Outlander - Der Ruf der Trommel - Diana Gabaldon - E-Book
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Outlander - Der Ruf der Trommel E-Book

Diana Gabaldon

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Beschreibung

In "Der Ruf der Trommel", dem vierten Band von Diana Gabaldons opulenter Zeitreise-Saga "Outlander" bietet die internationale Bestseller-Autorin wieder alles, was man von einem ihrer mitreißenden Schmöker erwartet: Abenteuer, Leidenschaft, Romantik und Spannung. Die leidenschaftliche Liebes-Geschichte von Diana Gabaldons zentralem Liebes-Paar Clare und Jamie Fraser findet hier ihre spannende Fortsetzung vor der malerisch-wilden Kulisse North Carolinas im 18. Jahrhundert: Nach einer langen und abenteuerlichen Reise über den Atlantik erreichen Claire und Jamie Fraser im Jahr 1767 die amerikanischen Kolonien. Doch nach einem Schiffsunglück stehen sie mit leeren Händen da. Weil Jamie sich nicht in die Abhängigkeit von seiner verwitweten Tante Jocasta begeben will, nimmt er das Angebot des Gouverneurs William Tryon an: Gegen das Versprechen, im Falle eines Aufstands Soldaten für die Krone zu stellen, erhält Jamie Siedlungsland in North Carolina. So ziehen er und Claire zusammen in die Wildnis und bauen dort die Siedlung Fraser's Ridge auf. Doch Claire fürchtet den Moment, in dem William Tryon die Einlösung des Versprechens einfordern wird … "Es kann nur eine geben – Diana Gabaldon ist die Mutter aller Highlander!" Brigitte Alle Bände der "Outlander"-Reihe von Diana Gabaldon: • »Outlander« • »Outlander - Die geliehene Zeit« • »Outlander - Ferne Ufer« • »Outlander - Der Ruf der Trommel« • »Outlander - Das flammende Kreuz« • »Outlander - Ein Hauch von Schnee und Asche« • »Outlander - Echo der Hoffnung« • »Outlander - Ein Schatten von Verrat und Liebe«

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Seitenzahl: 2160

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Diana Gabaldon

Outlander – Der Ruf der Trommel

Roman

Aus dem Amerikanischen von Barbara Schnell

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Nach einer langen und abenteuerlichen Reise über den Atlantik erreichen Claire und Jamie Fraser im Jahr 1767 die amerikanischen Kolonien. Doch nach einem Schiffsunglück stehen sie mit leeren Händen da. Weil Jamie sich nicht in die Abhängigkeit von seiner verwitweten Tante Jocasta begeben will, nimmt er das Angebot des Gouverneurs William Tryon an: Gegen das Versprechen, im Falle eines Aufstands Soldaten für die Krone zu stellen, erhält Jamie Siedlungsland in North Carolina. So ziehen er und Claire zusammen in die Wildnis und bauen dort die Siedlung Fraser’s Ridge auf. Doch Claire fürchtet den Moment, an dem William Tryon die Einlösung des Versprechens einfordern wird …

Inhaltsübersicht

Widmung

Prolog

Erster Teil

Eine Hinrichtung in Eden

In welchem Kapitel wir einem Geist begegnen

Zweiter Teil

Pastors Katze

Das Präteritum schlägt zurück

Gestern in zweihundert Jahren

Dritter Teil

Begegnung mit einer Hernie

Große Pläne mit kleinen Haken

Ein Mann von Wert

Der Zweidrittelgeist

Vierter Teil

Jocasta

Das Gesetz des Blutvergießens

Die Rückkehr desJohn Quincy Myers

Eine Gewissensprüfung

Fünfter Teil

Flieht vor dem kommenden Unheil

Edle Wilde

Der erste Hauptsatz der Thermodynamik

Sechster Teil

Schöne Feiertage

Unziemliche Lust

Siebter Teil

Segne dieses Haus

Der weiße Rabe

Nacht auf dem verschneiten Berg

Ein Funke von einer uralten Flamme

Der Schädel unter der Haut

Die große Kunst desLiebesbriefs

Auftritt:Eine Schlange

Pest und Cholera

Aus der Mitte entspringtein Fluss

Erhitzte Gespräche

Die Beinhäuser

Achter Teil

Spurlos

Rückkehr nach Inverness

Grimoire

Mittsommernacht

Lallybroch

Bon Voyage

Es gibt kein Zurück

Gloriana

Und schütz uns in der Not auf See

Der Spieler

Neunter Teil

Das Jungfrauenopfer

Der Reise End’

Zehnter Teil

Mondschein

Whisky in the Jar

Unterhaltung um drei Ecken

Fifty-fifty

Kommt ein Fremder

Eines Vaters Wiegenlied

Fern in einer Krippe

Wer die Wahl hat …

In welchem Kapitel alles ans Licht kommt

Elfter Teil

Verraten

Allein gelassen

Vorwurfsvoll

Gefangen I

Gefangen II

Bekenntnisse des Leibes

Das zersplitterte Lächeln

Lord John kehrt zurück

Erpressung

Die Feuerprobe

Das Amt eines Priesters

Der Dreidrittelgeist

Zwölfter Teil

Vergebung

Alle neune

Rückkehr nach Fraser’s Ridge

Ein Kind von meinem Fleisch und Blut

Zwei Seiten einer Medaille

Familienidylle

Jeremiah

Gathering

Der Kreis ist geschlossen

Danksagung

Leseprobe »Outlander«

Es hat sich so ergeben, dass dieses Buch

eine Menge mit Vätern zu tun hat,

daher ist es für meinen Vater, Tony Gabaldon,

der auch gern Geschichten erzählt.

Prolog

Ich habe mich noch nie vor Gespenstern gefürchtet. Schließlich lebe ich tagaus, tagein mit ihnen. Wenn ich in den Spiegel sehe, blicken mich die Augen meiner Mutter an, und mein Mund kräuselt sich zu dem Lächeln, das meinen Urgroßvater zu dem Schicksal verlockte, aus dem ich wurde.

Nein, wie könnte ich die Berührung dieser vergangenen Hände fürchten, die sich unerkannt in Liebe auf mich legen? Wie könnte ich jene fürchten, die mich geformt, ihre Spuren weit über das Grab hinaus hinterlassen haben?

Noch weniger ängstigen mich die Geister, die im Vorübergehen an meine Gedanken rühren. Jede Bibliothek ist voll von ihnen. Ich nehme ein Buch aus einem verstaubten Regal, und die Gedanken eines Toten suchen mich heim, lebendig wie eh und je in ihrem Leichentuch aus Worten.

Natürlich sind es nicht diese vertrauten Geister des Alltags, die den Schlafenden stören und den Wachenden eiskalt durchfahren. Sieh hinter dich, nimm eine Fackel und leuchte in die dunklen Winkel. Hör auf das Echo der Schritte, das hinter dir erklingt, wenn du allein unterwegs bist.

Unablässig huschen die Geister um uns und durch uns und verbergen sich in der Zukunft. Wir blicken in den Spiegel und sehen die Schatten anderer Gesichter durch die Jahre zurückblicken, wir sehen die Gestalt der Erinnerung, die greifbar in einem verlassenen Durchgang steht. Aus Blutsbanden und freier Wahl erschaffen wir unsere Geister: Wir suchen uns selber heim.

Der Geist taucht immer ungebeten aus dem nebligen Reich der Träume und der Stille auf.

Unser Verstand sagt: »Nein, das ist unmöglich.«

Doch ein anderer Teil, ein älterer Teil klingt stets leise im Dunkel mit: »Ja, aber es könnte sein.«

Unser Ursprung und Ziel sind ein Rätsel, und dazwischen versuchen wir zu vergessen. Doch ab und zu weht in einem stillen Zimmer ein Luftzug mit sanfter Zuneigung durch mein Haar. Ich glaube, es ist meine Mutter.

Erster Teil

O schöne neue Welt

   

Kapitel 1

Eine Hinrichtung in Eden

Charleston Juni 1767

Ich hörte die Trommeln, lange bevor sie in Sichtweite kamen. Die Schläge hallten in meiner Magengrube wider, als wäre ich selber hohl. Der Klang breitete sich in der Menge aus, ein harter, militärischer Rhythmus, der dazu gedacht war, jedes Gespräch und selbst Schüsse zu übertönen. Ich sah, wie sich die Köpfe umwandten, während die Menschen verstummten und jenen Abschnitt der East Bay Street entlangblickten, der den Rohbau des neuen Zollhauses mit den White Point Gardens verband.

Es war ein heißer Tag, sogar für Charleston im Juni. Die besten Plätze waren auf dem Hafendamm, wo wenigstens ein Luftzug wehte; hier unten war es, als würde man lebendig gegrillt. Mein Hemd war durchnässt, und das Baumwollmieder klebte mir zwischen den Brüsten. Zum zehnten Mal in ebenso vielen Minuten wischte ich mir über das Gesicht und hob meinen schweren Haarknoten in der vergeblichen Hoffnung, dass ein Luftzug mir den Hals kühlen würde.

Überhaupt fielen mir im Moment makabererweise Hälse besonders auf. Unauffällig legte ich die Hand an meine Kehle und umspannte sie mit den Fingern. Ich konnte spüren, wie der Puls meiner Halsschlagadern im Takt mit den Trommeln schlug, und beim Atmen verstopfte mir die heiße, feuchte Luft die Kehle, als wäre ich selber dem Ersticken nahe.

