen mehr über die Umstände erfahren, warum Cora eben Cora ist.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 313
Veröffentlichungsjahr: 2022
Nyx's Erbe
Verflucht
C. Kimmig
Alle Rechte bei Verlag/Verleger
Copyright © 2023
Verlag/Verleger
(aus Projekt-Eckdaten)
Inhalt
Prolog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. KapitelEpilog
1000 v. Chr. – Delphi, Tempel des Orakels
Alexios
Alexios schrie seinen Erfolg in die Welt hinaus. Seine Hände waren mit schwarzem Blut befleckt und seine Kleider zerrissen.
Das Orakel hatte die Flucht ergriffen, als sie den Kampf wahrnomen.
Die Körper der Gegner, auf dem ganzen Boden verteilt.
Sein Stolz versiegelt ihn in eine Blase, die ihn vergessen ließ, wo er sich befand.
Ja, er hatte es geschafft. Die zwei Geschöpfe, die er mit einem Dolch und seinen bloßen Händen erlegt hatte, zerstoben in einer Staubwolke.
Sie allein waren der Grund, warum er seine Verlobte nicht mehr heiraten konnte.
Als Alexios vom Feld zurückkam, wollte er seiner verlobten Kore ein Wolfsfell überreichen. Doch das Einzige, das er vorfand in dem in Schutt und Asche gelegten Haus, wo sie zusammengelebt hatten. Auf dem Boden im Inneren lag eine entstellte Frauenleiche. Der Körper seiner Verlobten.
Der Dorfälteste berichtete ihm, dass die Wesen der Nyx gekommen waren. Aber anstatt vorbeizuziehen, griffen sie mehrere Besiedlungen an.
Ehe jemand reagieren konnte, war Kore tot und ihr Heim zerstört. Die Attacke verlief schnell und endete blutig.
Erfüllt von Hass und Rachegelüste verfolgte Alexios die Monster. Seine Reise führte ihn von Karintha bis nach Delphi.
Nach zwei Tagen kam er in Delphi an.
Die Bewhoner warnten ihn, dass jeder, der es wagte, den Geschöpfen von der Nyx etwas anzutun, nie wiedergesehen wurde.
Alexios nahm die Warnung nicht ernst. Das Einzige, was er wollte, war Rache.
In einer Höhle nicht weit entfernt vom Tempel des Orakels, hörte er ihr Gelächter. Er war erschöpft, aber neue Kraft durchströmte ihn mit jedem Schritt, den er auf die Vampire zuging.
Alexios stellte sich vor, dass sie dasselbe Lachen ausgestoßen hatten, nachdem sie seine Kore und die anderen Dorfbewhoner ermordet und sich an ihrem Blut ergötzten.
Er konnte nicht mehr gestoppt werden. Der Hass erfüllt ihn und eine dunkle Kraft riss ihn in die Höhle.
Was genau geschah und wie er sich im Tempel des Orakels vorgefunden hat, wusste er nicht mehr. Außer dass er eine Kraft in sich spürte, die über die eines Menschen hinausging.
Nachdem der Schrei in der Nacht verhalte, erlosch die Blase um ihn herum. Erst in diesem Moment realisierte Alexios, wo er sich befand und was dies bedeutet.
"Die Göttin wird nicht erfreut darüber sein." Das Orakel kam aus seinem Versteck heraus und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. "Du hast es gewagt, den Tempel der Nyx mit dem Blut ihrer eigenen Schöpfung zu entweihen."
Das Orakel war eine Frau mit schwarzen langen Haaren und weißen leeren Augen. "Sie wird dich bestrafen, so wie alle anderen vor dir."
Kaum hatte sie den Satz beendet, wechselte ihre Augen von Weiß auf Schwarz.
"Sie kommt! Und sie ist nicht glücklich." Ihr zerknirschtes Lachen erschütterte den Tempel.
Ein schwarzer Nebel hüllte den Altar ein und zwei grüne Augen erleuchteten daraus.
"Alexios! Du hast es gewagt, meine Kinder zu töten?" Ein eiskalter Hauch streifte sein Gesicht. "Gib mir einen Grund, dich nicht zu bestrafen für diese Tat."
Alexios fiel auf die Knie und sucht nach den richtigen Worten. Doch nichts schien ihm die passende Antwort zu sein.
Er hatte keine andere Wahl, als sein Herz sprechen zu lassen.
"Deine Schöpfung hat uns noch nie angegriffen, Nyx. Vor zwei Tagen. Dort haben sie meine Verlobte so wie viele andere getötet. Sie waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt und zerbissen." Er senkte den Blick. "Nur an ihrer Halskette habe ich meine Kore wiedererkannt. Also sag mir, Nyx, warum haben diese zwei Wesen es dann mehr verdient zu leben als sie?"
Ein Strahl erschien in den zwei Augen. "Eine Frage, die nur ein Mensch stellen kann. Dabei hast du nicht gefragt, ob es an dir war, meine Schöpfung zu bestrafen."
Ein zweiter eiskalter Zug streifte Alexios' Nacken. "Aber nach all den Jahren habe ich vieles über euch gelernt."
Aus dem Nebel erschien eine zauberhafte Frau mit schwarzblauen Haaren und Augen so grün und klar wie eines Feldes im Frühling. "Daher möchte ich dich nicht nur bestrafen. Ich gebe dir die Möglichkeit, deine Geliebte in einem anderen Leben wiederzufinden." Eine schwarze Flamme erschien in der erhobenen Hand der Frau. "Egal, wie lange es dauert, du wirst die Zeit bekommen und erst dann wieder anfangen zu altern, wenn eure Herzen wieder vereint sind."
In Alexios erwachte neue Hoffnung, die gleich darauf wieder verschwand.
