Othello - William Shakespeare - E-Book + Hörbuch

Othello E-Book

William Shakespeare

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Beschreibung

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Das Venedig der Renaissance ist ein Schmelztiegel der Kulturen, eine reiche Handelstadt, die Begehrlichkeiten weckt. Othello ist damit beauftragt, die Flotte der kleinen Republik in den Krieg zu führen. Die Venezianer vertrauen dem »Mohr« zwar die Sicherheit ihrer Stadt, nicht jedoch ihre Töchter an. Die Liebe Othellos zu der schönen Desdemona steuert, durch eine Intrige vergiftet, auf eine Tragödie zu.

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William Shakespeare

Othello

Tragödie

 

Aus dem Englischen von Wolf Graf von Baudissin

 

 

 

 

 

Personen

HERZOG von Venedig

BRABANTIO, Senator

Mehrere Senatoren

GRATIANO Verwandter des Brabantio

LODOVICO Verwandter des Brabantio

OTHELLO, Feldherr: Mohr

CASSIO, sein Leutnant

JAGO, sein Fähndrich

RODRIGO, ein junger Venetianer

MONTANO, Statthalter von Cypern

Ein Diener des Othello

HEROLD

 

DESDEMONA, Brabantios Tochter

EMILIE, Jagos Frau

BIANCA, Kurtisane

 

Offiziere, Edelleute, Boten, Musikanten, Matrosen, Gefolge u.s.w.

 

 

Szene im ersten Aufzug in Venedig; hernach in Cypern

Erster Aufzug

Erste Szene

VENEDIG · EINE STRASSE

Es treten auf Rodrigo und Jago

RODRIGO

Sag mir nur nichts, – denn damit kränkst du mich,

Daß, Jago, du, der meine Börse führte,

Als wär’ sie dein –, die Sache schon gewußt.

JAGO

Ihr hört ja nicht! –

Hab’ ich mir je davon was träumen lassen,

Verabscheut mich!

RODRIGO

Du hast mir stets gesagt, du hassest ihn!

JAGO

Verachte mich, wenn’s nicht so ist!

Drei Mächtige aus dieser Stadt, persönlich

Bemüht, zu seinem Leutnant mich zu machen,

Hofierten ihm: und, auf Soldatenwort,

Ich kenne meinen Preis –, das kommt mir zu.

Doch er, verliebt in seinen Stolz und Dünkel,

Weicht ihnen aus, mit Schwulst, weit hergeholt,

Den er staffiert mit grausen Kriegssentenzen,

Und, kurz und gut,

Schlägt’s meinen Gönnern ab: denn »traun,« – so spricht er –

»Ernannt schon hab’ ich meinen Offizier.«

Und wer ist dieser?

Seht mir! ein gar ausbünd’ger Rechenmeister,

Ein Michael Cassio, ein Florentiner,

Ein Wicht, zum schmucken Weibe fast versündigt,

Der niemals eine Schar ins Feld geführt,

Noch von der Heeresordnung mehr versteht

Als Jüngferchen; nur Büchertheorie,

Von der in seiner Toga wohl ein Ratsherr

So weislich spricht, als er – all seine Kriegskunst

Geschwätz, nicht Praxis –, der nun wird erwählt;

Und ich, von dem sein Auge Proben sah

Zu Rhodus, Cypern und auf anderm Boden,

Christlich und heidnisch, komm’ um Wind und Flut

Durch solchen Rechenknecht, solch Einmaleins;

Der, wohl bekomm’s ihm, muß sein Leutnant sein,

Und ich – Gott besser’s! – seiner Mohrschaft Fähndrich.

RODRIGO

Bei Gott! sein Henker würd’ ich lieber sein! –

JAGO

Da hilft nichts für; das ist der Fluch des Dienstes.

Beförd’rung geht Euch nach Empfehl’ und Gunst,

Nicht nach eh’mal’gem Rang, wo jeder zweite

Den Platz des Vormanns erbt. Urteilt nun selbst,

Ob mich wohl irgend Recht und Dank verpflichtet,

Zu lieben diesen Mohren.