Ich zog hastig meine Hand weg und holte Luft, so tief ich konnte. Das war ein Fehler. Der Mann vor mir hatte seit mindestens einem Monat nicht mehr gebadet. Der Rand seiner Halsbinde stand vor Dreck, und seine Kleider rochen säuerlich und muffig und überdeckten sogar den Schweißgeruch der Menge. Aus den Buden, an denen Essbares verkauft wurde, drang der Geruch von heißem Brot und siedendem Schweinefett und vermischte sich mit dem Moder verfaulenden Seegrases, der aus der Marsch herüberwehte und durch einen salzigen Luftzug vom Hafen her kaum gemildert wurde.

Vor mir reckten ein paar Kinder gaffend die Hälse. Sie rannten zwischen den Eichen und Fächerpalmen hervor, um einen Blick auf die Straße zu werfen, und wurden von ihren besorgten Eltern wieder zurückgerufen. Der Hals des Mädchens neben mir erinnerte an den weißen Teil eines Grashalmes, schlank und glänzend.

Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Menge: Die Galgenprozession kam am anderen Ende der Straße in Sicht. Die Trommeln wurden lauter.

»Wo ist er?«, murmelte Fergus neben mir und reckte ebenfalls den Hals, um etwas zu sehen. »Ich wusste doch, dass ich besser mit ihm gegangen wäre.«

»Er kommt schon noch.« Ich hätte mich am liebsten auf die Zehenspitzen gestellt, ließ es aber bleiben, weil ich es als unpassend empfand. Dennoch blickte ich mich suchend um. Ich konnte Jamie in jeder Menschenmenge ausmachen, denn sein Kopf und seine Schultern überragten die meisten Männer, und in seinem Haar fing sich das Licht in einer rotgoldenen Flamme. Er war noch nicht zu sehen, nur das Meer wogender Hauben und Dreispitze, mit denen sich jene Bürger vor der Hitze schützten, die zu spät gekommen waren, um noch einen Platz im Schatten zu ergattern.

Zuerst kamen die Flaggen. Über den Köpfen der aufgeregten Menge wehten die Banner von Großbritannien und der Kronkolonie South Carolina. Und ein weiteres, das das Wappen des Gouverneurs der Kolonie trug.

Dann kamen die Trommler, in Zweierreihen und im Gleichschritt, und ihre Stöcke wechselten zwischen Schlägen und Wirbeln ab. Es war ein langsamer Marsch, grimmig und unerbittlich. Totenmarsch, so glaubte ich, nannte man diese spezielle Kadenz; sehr passend unter diesen Umständen. Alle anderen Geräusche ertranken im Trommelwirbel.

Dann kam der Zug der rotberockten Soldaten, und in ihrer Mitte die Gefangenen.

Sie waren zu dritt. Man hatte ihnen die Hände vor den Bauch gebunden und sie mit einer Kette aneinandergefesselt, die durch Ringe an ihren Halseisen lief. Der Erste war ein kleiner, älterer Mann, zerlumpt und verlottert, ein verfallenes Wrack, und er torkelte und stolperte so sehr, dass sich der dunkel gewandete Geistliche an seiner Seite gezwungen sah, ihn beim Arm zu nehmen, damit er nicht hinfiel.

»Ist das Gavin Hayes? Er sieht schlecht aus«, murmelte ich Fergus zu.

»Er ist betrunken.« Die leise Stimme erklang hinter mir, und ich wirbelte herum. Jamie stand genau hinter mir und hatte die Augen auf die klägliche Prozession gerichtet.

Die Gleichgewichtsstörungen des kleinen Mannes behinderten die Prozession, denn sein Torkeln zwang die beiden an ihn geketteten Männer zu abrupten Kurswechseln, wenn sie auf den Füßen bleiben wollten. Sie erinnerten an drei Betrunkene auf dem Nachhauseweg von der Dorfkneipe, was in drastischem Kontrast zum Ernst der Lage stand. Über die Trommeln hinweg hörte ich Gelächter aufbrausen, und von den schmiedeeisernen Balkonen der East Bay Street erschollen Anfeuerungsrufe.

»Warst du das?« Ich sprach leise, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, aber ich hätte auch schreien und mit den Armen rudern können; niemand hatte Augen für irgend etwas anderes als die Szene vor uns.

Ich spürte Jamies Schulterzucken mehr, als dass ich es sah, während er einen Schritt vortrat und sich neben mich stellte.

»Er hat mich darum gebeten«, sagte er. »Es war alles, was ich für ihn tun konnte.«

»Brandy oder Whisky?« fragte Fergus, der Hayes’ Erscheinung mit Kennerblick begutachtete.

»Der Mann ist ein Schotte, mein lieber Fergus.« Jamies Stimme war so ruhig wie sein Gesicht, doch ich hörte die leise Anspannung darin. »Er wollte Whisky.«

»Gute Wahl. Mit etwas Glück wird er es nicht einmal merken, wenn sie ihn hängen«, murmelte Fergus. Der kleine Mann war dem Griff des Priesters entschlüpft, auf der sandigen Straße mitten aufs Gesicht gefallen und hatte dabei einen seiner Mitgefangenen auf die Knie heruntergezogen. Der dritte Gefangene, ein hochgewachsener junger Mann, blieb auf den Füßen, schwankte aber wild hin und her, während er mit aller Kraft versuchte, die Balance zu halten. Die Menge auf dem Platz brüllte vor Schadenfreude.

Der Hauptmann der Wache glühte zwischen seiner weißen Perücke und seinem Kragen vor Wut mindestens genauso feuerrot wie von der Sonne. Er bellte einen Befehl, die Trommeln setzten ihr finsteres Rollen fort, und ein Soldat bemühte sich hastig, die Kette zu entfernen, die die Gefangenen aneinanderfesselte. Hayes wurde ohne Umschweife auf die Füße gerissen, an beiden Armen von einem Soldaten ergriffen, und die Prozession nahm ihren Weg wieder auf, diesmal in besserer Ordnung.

Das Gelächter verstummte, als sie das Schafott erreichten, einen von Maultieren gezogenen Karren unter den Ästen einer riesigen Eiche. Ich spürte das Schlagen der Trommeln durch meine Fußsohlen. Mir war ein bisschen schlecht von der Sonne und den Gerüchen. Das Trommeln endete abrupt, und die Stille summte in meinen Ohren.

»Du musst es dir nicht ansehen, Sassenach«, flüsterte Jamie mir zu. »Geh zurück zum Wagen.« Seine Augen waren fest auf Hayes gerichtet, der murmelnd im Griff der Soldaten schwankte und sich trübäugig umschaute.

Zusehen war das Letzte, was ich wollte. Aber ich konnte Jamie auch nicht dabei im Stich lassen. Er war wegen Gavin Hayes gekommen; ich war seinetwegen gekommen. Ich berührte seine Hand.

»Ich bleibe hier.«

Jamie richtete sich höher auf. Er trat einen Schritt vor und sorgte so dafür, dass er in der Menge gut sichtbar war. Falls Hayes noch nüchtern genug war, um irgendetwas zu sehen, dann wäre das Letzte, was er auf dieser Welt sah, das Gesicht eines Freundes.

Er konnte sehen – Hayes stierte hierhin und dorthin, als sie ihn auf den Karren hoben, und reckte verzweifelnd suchend den Hals.

»Gabhainn! A charaid!«, rief Jamie plötzlich. Hayes’ Blick fand ihn sofort, und er mühte sich nicht länger ab.

Der kleine Mann stand leicht schwankend da, als die Anklage verlesen wurde: Diebstahl in Höhe von sechs Pfund, zehn Schillingen. Er war mit rötlichem Staub bedeckt, und Schweißperlen hingen zitternd in seinen grauen Bartstoppeln. Der Priester beugte sich dicht zu ihm herüber und murmelte drängend in sein Ohr.

Dann setzten die Trommeln in einem gleichmäßigen Wirbel wieder ein. Der Henker führte die Schlinge über den fast kahlen Kopf und zog sie fest. Den Knoten positionierte er präzise unter dem Ohr. Der Hauptmann der Wache stand mit erhobenem Säbel in Habtachtstellung.

Plötzlich richtete sich der Verurteilte zu voller Höhe auf. Den Blick auf Jamie gerichtet, öffnete er den Mund, als wollte er etwas sagen.

Der Säbel blitzte in der Morgensonne, und das Trommeln endete mit einem letzten, abgehackten Schlag.

Ich sah Jamie an. Er war kalkweiß und starrte ins Leere. Aus dem Augenwinkel sah ich das ruckende Seil und das schwache, unwillkürliche Zucken des baumelnden Kleiderbündels. Ein scharfer Geruch nach Urin und Fäkalien durchschnitt die dicke Luft.

Neben mir beobachtete Fergus gelassen das Geschehen. »Dann hat er es wohl doch gemerkt«, murmelte er mit Bedauern.

 

Die Leiche schwang sacht, ein totes Gewicht, das wie ein Senkblei an seiner Schnur baumelte. Aus der Menge erklang ein Seufzer der Verschüchterung und Erleichterung. Seeschwalben kreischten am brennenden Himmel, und entfernte Hafengeräusche durchdrangen gedämpft die schwere Luft, doch der Platz war in Schweigen gehüllt. Von meinem Platz aus konnte ich das leise Plitsch, Platsch, Plitsch der Tropfen hören, die vom Zeh der baumelnden Leiche fielen.

Ich hatte Gavin Hayes nicht gekannt, und sein Tod ging mir nicht persönlich nahe, doch ich war froh, dass es schnell gegangen war. Ich warf einen verstohlenen Blick auf ihn und fühlte mich wie ein Störenfried. Es war eine höchst öffentliche Art, einen ganz privaten Akt zu vollbringen, und es machte mich verlegen, ihn anzusehen.