"Doch die Unsterblichkeit kann auch ein Fluch sein. Du musst miterleben, wie all die Menschen, die du liebst, sterben. Du wirst Kriege miterleben und mitstreiten, ohne jemals zu sterben. Und ebenfalls kannst du dich selbst nicht töten. Fluch und Segen zur selben Zeit."
Alexios wollte gerade Einspruch erheben, als die schwarze Flamme seinen ganzen Körper umhüllte. Er lag von Schmerzen erfüllt auf dem Boden des Tempels.
"Du bist ab jetzt von Nyx gezeichnet, bis du ihren Fluch aufgelöst bekommst." Es war das Orakel, das zu ihm sprach. Er nahm die Worte wahr. Aber der Schmerz in seinem Körper verweigerte ihm, die Augen zu öffnen.
"Und jetzt geh und wage es nie wieder hierherzukommen. Du bist in den Tempeln der Nyx nicht mehr willkommen." Mit einem Windzug verschwand das Orakel. Der Schrei, den Alexios zuvor unterdrückt hatte, schallte aus seinem Mund und erschütterte das Gebirge um ihn herum.
Gegenwart – Deutschland, Schwarzwald
Cora
"Warum müssen die immer in dreckigen, abrissreifen Gebäuden leben? Das ist so etwas von klischeehaft." Cora hasste diesen Teil ihrer Arbeit. Immer muss sie die schlimmsten Orte aufsuchen.
Diesmal war es eine abgelegene Firma, die vor sehr vielen Jahren Einzelteile für Autos hergestellte hatte.
Im Erdgeschoss befand sich der ehemalige Fabrikationsbereich und darüber waren die Büro und Gemeinschaftsräume.
Das Äußere des dreistöckigen Gebäudes wurde nicht vom Wetter verschont. Die ehemalige rote Farbe blätterte von der Außenwand ab und hinterließ freie verschmutzte Betonflächen. Die meisten Fenster waren eingeschlagen und mit Stoff bedeckt worden.
Das Innere war verstaubt, dunkel und mit Schimmel überzogen. Jeder Atemzug kam einer Qual ähnlich.
Wegen der Dunkelheit erkannte man nur die Umrisse der inaktiven Geräte und Accessoires. Dennoch konnte man sich die Schimmelfläche an den Wänden vorstellen und das zerbrochene Glas der Fenster auf dem Boden.
"Das sagst du jedes Mal. Aber in Wahrheit liebst du es doch." Tom stand ein Meter rechts von ihr entfernt mitten in einer Pfütze, von der sie nicht mal wissen wollte, was es genau ist.
"Ja klar, genauso wie die Monster, die wir jagen ..." Ihren Sarkasmus schwang in jeder Silbe mit. Ihr Kollege lachte so leise, dass es nur jemand in seiner Nähe hören konnte. So wie alles, was sie sich gegenseitig sagten.
Bevor sie ihr Gespräche weiterführen konnten, erklang ein Schrei aus den oberen Stockwerken. Mit einem Fluch machten sich beide schwer bewaffnet auf den Weg. Jeder wusste, was er zu tun hatte.
Nach nicht einmal einer Minute hatte Cora sich an einer herabhängenden Schlinge eine Etage hochgezogen. Tom nahm die Treppen, aber nicht wie jeder normale Mensch. Nein, fast lautlos glitt er über Geländer.
Im ersten Stock gab es keinerlei Hinweise auf Leben oder irgendwelche Aktivitäten. Der Wind ließ die Stoffreste an den zerbrochenen Fenstern aufschweben und verteilte den Staub. Die Dunkelheit war in diesem Stockwehr noch erdrückender als im Erdgeschoss.
Nach einer zweiten schnelle Kontrolle, gab es immer noch kein Anzeichen von Leben. Daher hielten sie sich nicht länger auf als nötig und stürmten weiter in den zweiten Stock.
Und dort befand sich ihr gesuchtes Objekt.
Ein abgemagerter Vampir, die Haut schon fast durchsichtig und keine Behaarung auf seinem Körper. Der Blick leer und weiß, kein Anzeichen einer Seele oder irgendwelchen Gefühlen. Dies ist eine Maschine, die nur noch da ist zum Töten. Und diese schien es auf Kinder abgesehen zu haben.
Ein kleiner Junge saß weinend in einer Ecke unter dem einzigen Fenster, das ganz zu scheinen schien. Die Beine an sein Gesicht gezogen, sein lockiger Haarschopf vibrierte. Über das Zischen des Vampirs hörte Cora ein Summen. Ihr wurde klar, dass der kleine Junge sang. Wahrscheinlich ein Lied, das seine Mutter ihm vorgesungen hatte.
"Tom?" Cora flüsterte in ihr Mikrofon in der Hoffnung, dass der Vampir mit seinem feinen Gehör sie nicht hörte. Mit einem Brummen gab Tom zu verstehen, dass er sie hörte. "Kümmern dich um den Jungen, der hinten in der Ecke hockt, und ich versuche, das Ding da abzulenken."
"Geht klar."
Aus dem Brummen wurde ein Knurren und sie wusste, dass der Wolf in Tom, nicht ganz einverstanden war. Aber darum machte sie sich keine Sorgen, er hörte trotzdem auf sie.
Ohne ein weiteres Wort ging es los. Cora griff den Vampir mit derselben Schnelligkeit an wie ein Gepard. Dennoch schaffte es, der Vampire zu fliehen. Ohne einen Gedanken zu verschwenden, jagte Cora ihm hinterher. Trotz des Schutts und der umgefallenen Holzklötze schaffte sie es, ihm auf den Fersen zu kleben.