RODRIGO

So dient’ ich ihm auch nicht.

JAGO

      Oh, seid ganz ruhig!

Ich dien’ ihm, um mir’s einzubringen; ei, wir können

Nicht alle Herrn sein, nicht kann jeder Herr

Getreue Diener haben. Seht Ihr doch

So manchen pflicht’gen, kniegebeugten Schuft,

Der, ganz verliebt in seine Sklavenfessel,

Ausharrt, recht wie die Esel seines Herrn,

Ums Heu, und wird im Alter fortgejagt. –

Peitscht mir solch redlich Volk! Dann gibt es andre,

Die, ausstaffiert mit Blick und Form der Demut,

Ein Herz bewahren, das nur sich bedenkt;

Die nur Scheindienste liefern ihren Obern,

Durch sie gedeihn und, wann ihr Pelz gefüttert,

Sich selbst Gebieter sind. Die Burschen haben Witz,

Und dieser Zunft zu folgen ist mein Stolz.

Denn, Freund,

’S ist so gewiß, als Ihr Rodrigo heißt,

Wär’ ich der Mohr, nicht möcht’ ich Jago sein.

Wenn ich ihm diene, dien’ ich nur mir selbst;

Der Himmel weiß es! nicht aus Lieb’ und Pflicht,

Nein, nur zum Schein, für meinen eignen Zweck:

Denn wenn mein äußres Tun je offenbart

Des Herzens angeborne Art und Neigung

In Haltung und Gebärde, dann alsbald

Will ich mein Herz an meinem Ärmel tragen

Als Fraß für Kräh’n. Ich bin nicht, was ich bin! –

Rodrigo: Welch reiches Glück fällt dem Dickmäul’gen zu,

Wenn ihm der Streich gelingt! –

JAGO

      Ruft auf den Vater,

Hetzt den ihm nach; vergiftet seine Lust,

Schreit’s durch die Stadt, macht ihre Vettern wild,

Und ob er unter mildem Himmel wohnt,

Plagt ihn mit Fliegen; ist die Freud’ ihm Freude,

Versetzt sie dennoch ihm mit so viel Pein,

Daß sie etwas erbleiche!

RODRIGO

Hier ist des Vaters Haus; ich ruf’ ihn laut.

JAGO

Das tut, mit gleichem Angstruf und Geheul,

Als wenn bei Nacht und Lässigkeit ein Feuer

Erspäht wird in volkreichen Städten.

RODRIGO

Hallo, Brabantio! Signor Brabantio, ho! –

JAGO

Erwacht; hallo! Brabantio! Diebe! Diebe! –

Nehmt Euer Haus in acht, Eu’r Kind, Eu’r Geld! –

He, Diebe! Diebe! – (Brabantio oben am Fenster)

BRABANTIO

Was ist die Ursach’ dieses wilden Lärms?

Was gibt es hier? –

RODRIGO

Ist alles, was Euch angehört, im Hause?

JAGO

Die Türen zu?

BRABANTIO

    Nun, warum fragt ihr das? –

JAGO

Ihr seid beraubt, zum Teufel! Nehmt den Mantel!

Eu’r Herz zerbrach, halb Eure Seel’ ist hin.

Jetzt, eben jetzt, bezwingt ein alter schwarzer

Schafbock Eu’r weißes Lämmchen. – Auf! heraus!

Weckt die schlaftrunknen Bürger mit der Glocke,

Sonst macht der Teufel Euch zum Großpapa.

Auf, sag’ ich, auf! –

BRABANTIO

    Was! seid ihr bei Verstand?

RODRIGO

Ehrwürd’ger Herr, kennt Ihr mich an der Stimme?

BRABANTIO

Ich nicht! Wer bist du?

RODRIGO

Rodrigo heiß’ ich.

BRABANTIO

     Mir um so verhaßter!

