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Das Theater war gedrängt voll; ein neuangeworbener Sänger gab
den Don Juan. Das Parterre wogte, von oben gesehen, wie die
unruhige See, und die Federn und Schleier der Damen tauchten wie
schimmernde Fische aus den dunkeln Massen. Die Ranglogen waren
reicher als je, denn mit dem Anfang der Wintersaison war eine
kleine Trauer eingefallen, und heute zum erstenmal drangen wieder
die schimmernden Farben der reichen Turbans, der wehenden Büsche,
der bunten Schals an das Licht hervor. Wie glänzend sich aber auch
der reiche Kranz von Damen um das Amphitheater zog, das Diadem
dieses Kreises schien ein herrliches, liebliches Bild zu sein, das
aus der fürstlichen Loge freundlich und hold die Welt um und unter
sich überschaute. Man war versucht zu wünschen, dieses schöne Kind
möchte nicht so hoch geboren sein, denn diese frische Farbe, diese
heitere Stirne, diese kindlich reinen, milden Augen, dieser holde
Mund war zur Liebe—nicht zur Verehrung aus der Ferne geschaffen.
Und wunderbar, wie wenn Prinzessin Sophie diesen frevelhaften
Gedanken geahnet hätte—auch ihr Anzug entsprach diesem Bilde
einfacher, natürlicher Schönheit; sie schien jeden Schmuck, den die
Kunst verleiht, dem stolzen Damenkreis überlassen zu
haben."Sehen Sie, wie lebendig, wie heiter sie ist", sprach in
einer der ersten Ranglogen ein fremder Herr zu dem russischen
Gesandten, der neben ihm stand, und beschaute die Prinzessin durch
das Opernglas; "wenn sie lächelt, wenn sie das sprechende Auge ein
klein wenig zudrückt und dann mit unbeschreiblichem Reiz wieder
aufschlägt, wenn sie mit der kleinen niedlichen Hand dazu
agiert—man sollte glauben, aus so weiter Ferne ihre witzigen Reden,
ihre naiven Fragen vernehmen zu können.""Es ist erstaunlich!" entgegnete der Gesandte."Und dennoch sollte dieser Himmel von Freudigkeit nur Maske
sein? Sie sollte fühlen, schmerzlich fühlen, sie sollte unglücklich
lieben und doch so blühend, so heiter sein? Gnädige Frau!" wandte
sich der Fremde zu der Gemahlin des Gesandten, "gestehen Sie, Sie
wollen mich mystifizieren, weil ich einiges Interesse an diesem
Götterkinde genommen habe.""Mon dieu! Baron", sagte diese mit dem Kopfe wackelnd, "Sie
glauben noch immer nicht? Auf Ehre, es ist wahr, wie ich Ihnen
sagte; sie liebt, sie liebt unter ihrem Stande, ich weiß es von
einer Dame, der nichts dergleichen entgeht. Und wie? meinen Sie,
eine Prinzeß, die von Jugend auf zur Repräsentation erzogen ist,
werde nicht Tournüre genug haben, um ein so unschickliches
Verhältnis den Augen der Welt zu verbergen?""Ich kann es nicht begreifen", flüsterte der Fremde, indem er
wieder sinnend nach ihr hinsah; "ich kann es nicht fassen; diese
Heiterkeit, dieser beinahe mutwillige Scherz—und stille,
unglückliche Liebe? Gnädige Frau, ich kann es nicht
begreifen!""Ja, warum soll sie denn nicht munter sein, Baron? Sie ahnet
wohl nicht, daß jemand etwas von ihrer meschanten Aufführung weiß;
der Amoroso ist in der Nähe—""Ist in der Nähe? o bitte, Madame! zeigen sie mir den
Glücklichen, wer ist er?""Was verlangen Sie! Das wäre ja gegen alle Diskretion, die
ich der Oberhofmarschallin schuldig bin; mein Freund, daraus wird
nichts. Sie können zwar in Warschau wieder erzählen, was Sie hier
gesehen und gehört haben, aber Namen? Nein, Namen zu nennen in
solchen Affären, ist sehr unschicklich; mein Mann kann dergleichen
nicht leiden."Die Ouvertüre war ihrem Ende nahe, die Töne brausten stärker
aus dem Orchester herauf, die Blicke der Zuschauer waren fest auf
den Vorhang gerichtet, um den neuen Don Juan bald zu sehen; doch
der Fremde in der Loge der russischen Gesandtschaft hatte kein Ohr
für Mozarts Töne, kein Auge für das Stück; er sah nur das
liebliche, herrliche Kind, das ihm um so interessanter war, als
diese schönen Augen, diese süßen, freundlichen Lippen heimliche
Liebe kennen sollten. Ihre Umgebungen, einige ältere und jüngere
Damen, hatten zu sprechen aufgehört; sie lauschten auf die Musik;
Sophiens Augen glitten durch das gefüllte Haus, sie schienen etwas
zu vermissen, zu suchen. "Ob sie wohl nach dem Geliebten ihre
Blicke aussendet?" dachte der Fremde; "ob sie die Reihen mustert,
ihn zu sehen, ihn mit einem verstohlenen Lächeln, mit einem leisen
Beugen des Hauptes, mit einem jener tausend Zeichen zu begrüßen,
welche stille Liebe erfindet, womit sie ihre Lieblinge beglückt,
bezaubert?" Eine schnelle, leichte Röte flog jetzt über Sophiens