Der Henker hatte seine Sache gut gemacht: Es hatte kein entwürdigendes Gezappel gegeben, keine vorquellenden Augen, keine heraushängende Zunge. Gavins kleiner, runder Kopf war scharf zur Seite geknickt, sein Hals war grotesk in die Länge gezogen, doch sein Genick war glatt gebrochen.

Jemand anders dagegen war derweil ausgebrochen. Nachdem er sich von Hayes’ Tod überzeugt hatte, gab der Hauptmann der Wache mit seinem Säbel das Signal, den nächsten Mann zum Galgen zu bringen. Ich sah, wie seine Augen an der rotberockten Kolonne entlangschweiften und sich dann vor Entrüstung weiteten.

Im selben Moment erscholl ein Schrei aus der Menge, und eine Welle der Aufregung breitete sich aus. Köpfe drehten sich, und die Zuschauer drängten gegeneinander, um etwas zu sehen, wo es nichts zu sehen gab.

»Weg ist er!«

»Da ist er!«

»Haltet ihn!«

Es war der dritte Gefangene, der hochgewachsene junge Mann, der den Augenblick von Gavins Tod dazu benutzt hatte, um sein Leben zu rennen. Er hatte sich an der Wache vorbeigeschlichen, die auf ihn hätte aufpassen sollen, sich aber der Faszination des Galgens nicht hatte entziehen können.

Ich sah eine kurze Bewegung hinter einer Bude, ein Aufblitzen ungewaschener, blonder Haare. Einige der Soldaten sahen es ebenfalls und liefen dorthin, doch viele hasteten auch in andere Richtungen, und in der allgemeinen Verwirrung erreichten sie gar nichts.

Der Hauptmann der Wache brüllte mit hochrotem Gesicht, doch seine Stimme war in dem Aufruhr kaum zu hören. Der letzte Gefangene, der ein verblüfftes Gesicht machte, wurde ergriffen und zum Quartier der Wache zurückverfrachtet, während die Rotröcke hastig begannen, unter der peitschenden Stimme ihres Hauptmanns ordentliche Aufstellung einzunehmen.

Jamie schlang seinen Arm um meine Taille und brachte mich vor einer anrollenden Woge von Menschen in Sicherheit. Soldatentrupps rückten an, formierten sich und marschierten schnellen Schrittes davon, um die Umgebung unter dem grimmigen und zornbebenden Kommando ihres Sergeanten zu durchkämmen, und die Menge wich vor ihnen zurück.

»Wir sollten Ian suchen«, sagte Jamie, während er eine Gruppe aufgeregter Lehrjungen verscheuchte. Er sah Fergus an und deutete auf den Galgen und seine traurige Bürde. »Sag, dass wir die Leiche haben wollen, aye? Wir treffen uns nachher im Willow Tree.«

»Meinst du, sie kriegen ihn?«, fragte ich, während wir uns durch das abflauende Gedränge schoben und durch eine kopfsteingepflasterte Gasse zu den Lagerhäusern der Handelsleute gingen.

»Ich denke schon. Wo sollte er denn hin?« Er klang abwesend, und ich sah eine dünne Linie zwischen seinen Augenbrauen. Seine Gedanken waren ganz offensichtlich noch bei dem Toten, und er hatte für die Lebenden nicht viel Aufmerksamkeit übrig.

»Hatte Hayes irgendwelche Verwandten?«, fragte ich. Er schüttelte den Kopf.

»Das habe ich ihn auch gefragt, als ich ihm den Whisky brachte. Er meinte, einer seiner Brüder könnte noch leben, hatte aber keine Ahnung, wo. Der Bruder war kurz nach dem Aufstand deportiert worden – nach Virginia, meinte Hayes, hat aber seitdem nie wieder von ihm gehört.«

Kein Wunder – ein Zwangsarbeiter hätte keine Möglichkeit gehabt, mit seinen Verwandten in Schottland in Verbindung zu treten, es sei denn, sein Herr war so großzügig, für ihn einen Brief dorthin zu schicken. Und großzügig oder nicht, es war unwahrscheinlich, dass ein solcher Brief Gavin Hayes erreicht hätte, denn er hatte zehn Jahre im Gefängnis von Ardsmuir verbracht, bevor er ebenfalls deportiert wurde.

»Duncan!«, rief Jamie, und ein hochgewachsener, dünner Mann drehte sich um und hob als Erwiderung seine Hand. Er wand sich durch die Menge, wobei er sich die Leute vom Leib hielt, indem er seinen Arm in weitem Bogen schwang.

»Mac Dubh«, sagte er und begrüßte Jamie mit einem Kopfnicken. »Mrs. Claire.« Sein langes, schmales Gesicht war von Traurigkeit durchfurcht. Auch er hatte als Gefangener in Ardsmuir gesessen, zusammen mit Hayes und Jamie. Nur die Tatsache, dass er seinen Arm durch eine Blutvergiftung verloren hatte, hatte verhindert, dass er mit den anderen deportiert wurde. Da man ihn nicht als Arbeiter verkaufen konnte, hatte man ihn begnadigt und dem Hunger überlassen – bis Jamie ihn gefunden hatte.

»Möge der arme Gavin in Frieden ruhen«, sagte Duncan und schüttelte leidvoll den Kopf.

Jamie murmelte eine Antwort auf Gälisch und bekreuzigte sich. Dann richtete er sich auf und schüttelte mit sichtbarer Anstrengung die bedrückende Atmosphäre ab.

»Aye, gut. Ich muss zu den Docks gehen und Ians Überfahrt arrangieren, und dann können wir uns um Gavins Begräbnis kümmern. Aber erst muss ich den Jungen unterbringen.«

Wir kämpften uns durch das Gewühl zu den Docks voran, zwängten uns zwischen Grüppchen aufgeregter Klatschmäuler hindurch und wichen den Fuhrwerken und Handkarren aus, die mit dem behäbigen Gleichmut von Handel und Wandel durchs Gedränge fuhren.

Eine Reihe rotberockter Soldaten kam im Laufschritt vom anderen Ende des Kais und zerteilte die Menge, wie wenn man Essig auf Mayonnaise träufelt. Die Sonne glänzte heiß auf ihren Bayonettspitzen, und der Rhythmus ihres Trotts klang im Lärmen der Menge wie eine gedämpfte Trommel. Sogar die rumpelnden Gespanne und Karren hielten abrupt an, um sie vorbeizulassen.

»Pass auf deine Tasche auf, Sassenach«, murmelte Jamie mir ins Ohr und schob mich durch die enge Lücke zwischen einem Turban tragenden Sklaven, der zwei kleine Kinder umklammert hielt, und einem Straßenprediger, der auf einer Kiste thronte. Er schrie Sodom und Gomorrha, aber bei dem Lärm konnte man nur jedes dritte Wort verstehen.

»Ich habe sie zugenäht«, sagte ich und griff trotzdem nach dem kleinen Gewicht, das an meinem Oberschenkel baumelte. »Was ist mit deiner?«

Er grinste und schob seinen Hut hoch. Seine dunkelblauen Augen blinzelten in das gleißende Sonnenlicht.

»Die ist da, wo ich den Sporran tragen würde, wenn ich einen hätte. Solange mir keine Hure mit langen Fingern begegnet, kann mir nichts passieren.«

Ich blickte auf die leicht ausgebeulte Vorderseite seiner Kniehose und sah dann zu ihm hoch. Er war breitschultrig und hochgewachsen, und mit seinen ausgeprägten, kühnen Gesichtszügen und der stolzen Haltung des Highlanders zog er die Blicke aller Frauen auf sich, an denen er vorbeiging – und das, obwohl sein leuchtendes Haar unter einem nüchternen blauen Dreispitz verborgen war. Die Kniehose war eine Leihgabe und viel zu eng, was den allgemeinen Effekt nicht im Geringsten minderte – und verstärkt wurde er noch dadurch, dass er selbst sich dessen nicht bewusst war.

»Du bist eine wandelnde Einladung für Huren«, sagte ich. »Bleib in meiner Nähe, ich beschütze dich.«

Er lachte und nahm mich beim Arm, als wir auf einen kleinen, freien Platz hinaustraten.

»Ian!«, rief er, als er seinen Neffen über die Köpfe der Menschenmenge hinweg erblickte. Einen Augenblick später tauchte ein hochgewachsener, sehniger Bauernlümmel aus der Menge auf, schob sich ein braunes Haarbüschel aus den Augen und grinste breit.

»Ich dachte schon, ich würd dich nie finden, Onkel Jamie!«, rief er aus. »Himmel, hier gibt’s ja mehr Leute als am Lawnmarket in Edinburgh!« Er wischte sich mit dem Hemdsärmel über sein langes, unscheinbares Gesicht und hinterließ einen Schmutzstreifen auf der einen Wange.

Jamie beäugte seinen Neffen misstrauisch.

»Dein Frohsinn scheint mir ein bisschen fehl am Platz, Ian, wenn man bedenkt, dass du gerade einen Mann hast sterben sehen.«

Ian änderte hastig seine Miene und bemühte sich, den angemessenen Ernst an den Tag zu legen.

»O nein, Onkel Jamie«, sagte er. »Ich war nicht bei der Hinrichtung.« Duncan zog eine Augenbraue hoch, und Ian errötete leicht. »Ich – ich hatte keine Angst zuzuschauen, aber es war so, ich … hatte etwas anderes vor.«

Jamie zeigte die Spur eines Lächelns und klopfte seinem Neffen auf den Rücken.

»Mach dir keine Sorgen, Ian, ich wäre lieber auch nicht dabei gewesen, aber Gavin war nun mal mein Freund.«

»Das weiß ich, Onkel Jamie. Tut mir leid.« Mitgefühl blitzte in den braunen Augen des Jungen auf, das Einzige in seinem Gesicht, was man mit Fug und Recht schön nennen konnte. Er sah mich an. »War es schlimm, Tante Claire?«

»Ja«, sagte ich. »Aber es ist vorbei.« Ich zog mir das feuchte Taschentuch aus dem Ausschnitt und stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihm den Flecken von der Wange zu wischen.

