Opa Charlie und sein Fred - Roman Keßler - E-Book

Opa Charlie und sein Fred E-Book

Roman Keßler

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Beschreibung

200 Jahre in der Zukunft macht sich der Junge Max, gemeinsam mit seinem liebenswert kauzigen aber auch sehr vergesslichen Opa Charlie, in dessen alten Spezialfahrzeug F.R.E.D., auf eine abenteuerliche Reise durch das Ödland. Unterwegs werden sie von einem Sandsturm überrascht, treffen auf neue Freunde, einen seltsamen, bärtigen Biker und dann auch noch auf wilde Bären! Und das ist erst der Anfang... Ein spannendes, abwechslungsreiches und humorvolles Kinderbuch mit einem coolen Opa, wie ihn wohl jedes Kind gern hätte! Opa Charlies Wecker hat geklingelt, er sollte ihn an etwas Wichtiges erinnern. Doch leider weiß Charlie nicht mehr woran. Immerhin hat er den Wecker schon vor über vierzig Jahren gestellt! Doch auch sonst hat er einige Erinnerungslücken. Und warum nennt er alles und jeden immer nur Fred? Max, der mit Charlie die Ferien verbringt, überredet ihn, den Hinweisen auf den Grund zu gehen. Und so begeben sie sich mit F.R.E.D. auf eine abenteuerliche Entdeckungsreise zu einem geheimnisvollen Ort inmitten des Ödlands. Unterwegs lernen sie das Mädchen Maria kennen, die sie bei ihrem Abenteuer fortan begleitet. Bald müssen sie erkennen, dass es um mehr geht, als nur Charlies Erinnerungen aufzufrischen. Und plötzlich steht das Überleben eines ganzen Volkes auf dem Spiel.... "Opa Charlie und sein Fred" Zum Vorlesen für Kinder ab 7 Jahren. Selbstleser ab 8 Jahren.

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Opa Charlieund sein Fred
Von Roman Keßler
Vorwort
In meiner Kindheit gehörten die Sommerferien mit meiner Oma Charlotte zur schönsten Zeit des Jahres. Sie nahm sich schon morgens vor dem Frühstück Zeit, um mit mir zu spielen. Als andere lieber lange schlafen wollten, erlebten wir in unserer Phantasie gemeinsam Abenteuer. Und nach dem Frühstück machten wir Ausflüge, die mir als Kind manchmal tatsächlich recht abenteuerlich vorkamen. Sie war stets eine sehr humorvolle Person. Und das, obwohl sie nur einen Witz kannte - und der war nicht mal lustig. Mit ihrer Art verbreitete sie stets gute Laune. Mich störte es nie, dass sie mich, genau wie jeden anderen, meistens „Traudel“ nannte – der Name ihrer geliebten Schwester. Noch als Heranwachsender und auch später als Erwachsener hatte ich stets ein gutes Verhältnis zu meiner Oma. Im Jahr 2010 wurde mein Sohn Leo geboren. Während er heranwuchs und immer mehr Fähigkeiten dazugewann, erkrankte meine Oma an Demenz und verlor immer mehr ihre Selbstständigkeit. Als mein kleiner Sohn laufen lernte, verlernte es meine Oma.
Wenn ich meine Oma dann besuchte, reagierte sie oft fröhlich auf mich und redete meist sogar ein paar zusammenhängende Worte mit mir. Doch manchmal sagte sie auch kein Wort. Ob sie mich erkannte, oder ob das, was sie erzählte, noch einen Sinn ergab, solche Fragen stellte ich mir nicht. Stattdessen versuchte ich jeden fröhlichen Moment mit meiner Oma zu genießen und hoffte, noch viele weitere davon mit ihr zu teilen.
Opa Charlies Charakter ist nicht vom Leben meiner Oma inspiriert, wohl jedoch von ihrem Wesen und meinen Empfindungen für sie.
Für Luisa und Leo. Für ihre Großeltern.  
Inhalt
Vorwort
Der Wecker
F.R.E.D.
Reisevorbereitungen
Die Fahrt beginnt
Kurskorrektur
Begegnung im Ödland
Die Kreaturen des Waldes
Die alte Fabrik
Am Ziel der Reise
Übers Ziel hinaus
Der Plan
Auf dem Weg
Fehlerkorrektur
In letzter Minute
Die Feier
Zu Hause
Der Wecker
Leise summend öffnete sich selbständig das Rollo des Fensters und ließ das Licht der Morgensonne herein. Je mehr Licht ins Zimmer fiel, desto höher zog sich die Decke im Bett gegenüber dem Fenster. Leise Musik erklang und wurde allmählich deutlicher. Als sie so laut wurde, dass man sie lieber gern abstellen wollte, wurde die Decke zurückgeschlagen und Max kam zum Vorschein. Der Junge mit dem zerzausten dunklen Haar setzte sich auf. Als er sich ganz sicher war, dass er tatsächlich nicht mehr schlief und die Nacht wirklich vorbei sein sollte, stellte er die Beine auf den Boden, kratzte sich verschlafen am Kopf, gähnte und machte sich dann auf den Weg, den Wecker auszuschalten. Dabei stolperte er über seinen Rucksack, der aus unerklärlichen Gründen mitten im Zimmer lag, geriet ins Taumeln und landete mehr oder weniger sanft auf seiner vorsorglich bereitgelegten Kleidung vom Vortag auf dem Boden. Die mittlerweile recht laute Musik verstummte, denn im Fallen hatte Max das Wecker-Bedienfeld an der Zimmertür mit der ausgestreckten Hand gestreift. Die Tür ging auf und seine Mutter schaute herein. „Alles okay bei dir?“, fragte sie. „Das hat ganz schön gepoltert!“ Neben Maxʼ Kleidung und seinem Rucksack war auch der Rest des Bodens bedeckt mit allerhand Gegenständen wie Spielzeug, Papier, Zeichenutensilien, Werkzeug und natürlich Max selbst, dessen Kopf in seiner herumliegenden Hose gelandet war. „Mir geht’s gut, Mom, bin nur noch bisschen müde“, murmelte er ohne aufzublicken in die Hose hinein und reckte seinen Daumen nach oben. „Dann komm doch so langsam zum Frühstück“, rief Max Mutter lächelnd. „Du willst doch heute zu Opa Charlie? Aber bitte denk dran, vorher noch diesen Saustall aufzuräumen.“ Max war mit einem Mal munter. Seit er aus dem Urlaub mit seinen Eltern zurück war, freute er sich darauf, seinen Opa endlich wiederzusehen. Er huschte ins Bad, spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und betrachtete sich im Spiegel. „Nicht perfekt, aber es wird reichen“, sagte er zu sich selbst. Er schmunzelte, denn es war ein Ausspruch, den er schon oft von seinem Großvater gehört hatte.