In einem der hinteren Räume blieb der Vampir einfach stehen. Von der Größe her musste das ein ehemaliges Entwicklungslabor gewesen sein. Es gab mehrere alte Computerbildschirme, Tastaturen auf den Tischen an den Wänden und eine große Tafel auf Rollen in der Mitte des Raums.
Doch das war ihr in dem Moment egal. Kaum hatte sie angehalten, verstand sie, warum er sie hierhergelockt hatte.
Dies war ihre Schlafstätte. Und sie sah insgesamt drei Weitere dieser weißen Blutsauger.
"Tom, diese Mistkerle haben sich zusammengetan, das habe ich schon seit Langem nicht mehr erlebt." Cora machte sich keine Illusionen, dieser Kampf würde lang und schmerzhaft werden.
"Ja, das habe ich auch grad bemerkt! Ich stehe hier vor zwei von denen und einem Kind auf dem Arm, das mich nicht loslassen will."
"Nebel."
"Du sagst es. Und jetzt, Chef?"
Cora rannte los, zurück zu ihrem Kollegen. Zu zweit waren sie besser dran.
"Reiß den Jungen von dir los, stell ihn in die Ecke und tu mir den Gefallen: Verwandle dich. Ich bin in dreißig Sekunden bei dir." Sie riss sich das Mirko aus dem Ohr. Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war Ablenkung.
Im ersten Raum wieder angekommen, sah sie zwei Vampire, einen Wolf und dazwischen den Jungen, der sie mit riesengroßen Augen anstarrte. Wenigstens hatte er aufgehört zu weinen, aber das bedeutete wahrscheinlich nur, dass er unter Schock stand.
Der Abend wird ja immer besser.
Sich der Situation im Klaren nahm sie ihre zwei Rückenschwerter in die Hand und wirbelte auf dem Absatz herum. Mit einem überkreuzten Schnitt schaffte sie es, den Ersten, der zwei Vampiren auszulöschen. Kaum war der Kopf des Vampires ab, verfiel sein Körper in Asche und vermischte sich mit dem Wind.
Kein Glühen, kein letzter Schrei, einfach nur staubige Partikeln.
Hinter sich hörte sie etwas kaputt gehen, doch sie hatte andere Probleme. Die anderen Vampire schienen miteinander zu kommunizieren in einer Art Holzsprache. Zwei Holzstöcke aufeinander geschlagen ergeben denselben Klang. Von einem Lidschlag auf den anderen waren die beiden Vampire vor ihnen verschwunden.
Ihr Instinkt zog Cora zurück zu Tom, der ebenfalls etwas verloren auf der Stelle stand und um sich sah. Seine großen schwarzen Augen sahen perfekt in der Dunkelheit. Cora musste dagegen mehr auf ihr Gehör vertrauen. Mit geschlossenen Augen und ihren Händen noch fester um die Griffe, stand sie am selben Fleck.
Und da war schon ein Kandidat, der sich zum Töten bereitstellte. Er hatte nicht mal Zeit, den Boden zu berühren, bevor er von einem Schwert erstochen wurde und sein Gesicht durch kräftige, scharfe Krallen halbiert wurde.
Sie hatten keine Zeit, einen Atemzug zu nehmen, als auch schon die anderen zwei Vampire zugeflogen kamen. Cora wich mit einer Rückwärtsrolle aus, während sie ihre Schwerter wegschlug. Mit geübter Schnelligkeit holte sie ihre Schusswaffe heraus, die mit den extra geformten UV-Kugeln.
Die erste traf die Wand hinter dem linken Vampir. Die Zweite hielt er mit den Zähnen auf, doch das rettete ihn auch nicht. Die Kugel zersprang wie eine Minibombe und setzte die UV-Strahlen frei.
Der Vampir färbte sich schwarz, bevor er zu Boden ging und zu einem Staubhaufen zerfiel. Der andere Vampir ließ ein angewidertes Zischen von sich hören, das durch einen harten Schlag von Tom verstummte.
Mit einer weiteren Kugel traf Cora die Brust des fünften Vampirs und Tom zerfetzte den Kopf des Letzten.
"Den nehmen wir mit." Sie deutete auf den vierten bewusstlosen Vampir.
Tom nahm den Vampir in sein Maul und trug ihn hinaus, wo die Wagen ihrer Einheit parkten.
Es war an Cora den Jungen aus der Starre zu holen und hinauszutragen. Das kann wirklich lustig werden. Sie hasste es, wenn Zeugen dabei waren, aber na ja, da kann man nichts machen.
"Hey Junge. Alles klar?" Cora war gut in allem Möglichen, aber nicht mit Kindern. "Es ist vorbei, die bösen Jungs sind alle tot." Sie trat etwas näher an den Jungen heran. "Hörst du mich?"
In diesem Moment hob er den Kopf und zwei blutrote Augen starrten sie an – mit einer Mischung aus Hass und Hunger.
Schnell wie der Blitz stürzte er sich auf Cora. Diese holte einmal kurz mit dem Arm aus und schlug ihm die Faust mitten auf die Nase. Der Vampirjunge ging K. O., aber dies würde nicht lange anhalten, daher schnappte sie ihn am Kragen und trug ihn, mit viel Abstand von sich, hinaus.
Verdammt Tom, wie hast du so etwas nicht sehen können?
Draußen standen wie erwartet fünf Wagen ihrer Einheit. Zehn Leute stürmten ins Gebäude, um alles zu reinigen. Drei Männer und Tom kümmerten sich um den Vampir.
Eine Frau mit einem hochgewachsenen Mann kamen auf sie zu. Die Frau hatte dunkelblondes Haar, war genauso groß wie Cora, um die ein Meter fünfundfünfzig, etwas mollig und hatte klare braune Augen, die aussahen, als würde sie jeden bemitleiden.