Duncan Innes schüttelte traurig den Kopf. »Aye, armer Gavin. Aber immer noch ein schnellerer Tod als Verhungern, und etwas anderes wäre ihm kaum übriggeblieben.«

»Lasst uns gehen«, unterbrach Jamie, dem der Sinn nicht nach nutzlosem Lamentieren stand. »Die Bonnie Mary dürfte fast am anderen Ende des Kais liegen.« Ich sah, wie Ian Jamie einen Blick zuwarf und sich aufrichtete, als wollte er etwas sagen, doch Jamie hatte sich schon zum Hafen umgedreht und schob sich durch das Gedränge. Ian sah mich an, zuckte die Achseln und bot mir seinen Arm.

Wir folgten Jamie an den Lagerhäusern vorbei, die die Docks säumten, und wichen dabei Matrosen, Trägern, Sklaven, Passagieren, Käufern und Verkäufern aller Art aus.

Charleston war ein bedeutender Hafen, und das Geschäft blühte. In einer Saison sah man dort bis zu hundert Schiffe, die aus Europa eintrafen oder dorthin aufbrachen.

Die Bonnie Mary gehörte einem Freund von Jamies Vetter Jared, der nach Frankreich emigriert war, um sich dort als Weinhändler zu versuchen, und ein Vermögen verdient hatte. Mit etwas Glück konnte man vielleicht den Kapitän der Bonnie Mary überreden, Ian um Jareds willen mit zurück nach Edinburgh zu nehmen, wenn er dafür als Schiffsjunge arbeitete.

Ian war von dieser Aussicht nicht begeistert, aber Jamie war fest entschlossen, seinen auf Abwege geratenen Neffen bei nächster Gelegenheit nach Schottland zurückzubefördern. Es war unter anderem die Nachricht gewesen, dass die Bonnie Mary in Charleston lag, die uns von Georgia hierhergeführt hatte. Dort hatten wir zwei Monate zuvor – zufällig – zum ersten Mal amerikanischen Boden betreten.

Wir kamen an einem Wirtshaus vorbei, und gerade in diesem Moment trat eine schmuddelige Dienstmagd mit einer Schüssel Küchenabfälle nach draußen. Sie erblickte Jamie und hielt inne, setzte die Schüssel auf ihrer Hüfte ab, sah ihn von der Seite an und lächelte ihn mit einem Schmollmund an. Er ging zielstrebig weiter, ohne ihr auch nur einen Blick zu gönnen. Sie warf den Kopf zurück, schüttete dem Schwein, das neben der Schwelle schlief, die Essensreste hin und rauschte wieder hinein.

Er blieb stehen und hielt sich die Hand über die Augen, um an der Reihe der hoch aufragenden Schiffsmasten entlangzusehen. Ich stellte mich neben ihn. Er zupfte unwillkürlich an der Vorderseite seiner engen Kniehose, und ich ergriff seinen Arm.

»Familienjuwelen noch in Sicherheit?«, murmelte ich.

»Unbequem, aber in Sicherheit«, versicherte er mir. Er rupfte an den Schnüren seines Hosenschlitzes und zog eine Grimasse. »Hätte sie mir aber doch besser in den Hintern gesteckt, glaube ich.«

»Lieber du als ich«, sagte ich lächelnd. »Da riskiere ich es doch lieber, ausgeraubt zu werden.«

Bei den Familienjuwelen handelte es sich tatsächlich um Edelsteine. Ein Hurrikan hatte uns an die Küste von Georgia getrieben, wo wir durchnässt, zerlumpt und mittellos gestrandet waren – bis auf eine Handvoll großer, wertvoller Edelsteine.

Ich hoffte, dass der Kapitän der Bonnie Mary Jared Fraser genügend schätzte, um Ian als Schiffsjungen zu nehmen, denn sonst würde uns die Überfahrt in Schwierigkeiten bringen.

Theoretisch enthielten Jamies und meine Taschen ein beträchtliches Vermögen. Praktisch nutzten uns die Steine nicht mehr als Strandkiesel. Edelsteine waren zwar eine gute Lösung, wenn man Reichtum transportieren wollte, doch war es ein Problem, sie wieder zu Geld zu machen.

Die meisten Geschäfte in den südlichen Kolonien liefen über Tauschhandel ab, und der Rest funktionierte entweder über Interimsscheine oder Wechsel, die auf einen reichen Kaufmann oder Bankier ausgestellt waren. Und reiche Bankiers waren in Georgia nicht gerade dicht gesät, schon gar nicht solche, die daran interessiert waren, ihr verfügbares Kapital in Edelsteinen anzulegen. Der wohlhabende Reisfarmer in Savannah, der uns aufgenommen hatte, hatte uns versichert, er selbst könne keine zwei Pfund Sterling in bar zusammenkratzen – wahrscheinlich existierten in der ganzen Kolonie keine zehn Pfund in Gold oder Silber.

Und natürlich hatte sich auch in den endlosen Marschlandschaften und Kiefernwäldern, durch die wir auf unserem Weg nach Norden gekommen waren, keine Gelegenheit ergeben, einen der Steine zu verkaufen. Charleston war die erste Stadt an unserem Weg, die groß genug war, um Kaufleute und Bankiers zu beherbergen, die uns vielleicht helfen konnten, einen Teil unserer eingefrorenen Vermögenswerte zu liquidieren.

Wobei es eigentlich unwahrscheinlich war, dass in Charleston im Sommer irgendetwas lange gefroren blieb, dachte ich. Der Schweiß lief mir in Rinnsalen den Hals herunter, und das Leinenhemd unter meinem Mieder lag durchnässt und zerknittert auf meiner Haut. Selbst so nah am Hafen wehte zu dieser Tageszeit kein Wind, und die Gerüche von heißem Teer, totem Fisch und schwitzenden Arbeitern waren nahezu überwältigend.

Trotz ihrer Proteste hatte Jamie darauf bestanden, Mr. und Mrs. Olivier einen unserer Edelsteine als Dank für ihre Gastfreundschaft zu schenken, denn sie waren so großzügig gewesen, uns aufzunehmen, als wir quasi vor ihrer Haustür Schiffbruch erlitten. Dafür hatten sie uns mit einem Wagen, zwei Pferden, frischer Reisekleidung, Proviant für den Weg nach Norden und einem kleinen Geldbetrag ausgestattet.

Davon hatte ich noch sechs Schillinge und drei Pennies in meiner Tasche, die unsere gesamte Barschaft darstellten.

»Da lang, Onkel Jamie«, sagte Ian. Er drehte sich um und gestikulierte seinem Onkel lebhaft zu. »Ich hab was, was ich dir zeigen muss.«

»Was denn?«, fragte Jamie, während er sich seinen Weg durch eine Kette schwitzender Sklaven bahnte, die gerade staubige Blöcke aus getrocknetem Indigo auf ein vor Anker liegendes Frachtschiff verluden. »Und wie bist du daran gekommen, was immer es ist? Du hast doch kein Geld, oder?«

»Nein, ich hab beim Würfeln gewonnen«, kam Ians Stimme angeweht, während sein Körper von einer Wagenladung Mais verdeckt wurde.

»Beim Würfeln! Ian, um Himmels willen, du kannst dich doch nicht auf Glücksspiele einlassen, wenn du keinen Penny besitzt.« Jamie hielt meinen Arm fest und schob sich durch die Menschenmenge, um seinen Neffen einzuholen.

»Das machst du doch auch dauernd, Onkel Jamie«, wandte der Junge ein und blieb stehen, um auf uns zu warten. »Du hast es in jedem Wirtshaus und jedem Gasthof getan, in dem wir Rast gemacht haben.«

»Mein Gott, Ian, ich habe Karten gespielt, nicht Würfel. Und ich weiß, was ich tue.«

»Ich auch«, sagte Ian und setzte eine überlegene Miene auf. »Ich hab gewonnen, oder?«

Jamie verdrehte die Augen und flehte um Geduld.

»Himmel, Ian, bin ich vielleicht froh, dass du heimfährst, bevor dir jemand den Schädel einschlägt. Versprich mir, dass du nicht mit den Matrosen spielst, aye? Auf dem Schiff kannst du ihnen nicht entkommen.«

Ian hörte ihm nicht zu. Er war an einem halb zerfallenen Pfosten angekommen, um den ein fester Strick gebunden war. Er blieb stehen, wandte sich uns zu und deutete auf etwas zu seinen Füßen.

»Na? Es ist ein Hund.«

Ich trat schnell hinter Jamie und griff nach seinem Arm.

»Ian«, sagte ich. »Das ist kein Hund. Es ist ein Wolf. Es ist ein verdammt großer Wolf, und ich finde, du solltest weggehen, bevor er dich in den Hintern beißt.«

Der Wolf stellte nachlässig ein Ohr in meine Richtung auf, befand mich für uninteressant und legte das Ohr wieder an. Vor Hitze hechelnd, saß er da und hielt seine großen, gelben Augen mit einer Intensität auf Ian gerichtet, die jeder, der noch nie einem Wolf begegnet war, für Hingabe gehalten hätte. Ich war schon einmal einem Wolf begegnet.

»Diese Viecher sind gefährlich«, sagte ich. »Sie beißen schneller, als du denkst.«

Jamie ignorierte das und bückte sich, um das Tier in Augenschein zu nehmen.

