Perry Rhodan 164: Krieg der Esper (Silberband) - Perry Rhodan - E-Book

Perry Rhodan 164: Krieg der Esper (Silberband) E-Book

Perry Rhodan

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Beschreibung

Seit 15 Jahren steht die Milchstraße unter der Herrschaft der Ewigen Krieger. Diese stammen aus der Mächtigkeitsballung Estartu und unterdrücken die Menschen sowie ihre verbündeten mithilfe ihrer schier übermächtigen Technologie.   Gegen den Widerstand setzen die Besatzer eine Geheimwaffe ein – die Verlorenen Geschenke der Hesperiden bedrohen die große Nation der Blues. Die Welt Gatas wird zum Schauplatz einer Auseinandersetung, die über das Schicksal der Milchstraße entscheiden kann ...   Auch in anderen Regionen des Kosmos streben die Ereignisse einem Höhepunkt zu. Wie es aussieht, lassen sich einige Geheimnisse der Kartanin bald enträtseln. wer sind die mysteriösen Esper? Welche zusammenhänge kommen zum Vorschein?

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Nr. 164

Krieg der Esper

Cover

Klappentext

1. Heißer Empfang

2. Die Verlorenen Geschenke

3. Der Vater der Adoption

4. Gedanken zu Pinwheel

5. Angriff der Esper

6. Auf Asporc

7. Auftritt des Jägers

8. Der Zweck heiligt die Mittel

9. Tarnak und seine 71 Geschwister

10. Ikarus

11. Die Sechstageroboter

12. Legenden der Molekülverformer

13. Hetzjagd auf Gatas

14. TA-riesig

15. NARGA SANT

16. Einsatz auf Gatas

17. Mission des Spielers

18. Der Königstiger

19. Nachrichten aus der Ferne

Nachwort

Zeittafel

Impressum

Seit 15 Jahren steht die Milchstraße unter der Herrschaft der Ewigen Krieger. Diese stammen aus der Mächtigkeitsballung Estartu und unterdrücken die Menschen sowie ihre verbündeten mithilfe ihrer schier übermächtigen Technologie.

Gegen den Widerstand setzen die Besatzer eine Geheimwaffe ein – die verlorenen Geschenke der Hesperiden bedrohen die große Nation der Blues. Die Welt Gatas wird zum Schauplatz einer Auseinandersetung, die über das Schicksal der Milchstraße entscheiden kann ...

1. Heißer Empfang

Dao-Lin-H'ay hatte mich gewarnt. Ich erinnere mich noch wortwörtlich daran, was sie mir nach ihrer Gefangennahme prophezeite:

»Die Kartanin werden eine Treibjagd auf euch veranstalten. Ihr werdet nirgendwo mehr sicher sein, solange ihr mich an Bord habt. Ihr werdet nirgendwo landen können. Man wird euch in die Enge treiben und mich befreien. Es wäre klüger von euch, mich gleich freizulassen.«

Das hatte mich einen Lacher gekostet. Man schrieb den 30. Juni. Ich hatte große Hochachtung vor ihr, und auch sie zollte mir Respekt. »Wärst du eine Kartanin, würde ich stolz auf deine Leistung sein, Nikki«, sagte sie ohne Spott während eines unserer Gespräche in ihrem Gefängnis.

Die Geschehnisse auf Nyrello, dem dritten Planeten einer Sonne gleichen Namens, die Dao-Lin-H'ays Gefangennahme vorangegangen waren, lösten bei der ganzen Mannschaft Betroffenheit aus. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Wissenden für uns ein Clan von Uralt-Kartanin gewesen, die Hüterinnen eines Geheimnisses, die aus dem Hintergrund Einfluss auf die Geschicke ihres Volkes nahmen. Dann war uns offenbart worden, mit welcher Grausamkeit sie für die Wahrung dieses Geheimnisses sorgten.

Mittels einer Überdosis von Paratau hatten sie 18 Greisinnen den Irrglauben einsuggeriert, dass sie die Wissenden seien. Gleichzeitig hatten sie sie in ein Dilemma manövriert, aus dem diese arglosen Opfer keinen anderen Ausweg als den kollektiven Selbstmord sahen. Und dies alles nur, um uns von ihrer Fährte wegzulocken

Dank Poerl Alcoun, der jungen tefrodischen Paratensorin, fanden wir Dao-Lin-H'ays Spur und konnten das Täuschungsmanöver durchschauen. Poerl war dadurch arg gezeichnet worden, denn auf eine gewisse Art war sie mit den bedauernswerten kartanischen Greisinnen mitgestorben.

Mich persönlich traf es besonders, dass Dao-Lin-H'ay sich für ein solches abscheuliches Verbrechen hergab, denn bis zu diesem Vorfall hatte ich von der ehemaligen Protektorin und Neo-Wissenden eine sehr hohe Meinung gehabt. Ich verstand nicht, wie sie sich für so einen gemeinen Mord hatte einspannen lassen. Damals empfand ich nur noch Verachtung für Dao-Lin-H'ay.

»Du tust ihr unrecht, Nikki«, verteidigte Poerl die Kartanin. »Sie leidet viel mehr unter dieser Schuld, als du dir vorstellen kannst.«

»Ich stelle mir nur achtzehn alte Kartanin vor, die an die Sache ihres Volkes glaubten und dafür in den Tod getrieben wurden«, sagte ich verbittert. »Was wiegen dagegen Dao-Lins Schuldgefühle! Wir fliegen nach Kabarei.«

Die WAGEIO kehrte 45 Lichtminuten vor Kabarei in den Normalraum zurück. Ich leitete ein verzögertes Bremsmanöver ein, sodass wir in einem Notfall rasch die nötigen Beschleunigungswerte erreicht hätten, um wieder in den Hyperraum verschwinden zu können.

Aber die Fernortung ergab beruhigende Werte, sodass wir bis auf ein Drittel Lichtgeschwindigkeit heruntergehen konnten. Inzwischen waren wir unserer Basiswelt bis auf etwa 600 Millionen Kilometer nahe gekommen, ohne ein Raumschiff der Kartanin geortet zu haben.

»Hm«, machte ich skeptisch. Ich konnte nicht glauben, dass uns die Kartanin völlig ungeschoren nach Kabarei ließen. Wenn wir Dao-Lin erst einmal zu unserem PIG-Hauptquartier gebracht hatten, würde alle Macht der kartanischen Esper nicht ausreichen, um sie von dort zu entführen – es sei denn, sie würden den ganzen Planeten unter unseren Hintern atomisieren.

Das mussten die Wissenden wissen!

Da kam der Anruf von Kabarei. Es war keine Aufforderung zur Identifikation, sondern er lautete schlicht: »Kabarei an WAGEIO. Soldan Erpsen ruft Nikki Frickel. Alles in Ordnung an Bord? Warum diese Grabesstille? War eure Mission ein Misserfolg?«

Soldan war ein Ertruser, der früher im Fornaxsystem als Beobachter der kartanischen Paratau-Erntekommandos eingesetzt gewesen war und nun stellvertretend das Kommando über Kabarei innehatte.

»Hier Nikki Frickel«, meldete ich mich. »Du hast deine drei Wünsche mit ziemlich läppischen Fragen verspielt, Soldan. Bei uns ist alles klar, aber wir müssen vorsichtig sein. Unser Coup ist gelungen, ebendarum rechnen wir mit einem Gegenschlag der Kartanin. Ist euch etwas in dieser Richtung aufgefallen?«

»Seit dem letzten Zwischenfall vor über zwei Wochen haben wir keine Kartanin mehr gesehen«, erwiderte Soldan. Er spielte damit auf den Versuch der Kartanin an, die Maakar nach Kabarei zu locken und gegen uns auszuspielen. Als das nicht funktionierte, hatten die Kartanin versucht, mit einer kleinen Flotte ihrer Diskusraumer den zündenden Impuls für eine kriegerische Auseinandersetzung auszulösen. Nachdem ihnen auch das misslungen war, hatten sie sich aus dem Andorjasystem zurückgezogen.

»Ist es möglich, dass die Kartanin sich im Ortungsschutz Andorjas verstecken?«, fragte ich.

»Ausgeschlossen«, versicherte Soldan. »Wir fliegen täglich zweimal Patrouille. Was ist los mit dir, Nikki? So überängstlich kenne ich dich gar nicht.«

»Ich bin nur vorsichtig«, schwächte ich ab. »Wir haben einen hohen Gast an Bord: die Wissende Dao-Lin-H'ay. Sie hat uns versichert, dass die anderen Wissenden alles tun werden, um sie zu befreien, und ich glaube ihr. Wie kommt ihr mit den Maakar zurecht?«

»Blendend. In einigen Tagen starten wir ein Wettrennen rund um den Äquator. Maakar gegen PIG. Ich nehme noch Wetten an ...«

Die WAGEIO hatte noch 25 Lichtminuten bis Kabarei und war nur noch 30.000 km/s schnell. Der reinste Bummelflug. Aber im Notfall konnten wir innerhalb von Minuten rasch genug beschleunigen, um zum Metagrav-Vortex für die Eintauchphase in den Hyperraum zu verdichten. Die Mannschaft war auf dem Posten, die Grigoroff-Projektoren waren einsatzbereit.