In einem anderen Zimmer, in einem anderen Haus, in einem anderen Teil der gleichen Stadt, ertönte ein lautes Geräusch. Ein äußerst unangenehm klingelnder Ton. Unter einer Bettdecke verkroch sich hier schon seit Stunden niemand mehr. Charlie, ein sehr munterer älterer Herr, schaute interessiert zur Tür seines Arbeitszimmers hinein. Ohne Zweifel kam das klingelnde Geräusch aus diesem Raum. Er ergriff den alten, hölzernen Spazierstock, der am Eingang lehnte, und betrat das Zimmer. Überall im Raum waren verschiedenste Gerätschaften zu sehen. Auf dem Werktisch in der Mitte des Raumes lagen Kabel, Schläuche, längliche Metallteile, etwas, das wie das Bullauge eines Schiffes aussah sowie jede Menge Schraubenzieher und anderes Werkzeug. Überhaupt wirkte das ganze Zimmer eher wie das Labor eines verrückten Wissenschaftlers. Weitere Kabel und Röhren hingen oberhalb des Tisches von der Decke herab, an mehreren Ketten war ein kugelförmiges Gerät mit zahlreichen kleinen Fenstern befestigt, aus denen ein seltsames blaues Schimmern drang. An den Wänden befanden sich überall merkwürdige Apparaturen; Kabel verbanden Maschinen mit Schaltern, Tasten und Bildschirmen, die kreuz und quer im Raum verteilt angebracht waren. Auf dem Boden stapelten sich alte Bücher, Werkzeugkisten und weitere größere Gerätschaften. Doch auch, wenn alles nach einem ziemlichen Chaos aussehen mochte, eine gewisse Ordnung war zu erkennen. Die buschigen weißen Augenbrauen des Alten waren weit nach oben gezogen, als er versuchte zu ergründen, welches der Geräte diesen klirrenden Lärm wohl verursachen konnte. Doch obwohl alle Geräte ausgeschaltet waren, läutete es noch immer laut vor sich hin. Und so langsam war der alte Herr davon genervt. Das Licht der Sonne fiel durch das breite Fenster herein und so sah der alte Mann erst nicht genau, was in einer Ecke neben dem Fenster stand. Er schlich sich misstrauisch immer näher an eine als Ablage genutzte Kiste heran. Dann stand für ihn zweifelsfrei fest, dass er den Ursprung des Lärms gefunden hatte. Auf der Kiste stand ein antik anmutender, roter Wecker, der fröhlich vor sich hin rappelte. An diesem Wecker gab es augenscheinlich nichts Außergewöhnliches. Er wirkte unscheinbar, mit zwei halbkugelförmigen Glocken an der Oberseite und dem weißen Ziffernblatt mit dem Bild eines unförmigen, dunklen Berges darauf. Nur dass er einfach nicht aufhören wollte zu läuten. Charlie holte weit aus und ließ seinen Stock dann mit Schwung auf den Wecker hinab sausen. Er stoppte den einfachen Kugelknauf des Stockes jedoch einen Fingerbreit vom Wecker entfernt, kniff konzentriert ein Auge zusammen und fokussierte mit dem anderen den Wecker. Dann legte er gefühlvoll mit dem Knauf einen kleinen Hebel an der Oberseite des Weckers um und endlich verstummte der nervtötende Lärm. „Ha!“, sagte der alte Mann, nur um im gleichen Moment den Wecker zu schnappen und damit nach draußen ins Freie zu hasten, so schnell ein Herr seines Alters eben hasten konnte. Draußen angekommen hielt er triumphierend den alten Wecker ins Licht, um ihn ein weiteres Mal voller Neugier genaustens zu inspizieren. Dann ließ er sich auf die kleine weiße Holzbank vor seinem herrschaftlichen Wohnhaus sinken und stellte den Wecker neben sich. Langsam verschwand sein triumphierendes Lächeln und wurde durch einen grüblerischen Gesichtsausdruck ersetzt. Immer mehr ließ Charlie die Schultern hängen, dann stützte er seine Hände auf den Krückstock und blickte gedankenverloren in die Ferne. Plötzlich erhellte sich Charlies Miene wieder, er begann zu lächeln, hob den Kopf und schaute hinüber zum ganz und gar gewöhnlichen Wecker, an dem ihm für einen Moment etwas ganz und gar Ungewöhnliches aufgefallen war. Doch der Geistesblitz war nur von kurzer Dauer, und so legte Charlie enttäuscht das Kinn auf seine Hände, mit denen er sich noch immer auf den Krückstock stützte. Opa Charlie grübelte, bis ihm die nächste Erleuchtung kam. Er blickte erneut zum Wecker und stieß lachend ein weiteres „Ha!“ aus. Doch wie zuvor verflüchtigte sich auch dieser Gedanke in Windeseile.
Max saß inzwischen in der Küche beim Frühstück, zusammen mit seinen Eltern. „Was habt ihr beide denn vor, wenn ich fragen darf?“, fragte der Vater, der bereits mit Essen fertig war. Max war erst spät zum Essen erschienen und so las sein Vater bereits die aktuellen Nachrichten, die als Hologramm vor ihm in der Luft schwebten. „Iff weif noch niff“, mümmelte Max mit vollem Mund. „Max! Erst kauen, dann reden“, erinnerte ihn seine Mutter, während sie sorgfältig verschiedene Kleidungsstücke in Maxʼ Rucksack legte. Max schluckte den letzten Bissen hinunter und sagte: „Wir schauen einfach mal. Mich würde es nicht stören, wenn wir die beiden Wochen nur in Opas Garten sind. Da gibt es genug zu erleben!“ Seine Mutter legte noch die rote Kapuzenjacke in den Rucksack und setzte sich dann zu Max an den Küchentisch. „Aber denk bitte daran“, ermahnte sie ihn, „dein Opa ist nicht mehr der Jüngste. Überrede ihn nicht wieder, irgendetwas Verrücktes zu unternehmen.“ „Und lass dich auch nicht von ihm dazu überreden“, ergänzte sein Vater spöttisch. Max sah seine Mutter an, lächelte und sagte langsam und mit beruhigendem Ton: „Ihr braucht euch keine Sorgen um uns zu machen. Und außerdem – Opa Charlie ist fitter, als ihr denkt!“ Maxʼ Mutter blickte sorgenvoll zu seinem Vater, als ob sie ihn mit ihrem Blick zu irgendeinem Kommentar auffordern wollte. Dieser zuckte jedoch nur mit den Schultern und lächelte entspannt zurück. Nach einem Blick auf die Uhr sprang Max vom Tisch auf und umarmte seine Eltern. „Ciao, wir sehen uns in zwei Wochen!“, rief er, bevor er seinen Rucksack griff und eilig zur Haustür hinaussprang. Seine Mutter schaffte es gerade noch, ihm hinterherzurufen: „Sag uns bitte Bescheid, wenn ihr zusammen irgendetwas auswärts unternehmt, ja?“ „Mach ich!“, rief Max winkend von seinem Fahrrad aus, während er schon die Straße entlangfuhr. Dann bog er in die nächste Seitenstraße ab und war fort. Seine Mutter schloss die Tür und schaute besorgt zu Maxʼ Vater.
Dieser lächelte. „Nun mach dir mal keine Sorgen“, sagte er. „Dein Dad passt immer gut auf ihn auf, das weißt du doch.“ Dann nahm er ihre Hand. „Bleibt nur die Frage, was wir die nächsten beiden Wochen machen, ohne unseren lieben kleinen Sohn?“
Unterdessen ging Opa Charlie vor seiner Bank auf und ab, bis er Max auf dem Fahrrad die Einfahrt entlangkommen sah. „Da bist du ja! Wie schön, dass du da bist!“, rief Charlie ihm entgegen. Max stieg von seinem Rad ab, nahm den Rucksack vom Rücken und stellte ihn neben den Wecker auf die weiße Bank vor Opas Haus. „Wartest du hier draußen schon lange auf mich?“, fragte er, als er den Wecker erblickte. Charlie strahlte über das ganze Gesicht. „Mein Wecker hat geklingelt!“, rief er aufgeregt. Max verstand nicht so recht und entgegnete: „Ja, meiner auch. Und es kam mir vor, als wäre es noch mitten in der Nacht.“ „Nein, Fred“, sagte Charlie. „Ich meine … mein Wecker! Er hat geklingelt!“ Wieder lachte Charlie seinen Enkel an, doch als dieser zu seinem verwirrten Gesicht auch noch pantomimisch fragend die Hände hob und ratlos seinen Kopf zu schütteln begann, verschwand Charlies übertrieben froher Gesichtsausdruck. Er griff nach dem Wecker, wedelte damit aufgeregt vor Maxʼ Gesicht herum und begann zu erklären: „Du hast deinen Wecker sicher gestern Abend gestellt, sodass er dich heute rechtzeitig weckt, richtig?“ „Richtig“, sagte Max. „Mein Wecker sollte mich aber nicht heute früh aufwecken. Ich habe ihn auch nicht gestern Abend gestellt“, sagte Charlie lachend und fügte dann hinzu: „Und es ist auch kein normaler Wecker!