»Es ist kein richtiger Wolf, oder?« Er klang interessiert und hielt dem sogenannten Hund eine Faust hin, um ihn an seinen Knöcheln schnuppern zu lassen. Ich schloss die Augen und machte mich auf die bevorstehende Amputation seiner Hand gefasst. Da die Schreie ausblieben, öffnete ich sie wieder und sah, dass er auf dem Boden hockte und dem Tier in die Nasenlöcher schaute.

»Das ist ein Prachtkerl, Ian«, sagte er und kraulte das Vieh vertraulich unter dem Kinn. Die gelben Augen verengten sich leicht, vielleicht, weil das Tier die Aufmerksamkeit genoss, vielleicht aber auch – was ich für wahrscheinlicher hielt –, weil es sich schon darauf freute, Jamie die Nase abzubeißen. »Ist aber größer als ein Wolf; hat einen breiteren Kopf und Brustkorb und etwas längere Beine.«

»Seine Mutter war eine Irische Wolfshündin.« Ian kauerte neben Jamie und erklärte begeistert, während er den enormen graubraunen Rücken streichelte. »Sie hat sich in den Wald davongemacht, als sie läufig war, und als sie trächtig zurückkam –«

»Oh, aye, ich verstehe.« Jetzt turtelte Jamie auf Gälisch mit dem Monster, hob seine riesige Pfote hoch und spielte mit seinen behaarten Zehen. Die gebogenen schwarzen Krallen waren gut fünf Zentimeter lang. Das Vieh schloss halb die Augen, und der leichte Luftzug zerzauste ihm die dichten Nackenhaare.

Ich sah zu Duncan hinüber, der die Augenbrauen hochzog, fast unmerklich mit den Achseln zuckte und seufzte. Duncan machte sich nichts aus Hunden.

»Jamie –«, sagte ich.

»Balach boidheach«, sagte Jamie zu dem Wolf. »Ja, bist du denn mein Hübscher?«

»Was würde er fressen?«, fragte ich, etwas lauter als notwendig.

Jamie hörte auf, das Tier zu liebkosen.

»Oh«, sagte er. Er betrachtete das gelbäugige Vieh mit beträchtlichem Bedauern. »Tja.« Er erhob sich und schüttelte widerstrebend den Kopf.

»Ich fürchte, deine Tante hat recht, Ian. Womit sollen wir ihn füttern?«

»Ach, das ist kein Problem, Onkel Jamie«, versicherte Ian ihm. »Er jagt für sich selbst.«

»Hier?« Ich ließ meinen Blick über die Lagerhäuser und die stuckverzierte Ladenzeile dahinter schweifen. »Was jagt er denn, Kleinkinder?«

Ian sah ein bisschen beleidigt aus.

»Natürlich nicht, Tante Claire. Fische.«

Angesichts der drei skeptischen Gesichter, die ihn umringten, fiel Ian auf die Knie, ergriff die Schnauze des Tieres mit beiden Händen und zog sie auf.

»Ehrlich! Ich schwöre es, Onkel Jamie! Hier, riech mal seinen Atem!«

Jamie bedachte die zur Schau gestellte Doppelreihe eindrucksvoll glänzender Fänge mit einem verzweifelten Blick und rieb sich das Kinn.

»Ich – äh, ich glaube dir, Ian. Aber trotzdem – um Himmels willen, pass auf deine Finger auf, Junge!« Ian hatte seinen Griff gelockert, und die massiven Kiefer schnappten zu und versprühten Speicheltropfen über die Kaimauer.

»Alles in Ordnung, Onkel Jamie«, sagte Ian fröhlich und wischte sich die Hand an seiner Kniehose ab. »Er würde mich nicht beißen, da bin ich mir sicher. Er heißt Rollo.«

Jamie rieb sich mit den Fingerknöcheln über die Oberlippe.

»Mmpf. Tja, egal, wie er heißt und was er frisst, ich glaube nicht, dass der Kapitän der Bonnie Mary über seine Anwesenheit im Mannschaftsquartier besonders begeistert wäre.«

Ian sagte nichts, doch der frohe Ausdruck verschwand nicht aus seinem Gesicht. Er wurde eher noch stärker. Jamie sah ihn an, bemerkte sein leuchtendes Gesicht und erstarrte.

»Nein«, sagte er entsetzt. »Oh nein.«

»Doch«, sagte Ian. Ein breites, überglückliches Lächeln breitete sich auf seinem hageren Gesicht aus. »Sie ist vor drei Tagen abgesegelt, Onkel Jamie. Wir sind zu spät gekommen.«

Jamie sagte etwas auf Gälisch, das ich nicht verstand. Duncan machte ein schockiertes Gesicht.

»Verdammt!«, sagte Jamie, indem er wieder ins Englische wechselte. »Verflucht noch mal!« Jamie nahm seinen Hut ab und rieb sich fest mit der Hand über das Gesicht. Er sah erhitzt, zerzaust und durch und durch verärgert aus. Er machte den Mund auf, überlegte es sich wieder anders, schluckte das, was er beinahe gesagt hätte, hinunter und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, wobei er das Haarband losriss, das sie zusammenhielt.

Ian machte ein verlegenes Gesicht.

»Tut mir leid, Onkel Jamie. Ich werde versuchen, dir keinen Kummer zu machen, ehrlich. Und ich kann arbeiten, ich werd genug für mein Essen verdienen.«

Jamies Gesichtsausdruck wurde weicher, als er seinen Neffen ansah. Er seufzte tief und klopfte Ian auf die Schulter.

»Es ist nicht so, dass ich dich nicht dabeihaben möchte, Ian. Du weißt, dass mir nichts lieber wäre, als dich hierzubehalten. Aber was zum Teufel wird deine Mutter sagen?«

Das Leuchten kehrte in Ians Gesicht zurück.

»Ich hab keine Ahnung, Onkel Jamie«, sagte er. »Aber sie wird es in Schottland sagen, oder? Und wir sind hier.« Er legte seine Arme um Rollo und drückte ihn. Der Wolf schien etwas verwirrt über die Geste, doch einen Augenblick später rollte er seine lange, rosafarbene Zunge aus und leckte Ian genüsslich am Ohr. Eine kleine Kostprobe, dachte ich zynisch.

»Außerdem«, fügte der Junge hinzu, »weiß sie ganz genau, dass ich in Sicherheit bin – du hast ihr aus Georgia geschrieben, dass ich bei dir bin.«

Jamie brachte ein trockenes Lächeln zustande.

»Ich glaube nicht, dass dieses Wissen sie übermäßig beruhigen wird, Ian. Sie kennt mich schon ziemlich lange, aye?«

Er seufzte und klatschte sich den Hut wieder auf den Kopf.

»Ich muss dringend etwas trinken, Sassenach«, sagte er. »Lass uns dieses Wirtshaus suchen.«

 

Im Willow Tree war es dunkel, und es hätte kühl sein können, wenn weniger Gäste da gewesen wären. Doch die Tische und Bänke waren mit Zaungästen von der Hinrichtung und Seeleuten von den Docks besetzt, und es herrschte eine Atmosphäre wie in einem Dampfbad. Ich holte Luft, als ich in den Schankraum trat, und atmete schnell wieder aus. Es war, als atmete man durch ein Stück biergetränkte Schmutzwäsche.

Rollo stellte unverzüglich seinen Wert unter Beweis und zerteilte die Menge wie das Rote Meer, als er durch den Schankraum schlich, die Zähne zu einem konstanten, lautlosen Knurren entblößt. Kneipen waren ihm offenbar nicht neu. Nachdem er erfolgreich eine Eckbank für uns geräumt hatte, rollte er sich unter dem Tisch zusammen, und es sah so aus, als schliefe er ein.

Jetzt, wo Jamie der Sonne nicht mehr ausgesetzt war und ein großer Zinnkrug mit dunklem Ale sanft schäumend vor ihm stand, erlangte er schnell wieder seine übliche Selbstbeherrschung.

»Wir haben nur zwei Möglichkeiten«, sagte er und strich sich das schweißnasse Haar aus den Schläfen. »Wir können so lange in Charleston bleiben, bis wir vielleicht einen Käufer für einen der Steine finden und wir möglicherweise auf einem anderen Schiff Ians Überfahrt nach Schottland buchen können. Oder wir können uns nach Norden zum Cape Fear durchschlagen und vielleicht in Wilmington oder New Bern ein Schiff für ihn finden.«

»Ich bin für den Norden«, sagte Duncan, ohne zu zögern. »Du hast doch Verwandte in Cape Fear, oder? Mir gefällt die Vorstellung nicht, zu lange unter Fremden zu bleiben. Und deine Verwandtschaft würde dafür sorgen, dass wir nicht übers Ohr gehauen oder ausgeraubt werden. Hier –« Er zog die Schulter zu einer Geste hoch, die alles über die unschottischen – und damit automatisch unehrlichen – Menschen um uns herum sagte.

»Ach ja, lass uns nach Norden gehen, Onkel Jamie!«, sagte Ian schnell, bevor Jamie antworten konnte. Er wischte sich mit dem Ärmel einen kleinen Schnurrbart aus Bierschaum ab. »Die Reise könnte gefährlich werden; du brauchst bestimmt einen zusätzlichen Mann zum Schutz, aye?«

Jamie vergrub seine Miene in seinem Becher, aber ich saß nah genug bei ihm, um zu spüren, wie ihn ein Zittern überlief. Jamie hatte seinen Neffen wirklich herzlich gern. Was aber nichts daran änderte, dass Ian zu der Sorte Menschen gehörte, die das Missgeschick anzieht. Normalerweise konnte er nichts dafür, aber es passierte dennoch einfach immer wieder.