Ich ließ Soldan Erpsen schwatzen. Er erzählte, dass drei der Maakar-Großtransporter, mit demontiertem Kriegsgerät voll beladen, bereits abgeflogen waren und die nächste Ladung in zwei Wochen abgehen sollte. »Die Maakar könnten ihr Arbeitspensum doppelt so rasch erfüllen, aber ich glaube, es gefällt ihnen bei uns. Übrigens, da ist jemand, der dich sprechen will, Nikki.«

Ich blickte immer wieder zu Poerl. Die Paratensorin wirkte weit weniger angespannt als anfangs.

»Nicht nachlässig werden, Poerl!«, ermahnte ich. »Mir gefällt die Ruhe nicht. Irgendetwas braut sich zusammen.«

»Ich kann beim besten Willen nichts erlauschen«, erwiderte die Tefroderin kratzbürstig.

»Verstärke deine Perzeptivität«, verlangte ich. »Nimm mehr Paratau.«

»Damit ich Gespenster sehe – wie du?«

»Es kommt was auf uns zu«, beharrte ich. »Ich weiß nur noch nicht, was es ist und in welcher Form es über uns kommt. Aber uns blüht noch einiges. Konzentriere dich, Poerl!«

»He, Nikki!«, kam es aus dem Empfänger, ich erkannte sofort die Stimme von Bonifazio »Fazzy« Slutch. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich vor meiner Abreise noch wiedersehe. War wohl ein Kinderspiel, die Wissende zu kidnappen.«

»Wann wolltest du mit der NIOBE starten?«, fragte ich.

»Na, unter diesen Umständen werde ich wohl noch die Landung der WAGEIO abwarten.«

Ich überlegte nicht lange und befahl: »Du wirst sofort starten, Fazzy! Wir machen ein kleines Verwirrspiel für die Kartanin.«

»Welche Kartanin?«, wunderte sich der ehemalige Vironaut.

»Könnte es sein, dass die Maakar mit den Kartanin gemeinsame Sache machen und sich Feliden auf den Großraumschiffen verbergen?«, fragte ich.

»Unsinn! Die sind inzwischen wie Hund und Katz zueinander, wenn du weißt, was ich meine.«

»Wer weiß ...?«

Der Gedanke, der sich in meinem Gehirn eingenistet hatte, nämlich, dass sich kartanische Esper auf den Maakar-Schiffen aufhielten, ließ mich nicht mehr los. Sie hätten leichtes Spiel, wenn die WAGEIO erst in den Orbit von Kabarei ging. Sie brauchten nur zu uns herüberzuteleportieren, sich Dao-Lin zu schnappen und auf dieselbe Weise wieder mit ihr zu verschwinden.

Fazzy sagte etwas von Begrüßung, und ich erklärte ihm, dass wir das auf später verschieben müssten. Dann setzte ich ihm meinen Plan auseinander, der vorsah, dass er sofort mit der Space-Jet NIOBE startete und im Orbit einen Rendezvouspunkt mit Wido Helfrich ansteuerte. Fazzy stimmte, wenn auch ohne Begeisterung, zu.

»Was habe ich damit zu tun?«, wunderte sich Wido und zeigte sein Pferdegebiss, er konnte auf diese Weise maßloses Staunen ausdrücken.

»Du nimmst dir drei Männer und gehst an Bord eines Siebzig-Meter-Beiboots«, erklärte ich ihm. »Wir schleusen euch zum richtigen Zeitpunkt aus, und ihr werdet mit Höchstbeschleunigung und eingeschaltetem Paratronschirm Kurs auf Kabarei nehmen. Wenn du den Rendezvouspunkt mit Fazzy erreicht hast, schaltest du den Paratronschirm kurz aus und gehst gleich darauf im Sturzflug auf Kabarei runter. Fazzy wird mit der NIOBE auf die gleiche Weise in die entgegengesetzte Richtung verschwinden. Es soll aussehen wie ein fliegender Wechsel, wie eine Art Staffellauf mit Stabübergabe.«

»Verstehe, nur dass es sich bei dem Stab um Dao-Lin handelt«, sagte Wido skeptisch. »Aber, Nikki, glaubst du, dass ein Außenstehender deinem komplizierten Gedankengang folgen kann?«

»Wenn wir von Kartanin beobachtet werden, müssen sie reagieren, ob sie nun begreifen oder nicht«, erwiderte ich, und ich fragte mich, ob es nicht sogar klüger wäre, Dao-Lin auf diese Weise tatsächlich rochieren zu lassen, anstatt das nur vorzutäuschen.

Aber dann blieb ich bei meinem ursprünglichen Entschluss. Ich wollte die Wissende in meiner Nähe haben.

Wir waren nur noch eine Lichtminute von Kabarei entfernt und schlichen mit 10.000 Kilometern in der Sekunde dahin. Das reichte für ein gemütliches Orbitmanöver und war andererseits nicht zu langsam, um in angemessener Zeit auf Metagrav-Vortex zu beschleunigen.

»Ab geht die Post!«

Das Beiboot mit Wido Helfrich schoss aus dem Hangar und hüllte sich augenblicklich in einen Paratronschirm. Wenn dort draußen Esper ihre telepathischen Fühler nach dem Beiboot ausstreckten, würden sie gegen eine undurchdringliche Barriere prallen.

Inzwischen war auch Fazzy mit der NIOBE von Kabarei gestartet. Eventuelle Beobachter konnten beide Geschehnisse, sofern sie den Start der Space-Jet überhaupt bemerkt hatten, nicht in Zusammenhang bringen.

Ich blickte zu Poerl.

»Dao-Lin ist ganz ruhig«, erklärte sie unaufgefordert. Sie holte sich zwei weitere Paratau-Tropfen aus dem Sicherheitsbehälter.

»Was ist mit den Maakar-Transportern?«, wollte ich wissen.

»Negativ«, antwortete Poerl. »Ich kann über diese Entfernung nur auf breiter Basis lauschen. Falls sich dort Esper verschanzt haben, können sie sich mühelos abschirmen.«

Die Sekunden verrannen, wurden zu Minuten, und in jeder Minute schrumpfte unsere Distanz zu Kabarei um über eine halbe Million Kilometer, legten wir zwei Lichtsekunden zurück. Und es dauerte über zehn Minuten, bis die NIOBE und das Beiboot mit Wido den Rendezvouspunkt erreichten.

Wido schaltete den Paratronschirm aus. Wie vereinbart, stellten beide Flugkörper eine Transmitterverbindung miteinander her, wurde von Wido ein Mannschaftsmitglied zur NIOBE abgestrahlt und sofort zurückbefördert. Dann hüllten sich beide Schiffe wieder in Paratronschirme. Die NIOBE flog mit höchsten Beschleunigungswerten aus dem Andorjasystem, Wido stürzte sich mit dem Beiboot wie ein Selbstmörder ins Nordpolgebiet von Kabarei hinunter.

Was mochte in den Gehirnen von kartanischen Beobachtern vor sich gehen, die dieses Verwirrspiel zu sehen bekamen?

»Alarm!« Helma Tiaos Warnung erklang nur Bruchteile von Sekunden nach der Alarmsirene.

»Ortung!«, verlangte ich.

»Drei Dutzend Diskusraumer vor uns«, meldete Dan Pilker und wies die Ortungsergebnisse auf meinem Monitor aus. Seine Stimme klang verdutzt. »Sie sind auf unserem Kurs aus dem Linearraum gekommen. Und sie halten mit Höchstgeschwindigkeit auf uns zu. Sie sind auf Kollisionskurs!«

»Wie ist das möglich?«, rief Narktor aus.

»Schutzschirm einschalten!«, befahl ich. »Können wir ausweichen?«

»Keine Schwierigkeit. Wir drehen nach backbord ab.«

»Okay«, stimmte ich zu, eine Richtung war so gut wie die andere. Als ich auf den Monitor sah, erkannte ich, dass die Kartanin-Raumer ebenfalls in diese Richtung schwenkten. Sie hatten zwar eine viel höhere Geschwindigkeit, sodass die Kursänderung nur mit Verzögerung vonstattenging, dafür war die WAGEIO so langsam, dass es aussah, als käme sie überhaupt nicht vom Fleck. Und dann feuerten die rund 40 Kartanin-Raumer mit ihren Impulsgeschützen. Ich brauchte nicht erst die Energietasterergebnisse zu überprüfen, um zu wissen, dass sie mit Punktbeschuss versuchten, unseren Schutzschirm zu durchbrechen.

»Wir erwidern das Feuer. Geben wir es ihnen mit den Irregulatoren! Feuer frei!«

Obwohl die WAGEIO wie alle ehemaligen Vollstrecker-Typen der Orbiter zum Transporter umgebaut worden war, hatte man die ursprüngliche Offensivbewaffnung beibehalten. Die Antimaterie-Strahler mit ihrer zerstörerischen Wirkung ebenso wie die weitaus humaneren Irregulator-Strahler, mit denen man im Nahkampf aber eine ausreichende Wirkung erzielen konnte, wollte man den Gegner nicht vernichten.

