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Sie sind 40 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt und locken mit ihren vielfältigen Wundern: die zwölf Galaxien der Superintelligenz ESTARTU. Dorthin sind zahlreiche Menschen von der Erde – die Vironauten – mit ihren Raumschiffen aufgebrochen. Doch bereits bei den ersten der angeblichen Wunder stoßen sie auf tödliche Gefahren. Die Ewigen Krieger, über die man noch nicht so viel weiß, haben in den zwölf Galaxien ihren Kult errichtet und predigen ständige Konflikte. Was sie damit bezwecken, findet anfangs keiner der Vironauten heraus. Auch erfahrene Menschen wie Ronald Tekener, Reginald Bull und Roi Danton müssen feststellen, wie riskant der Aufenthalt in dieser kosmischen Region ist. Die LASHAT, Tekeners Raumschiff, gerät in Not – als die Gefährten zu Hilfe eilen, werden sie ebenfalls angegriffen ...
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Seitenzahl: 517
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Nr. 153
Der Tross des Kriegers
Cover
Klappentext
Kapitel 1-10
1. Wo ist TSUNAMI-113?
2. Der Raumfledderer
3. Begegnung vor Erendyra
4. Verwirrende Signale
5. Closcurt
6. Verschollen
7. Virenraumschiff LOVELY BOSCYK
8. Der Meisterschüler
9. Zweikampf
10. Ksoundoksä
Kapitel 11-20
11. Landung auf Maghala
12. Kido
13. Kodexmoleküle
14. Nur ein Drakker?
15. Fortschritte
16. Reginald Bulls Entscheidung
17. Der Ring-Ingenieur
18. Ein teures Vergnügen
19. Faltdurchgänge
20. Yaddah, der Kranke
Kapitel 21-32
21. Ende der Flucht
22. Folgegeschäfte
23. Kampf im Elysium
24. Zündung
25. Die Tiermeisterin
26. Gestrandet
27. Neue Freunde
28. Farbenspiele
29. Gefangene der Fauna
30. Wieder vereint
31. Station im Dschungel
32. Nächtliches Schauspiel
Nachwort
Zeittafel
Impressum
Sie sind 40 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt und locken mit ihren vielfältigen Wundern: die zwölf Galaxien der Superintelligenz ESTARTU. Dorthin sind zahlreiche Menschen von der Erde – die Vironauten – mit ihren Raumschiffen aufgebrochen.
Doch bereits bei den ersten der angeblichen Wunder stoßen sie auf tödliche Gefahren. Die Ewigen Krieger, über die man noch nicht so viel weiß, haben in den zwölf Galaxien ihren Kult errichtet und predigen ständige Konflikte. Was sie damit bezwecken, findet anfangs keiner der Vironauten heraus.
»Er ist ein Meister der Intrige! Ich werde ihn entlarven, koste es, was es wolle. Schließlich hat er mich so gewaltig übers Ohr gehauen, dass ich es bis jetzt nicht begreife. Was gibt es hier so Tolles, Begeisterndes? Nichts, gar nichts! Er spielt falsch, dieser Stalker. Von mir aus auch Sotho Tal Ker, wie er sich nennt. Ich werde sein Geheimnis aufdecken und seinen Verrat an der Menschheit offenlegen.«
Ronald Tekener hatte sich in Rage geredet; die von den Lashat-Pocken stammenden Narben in seinem Gesicht schienen sich tief ins Fleisch eingegraben zu haben. Er lief in der Zentrale der LASHAT auf und ab und führte seinen Monolog, der charakteristisch für die Situation des Virenraumschiffs und seiner tausendköpfigen Besatzung war.
Dass sie bislang nichts von den Wundern von Estartu gesehen hatten, spielte dabei für die Führungscrew eine untergeordnete Rolle. Tekener war aus dem Solsystem aufgebrochen, um eine bestimmte Position nahe der Galaxis NGC 4649, Erendyra, aufzusuchen. Stalker hatte ihm zwei Dinge mitgegeben: das etwas seltsame Permit, eine Art eiserner Handschuh, dem die Finger fehlten, und die Koordinaten, an denen Tal Ker selbst – angeblich – den verwaisten TSUNAMI-114 aufgefunden hatte.
Das Permit interessierte den Smiler in diesem Zusammenhang wenig. Er wollte Stalker der Lüge überführen. Dafür musste er den TSUNAMI-113 aufspüren und das Schicksal der Besatzung des TS-114 klären. Gelang ihm das, hielt er den entscheidenden Trumpf in der Hand, den er brauchte, um Stalkers verderblichen Einfluss zu brechen.
Ronald Tekener war überzeugt, dass der ehemalige Warner ein falsches Spiel trieb. Die Erfahrungen seit der Ankunft nahe Erendyra bestätigten seine Ansicht. Die LASHAT hatte eine Woche lang das Zielgebiet abgesucht, ohne eine Spur des verschollenen Schiffes zu finden. Sogar die wenigen in der Nähe stehenden Sonnen waren angeflogen worden. Sie hatten entweder keine Planeten oder nur lebensfeindliche, die für eine Landung bestimmt nicht in Betracht kamen.
Jennifer Thyron musterte ihren Mann stumm. Sie hatte sich in eine bequemen Sessel gekuschelt. Neben ihr, auf der Armlehne, hockte das sechzehnjährige Anti-Mädchen Pathythia Baal.
Die drei weiteren Vironauten in der Zentrale der LASHAT gaben sich Mühe, das unruhige Hin und Her des Smilers zu ignorieren. Ihre eigene Anspannung war allerdings nicht zu übersehen.
»Stalker hat gelogen!« Tekener hielt inne. »Den Beweis dafür haben wir, nur nutzt er uns wenig. Hier ist nichts, gar nichts.«
»Wo nichts ist, kann einmal etwas gewesen sein«, meinte das Anti-Mädchen. »Vielleicht ist der TSUNAMI nur verschwunden.«
»Nur verschwunden?«, wiederholte Tekener scharf, und Pathythia zuckte zusammen, als hätte sie etwas Dummes gesagt.
»Du bist ungerecht, Tek«, protestierte Jennifer Thyron. »Der TSUNAMI könnte durchaus unter einem Ortungsschutz liegen. Oder seine Überreste wurden abtransportiert. Vergiss nicht, dass einige Monate vergangen sind, seit Stalker den TS-114 hier fand.«
»Jenny, du redest Unsinn. Du ignorierst, dass unsere TSUNAMIS immer zu zweit agieren. Stimmen die Koordinaten, dann waren beide Schiffe in diesem Sektor. Wo also ist der 113? Wo ist seine Besatzung?« Tekener holte tief Luft. Als er weiterredete, klang es zunächst wie ein Seufzen. »Ich mache Path keine Vorwürfe. Aber mich ärgert, dass wir bislang nichts erreicht haben, obwohl wir mit einem festen Ziel hierher gekommen sind. Bei Reginald und Roi sieht es besser aus, das wissen wir seit Tagen.«
»Seither haben sie sich nicht mehr gemeldet«, bemerkte Jennifer Thyron.
Tekener ignorierte den Einwand. »Nur bei uns tut sich nichts«, redete er weiter. »Hier herrscht bald Frust.«
»So schlimm ist es nicht«, wiegelte Jennifer ab.
»Doch, es ist so schlimm!« Tek schlug mit der zur Faust geballten Rechten gegen seine linke Handfläche. »Die Sehnsucht nach den Wundern von Estartu kann nicht über fehlende Erfolgserlebnisse hinwegtäuschen. Ich mache mir da wenig vor.«
»Vielleicht weiß Vi mehr«, meinte die junge Pathythia Baal.
»Das Virenschiff ist auch nicht schlauer als wir.« Tekener schüttelte den Kopf. »Im Vorfeld von Erendyra gibt es nichts Interessantes für uns.«
»Bis Erendyra ist es ein – wie sagt ihr Terraner? – ein Katzensprung.« Das Anti-Mädchen deutete auf die holografische Darstellung, die von der Virenintelligenz des Schiffes in den Raum projiziert wurde. »Wenn hier nichts zu finden ist, dann bestimmt in der Sterneninsel.«
Der Smiler seufzte. »In dem Sternendickicht die Spur eines verschollenen Raumschiffs zu finden, ist zwar unwahrscheinlicher, als bei der berüchtigten Suche nach der Nadel im Heuhaufen Erfolg zu haben, aber trotzdem sinnvoller als das leidige Herumschippern im Halo. Wir brechen die Suche hier draußen ab und fliegen nach Erendyra.«
In dem Moment meldete sich das Virenschiff mit seiner weiblich modulierten Stimme: »Ich empfange einen seltsamen Funkspruch, Ronald. Ein fremdes Idiom, und die Sendung ist insgesamt sehr schwach. Sie zeigt typische Anzeichen eines Notrufs.«
»Lass hören!«
Prasseln erklang, gefolgt von einzelnen kurzen Tonfolgen, die entfernt an Morsezeichen erinnerten. Die Lautstärke schwankte sehr stark.
»Ich empfehle einen Positionswechsel, damit eine grobe Peilung erfolgen kann«, schlug das Schiff vor. »Bestehen Einwände?«
»Kein Einwand«, antwortete Tekener.
In die unverständlichen Signale mischte sich kurz darauf eine Stimme. Sie klang rau und hart, zugleich flehend, blieb aber unverständlich. Die Lautstärke schwankte weiterhin extrem. Zeitweise klang die Stimme nur wie ein Murmeln im Hintergrund, dann wieder waren einzelne Worte deutlich zu hören.
»Ich kann einzelne Begriffe übersetzen«, teilte das Virenschiff mit. »Sie ergeben jedoch keinen Zusammenhang. Die Peilung ist erfolgt, ich fliege eine zweite Etappe. Einverstanden?«
»Selbstverständlich«, stimmte Tekener zu. »Was hast du herausgehört?«
»›... die Saubande mit den ... Briefen.‹ Es kann auch ›Sonderrechte‹ bedeuten. Mehrmals taucht der Begriff ›Gorim‹ auf, bei dem es sich wahrscheinlich um einen Namen mit besonderer Bedeutung handelt.«
»Gut. Wo liegt der Ausgangspunkt?«
»Die Peilung zeigt eine Entfernung von knapp achtzehn Lichtjahren. Mittlerweile gewinne ich den Eindruck, dass die Nachricht unbeabsichtigt abgesetzt wird. Fast scheint es, als führe jemand einen Monolog und habe nur übersehen, den Sender abzuschalten.«
»Also kein Notruf?«, fragte Path interessiert.
»Mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Notruf«, bestätigte das Schiff.
»Wir fliegen hin!«, entschied Tekener. »Achtzehn Lichtjahre sind nicht der Rede wert.«
»Korrekt«, bestätigte das Virenbewusstsein.
Die LASHAT beschleunigte und erzeugte eine neue Projektion. Ein markierter Punkt schälte sich in dem Holo heraus und wurde zu einem an beiden Enden verdickten Strich. Vi blendete Maße ein. Das Objekt war über 100 Meter lang. Es bestand im Wesentlichen aus einem Metallskelett, das unterschiedlich verdichtete Bereiche erkennen ließ.
»Die Funksignale kommen von dort!«, meldete Vi.
»Verschwinde, Plump!«, rief Longasc. »Der Kampfanzug eines Freibeuters ist ein heiliges Instrument, das ein schäbiger Distelfrosch nicht berühren darf.«
Plump machte einen Riesensatz, hinein in einen der Schrotthaufen, die aus Longascs Werkstatt nicht wegzudenken waren. »Raumfledderer!«, schmatzte das Tier, das entfernt einer übergroßen Distelblüte ähnelte.
»Ich werde dir zeigen, was ich bin – ein Raumnomade und Freibeuter!« Der Shabare packte den nächstbesten Gegenstand und warf ihn nach dem Distelfrosch. Plump quietschte, obwohl er gar nicht getroffen wurde. Erst da erkannte Longasc, dass er den Zuleitungsschlauch der Sauerstoffversorgung als Wurfgeschoss erwischt hatte. Fluchend suchte er nach dem für ihn unersetzlichen Stück. Er hatte nur diesen einen Schlauch, und falls der beschädigt wurde, war der ganze Kampfanzug für ihn wertlos.
Longasc wühlte immer hektischer in dem Haufen der Ersatz- und Altteile herum, in dem Plump untergetaucht war. »Du hast mich auf dem Gewissen!«, schrillte er aufgebracht, weil er alles Mögliche fand, nur nicht das gesuchte Teil.
Der Shabare hatte den Distelfrosch bei einem seiner Beutezüge aufgegriffen und an Bord der CANTLERY genommen. Longasc war zwar ein ausgesprochener Einzelgänger, aber gegen den kleinen Stimmennachahmer hatte er nichts einzuwenden gehabt. Hätte er geahnt, wie schnell Plump sich manche Sätze einprägen konnte, die er später bei allen unpassenden Gelegenheiten wieder von sich gab, dann hätte Longasc ihn lieber in dem Wrack verhungern lassen.
Angewidert betrachtete er seine vor Dreck strotzenden Hände, sie waren für ihn wichtiger als alles andere. Er pflegte sie deshalb stets ausgiebig, vor allem eine tägliche Rasur gehörte dazu. Sein Körper war von dichtem grauem Fell überzogen, an den Händen duldete er keine Haare.
Irgendwo in der CANTLERY erklang ein Signal. Longasc ignorierte es. Erst musste er das verlorene Teil seines Kampfanzugs finden und dann die Reparatur beenden.
»Was ist ein Freibeuter von Oskort ohne Kampfanzug wert?«, rief er aufgebracht und gab sich selbst die Antwort: »Nichts. Überhaupt nichts.«
Aus einem anderen Haufen, der aus allem möglichen Gerümpel bestand, erklang ein provozierendes Schmatzen. Der Distelfrosch hatte unbemerkt seinen Standort gewechselt.
»Raumfledderer! Schrottanzug!«, quakte Plump.
Der Shabare fluchte, denn was der Distelfrosch von sich gab, entsprach der Wahrheit. Longasc verleugnete sie nur allzu gern. In der shabarischen Zivilisation, die überwiegend Nomaden, Freibeuter und Piraten hervorbrachte, gehörte er zur untersten Kaste, zu jenen, die sich mit dem begnügen mussten, was die anderen übrig ließen. Diese Unterprivilegierten wurden verächtlich als »Raumfledderer« beschimpft, und das war einem Grabschänder gleichzusetzen. Plump hatte dieses Wort wohl bei irgendeiner Begegnung aufgeschnappt, denn Longasc selbst benutzte es nie.
»Eines Tages bringe ich dich um!«, schrie der Shabare. »Ich werfe dich in die nächstbeste Sonne.«
Wieder ertönte das Alarmsignal. Longasc eilte in den Kommandostand. Die CANTLERY – der Name bedeutete »Licht und Stern von Erendyra« und war vielleicht ein wenig hochtrabend gewählt – fiel mit Unterlicht durch den Leerraum. Longasc ließ die Panzerplatten am Frontfenster hochfahren, um freien Ausblick zu bekommen. Es knirschte herzzerreißend, als die Schutzplatten auf halber Höhe verharrten. Ein neuer Defekt. Longasc befürchtete so etwas schon lange.
Er musste sich bücken, um in den Weltraum sehen zu können, entdeckte aber nichts Auffälliges. Als er den Schutzpanzer wieder schließen wollte, quietschte es bedrohlich; das war alles. Die Hydraulik der Panzerplatten versagte, also musste er vorerst auf diese zusätzliche Armierung vor dem Fenster verzichten. Longasc war solche Unannehmlichkeiten gewohnt. Reparaturen waren für ihn immer nur eine Frage der Zeit.
Die CANTLERY war ein besonderes Raumschiff. Ungezählte Wrackteile waren mit dem ursprünglichen Schiff verbunden worden, sodass von dessen einstigem Aussehen und seiner Technik nur mehr wenig zu erkennen war. Das wichtigste Segment war ein unregelmäßiger Vielflächner mit Auswüchsen, Beulen, Löchern und Türmchen. Obwohl kaum zehn Meter durchmessend, enthielt es die Zentrale, eine Wohnkabine und etliche Zusatzaggregate, unter anderem zwei nicht miteinander kompatible Positroniken, das Klimasystem – und Longascs Werkstatt.
Das Heck der »Licht und Stern von Erendyra« war identisch mit dem Antriebsblock eines altersschwachen Enerpsi-Triebwerks. Allein dieser Teil hatte unverändert die regelmäßige Form eines Rotationstrapezoids von zehn Metern Länge und Breite. Zwischen beiden »Enden« der CANTLERY erstreckte sich eine 100 Meter lange gitterförmige Stahlkonstruktion. In diesem Stahlgeflecht verstreut hingen Wrackteile oder einfach nur Schrott.
Für jemanden, der genauer hinsah, entpuppte sich sogar das Bugsegment mit der Zentrale als Flickwerk. Longasc hatte bizarre Wrackstücke mit viel Liebe und Hingabe, wenngleich ohne Sinn für Ästhetik, zusammengeschweißt.
Er schüttelte die strubbeligen, grün schillernden Haare, die seinen eiförmigen Kopf zierten. Der Bildschirm zeigte ihm eindeutig Ortungsechos, und das sogar in großer Zahl.
»Bei allen Elysischen Ringen!«, staunte der Shabare. »Die alte Kiste funktioniert.«
Es gelang ihm mit einiger Mühe, die Entfernung der georteten Objekte eindeutig auszumessen. In diesem Sektor war während seiner letzten Passage absolut nichts gewesen. Innerlich jubelte er, denn ein hoffnungsvoller Verdacht keimte in ihm auf.
»Krächz«, meldete sich die Positronik, die Sothalk – das Kriegeridiom, das Longasc ihr zu programmieren versucht hatte – nach wie vor nur unzulänglich beherrschte. »Bilddaten sind parallel zum zweiten Monolog.«
»Und – was bedeutet das?«, rief der Raumnomade.
»Die Bilddaten sind parallel zum zweiten Monolog.«
Longasc kannte die Stärken und Schwächen seiner beiden Positroniken zur Genüge, vor allem ihre Unverträglichkeit untereinander. Krächz war die technisch bessere Maschine, wenngleich im Ausdruck verdammt schwach. Sie musste früher einer extrem fremdartigen Intelligenz gehört haben. Kokon – so nannte der Shabare das andere Rechnersystem, weil es äußerlich an ein fast mannsgroßes Gespinst erinnerte – war technisch unfähig, jedoch als Translator sehr gut einsetzbar.
Longasc übertrug Krächz' Aussage akustisch an Kokon. Auf die Deutung musste er nicht lange warten.
»Jede Positronik ruht einmal während ihrer Existenz auf der sanften Wolke des Wartens und Sehnens«, erklärte Kokon. »Das ist die Phase, die mit der Programmierung beginnt und mit dem ersten Einsatz im Rahmen eines Verbundes endet, also in einem Labor oder Raumschiff. Während dieser Zeit spricht die Positronik nur mit sich selbst: der erste Monolog.«
»Weiter!«, drängte Longasc. Er war mit seinen Gedanken wieder bei dem defekten Kampfanzug, der in der Werkstatt auf die Reparatur wartete.
»Die Bilddaten sind parallel, das ist wahre Harmonie«, fuhr Kokon fort. »Es bedeutet, dass die Ortungsdaten weitgehend identisch sind mit dem, was diese verwirrte Positronik gedacht hat, als sie den zweiten Monolog führte.«
»Den zweiten Monolog?«
»Krächz meint eine zweite lange Phase der Ruhe, zweifellos die Zeit nach der Zerstörung des Raumschiffs, in dem sie einmal installiert war. Irgendwann hat wohl deine Urgroßmutter dieses Produkt gefunden, es auf die CANTLERY geschleppt und erneut aktiviert. Da endete die Zeit des zweiten Monologs.«
Longasc verstand. Die Ortungsbilder glichen denen, die Krächz nach der Zerstörung ihres früheren Raumschiffs aufgenommen hatte. Er klatschte sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel. »Ein Schlachtfeld des Kriegers – nur so kann es gemeint sein. Krächz hat eine solche Schlacht überlebt. Sie hat damals die Trümmer gesehen. Nun erkennt sie eine ähnliche Formation, also ein anderes Schlachtfeld, das die Getreuen Kalmers hinterlassen haben. Zu meinem Wohl hinterlassen!«
Longascs Augen leuchteten gierig aus dem üppig behaarten Gesicht. Was er erfahren hatte, verhieß ihm reiche Beute. Falls ihm nicht ein anderer Fledderer dazwischenkam oder einer der shabarischen Freibeuter, die sich mit ihren Kaperbriefen unberechtigte Vorteile erkämpften.