“ Max nahm den Wecker aus Charlies Händen entgegen und betrachtete ihn eingehend. „Er sieht aber aus wie ein ganz normaler Wecker. Also, wie ein normaler, aber sehr, sehr alter Wecker natürlich. Solche gibt es doch eigentlich gar nicht mehr“. Charlie grinste wieder begeistert. „Genau! Diesen Wecker hier habe ich vor über vierzig Jahren gestellt, auf dass er mich heute an diesem Tag erinnern würde!“ Max schaute überrascht auf den Wecker. „Bist du sicher, das du ihn nicht doch einfach gestern Abend gestellt hast?“ „Absolut sicher! Ich habe das Ding komplett zerlegt, überprüft und dann wieder zusammengesetzt. Der Wecker ist vollgestopft mit modernster Technik … von vor vierzig Jahren, versteht sich.“ Max schüttelte den antik wirkenden Wecker. „Moderne Technik? Das sieht man ihm wirklich nicht an!“ Max blickte vom Wecker auf zu seinem Großvater, der immer noch ganz aufgeregt schien. „Und woran sollte er dich nun erinnern?“ Charlies Fröhlichkeit verschwand mit einem Mal aus seinem Gesicht. „Das … ja also … das weiß ich leider nicht.“ „Du lässt dich an etwas erinnern“, sagte Max irritiert, „weißt aber nicht, an was?“ Charlie hielt einen Moment inne, dann zuckte er mit den Schultern und lächelte unbekümmert. „Na, wird schon nicht so wichtig sein“, antwortete er. „Was wollen wir beide denn heute Schönes zusammen machen?“ „Moment mal“, sagte Max, „das wird doch herauszufinden sein. Wenn du dich nach vierzig Jahren an was Wichtiges erinnern wolltest, dann gibt es hier bestimmt auch Hinweise, an was.“ „Nun ja“, sagte Charlie, „im Inneren des Weckers habe ich einen kleinen Zettel gefunden, darauf ist aber nur eine Zahlenfolge mit sieben Ziffern.“ „Könnten das Koordinaten auf einer Karte sein?“, fragte Max. „Nein, das habe ich überprüft“, sagte Charlie und ließ deprimiert die Schultern hängen. „Es scheint wirklich nur eine zufällige Reihe von Zahlen zu sein.“ Max hielt sich den Wecker dicht vor sein Gesicht und schaute sich das Ziffernblatt des altmodischen Weckers genauer an. Es zeigte einen riesigen grauen Berg mit unregelmäßiger flacher Spitze. Davor war ein seltsames Geländefahrzeug abgebildet. Bei genauerer Betrachtung bemerkte Max, dass es sich bei dem Bild auf dem Ziffernblatt nicht einfach um einen Aufdruck handelte. Viel mehr war es eine digitale Anzeige und das Bild vermutlich ein reales Foto. Nun war es Max, der seinem Opa den Wecker vors Gesicht hielt. „Kann es sein, dass du das selbst fotografiert hast?“ Der Großvater kniff die Augen zusammen und betrachtete abermals das Foto. „Ja … kann schon sein.“ „Weißt du vielleicht noch irgendwas über diesen seltsamen Berg … oder über dieses Fahrzeug?“ Opa Charlie rieb sich mit der flachen Hand über die Halbglatze. „Na ja, irgendwie kommt mir das schon bekannt vor“, sagte er. „Mom hat mir erzählt, dass du früher viel in der ganzen Welt unterwegs warst. Ist das auf dem Foto vielleicht so eine Art Wohnmobil, das du auf einer deiner vielen Reisen benutzt hast?“ „Eine meiner vielen Reisen?“, fragte Charlie belustigt. „Also ich fürchte, davon weiß ich nun wirklich nicht mehr viel.“ „Wenn du wirklich mal so ein komisches Auto besessen hast“, stellte Max fest, „dann hast du vielleicht irgendwo noch andere Hinweise darauf! Ich meine … es ist bestimmt auch auf einem deiner anderen Fotos zu sehen – du hebst doch fast alles auf.“ Der alte Mann schaute einen Moment nachdenklich hinab auf den Kiesboden seiner Einfahrt und sprach leise vor sich hin: „Ja, ich habe alle Fotos aufgehoben … und eigentlich auch alles andere …“ Er wandte sich zu seinem Haus, blickte hinauf in Richtung des Dachbodens und hielt wieder einen Moment inne. Dann schüttelte er den Kopf und richtete seinen Blick schließlich auf den Weg neben dem Haus. Ohne ein weiteres Zögern lief er entschlossen los. „Komm mal mit, Fred!“, rief er Max zu, während er nach hinten in den Garten lief. „Mir ist da gerade was eingefallen.“ Max folgte ihm und betrachtete im Gehen noch einmal den Wecker von allen Seiten. Seinen Großvater schien das alles sehr zu beschäftigen, auch wenn er sich eigentlich nicht unbedingt wunderlicher benahm, als es für ihn üblich war. Dass dieser alte, schlichte Wecker irgendein spannendes Geheimnis in sich tragen sollte, war für Max kaum zu glauben.  
F.R.E.D.
Uralte, riesige Bäume und Büsche wuchsen auf dem gesamten Grundstück und umringten das betagte, mit Efeu bewachsene Herrenhaus. Opa Charlies Garten glich einem verwunschenen Märchenwald. Früher mochte er einmal eine Parkanlage gewesen sein, doch schon lange wurde er nicht mehr richtig gepflegt. So war der Rasen lang und die Hecken und Büsche untrennbar miteinander verwachsen. Max liebte den Garten so, wie er war, für ihn war es hier so abenteuerlich wie in einem Urwald. Und Opa Charlie ging es da genauso. Außer dem Herrenhaus gab es auf dem Grundstück noch verschiedene andere Gebäude. Zwei Garagen befanden sich am Eingangstor der Gartenanlage. Hinter dem Wohnhaus stand die von Bäumen und Büschen fast völlig umwucherte Scheune aus roten Backsteinen. „Fred, wo bleibst du denn so lange?“, rief Opa Charlie, der vor dem großen Tor der Scheune stand. Max stellte sich gespannt neben ihn. Der alte Mann hielt eine kleine Fernbedienung in der Hand, richtete sie auf die Scheune und drückte einen der Knöpfe. Das Tor öffnete sich langsam und wirbelte den Staub im Inneren auf. Ein muffiger Geruch schlug den beiden entgegen. Seit langem schien die Scheune keiner mehr betreten zu haben. „Wenn eine Chance besteht, dass ich das Fahrzeug vom Ziffernblatt noch besitze“, sagte Charlie, „dann kann es eigentlich nur hier drin sein.“ Nachdem sich der Staub langsam gelegt hatte, betraten Max und sein Opa vorsichtig die Scheune, um sich umzublicken. Ihr Inneres war riesig und wirkte eher wie eine alte Fabrikhalle. Durch kleine Fensterluken im metallenen Dach schienen einzelne Lichtstrahlen herein und warfen ein spärliches Licht. Max war zusammen mit seinem Großvater praktisch schon überall auf dem Grundstück gewesen, doch die alte Scheune hatte er noch nie betreten. Seine Eltern waren nicht besonders streng, doch das hatten sie ihm verboten. Da aber auch Opa Charlie sich in all den Jahren eigentlich nie besonders interessiert an diesem Gebäude gezeigt hatte, war es auch nie ein Thema für Max gewesen. Hätte er allerdings geahnt, was er hier verpasst, nichts hätte ihn davon abgehalten, alles genauestens zu erkunden. Von den Metallträgern des Daches hingen Ketten und Seile herab, an deren Enden graue Planen befestigt waren. Überall in der weitläufigen Halle bedeckten diese Planen große Objekte, die auf dem Betonboden standen. Zu den Wänden hin stapelten sich viele Kisten aus Holz und Metall. In Regalen lagen weitere Gegenstände, einige sorgfältig mit Tüchern oder Planen abgedeckt, andere mit schützenden Folien umwickelt. Teils lagen sie aber auch unordentlich durcheinander und waren völlig mit Staub bedeckt. An jedem Gegenstand war ein kleines Schild mit einer Nummer darauf angebracht. Bei den großen Objekten waren die Nummern direkt auf die Planen gemalt. Charlie und Max hoben einige der Planen an und entdeckten darunter alle möglichen interessanten Dinge. Unter der Abdeckung mit der Nummer Fünf fand Max ein kleines Fluggerät. Die abgebauten Tragflächen entdeckte er, auf Holzkeilen gestapelt, daneben. Während Max sich die weniger gut zugänglichen Bereiche im hinteren Teil vorgenommen hatte, durchsuchte Opa Charlie den vorderen Teil der Scheune. Er hob eine alte Decke an. Auf dem großen, glänzend weißen Kessel darunter war ein gelbes Warnschild angebracht. Charlie kniff die Augen zusammen und ging mit dem Gesicht etwas näher heran, bis er das unleserlich gekritzelte Wort auf dem Schild genau sehen konnte. „RA …DIO …AKTIV“, entzifferte er. Charlie wich erschrocken zurück und hielt einen Moment inne. Dann warf er die Decke wieder über den Kessel – als wenn diese tatsächlich irgendeinen Schutz gegen radioaktive Strahlung dargestellt hätte. „Sei vorsichtig!