Sie erzeugten ein sechsdimensionales Störfeld jenseits jeglicher Feldschirme und wurden am Zielpunkt in lichtschnelle Normalimpulse zurücktransferiert. Diese Störimpulse gingen über den gesamten elektronischen und positronischen Frequenzbereich und wirkten funktionsstörend auf alle technischen Geräte, die auf dieser Basis arbeiteten. Damit konnte man auf elegante Weise ein ganzes Raumschiff lahmlegen, ohne Lebewesen zu gefährden.

Die verheerende Wirkung der Irregulatoren auf die Automatik der Kartanin-Schiffe wurde schnell deutlich. Ein halbes Dutzend Angreifer kam vom Kurs ab, brach im Zickzack aus der Formation aus. Ebenso viele Raumer stellten das Feuer ein, andere schossen wie verrückt durch die Gegend und gefährdeten die eigenen Einheiten. Zu guter Letzt drehten auch die anderen Disken ab. Immerhin hatten die Kartanin mit ihrem konzentrierten Punktbeschuss bewirkt, dass unser Paratronschirm instabil geworden war und beängstigende Schwachstellen aufwies. Hätte der Beschuss noch einige Sekunden angedauert, wäre der Schutzschirm wohl endgültig zusammengebrochen.

»Schirmfeldgeneratoren abschalten!«, befahl ich. »Wir haben vorerst eine kleine Erholungspause, in der wir uns überlegen können ...«

In dem Moment, als der Paratronschirm ausgeschaltet wurde, schrie Poerl Alcoun auf. Wir drehten uns alle in ihre Richtung und sahen, wie aus ihrem Körper plötzlich kleine Elmsfeuer züngelten, die immer höher stiegen wie die Protuberanzen einer Sonne.

»Die Esper ...!«, rief Poerl dabei. Ihre Stimme erstarb in einem Gurgeln. »Schutzschirm an!«

Aber dieses Befehls bedurfte es nicht. Helma Tiao hatte von sich aus reagiert und den Paratronschirm aktiviert.

Die geisterhaften Flammen an Poerls Körper erloschen, die Paratensorin brach kraftlos zusammen. Ein Medoroboter eilte herbei und leistete ihr Erste Hilfe. Ich beugte mich über Poerl. Sie war bei Bewusstsein, aber ihr Blick wirkte wie gebrochen, sie schien mich gar nicht zu sehen.

»Bist du okay?«, fragte ich.

»Es geht«, sagte Poerl schwach. »Du hattest recht, Nikki. In den Maakar-Transportern waren Esper versteckt. Sie haben unsere Manöver beobachtet und unsere Kursdaten an die außerhalb wartende Flotte weitergegeben.«

»Darum hat auch das Täuschungsmanöver mit der NIOBE und dem Beiboot nicht funktioniert«, sagte ich in plötzlicher Erkenntnis. Einerseits war ich arglos genug gewesen, um keine Kursänderung vorzunehmen. Auf der anderen Seite war ich überschlau gewesen, als ich diese Rochade inszenierte. Denn selbst wenn die Esper-Beobachter darauf hereingefallen wären, hätten sie die Flotte nicht mehr informieren können, weil diese nach Erhalt unserer Kursdaten bereits in den Linearflug gegangen sein musste, wo die telepathischen Impulse der Esper sie nicht mehr erreichten.

»Was ist mit Dao-Lin?«, fragte ich.

Poerl schüttelte den Kopf. »Die Wissende hat ihre eigene Befreiungsaktion verschlafen.«

Ich schaltete die Überwachungsanlage des Lagerraums ein, in dem Dao-Lin untergebracht war. Der Wohncontainer, in dem wir die Kartanin gefangen hielten, stand verlassen inmitten des sonst völlig leeren Laderaums. Die sechs Wachen standen auf ihren Posten, unterstützt von einer Batterie von technischen Geräten und einem Roboterheer.

Ein Blick ins Innere des Containers zeigte mir eine auf ihrer Liege ausgestreckte Kartanin, die entspannt und mit offenen Augen dalag und zu meditieren schien.

»Wir ziehen uns erst einmal zurück«, beschloss ich.

»Das kommt dem Eingeständnis einer Niederlage gleich«, sagte Narktor.

»Haben wir denn etwa triumphiert?«, herrschte ich ihn zornig an. In gemäßigtem Ton fügte ich hinzu: »Ich sehe das als taktischen Rückzug. Wir brauchen eine Denkpause.«

Bevor wir das Andorjasystem verließen, erreichten uns zwei Hyperfunksprüche. Fazzy Slutch meldete von der NIOBE, er sei gerne bereit, anstelle des ursprünglich geplanten Ziels die Milchstraße anzufliegen. Dort sei unsere Gefangene am sichersten, meinte er.

Ich lehnte das Angebot dankend ab, mit der Begründung, dass Dao-Lin für ihn nutzlos sei, für uns jedoch als Geisel eine Art Lebensversicherung darstelle. Das klang angesichts der jüngsten Vorkommnisse nicht gerade glaubhaft, aber Fazzy beließ es dabei.

Der zweite Anruf kam von Wido. Er war auf Kabarei gelandet und hatte das Kommando über den Stützpunkt übernommen. Die Kartanin-Flotte hatte über dem Nordpolgebiet Position bezogen, und die Kommandantin namens Ira-Nog-K'yon stand in regem Funkverkehr mit den Maakar, um den Methanatmern zu versichern, dass ihre Präsenz nur der Beobachtung der PIG-Basis gelte. Kein Wort darüber, dass der kriegsähnliche Belagerungszustand einer einzigen Kartanin wegen stattfand. Dao-Lin-H'ays Existenz wurde gänzlich verschwiegen.

»Du solltest sie in die Milchstraße abschieben«, riet Wido. »Homer G. Adams würde gewiss besser mit ihr zurechtkommen und könnte auch eine bessere Verhandlungsbasis mit den Kartanin schaffen.«

»Ich habe gerade ein entsprechendes Angebot von Fazzy ausgeschlagen«, erwiderte ich.

»Ich meinte eigentlich, dass du Dao-Lin persönlich überbringen könntest«, sagte Wido. »Das würde uns eine Menge Schwierigkeiten ersparen.«

»Das sehe ich nicht«, sagte ich abschließend. »Dies ist Sache der PIG. Wir werden sie in Pinwheel bereinigen. Kabarei hört wieder von der WAGEIO.«

Ich fluche nicht gerne. Natürlich weiß ich, dass das Gegenteil von mir behauptet wird, aber das ist böswillige Verleumdung. Richtiger ist vielmehr, dass ich zwar viel fluche, aber nicht aus Freude an deftigen Ausdrücken, sondern weil ich manchmal nicht anders kann und diese Art der psychischen Reinigung eine befreiende Wirkung auf mich hat.

»Verdammtes Katzenvolk! Und ihr nichtsnutzige Bande von Vollidioten!«

Der massierte Angriff der Kartanin hatte zum Ausfall eines Schirmfeldgenerators geführt, und die dabei frei werdende Überschlagsenergie hatte einen der Hyperraumzapfer, von dem wir unsere Energien beziehen, angegriffen. Der Hypertrop und der Generator bedurften dringend einer Überholung.

Was mich besonders ärgerte, war der Umstand, dass der verantwortliche Ingenieur, der Blue Oelczy, den Schaden zwar frühzeitig erkannt, aber sein Ausmaß unterschätzt und keine Maßnahmen getroffen hatte, um Folgeschäden zu vermeiden. Nun warf der Computer eine ellenlange Schadensmeldung aus.

»Wir müssen zur Reparatur nicht unbedingt nach Kabarei«, sagte Oelczy kleinlaut. »Wir können auch nach Malarant oder nach Imdiarz gehen. Nur – ich kann da nichts machen.«

»Und welche Alternative haben wir?«, fragte ich.

»Die Alternative ist, dass wir nur einen Hypertrop-Zapfer benutzen und weniger Energie haben«, antwortete der Blue. »Und dass wir ebenfalls auf den Generator verzichten und uns mit schwächeren Feldschirmen zufriedengeben. Aber wieso ...?«

»Weil von unseren dreißig Stützpunkten höchstens noch drei geheim sind«, unterbrach ich ihn. »Und das sind 6476 Merkenfritz, Lindenwiese 25 und der Sonnensatellit Abendrot. Letzterer bietet uns am ehesten Sicherheit, weil er in der Korona der Sonne Mhreda stationiert ist. Aber für wie lange können wir die WAGEIO dort halten?«

»Bis in alle Ewigkeit«, versicherte Oelczy.

Also gab ich den Befehl, die östliche Peripherie von M 33 anzufliegen.

Mhreda war ein Roter Riese ohne einen einzigen Planeten. Frühere Nachforschungen hatten ergeben, dass weder Maakar noch Kartanin je Interesse für diese Sonne bekundet hatten. Darum hatten wir den Sonnensatelliten dort stationiert. Abendrot hatte keinerlei strategische Bedeutung, der Stützpunkt diente als letzte Zufluchtsstätte. Die Mannschaft bestand aus vier Leuten, die monatlich ausgewechselt wurden; länger hielt es dort niemand aus.

»Keine Ortung«, erklärte Helma Tiao.