Er programmierte eine Enerpsi-Etappe, die ihn geradewegs zu dem entdeckten Schlachtfeld führen sollte. Leichtsinnig wurde er nicht. Erst als die Systeme der CANTLERY Klarmeldungen gaben, überließ er das Schiff sich selbst. Ohne Kampfanzug würde er jedoch über kurz oder lang zusehen müssen, wie andere die Überreste einsammelten, deshalb eilte er in die Werkstatt, um erneut alles abzusuchen. Peinlich genau diesmal.
Longasc stolperte fast über das verschwundene Teil. Der Schlauch lag am Rand eines der Schrotthaufen, als hätte er nur darauf gewartet, gefunden zu werden.
Der Shabare machte sich hastig an die Reparatur. Die meisten Probleme bereitete ihm das anfällige Recyclingsystem. Es hatte ihn schon einige Male an den Rand des Todes gebracht, weil die Stoffe, die es verarbeitete und neu produzierte, schnell zu unverträglichen Giften werden konnten. Sorgfältig baute Longasc den von ihm selbst gefertigten Anzug zusammen. Obwohl er das gute Stück als Kampfanzug bezeichnete, war dieses Konglomerat aus allen möglichen technischen Bestandteilen nichts weiter als ein waffenloser Schutz, eine Art Rüstung.
Plump schlich knurrend heran, während der Shabare die gelenklosen Metallhülsen über seine Beine streifte, die Arme in die ziehharmonikaartigen Schläuche steckte und den eiförmigen Rückentornister über die Metallkugeln an den Schultern nach hinten schwang.
»Du hast Hunger?« Longasc streichelte seinen Gefährten, der alle Stacheln eng an den Kugelkörper anlegte. »Da draußen wartet Beute, Plump. Ich bin sicher, diesmal ist auch für dich etwas dabei.«
Er nahm die letzten Handgriffe vor, klappte die gewölbte Brustplatte herunter und verband die Schläuche des Rückentornisters mit den Anschlüssen. Die stoppelartigen Auswüchse dienten der Steuerung der robotischen Zusatzbeine, die ihm eine hohe Geschwindigkeit ermöglichten. Longasc prüfte das Ein- und Ausfahren der Zusatzbeine und war zufrieden.
Zuletzt setzte er den Helm auf, der wie ein halbes grellrotes Ei aussah. Als das Ding seitlich fest einrastete, klappte er das getönte Visier herunter und tappte mit unbeholfenen Schritten zum Kommandostand zurück.
Die Enerpsi-Flugetappe war beendet. Die Panzerplatten am Frontfenster klemmten weiterhin, aber was Longasc trotz der Einschränkung sah, übertraf seine Erwartungen. Trümmer und Wracks so weit der Blick reichte. Und kein anderes Schiff war da, kein verhasster Freibriefler, der den Konkurrenten schnell verjagen würde.
Longasc schaltete das Traktorstrahlsystem des Mittelteils ein und setzte eine Leuchtboje an die Stelle des Metallgerüsts, an der bislang der meiste freie Platz war. Er bewaffnete sich mit einer Desintegratorsäge, schnappte sich drei riesige Tragebeutel und schwang sich auf die kleine Antigravplattform.
»Halt die Lichter und Sterne von Erendyra sauber!«, rief er Plump zu, der sich auf der Ortungskonsole einigelte.
Die Plattform schwebte auf die runde Schleuse zu. Drei Annäherungsversuche brauchte es, bis das Schott endlich aufglitt.
Longasc hatte ein Funkgerät in seinem zusammengeflickten Raumanzug, kam aber nicht auf den Gedanken, es einzuschalten. Er fühlte sich zwischen den weit verstreuten Trümmern einer Raumschlacht heimisch, außerdem hatte er nichts anderes im Sinn, als sich die wertvollsten Fundstücke zu sichern. Er konnte nicht ausschließen, dass bald ein höherprivilegierter Shabare erscheinen würde, um eigene Rechte geltend zu machen. Gerade deshalb galt für ihn, schnell möglichst viel zusammenzuraffen. Longasc hatte kümmerliche Zeiten hinter sich und war ohnehin nicht mit Reichtum gesegnet.
Er kurvte zwischen den Wrackteilen herum, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen und lohnende Ziele zu markieren. Für Situationen wie diese hatte er ein gutes Auge und konnte schnell rekonstruieren, was zerstört worden war.
Er entdeckte Wrackteile, die zu zwei unterschiedlichen Objekten gehörten. Bei dem einen hatte es sich um ein Raumschiff mittlerer Größe gehandelt. Die rekonstruierte Form verriet ihm, dass es ein Schiff von Gorims gewesen sein musste. Gorim bedeutete im Kriegeridiom schlechthin »Fremder«. Und fremd war für Longasc ziemlich alles, was nicht als shabarisch galt und nicht dem Krieger Kalmer zugeordnet werden konnte.
Die Trümmer des Gorim-Schiffs drifteten schon über einige Kilometer im Umkreis verteilt. Die Überreste des anderen Objekts waren sogar weiter verstreut, als Longascs einfaches Ortungsgerät reichte. Bei diesem großen Gebilde musste es sich um eine Raumstation gehandelt haben. Das gedankliche Zusammenfügen der Wracktrümmer ergab nur ein vages Bild, doch dem Shabaren reichte das Ergebnis. Auch die Raumstation war für ihn absolut fremd und damit gorim.
Er machte sich kaum Gedanken über die Intelligenzen, die hier durch die Macht des Kriegers ihr Leben verloren hatten. Es war ein ewiges Gesetz, wer sich im Kampf nicht bewährte, musste weichen. Longasc lebte von den Hinterlassenschaften dieser Opfer, und so war ihm jedes neue Drama recht.
Nachdem er sich einen schnellen Überblick verschafft hatte, ging der Raumfledderer gezielter vor. Er fand eine komplette hydroponische Anlage, die er zuerst bergen und an die CANTLERY koppeln musste. Longasc brauchte nur ein paar Verbindungen zu wertlosen Wrackteilen zu kappen, schon kam die Anlage mit ihren Pflanzen frei und trieb langsam durch den Raum.
Über die Fernsteuerung aktivierte der Shabare das Traktorsystem seines Schiffes. Der Zugstrahl war starr ausgerichtet, deshalb hatte er einige Mühe, seinen Fund in die richtige Position zu bringen. Danach sah er sein Nahrungsproblem für die nächste Zeit gelöst. Auch der Distelfrosch, der nahezu jede biologische Substanz aufnehmen konnte, würde zufrieden sein.
Longascs zweites Ziel war das Antriebssystem des Gorim-Schiffes. Leider wiesen sämtliche Aggregate derart große Zerstörungen auf, dass er nicht einmal verwertbare Systemteile entnehmen konnte.
Auf der Suche nach anderen lohnenden Dingen stieß er kurze Zeit später auf einen fassförmigen Tank. Im Licht seines Doppelscheinwerfers erschienen abgerissene Verbindungsschläuche. Winzige Kugeln hatten sich um den Tank herum gesammelt. Longasc fischte eine davon auf und stellte fest, dass es sich um eine Flüssigkeit handelte, wahrscheinlich um Wasser. Der große Behälter musste also mit.
Er schaltete schon an der Fernsteuerung des Traktorstrahls, da dröhnte in seinem Helm ein Warnton. Wieder war es das Recyclingsystem, das verrücktspielte. Longasc fluchte vor sich hin, weil es ihm nicht gelang, den Fehler zu lokalisieren. Ihm war klar, dass er damit zur vorzeitigen Rückkehr in die CANTLERY gezwungen wurde, falls er kein unabschätzbares Risiko eingehen wollte.
Der eingeschaltete Traktorstrahl wartete unterdessen darauf, dass ein Objekt in sein Kraftfeld geriet. Longasc musste sich mit der Fehlersuche beeilen, denn das gesamte Trümmerfeld befand sich in langsamer Rotation, und irgendwann würde der Traktorstrahl etwas erfassen und zur CANTLERY zerren, egal, um was es sich handelte. Einmal war genau das schon passiert. Ein undefinierbares Konglomerat aus verschweißtem Metall hatte den Kommandostand des Schiffes nahezu vollständig zertrümmert. Wenigstens hatten Krächz und Kokon diesen Unfall überstanden, Longasc hatte jedoch endlose Tage gebraucht, um sein Heim zu flicken.
Hektisch suchte er nach dem Fehler im Recyclingsystem seines Anzugs. Dabei musste er sich völlig auf die Anzeigen verlassen. Die Atemluft war frisch und verriet nichts Auffälliges.
Als Longasc den Fehler endlich fand, trommelte er wütend auf die Robotbeine. Der Sammelbehälter für die Körperausscheidungen hatte Alarm ausgelöst, obwohl er leer war. Der Fehler lag in der Steuerung, es gab also keinen akuten Handlungsbedarf. Longasc konnte endlich den Flüssigkeitstank bergen. Er zerrte, zog und stieß, bis er den Behälter endlich im Wirkungsbereich des Traktorstrahls hatte. Die Entfernung zur CANTLERY war schon merklich größer geworden war, deshalb geriet der Tank nur langsam in Bewegung.
Longasc wollte sich gerade den nächsten Beutestücken zuwenden, da blendete ihn ein greller Lichtblitz.
Als er endlich wieder klar sehen konnte, schwebte er inmitten einer Wolke aus Myriaden winzigen Tröpfchen. Der Tank war völlig zerfetzt worden. Longasc verstand die Welt nicht mehr. Seine ohnehin nervösen Blicke sprangen durch den Raum, der Doppelscheinwerfer des Helms ergoss grelle Helligkeit über die ihn umgebenden Wrackteile.
Longasc kam zu der Vermutung, dass der Traktorstrahl die Explosion zufällig ausgelöst hatte. Vorsichtshalber stellte er Funkkontakt zu seinem Schiff her, doch Krächz meldete sich nicht. Stattdessen zitierte die Stimme des Distelfroschs irgendwas Unverständliches.
»Verschwinde vom Mikro!«, brauste der Shabare auf.
»Mikro kaputt«, gluckste Plump.