“, rief er zu Max. „Und fasse die Gegenstände besser nicht an!“ Max hörte seinen Großvater, dachte sich aber weiter nichts dabei. Währenddessen hatte er, unter der Plane Nummer fünfundzwanzig, eine Art Schnellboot auf einem Bootsanhänger entdeckt. Da sie auf der Suche nach einem Fahrzeug waren, hatte sich Max auch nur die wirklich großen Objekte vorgenommen. Natürlich reizte es auch ihn sehr, in jede Kiste und unter jede Decke zu schauen, wie es Opa Charlie tat. Was für faszinierende Dinge sich wohl hier drin finden würden, dachte Max bei sich. Die Scheune wirkte auf ihn wie das lang vergessene Lagerhaus eines Erfinders. Opa hatte hin und wieder über spannende und auch recht haarsträubende Erlebnisse seiner Vergangenheit erzählt. Bisher hatte Max immer angenommen, es wären nur Geschichten gewesen. Doch die Dinge in dieser Scheune zeugten von einem abenteuerlichen Leben voller interessanter Erlebnisse. Unter einer weiteren Plane mit der Nummer Dreiundvierzig stieß Max schließlich auf ein Rad, welches so groß wie er selbst war. „Opa Charlie“, rief Max, „ich glaube, ich habe es gefunden! Es ist die Nummer Dreiundvierzig.“ Der alte Herr legte die Kiste mit selbstbindenden Trageriemen, die er gerade begutachtete, beiseite. Dann ging er zum Eingang der Scheune und suchte unter den vielen Kabelfernbedienungen, die von der Decke hingen, eine grüne heraus. Auf den zahlreichen Knöpfen waren verschiedene Nummern aufgemalt. „Dreiundzwanzig sagtest du?“ , fragte Charlie. „Dreiundvierzig!“, antwortete Max. „Ach ja“, sagte Charlie und ergänzte dann: „Tritt besser ein Stück zurück“. Er drückte den Knopf und der Motor auf dem Dachbalken über Max begann langsam eine lange Kette hochzuziehen, die von dort herabhing. Die Plane, die an der Kette befestigt war, hob sich und gab allmählich den Blick auf das frei, was sie viele Jahre bedeckt hatte. Zuerst kamen vier riesige Räder zum Vorschein, dann erkannte Max große, mit Nieten versehene Metallplanken, lackiert in verschiedenen Grautönen. Max staunte und blickte nach oben, der sich weiter hebenden Plane hinterher. Das, was darunter zum Vorschein kam, war in seinen Ausmaßen gewaltig. „Eindeutig das Fahrzeug vom Bild auf dem Wecker“, sagte Max staunend und wandte sich um zu seinem Opa, der inzwischen zu ihm gelaufen war. „Woher hast du nur all diese Sachen, Opa?“ Der Motor, der die Plane hinaufgezogen hatte, stoppte. Charlie und Max schritten ehrfürchtig um das riesenhafte Geländefahrzeug herum. So etwas hatte Max noch nie gesehen. Charlie fand eine Plakette an der Seite des Fahrzeugs und rubbelte mit dem Ärmel seiner Jacke darüber, um den angelagerten Dreck zu entfernen. „Hier steht es ja, das ist …“, Opa Charlie lächelte, „ … das ist F.R.E.D.“ Max lächelte. „Fred“, diesen Namen kannte er nur zu gut. Sein Opa hatte ein paar kleinere Marotten, wie seine Mutter es oft bezeichnete. Charlie nannte alles und jeden einfach nur „Fred“. Max hatte sich längst daran gewöhnt und fand es eigentlich sogar recht lustig. „Wieso denn wohl F.R.E.D.?“, fragte Max und klang dabei ein wenig scheinheilig. „Nun, auf der Plakette steht: Fahrzeug für Räumliche Erkundung – Modell D.“ Opa Charlie kniff die Augen zusammen und betrachtete die Plakette noch einmal genauestens. „Ha! Ich glaube, das habe ich selbst da drauf geschrieben, es ist meine Handschrift!“ Max schaute seinen Opa an. „Heißt das, du hast das Ding auch selbst gebaut?“ Der alte Mann lachte lauthals und schlug sich mit den Händen dabei auf die Knie. „Nie und nimmer!“, prustete er los. „Keine Ahnung, wer das Ding gebaut hat.“ Dann hielt er einen Moment inne, um dann mit grüblerischer Miene fortzufahren, „Ich weiß ja nicht mal, wie das in meine Scheune gekommen ist … oder all der andere Kram.“ Opa Charlie wandte sich wieder dem Fahrzeug zu und ging weiter zu dessen Rückseite. „Ich denke, ich habe den Eingang gefunden!“, rief er Max zu. Am Heck befand sich eine große Schiebetür, die sich öffnete, als Charlie die Hand an den Sensor daneben hielt. Opa Charlie lächelte über die Schulter hinüber zu Max und zog erwartungsvoll seine Augenbrauen nach oben. Die beiden betraten über eine kleine Treppe das Innere des Fahrzeugs. Charlie ging, ohne sich umzuschauen, zielstrebig durch die große Kabine, die weiter vorn in ein Cockpit führte. Dort angekommen setzte sich Charlie auf den Fahrersitz, lehnte seinen Spazierstock gegen die Konsole und aktivierte den Bordcomputer. Max schaute sich etwas genauer im Inneren des Fahrzeugs um. Die Kabine war ebenso geräumig wie das Fahrzeug von außen riesenhaft war. Zwei Schlafplätze in einem metallenen Doppelstockbett waren vorhanden, gegenüber ein Tisch mit technischen Geräten darauf, aber auch ein kleines Bad mit Toilette und Dusche, die Max in einer der beiden Nischen neben dem Eingang entdeckte. Alles im Fahrzeug war von einer Staubschicht überzogen. Max wandte sich um und ging hinüber zu Charlie ins Cockpit. Dort gab es viele Hebel, Knöpfe und Schalter, mehrere Bildschirme und ein Lenkrad, welches allerdings mehr Ähnlichkeit mit dem Steuerknüppel eines alten Flugzeugs hatte. Gerade mit dem zentralen Pilotensessel erinnerte das Cockpit Max an ein Raumschiff aus einem dieser alten Filme, die sein Vater so liebte. Opa Charlie schaute unterdessen weiter gebannt auf die verschmierten, flackernden Anzeigen der Bildschirme. „Der Bordcomputer hat hier mehrere Routen gespeichert, auf denen das Fahrzeug anscheinend mal unterwegs war.“ „Du meinst, auf denen du anscheinend mal unterwegs warst? Es ist offensichtlich dein Fahrzeug!“ Opa Charlie hielt einen Moment inne und nickte dann. „Wenn das so ist, dann bin ich ganz schön damit herum gekommen, so viele Routen, wie hier gespeichert sind.“ Max kam näher und betrachtete die Computeranzeigen ebenfalls. „Hast du auch etwas mit einem großen Berg gefunden?“ „Bisher nicht. Viele der Einträge scheinen irgendwie beschädigt zu sein.“ Charlie tippte auf eine der Routen, die in der Datenbank gespeichert war. „Diese Route hier zum Beispiel endet einfach im Nichts. Da scheint es nur eine Gesteinswüste zu geben. Und doch stand das Fahrzeug dort wochenlang, bevor es auf derselben Strecke zurück fuhr.“ Der Bildschirm flackerte kurz auf und zeigte verschwommene Umrisse. „Das Datum passt. Auf dieser Route war ich anscheinend vor zweiundvierzig Jahren unterwegs.“ Max betätigte das Comlink an seinem Handgelenk. Mit Hilfe des unauffälligen Armreifens, der sowohl Minicomputer als auch Kommunikator war, suchte er nach Informationen über das Gebiet, das auf dem Bordcomputer dargestellt war. Charlie schaute weiter, scheinbar gedankenverloren, auf den Bildschirm. Ein kleines Eingabefeld darauf pulsierte sanft. Charlie tippte auf der alten Tastatur ein Wort ein und bestätigte es. Doch nichts passierte. „Hmm, hier ist eine Art Eingabefeld“, sagte Charlie, „allerdings ohne Beschreibung, was man da eingeben soll.“ „Versuch doch mal die Nummern vom Zettel, der im Wecker versteckt war!“, rief Max. Charlie holte den Zettel aus seiner Tasche hervor und tippte gewissenhaft jede einzelne Ziffer ein. Der Bordcomputer quittierte die Eingabe mit einem neuen Eingabefeld mitten auf dem Bildschirm. „Na toll, jetzt will er auch noch ein Passwort von mir“, murrte Charlie. „Als wenn ich mich an irgendein Passwort erinnern könnte!