»Wir können davon ausgehen, dass sie Abendrot nicht entdeckt haben«, meinte Dan Pilker. »Sie sind technisch nicht so weit, um einen Sonnensatelliten zu orten.«

Die WAGEIO hatte die Korona in einem vollen Halbbogen durchflogen, als der Anruf vom Sonnensatelliten kam. Die Aufforderung zur Identifizierung war in PIG-Code gehalten, und wir gaben uns auf die gleiche Weise zu erkennen.

»Die WAGEIO? Welchem Umstand haben wir diese Ehre zu verdanken? Nikki Frickel wird doch nicht selbst mal einen Monat lang in dieser Hölle Dienst schieben wollen!«

»Ihr habt es nicht anders gewollt«, sagte ich grinsend. »Also werde ich euch für einige Zeit Gesellschaft leisten.«

»Wie das?«, fragte eine andere Stimme unsicher zurück.

»Wir stehen im kalten Krieg mit den Kartanin«, sagte ich kurz angebunden. »Schaltet mal das Bild zum Ton. Ich möchte sehen, mit wem ich es zu tun habe. Und danach möchte ich einen Bildausschnitt von jedem einzelnen Sektor haben.«

»Wozu denn das?« Während der Sprecher noch die Frage stellte, tauchte er auf dem Bildschirm auf. Es war ein grauhaariger Terraner von gut über 100 Jahren. »Ich bin Donald Screen. Das sind Lydia Peel, Arsala und Ephremon. Ein terranisches und ein arkonidisches Paar ... aber nicht, was du vielleicht denkst, Nikki.«

Ich ging darauf nicht ein, sondern betrachtete die Leute eingehend. Sie wirkten aufgeregt, vermutlich wegen der unerwarteten Abwechslung, die unsere Ankunft ihnen versprach. Sie bestürmten mich mit Fragen, aber ich vertröstete sie auf später und bat um Einblick in die einzelnen Sektionen des Stützpunkts.

Der Sonnensatellit war eine ausrangierte Korvette. Der Antrieb war zwar im Eimer, aber die Energieversorgung, Ortungs-, Funk- und Verteidigungssysteme waren in Ordnung.

Ich gab Helma einen Wink, damit sie die übermittelten Daten und Bilder überprüfte und verglich. »Alles in Ordnung«, stellte sie nach eingehendem Datenvergleich fest. »Nichts Ungewöhnliches auf Abendrot.«

»Wonach sucht ihr eigentlich?«, fragte die Arkonidin Arsala. »Glaubt ihr, dass wir ein geheimes Paratau-Lager haben, um damit Schwarzhandel zu treiben?«

»Das bringt mich auf eine Idee«, sagte ich. »Habt ihr denn Paratau?«

Ich betrachtete die vier Gesichter auf dem Bildschirm, die gelegentlich durch Störungen verzerrt wurden. Etwas störte mich am Ausdruck dieser Gesichter, und der Vergleich mit Schauspielern, die ihre Rolle gegen ihren Willen spielten, kam mir.

Das war es! Diese Leute reagierten nicht natürlich. Sie spielten eine Rolle, die ihnen aufgezwungen wurde. Von einem fremden Willen.

Von kartanischen Espern!

Als mir diese Erkenntnis kam, war es bereits zu spät.

Ich hörte Helma sagen: »Da stimmt was nicht, Nikki. Die haben uns ein ganzes Deck vorenthalten und ein anderes doppelt gezeigt. Screen, was wird denn da gespielt ...?«

Plötzlich schien sich der Bildschirm aufzublähen wie eine Seifenblase, immer weiter, bis er platzte und die Scherben mit den Fragmenten der vier Gesichter wie die Teile eines Puzzles durch die Kommandozentrale segelten.

Auch die Zentrale selbst blähte sich auf, innerhalb von Sekunden hatte sie sich auf einen Kilometer Durchmesser erweitert. Helma war in solche Ferne entrückt, dass ich sie nur noch als winzigen Punkt sah.

»Start!«, schrie ich. Das Wort explodierte mit einem lauten Knall. Ich war wie taub. »Esper greifen an!«

Die plötzlich einsetzende Schwerkraft drückte mich zu Boden. Etwas berührte mich. Ich nahm alle Kraft zusammen, um den Kopf heben zu können.

Über mir stand Poerl. Ihr Gesicht war wie aus Wachs. Zuerst so unnatürlich verhärtet, und dann begann es zu zerfließen.

»Kartanische Esper haben Abendrot erobert ... die Mannschaft hypnosuggestiv beeinflusst ...«

Ich nickte. Mir war alles klar. Ich wunderte mich nur darüber, wie Poerl in die Kommandozentrale kam. Sie war nach dem Zwischenfall bei Kabarei auf die Medostation gebracht worden.

»Ich habe gelauscht und ...«, begann sie, der Rest ging in einem Geräuschorkan unter. Ich konnte mir zusammenreimen, was Poerl aufgescheucht hatte. Als Paratensorin hatte sie die Anwesenheit von kartanischen Espern auf Abendrot gespürt. Oder sie hatte deren Paratau-Lager geespert. Wie auch immer, ohne Poerl hätten uns die Kartanin noch länger getäuscht und vermutlich sogar die Führung über die WAGEIO übernommen.

»Wie viele?«, erkundigte ich mich.

»Ein Dutzend oder so«, antwortete Poerl. »Sie haben an die zehntausend Paratau-Tropfen. Damit könnten sie den Satelliten mitsamt der WAGEIO vernichten.«

»Dao-Lin ist unsere Lebensversicherung!«, beharrte ich.

»Sie werden sie holen«, sagte Poerl. »Ich sehe sie, wie sie aufgescheucht durch den Satelliten eilen ... wurden vorzeitig entdeckt ... sind entschlossen, das Paratau-Lager zur spontanen Deflagration zu bringen ...«

Die Illusion der mehrere Gravos betragenden Schwerkraft wurde mit einem Mal aufgehoben. Ich stand auf und folgte Poerl, in deren hohlen Händen die Paratau-Tropfen rasend schnell schmolzen, zum Hauptschaltpult. Dort lag Narktor besinnungslos auf dem Boden. Dan Pilker hing in seinem Kontursessel, die Augen unnatürlich weit geöffnet, das Gesicht verzerrt, von Krämpfen geschüttelt. Helma schleppte sich auf allen vieren mühsam über den Boden, auf ihren Schultern schien die ganze Last des Roten Riesen zu ruhen.

»Was ist mit Dao-Lin?«, fragte ich.

»Ohne Paratau ist sie ungefährlich«, antwortete Poerl. »Und ihre Befreier können ihr nicht helfen. Sie werden von unserem Paratronschirm abgehalten.«

»Dann war es ein Schlag ins Leere«, frohlockte ich. »Wir geben Abendrot auf und fliehen ...« Mir wurde siedend heiß, als mir die Mannschaft einfiel. Ich konnte die zwei Frauen und Männer nicht auf dem Todessatelliten zurücklassen.

»Nikki!« Narktor stemmte sich in die Höhe und wandte sich mir Hilfe suchend zu. Ich blickte zu ihm, wandte mich aber sofort ab. Er hatte ein Medusenhaupt, und auch seine Barthaare waren zu lauter kleinen roten Schlangen geworden.

»Poerl, kümmere dich um Narktor«, trug ich der Paratensorin auf. »Er muss die WAGEIO starten und aus dem Gefahrenbereich fliegen. Ich habe noch etwas zu tun.«

Ich muss vier unschuldige Menschen retten!, sagte ich zu mir.

Ich erreichte den Antigravschacht, ließ mich auf das Deck mit der Transmitterhalle tragen. Dabei fragte ich mich, wie es den kartanischen Espern möglich war, uns diese unheimlichen Visionen zu zeigen, obwohl der Paratronschirm uns schützte. Poerl selbst hatte versichert, dass sie nicht auf die WAGEIO teleportieren konnten.

Einer plötzlichen Eingebung folgend, machte ich den Umweg über den Laderaum, in dem Dao-Lin-H'ay untergebracht war. Bevor ich das Schott öffnete, zog ich den Paralysator, entsicherte ihn. Es war, als gehorchte ich einem sechsten Sinn.

Als ich in den Laderaum trat, stieß ich fast mit Dao-Lin zusammen. Sie prallte vor mir zurück und zeigte ihre leeren Hände. »Ich habe allen Paratau aufgebraucht«, versicherte sie.

»Woher hattest du ihn?«, fragte ich.

»Meine Freunde haben ihn mir von Abendrot geschickt«, antwortete die Kartanin. »Es wäre mir ein Leichtes gewesen, mit ihrer Hilfe fortzuteleportieren.«

»Und wohin?«, rief ich. »Du hattest nur den Sonnensatelliten zur Verfügung. Und dieser wäre dir mitsamt dem Selbstmordkommando zum Grab geworden. Das ist das Schicksal, das dir die anderen Wissenden zugedacht haben!«

Dao-Lin sah mich mit seltsamem Blick an. Da sah ich es zwischen ihren Fingern glitzern. Sie spreizte die Finger, und ein einzelner Paratau-Tropfen rollte ihr in die Handfläche. Ohne lange zu überlegen, drückte ich den Paralysator ab. Die Kartanin brach lautlos zusammen.