Endlich meldete sich Krächz. »Funkanrufe«, berichtete die Positronik. »Bekanntes Raumschiff. Drohung. LITTURO. Closcurt.«
»Verdammter Raumdreck und alle Teufel von Erendyra!«, schrie Longasc wütend, denn sofort war ihm klar, wer den Flüssigkeitstank auf dem Gewissen hatte.
»Wo steckst du, Freibriefler?«, brüllte er. »Du gieriger Geier, der keinem anständigen Shabaren die Luft zum Atmen gönnt.«
»Ich lasse dir sogar eine winzige Chance, Raumfledderer«, kam die Antwort. »Verschwinde, und das plötzlich!«
»Closcurt ...« Longasc versuchte es mit der Jammermethode, obwohl er wusste, dass damit nichts zu gewinnen war. »Hier treibt genug für uns beide durch den Raum. Ich brauche nur ein paar kleine Fundstücke für mein Überleben. Den großen Rest überlasse ich dir.«
Der ranghohe Freibeuter lachte spöttisch. So sehr sich Longasc auch bemühte, er entdeckte den anderen Shabaren noch nicht einmal.
»Dumm, wie du bist, Raumfledderer, verstehst du gar nichts. Ich gehöre zum Tross des Kriegers Kalmer. Du darfst also von den Abfällen leben, die ich dir gnädig hinterlasse. Und wenn dir das nicht reicht, liegt das allein an dir. Soll ich dir meinen Freibrief unter die Nase halten? Oder willst du, dass ich dein jämmerliches Schiff in die nächste Sonne stoße?«
»Hab wenigstens ein Herz!«, klagte der Raumfledderer.
»Hab ich.« Closcurts Gönnerhaftigkeit war pure Ironie.
Longasc sah sich jäh in ein flirrendes Energiefeld gehüllt. Er hatte keine Möglichkeit, sich mit den bescheidenen Mitteln seines Anzugs zur Wehr zu setzen. Das Energiefeld beschleunigte ihn, er torkelte durch die Leere und knapp an kleineren Trümmern vorbei.
»Plump!«, brüllte er. »Hilf mir!«
Das Flirren um ihn erlosch, doch Longasc bemerkte eine abrupte Richtungsänderung. Er verstand nicht, woher der plötzliche Sog kam, bis er das einsame Positionslicht entdeckte. Er selbst hatte es auf der CANTLERY gesetzt, um sich orientieren zu können. Nun bewegte er sich direkt darauf zu.
Schlagartig wurde ihm einiges klar. Der Freibriefler Closcurt hatte ihn in seinen eigenen Traktorstrahl manövriert. Und der holte ihn zur CANTLERY zurück.
Mühsam hantierte Longasc an der Fernsteuerung, um den Projektor abzuschalten. Irgendwie schaffte er es sogar, denn der energetische Sog erlosch.
»Ich sollte dich auf einer Amüsierwelt als Witzfigur verkaufen!«, lachte Closcurt. »Du wirst vermutlich nie begreifen, Raumfledderer, dass es kein Mittel gegen die Gefolgsleute des Kriegers gibt.«
Longasc spürte einen Ruck. Sein Hinterkopf knallte gegen den Raumhelm. Der Traktorstrahl war plötzlich wieder aktiv.
»Ich jage dich in die Flucht wie einen räudigen Bastard!«, tönte Closcurt. »Bei drei bist du hier weg, oder meine Geduld hat ein Ende.«
Longasc ergab sich in sein Schicksal. Es hatte alles keinen Sinn. Gegen den Freibeuter würde er nie eine Chance bekommen, und auf Gnade oder Rücksicht durfte er schon gar nicht hoffen. Er konnte froh sein, dass er die Hydroponik rechtzeitig zur CANTLERY gebracht hatte.
Schnell näherte er sich dem Schiff. Er aktivierte den Rückentornister, um sich aus dem Zugstrahl zu befreien. Das gelang ihm gerade noch, bevor er sich in der Gitterkonstruktion verletzt hätte. Benommen fand er die Schleuse des Kommandostands und rettete sich ins Innere der CANTLERY.
»Krächz, Anweisungen?«, fragte die eine Positronik.
»Hunger!«, blubberte der Distelfrosch.
Longasc klappte den Helm zurück. Endlich sah er im Orterbild die bizarren Umrisse der LITTURO. Das Raumschiff des Freibrieflers war ähnlich wirr zusammengesetzt wie sein eigenes, aber es strahlte Würde und Macht aus.
Die Macht bekam Longasc sofort wieder zu spüren. »Bist du sicher in deinem Schrotthaufen angekommen, Raumfledderer?«, höhnte der Freibeuter über Funk. »Du bist schockiert und kannst nicht antworten? Wenn du Pech hast, ist deine Schleuse noch offen. Pass auf!«
Die CANTLERY drehte sich. Plump kreischte auf und rollte wie ein Geschoss durch den Kommandostand, weil die künstliche Schwerkraft versagte. Longasc bekam irgendein Gestänge zu fassen, an dem er sich festklammern konnte. Gleichzeitig beschleunigte die CANTLERY mit einem Wert, den die altersschwachen Neutralisatoren nicht lange bewältigen würden. Vom stärker werdenden Andruck gequält, fluchte der Raumfledderer, was das Zeug hielt.
»Die Raumpest soll dich fressen, Closcurt! Und die Faust des Kriegers soll dich zu Staub zermalmen!«
Closcurt schwieg. Erst als die Trümmer des Schlachtfelds zu kaum noch erkennbaren Signalen geworden waren, entließ der Freibriefler die CANTLERY aus dem Griff seiner überlegenen Technik.
Longasc rappelte sich auf. Hastig prüfte er die Systeme. Er würde wieder viele Tage mit Reparaturen verbringen müssen. Aber wenigstens hatte er die Begegnung mit dem widerlichen Closcurt überstanden.
Der Distelfrosch kam schmatzend und jammernd auf ihn zu.
»Ja, ich hab was für dich.« Longasc hob das Tier in die Höhe und streichelte sanft über die Stacheln, die sich brav an den Kugelkörper legten. »Ich zeige dir sogar die Köstlichkeiten.«
Er fuhr die Panzerabdeckung der kleinen Heckluke zurück, um auf das Gestänge blicken zu können. Er kannte jede Einzelheit, jedes Beutestück, das in dem Gitterskelett zwischen dem Antriebssektor und dem Kommandostand verankert war. Irritiert streifte sein Blick über die kümmerlichen Habseligkeiten. Die Hydroponik mit den Pflanzen war nicht mehr da. Closcurt hatte das wertvolle Beutestück abgekoppelt.
»Dieser elende Kerl!«, stöhnte Longasc. »Ich fürchte, mein Kleiner, dass ich dich wieder mit Kunststoffresten abspeisen muss. Die Weltraumratte Closcurt gönnt uns nicht die kleinste Annehmlichkeit.«
»Traumratte«, gluckerte Plump, aber Longasc beachtete ihn schon nicht mehr. Der Shabare entledigte sich mühsam seines alten Raumanzugs.
»Krächz, Funksignale!«, meldete sich die Positronik.
»Ich will meine Ruhe haben!«, keuchte Longasc.
»Krächz, es ist Closcurt.«
»Was will der Leichenschänder noch?«
»Raumfledderer«, hallte die Stimme des Freibrieflers aus den Lautsprechern, »durch dich bin ich auf eine heiße Spur gestoßen. Das Gorim-Schiff und die zerstörte Station sind sehr bedeutend. Ich werde mich deshalb erkenntlich zeigen.«
»Was willst du?« Longasc witterte eine neue Laune oder Falle des Artgenossen.
»Ich gebe dir nützliche Koordinaten, Raumfledderer«, behauptete Closcurt. »Suche den Rand von Erendyra auf. Dort wirst du alles finden, was dein Herz begehrt.«
Es folgte eine Koordinatenansage, die für Longasc unverständlich blieb. Die Positronik meldete allerdings: »Krächz, verstanden.«
»Ein verlassenes Schlachtfeld des Kriegers?« Longascs Neugierde war geweckt. Zugleich seine Gier.
»Du wirst es bald erfahren.« Closcurt lachte. »Falls dein schrottreifer Kahn dich überhaupt ans Ziel bringt. Bist du noch immer in meiner Reichweite?«
Mit beiden Positroniken programmierte Longasc den Kurs. Die Koordinaten lagen tatsächlich sehr nahe vor der Heimatgalaxis. Stotternd sprang der altersschwache Enerpsi-Antrieb der CANTLERY an. Das Schiff nahm Fahrt auf.
Die Warnsignale im Kommandostand beachtete der Shabare nicht. Er machte sich über seinen Raumanzug her, um den Fehler im Behälter für Körperausscheidungen zu finden. Wenigstens diesmal hatte er schnell Erfolg – das war nicht immer so. Ein winziges Klümpchen Talg hatte sich über den Messfühler gelegt, ihn blockiert und den Falschalarm ausgelöst.
Ein Heulton setzte ein. Die Hauptpositronik meldete sich: »Krächz, Ausfall des Enerpsi-Antriebs. Rücksturz in den Normalraum.«
Longasc geriet deswegen nicht in Panik. Sogar solche Zwischenfälle hatte er oft genug erlebt. Bei den danach notwendigen Reparaturen war er ein wahrer Meister.
»Entfernung zum Ziel?« Sein vorrangiges Interesse galt trotz allem zuerst der erhofften Beute.
»Krächz, sechs Lichtjahre.«
»Hungerjahre!«, knurrte Plump.
»Ortung einschalten!«, befahl Longasc.
»Krächz, kein Zugriff. Selber machen.«
Der Shabare aktivierte das Gerät und suchte den von Closcurt bezeichneten Sektor ab. Aller Mühe zum Trotz entdeckte er nichts. Offenbar hatte der Freibriefler ihn einmal mehr zum Narren gehalten. Oder Krächz hatte die Koordinaten falsch interpretiert. Denkbar auch, dass der unterbrochene Enerpsi-Flug dafür verantwortlich war.
Longasc erwartete nicht, jemals eine Antwort auf seine Fragen zu bekommen, deshalb dachte er nicht weiter darüber nach. Für den Distelfrosch fand er sogar einige überflüssige Plastikstreifen und etwas schales Wasser. Für sich selbst kramte er in der Vorratskammer die letzten Reste zusammen.