Befohlen hab’ ich dir, mein Haus zu meiden;

Ganz unverhohlen hörtest du mich sagen,

Mein Kind sei nicht für dich, – und nun, wie rasend,

Vom Mahle voll und törendem Getränk,

In böslich trotz’gem Übermute kommst du,

Mich in der Ruh’ zu stören?

RODRIGO

Herr, Herr, Herr!

BRABANTIO

Doch, wissen sollst du dies:

Durch meine Kraft und Stellung hab’ ich Macht,

Dir’s zu vergällen.

RODRIGO

     Ruhig, werter Herr!

BRABANTIO

Was sprichst du mir von Raub? Dies ist Venedig,

Mein Palast keine Scheune.

RODRIGO

       Sehr würd’ger Herr,

In arglos reiner Absicht komm’ ich her.

JAGO

Wetter, Herr, Ihr seid einer von denen, die Gott nicht dienen wollen, wenn’s ihnen der Teufel befiehlt. Weil wir kommen, Euch einen Dienst zu tun, denkt Ihr, wir sind Raufbolde? Ihr wollt einen Barberhengst über Eure Tochter kommen lassen; Ihr wollt Enkel, die Euch anwiehern, wollt Rennpferde zu Vettern und Zelter zu Neffen haben? –

BRABANTIO

Wer bist du, frecher Läst’rer?

JAGO

Ich bin einer, Herr, der Euch zu melden kommt, daß Eure Tochter und der Mohr jetzt dabei sind, das Tier mit zwei Rücken zu machen.

BRABANTIO

Du bist ein Schurke!

JAGO

     Ihr seid – ein Senator.

BRABANTIO

Du sollst dies büßen; ich kenne dich, Rodrigo.

RODRIGO

Ich will für alles einstehn, doch ich bitt’ Euch,

Ist’s Euer Wunsch und wohlbedächt’ge Weisheit

(Wie’s fast mir scheint), daß Eure schöne Tochter

In dieser späten Stunde dumpfer Nacht

Wird ausgeliefert – besser nicht noch schlechter

Bewacht, als durch ’nen feilen Gondolier –

Den rohen Küssen eines üpp’gen Mohren? –

Wenn Ihr das wißt und einverstanden seid, –

So taten wir Euch groben, frechen Schimpf.

Doch wißt Ihr’s nicht, dann sagt mir Sitt’ und Anstand,

Ihr scheltet uns mit Unrecht. Nimmer glaubt,

Daß, allem Sinn für Höflichkeit entfremdet,

Ich so zum Scherz mit Eurer Würde spielte.

Eu’r Kind, wenn Ihr ihm nicht Erlaubnis gabt –

Ich sag’s noch einmal –, hat sich schwer vergangen,

So Schönheit, Geist, Vermögen auszuliefern

Dem heimatlos unsteten Abenteurer

Von hier und überall. Gleich überzeugt Euch, Herr:

Ist sie im Schlafgemach, ja nur zu Hause,

Laßt auf mich los der Republik Gesetze,

Weil ich Euch so betrog!

BRABANTIO

      Schlagt Feuer! ho!

Gebt mir ’ne Kerze! – Weckt all meine Leute! –

Der Vorfall sieht nicht ungleich einem Traum:

Der Glaube dran droht schon mich zu vernichten.

Licht, sag’ ich, Licht! – (Geht ab)

JAGO

    Lebt wohl! Ich muß Euch lassen,

Es scheint nicht gut, noch heilsam meiner Stelle,

Stellt man als Zeugen mich – und bleib’ ich, so geschieht’s –

Dem Mohren vor: – denn unser Staat, ich weiß es,

Wenn ihn dies gleich etwas verdunkeln wird,

Kann ihn nicht fallen lassen –; denn es fordert

So trift’ger Grund ihn für den Cyperkrieg,

Der jetzt bevorsteht, daß um keinen Preis

Ein andrer von der Fähigkeit sich fände,

Als Führer dieses Zugs; in welcher Rücksicht,

Obgleich ich ihn wie Höllenqualen hasse,

Weil mich die gegenwärt’ge Lage zwingt,

Ich aufziehn muß der Liebe Flagg’ und Zeichen,

Freilich als Zeichen nur. Daß Ihr ihn sicher findet,

Führt jene Suchenden zum »Schützen« hin:

Dort werd’ ich bei ihm sein; und so lebt wohl! (Jago geht ab)

(Brabantio tritt auf mit Dienern und Fackeln)

BRABANTIO

Zu wahr nur ist dies Unglück! Sie ist fort,

Und was mir nachbleibt vom verhaßten Leben,

Ist nichts als Bitterkeit. – Nun sag, Rodrigo,

Wo hast du sie gesehn? – Oh, töricht Kind! –

Der Mohr, sagst du? – Wer möchte Vater sein? –

Wie weißt du, daß sie’s war? – Oh, unerhört

Betrogst du mich! Was sprach sie? – Holt noch Fackeln!

Ruft alle meine Vettern! – Sind sie wohl

Vermählt, was glaubst du? –

RODRIGO

    Nun, ich glaube, ja.

BRABANTIO

O Gott! Wie kam sie fort? O Blutsverrat! –

Väter, hinfort traut euern Töchtern nie

Nach äußerlichem Tun! Gibt’s keinen Zauber,

Der Jugend Unschuld und des Mädchentums

Zu tören? Last Ihr nie von solchen Dingen,

Rodrigo?

RODRIGO

     Ja, Signor, ich las es wohl.

BRABANTIO

Ruft meinen Bruder! – Wär’ sie Euer doch!

Auf welche Art auch immer! Habt Ihr Kundschaft,

Wo wir sie finden mögen mit dem Mohren?

RODRIGO

Ich hoff’ ihn auszuspähn, wenn’s Euch gefällt,

Mit tüchtiger Bedeckung mir zu folgen.

BRABANTIO

Wohl, führt den Zug! Vor jedem Hause ruf’ ich;

Wenn’s gilt, kann ich befehlen. Waffen her!

Und holt ein paar Hauptleute von der Wache!

Voran, Rodrigo! Eure Müh’ vergelt’ ich. (Sie gehen ab)

Zweite Szene

STRASSE

Es treten auf Othello, Jago und Gefolge

JAGO

Im Kriegeshandwerk schlug ich manchen tot;

Doch halt’ ich’s für Gewissenssach’ und Sünde,

Mit Absicht morden; traun, mir fehlt’s an Bosheit,

Und oft zu meinem Schaden. Zwanzig Mal

Dacht’ ich, ihm mit ’nem Rippenstoß zu dienen!

OTHELLO

’S ist besser so.

JAGO

    Doch schwatzt’ er solches Zeug,

Und sprach so schnöd’, und gegen Eure Ehre

So lästerlich,

Daß all mein bißchen Frömmigkeit mich kaum

Im Zügel hielt. Doch sagt mir, werter Herr,

Seid Ihr auch recht vermählt? Denn glaubt mir nur,

Gar sehr beliebt ist der Magnifico,

Und hat was durchzusetzen kräft’ge Stimme,

Vollwichtig wie der Fürst. Er wird Euch scheiden,

Zum mind’sten häuft er Hemmung und Verdruß,

Wie nur das Recht, durch seine Macht geschärft,

Ihm Spielraum gibt.

OTHELLO

    Er mag sein Ärgstes tun:

Der Dienst, den ich geleistet dem Senat,

Schreit seine Klage nieder. Kund soll werden

 – Was, wenn mir kund, daß Prahlen Ehre bringt,

Ich offenbaren will –, daß ich entsproß

Aus königlichem Stamm, und mein Gestirn

Darf ohne Scheu so stolzes Glück ansprechen

Als dies, das ich erreicht. Denn wisse, Jago,

Liebt’ ich die holde Desdemona nicht,

Nie zwäng’ ich meinen sorglos freien Stand

In Band’ und Schranken ein, nicht um die Schätze

Der tiefen See. Doch sieh! Was dort für Lichter?