Ich blickte mich kurz nach der Wachmannschaft um, sah, wie sich zwei der Männer regten und auf die Beine kamen, dann eilte ich aus dem Laderaum.

Minuten später war ich in der Transmitterstation, gab den Kode für Abendrot-Station ein und schaltete auf Empfang. Ich konnte nur hoffen, dass die Besatzung den Kontaktimpuls registrierte und den Sendetransmitter aufsuchte.

Ich hatte getan, was ich konnte, und zog mich mit schussbereitem Paralysator von der Transmitterplattform zurück. Wenn die Satellitenmannschaft das Richtige tat, konnte sie gerettet werden. Der Transmitterimpuls würde automatisch dafür sorgen, dass sich im Paratronschirm eine Strukturlücke bildete, sodass die Verbindung zwischen Sender und Empfänger hergestellt werden konnte. Aber die Strukturlücke würde es auch kartanischen Espern erlauben, an Bord der WAGEIO zu kommen!

Ich schwitzte in diesen Sekunden förmlich Blut und war über alle Maßen erleichtert, als endlich die vier Besatzungsmitglieder von Abendrot nacheinander aus dem Transmitterfeld kamen. Donald Screen, der grauhaarige Kommandant des Sonnensatelliten, brach nach wenigen Schritten vor Erschöpfung zusammen. Ich hätte mich am liebsten neben ihn gelegt, so erleichtert war ich, dass sich mit den vier keine Esper an Bord gemogelt hatten.

Ich kehrte in die Kommandozentrale zurück und kam gerade zurecht, als die Ortungsgeräte die Explosion des Sonnensatelliten registrierten.

Aber das war nicht alles. Kaum aus der Sonnenkorona heraus, wurde schon wieder Alarm gegeben. Vor uns tauchte eine Kartanin-Flotte auf. Sie war mit 20 Schiffen zwar kleiner als jene, die uns bei Kabarei heimgesucht hatte, aber dafür befanden sich zwei Großraumer vom Typ MASURA darunter, jeder mit einem Durchmesser von 2400 Metern. Die vielen Esper-Kanzeln auf der Oberseite der beiden Diskusschiffe verursachten mir Unbehagen.

Kaum hatten wir sie geortet, eröffneten sie das Feuer. Diesmal war es uns nicht mehr möglich, in großem Bogen auszuweichen. Wir mussten geradewegs durch dieses Strahlengewitter.

»Die Kartanin sind ein Volk von Selbstmördern!«, rief Helma geradezu hysterisch. »Die beiden Großraumer sind geradewegs auf Kollisionskurs eingeschwenkt. Wir müssen uns mit den Antimaterie-Strahlern den Weg freischießen.«

»Nicht nötig«, versicherte Narktor. »Wir erreichen genügend hohe Beschleunigungswerte, um das Schwerkraftzentrum rechtzeitig zum Metagrav-Vortex zu verdichten.«

Noch während Narktor sprach, entstand der Vortex, und wir tauchten im Schutz der Grigoroff-Schicht in den Hyperraum ein. Die erste Erleichterung über diesen glücklichen Ausgang schwand bald großer Sorge, denn nun war uns klar, dass es in Pinwheel keinen Ort mehr für uns gab, an dem wir uns sicher fühlen konnten.

2. Die Verlorenen Geschenke

Auszug aus der 142. Wiederholungssendung von Interstar-Kommunikation-Gatas im Jahr 446 NGZ: »Legenden gibt es viele in den Zwölf Galaxien der Jungfrau, aber keine zweite wie diese über den Ursprung des größten und kostbarsten Schatzes des Universums, der über die Galaxis NGC 4608 verstreut ist.

Diese Legende kennt man auf jeder Welt von Muun, und selbst auf den Planeten der Primitiven wirst du sie erzählt bekommen, hellhöriger Vironaut. Denn Teile dieses Schatzes finden sich überall. Und wie sich die in die Millionen gehenden einzelnen Stücke dieses Schatzes voneinander unterscheiden – keines gleicht im Aussehen dem anderen, und doch haben sie alle eine Gemeinsamkeit –, so erzählt man sich auch die Legenden in abgewandelter Form.

Der Primitive wird dir erzählen, dass der Schatz ein Geschenk der Götter ist, der dir zum Segen und Fluch zugleich werden kann. Der Halbgebildete mag dir erzählen, dass einst die Angehörigen von raumfahrenden Superwesen auf seiner Welt waren und die Monumente ihrer unverständlichen Technik als Prüfstein für sein Volk hinterlassen haben. Du kannst diese Kostbarkeiten an dich nehmen, wird er dir erzählen, wissbegieriger Vironaut, aber wirklich besitzen kannst du sie nie. Und der Intelligente, der sich seiner Superintelligenz bewusst ist, wird dir eine ganz andere Version der Legende erzählen, nämlich, dass die angeblichen Göttergeschenke ein Vermächtnis der ESTARTU an ihre Kinder sind. Wenn du dir eine dieser Kostbarkeiten ausleihst, wird etwas von der Glorie der Superintelligenz ESTARTU auf dich übergreifen. Denn die Legende besagt, dass ESTARTU diesen Schatz einst einem ihr nahestehenden Volk zum Geschenk gemacht hat. Es waren die Pterus, das erste Volk, das sich ESTARTUS bewusst wurde und ihr treu diente und bei Aufgaben von kosmischer Größe ihr zur Seite stand. Die Pterus also wurden zu den Bewahrern und Hütern des gesamten Wissensguts der Superintelligenz, das in dem Schatz integriert war und ist. ESTARTU stellte es den Pterus frei, über dieses Vermächtnis nach Belieben zu verfügen.

Die Pterus entschlossen sich nach vielen Tausenden von Jahren des Überlegens und bestimmten, dass die Teile des Schatzes in einem vorgeschriebenen Zyklus von Welt zu Welt gehen sollten. Und so geschah es. Aber nicht alle Völker wussten die Großmut der Pterus richtig zu schätzen und hielten sich an die Regeln. Sie versuchten, so viele Geschenke wie nur möglich an sich zu raffen und zu horten. Auf diese Weise verschwand ein großer Teil des Schatzes von der galaktischen Bühne. Viele der erlesensten Stücke gingen verloren und sind auch heute noch verschollen, sodass die Legende immer neue Nahrung findet. Und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass mehr Schatzkarten in Muun im Umlauf sind und es mehr Fälschungen gibt als echte Erbstücke der Superintelligenz.

ESTARTU schweigt dazu. Aber du, abenteuerlustiger Vironaut, kannst dir selbst an Ort und Stelle die Antwort holen. Fliege einfach nach Muun und bestaune das sechste Wunder von ESTARTU ... wenn du mutig bist und keine Gefahren scheust.«

(Reportereinblendung, Station Gülgyritt, Zmülisym als Koordinator)

»... sind das doch die Worte, die Stalker einst in der gesamten Milchstraße verbreiten ließ und die neben der Aufzählung der anderen Wunder zum Aufbruch der Vironauten führten. Das sechste Wunder wird DIE VERLORENEN GESCHENKE DER HESPERIDEN VON MUUN genannt. Der Titel erweckt den Eindruck, als seien inzwischen alle diese Geschenke verloren gegangen. Nach neuesten Informationen ...«, Einblendung zur 142. Sendung, dass diese vor einiger Zeit aufgezeichnet wurde, die Aktualität der Informationen also relativ ist, »... sind die Verlorenen Geschenke zusammen mit dem Krieger Pelyfor von Muun eingetroffen. Galaktische Beobachtungsschiffe haben den silbernen Schwarm der Geschenke orteruntersucht und festgestellt, dass er sich aus etwa einer Million Einzelteilen zusammensetzt, die ohne Ausnahme Kurs auf die Eastside genommen haben. Damit ist ein wichtiger Punkt in Stalkers Bericht ungültig geworden. Niemand muss Vironaut sein und nach Muun fliegen, um die Verlorenen Geschenke zu finden. Sie kommen zu uns, und die Absicht, die dahintersteckt, kann nur eine schlimme sein. Pelyfor ist der Gegner aller Milchstraßenvölker, insbesondere unser Gegner. Werfen wir ihm und seinen Werkzeugen alles entgegen, was wir besitzen!«

(Umblendung, etwas später)

»... ist es ohne Zweifel so, dass die Geschenke der Hesperiden nicht zerstörbar sind. Sie sind das Produkt einer Technologie, die der galaktischen weit überlegen ist. Die einzige Hoffnung der gatasischen Krisenregierung ist, dass das in ihnen vorhandene Wissen ESTARTUS für uns von Nutzen sein kann. Immerhin darf nicht übersehen werden, dass es keine Verbindung mehr zwischen dem Ewigen Krieger Pelyfor und seinen Geschenken gibt. Auch der Sotho Tyg Ian tut nichts, um das Vorhandensein der Geschenke für sich zu nutzen ...«

Zwei Gatastage später, letzte Einblendung in die Sendung, gleichzeitig auch das Ende der Wiederholungsausstrahlung:

»... folgen hier nun die Namen von etwa hundert Welten, denen sich kleinere oder größere Schwärme der Hesperiden nähern. Wir danken der GOI für ihre Unterstützung. Ihren Kurierschiffen war es möglich, die Wege der Geschenke entlang der psionischen Feldlinien in etwa zu verfolgen. Es sind die Planeten Gatas, Karrjon, Zülüt ...«

Pahl hing als tränendes rotes Auge über dem Horizont, ein von Schlieren durchzogenes Gebilde, und Yfilüm musste an die alten Sagen seiner Urahnen denken, die von dem mächtigen Allesgott berichtet hatten, der bei Tag sein Einauge über den Planeten hielt und das Treiben der Blues beobachtete. Der Allesgott hatte zu diesen Frühzeiten die einzige Gerichtsbarkeit des Volkes dargestellt, und Yfilüm überlegte, wie es überhaupt so weit gekommen war, dass die Apasos einst in den Zustand einer urzeitlichen Kultur zurückgefallen waren, nachdem die Besiedlung von Apas durch Gataser-Blues bereits ein Jahrzehntausend zuvor erfolgt war.