»Es reagiert niemand auf meine Kontaktversuche«, teilte das Virenbewusstsein der LASHAT mit und fügte hinzu: »Die verwirrenden Signale kommen eindeutig von diesem Objekt.« Die Vishna-Stimme betonte das letzte Wort so merkwürdig, dass Ronald Tekener stutzte.
»Was willst du damit andeuten?«, fragte er.
»Nach meiner Einschätzung haben wir es mit einem Wrack zu tun«, antwortete das Schiff. »Damit verstärkt sich die Annahme eines Notrufs – der soeben jedoch eingestellt wurde.«
Die LASHAT hatte sich dem unbekannten Raumschiff bis auf knapp zehn Lichtminuten angenähert. Es gab bislang keine Reaktion darauf, es sei denn, das Ende der eigenartigen Signale wäre so zu werten gewesen.
Der Smiler reagierte vorsichtig. In einem ihm unbekannten Raumsektor musste er jederzeit mit unliebsamen Überraschungen rechnen. Der vermeintliche Notruf konnte durchaus eine Falle sein.
»Distanz halten!«, verlangte er.
Die Messwerte zeigten nichts Auffälliges. Ronald Tekener hatte für die Überwachung Dreierteams im Schichtdienst eingeteilt. Der ehemalige Sturmreiter Pancar Vasares, der sich mithilfe des Virotrons, einer Art SERT-Haube, in eine Quasi-Symbiose mit dem Schiff begeben konnte, zählte nicht dazu. Ebenso wenig Tekener selbst und seine Frau Jennifer. Momentan war Pancars Platz verwaist. Allerdings würde der dunkelhäutige Terraner sehr schnell zur Stelle sein, falls das nötig wurde.
Aktuell hatten die Zwillinge Yuti und Laka a Trento Zentraledienst. Die beiden Frauen, untersetzt und um die 50, bezeichneten sich wegen ihrer Heimat Mars viel öfter als Marsianerinnen denn als Vironauten oder Galaktiker. Yuti agierte als Protokollarin. Ihr stand dafür eine vom Schiff unabhängige Positronik zur Verfügung. Laka hingegen hatte sich der internen Absicherung verschrieben. Sie hielt Kontakt zu allen Sektionen der LASHAT, ebenso zu den großen Beibooten PROSPEKTOR 1 und 2.
Der dritte Vironaut der diensthabenden Schicht war Falco Hoelzel. Erst 22 Jahre alt, galt der schlanke Terraner an Bord gemeinhin als Spaßvogel. Tekener bezeichnete Hoelzels Funktion schlicht als »Freier Mann«.
»Wenn in dem fremden Schiff tatsächlich jemand einen Notruf gesendet hat, dann lassen wir ihn momentan bös im Stich«, sagte Pathythia Baal unvermittelt. »Ich meine, wir sollten die Vorsicht nicht auf die Spitze treiben, sondern uns von Menschlichkeit leiten lassen. Jennifer, du bist für die Beiboote zuständig. Ich denke, du bist einverstanden, wenn ich mit der PROSPEKTOR 2 die kurze Distanz fliege. Ich bin als Mentorin geschult. Vielleicht kann ich jemanden retten und als Freund für uns gewinnen.«
Ronald Tekener zeigte Path ganz unverhohlen einen Vogel. »Das Risiko gehst du nicht ein!«, widersprach er. »Wenn schon, dann jemand mit Erfahrung ...« Er fasste sich unvermittelt an den Kopf, weil sich dort etwas bewegte. Als er die Hand ebenso hastig zurückzog, saß ein blauer Wellensittich darauf.
»Es scheint sich um deinen Vogel zu handeln, Tek«, bemerkte Pathythia kess.
Der Aktivatorträger wollte mit der linken Hand zugreifen, aber der Vogel flatterte auf und ließ ein gelbliches Tröpfchen fallen. Es landete zielsicher auf der Stirn des Smilers. Falco Hoelzel stieß ein gackerndes Lachen aus.
»Was soll der Unsinn?«, schimpfte Tekener. »Wer hat den Vogel in die Zentrale gelassen? Wo kommt er überhaupt her?«
»Er ist aus dem Nichts erschienen!«, antwortete das Schiff.
Für den Smiler war das der entscheidende Hinweis. Er wandte sich wieder Pathythia Baal zu. »Du mit deinem Psi-Firlefanz, lass den Unsinn!«
Jennifer Thyron hob beschwichtigend beide Hände. »Path wollte dir nur beweisen, dass sie in der Lage ist, selbstständig eine Aufgabe zu übernehmen. Und ich denke, dass ihr die Übernahme von Verantwortung guttun wird. Was kann schon passieren, wenn sie die PROSPEKTOR 2 probeweise als Mentorin übernimmt? Wir sind in der Nähe.«
Das Anti-Mädchen hakte sich bei Jennifer unter und blickte Tek herausfordernd an. Der Smiler zögerte, weil Falco ihm ein Tuch reichte, mit dem er den Vogelschiss auf seiner Stirn entfernen konnte.
»Das sieht sehr nach einem abgekarteten Spiel aus«, zürnte Tekener. »Damit kriegt ihr mich nicht herum.«
»Es ist nicht nur ein abgekartetes Spiel, sondern eine absolut notwendige und längst beschlossene Sache«, gab die Xenopsychologin Jennifer offen zu.
Tekener holte tief Luft. »Wer ist eigentlich der Kommandant?«, fragte er.
»Im Moment bin ich das – ganz offiziell sogar«, gab seine Frau zurück. »Du hast Freischicht. Also Beeilung, Path! Wir stellen die Mannschaft für die PROSPEKTOR 2 zusammen.«
Pathythia deutete auf Hoelzel. »Falco ist dabei. Mir gefällt sein Lachen.«
Ronald Tekener schüttelte den Kopf und winkte ab. Das Realholo des Wellensittichs, von der jungen Anti mit ihrer psionischen Kraft erzeugt, hatte sich schon wieder aufgelöst.
Das Virenschiff LASHAT war 194 Meter lang, maß maximal 150 Meter in der Breite und war nicht höher als 43 Meter. In seiner Form ähnelte es einer schräg stehenden überdimensionierten Schalteinheit mit einer Vielzahl unterschiedlicher Aufbauten. Das Heck präsentierte sich stumpf, mit tankartigen Aufsätzen. Dort war an der rechten Seite die PROSPEKTOR 1 verankert. Das Beiboot wirkte wie ein integraler Bestandteil des Virenschiffs. Alle weiteren Boote hatten ihren Liegeplatz auf der linken Seite oder standen in einem Hangar. Unterhalb des Hangars fügte sich die PROSPEKTOR 2 ein.
Pathythia Baal stand mit Jennifer Thyron und Falco Hoelzel in der Zentrale an der Stirnseite des großen Beiboots.
»Du hast hier eine eigenständige Vi-Stimme«, erinnerte die Xenopsychologin das Anti-Mädchen.
»Ich weiß.« Die Sechzehnjährige lächelte verlegen.
»Und du hast sechzehn Helfer an Bord, die dich unterstützen – mich brauchst du nicht«, redete Jennifer Thyron weiter. »Ich lasse euch freie Hand. Meine Tests mit dir haben eindeutig ergeben, dass du als Mentorin sehr gut geeignet bist. Das ist alles, was ich dir vor deiner ersten Aufgabe noch sagen wollte.«
Pathythia reagierte mit einer zustimmenden, wenn auch ein wenig zögerlichen Geste, dann nahm sie Kontakt zum Beiboot auf. Wie auf der LASHAT war auch hier die weiche, dunkle Vishna-Stimme allgegenwärtig.
»Ich nenne dich Vi-Zwei«, sagte Pathythia. »Abkoppeln, sobald Jennifer das Boot verlassen hat! Kurs auf das fremde Raumschiff und Enerpsi-Flug bis auf eine Distanz von fünf Kilometern. Holoprojektion permanent mit dem Mutterschiff teilen!«
»Das ist nicht möglich«, entgegnete Vi-Zwei. »Wir haben keine materielle Verbindung mehr zur LASHAT.«
Path war sekundenlang irritiert, dann erkannte sie ihren Fehler. »Ich meine Kontakt über Psi-Kom«, korrigierte sie rasch.
»Ich kümmere mich um die Ortung«, bot Falco Hoelzel an.
Das Beiboot näherte sich bereits dem seltsamen fremden Objekt. Während Path durch das Sichtfenster beobachtete, wählte der Vironaut aus der Fülle der Messwerte die sensibelsten aus. Vi-Zwei projizierte die entsprechenden Holos mitten im Raum.
»Ich erkenne eine Bewegung im Mittelteil des Wracks«, kommentierte Hoelzel. »Jemand oder Etwas klettert durch das Gestänge.«
»Näher ran!«, verlangte Pathythia.
Vi-Zwei kam dem Wunsch umgehend nach. Path entdeckte eine Gestalt mit sechs Extremitäten. In einem seltsam aussehenden Raumanzug kletterte dieses Wesen spinnengleich durch das Metallskelett des Raumschiffs.
»Was ist das für ein komischer Bursche?«, platzte das Anti-Mädchen heraus.
»Schwache Funksignale!«, meldete Vi-Zwei. »Kaum verständlich, aber sie kommen eindeutig von dem Fremden. Sein Energievorrat scheint erschöpft zu sein.«
»Kannst du etwas verstehen?«
»Ich brauche ein größeres Vokabular«, bedauerte das Schiff.
»Setz dich mit der LASHAT-Vi in Verbindung! Sie hat verstümmelte Funksprüche aufgenommen, die von der Spinne in dem Stahlnetz stammen könnten.«
»Spinne?«, fragte Vi-Zwei, ohne Pathythias Aufforderung zu bestätigen.
»Mach schon!«, drängte Path. »Und dann beweg dich näher auf den Vierbeinigen zu! Können wir ihn mit einem Traktorstrahl holen?«
»Sofern er sich nicht dagegen zur Wehr setzt, ja.« Die Stimme des Beiboots zögerte kurz. »Eine Teilidentifizierung ist gelungen. Der Unbekannte ist kein Vierbeiner, sondern weist zwei Arme und zwei Beine auf. Er heißt Longasc und bezeichnet sich als Shabare und Freibeuter. Er hat einen kleinen Defekt an seinem Raumschiff, das er CANTLERY oder LICHT UND STERN VON ERENDYRA nennt.«
»Hol ihn an Bord!«, entschied Pathythia.