“ „Probier doch mal Fred“, erwiderte Max und lächelte seinem Opa kurz zu. „F … r … e … d … “, wiederholte Charlie und gab dabei die Buchstaben ein, nur um kurz darauf das Gesicht zu verziehen. „Ich glaube kaum, dass ich so ein unsicheres Passwort mit nur vier … oh, Moment! Es scheint zu passen!“ Auf dem Bildschirm änderte sich die Darstellung und zeigte nun den vollständigen Reiseplan an. Am Endpunkt der dreidimensionalen Route erschienen die Umrisse einer riesigen Bergkette. Max hatte in seinem Comlink währenddessen auch mit Hilfe der Koordinaten von Charlies Anzeige nichts gefunden. Keine Bilder, keine Hinweise, keine noch so kleine Erwähnung. Auf aktuellem Kartenmaterial war an dieser Stelle nichts verzeichnet. „Also, ich finde gar nichts“, sagte Max und blickte auf zu Charlie und dem Bildschirm, auf dem nun deutliche Umrisse zu sehen waren. „Oh, du hast ja den Berg gefunden!“ Opa Charlie schaute noch immer, wie in Gedanken, auf den Bildschirm. Doch im nächsten Moment lachte er auf, schaltete den Bordcomputer aus und drehte sich euphorisch im Pilotensessel zu Max um. „Dann haben wir ja das Rätsel gelöst! Ich war vor ein paar Jahren bei irgendeinem komischen Berg und der Wecker sollte mich daran erinnern.“ Max verstand nicht so recht und schaute seinen Großvater fragend an. Dieser fuhr fort: „Nun aber endlich zu deinen Ferien, Fred. Was wollen wir Schönes zusammen machen?“ Max riss die Augen weit auf. „Machst du Witze? Wir müssen herausfinden, was da passiert ist! Du stellst dir doch nicht über vierzig Jahre lang einen Wecker, nur um dich an eine Reise zu erinnern. Dieser Berg ist mitten im Niemandsland, es gibt sonst keine Aufzeichnungen dazu. Da musst du doch hin und nachsehen, was es damit auf sich hat. Und ich begleite dich natürlich!“ Charlie setzte wieder sein grüblerisches Gesicht auf: „Das klingt voll langweilig“, entgegnete er trotzig. „Das klingt wie ein riesiges Abenteuer!“, rief Max aufgeregt. Der alte Herr hielt kurz inne, schaute Max in die Augen und lächelte. „Wenn du unbedingt willst, dann gehen wir eben gemeinsam auf diese Expedition zu diesem komischen Berg. Aber du fragst vorher deine Eltern!“ „Okay! Sie haben bestimmt nichts dagegen“, entgegnete Max voller Vorfreude. Er wollte schon fast die Arme in die Luft reißen, schaute aber vorsichtshalber noch einmal über sich, um nicht aus Versehen gegen die Kabinendecke, oder irgendwelche Knöpfe und Schalter zu stoßen und entschied sich, seine Arme vorsichtshalber lieber unten zu lassen. „Yeah … “, jubelte Max zurückhaltend. Opa Charlie drehte den Pilotensessel zurück nach vorn und umfasste das Lenkrad. „Irgendwie kommt mir das alles doch so langsam wieder vertraut vor …“, sagte Charlie leise, mehr zu sich selbst als zu Max. Dieser war mittlerweile voller Ungeduld. „Also von mir aus kann es sofort losgehen“, sagte er aufgeregt. „Ich habe alles, was ich brauche, in meinem Rucksack dabei.“ Sein Großvater blickte zu ihm und lächelte. „Ein wenig mehr Vorbereitung braucht es schon. Schließlich können wir nicht einfach ein Taxi ins Ödland nehmen. Ich denke, dieses Fahrzeug hier ist nach wie vor für eine Expedition dieser Art geeignet! Nur muss zuvor die Technik überprüft werden und …“ - Charlie strich mit dem Finger über das total verstaubte Armaturenbrett - „… jemand sollte hier mal putzen!“ Enttäuscht ließ Max die Schultern hängen. „Wenn ich es mir recht überlege“, sagte Charlie, „sollten wir wohl besser auch noch einige Vorräte für die Reise besorgen.“ Max verdrehte die Augen. Irgendwie klang das nicht, als würden sie sich besonders schnell auf den Weg in ihr Abenteuer machen.
Reisevorbereitungen
Im Herrenhaus von Opa Charlie konnte man sich fantastisch verstecken. Selbst wenn man nur in einem der vielen Zimmer spielte - zum Beispiel dem alten Arbeitszimmer - gab es viele gute Verstecke. Schränke und Truhen, groß genug, um hineinzusteigen, lange Vorhänge an den Fenstern, Nischen und Ecken boten viele Möglichkeiten für eine Weile zu verschwinden. Max betrat das Gästezimmer und schaute sich um. Das Bett war gemacht und duftete nach frischer Wäsche. Alles war sauber, sogar die Fenster glänzten wie frisch geputzt. In diesem Zimmer schlief Max, wenn er bei Opa übernachtete. „Hast du ihn oben gefunden?“, rief Charlie vom Untergeschoss aus. „Bisher nicht“, antwortete Max. „Im Gästezimmer ist er aber auf jeden Fall schon gewesen.“ Verstecken hatte Max schon seit einigen Jahren nicht mehr mit seinem Opa gespielt. Zumindest nicht mehr, nachdem Charlie einmal vergessen hatte, ihn zu suchen. Max wusste noch, wie wütend er in seinem Versteck geworden war. Doch als er endlich hervorkam und zu Opa Charlie ins Wohnzimmer ging, war dieser so fröhlich, als er Max erblickte, dass dieser es seinem Opa letztendlich nicht übelnehmen konnte. Nur den Spaß am Versteckspielen hatte Max verloren. Als der Junge gerade beginnen wollte, das obere Badezimmer zu durchsuchen, hörte er es von unten aus der Küche poltern. Schnell eilte er die Treppe hinunter, um zu sehen, was passiert war. Er öffnete die Küchentür und sah Opa Charlie, der grinsend vor der geöffneten Besenkammer stand, aus der einige Küchenutensilien herausgefallen waren. „Ich habe ihn gefunden“, sagte Charlie und deutete mit dem Daumen in Richtung der Kammer. Max schaute um die Ecke und erkannte Opas ausgeschalteten Haushaltsroboter. Opa Charlie klatschte ihm mit der flachen Hand auf die Stirn und sagte: „Aufwachen, Fred!“ Die Augen des Roboters leuchteten auf, sein in Ruheposition halb versenkter Kopf fuhr aus dem Oberkörper empor. Dann bewegte er sich mit vielen kleinen Schritten aus dem Besenschrank heraus, bevor er auch die Beine auf ihre volle Länge ausstreckte. Der Roboter Fred war kein moderner Haushaltsroboter. Vielmehr wirkte er recht improvisiert zusammengebaut. Opa Charlie hatte ihn vor vielen Jahren selbst entworfen und gebaut, lange bevor es in jedem Haushalt einen Roboterhelfer gab. Doch für seine Haushaltstätigkeiten war Opas Roboter eigentlich etwas zu groß geraten. „Was macht dein Haushaltsroboter denn in der Besenkammer?“, wunderte sich Max. Der Roboter drehte sich um und sagte in seiner monotonen und gleichgültigen Art: „Ich räumte gerade die Reinigungsmittel auf, als Master Charles so freundlich war, mich zu deaktivieren.“ Der alte Mann stand etwas irritiert in der Mitte der Küche. „Ich erinnere mich, vor ein paar Tagen den herumstehenden Staubsauger weggeräumt zu haben. So langsam glaube ich … das war gar nicht der Staubsauger.“ „ In der Tat“, erwiderte der Haushaltsroboter Fred emotionslos. „ Kann ich sonst noch etwas für die beiden Herren tun?“ Charlie schaute zu Max, der den Kopf schüttelte. „Für mich bitte einen Tee, Earl Grey, aber bitte nicht zu heiß!“ Der Roboter griff eine Teetasse aus dem Schrank. In der Mitte seiner Brust öffnete sich eine Abdeckung und eine kleine Kammer mit Auslasshahn kam zum Vorschein. Fred stellte sich die Tasse darunter und heißer, aber nicht zu heißer, Tee lief hinein. „Du hast einen Teeauslass in seinen Oberkörper eingebaut?“, wunderte sich Max. „Nun …“, entgegnete Charlie, nachdem er einen Schluck des Tees genommen hatte, „…den Auslasshahn hatte ich erst an einer anderen Stelle angebaut … weiter unten … du weißt schon. Deine Mutter war zu Besuch und fand das irgendwie seltsam, den Tee so serviert zu bekommen.“ Charlie rollte mit den Augen. „Dann habe ich das eben nochmal umgebaut.“ Max konnte sich das Lachen kaum verkneifen, auf so eine Idee konnte auch wirklich nur sein Opa kommen.