Der Mann neben ihr war das genaue Gegenteil. Er war um die ein Meter achtzig, schlank, wenn nicht sogar fast mager für seine Größe und blaugraue Augen, die wie bei Ratten geformt waren. So wie ein Vollbart, den er immer mit seiner rechten Hand streichelte.
Beide waren um die dreißig Jahre alt und schon seit einigen Jahren feste Mitglieder der Organisation und Zwillingsgeschwister.
„Na super, die Docs sind da." Cora warf den Jungen auf den Boden und überkreuzte ihre Arme.
„Oh mein Gott! Cora, wie kannst du das dem Jungen nur antun?" Caroline kniete sich neben dem Vampir hin.
„Vorsicht, der hier ist bissig", sagte Cora mürrisch.
Es ist nicht so, dass Cora sie nicht leiden konnte, ganz im Gegenteil, die beiden Docs waren klasse. Aber sie nervten sie viel zu oft mit ihren Untersuchungen und dem ganzen Trallala.
Mit einem Satz war Caroline wieder einen halben Meter von dem Jungen entfernt.
„Das ist ein Vampir?" Fabian kam näher, er war schon immer sehr neugierig gewesen.
„Ja! Der hat mich mit seinem Mitternachts Snack verwechselt." Die Abscheu in Coras Stimme war kaum zu überhören. „Keine Ahnung, warum er nicht Toms Blut haben wollte. Wahrscheinlich stinkt seines nach nassem Hund."
Die Schnauze voll von dem ganzen Abend, ging sie zum Auto.
„Hey Cora! Und was machen wir nun mit dem?"
Sie blickte über ihre Schulter zu Fabian, der sie fragend ansah.
„Auf die Sonne warten. Müssten ja nur noch ein paar Minuten sein." Aus dem Rucksack im Wagen der Docs zog sie sich eine Packung Zigaretten heraus. „Doc Fab! Ich nehme mir etwas Medizin."
„Rauch mir aber diesmal nicht wieder die ganze Packung leer", erwiderte er schnaufend und musste sich mit einem Achselzucken als Antwort zufriedengeben.
Fünfzehn Minuten und drei Zigaretten später wanderten auch schon die ersten Sonnenstrahlen über die stillgelegten Industriegebäude.
„Dann schauen wir mal, wie viel Vampir der Kleine schon ist." Cora beachtete das angewiderte Quieken von Caroline nicht.
Ein Sonnenstrahl bewegte sich nur millimeterweise auf den Vampir zu. Und nach Stunden – so kam es ihnen vor – berührte er endlich das Bein des Jungen.
Es passierte nichts.
Keine Verbrennungen, keine roten Bläschen, nicht einmal ein geringfügiger Sonnenbrand.
„Okay, der hat noch kein Blut getrunken." Fabian schien erleichtert über diese Erleuchtung zu sein.
„Gut, dann nehmt ihn mit. Vielleicht bekommst du ihn …" Doch gerade als sie den Satz beenden wollte, ging der Junge mit einem grausamen Zischen in Flammen auf. „Mist!"
„Das Kind hatte also doch schon Blut getrunken." Caroline konnte ihren Schmerz nicht verbergen und stieg mit ersticktem Wimmern in den Wagen ein.
Cora konnte es nicht leiden, wenn ihre Arbeitskollegen sich so schlecht fühlten. Aber ihr wurde Mitgefühl nicht mit in die Wiege gelegt. Daher hielt sie sich zurück und ließ Fab diese Arbeit machen.
Er fand immer die richtigen Worte, egal für welche Situation.
Viele von ihren Kollegen gingen zu ihm, nur um mit ihm zu reden, anstatt sich heilen zu lassen. Cora ausgeschlossen. Sie redete mit fast niemandem und wartete, bis ihre Verletzungen von selbst heilten. Was ihr mehrfach schon eine zu lange Auszeit beschert hatte.
Die Fahrt dauerte etwas länger als eine Stunde, bis sie alle wieder am Hauptstützpunkt angekommen sind.
Mitten im Wald von Bäumen versteckt waren die Gebäude kaum zu sehen und nur durch sehr großen Zufall fanden Nichtwissenden diese.
Der Hauptstützpunkt bestand aus tonnenweise Beton mit vereinzelten Fenstern. Insgesamt gab es drei Gebäude. Wie ein U aufgebaut, befand sich auf der linken Seite der Wohnblock, der genügend Platz für zwei Armeen bot. Nur in der Größe unterschied er sich von den zwei anderen Gebäuden, da er der Größte war.
In der Mitte ragte die Zentrale hervor, ein mittelgroßer Komplex. Dort befanden sich die Trainingsräume, die Krankenstation und die wichtigsten Büros.
Und im Letzten, das fast unbedeutend auf der rechten Seite Befindente Gebäude, war Coras zu Hause. Mit ihren persönlichen Trainingsräumen und den verschiedenen Entwicklungslaboren.
Wie nach jeder Mission gingen Fab und Caroline zurück in ihre Krankenstation. Sie hatten während der Fahrt, bevor sie aus dem Auto gestiegen waren, kein Wort mit der Agentin gewechselt.
Cora, hingegen hatte die erfreuliche Aufgabe, alle Einzelheiten ihren großen Boss zu berichten.
In der Zentrale angekommen, fing es auch schon mit den üblichen Kontrollen an.
Sie stellte sich vor den Laser, um die Augennetzhaut zu scannen, der Daumen auf der Nadel, um das Blut zu analysieren und das übliche Spracherkennungssystem.
Die ganze Prozedur dauerte eine Minute, dann durchschritt sie die zweite Stahltür. Dahinter sah alles aus wie in einem ganz normalen Bürogebäude.