»Bist du der Kommandant?«, tönte es aus dem grellroten Kopfschutz des Fremden, kaum dass er Pathythia Baal gegenüberstand.
Der Translator arbeitete bereits sehr gut, die Erkenntnisse aus den aufgefangenen Funksprüchen reichten dafür.
»Ich bin die Kommandantin dieses Beiboots«, bestätigte Path. Sie nannte ihren Namen und stellte Falco und die beiden Vironauten vor, die den Shabaren von der Schleuse in die Zentrale gebracht hatten. »Du kannst deinen Helm abnehmen und auch die schwere Rüstung ablegen. Die Atmosphäre ist für dich atembar.«
Ronald Tekener war seit wenigen Augenblicken als Holo zugeschaltet.
»Du hast alles ordentlich gemacht, Path«, lobte der Smiler. »Ich schlage vor, dass du schnell zur LASHAT zurückkommst. Wir wollen uns mit Longasc in seiner ... Rüstung ...?« Tekener suchte nach einem passenden Begriff für den zusammengeflickten, schwer zu definierenden Raumanzug des Fremden.
»Eiserne Jungfrau ...«, blubberte es aus dem kleinen Behälter, den der Shabare an einem breiten Band an seiner Seite trug.
Ein Grinsen huschte über Tekeners pockennarbiges Gesicht. »Ja, das scheint mir zutreffend«, bestätigte er grinsend. Zugleich kniff er forschend die Brauen zusammen und musterte den Behälter. »Also, Path, das ist wieder dein Part.« Mit aller Vorsicht!, fügte er lautlos hinzu.
Pathythia Baal las dem Aktivatorträger die Mahnung von den Lippen ab. Sie nickte. »Wir sind schon auf dem Rückflug, Tek.«
Erst in der Zentrale der LASHAT war Longasc bereit, den Anzug mit dem zusätzlichen Robotbeinpaar abzulegen. Zudem öffnete er den Behälter, aus dem ein höchst merkwürdiges Geschöpf kroch. Die Stachelkugel gluckste und schien damit gar nicht aufhören zu wollen.
»Hunger«, übersetzte Vi.
Jennifer Thyron ließ verschiedene Nahrungsmittel bringen. Der Shabare und sein Begleiter machten sich mit Heißhunger darüber her.
Die Kugel war mehrfach faustgroß, stachlig und grün, und sie bewegte sich auf acht Stummelbeinen. Die Nahrung nahm sie über eine kaum erkennbare Öffnung an der Unterseite auf. Woher die blubbernde Stimme kam, blieb verborgen, denn die Stacheln standen zu dicht und zu wirr. Die Vironauten konnten nicht einmal sagen, ob sie ein Tier oder eine Pflanze vor sich hatten. Longascs Behauptung, es handle sich um einen Distelfrosch, ließ beide Möglichkeiten offen.
Der Shabare lehnte sich gesättigt im Sessel zurück.
»Das ist ein Leben, das ich mir gefallen lasse.« Bewundernd schaute er sich um, und seine Zunge schnellte vor und zurück. »Es gehört sich wohl, dass ich euch meinen Dank sage. Ebenso für Plump, der das nur schwer selbst äußern kann, er verfügt über keine nennenswerte Intelligenz.«
Tekener lächelte nur. Er hielt es für angebracht, den Fremden erst einmal reden zu lassen.
»Einen Haken hat die Sache, leider«, fuhr Longasc wie im Selbstgespräch fort. »Ihr seid Gorims. Ich könnte Ärger mit den Freibrieflern bekommen oder gar mit dem Krieger. Closcurt ist mir permanent mit seiner LITTURO auf den Fersen, und er kennt keine Gnade.«
»Langsam bitte, langsam. Für mich redest du wie von Schwarzen Löchern.« Pathythia Baal ignorierte Tekeners Zurückhaltung und ließ ihrer Anspannung endlich freien Lauf. »Was bedeuten Gorim, Freibriefler, Krieger, Closcurt oder LITTURO? Woher kommst du? Was ist mit deinem Raumschiff passiert? Wohin willst du?«
»Das sind viele Fragen gleichzeitig«, entgegnete Longasc. »Ich gebe dir eine Antwort, Gorim, und sie sollte dir genügen: Ich gehöre zum Tross des Kriegers Kalmer.«
»Lügen haben kurze Beine«, blubberte der Distelfrosch.
Der Shabare trat nach der Stachelkugel, traf sie aber nicht. »Du hast kurze Beine!«, schrillte er. »Wie kannst du es wagen, einen legitimierten Freibeuter als Lügner hinzustellen?«
»Du möchtest also zum Tross des Kriegers gehören«, folgerte Jennifer Thyron. »Bleib am besten bei der Wahrheit, Longasc. Keine Beschönigungen oder Wunschdenken.«
Die braunen Kugelaugen des Shabaren blickten die große, schlanke Frau ergeben an. Seine biegsamen Arme glitten durch die Luft, als suchten sie Halt.
»So ist es in etwa«, gab er nach einer Weile kleinlaut zu. »Eigentlich gehören alle Shabaren zum Tross des Kriegers Kalmer. Ihr wisst sicher, wie das ist. Einige haben immer etwas mehr recht als die anderen. Und auch bessere Rechte. Das ist der ewige Lauf der Dinge, meine neuen Freunde.«
»Du gehörst zu den Benachteiligten?« Jennifer spielte Longasc den Ball zu, und er wurde schnell wieder redseliger.
»Man nennt mich Raumfledderer«, sagte er verschämt. »Ich muss von dem leben, was die anderen Nomaden meines Volkes liegen lassen. Die schlimmsten sind die, die einen Kaperbrief haben. Closcurt mit seiner LITTURO – das bedeutet ›Kaperstolz‹ – gehört zu diesen echten Freibeutern des Kriegers. Er ist ein schäbiger, überheblicher und geiziger Freibriefler.«
»Wo ist deine Heimatwelt, Longasc?«
»Oskort.« Der Behaarte verzog sein Gesicht. »Der vierte Planet der Sonne Plaak, irgendwo im Zentrum von Erendyra. Ich war nie dort. Ich wurde im Raum geboren. Wahrscheinlich hat schon meine Urgroßmutter die CANTLERY geflogen. Das heißt ›Licht und Stern von Erendyra‹. Mein Raumschiff.«
»Meinst du damit den Schrotthaufen, von dem wir dich geholt haben?«, fragte Pathythia unbekümmert. Sie erntete dafür einen verweisenden Blick Jennifers. Longasc schien abfällige Äußerungen gewohnt zu sein, er reagierte jedenfalls nicht.
»Mein Enerpsi-Antrieb hatte eine Störung«, redete der Shabare weiter. »Ich wollte eben mit der Reparatur beginne, da seid ihr erschienen.«
Das Staunen war auf der Seite der Vironauten, denn der Anblick der CANTLERY hatte nicht einmal erahnen lassen, dass dieses halbe Wrack über einen hoch technisierten Antrieb verfügte.
»Ihr seid Gorims, auch wenn ihr euch freundlich verhaltet.« Longasc seufzte, jedenfalls klang es so. »Gorims – Fremde, ein unumstößlicher Begriff der Sprache Sothalk, die der Krieger Kalmer meinen Vorfahren wohl beigebracht hat. Da ich keinen Kaperbrief habe und auch nie einen bekommen werde, darf ich euch weder angreifen noch ausbeuten.«
»Das würde dir ohnehin schlecht bekommen«, mischte sich der Smiler ein. »Wer ist dieser Krieger Kalmer? Gehört er zu euch Weltraumnomaden?«
»Du kennst den Ewigen Krieger nicht?« Longasc war deutlich überrascht.
»Wir kommen von weither«, sagte Jennifer. »Wir haben von Kalmer nie gehört.«
»Nun ja, ich kenne ihn auch nicht persönlich«, gab der Shabare zu. »Keiner tut das, nehme ich an. Trotzdem ist er allgegenwärtig. Die meisten Shabaren gehören zu seinem Tross, zumindest alle Höhergestellten. So wie Closcurt.«
»Closcurt hat es dir besonders angetan?«, meinte Tekener.
Longasc berichtete von seinen jüngsten Erlebnissen und dem letzten Zusammenstoß mit dem Freibeuter. Als von dem zerstörten Gorim-Schiff die Rede war, stutzte der Smiler und forderte Vi auf, das Holo eines TSUNAMIS zu projizieren.
»Sieh dir die Darstellung an, Longasc«, bat der Aktivatorträger. »Stammten die Wracktrümmer von einem solchen Schiff? Oder hast du irgendwo dieses Raumschiff gesehen?«
Der Shabare ging mehrmals langsam um die Projektion herum, wobei ihm der Distelfrosch auf Schritt und Tritt folgte.
»Nein«, sagte er dann bestimmt. »Es tut mir leid. So ein Kugelschiff habe ich nie gesehen. Auch keine Überreste davon. Ich bin mir sicher.«
Ronald Tekener wusste nicht, ob er über diese Aussage enttäuscht oder erfreut sein sollte. Ohne auf die Hintergründe einzugehen, erklärte er dem Raumfledderer, was ihn an diesen Ort geführt hatte.
»Ich würde euch gern behilflich sein«, sagte Longasc. »Obwohl mich Ärger erwartet, sobald bekannt wird, dass ich mich mit Gorims abgebe. Nein, davor fürchte ich mich nicht, ich bin Kummer gewohnt. Nur ist mir schleierhaft, wie ich euch unterstützen könnte.«
»Wenn du uns hilfst, eine Spur des TSUNAMIS zu finden, bringen wir dich mitsamt der CANTLERY an einen von dir gewünschten Ort. Wir unterstützen dich zudem bei den notwendigen Reparaturen. Und du bist unser Gast.« Den letzten Satz betonte Ronald Tekener besonders.
Der Shabare sprach sofort darauf an. »Mit Freude!«, rief Longasc, zögerte dann aber. »Ich merke, dass du etwas Bestimmtes von mir erwartest.«
»Zeig uns den Weg zu dem Schlachtfeld des Ewigen Kriegers, von dem Closcurt dich verjagt hat!«
Der Raumfledderer schüttelte ächzend den Kopf. Begeisterung sah anders aus.