Der Roboter Fred machte sich gleich an die Arbeit, das Geländefahrzeug F.R.E.D. aus der Scheune zu befreien und anschließend alle Wartungsarbeiten daran durchzuführen. Währenddessen packte Charlie seinen Koffer, wobei ihn Max, der ja seine Sachen bereits in seinem Rucksack hatte, natürlich unterstützte. „Wenn Fred mit dem Geländefahrzeug fertig ist“, begann Max, „fahren wir dann gleich los und machen die Besorgungen auf dem Weg?“ Sein Großvater suchte die letzten Socken im Schrank zusammen. „Es mag das perfekte Fahrzeug für eine aufregende Expedition zu einem mysteriösen Berg inmitten des Ödlands sein …“, erwiderte er, „…immerhin wurde F.R.E.D. gebaut, um es durch jedes Gelände zu schaffen, egal ob Schotter, Sand oder Sumpfland. Doch ich denke, zum Parken in der Innenstadt ist das klobige Ding ungeeignet.“ Das leuchtete Max ein. „Was brauchen wir denn überhaupt alles?“, fragte er. Charlie klappte den mittlerweile fertig gepackten Koffer zu und schaute konzentriert zur Decke des Zimmers. „Neue Energiezellen“, begann er aufzuzählen, „dann noch Proviant, frisches Gemüse, Kartoffeln, Pantoffeln, Randoffeln … ähmm … neue Schlafsäcke für die Kabine, ein paar Werkzeuge für alle Fälle. Sagte ich schon Energiezellen? Die brauchen wir jedenfalls auch noch.“ Max, den zwar die Abenteuerlust, aber keineswegs die Einkaufslust gepackt hatte, suchte noch immer einen Weg den Beginn ihres Abenteuers zu beschleunigen. „Wir könnten uns das auch alles liefern lassen“, schlug er vor. Opa Charlie hatte schon bemerkt, dass Max ungeduldig wurde. „Ach, das holen wir uns schnell selbst aus dem Laden um die Ecke.“ Um Max etwas aufzumuntern, fügte er heiter hinzu: „In der Garage müsste ich das perfekte Hilfsmittel haben, um uns beim Einkauf zu unterstützen!“
Die beiden traten aus dem Haus und machten sich auf den Weg in Richtung Gartentor, während der Haushaltsroboter im Garten bereits am Geländefahrzeug arbeitete. Ein Bauteil nach dem anderen baute er aus dem geöffneten Motorraum aus, prüfte es eingehend, reinigte es gründlich und schraubte es anschließend wieder an seine Stelle. Am Gartentor angelangt, öffnete Opa Charlie die Garage. „Da ist es ja schon“, sagte er mit stolz geschwellter Brust. „Mein manuelles Individual-Transport-System!“ „Das ist ein Handkarren“, stellte Max trocken fest. Der alte Herr lächelte den Jungen an. „Individual-Transport-System klingt aber besser.“ Sie verließen das Grundstück, hielten sich rechts und bogen kurz darauf in eine beschauliche Straße ein, in der es auf jeder Seite eine große Auswahl verschiedener Geschäfte gab. Die Fahrbahn war, wie  in der Innenstadt üblich, nicht sehr breit und hatte einen hellen Belag, der aus großen sechseckigen Platten bestand. Die Straße war immer wieder durch kurzes, grünes und sehr dichtes Gras unterbrochen, was Max stets vorkam, wie auf der Straße ausgelegte, grüne Teppiche. Zusammen mit den ganzjährig grünen Laubbäumen wirkte diese Straße in der äußeren Zone von Tonora City - immerhin eine der größten Metropolen des Landes - wie eine beschauliche Dorfstraße. Es waren nur wenige Menschen in dieser Einkaufsgegend unterwegs, die meisten bevorzugten es ohnehin, ihre Einkäufe von daheim zu tätigen und sich dann liefern zu lassen, genau wie Max. Doch die Handvoll Menschen, denen Charlie und Max begegneten, grüßten auffallend freundlich. „Guten Tag, Mister Anderson!“, sagte ein Herr mittleren Alters und zog vor Charlie seinen Sonnenhut. „Oh Hallo, Herr Professor!“, hörte Max eine Mutter sagen, die ihren schwebenden Kinderwagen an ihnen vorbeischob. Alle schienen sich zumindest für gute Bekannte von Charlie zu halten. Dies beruhte jedoch nicht auf Gegenseitigkeit, denn bei keiner der Personen hatte Max den Eindruck, Charlie würde auch sie kennen. Auch wenn er alle, denen er begegnete, freundlich zurückgrüßte und stets höflich war, so hielt er Unterhaltungen doch eher knapp. „Hallo, Doktor Anderson! Wie geht es Ihnen? Es ist doch wirklich ein wunderbares Wetter für einen Einkaufsbummel mit Ihrem Enkel …“, setzte eine ältere Dame im Blümchenkleid zu einem längeren Gespräch an, welches Charlie jedoch abzukürzen wusste. „Sehr gut, danke! In der Tat, tolles Wetter.“ Er nickte kurz in ihre Richtung und war auch schon an ihr vorbeigelaufen. Max beobachtete mehrere Kinder, die auf ihren Fahrrädern die ruhige Straße entlangfuhren. Ihnen kam ein Minitaxi entgegen - eiförmige Gefährte auf drei Rädern mit Platz für einen Passagier -, das eigenständig die Straße entlangfuhr und für einen dieser harmlos aussehenden Haushaltsroboter stoppte, um ihn über die Straße zu lassen. Der Roboter war nicht viel größer als Max selbst, hatte aber einen sehr viel größeren Hund an der Leine. Max überlegte, ob der Roboter den Hund oder der Hund den Roboter führte, während diese beiden ihren Weg in einen der vielen bewaldeten Parks der Stadt fortsetzten. In einer der grünen Landezonen der Straße landete ein Flugshuttle, ihm entstieg ein Geschäftsmann in orangefarbenen Anzug und weißer Krawatte. Während das Shuttle wieder abhob, um irgendwo in der Stadt den nächsten Fluggast aufzunehmen, begrüßte der Mann in Orange auch schon seine Geschäftspartnerin, die in einem kleinen Straßencafé wartete, und setzte sich zu ihr. Max blickte auf und sah über den kleinen Häusern der Straße in der Ferne die Skyline des Stadtzentrums, viele der Hochhäuser ragten weit in den Himmel hinauf. Um sie herum herrschte reger Shuttleflugverkehr. Charlie schritt weiter zielstrebig die Straße entlang, Max lief mit dem Handwagen nebenher. Sie erreichten ein kleines Geschäft an der Straßenecke, stellten den Wagen an die Seite des Gehweges und betraten dann den Einkaufsladen. „Warum wolltest du ausgerechnet hier einkaufen?“, fragte Max. Opa Charlie blieb wie angewurzelt im Eingangsbereich stehen und schien sich selbst nicht mehr so sicher zu sein. „Ich … gehe seit Jahren hier einkaufen und ich … ähmm … kenne den Besitzer gut …“, begann Charlie und schaute sich dabei zunehmend unsicher um. „Man sollte doch die …“, wieder stockte er und machte eine kurze Pause, „… kleinen Läden unterstützen, sonst gehört bald alles großen Konzernen die alles kontrollieren. Und am Ende wird man nur noch von …“, Charlie schaute zur linken Seite des Verkaufsraums, „… Robotern bedient.“ Wie aufs Wort kam dort ein automatischer Einkaufskorb angefahren und stellte sich direkt vor Charlie und Max. Das Display am Korb zeigte ein freundliches Gesicht und eine Computerstimme sagte beschwingt: „Willkommen und vielen Dank, das Sie heute bei Elroy&Pepper einkaufen. Möchten Sie ihre Einkaufsliste eingeben und sich Ihre Waren bequem nach Hause liefern lassen?“Opa Charlie schaute suchend über den Einkaufswagen hinweg in Richtung der hinteren Regale. „Nein, das möchte ich nicht“, sagte er knapp. Max sah seinen immer nervöser werdenden Großvater an und schlug vor: „Ich kann die Liste gern eingeben, Opa.“ Doch Charlie ließ den selbstfahrenden Einkaufskorb hinter sich zurück und ging in den hinteren Teil des Ladens. Im Gehen sagte er zu Max: „Ist schon gut, ich möchte nur gern selbst einkaufen.“ Dann rief er etwas lauter über die Regale hinweg: „Frederickson? Sind Sie da?“ Hinter einem der Regale kam ein kleiner, weißer, rundlicher, glänzend sauberer Roboter auf Rollen hervorgefahren. In seinen Händen hielt er einige Waren, mit denen er gerade die Regale auffüllte. Seine Augen leuchteten in einem angenehmen blauen Farbton. Er legte seinen Kugelkopf leicht schräg und fragte freundlich: „Wie kann ich Ihnen helfen, werter Konsument?“Max kam dazu und betrachtete seinen Großvater, der  bereits enttäuscht die Schultern hängen ließ, sich jedoch abermals aufgebracht in alle Richtungen umblickte. „Was ist denn los? Stimmt etwas nicht?“, fragte Max. Charlie ließ den Kopf hängen. „Als ich das letzte Mal hier einkaufen war, bediente mich Fred Frederickson, der Besitzer, noch selbst. Jetzt lässt er das seinen Roboter machen.“ Der Verkaufsroboter meldete sich wieder zu Wort: „Ich bin der registrierte Vertreter dieses Einzelhandelsgeschäfts. Der Vorbesitzer gab seine Geschäftsführertätigkeit bereits vor achtundzwanzig Jahren auf.“„Opa Charlie“, sagte Max verwirrt, „ich dachte immer, du magst Technik und Roboter. Du hast dir doch auch deinen eigenen Roboter gebaut, damit er dir im Haushalt hilft.“ Opa Charlie ging auf ein Regal mit vakuumiertem Trockenbrot zu und packte etwas davon hinter sich in den Einkaufswagen, der pflichtbewusst herbeigefahren kam. „Eigentlich“, begann Charlie, noch immer ins Regal schauend, „komme ich nur mit meiner Technik und meinem Roboter gut klar. Aber ich mag es überhaupt nicht, wenn sich ständig alles um mich herum verändert.“ Max ging auf seinen Großvater zu und legte ihm tröstend seine Hand auf die Schulter. „Also ich finde deinen selbstgebauten Haushaltsroboter auch tausendmal besser als diesen drittklassigen Verkaufsapparat hier.“ Der weiße Roboter mit den blau leuchtenden Augen drehte seinen Kopf gerade und protestierte: „Ich versichere Ihnen, in einem erstklassigen, funktionalen Zustand zu sein.“Er wandte sich auf der Stelle um und widmete sich wieder der Befüllung der Regale. Mit diesem schnellen Abgang wirkte es fast so, als fühlte er sich beleidigt, obwohl das für eine normale Maschine völlig unmöglich sein sollte. Charlie, der dies ebenfalls bemerkt hatte, lächelte wieder. „Was habe ich da eigentlich gerade in den Wagen gelegt?“ Der Junge griff in den Einkaufswagen und schaute auf die Verpackung. „Trockenbrot. Zwei Minuten in den Hydrator und es schmeckt wieder wie frisch gebacken. Ist lecker!“ Der Einkaufswagen meldete sich ebenfalls zu Wort: „Seit zwei Monaten neu in unser Ladensortiment aufgenommen. Omas frisch gebackenes Trockenbrot. Mindesthaltbarkeit: Vier Jahre.“„Das klingt ja wirklich außerordentlich frisch“, scherzte Charlie. „Wir sollten besser noch zehn davon kaufen!“