Der Jülziish fand die Antwort rasch. Statistisch kam es bei einer von 78 Kolonien aus der ersten Phase der interstellaren Raumfahrt zu solchen Erscheinungen, und die vorgefundenen Umweltbedingungen sowie leichte Abweichungen in der Planetenrotation und der Schwerkraft führten zu Entwicklungen, die nicht vorhersehbar waren. Wie vielen anderen galaktischen Völkern in dieser Phase der ersten Expansion über das Heimatsystem hinaus war es auch den Jülziish so ergangen.

Yfilüm verscheuchte die Gedanken an die alte Zeit. Sie hatten sich in sein Bewusstsein gedrängt, weil sich der Kohnla-Ingenieur in einer eigenartigen Stimmung befand. Sein Ultraschallorgan gab eine Fülle für menschliche Ohren nicht hörbarer Laute von sich, und sie trafen auf viele Hundert oder gar Tausend Artgenossen draußen in den Straßenzügen von Puhit, der südlich des Äquators gelegenen Hauptstadt des Planeten. Sie gaben wieder, was er fühlte und was ihn bewegte.

Yfilüm war nicht allein in dieser Stimmung. Er selbst vernahm die Sehnsüchte vieler Männer und der wenigen Frauen, die sich in den abgetrennten Palästen im Zentrum der Stadt aufhielten. Was das Zusammenleben von Männern und Frauen betraf, bildete Apas eine beinahe rückständig zu nennende Kolonie mit den alten Strukturen aus den Zeiten der Überbevölkerung. Sie betonten das Trennende zwischen den beiden Geschlechtern, nicht das Verbindende.

Aber jetzt war da etwas, das alle verband. Es war die Sehnsucht nach einer bestimmten Erscheinung, von der die Wissenschaftler gerade über die Medien berichtet hatten. Es stand etwas bevor, von dem die Jülziish nicht wussten, ob es Segen oder Fluch für ihr Volk werden würde. Sie warteten darauf, dass die Beobachter draußen in der Galaxis ein Signal geben würden, das Entwarnung bedeutete.

Wenn das sechste Wunder kam, musste es eigentlich eine Gefahr für alle Galaktiker bedeuten. Rational sah Yfilüm das ein, aber emotional lehnte er es ab.

Noch war nichts da, noch gaben die Orbitalstationen keinen Alarm. Das gesamte Pahlsystem mit seinen elf Planeten bewegte sich wie immer durch den Leerraum, und der sechste Planet Kohnla, der Pahl immer dieselbe Seite zuwandte und eine ideale Welt für das Überlebenstraining der Astronauten darstellte, hielt die Transmitterverbindungen nach Apas aufrecht.

Yfilüm wurde daran erinnert, dass sein Dienst als Überlebensingenieur in der Sektion 38 auf Kohnla in 27 Stunden beginnen würde. So lange hatte er Zeit zu warten und Ausschau zu halten, so lange gab ihm das Schicksal Gelegenheit, sich nach etwas zu sehnen.

Er heftete das vordere Augenpaar auf das Treiben in den Straßen. Von der Galerie seiner Wohnung aus in dem Rundbau mit dem haubenähnlichen Kuppeldach hatte er eine gute Aussicht. Er lauschte mit seinen empfindlichen Sinnen, aber aus den Nachbarwohnungen vernahm er keine Geräusche mehr. Es mochte sein, dass die Bewohner ebenso wie er an einem Fenster oder auf der in die Außenwandung eingelassenen Galerie standen. Oder sie waren bereits ...

Yfilüm fuhr herum und rannte in die Wohnung hinein. Sein graziler Körper bewegte sich mit der Anmut eines Balletttänzers, und sein Tellerkopf schwankte dabei auf dem langen Hals, als wollte er sich jeden Augenblick in Rotation versetzen.

Der Jülziish beugte sich an der hinteren Wand des Wohnraums über die Kontrollen seines privaten Transmitteranschlusses und suchte nach dem Code für das Haus der tausend Wegweiser, eine der bestbesuchten Schulen Puhits. Yfilüm programmierte hastig den Transmitter und wartete auf das Freizeichen.

Es blieb aus, die Transmitterstrecke war besetzt. Noch schlimmer, es gab im ganzen Haus der tausend Wegweiser keinen freien Empfangstransmitter. Der Jülziish gab ein nervöses Zirpen von sich. Atemzug um Atemzug fixierte er die Schalttafel, und als endlich das gelbe Licht aufleuchtete und sich der Transmitterbogen aufbaute, warf er sich mit einem Ungestüm in das Abstrahlfeld, als ginge es um sein Leben.

Er trat in eine Halle im ersten Stockwerk der Schule und eilte zur Gleittreppe. Sie brachte ihn hinaus auf den Vorplatz und dann hinunter zur Straße. Der Antigrav ließ ihn nicht merken, dass er nach unten sank, die Prallfelder wirkten optimal, und lediglich an den Fassaden hinter und vor sich erkannte er, dass sein Körper sich in Bewegung befand.

In den Straßen drängten sich die Massen, lauter Männer unterschiedlichen Alters. Ein einziges Mal entdeckte Yfilüm eine Frau in einem Mantel der Regierungssekretäre. Sie verschwand rasch wieder zwischen den Leibern.

Er gelangte am unteren Ende der Treppe an, und das Feld entließ ihn in die Straße. Unversehens stand er auf dem grauen Plastbelag des Bodens und musterte die an ihm vorbeiziehenden Köpfe, ohne sie richtig wahrzunehmen. Alles lief um ihn ab wie ein Film oder ein Traum. Die Jülziish drängten und drückten, und alle strebten sie in eine einzige Richtung, hin zum Regierungsviertel mit seinen verschiedenen Palästen.

Automatisch streckte Yfilüm einen Arm aus. Die vier Finger und drei Daumen schlangen sich um den Unterarm eines Artgenossen. »Wohin, mein Freund?«, zirpte er, mehr schüchtern als forschend. Sein zurückhaltender Ton mochte es sein, der bewirkte, dass der andere ihn kurz musterte und sogar Antwort gab.

»Zum Sockelpalast, Ingenieur!« Er erkannte Yfilüms Tätigkeit an dessen Kleidung.

Yfilüm wollte etwas sagen, aber da hatte sich der andere seiner Umklammerung bereits entzogen. Die Menge riss ihn mit, und er entschwand den Blicken des Ingenieurs.

Yfilüm kämpfte mit seinem Gleichgewicht. Das Wogen und Schieben der Menge machte ihn nervös, die vorbeigleitenden Leiber und Köpfe ließen ihn schwindeln. Er entdeckte die Haltestange neben sich, die das Ende der Gleittreppe markierte, und hielt sich krampfhaft daran fest. Was wollten die Jülziish alle am oder im Sockelpalast? Hofften sie, dort die Erfüllung ihrer Sehnsucht zu finden?

Er stand etwa eine halbe Stunde an der Stelle, und in dieser Zeit war Pahl am Himmel emporgewandert und leuchtete zwischen den Gebäuden herein zu ihm. Er wandte den Kopf ein wenig zur Seite und ließ sich den vorderen Teil bescheinen, während das starre Augenpaar am Hinterkopf in unendliche Fernen zu blicken schien.

Yfilüm begann zu träumen, und diesmal war sein Traum so intensiv, dass er nichts mehr von seiner Umgebung wahrnahm. Er erkannte plötzlich, wonach er sich sehnte und was für ihn wichtig war.

Und er verstand. Ja, er verstand richtig, was sein Traum ihm eingab. Er antwortete auf gestellte Fragen und legte den Kopf schief, um zu einer ganz bestimmten Stelle des orangeroten Himmels zu blicken. Dort entstand ein hellgelber Fleck und wuchs langsam an. Er zerlegte sich in viele kleine Teile, es wurden Tausende von gelben Punkten daraus.