Im Jahr zuvor war der Junge von Piraten entführt worden, und weil wir ihn retten mussten, waren wir auf verschlungenen und oftmals gefährlichen Wegen nach Amerika gekommen. In letzter Zeit war nichts vorgefallen, aber ich wusste, dass Jamie darauf brannte, seinen fünfzehnjährigen Neffen zurück nach Schottland und zu seiner Mutter zu schicken, bevor es dazu kam.

»Äh … um ehrlich zu sein, Ian«, sagte Jamie und senkte seinen Becher. Er achtete sorgfältig darauf, meinem Blick auszuweichen, doch ich sah, wie sein Mundwinkel zuckte. »Du wärst bestimmt eine große Hilfe, aber …«

»Vielleicht treffen wir ja auf Indianer!«, sagte Ian mit weit aufgerissenen Augen. Sein Gesicht, das sowieso schon von der Sonne rosig braun gefärbt war, glühte jetzt rot vor wohliger Vorfreude. »Oder wilde Tiere! Dr. Stern hat mir gesagt, dass die Wildnis von Carolina vor Raubtieren nur so wimmelt – Bären und Wildkatzen und hinterlistige Panther – und große, widerwärtige Bestien, die die Indianer Skunks nennen!«

Ich verschluckte mich an meinem Ale.

»Alles in Ordnung, Tante Claire?« Ian beugte sich besorgt über den Tisch.

»Bestens«, keuchte ich und wischte mir das triefende Gesicht mit meinem Halstuch ab. Ich tupfte mir die verschütteten Biertropfen aus dem Ausschnitt und lüpfte unauffällig den Stoff meines Mieders, um vielleicht etwas Luft hereinzulassen.

Dann sah ich Jamies Gesicht, in dem der Ausdruck unterdrückter Belustigung einem leichten, besorgten Stirnrunzeln gewichen war.

»Skunks sind nicht gefährlich«, murmelte ich und legte eine Hand auf sein Knie. In seiner Heimat, dem schottischen Hochland, war Jamie ein erfahrener Jäger, doch genau deshalb neigte er auch dazu, sich der unbekannten Fauna der Neuen Welt mit Vorsicht zu nähern.

»Mmpf.« Das Stirnrunzeln ließ nach, doch eine schmale Falte blieb zwischen seinen Augenbrauen stehen. »Mag sein, aber was ist mit dem Rest? Ich kann nicht behaupten, dass ich gern einem Bären oder einem Haufen Wilder begegnen würde, wenn ich nur das hier in der Hand habe.« Er berührte das große Messer, das in einer Scheide an seinem Gürtel hing.

Unser Mangel an Waffen hatte Jamie schon in Georgia große Sorgen gemacht, und Ians Bemerkungen über Indianer und wilde Tiere hatten ihm diese Sorge wieder zu Bewusstsein gebracht. Neben Jamie trug nur noch Fergus eine kleinere Klinge, mit der man Stricke zerschneiden und Zweige zu Zunder stutzen konnte. Das war unser ganzes Arsenal – die Oliviers hatten weder Pistolen noch Schwerter entbehren können.

Von Georgia nach Charleston waren wir in Gesellschaft einer Gruppe von Reis- und Indigofarmern gereist – alle bis an die Zähne mit Messern, Pistolen und Musketen bewaffnet –, die ihre Erzeugnisse zum Hafen brachten, von wo aus sie in den Norden, nach Pennsylvania und New York verschifft werden sollten. Wenn wir jetzt nach Cape Fear aufbrachen, würden wir allein sein, unbewaffnet und allem, was aus den dichten Wäldern auftauchen mochte, mehr oder weniger hilflos ausgeliefert.

Gleichzeitig gab es jedoch triftige Gründe, nach Norden zu reisen, und unser Mangel an verfügbarem Kapital war einer davon. Am Cape Fear war die größte Ansiedlung schottischer Highlander in den amerikanischen Kolonien, und es gab dort mehrere Städte, deren Einwohner infolge des Umbruchs nach Culloden während der letzten zwanzig Jahre aus Schottland emigriert waren. Unter diesen Emigranten befanden sich Verwandte von Jamie, und ich wusste, dass sie uns bereitwillig Zuflucht gewähren würden: ein Dach über dem Kopf, ein Bett und Zeit, um in dieser neuen Welt Fuß zu fassen.

Jamie trank noch einen Schluck und nickte Duncan zu.

»Ich kann nur sagen, ich bin deiner Meinung, Duncan.« Er lehnte sich an die Wand und schaute sich unauffällig im Raum um. »Spürst du die Blicke in deinem Rücken nicht?«

Es lief mir kalt den Rücken hinunter, ungeachtet der Schweißtropfen, die sich auf demselben Weg befanden. Duncans Augen weiteten sich um einen Bruchteil und verengten sich dann wieder, doch er drehte sich nicht um.

»Ah«, sagte er.

»Welche Blicke?«, fragte ich und sah mich ziemlich nervös um. Mir fiel niemand auf, der uns besonders zu beachten schien, aber vielleicht wurden wir ja verstohlen beobachtet – das Wirtshaus war eine einzige alkoholgetränkte Menschenmenge, und das Stimmengewirr war laut genug, um jede weiter entfernte Unterhaltung zu übertönen.

»Alle möglichen, Sassenach«, antwortete Jamie. Er warf mir einen Seitenblick zu und lächelte. »Jetzt mach nicht so ein ängstliches Gesicht, ja? Wir sind nicht in Gefahr. Hier nicht.«

»Noch nicht«, sagte Innes. Er beugte sich vor, um sich nachzuschenken. »Mac Dubh hat Gavin am Galgen gerufen. Es wird Leute geben, die sich das gemerkt haben – wo doch Mac Dubh so eine unauffällige Erscheinung ist«, fügte er trocken hinzu.

»Und die Bauern, die mit uns aus Georgia gekommen sind, haben ihre Waren inzwischen bestimmt verkauft und erholen sich an Orten wie diesem hier«, sagte Jamie und studierte scheinbar gebannt das Muster auf seinem Becher. »Lauter ehrliche Männer – aber sie werden den Mund nicht halten, Sassenach. Es ist doch eine tolle Geschichte, oder? Die Leute, die vom Hurrikan angeweht wurden. Und wie stehen die Chancen, dass mindestens einer von ihnen ahnt, was wir bei uns tragen?«

»Ich verstehe«, murmelte ich, und so war es auch. Wir hatten öffentliche Aufmerksamkeit erregt, weil wir mit einem Verbrecher in Verbindung standen, also gingen wir nicht länger als unauffällige Reisende durch. Wenn es länger dauerte, einen Käufer zu finden, und das war wahrscheinlich, liefen wir Gefahr, skrupelloses Gesindel zum Diebstahl einzuladen oder von den englischen Behörden überprüft zu werden. Keine dieser Aussichten war verlockend.

Jamie hob den Becher und tat einen tiefen Zug, dann stellte er ihn mit einem Seufzer hin.

»Nein. Ich denke, es ist wohl nicht klug, hier in der Stadt zu bleiben. Wir sorgen dafür, dass Gavin ordentlich beerdigt wird, und dann suchen wir uns einen sicheren Platz zum Schlafen draußen in den Wäldern. Morgen können wir dann entscheiden, ob wir bleiben oder weiterfahren.«

Der Gedanke, erneut mehrere Nächte in den Wäldern zu verbringen – egal, ob mit oder ohne Skunks –, war nicht verlockend. Ich hatte mir seit acht Tagen das Kleid nicht ausgezogen und nur die erreichbaren Körperteile gewaschen, wenn wir an einem Bach gerastet hatten.

Ich hatte mich auf ein richtiges Bett gefreut, selbst wenn es voller Flöhe war, und auf die Gelegenheit, mir den Dreck der letzten Woche abzuschrubben. Doch er hatte recht. Ich seufzte und betrachtete den Saum meines Ärmels, der vom Tragen grau und schmierig war.

Da flog plötzlich die Wirtshaustür auf und riss mich aus meinen Gedanken. Vier rotberockte Soldaten drängten sich in den überfüllten Raum. Sie trugen Uniform, hatten die Bajonette ihrer Musketen aufgepflanzt und waren offensichtlich nicht zum Würfeln oder Trinken hier.

Zwei der Soldaten machten eine schnelle Runde durch den Raum und sahen unter die Tische, während ein anderer in der Küche verschwand. Der Vierte blieb als Wache an der Tür stehen und musterte die Menge mit flinken, blassen Augen. Sein Blick traf unseren Tisch und ruhte einen Augenblick spekulierend auf uns, doch dann wanderte er weiter, unablässig auf der Suche.

Jamie war äußerlich ruhig und trank scheinbar unbeirrt sein Ale, doch ich sah, wie sich die Hand in seinem Schoß langsam zur Faust ballte. Duncan, der seine Gefühle weniger im Zaum halten konnte, senkte den Kopf, um seinen Gesichtsausdruck zu verbergen. Keiner von beiden würde die Gegenwart eines Rotrockes jemals ohne Beklommenheit ertragen können, und das aus gutem Grund.

Außer uns schien die Anwesenheit der Soldaten niemanden sonderlich zu beunruhigen. Der kleine Gesangsverein in der Kaminecke setzte seine endlose Version von »Fill Every Glass« fort, und die Kellnerin fing einen lauten Streit mit zwei Lehrlingen an.

Der Soldat kam aus der Küche zurück, offensichtlich ohne etwas gefunden zu haben. Er stapfte mitten durch die Würfelrunde am Kamin und schloss sich dann seinen Kameraden an der Tür wieder an. Just als sich die Soldaten aus der Wirtschaft schoben, quetschte sich Fergus’ schmale Gestalt herein und drückte sich gegen den Türpfosten, um den Ellbogen und Musketenkolben auszuweichen.