Wenig später hatten die zwei den Einkauf mit Hilfe des freundlichen Einkaufswagens erledigt. Max war überrascht, dass in diesem kleinen Laden alles für ihre Reise erhältlich war, neben dem großen Vorrat an frischen Lebensmitteln, sogar Energiezellen fast jeder Größe. Immerhin wurden in nahezu jedem modernen technischen Gerät heute die gleichen Energiezellen genutzt. Auch einen Sack Basis-Granulat hatte der kleine Laden auf Lager. Mit diesen seltsamen schwarzen Krümeln, die wie Katzenstreu aussahen, wusste Max gar nichts anzufangen. Opa Charlie meinte nur, es wäre etwas, was er in der mobilen Werkstatt im Gelände-Fahrzeug brauchen könnte. So luden sie gemeinsam alles auf den Handkarren und machten sich auf den Weg nach Haus. Als sie wenig später das Zauntor zu Opas Garten passierten und die Einfahrt entlang liefen, sahen sie zwar den Geländewagen mit geöffneter Wartungsklappe, doch Haushaltsroboter Fred war nicht zu entdecken. „Fred, bist du hier irgendwo?“, rief Opa Charlie laut in Richtung des Fahrzeugs. „Ja, ich bin immer noch direkt hinter dir“, antwortete Max verschmitzt. Opa drehte sich zu Max und lächelte. „Ich meine doch nicht dich, Fred, ich meinte Fred!“ Aus dem Inneren des Gefährts erschien der Haushaltsroboter und kletterte die Stufen der kleinen Treppe am Heck des Fahrzeugs hinab. Mit großen Schritten kam er auf Charlie und Max zu gelaufen. „Und, Fred, ist das Fahrzeug fertig, können wir los?“, fragte Max unruhig. „Bei der Wartung ist ein unerwartetes Problem aufgetreten“, sagte Fred. „Die Motoren können nicht mit Energie versorgt werden, obgleich die Speicherzellen genügend Reserve aufweisen.“Charlie hörte sich Freds Worte gelassen an. Er griff seinen Spazierstock, der die ganze Zeit ungenutzt mit im Handwagen gelegen hatte. Dann lief er zielstrebig zum bereits blankgeputzten Geländefahrzeug hinüber, um anschließend auf den vorderen Rammschutz zu steigen. Er zog sich mit den Armen nach oben, klemmte  routiniert seinen Gehstock in der Mitte einer Belüftungsöffnung ein und stand nun direkt vor der geöffneten Wartungsklappe. An dem verklemmten Gehstock hielt er sich mit einer Hand fest, beugte sich weit hinunter und öffnete mit der anderen Hand den Zugang zur Steuerungselektronik. Mit offenem Mund starrte Max fassungslos, wie sein alter Großvater, auf einem Bein balancierend, kopfüber mit dem Oberkörper in der Fahrzeugfront verschwand. Roboter Fred trat an Maxʼ Seite und betrachtete das Schauspiel ebenfalls. Ohne seinen Blick von Charlies akrobatisch anmutenden Reparaturversuch zu lassen, bewegte er seinen Arm vorsichtig hinüber zu Max. Mit einem seiner Metall-Finger stupste er sanft von unten gegen Maxʼ vor Erstaunen noch immer offen stehenden Mund. Max erwachte aus seiner Erstarrung, schloss den Mund, schaute kurz verächtlich zu Fred, der davon jedoch keine Notiz nahm, und lief dann zum Fahrzeug, um ebenfalls hinaufzuklettern und zu helfen. Doch da kam Charlie auch schon wieder zum Vorschein und schloss die Abdeckung. „Erledigt!“, sagte er selbstsicher. „Die Haupt-Stromkopplung war falsch geschaltet. In den Bauplänen hatte ich das nicht korrigiert, daher konnte das Fred auch nicht wissen.“
Max löste unbeholfen den Gehstock und half Charlie beim Abstieg. Unten angekommen, wandte dieser sich zum Fahrzeug um, hielt einen Moment inne, lachte kurz auf und schaute dann wieder grinsend zu Max. Dieser lächelte zurück. „Woher weißt du plötzlich so viel darüber?“, fragte Max. „Na, ich sollte doch wohl alles darüber wissen …“, antwortete Opa Charlie fröhlich, „… immerhin habe ich es gebaut!“ Stolz klopfte er mit seinem Spazierstock gegen das Fahrzeug, lächelte zufrieden und wiederholte leise: „Ja genau … Ich habe das gebaut!“
Die Fahrt beginnt
Nachdem Fred dabei geholfen hatte, im Geländewagen neue Energiezellen einzusetzen, verstaute er die restlichen im bereits gut gefüllten Vorratsabteil des Fahrzeugs. Endlich konnte es losgehen! Max kam es vor, als hätten die Reisevorbereitungen sehr viel Zeit gekostet, doch tatsächlich war es gerade mal früher Nachmittag. Opa Charlie hatte bereits im Fahrersitz Platz genommen und gab im Bordcomputer die Navigation derselben Route ein, die er zweiundvierzig Jahre zuvor schon einmal bereist hatte. Max stand an der Eingangsluke und winkte zum Abschied dem Roboter Fred zu, der das Winken erwiderte. Nachdem er den Türsensor betätigt und sich die Luke geschlossen hatte, setzte sich Max auf einen der beiden versetzt angebrachten Beifahrersitze und schnallte sich an. Um ihn herum wirkte alles wie neu. Alle metallischen Oberflächen glänzten und die Polster wirkten wie neu bezogen, bequem und sauber. Statt des stickigen Geruchs der staubigen Luft von vorhin stieg Max nun ein frischer Blütenduft in die Nase. Die Bildschirme waren ebenfalls klar und sauber, sie flackerten nicht länger und zeigten ein perfektes dreidimensionales Bild an. „Meinst du nicht, wir sollten Fred doch mitnehmen?“, bemerkte Max. „Er könnte uns doch eine große Hilfe sein.“ Der alte Herr machte sich gerade wieder mit der Steuerung vertraut, schaute nach unten, wie die Pedale für ihn am Besten mit dem Fuß zu erreichen waren und stellte den Sitz entsprechend ein. „Dieser Spaßverderber? Ich bin froh, ihn mal eine Weile nicht ständig um mich zu haben. Außerdem muss er sich doch um Haus und Garten kümmern.“ Er drehte sich um zu Max und fügte gut gelaunt hinzu: „Das sind unsere gemeinsamen Ferien. Ich bin sicher, wir kommen auch wunderbar ohne ihn klar.“ Max hatte keine Bedenken. Zusammen mit seinem Großvater auf eine Expedition zu gehen war mehr, als er sich für die zwei kommenden Ferienwochen je hätte wünschen können. Opa Charlie startete das Gefährt und fuhr behutsam die Einfahrt des Grundstücks hinab. Der Motor summte leise, nur die Räder machten auf den kleinen Steinchen des Weges knirschende Geräusche. Die Toreinfahrt war für das Fahrzeug gerade eben groß genug. Mithilfe der Bildschirme hatte Charlie alle Seiten im Blick und steuerte problemlos an den Hindernissen vorbei. Das gewaltige Universalfahrzeug bog nach links auf die Straße und beschleunigte. Max war anfangs etwas angespannt, weil sein Großvater unbedingt selbst fahren wollte, wurde jedoch zunehmend ruhiger, als er sah, wie leicht es Opa Charlie von der Hand ging. „Die Steuerung ist so einfach, selbst ein Kind könnte es fahren“, bemerkte Opa Charlie, dem das Fahren dieses Kolosses sichtlich Freude bereitete. „Das heißt, ich darf auch mal fahren?“, erkundigte sich Max. „Hast du denn eine Fahrerlaubnis?“ „Opa, ich bin zwölf!“, war Maxʼ knappe Antwort. Charlie überlegte eine Weile, dann wiederholte er seine Frage: „Hast du denn eine Fahrerlaubnis?“ Max dachte kurz daran, abermals mit „Ich bin zwölf“, zu antworten, sagte dann aber: „Eine Fahrerlaubnis kann ich erst mit achtzehn haben.“ „Und wie alt bist du?“, fragte Opa Charlie unbekümmert. Max zog die Augenbrauen hoch und antwortete: „Ich bin zwölf.“ „Na, dann bist du leider ein bisschen zu jung, um selbst zu fahren, was, Fred?“ Charlie blickte kurz über seine Schulter zurück zu Max und lächelte verschmitzt. Manchmal konnte Charlies Art etwas schwierig sein, doch Max versuchte, es ihm nicht krumm zu nehmen. Das riesige Gefährt wurde von Charlie behutsam durch die engen und kurvenreichen Straßen gesteuert. Auf die anderen Verkehrsteilnehmer musste er dabei jedoch nicht sonderlich viel Rücksicht nehmen. Denn wo immer F.R.E.D. auftauchte, machten alle anderen ehrfürchtig Platz. Die meisten Fahrzeuge wurden allerdings ohnehin von emotionslosen Computern gelenkt, die sich durch ein etwas zu groß geratenes Fahrzeug natürlich nicht einschüchtern ließen.