Züge, sie rückte den Stuhl mehr seitwärts, sie sah einigemal nach
der Türe ihrer Loge; die Türe ging auf, ein großer, schöner junger
Mann trat ein und näherte sich einer der älteren Damen; es war die
Herzogin F., die Mutter der Prinzessin. Sophie spielte gleichgültig
mit der Brille, die sie in der Hand hielt; aber der Fremde war
Kenner genug, um in ihrem Auge zu lesen, daß dieser und kein
anderer der Glückliche sei.Noch konnte er sein Gesicht nicht sehen; aber die Gestalt,
die Bewegungen des jungen Mannes hatten etwas Bekanntes für ihn;
die Fürstin zog ihre Tochter ins Gespräch, sie blickte freundlich
auf, sie schien etwas Pikantes erwidert zu haben, denn die Mutter
lächelte, der junge Mann wandte sich um, und—"mein Gott! Graf
Zronievsky!" rief der Fremde so laut, so ängstlich, daß der
Gesandte an seiner Seite heftig erschrak und seine Gemahlin den
Gast krampfhaft an der Hand faßte und neben sich auf den Stuhl
niederriß."Um Himmels willen, was machen Sie für Skandal", rief die
erzürnte Dame; "die Leute schauen rechts und links nach uns her;
wer wird denn so mörderisch schreien? Es ist nur gut, daß sie da
unten gerade ebenso mörderisch gegeigt und trompetet haben, sonst
hätte jedermann Ihren Zronievsky hören müssen. Was wollen Sie nur
von dem Grafen? Sie wissen ja doch, daß wir vermeiden, ihn zu
kennen!""Kein Wort weiß ich", erwiderte der Fremde; "wie kann ich
auch wissen, wen Sie kennen und wen nicht, da ich erst seit drei
Stunden hier bin. Warum vermeiden Sie es, ihn zu
sehen?""Nun, seine Verhältnisse zu unserer Regierung können Ihnen
nicht unbekannt sein", sprach der Gesandte; "er ist verwiesen, und
es ist mir höchst fatal, daß er gerade hier und immer nur hier sein
will. Er hat sich unverschämterweise bei Hofe präsentieren lassen,
und so sehe ich ihn auf jedem Schritt und Tritt, und doch wollen es
die Verhältnisse, daß ich ihn ignoriere. Überdies macht mir der
fatale Mensch sonst noch genug zu schaffen; man will höheren Orts
wissen, wovon er lebe und so glänzend lebe, da doch seine Güter
konfisziert sind; und ich weiß es nicht herauszubringen. Sie kennen
ihn, Baron?"Der Fremde hatte diese Reden nur halb gehört; er sah
unverwandt nach der fürstlichen Loge; er sah, wie Zronievsky mit
der Fürstin und den andern Damen sprach, wie nur sein feuriges Auge
hin und wieder nach Sophien hinglitt, wie sie begierig diesen
Strahl auffing und zurückgab. Der Vorhang flog auf, der Graf trat
zurück und verschwand aus der Loge; Leporello hub sein Klagen
an."Sie kennen ihn, Baron?" flüsterte der Gesandte; "wissen Sie
mirNäheres über seine Verhältnisse—""Ich habe mit ihm unter den polnischen Lanciers
gedient.""Ist wahr; er hat in der französischen Armee gedient; sahen
Sie sich oft? kennen Sie seine Ressourcen?""Ich habe ihn nur gesehen", warf der Fremde leicht hin, "wenn
es der Dienst mit sich brachte; ich weiß nichts von ihm, als daß er
ein braver Soldat und ein sehr unterrichteter Offizier
ist."Der Gesandte schwieg; sei es, daß er diesen Worten glaubte,
sei es, daß er zu vorsichtig war, seinem Gast durch weitere Fragen
Mißtrauen zu zeigen. Auch der Fremde bezeugte keine Lust, das
Gespräch weiter fortzusetzen; die Oper schien ihn ganz in Anspruch
zu nehmen; und dennoch war es ein ganz anderer Gegenstand, der
seine Seele unablässig beschäftigte. "Also hieher hat dich dein
unglückliches Geschick endlich getrieben?" sagte er zu sich, "armer
Zronievsky! Als Knabe wolltest du dem Kosciusko helfen und dein
Vaterland befreien; Freiheit und Kosciusko sind verklungen und
verschwunden. Als Jüngling warst du für den Ruhm der Waffen, für
die Ehre der Adler, denen du folgtest, begeistert, man hat sie
zerschlagen; du hattest dein Herz so lange vor Liebe bewahrt, sie
findet dich endlich als Mann, und siehe—die Geliebte steht so
furchtbar hoch, daß du vergessen oder untergehen
mußt!"Das Geschick seines Freundes, denn das war ihm Graf
Zronievsky gewesen, stimmte den Fremden ernst und trübe, er versank
in jenes Hinbrüten, das die Welt und alle ihre Verhältnisse
vergißt, und der Gesandte mußte ihn, als der erste Akt der Oper zu
Ende war, durch mehrere Fragen aus seinem Sinnen aufwecken, das
nicht einmal durch das Klatschen und Bravorufen des Parterres
unterbrochen worden war."Die Herzogin hat nach Ihnen gefragt", sagte der
Gesandte,—"sie behauptet, Ihre Familie zu kennen; kommen Sie,
wischen Sie diesen Ernst, diese Melancholie von Ihrer Stirne; ich
will Sie in die Loge führen und präsentieren."