»Ich wünsche mir, für immer so glücklich zu sein, wie ich es noch nie war«, zirpte er zaghaft, und nach einer kurzen Phase atemlosen Lauschens fuhr er fort: »O ja, jetzt weiß ich, dass mein Wunsch in Erfüllung gehen wird!«

Als seien seine träumerisch gesprochenen Worte ein Signal gewesen, strömte plötzlich Wissen auf ihn über. Er lachte schrill und ungestüm, weil er plötzlich wusste, dass es sinnlos war, wenn sie alle zum Sockelpalast rannten. Sie konnten weder etwas beschleunigen noch etwas ändern. Sie hätten genauso gut daheimbleiben können, im Flauschfederkissen oder vor dem Televisor oder der Holoprojektion aus dem Informationszentrum des Planeten.

Ort und Zeit spielten keine Rolle. Hauptsache war, dass Apas zu den glücklichen Welten zählte.

Irgendwo in Yfilüm schrillte eine Alarmsirene. Sie riss ihn aus seinem Traum und ließ ihn die Umgebung wahrnehmen. Er fand sich allein auf der Straße. In seinem Gesichtsfeld hielt sich kein einziger Artgenosse mehr auf.

»Wartet auf mich«, murmelte er verwirrt. Dann fiel ihm sein Traum wieder ein, und er ließ die Haltestange los und trat in die Mitte der leeren Straße. Er breitete die Arme aus und beugte den Oberkörper zurück.

»Hier bin ich!«, rief er. »Jetzt kannst du kommen. Ich warte auf dich!«

Und so außergewöhnlich und gefährlich es war, Yfilüm vernahm die Antwort und freute sich über sie. Er sah keine Notwendigkeit, zu einer der öffentlichen Sprechstellen zu gehen und die planetare Verteidigung zu verständigen, die in den Zeiten des Sothos Tyg Ian unter ständiger Alarmbereitschaft stand. Er lachte nur, und seine Augen glitzerten erwartungsvoll.

»Gleich komme ich zu dir«, sagte eine Mentalstimme in ihm. »Ich habe dich fast schon erreicht. Ich bringe dir all das Wissen, das ich besitze!«

Fast gleichzeitig war es in ihm gegenwärtig, ein winziger Teil eines gewaltigen Wissens, ein Bruchstück nur, mit dem er nicht viel anfangen konnte.

Aber es war da, und es ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Und die Mentalstimme fuhr fort, auf ihn einzureden. »Ich bin eines der vielen Geschenke, das der Ewige Krieger Pelyfor im Lauf der Jahrtausende und mit Unterstützung der Pterus für sich genommen hat. Ich gehöre zu der Million Geschenke, die als verschollen gelten und dennoch existieren. Nimm mich!«

Yfilüm, der Apaso, streckte die Arme aus und nahm.

Als untergeordnetes Mitglied des Technikrats aller Ingenieure von Kohnla hatte sich Yfilüm einige Zeit lang mit den Eigenheiten des Stygischen Netzes auseinandergesetzt und die Parallelen zum Psionischen Netzwerk gezogen, wo sogenannte Kalmenzonen das eigentliche Psi-Netz störten und durch andere Arten der Fortbewegung ersetzt wurden. Das Stygische Netz war nur mit Schiffen zu befahren, die über einen auf technischem Weg erzeugten Enerpsi-Antrieb verfügten, der nicht mit dem Antrieb der Virenschiffe zu vergleichen war. Die Verlorenen Geschenke der Hesperiden von Muun reisten in diesem Psi-Netz, sie verfügten über die Möglichkeit, sich diese Linien nutzbar zu machen.

Die Gestaltwerdung des noch unbekannten Geschenks erfolgte in etwa 50 Fuß Höhe, mitten zwischen den Dächern der Gebäude, die die Straße säumten. Aufmerksam musterte der Jülziish den Luftraum, und er entdeckte den winzigen Schimmer, der sich farblich nicht vom Hintergrund des Himmels unterschied. Es war wie ein leichtes Flimmern von warmer Luft, und es dunkelte nur sehr langsam ab. Das Geschenk benötigte lange Zeit, um zu erscheinen, ein für eine Materialisation aus dem Psi-Netz verwunderlicher Vorgang.

»Komm!«, zirpte der Jülziish leise. »Komm endlich!«

»Bin schon da. Ich habe mich endgültig für dich entschieden. Ich sehe dich jetzt mit meinen Sinnen. Du bist Yfilüm!«

Gleichzeitig tauchte ein Schatten auf, nicht größer als der Tellerkopf des Jülziish. Farbliche Unterschiede zum Himmel kristallisierten sich heraus, das Geschenk nahm eine intensiv gelbliche Farbe an, das Zeichen für die Freigabe eines Transmitteranschlusses.

Yfilüm sank ein wenig in sich zusammen. Der Anblick war zu banal, als dass er sich richtig darüber hätte freuen können. Im nächsten Augenblick reckte sich sein langer Hals jedoch weit empor, entrang sich seiner Sprechöffnung ein ergebenes Seufzen. Das Geschenk hatte eine regenbogenschillernde Farbe angenommen, aus der sich immer mehr Rosa und Hellgrün herauskristallisierten. Langsam sank das Gebilde nach unten, und es wurde nicht größer. Es behielt die Ausmaße, und der Jülziish kommentierte es mit einem kurzen und eindringlichen Impuls im Ultraschallbereich. Das Geschenk näherte sich ihm und blieb dicht vor seinem Kopf in der Luft hängen. Es erinnerte ihn an einen vielzackigen Stern von hellrosa und grüner Farbe, ein schillerndes und nach Kristall aussehendes Gebilde. Es zog sein vorderes Augenpaar in seinen Bann, und der Blue streckte seine dürren Arme ein Stück nach oben und umgab das Gebilde mit zu Schalen geformten Händen, ohne es zu berühren.

»Nimm mich!«, sagte die mentale Stimme in ihm. »Ich bin für dich!«

»Oh, ich kenne das«, pfiff Yfilüm. »Ein Geschenk der Hesperiden gehört einem nie als Eigentum. Es verschwindet nach Stunden oder Tagen. Man hat es nie für immer!«

»Wer weiß, Yfilüm, vielleicht ändert sich das. Es kommt ganz auf den Besitzer an, ob ein Geschenk bei ihm bleibt oder nicht. Wie heißt es in den Worten der Völker dieser Galaxis? Es hängt davon ab, ob der Besitzer des Geschenks auch würdig ist!«

Sei es durch diese Worte, sei es durch das ständige Starren auf das Geschenk, Yfilüm warf endgültig jeden Vorbehalt über Bord. Er fasste das Geschenk an einigen seiner Zacken, und es ließ sich willig ein Stück herabziehen und an seine Brust legen.

»Du bist ein schönes Geschenk«, hauchte der Jülziish ergriffen. »Du siehst aus wie ein ... wie ein Schiff. Ja, jetzt erkenne ich es. Du hast die Form eines jener Schiffe, in denen die Ewigen Krieger reisen!«

»Und ich habe einen Namen!«, vernahm er die eindringlichen Gedanken. »Willst du ihn wissen?«

Yfilüm wollte, aber im Augenblick hatte er anderes im Sinn. Er hatte einen Artgenossen erspäht, der aus der Richtung der Paläste kam. Er schlich mit hängendem Kopf dahin. Erst als er den Ingenieur mit dem leuchtenden Gegenstand entdeckte, straffte sich seine Haltung ein wenig.

Yfilüm spürte eine Gefahr. Er presste das Geschenk der Hesperiden an sich und trat eilig zu der Gleittreppe. Sie nahm seinen Wunsch an und beförderte ihn hinauf in die erste Etage des Gebäudes der tausend Wegweiser. Er zog sich in die Nähe der Transmitter zurück und strich mit seinen Fingern vorsichtig über den Stern, der ihn an einen besonders wertvollen Kristall erinnerte.

»Wie heißt du?«, zirpte er.

»Ich bin der Traum, der stets erfüllt, das Wort, das Wahrheit dir enthüllt. Ich bin der Kokon, der dich webt, der Gleiter, der dir Welten schwebt. Ich bin die Seele, die dich heilt, dein Wind, der durch das Weltall eilt. Ich bin nicht Tier und auch kein Blatt, ich hab nicht Durst, bin immer satt, ich bin jetzt dein, nimm dich mir ganz, ich bin dein Mund, ESTARTUS Glanz. Und in der Sprache von Muun heißt all das: Mameoramuun!«

Yfilüm merkte, dass er vor Ergriffenheit zitterte. Er versuchte, die Nerven und Muskeln seines Körpers unter Kontrolle zu bringen. Es gelang ihm nur unzureichend, und er fühlte sich durch das Auftauchen des Artgenossen gestört, der ihm über die Gleittreppe in das Innere der Schule gefolgt war. Zielstrebig kam der andere jetzt auf ihn zu. Er streckte drohend oder verlangend die Hände nach ihm aus, und Yfilüm verbarg das Geschenk hastig hinter seinem Rücken.

»Ich habe keines erhalten!«, schrie der Blue mit rollenden Augen. Yfilüm kannte ihn nicht. »Es sind nicht Geschenke für alle da. Aber ich will ein Geschenk!«

Er machte eine Pause und deutete auf seinen Kopf. »Hörst du es nicht? Die Sehnsucht ist in mir. Ich habe ein Recht darauf, ein Geschenk zu erhalten. Es ist zu meinem Nachbarn gekommen und hat mich verschmäht!«

Er machte Anstalten, sich auf den Ingenieur zu stürzen. Yfilüm wich hastig zur Seite. Der Jülziish prallte gegen eine Transmitterkonsole und löste mehrere Fehlschaltungen aus. Eine Sirene heulte auf und erlosch, als die Positronik die Schaltungen annulliert hatte.