(Cassio kommt mit Gefolge)

JAGO

Der zorn’ge Vater ist es mit den Freunden –

Geht doch hinein!

OTHELLO

   Ich nicht! man soll mich finden:

Mein Stand und Rang und meine feste Seele,

Laut soll’n sie für mich zeugen! Sind es jene?

JAGO

Beim Janus, nein! –

OTHELLO

Des Herzogs Diener sind es und mein Leutnant. –

 – Sei euch die Nacht gedeihlich, meine Freunde!

Was gibt’s? –

CASSIO

  Der Herzog grüßt Euch, General,

Und fordert, daß Ihr schnell, blitzschnell erscheint

Im Augenblick.

OTHELLO

Was, meint Ihr, ist im Werk? –

CASSIO

Etwas aus Cypern, wenn ich recht vermute;

’S ist ein Geschäft von heißer Eil’: die Flotte

Verschickt’ ein Dutzend Boten nach einander

Noch diesen Abend, die gedrängt sich folgten.

Viel Herrn vom Rat, geweckt und schon versammelt,

Sind jetzt beim Herzog; eifrig sucht man Euch,

Und da man Euch verfehlt in Eurer Wohnung,

Hat der Senat drei Haufen ausgesandt,

Euch zu erspähn.

OTHELLO

    ’S ist gut, daß Ihr mich fandet.

Ein Wort nur lass’ ich hier zurück im Hause,

Und folg’ Euch nach. (Geht ab)

CASSIO

    Fähndrich, was schafft’ er hier? –

JAGO

Nun, eine Landgaleere nahm er heut:

Er macht sein Glück, wenn’s gute Prise wird.

CASSIO

Wie meint Ihr das? –

JAGO

    Er ist vermählt.

CASSIO

       Mit wem? –

(Othello kommt zurück)

JAGO

Ei nun, mit – – kommt Ihr, mein General? –

OTHELLO

Ich bin bereit.

CASSIO

Hier naht ein andrer Trupp, Euch aufzusuchen.

(Brabantio, Rodrigo und Bewaffnete treten auf)

JAGO

Es ist Brabantio – faßt Euch, General! –

Er sinnt auf Böses!

OTHELLO

    Holla! Stellt Euch hier! –

RODRIGO

Signor, es ist der Mohr!

BRABANTIO

     Dieb! Schlagt ihn nieder! –

(Von beiden Seiten werden die Schwerter gezogen)

JAGO

Rodrigo, Ihr? Kommt, Herr! Ich bin für Euch.

OTHELLO

Die blanken Schwerter fort! Sie möchten rosten. –

Das Alter hilft Euch besser, guter Herr,

Als Euer Degen.

BRABANTIO

O schnöder Dieb! Was ward aus meiner Tochter?

Du hast, verdammter Frevler, sie bezaubert;

Denn alles, was Vernunft hegt, will ich fragen,

Wenn nicht ein magisch Band sie hält gefangen,

Ob eine Jungfrau, zart und schön und glücklich,

So abhold der Vermählung, daß sie floh

Den reichen Jünglings-Adel unsrer Stadt –

Ob sie, ein allgemein Gespött zu werden,

Häuslichem Glück entfloh an solches Unholds

Pechschwarze Brust, die Grau’n, nicht Lust erregt?

Die Welt soll richten, ob’s nicht sonnenklar,

Daß du mit Höllenkunst auf sie gewirkt,

Mit Gift und Trank verlockt ihr zartes Alter,

Den Sinn zu schwächen: – untersuchen soll man’s;

Denn glaubhaft ist’s, handgreiflich dem Gedanken.

Drum nehm’ ich dich in Haft und zeihe dich

Als einen Volksbetörer, einen Zaubrer,

Der unerlaubte, böse Künste treibt. –

Legt Hand an ihn, und setzt er sich zur Wehr,

Zwingt ihn, und gölt’s sein Leben!