Ich sah, wie ein Soldat das Blitzen des Metalls bemerkte und interessiert den Haken betrachtete, den Fergus anstelle seiner fehlenden linken Hand trug. Er blickte Fergus scharf an, schulterte dann aber seine Muskete und eilte seinen Kameraden nach.

Fergus schob sich durch die Menge und ließ sich neben Ian auf die Bank fallen. Er sah erhitzt und verärgert aus.

»Blutsaugender salaud«, sagte er unvermittelt.

Jamies Augenbrauen gingen in die Höhe.

»Der Priester«, erläuterte Fergus. Er nahm den Becher entgegen, den Ian ihm hinschob, und leerte ihn gierig. Er stellte ihn ab, atmete schwer aus, blinzelte und sah merklich glücklicher aus. Er seufzte und wischte sich den Mund ab.

»Er will zehn Schillinge, wenn er den Mann im Kirchhof beerdigen soll«, sagte er. »Natürlich eine anglikanische Kirche, hier gibt es keine katholischen Kirchen. Der elende Wucherer! Er weiß, dass wir keine Wahl haben. Die Leiche wird sich ja kaum bis zum Sonnenuntergang halten.« Er fuhr mit dem Finger unter seine Halsbinde und zog sich das schweißzerknitterte Baumwolltuch vom Hals, dann knallte er mehrfach die Faust auf den Tisch, um die Aufmerksamkeit der Bedienung zu erregen, die dem Ansturm der Gäste kaum gewachsen war.

»Ich habe dem fetten Schwein gesagt, dass Ihr entscheiden werdet, ob wir das bezahlen oder nicht. Wir könnten ihn schließlich einfach im Wald begraben. Obwohl wir dann einen Spaten kaufen müssten«, fügte er stirnrunzelnd hinzu. »Diese raffgierigen Leute hier wissen, dass wir Fremde sind; sie werden uns bis auf den letzten Penny ausnehmen, wenn sie können.«

Der letzte Penny kam der Wahrheit gefährlich nahe. Ich hatte gerade genug, um hier eine anständige Mahlzeit zu bezahlen und ein paar Lebensmittel für den Weg nach Norden zu kaufen; vielleicht genug für ein paar Übernachtungen. Das war alles. Ich sah, wie Jamie sich rasch umblickte und die Möglichkeit abschätzte, beim Hasard- oder Kartenspiel an ein bisschen Geld zu kommen.

Soldaten und Seeleute boten die besten Voraussetzungen zum Spielen, doch beide Gruppen waren im Schankraum nicht besonders zahlreich vertreten. Wahrscheinlich durchsuchte der Großteil der Garnison immer noch die Stadt nach dem Flüchtling. In einer Ecke vergnügte sich eine kleine Gruppe von Männern lauthals bei mehreren Krügen Brandy. Zwei von ihnen sangen oder versuchten es zumindest, und ihre Bemühungen verursachten große Heiterkeit bei ihren Kameraden. Jamie nickte fast unmerklich bei ihrem Anblick und wandte sich wieder an Fergus.

»Was hast du in der Zwischenzeit mit Gavin gemacht?«, fragte Jamie. Fergus zog eine Schulter hoch.

»Ihn in den Wagen gelegt. Ich habe seine Kleider bei einer Lumpenhändlerin gegen ein Leichentuch eingetauscht, und als Teil der Abmachung war sie bereit, ihn zu waschen. Keine Sorge, Milord, er ist vorzeigbar. Noch«, fügte er hinzu und hob den frischen Bierkrug an die Lippen.

»Armer Gavin.« Duncan Innes hob seinen Becher zum Gedenken an den gefallenen Kameraden.

»Slàinte«, antwortete Jamie und hob ebenfalls den Becher. Dann stellte er ihn hin und seufzte.

»Er würde nicht wollen, dass man ihn im Wald beerdigt«, sagte er.

»Warum nicht?«, fragte ich neugierig. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Rolle für ihn spielt, so oder so.«

»O nein, das dürfen wir nicht, Mrs. Claire.« Duncan schüttelte energisch den Kopf. Duncan war normalerweise ein sehr zurückhaltender Mann, und ich war überrascht, dass er so viel Gefühl zeigte.

»Er hatte Angst im Dunkeln«, sagte Jamie leise. Ich starrte ihn an, und er lächelte mich schief an. »Ich hab mit Gavin Hayes fast so lange zusammengelebt wie mit dir, Sassenach – und auf sehr viel engerem Raum. Ich habe ihn gut gekannt.«

»Aye, er hatte Angst davor, im Dunkeln allein zu sein«, fiel Duncan ein. »Er hatte eine höllische Angst vor den tannagach – vor Geistern, aye?«

Der Ausdruck seines langen, kummervollen Gesichtes war nach innen gewandt, und ich wusste, dass er in Gedanken die Gefängniszelle vor sich sah, die er und Jamie drei Jahre lang mit Gavin Hayes geteilt hatten – und mit vierzig anderen Männern. »Erinnerst du dich, Mac Dubh, wie er uns eines Nachts von dem tannasq erzählt hat, dem er begegnet ist?«

»O ja, Duncan, und ich wünschte, ich hätte es vergessen.« Jamie erschauerte trotz der Hitze. »Ich habe die halbe Nacht wach gelegen, nachdem er uns die Geschichte erzählt hatte.«

»Wie ging sie denn, Onkel Jamie?« Ian beugte sich mit großen Augen über sein Ale. Seine Wangen waren gerötet und schweißnass, seine Halsbinde zerknittert vor Feuchtigkeit.

Jamie rieb sich den Mund und überlegte.

»Ah. Nun, es war eines Abends im kalten Spätherbst in den Highlands, um die Zeit, wenn die Jahreszeit wechselt und die Luft einem verrät, dass der Boden am nächsten Morgen mit Reif überzogen sein wird«, sagte er. Er machte es sich auf seinem Sitz bequem und lehnte sich zurück, den Bierkrug in der Hand. Er lächelte ironisch und zupfte sich am Hals. »Nicht so wie jetzt, aye? Also, Gavins Sohn trieb an dem Abend die Kühe heim, aber eine fehlte – der Junge hatte sämtliche Hügel und Senken abgesucht, konnte sie aber nirgends finden. Also ließ Gavin den Jungen die beiden anderen melken und zog selber los, um die verlorene Kuh zu suchen.«

Er drehte den Zinnbecher langsam zwischen seinen Händen und starrte in das dunkle Ale, als sähe er darin die nachtschwarzen schottischen Gipfel und den Nebel, der durch die herbstlichen Täler schwebte.

»Er lief ein ganzes Stück, und die Kate hinter ihm verschwand. Als er sich umsah, konnte er das Licht im Fenster nicht mehr sehen, und um ihn war nichts als das Heulen des Windes. Es war kalt, aber er ging weiter, stapfte durch Heide und Morast, und unter seinen Stiefeln hörte er Eis brechen.

Er sah einen kleinen Hain im Nebel, und weil er dachte, die Kuh hätte vielleicht unter den Bäumen Schutz gesucht, ging er dorthin. Er sagte, es waren kahle Birken, doch ihre Zweige waren so zusammengewachsen, dass er sich bücken musste, um darunter durchzupassen.

Er trat in den Hain und sah, dass es gar keiner war, sondern ein Kreis von Bäumen. Sehr große Bäume standen in regelmäßigen Abständen um ihn herum, und kleinere Schösslinge wuchsen dazwischen und bildeten eine Wand aus Zweigen. Und in der Mitte des Kreises war ein Hügelgrab.«

Trotz der Hitze in der Wirtschaft fühlte ich mich doch, als sei mir ein Eissplitter an der Wirbelsäule heruntergeglitten. Ich hatte in den Highlands solche uralten Hügelgräber gesehen und fand sie schon bei Tageslicht unheimlich genug.

Jamie trank einen Schluck Ale und wischte sich einen Schweißtropfen weg, der ihm die Schläfe herunterlief.

»Er fühlte sich ziemlich merkwürdig, unser Gavin. Denn er kannte die Stelle – jeder kannte sie und hielt sich von ihr fern. Es war seltsam dort. Und in der Kälte und Dunkelheit kam es ihm noch schlimmer vor als bei Tageslicht. Es war ein altes Hügelgrab mit einem Fundament aus großen Felsplatten, auf die man Steine gehäuft hatte, und vor sich sah er die schwarze Öffnung der Grabkammer.

Er wusste, dass man diesen Ort auf keinen Fall betreten sollte, vor allem nicht ohne Amulett. Gavin trug nur ein Holzkreuz um den Hals. Also bekreuzigte er sich damit und wandte sich zum Gehen.«

Jamie hielt inne und trank einen Schluck Ale.

»Doch als Gavin aus dem Hain heraustrat«, sagte er leise, »hörte er hinter sich Schritte.«

Ich sah, wie sich der Adamsapfel in Ians Kehle auf und ab bewegte. Er griff mechanisch nach seinem Becher, die Augen gebannt auf seinen Onkel gerichtet.

»Er blickte nicht hinter sich«, fuhr Jamie fort, »sondern ging weiter. Und die Schritte hielten mit ihm mit, Schritt für Schritt folgten sie ihm. Dann kam er im Torfmoor an eine Stelle, wo Wasser hochquoll, und weil es so kalt war, war dort eine Eiskruste. Er hörte den Torf unter seinen Füßen knacken und hinter sich das Krack! Krack! zerbrechenden Eises.

Er ging weiter und weiter durch die kalte, dunkle Nacht und hielt Ausschau nach dem Licht der Kerze, die seine Frau ins Fenster gestellt hatte. Aber das Licht zeigte sich nicht, und er begann zu befürchten, dass er sich in der Heide und den dunklen Hügeln verlaufen hatte. Und die ganze Zeit hielten die Schritte mit ihm mit und hallten in seinen Ohren.