»Es ist deine Entscheidung«, schwächte Tekener ab.
Longasc hob beide Hände. »Ich zeige euch den Weg. Dafür muss ich an Bord der CANTLERY und Krächz befragen. Krächz ist eine meiner Positroniken und hat alle Koordinaten gespeichert. Nur – das Problem liegt woanders.«
»Und wo?«, fragte Jennifer Thyron. »Wir sind Kummer gewohnt.«
»Closcurt«, klagte der Raumfledderer. »Ich warne euch vor dem Freibeuter. Er besitzt einen Kaperbrief, und das bedeutet, dass er mit jedem Gorim kurzen Prozess macht. Wenn Closcurt euch sieht, dann gehen für euch die Sterne von Erendyra unter. Meine ebenso. Ihr solltet besser an einem anderen Ort nach dem TSUNAMI suchen als gerade dort, wo ihr dem Freibriefler begegnen müsst.«
Der Smiler setzte sein berüchtigtes Lächeln auf. »Lass das ruhig unsere Sorge sein, Longasc.«
Pathythia Baal und Falco Hoelzel brachten den Shabaren zu seinem Schiff zurück. Ronald Tekener bemühte sich währenddessen mit tatkräftiger Unterstützung, das Wrackschiff des Shabaren anzukoppeln. Eine Fernanalyse Vis hatte bereits ergeben, dass die nötigen Reparaturarbeiten ziemlich aufwendig ausfallen würden.
»Die Koordinaten liegen in bester Qualität vor, Tek«, meldete Pathythia schon nach kurzem Aufenthalt an Bord der CANTLERY. »Trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl. Das Schiff erinnert uns in etlichen Bereichen an ein Schrottlager. Und was die krächzende Positronik verlauten lässt, weckt eher Mitleid als irgendeine Hoffnung.«
20 Minuten später war die CANTLERY an die LASHAT angekoppelt und gesichert. Tekener prüfte die erhaltenen Koordinaten. Sie bezeichneten einen Bereich in der Randzone von Erendyra, knapp 82 Lichtjahre von der aktuellen Position entfernt.
»Wir fliegen in mehrere Etappen und lassen die Ortung nicht aus den Augen!«, entschied der Smiler.
»Misstrauisch?«, fragte Pathythia.
»Vielleicht«, antwortete Tekener ausweichend.
Die erste Enerpsi-Etappe führte über 22 Lichtjahre. Der Smiler nutzte die kurze Zeitspanne, um sich ausführlicher mit Longasc zu unterhalten.
»Du erwähntest einige Male Closcurts Kaperbrief. Was muss ich mir darunter vorstellen, und vor allem: Wie wirkt er?«
Der Raumfledderer blickte den Terraner verwirrt an, als hätte er die Frage nicht verstanden. Schließlich antwortete er im Flüsterton: »Genau kann ich das gar nicht beschreiben. Ein Kaperbrief wirkt eben. Closcurt hat mir seinen bei unserer ersten Begegnung vors Gesicht gehalten und mir damit einen gewaltigen Schreck eingejagt. Das ist lange her.«
»Ist der Kaperbrief ein Papier? Ein Ausweis?«
»Nein ... Nein.« Der Raumfledderer wand sich wie ein Aal. »Er ist Wirkung. Er überzeugt.«
»Also hat er kein bestimmtes Aussehen?«
»Wenn du ihn siehst, erkennst du ihn. Seine Wirkung ist schwer zu beschreiben. Ich ... kann das nicht in Worte fassen.«
»Und das Aussehen? Es interessiert mich, selbst wenn es keine Bedeutung hat.« Tekener blieb hartnäckig.
Longasc hob seine rechte Hand und ballte sie zur Faust. »So etwa sieht der Kaperbrief aus! Jedenfalls wirkt er wie ein schmerzhafter Faustschlag.«
Mehr war von dem Shabaren nicht zu erfahren. Für Tekener genügte das zunächst. Vor dem Abflug aus dem Solsystem hatte Stalker ihm ebenso wie Reginald Bull und Roi Danton eine Art »Passierschein«, ein »Sesam-öffne-dich«, aufgedrängt. Das Permit sollte ihnen in der Mächtigkeitsballung Estartu Tür und Tor öffnen. Es sah aus wie ein fingerloser Handschuh aus Metall.
Ronald Tekener hatte das Permit von Anfang an mit Misstrauen betrachtet. Für ihn stand fest, dass Stalker nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Beweisen konnte er das aber ebenso wenig wie Stalkers Schuld am Verschwinden des TSUNAMIS. Der metallene Handschuh lag seit dem Aufbruch der LASHAT unbeachtet in Teks Kabine.
»Ortung!«, meldete das Virenschiff. »In einem Bereich, in dem nichts ist.«
»Wie soll ich das verstehen?«, fragte Tekener. Ihm war erst vor wenigen Augenblicken gemeldet worden, dass sich die LASHAT wieder im Unterlichtflug befand.
»Es gibt Schwierigkeiten.«
»Welcher Art?«
»Vielleicht ist es besser, wenn wir uns nicht um das angemessene Objekt kümmern.«
Der Smiler runzelte die Stirn. Ihm war klar, dass die Virenintelligenz Empfindungen wie Scheu und Furcht entwickeln konnte. Da er an jeder Besonderheit in dieser Region interessiert war, dachte er nicht daran, etwas unbeachtet zu lassen.
»Den Flug stoppen, relativer Stillstand zum Rand der Galaxis! Ich will alle Ortungsdaten und Bilder sehen! Danach entscheide ich, was geschehen soll.«
»Ja, selbstverständlich.« Die Vishna-Stimme klang fast bockig.
Die Datenprojektion ließ auf sich warten. Jennifer Thyron warf ihrem Mann deshalb einen eindringlichen Blick zu. »Wir müssen immer damit rechnen, dass Vi fehlerhaft reagiert oder gar eine Störung auslöst«, sagte sie so leise, dass nur Tek es hören konnte. »Auch wenn es nicht danach aussieht, das Element der Finsternis kann irreparable Schäden hinterlassen haben.«
Tekener ging nicht darauf ein. »Wo bleiben die Daten?«, drängte er. »Was ist los, Vi?«
»Relativer Stillstand ist erreicht. Ich projiziere die Wiedergabe der Normalortung.«
Ein merkwürdiges Gebilde entstand mitten im Zentraleraum. Es wirkte wie eine halbierte Raumstation unbekannter Technik. Entlang der »Schnittlinie« waren die Konturen unscharf und fransig.
»Und nun die Ortung, die während der letzten Minute des Überlichtflugs meine Aufmerksamkeit erregte.«
Bei der von Vi rechnerisch visualisierten Darstellung handelte es sich zweifellos um die in der ersten Projektion fehlende Hälfte. Auch hier existierte eine unscharfe Trennfläche.
»Wie soll ich das verstehen?«, fragte der Smiler.
»Die Kontrollmessungen sind abgeschlossen«, sagte Vi. »Wir haben eine unbekannte, weitgehend zerstörte und verlassene Raumstation vor uns. Sie befindet sich mit einem Teil ihrer Masse im Normalraum, mit dem anderen in der fünften Dimension. Die verwischte Fläche ist der Übergangsbereich.«
Tekener schürzte die Lippen. »Wie ist es möglich, dass ein Objekt in verschiedenen Dimensionen existiert? Welche Funktion hatte die Station?«
»Dafür gibt es keine plausible Antwort. Wir können vermuten, dass die Station für den Ferntransport diente. Die Verwerfung zwischen den Dimensionen kann durch kriegerische Handlungen ausgelöst worden sein, vielleicht auch durch eine Störung der internen Systeme. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist der Zustand instabil. Deshalb rate ich von einer näheren Untersuchung ab. Die Station könnte vollständig aus dem Normalraum verschwinden, sobald sich die Relativmasse einer Hälfte verändert.«
Tekener blickte seine Frau an. Jennifer Thyron hob leicht die Schultern.
»Es gibt offenbar keine Hinweise darauf, dass dieses Phänomen mit dem verschollenen TSUNAMI zu tun hat«, sagte sie. »Wir sollten unseren Weg fortsetzen. Die Anomalie ist aufgezeichnet.«
Tekener wandte sich dem Shabaren zu, der seit einer Weile auf dem Boden hockte und an seinem Raumanzug hantierte. »Longasc, kennst du dieses Objekt?«
»Gorim.« Der Raumfledderer schaute nur kurz auf. »Nie zuvor gesehen.«
»Wir setzen den Flug fort!«, entschied der Aktivatorträger.
»Sehr vernünftig«, kommentierte Vi die Anweisung.
»Unvernünftig«, blubberte der Distelfrosch.
Während der nächsten Überlichtetappe maß das Schiff eine Rote Riesensonne an, die dem Zielgebiet sehr nahe stand. Longasc konnte auch dazu nichts sagen, denn für ihn hatten die Sterne nie eine nennenswerte Bedeutung gehabt. Seine Heimat war der Leerraum.
Die LASHAT kehrte in den Normalraum zurück. Diesmal schrillte der Alarm.
Vi projizierte mehrere Objekte. Eine halb zerstörte oder halb demontierte Raumstation von ehemals gut 300 Metern Durchmesser. Außerdem ein großes unförmiges Metallkonglomerat. Humanoide Gestalten und ... Roboter!
Ronald Tekener stieß einen überraschten Ruf aus. Die Roboter erinnerten ihn an die Kampfmaschinen aus dem Holospeicher, den sie im TSUNAMI-114 gefunden hatten. Der Typ war identisch.
Gleich darauf stockte ihm der Atem. In dem »Metallklumpen« entdeckte er ein großes Schriftzeichen, eine typisch terranische »3«, so geschwungen, wie sie nur auf den Außenhüllen der TSUNAMIS üblich war.
»Das ist Closcurts LITTURO!«, rief Longasc schrill. »Ihr seid ihm in die Falle gegangen.« Der Shabare deutete auf das nach wie vor undefinierbare unförmige Gebilde.
Ronald Tekener war zu verblüfft, um darauf zu reagieren. Die Entdeckung bewies, dass er auf der richtigen Spur war, doch ebenso, dass TSUNAMI-113 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr existierte.