OTHELLO

       Steht zurück,

Ihr, die für mich Partei nehmt, und ihr andern! –

War Fechten meine Rolle, nun, die wußt’ ich

Auch ohne Stichwort. – Wohin soll ich folgen

Und Eurer Klage stehn?

BRABANTIO

    In Haft; bis Zeit und Form

Im Lauf des graden Rechtsverhörs dich ruft

Zur Antwort.

OTHELLO

   Wie denn nun, wenn ich gehorchte? –

Wie käme das dem Herzog wohl erwünscht,

Des Boten hier an meiner Seite stehn,

Mich wegen dringenden Geschäfts im Staat

Vor ihn zu führen?

GERICHTSDIENER

     So ist’s, ehrwürd’ger Herr:

Der Herzog sitzt zu Rat, und Euer Gnaden

Ward sicher auch bestellt.

BRABANTIO

    Im Rat der Herzog? –

Jetzt um die Mitternacht? – Führt ihn dahin;

Nicht schlecht ist mein Gesuch. Der Herzog selbst,

Und jeglicher, von meinen Amtsgenossen,

Muß fühlen meine Kränkung wie sein eigen:

Denn läßt man solche Untat straflos schalten,

Wird Heid’ und Sklav’ bei uns als Herrscher walten.

(Sie gehen ab)

Dritte Szene

SAAL IM HERZOGLICHEN PALAST

Der Herzog und die Senatoren an einer Tafel sitzend

HERZOG

In diesen Briefen fehlt Zusammenhang,

Der sie beglaubigt.

ERSTER SENATOR

Ja wohl, sie weichen von einander ab;

Mein Schreiben nennt mir hundertsechs Galeeren.

HERZOG

Und meines hundertvierzig.

ZWEITER SENATOR

    Meins, zweihundert.

Doch stimmt die Zahl auch nicht genau zusammen –

Wie insgemein, wenn sie Gerüchte melden,

Der Inhalt abweicht –, doch erwähnen alle

Der türk’schen Flotte, die gen Cypern segelt.

HERZOG

Gewiß, erwägen wir’s, so scheint es glaublich;

Ich will mich nicht im Irrtum sicher schätzen,

Vielmehr den Hauptartikel halt’ ich wahr,

Und Furcht ergreift mich.

MATROSE (draußen)

     Ho! hallo! hallo! –

(Ein Beamter tritt auf, dem ein Matrose folgt)

BEAMTER

Botschaft von den Galeeren!

HERZOG

      Nun? Was gibt’s?

MATROSE

Der Türken Kriegsbewegung geht auf Rhodus;

So ward mir Auftrag, dem Senat zu melden,

Vom Signor Angelo.

HERZOG

Wie dünkt der Wechsel euch? –

ERSTER SENATOR

     So kann’s nicht sein,

Nach keinem Grund und Fug; es ist ’ne Maske,

Den Blick uns fehl zu leiten. Denken wir,

Wie wichtig Cypern für den Türken sei,

Und wiederum, gestehn wir selber ein,

Daß, wie’s dem Türken mehr verlohnt als Rhodus,

Er auch mit leichterm Aufwand sich’s erobert,

Dieweil es nicht so kriegsgerüstet steht

Und aller Wehr und Festigkeit entbehrt,

Mit der sich Rhodus schirmt: wer dies erwägt,

Der wird den Türken nicht so töricht achten,

Das Nächstgelegne bis zuletzt zu sparen

Und, leichten Vorteil und Gewinn versäumend,

Nutzlos Gefahr zum Kampfe sich zu wecken.

HERZOG

Ja, seid gewiß, er denkt an Rhodus nicht.

BEAMTER

Seht! Neue Botschaft! – (Ein Bote tritt auf)

BOTE

Die Ottomanen, weise, gnäd’ge Herrn,

In gradem Lauf zur Insel Rhodus steuernd,

Vereinten dort sich mit der Nebenflotte.

ERSTER SENATOR

Nun ja, so dacht’ ich mir’s; – wie stark an Zahl?