Schließlich hielt er es nicht mehr aus, ergriff das Kreuz um seinen Hals und schwang sich mit einem lauten Schrei herum, um sich dem Verfolger – wer immer es war – zu stellen.«

»Was hat er gesehen?« Ians Pupillen waren geweitet, dunkel vom Alkohol und vor Staunen. Jamie sah den Jungen an und nickte dann Duncan zu, den Faden der Geschichte aufzunehmen.

»Er sagte, es war eine Gestalt wie ein Mann, nur ohne Körper«, sagte Duncan ruhig. »Ganz weiß, als wäre sie aus Nebel gemacht. Aber mit Riesenlöchern, wo die Augen hätten sein sollen, schwarz und leer, so dass es ihm vor Schrecken fast die Seele aus dem Leib zog.«

»Aber Gavin hielt sich das Kreuz vors Gesicht und betete laut zur Jungfrau Maria.« Jamie übernahm wieder, konzentriert nach vorn gebeugt, und der gedämpfte Feuerschein umrandete sein Profil mit Gold. »Und das Wesen kam nicht näher, sondern blieb, wo es war, und beobachtete ihn.

Und so begann er, rückwärtszugehen, weil er sich nicht traute, sich wieder umzudrehen. Er ging rückwärts, stolperte und rutschte aus, fürchtete, er könnte jeden Moment in einen Bach oder von einem Abhang stürzen und sich den Hals brechen, doch er fürchtete sich noch mehr davor, dem kalten Wesen den Rücken zuzukehren.

Er konnte nicht sagen, wie lange er so gegangen war, nur, dass seine Beine vor Schwäche zitterten, als er endlich ein Licht im Nebel erblickte, und das war seine Kate mit der Kerze im Fenster. Er tat einen Freudenschrei und wandte sich der Tür zu, aber das kalte Wesen war schneller und schlüpfte an ihm vorbei, um sich zwischen ihn und die Tür zu stellen.

Seine Frau hatte nach ihm Ausschau gehalten, und als sie seinen Schrei hörte, kam sie sofort an die Tür. Gavin rief ihr zu, sie sollte nicht herauskommen, sondern um Himmels willen ein Amulett gegen den tannasq holen. Blitzschnell zog sie den Nachttopf unter ihrem Bett hervor und griff nach einem Myrtenzweig, den sie mit rotem und schwarzem Garn umwunden hatte, um die Kühe zu segnen. Sie bespritzte die Türpfosten mit Wasser, und das kalte Wesen sprang in die Höhe und hängte sich rittlings über den Türsturz. Gavin huschte hinein, verriegelte die Tür und verharrte drinnen in den Armen seiner Frau bis zur Morgendämmerung. Sie ließen die ganze Nacht die Kerze brennen, und Gavin Hayes hat nie wieder nach Sonnenuntergang sein Haus verlassen – bis er für Prinz Tscharlach in den Kampf gezogen ist.«

Selbst Duncan, der die Geschichte kannte, seufzte, als Jamie zum Ende kam. Ian bekreuzigte sich und sah sich dann befangen um, doch niemand schien es beachtet zu haben.

»Jetzt ist Gavin also in die Dunkelheit gegangen«, sagte Jamie leise. »Aber wir werden nicht zulassen, dass er in ungeweihtem Boden liegt.«

»Haben sie die Kuh gefunden?«, fragte Fergus mit seinem üblichen Sinn fürs Praktische. Jamie deutete auf Duncan, der antwortete.

»Oh, aye, das haben sie. Am nächsten Morgen fanden sie das arme Vieh, die Hufe voll Schlamm und Steinen, mit wildem Blick und Schaum vor dem Maul, und ihre Flanken hoben und senkten sich, als wollten sie bersten.« Er ließ den Blick von mir zu Ian und zurück zu Fergus schweifen. »Gavin meinte«, sagte er präzise, »sie sah aus, als hätte man sie zur Hölle und zurück geritten.«

»Himmel.« Ian trank einen tiefen Zug Ale, und ich folgte seinem Beispiel. Der betrunkene Gesangsverein in der Ecke versuchte sich an »Captain Thunder« und brach jedes Mal hilflos lachend ab.

Ian stellte seinen Becher auf den Tisch.

»Was ist aus ihnen geworden?«, fragte er mit betroffenem Gesicht. »Aus Gavins Frau und seinem Sohn?«

Jamies Blick suchte den meinen, und seine Hand berührte meinen Oberschenkel. Auch ohne dass man es mir sagte, wusste ich, was aus der Familie Hayes geworden war. Ohne Jamies Mut und Unnachgiebigkeit wäre mir und Brianna wahrscheinlich dasselbe widerfahren.

»Gavin hat es nie herausgefunden«, sagte Jamie ruhig. »Er hat nie wieder von seiner Frau gehört – sie wird wohl verhungert sein, oder man hat sie dem Kältetod überlassen. Sein Sohn hat in Culloden an seiner Seite gestanden. Jedes Mal, wenn ein Mann, der dort gekämpft hatte, zu uns in die Zelle kam, fragte Gavin ihn: ›Hast du vielleicht einen mutigen Jungen namens Archie Hayes gesehen, ungefähr so groß?‹« Er ahmte unwillkürlich Hayes’ Geste nach und nahm etwa anderthalb Meter vom Boden Maß. »›Um die vierzehn‹, sagte er dann, ›mit einem grünen Plaid und einer kleinen, vergoldeten Brosche.‹ Aber es kam nie einer, der ihn mit Gewissheit erkannt hatte – und hätte sagen können, ob er gefallen oder entkommen war.«

Jamie trank einen Schluck Ale und richtete den Blick auf zwei britische Offiziere, die hereingekommen waren und es sich in der Ecke gemütlich gemacht hatten. Draußen war es dunkel geworden, und sie waren ganz offensichtlich nicht im Dienst. In dieser Hitze standen ihre Lederkrägen offen, und sie trugen nur Seitenwaffen, die unter ihren Röcken glänzten. Im gedämpften Licht erschienen sie fast schwarz, bis auf die Stellen, wo der Feuerschein sie in Rot tauchte.

»Manchmal hoffte er, man hätte den Jungen festgenommen und deportiert«, sagte er. »Wie seinen Bruder.«

»Aber das müsste doch in den Unterlagen stehen?«, sagte ich. »Wurden – werden – Register geführt?«

»Ja«, sagte Jamie, der immer noch die Soldaten beobachtete. Der Anflug eines bitteren Lächelns erschien in seinem Mundwinkel. »Es war schließlich eine solche Liste, die mich gerettet hat, nach Culloden, als sie mich vor dem Erschießen nach meinem Namen fragten, um ihn in ihr Register einzutragen. Aber für einen Mann wie Gavin hätte es keine Möglichkeit gegeben, die Totenregister der Engländer einzusehen. Und selbst wenn er es hätte herausfinden können, glaube ich nicht, dass er es getan hätte.« Er sah mich an. »Würdest du es wissen wollen, wenn es dein Kind wäre?«

Ich schüttelte den Kopf, und er lächelte mich leise an und drückte meine Hand. Unser Kind war in Sicherheit. Er hob seinen Becher und leerte ihn, dann winkte er der Bedienung.

Das Mädchen brachte unser Essen und machte einen weiten Bogen, um Rollo auszuweichen. Der Hund lag bewegungslos unter dem Tisch, sein Kopf ragte in den Raum, und sein langer, behaarter Schwanz hing schwer über meinen Füßen, doch seine gelben Augen waren weit geöffnet, und ihnen entging nichts. Sie folgten dem Mädchen gebannt, und sie wich nervös zurück, ohne ihn aus den Augen zu lassen, bis sie sicher außer Bissweite war.

Jamie sah das und warf dem sogenannten Hund einen skeptischen Blick zu.

»Hat er Hunger? Muss ich ihm einen Fisch bestellen?«

»O nein, Onkel Jamie«, versicherte Ian. »Rollo fängt sich seine Fische selbst.«

Jamies Augenbrauen schnellten in die Höhe, doch er nickte nur und nahm sich mit einem wachsamen Blick auf Rollo einen Teller mit Brathuhn vom Tablett.

»Ach, was für eine Schande.« Duncan Innes war inzwischen völlig betrunken. Er saß zusammengesunken an der Wand und hielt die armlose Schulter höher als die andere, was ihm das seltsame Aussehen eines Buckligen gab. »Dass ein anständiger Mann wie Gavin ein solches Ende finden musste!« Er schüttelte tieftraurig den Kopf und ließ ihn über dem Alebecher hin- und herschwingen wie den Klöppel einer Totenglocke.

»Keine Familie, die ihn betrauern könnte, allein in einem fremden Land gestrandet – wie ein Verbrecher gehängt und um ein Haar in ungeweihter Erde vergraben. Und jetzt bekommt er nicht einmal ein ordentliches caithris!« Er hob den Becher und fand unter Schwierigkeiten seinen Mund. Er trank in tiefen Zügen und stellte ihn mit einem gedämpften Geräusch ab.

»Was soll’s, wir werden die Totenklage halten!« Er funkelte Jamie, Fergus und Ian herausfordernd an. »Warum nicht?«

Jamie war nicht betrunken, doch er war auch nicht mehr völlig nüchtern. Er grinste Duncan an und hob seinen eigenen Becher zum Salut.

»Warum nicht, genau«, sagte er. »Du wirst aber singen müssen, Duncan. Keiner von den anderen hat Gavin gekannt, und ich kann nicht singen. Ich kann aber mitbrüllen.«