Dies bedeutete: Metal Detektoren und Sicherheitsleute, die einen durchsuchten.
Cora verzichtete wie immer darauf. Der Metal Detektor piepste wie verrückt und die Sicherheitsleute versteckten sich hinter ihren Computern – bis auf eine einzige Person, Youry. „Tag auch, wie war die Mission?"
Cora winkte ihm kurz zu und ging weiter zu den Treppen.
Drei Etagen höher blieb sie vor einer Doppeltür aus Eiche mit der Aufschrift Chef stehen.
Sie klopfte an und schlüpfte in das Büro, ohne eine Antwort abzuwarten.
Hinter einem riesigen Schreibtisch aus Glas stand sich ein zwei Meter großer Mann.
Cora kannte ihn besser. Sie wusste, dass er kein normaler Mensch war, sondern ein Werwolf.
Seine braunen mittellangen Haare waren wie immer perfekt nach hinten frisiert und sein T-Shirt saß viel zu eng, sodass sie seine Muskeln durch das schwarze T-Shirt sah. Er hätte Frauen mit seinen durchdringenden blauen Augen zum Dahinschmelzen bringen können. Ohne von seinem kantigen Kinn und den hervorgehobenen Wangenknochen zu reden, die von einer leichten Schattierung bedeckt waren, die darauf hinwies, dass er einen Bart hätte, würde er sich nicht regelmäßig rasieren.
Mein Gott war er eingebildet.
Das Büro ihres Chefs bot genug Platz, um eine Party für fünfzig Personen zu veranstalten.
In der linken Ecke stand ein Sofa-Arrangement in Schwarz mit zwei Sesseln und zwei Drei-Personen-Sofas. Die Mitte dominierten ein Abstelltisch aus Glas und der Schreibtisch.
Die Wände waren in einem zarten Orange gestrichen, das nicht zum Rest der Gebäude auf dem Gelände passte.
Dazu gab es mehrere Regale und Bibliotheken, die die Wände ausfüllten, ein Bildschirm nahm fast die ganze rechte Wand ein.
Das natürliche Licht von außen drang durch die zwei wandhohen Fenster hinter dem Schreibtisch. Sie waren nach Süden ausgerichtet und erlaubten einen wunderschönen Blick auf den Schwarzwald.
„Cora, Schätzchen, wie geht es dir? Wie verlief diese Nacht?"
Wie gerne hätte sie ihm eine reingeschlagen. Stattdessen setzte sich auf den Sessel ihm gegenüber und schaute ihren Chef mit schmalen Augen an.
„Warum willst du das wissen? Sind deine kleinen Spioninnen noch nicht zurückgekommen? Oder hatten die schon wieder zu viel Angst vor den vielen Vampiren, dass sie es keine Sekunde ausgehalten haben?"
„Wie freundlich du bist, wie immer." Ihr Chef drehte sich zum Riesenbildschirm an der Wand um und schaltete ihn an. Und schau mal einer an, der ganze Abend lief wieder vor ihr ab. „Sie haben mir sehr wohl alles gesendet, aber ich wollte von dir wissen, ob alles gut lief oder nicht."
Cora verdrehte die Augen.
„Es war eine Mission wie jede andere. Und langsam wird es echt langweilig. Also wenn es dir nichts ausmacht und ich weiß, dass es dir etwas ausmacht, verschwinde ich wieder."
Die blauen Augen ihres Chefs verfinsterten sich nachtblau.
„Du kannst gehen, wenn ich es dir sage. Ich bin hier immer noch der Chef, falls es dir entgangen ist."
„Nein. Das ist auch der einzige Grund, warum ich dich überhaupt nach jeder verdammten Mission besuche. Ansonsten könntest du mir den Arsch hinunterrutschen."
Das Schlimmste, was man machen konnte, war Cora so richtig wütend zu machen. Sie hatte sich dann nicht mehr unter Kontrolle und was danach passieren könnte – das will niemand miterleben.
Der Werwolf rückte sich wieder bequem auf seinen Bonzensessel zurück und atmete tief durch.
„Ganz ruhig, Cora. So war das nicht gemeint." Er erhob sich und lief zu seinem Aktenschrank hinüber. Nach wenigen Sekunden kam er mit zwei roten Aktenordnern zurück und legte sie auf den Tisch. Bevor er zwei gelbe Ordner herauszog, die nicht ganz so dick waren wie die ersten, sah er sie an. „Du weißt vielleicht nicht, was diese Ordner sind …"
„Meine Missionen, die ich während der ganzen Zeit hier abgearbeitet habe", sie zeigte auf die Roten „und das hier sind meine Reisen, die die Organisation für mich bezahlt hat" mit einem Nicken auf die zwei gelben Hefter.
„Ganz genau. Und jetzt lass mich ausreden."
Sie meinte, ein leises Knurren wahrzunehmen.
„Wir haben dir sehr viel Freiraum gelassen. Das kommt schon daher, dass du hier groß geworden bist und uns allen wie eine Tochter ans Herz gewachsen bist. Na ja, wenigstens, bis du deinen jetzigen Charakter mit dreizehn bekommen hast." Er setzte sich wieder ihr gegenüber hin. „Deine Arbeitsreisen haben dir sehr viel gebracht. An Kraft und Geschicklichkeit."
„Die ich ganz für die Missionen einsetze." Langeweile schwang in ihrer Stimme mit. Sie könnte so vieles schon erledigt haben in der Zwischenzeit. Ein lautes Knurren brachte ihre Aufmerksamkeit zurück auf den Chef. „Sorry, rede weiter. Ich unterbreche dich auch nicht mehr."