BOTE

An dreißig Segel; und jetzt wenden sie

Rücklaufend ihren Lauf, und ohne Hehl

Gilt ihre Absicht Cypern. Herr Montano,

Eu’r sehr getreuer und beherzter Diener,

Entbeut, mit seiner Pflicht, Euch diese Nachricht,

Und hofft, Ihr schenkt ihm Glauben.

HERZOG

Nach Cypern dann gewiß. –

Marcus Lucchese, ist er in Venedig? –

ERSTER SENATOR

Er reiste nach Florenz.

HERZOG

Schreibt ihm von uns; schnell, windschnell komm’ er; eilt!

ERSTER SENATOR

Hier kommt Brabantio und der tapfre Mohr.

(Brabantio, Othello, Jago, Rodrigo und Gerichtsdiener treten auf)

HERZOG

Tapfrer Othello, Ihr müßt gleich ins Feld

Wider den allgemeinen Feind, den Türken. –

(zu Brabantio) Ich sah Euch nicht; willkommen, edler Herr!

Uns fehlt’ Eu’r Rat und Beistand diese Nacht.

BRABANTIO

Und Eurer mir, mein güt’ger Fürst, verzeiht mir!

Nicht Amtsberuf noch Nachricht von Geschäften

Trieb mich vom Bett; nicht allgemeine Sorge

Erfüllt mich jetzt: denn mein besondrer Gram

Gleich einer Springflut strömt so wild dahin,

Daß er verschluckt und einschlingt jede Sorge,

Nur seiner sich bewußt.

HERZOG

    Nun, was geschah? –

BRABANTIO

O Tochter! Tochter!

ERSTER SENATOR

   Starb sie? –

BRABANTIO

      Ja, für mich.

Sie ist beschimpft, entführt mir und verderbt

Durch Hexenkünste und Quacksalbertränke;

Denn daß Natur so widersinnig irre,

Da sie nicht stumpf, noch blind, noch blöden Sinns,

Geschah nicht ohne Zauberkraft. –

HERZOG

Wer es auch sei, der auf so schnödem Wege

So Eure Tochter um sich selbst betrog,

Und Euch um sie, – das blut’ge Buch des Rechts,

Ihr sollt es selbst in herbster Strenge deuten,

Nach eignem Sinn, und wär’ es unser Sohn,

Den Eure Klage trifft.

BRABANTIO

    Ich dank’ in Demut!

Hier dieser ist’s, der Mohr, den jetzt, so scheint’s,

Eu’r dringendes Gebot im Dienst des Staats

Hieher berief.

ALLE

    Das tut uns herzlich leid.

HERZOG (zu Othello)

Was, Eurerseits, vermögt Ihr zu erwidern? –

BRABANTIO

Nichts, als daß dies die Wahrheit.

OTHELLO

Ehrwürd’ger, mächt’ger und erlauchter Rat,

Sehr edle, wohlerprobte, gute Herrn, –

Daß ich dem alten Mann die Tochter nahm,

Ist völlig wahr; wahr, sie ist mir vermählt.

Der Tatbestand und Umfang meiner Schuld

Reicht so weit, weiter nicht. Ich bin von rauhem Wort,

Und schlecht begabt mit milder Friedensrede.

Seit siebenjähr’ge Kraft mein Arm gewann,

Bis vor neun Monden etwa, übt’ er stets

Nur Kriegestat im Felde wie im Lager;

Und wenig lernt’ ich von dem Lauf der Welt,

Als was zum Streit gehört und Werk der Schlacht;

Drum wenig Schmuck wohl leih’ ich meiner Sache,

Red’ ich für mich. Dennoch, mit eurer Gunst,

Erzähl’ ich schlicht und ungefärbt den Hergang

Von meiner Liebe; was für Tränk’ und Künste,

Was für Beschwörung, welches Zaubers Kraft

 – Denn solcher Mittel steh’ ich angeklagt –

Die Jungfrau mir gewann.

BRABANTIO