Jennifer Thyron deutete mit einem Lichtgriffel auf eine andere Stelle der LITTURO. Zwischen den zusammengefügten Fragmenten ragte eine Fläche hervor, die einen halben Buchstaben erkennen ließ. Ein »T«. Kein Zweifel, das waren Überreste des TSUNAMI-113.
Die LASHAT stand noch an die 80.000 Kilometer entfernt. Und wenn Longasc die Wahrheit über die LITTURO gesagt hatte, dann hatte dieses Raumschiff, so merkwürdig es aussah, das Virenschiff längst schon geortet.
Die Hominiden, die sich teils mit kleinen Plattformen, teils allein, zwischen der LITTURO und der teilzerstörten Station bewegten, ähnelten Longasc. Sie trugen nicht weniger klobige Raumanzüge als er.
»Alles Shabaren, Helfer des Freibrieflers«, behauptete der Raumfledderer. »Einer von ihnen muss Closcurt sein. Oder er wartet in seiner KAPERSTOLZ schon darauf, euch Gorims den tödlichen Stoß zu versetzen. Eine fette Beute wie die LASHAT lässt er sich keinesfalls entgehen.«
Die Roboter waren seinerzeit als harmlose Quallenwesen getarnt in den TSUNAMI-114 eingedrungen. Eine unbekannt gebliebene Terranerin hatte die Aufzeichnungen gemacht. Ihr war zu verdanken, dass man überhaupt etwas über das Schicksal der Besatzung unter Kommandant Jan van Fleet erfahren hatte. Ronald Tekener hatte sich jede Szene des Holos eingeprägt.
Und nun das: Die Shabaren und ihre Roboter demontierten die ehemalige Raumstation. Unaufhörlich wurden Teile zur nahen LITTURO gebracht und dort angeflanscht.
»Hast du genug gesehen?«, fragte der Raumfledderer matt. Ihm saß deutlich die Angst im Nacken.
Der Smiler schüttelte den Kopf. »Von der LITTURO bin ich entsetzt und enttäuscht zugleich. An ihrer Außenhülle erkenne ich Teile des TSUNAMIS, nach dem wir suchen.«
»Ich sagte dir, dass Closcurt ein Gorim-Jäger ist. Er verwertet alles, was er an sich raffen kann.«
Der Smiler wandte sich an das Schiff: »Es muss sein. Vi, stelle Funkkontakt her! Verwende das Sothalk der Shabaren und sprich den Freibeuter Closcurt direkt an.«
»Ich sende«, antwortete die Vishna-Stimme.
Die Antwort kam prompt. Aus dem Metallklumpen der LITTURO stachen überlichtschnelle Energiebündel hervor und trafen die von ihrem Enerpsi-Schild geschützte LASHAT. Kein Energiequant war in der Lage, die künstliche Raumkrümmung des Schutzschirms zu überwinden.
»Ist das die ganze Antwort?«, wollte der Smiler wissen. »Nichts über Funk oder Hyperfunk?«
»Nichts«, bestätigte Vi.
»Closcurt ist arrogant«, erinnerte Longasc. »Ich wundere mich nur, dass ihr den Angriff schadlos überstehen konntet. Andererseits: Der Freibriefler gibt nicht so leicht auf.«
»Wir erst recht nicht.« Tekener setzte das Lächeln auf, das ihn berühmt und berüchtigt gemacht hatte. »Ich gehe zur Gegenattacke über, wenn auch nicht mit plumper Gewalt.«
»Plump«, blubberte der Distelfrosch.
»Du bleibst hier!«, wehrte Tekener ab. »Dein Herr kommt allein mit. Path, mach die PROSPEKTOR 2 klar! Ich will mir Closcurt aus der Nähe ansehen. Jenny, du hast das Kommando. Lass unseren Sturmreiter Pancar aus der Koje werfen. Sobald es heiß hergeht, wird er gebraucht. Ich muss nur noch eine Kleinigkeit aus meiner Kabine holen, dann starten wir.«
Ich-Überlegungen, Longasc:
Bin ich tragisch oder komisch?
Vielleicht, nein, bestimmt, wirke ich so auf die Gorims. Sie sind Narren, schlimmer als ein verachteter Raumfledderer, der sich bislang redlich geschlagen hat. Und ich schlage mich weiterhin fair, nicht so dreckig wie Closcurt.
Sie schleppen mich in der Tat zu dem Freibriefler. Wenn sie das tun, stürzen sie sich selbst ins Verderben und mich gleich mit.
Dabei verfügen sie über gute Schiffe. Und diese kleine Halbkommandantin Path hat ein freches Lachen im Gesicht. Ich frage mich, woher die Gorims ihre Selbstsicherheit nehmen. Haben sie nie vom Ewigen Krieger Kalmer gehört? Sind sie tatsächlich so gorim, wie sie tun?
Ich will nicht mit, aber ich muss. Ausgerechnet zu Closcurt. Das ist eine irrsinnige Beuterei ersten Grades. Dennoch bleibt mir keine andere Wahl.
Im Moment fühle ich mich weder tragisch noch komisch. Zugegeben, ich stehe nur am Rand derer, die sich zu Kalmers Tross zählen dürfen. Trotzdem bin ich dabei, wenn auch weit hinten. Darf Closcurt mich deswegen verachten, bestrafen und demütigen? Nur weil er diesen Kaperbrief besitzt, den die Gorims nicht verstehen?
Closcurt wird sie vernichten. Er wird sie so behandeln, wie Gorims es verdienen.
Zu mir sind sie nett. Deshalb will ich sie nicht ausbeuten, obwohl ich nichts anderes im Sinn habe.
Sie bewegen sich in ihren weichen Anzügen wie stolze Shabaren und wollten sogar, dass ich auch so etwas anlege. Lachhaft! Ich bleibe bei meinen Robotbeinen, ohne die ich zu langsam wäre. Ohne sie würde ich gegen Closcurt so verlieren wie die Gorims. Sie rennen in ihr Verderben.
Eigentlich ist mir das ziemlich egal. Sie wollen es so. Muss ich mich darüber grämen?
Nein!
Sie gehen mit ihrem Beiboot in den Überlichtflug. Die junge Path organisiert das mithilfe der unsichtbaren Positronik. Es wirkt alles merkwürdig auf mich. Vor allem, dass sie ihr Ziel nicht direkt anfliegen, dabei ist es so nahe.
Ronald Tekener bereitet ein Kommando vor, das die PROSPEKTOR 2 verlassen soll. Neun weitere Gorims werden ihn begleiten. Die neun und ich. Ich füge mich unwillig, weil sie mich sonst zwingen würden. Oder für einen Feigling halten, und das bin ich bestimmt nicht.
Endlich verstehe ich das Manöver, das Path fliegt. Die PROSPEKTOR 2 nähert sich aus einer anderen Richtung dem Schlachtfeld. Sie sind vielleicht doch nicht so dumm, die Gorims. Aber Closcurt können sie allenfalls kurze Zeit täuschen.
Ihre weichen Anzüge nennen sie SERUNS. Ich kann mich irren, doch sehr vertrauenerweckend wirken sie auf mich nicht, es ist ja fast nichts an ihnen dran. Tekener weist mir den Weg zum Ausgang. Die PROSPEKTOR 2 hat das Skelett der schon weit demontierten Station erreicht.
Wir sind kaum aus dem Schiff, da schlägt das Recyclingsystem meines Kampfanzugs wieder Alarm. Die Gorims merken es nicht, sie sind abgelenkt, weil sie schnell in die Station gelangen wollen. Nur einer kümmert sich um mich. Es ist Tekener, und er lässt mich nicht aus dem Griff. Ich habe das entsetzliche Gefühl, dass er mich an Closcurt ausliefern will. Aber das kann nur Unsinn sein. Der Freibriefler ist an mir nicht interessiert, sondern an den Gorims.
Tekener meldet sich über Funk. Sie haben wohl heimlich die Energiespeicher meines Anzugs aufgefüllt, denn die waren fast erschöpft, als sie mich aufgriffen. Ich mag es nicht, wenn jemand an meinen Sachen herumbastelt. Wahrscheinlich ist es auch die Schuld der Gorims, dass das Recyclingsystem wieder durchdreht.
Mir bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken, denn plötzlich tobt um uns her das Chaos. Closcurt und seine Roboter greifen an. Da ich keine Waffen habe und mich ohnehin weigern würde, gegen meinesgleichen zu kämpfen, gehe ich in Deckung.
Ich entdecke Closcurt zwischen acht anderen Weltraumnomaden. Er scheint verwirrt zu sein, denn er und seine Roboter können gegen die SERUNS nichts ausrichten. Eigentlich bin ich auch nicht weniger verwundert.
»Longasc!«, erklingt Tekeners Stimme in meinem Funkempfang. »Ich schätze, der mit dem großen Helm ist Closcurt. Erkläre ihm, dass wir in friedlicher Absicht gekommen sind, uns allerdings auch zur Wehr setzen können. Ich möchte mit Closcurt sprechen.«
Ein Stoß trifft mich in den Rücken und treibt mich aus dem Versteck. Hinter mir war ein anderer Gorim verborgen. Eigenartig, ich hatte ihn gar nicht bemerkt.
Über eine durchlöcherte Metallfläche taumle ich auf Closcurt zu. Mit beiden Händen signalisiere ich dem Freibriefler, dass ich bereit bin, mich zu unterwerfen. Schmerzlich wird mir bewusst, dass ich eben doch ein Feigling bin.
»Was willst du, Raumfledderer?«, herrscht Closcurt mich an.
»Die Gorims bitten um eine Unterredung«, bringe ich stockend hervor. »Sie wollen nicht kämpfen. Ich muss ...«
»Du Ratte! Billiger Verräter!«, herrscht Closcurt mich an. »Hast du die Gesetze des Kriegers vergessen?«
Er schießt auf mich, aber Tekener ist plötzlich vor mir, und sein SERUN absorbiert die Energie. Das macht Closcurt rasend. Er schreit Befehle. Weitere Roboter kommen heran. Das wird unser Ende sein, ich spüre es. Sie sind völlig verrückt, diese Gorims.
Die Waffen sprechen. Ich schließe die Augen. Armer Plump, gleich wirst du keinen Herrn mehr haben, denke ich. Im nächsten Moment herrscht Stille im Funk. Ich fühle mich unversehrt, öffne die Augen wieder – und mir bietet sich ein höchst merkwürdiger Anblick.