„Jedenfalls haben wir bemerkt – und das schon länger–, dass du um einiges stärker bist als wir alle." Er hob die Hand, um sie gleich zu unterbrechen. „Und das nicht erst seit gestern, Cora. Deine Blutergebnisse zeigen aber, dass du ein ganz normaler Mensch bist. Kein Blut von irgendwelchem Übermenschlichen. Ich denke, dass deine Eltern damals wussten, dass du anders bist und sie dich deshalb bei uns abgeliefert haben."
„Ich weiß, ich soll dich nicht unterbrechen, aber komm endlich zur Sache." Cora war total gereizt.
Okay, sie wurde als Baby vor den Toren der OCN, der Organisation der Kinder der Nacht, abgelegt. Mit einem Zettel, auf dem nur ihr Name stand. Wollte sie etwas über ihre Eltern wissen? Nein. Ihre Familie war die OCN. Und das passte ihr sehr gut.
„Wir haben von unserer Schwesterorganisation in Frankreich eine Nachricht bekommen. Sie haben ein sehr großes Problem mit der Vampir-Mafia im Süden. Besser gesagt in Cannes.“ Er legte ihr eine schmale schwarze Mappe hin. „Es werden immer mehr Obdachlose vermisst und seit Neuestem auch Waisenkinder. Aber ihre Leichen werden nicht gefunden. Und es gibt keine Spur, die einen Kampf hindeutet. Sie möchten, dass wir ihnen helfen, da ihr bester Mann nicht allein gegen eine ganze Mafia antreten kann. Daher habe ich entschieden, dich zu schicken. Du kommst mit einem ganzen Unterschlupf von Vampiren zurecht. Undercover bist du auch sehr professionell. Du sagst selbst, dass du dich langweilst. Dann wirst du dort einen Riesenspaß haben und etwas Sonne abbekommen."
„Halt mal!“ Cora sah ihn sauer an. „Habe ich dazu gar nichts zu sagen? Wie zum Beispiel: Leck mich! Ich habe keinen Bock darauf! Und wenn die Franzecken das nicht hinbekommen, dann sollen sie weiter ihre Froschschenkel fressen."
„Jetzt hör mir mal gut zu, Kleines.“
Oh, wie sie es hasste, wenn man sie Kleines nannte.
„Du stehst bei uns bis zum Hals in der Schuld. Wir haben Tausende von Euros ausgegeben, um dir deine Ausbildung und Extrawünsche zu bezahlen. Also wirst du jetzt schön den Schnabel halten und das machen, was wir dir sagen. Die Welt dreht sich nicht nur um dich."
Cora war es nicht gewohnt, Befehle entgegenzunehmen. Sie war diejenige, die allen sagte, was sie zu tun hatten.
Kurz bevor ihr der Kragen platzte, erinnerte sie sich wieder an die Lektion, die ihr Meister Hi in Japan beigebracht hatte.
Sie löste alle ihre Gedanken auf und stellte sich einen Wald vor mit einem großen See. Sie selbst war ein Adler und überflog diesen See. Als ihr Herz sich wieder beruhigt hatte und sie wieder klare Gedankengänge vollbringen konnte, hatte sie das andere Seeufer erreicht.
„Wann ziehe ich los?" Ihre Stimme war eiskalt und jeder Nerv ihres Körpers war angespannt.
Sie kannte die Geschichten der Vampir-Mafia nur zu gut und wusste, dass dies keine ihrer üblichen Missionen war: hineinlaufen, töten und wieder nach Hause gehen. Hier waren sehr viel Geduld und Feingefühl gefragt. Genau die Eigenschaften, die sie am wenigsten verkörperte.
„Gutes Mädchen!“ Der Werwolf lehnte sich zufrieden in seinen Ledersessel zurück. „In zwei Tagen. Die Jungs sind dabei, dein Gepäck vorzubereiten und Daniel deine Garderobe. Hier hast du alle Informationen, die die OCN bis jetzt herausgefunden hat. Ebenfalls ein Bild und den Lebenslauf des Mannes, mit dem du ein Team bilden wirst.“ Bevor sie irgendeine Einwände erheben konnte, hob der Chef seine Hand. „Ja, du musst im Team arbeiten, also keine Alleingänge. Das würde uns grad noch fehlen, wenn du unseren guten Ruf ruinierst.“ Der Werwolf stand wieder auf und rollte einmal mit dem Kopf, um sein Genick zu entspannen. „Jetzt kannst du wieder zurück in dein Quartier gehen.“
Sie ließ es sich nicht zweimal sagen. Mit zusammengepressten Lippen nahm sie die Mappe entgegen und schlug die Tür hinter sich zu. Das Holz bebte unter der Gewalt und beruhigte sich erst dann wieder, als Cora zu schreien aufgehört hatte.
700 Nach Christus – Venedig, Frühlingsende
Alexios
Alexios stieg mit einer Kiste auf dem Rücken von dem Güterschiff hinunter, auf dem er seit zehn Jahren arbeitete. Bis jetzt hatte noch niemand etwas dazu gesagt, dass er nicht alterte, doch er konnte das Risiko nicht länger eingehen. Wie schon oft in den letzten tausend Jahren wechselte er alle zehn Jahre die Stadt und seine Arbeit. Er gab sich als zweiundzwanzig aus und konnte somit ohne Probleme bis dreißig oder länger durchhalten.
In der Zwischenzeit hat er ganz Griechenland nach seiner Frau abgesucht, und als er diese dort auch nicht fand, ging er weiter in die Türkei und sogar bis nach Ägypten. Aber keine der Frauen, die sich zu ihm hingezogen fühlten, war seine Kore. Sie sahen ihr nicht einmal ähnlich und hatten auch nicht ihre Charakterzüge, die so einmalig waren.
Er hatte sich als Fischer, Bauherr, Farmer und nur die Götter wissen, als was noch ausgegeben, um norung und eine Unterkunft zu bekommen.