An diesem Tag war auch Jeffrey Jacobson, der von allen stets nur JJ genannt wurde, mit seinem Auto unterwegs. Er hatte sich bereits seit Tagen auf seinen lang geplanten Ausflug gefreut. Weder Familie noch Freunde wollte er besuchen, an diesem Tag war der Weg sein Ziel . Der „VanVreden“ - ein exotischer und überaus teurer Sportwagen eines holländischen Autobauers - war JJs ganzer Stolz. Auch wenn das kleine, flache, zweisitzige Cabriolet bereits etwas in die Jahre gekommen war, genau wie sein bereits weißhaariger Besitzer. Zwar fuhr das Vehikel elektrisch, doch hatte es keinen Flugmodus wie viele moderne Sportwagen. Es besaß nur einen rudimentären Autopiloten und keine nennenswerte Sicherheitsausstattung. Nachdem JJ sein Fahrzeug ausgiebig von außen bewundert hatte, zwängte sich der leicht untersetzte Mann mit einiger Anstrengung durch die kleinen Türen auf den Fahrersitz. Nachdem er sich sortiert hatte, hielt er erneut einen Moment inne, um die von seltenem Holz eingefassten Armaturen zu streicheln und bewundernd an die dafür nötige Handwerkskunst zu denken. Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht, doch war dies hinter seinem riesenhaften, buschigen Schnauzbart kaum zu erkennen. Ein prächtiger Oberlippenbart kann für einen Mann eine Zierde sein. Dieser war es nicht, weder Bart noch Mann. Stattdessen sah JJ mit dem riesigen Schnauzer und dem kurzen Haupthaar einem Walross zum Verwechseln ähnlich. Jeffrey Jacobsons Freunde hatten nicht nur ihm den Spitznamen verpasst, auch sein Bart hatte einen bekommen: „Bello“. Bellos Besitzer betätigte den Startknopf. Während der Autopilot den in der Nachmittagssonne glänzenden, roten Sportwagen behutsam rückwärts aus der Garage fuhr, zog sich JJ seine speziellen kunstledernen Fahrerhandschuhe über und dehnte dann in ihnen ausgiebig seine wurstigen Finger, bis der Wagen am rechten Fahrbahnrand selbstständig anhielt. JJ deaktivierte den Autopiloten und schaute in den Rückspiegel. Nachdem er keine anderen Fahrzeuge darin entdecken konnte, betätigte er das Beschleunigungspedal, um vom Parkstreifen auf die Fahrbahn zu wechseln. Ein jugendlicher Radfahrer raste in diesem Moment an dem ausparkenden Sportwagen vorbei, ohne dass JJ ihn auch nur im Geringsten wahrgenommen hätte. Der Sportwagen bremste abrupt und JJs hochgeschobene Sonnenbrille rutschte vom längst zurück gewichenen Haaransatz herunter und fiel ihm schief auf seine dicke Knollennase. „Junge!“, herrschte er aufgebracht und mit hochrotem Kopf den völlig unschuldigen Radfahrer an. „Pass auf, wo du hinfährst!“ Er hob belehrend den Zeigefinger und fuchtelte wild dem davonfahrenden Radfahrer hinterher. Dann legte er noch immer schimpfend und kopfschüttelnd seine Hände ans Lenkrad und fuhr los, ohne den Rückspiegel eines weiteren Blickes zu würdigen. In diesem Moment spürte JJ einen kühlen Luftzug hinter sich. Die Sonne verdunkelte sich, ein riesiger Schatten fiel auf das Innere des Cabriolets. JJs Herz schlug schneller und ließ ihn den Moment praktisch in Zeitlupe erleben. Wie eingefroren stand auf einmal alles still. Langsam wandte er seinen Kopf um und blickte hinter sich auf ein monströses, metallenes Ungetüm, hoch wie sein Wohnhaus. Im Gegenlicht sah er nur eine schwarze Wand, dunkel wie die Nacht, mit einem von den Sonnenstrahlen gleißend leuchtenden Umriss. Es ertönte ein Ton, laut wie das Brüllen eines riesigen Raubtieres, ein scheinbar minutenlanger, unendlich tief röhrender, bedrohlich wirkender Hupton, der JJ in diesem Moment wie das geblasene Horn zum Untergang der Welt vorkam. Sein Schnauzbart schien vom Luftzug des Horns weggeblasen zu werden und zog an seiner Oberlippe. JJ schreckte aus seiner kurzen Schockstarre auf, drehte seinen Kopf zurück nach vorn und riss das Lenkrad herum. Der rote „VanVreden“ Sportwagen prallte auf die Bordsteinkante und machte einen unsanften Hüpfer auf die angrenzende Wiese, wo er zum Stillstand kam. Der Koloss von einem Fahrzeug, der JJ so erschreckt hatte, hielt am Fahrbahnrand an und Opa Charlie schaute heraus. „Alles okay bei Ihnen?“, rief er dem wenige Meter entfernt stehenden JJ in seinem Sportwagen zu. „Wissen Sie denn nicht, wie gefährlich es ist, ohne Autopiloten auszuparken? Da sollten Sie wenigstens auf den Verkehr hinter Ihnen achten!“ Max versuchte ebenfalls, aus der kleinen geöffneten Scheibe von F.R.E.D.s Cockpit zu schauen, doch gleichzeitig mit seinem Opa war das einfach zu eng. „Geht's ihm gut, was ist denn passiert?“, wollte Max aufgeregt wissen. Opa antwortete ihm, sprach dabei allerdings so laut, dass auch JJ alles verstand. „Laut den Sensoren geht’s ihm gut! Seinem Auto auch. Nur mit den Augen scheint er was zu haben, wenn er es schafft, unseren F.R.E.D. zu übersehen.“ JJ hatte sich inzwischen gesammelt und von seinem Schreck erholt. „Tttt… Tut mir leid … Ich war wohl in Gedanken. Kommt nicht wieder vor“, brummte es hinter Bello hervor. Charlie lächelte freundlich zu ihm herüber, reckte seinen Daumen in die Luft und schloss dann die kleine Scheibe des Cockpits. Während das Ungetüm F.R.E.D. davonfuhr, starrte JJ leicht zittrig hinterher und erkannte, dass er an diesem Tag am Autofahren keinen Spaß mehr haben würde.
Wenig später hatten Charlie und Max das unmittelbare Stadtgebiet verlassen.
---ENDE DER LESEPROBE---