In Alexandria hatte er sich von Iriak überreden lassen, diesen auf seine Schiffsreise nach Italien zu begleiten. Er war ein guter Kapitän und bezahlte korrekt für die Arbeit. Alexios tat es leid, ihn allein auf die Heimreise zu schicken mit den drohenden Piraten auf der Strecke.
Auf ihrer Reise kamen sich Iriak und Alexios immer näher. Sie wurden wie Brüder. Er konnte sich noch gut an ihr letztes Gespräch erinnern.
"Sag Alexios, was wirst du in Venedig machen?"
"Ich habe keine Ahnung. Erst einmal eine Arbeit suchen und dann mal weitersehen."
"Wenn du willst, ich kenne da jemanden. Er heißt Giovanni, er ist Schmuckhändler in Venedig. Du weißt schon alles, was mit Gold, Diamanten und so zu tun hat. Geh zu ihm und sag, dass ich dich schicke. Er kann immer einen starken Mann wie dich gebrauchen in der Schmiede oder auch als Kurier."
"Das werde ich. Danke dir, Iriak. Ich hoffe, dass deine Wege immer sicher bleiben."
"Danke Freund. Und ich hoffe, du wirst deine verschollene Frau bald wiederfinden. Mögen die Götter dir beistehen, auch wenn sie sie dir weggenommen haben."
Lachend schob er sich die Kiste vom Rücken und stellte sie zu den restlichen Gütern am Hafen ab, bevor er zurückging, um seine Tasche zu holen.
Iriak Ausdrucksweise war immer so, als könnte er seine eigene Sprache nicht richtig sprechen. Aber das machte er nur, weil er glaubte, dass es ihn vor den Frauen interessanter erscheinen ließ.
Nach einem letzten Abschied von der Mannschaft ging Alexios der Beschreibung nach, die sein Freund ihm gegeben hat.
Der Schmuckhändler müsste ganz in der Nähe des Hafens sein.
Nach ein paar Abbiegungen und Brücken kam er vor dem Haus an. Es sah schräg aus und abgewohnt. Die Steinwände waren von der salzigen Luft in Mitleidenschaft gezogen und die Fenster staken vor Dreck, dass man beinahe nicht durchsehen konnte.
Nie hätte man vermutet, dass sich dahinter ein kostbares Schmuckgeschäft verbarg. Aber dennoch wagte er sich hinein. Der Anblick des ausgelegten Schmucks war atemberaubend und nichts im Vergleich zu dem äußeren Erscheinungsbild des Hauses. Es gab verschiedene Glaskästen in dem Raum und die Schmuckstücke funkelten in allen Farben.
Die Wände waren mit blauem Satin bedeckt und an dem Fenster hingen rote Seidenvorhänge. Alexios fühlte sich fehl am Platz mit seiner dreckigen Hose und seinem zerrissenen Hemd, das nach Meer und Schweiß roch.
Hinter einem der längeren Glaskästen stand ein älterer Herr mit einem langen, scharf aussehenden Schwert. Seine weißen Haare waren geglättet und ein Gestell mit runden Gläsern ließ seine grauen Augen größer erscheinen.
"Wer sind Sie und was wollen Sie hier?" In seiner Stimme lag keine Spur von Angst. Alexios war sicher, dass er sein Schwert benutzen würde, ohne zu zögern. "Ich habe gefragt, wer Sie sind und was Sie wollen", wiederholte der ältere Mann.
"Verzeiht, mein Italienisch ist nicht sehr gut." Iriak hatte ihm während der Reise Italienisch beigebracht, aber auf einem schaukelnden Schiff war das nicht einfach. Er versuchte dennoch, die Wörter wieder in den Kopf zu holen. Stotternd brachte er dann endlich einen Satz heraus.
"Ich bin Alexios. Ich komme aus Griechenland und suche Arbeit. Iriak Freund von mir." Selbst für ihn hörte sich das schrecklich an.
"Iriak, der Händler aus Ägypten?" Giovanni sprach beinahe perfekt griechisch. "Mein Gott, das ist ja ewig her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Wie geht es ihm?" Der Mann hatte immer noch das Schwert erhoben, aber er trat dennoch hinter dem Kasten hervor.
"Ihm geht es gut. Wir sind gerade mit seinem Schiff angekommen." Die Schwertspitze stieß ihm in die Kehle, aber er blieb ruhig. "Er meinte, dass Sie vielleicht Arbeit für mich hätten. In der Schmiede oder als Kurier."
"Hmm ..." Giovanni starrte ihn von oben bis unten mit erhobenen Augenbrauen an. "Also im Moment machst du eher den Eindruck, ein Dieb zu sein. Wie kann ich dir vertrauen?"
Das war eine gute Frage. Alexios verfluchte sich dafür, dass er nicht zuerst eine Herberge gesucht hatte, um sich zu waschen und die Kleidung zu wechseln.
"Das kann ich nicht sagen, aber ich habe verschiedene Schreiben von Leuten, bei denen ich gearbeitet habe. Wenn Sie sie sehen wollen?" Der Mann nickte. "Dafür müsste ich aber an die Tasche ran."
Giovanni trat einen Schritt zurück, das gehobene Schwert bereit.
Alexios war begeistert von der Kraft, die der alte Mann in seine Armen haben musste. Mit langsamen Bewegungen öffnete er seine Tasche und zog die verschiedenfarbigen Stoffe und Papyri heraus.
Giovanni schaute sich das erste Schreiben an. Es war von Iriak, der geschrieben hatte, dass er sein Leben in seine Hand setzen würde.
"Interessant! Du scheinst einen guten Eindruck auf die Leute gemacht zu haben." Der Alte senkte das Schwert und schaute sich Alexios noch mal genauer an. "Du bist muskulös und ruhig. Ebenfalls hast du sehr gut reagiert, als ich dich mit dem Schwert bedroht habe." Mit einem Handzeichen befahl er dem jungen Mann, ihm zu folgen. Doch davor schloss er die Tür mit einem seltsamen System aus Schnüren ab.
"Mein Sicherheitssystem. Wenn jemand versucht, die Tür zu öffnen, dann klingeln im ganzen Haus Glocken."
Sie stiegen eine Treppe hinauf und kamen in einer Küche an. Der Herd war an, aber der Mann feuerte ebenfalls eine weitere Feuerstelle, der unter einem Zylinder stand.
"Setz dich, ich gebe dir etwas zu trinken und dann reden wir über die Arbeit." Er füllte zwei Becher mit einer roten Flüssigkeit.
Als Alexios den Becher annahm, blickte er auf den Schaum.
"Es ist nicht giftig." Der Alte lächelte amüsiert. "Dies ist ein Süßwein. Ein Händler aus der Toskana hat ihn mir mitgebracht." Alexios nippte an dem Süßwein und ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. "Köstlich, nicht wahr."
Giovanni zog einen Hocker unter dem Tisch hervor und setzte sich Alexios gegenüber.
"Um es gleich klarzustellen. Normalerweise arbeite ich allein. Aber ich bin alt geworden und es wird immer schwerer, die Schmiede zu halten, wegen der Hitze. Dennoch besteht die Arbeit bei mir nicht nur daraus, mit einem Hammer auf ein Stück Metall zu schlagen. Ich stelle Schmuck her. Aus verschiedenen Metallen wie Gold und Silber." Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. "Man muss sehr viel Geduld und Raffinesse in die jeweiligen Schmuckstücke setzen. Du scheinst mir die Stärke zu haben, aber noch nicht die Finesse. Nicht mit den Schreiben, die du mir in die Hand gedrückt hast. Daher biete ich dir Folgendes an." Der alte Mann machte eine Pause und schaute ihn ernsthaft an. "Bis du die Kunst erlernt hast, kannst du hier schlafen und essen, aber du bekommst keine Bezahlung. Wenn du dann allein alles machen kannst, was ich von dir verlange, bekommst du jeden Tag zehn Bronzemünzen. Nimmst du an oder nicht?"
Alexios hatte keine andere Wahl und die Schmuckstücke hatten längst sein Interesse geweckt. Wenn er diese Kunst erlernen konnte, dann könnte er vielleicht eines Tages für seine Frau ein solches machen.
"Ja, einverstanden."
"Sehr gut. Da drüben ist eine Einbuchtung mit einem Strohbett. Decke und Kissen findest du ebenfalls darauf. Wir fangen jeden Tag bei Sonnenaufgang an. Der Hahn von nebenan wird dich schon wecken, glaub mir." Wenn Giovanni lächelte, glänzten seine Augen und es bildeten sich Falten darum. "Und dein Italienisch müssen wir auch verbessern. Meine Kunden sind hauptsächlich vornehme Herrschaften. Daher müssen wir dir auch etwas Korrektes zum Anziehen kaufen, wenn du irgendwann vorn im Laden stehst. Aber das sehen wir morgen. Im Moment richtest du dich ein und dann kommst du runter. Dann zeig ich dir die Schmiede und die verschiedenen Schmuckstücke, die ich anfertige."
Die Zeit verging wie im Flug und bereits nach sechs Monaten Lehre hatte Alexios es auf das gleiche Niveau wie sein Meister gebracht.
"Hervorragend." Giovanni betrachtete einen Ring aus Gold mit drei Saphiren. Die Saphire hatte er aus Afrika erhalten. Sie waren von einem so hellen Blau, dass man dachte, den Sommerhimmel in Stein gefesselt zu haben. "Die Löcher haben genau die Größe der Steine und der Ring weist keine Schrammen auf. Du bist jetzt so weit, das selbst zu machen. Hier hast du deinen ersten Lohn."
"Danke, Meister!" Alexios hatte inzwischen ebenfalls italienisch und französisch gelernt. Es war verrückt, wie viele Nationalitäten hier Tag ein und Tag aus erschienen. Auch die Händler waren von so verschiedener Natur, dass es Alexios am Anfang schwindlig wurde.
"Ich habe einen kleinen Rat an dich, nimm ihn an oder nicht. Jedes Problem birgt eine Lösung und nur mit Geduld und Raffinesse kannst du diese finden. Die Kunst, die du erlernt hast, hilft dir vielleicht nicht dabei. Aber das Wissen kann nie schaden, wie man etwas mit viel Geduld erlangt." Giovanni sah aus dem Fenster, die Sonne ging unter und ein kühler Windhauch vertrieb die Sommerhitze. "Du bist fertig für heute. Geh feiern oder genieße das Nachtleben. Morgen lassen wir den Laden geschlossen."
Alexios spazierte frisch gewaschen und neu gekleidet in Venedig herum. In den letzten Monaten hat er schon so manches von hier gesehen. Aber hauptsächlich die Reichenviertel durch seine Lieferungen.
Es war wunderschön, anders als in den anderen Ländern und so faszinierend, die Architektur glich wahrer Kunst. Er fragte sich, wie diese Stadt es schaffte, über Wasser zu bleiben.
Die Gebäude der großen und Mächtigen waren wahre Kunstwerke. Manche in Weiß, andere in Orangetöne, aber jeder hatte kunstvolle Kolonnen und große Fenster. Die Marktplätze waren ebenfalls aus glatten und glänzenden Steinen, der fast wie Diamanten glitzerte, wenn die Sonne darauf schien.
Leider war dies nur die Fassade von den Reichen.