»Du bist nicht bei Sinnen!«, stieß Yfilüm hervor. »Beherrsche dich!«

Der andere sank zu Boden und wimmerte leise vor sich hin. »Es ist ungerecht!«, zirpte er. »Warum ich nicht? Warum sind zu wenig Geschenke da?«

»Frage Pelyfor oder den Sotho«, sagte Yfilüm hart. Er erkannte seine eigene Stimme nicht wieder. »Es ist nur eine Million der wiedergefundenen Geschenke, und wir Jülziish zählen nach Milliarden.« Er warf sich in die schmale Brust. »Nur besonders Auserwählte erhalten ein Geschenk!«

Der andere schluchzte und kroch langsam davon. Yfilüm umklammerte sein Geschenk und steckte es dann unter sein Gewand. Er beugte sich über den anderen und zerrte ihn hinüber zu einem der Luftschächte, die die Stockwerke miteinander verbanden. Er wuchtete den Körper hinein, ehe der andere sich wehren konnte.

»Du wirst mir mein Geschenk nicht wegnehmen«, zirpte er schrill. »Du nicht!«

Der Blue sauste den Schacht abwärts und stieß schrille Laute aus. Yfilüm hörte, wie er unten aufprallte und sein Wimmern im Ultraschallbereich endete. Roboter nahmen sich des Verletzten an.

3. Der Vater der Adoption

Sammelbericht der Orbitstationen in den Randbezirken des Verthsystems, insbesondere von den Stationen Lysum 1 bis Lysum 7, Standort am 14. Planeten:

»... ist also endgültig festzustellen, dass es sich bei den Geschenken um vorläufig harmlose Gebilde handelt, die an verschiedenen Stellen des Planetensystems aus dem Psionischen Netz ausgetreten sind. Nicht nur die Oberfläche von Gatas wurde mit Geschenken überhäuft, auch in den Raumstationen sind solche Gegenstände aufgetaucht. Bezüglich der Größe ist festzustellen, dass offenbar ein Geschenk riesiger Art in der Biostation um den zwölften Planeten materialisierte. Da es größer war als die Station, sprengte es diese beim Materialisationsvorgang. Es sind zu beklagen: zwölf männliche und drei weibliche Wissenschaftler, allesamt Gataser. Von weiteren Unglücksfällen im Zusammenhang mit den Verlorenen und Wiedergefundenen Geschenken der Hesperiden ist nichts bekannt.«

Protokollauszug der Sitzung der Krisenregierung, Tagungsort Meeresplattform Finybim:

»Es ist uns dank der Aufmerksamkeit unserer Wissenschaftler bekannt, dass es sich bei den Geschenken der Hesperiden um starke psionische Strahler handelt. Auswirkungen auf die Gemüter der derzeitigen Besitzer sind bisher trotz modernster Untersuchungsmethoden nicht nachweisbar. Die Anfrage der Kosmischen Hanse, übermittelt durch ein geheimes Kurierschiff, ist deshalb abschlägig zu beantworten. Die Völker der Jülziish benötigen keine Hilfe gegen die offensichtlich harmlosen Geschenke der Hesperiden von Muun. Es ist ersichtlich, dass weder Pelyfor noch Stygian irgendwelchen Einfluss auf die Geschenke ausüben!«

Zwei der Krisenräte begleiteten Raynit-Sit-Vornay bis zum Rand Finybims. Sie verabschiedeten ihn und sahen zu, wie er auf sein Verthomobil hinüberstieg, eine der neuesten Konstruktionen einer Sonnenplattform. Der Gataser winkte ihnen freundlich zu und machte es sich in seiner Liegemulde bequem.

»Ich nehme euch beim Wort«, rief er hinüber. »Wir werden versuchen, das Wissen ESTARTUS für unsere Zwecke zu nutzen. Aber was ist dieses Wissen?«

»Wir wissen es nicht«, erwiderten die beiden Amtskollegen einmütig. Er sah es ihnen an, dass sie logen. Beide waren sie stolze Besitzer eines Geschenkes der Hesperiden, beide standen sie mit ihren Gegenständen in mentalem Kontakt. Sie mussten es einfach wissen!

»Ich werde bei unserer nächsten Sitzung übermorgen darauf zu sprechen kommen«, zirpte er mit scharfem Unterton. Die beiden Krisenräte versteiften sich. Sie wussten, dass es noch andere wie Raynit-Sit-Vornay gab, die der Krisenregierung angehörten und ohne Geschenk geblieben waren. Sie würden sein Anliegen unterstützen.

»Bis dann«, murmelten sie in ihrer schrillsten Stimmlage und gingen.

Vornay betätigte eine Taste an einem dunklen Feld am Rand der Mulde. Er setzte sich mit dem Autopiloten seiner Plattform in Verbindung und gab ihm Anweisungen. Sie löste sich von Finybim und driftete langsam in das grüne Meer hinaus. Der Krisenrat genoss die frische und würzige Luft und die Wärme der blauen Riesensonne Verth. Die Natur um ihn herum war leise und friedlich, ein Hort des Reichtums, und das Plätschern der Wellen, die gegen das Verthomobil schlugen, beruhigte den Gataser.

Seit ein paar Tagen war der Planet um etwas reicher geworden, von dem noch keiner wusste, ob es für das große Volk der Jülziish wirklich eine Bereicherung darstellte oder ob es eine Gefahr war.

Er selbst war Zeuge gewesen, wie sich einige Hundert Geschenke aus dem Himmel auf die Plätze der Hauptstadt herabgesenkt hatten. Andere waren direkt in den Wohnungen ihrer Besitzer erschienen. Etliche Zehntausende hatten sich auf Gatas niedergelassen, es mochten sogar Hunderttausende sein. Niemand hatte ihre Zahl genau feststellen können, und diejenigen, die ein Geschenk erhalten hatten, fühlten sich zufrieden und zeigten offen ihren Stolz. Die anderen waren erfüllt von Neid, aber die Jülziish wären keine Jülziish gewesen, wenn sie sich nicht nach Stunden und Tagen auf ihre Tugenden besonnen hätten. Sie fanden sich damit ab, dass es nicht genug Geschenke gab, und sie freuten sich mit ihren Verwandten und Freunden und besuchten diese, um dort die Geschenke zu bestaunen und sich anzuhören, was die Besitzer über den Mentalkontakt erzählten.

Die Geschenke teilten sich allein ihren Besitzern mit, die wörtlich offenbarten, was die Geschenke dachten. Die Meldungen in den Medien brachten Interviews mit Geschenken und Besitzern, und das anfangs kühle und objektive Bild verwischte sich immer mehr.

Anfangs hatte es geheißen, dass die Hesperiden-Geschenke aus ESTARTU mit Vorsicht zu genießen seien wie alles, was von dort und von den Ewigen Kriegern kam. Die Warnungen aus dem Bereich der GOI und der Kosmischen Hanse, die Mahnungen des Galaktikums, all das verblasste vor den subjektiven Erfahrungsberichten der Jülziish mit den Geschenken.

Vornay hatte sich trotz seiner inneren Sehnsucht nach einem Geschenk ein gewisses Maß an Nüchternheit bewahrt. Es wurde dadurch zusätzlich gefördert, dass er der Meinung war, dass längst alle Geschenke vergeben waren. Zudem war es illusorisch, daran zu denken, später einmal über ein Geschenk zu verfügen, das seinen bisherigen Besitzer verlassen hatte. Vornay, aus einer der alten gatasischen Sippen, war zu stolz, um sich mit getragenen Kleidern zu schmücken oder nach abgelegten Frauen Ausschau zu halten.

Er drehte sich auf den Bauch und ließ Verth auf seinen blassen Rückenflaum scheinen. Er dachte an seine vielen Frauen und die stattliche Zahl von 40 Kindern. Die Verantwortung, die eine solche Schar mit sich brachte, hatte ihn von seinem gefährlichen Posten als Militärgouverneur zurücktreten und als Krisenrat auf seine Heimatwelt zurückkehren lassen. Manchmal pflegte er die alten Kontakte zu Pryit, dem Galaktischen Rat und Botschafter beim Galaktikum. Von dort gab es derzeit nichts Aufregendes, die Situation stagnierte. Geplänkel flammten immer wieder an verschiedenen Stellen auf, und nach wie vor agierte die GOI gegen den Sotho und bemühte sich, seine Feresh Tovaar aufzuspüren und zu zerstören.

Raynit-Sit-Vornay blinzelte träge und döste ein. Er schlief, bis ihn ein leises Signal weckte. Der Autopilot meldete ein größeres Hindernis, und Vornay erhob sich aus der Sonnenmulde und musterte den Horizont. Noch konnte er mit bloßem Auge nichts erkennen. Die Inseln, an denen die Plattform in der Zwischenzeit vorübergezogen war, waren längst hinter den Horizont gesunken. »Bei der Violetten Kreatur der Täuschung!«, zirpte er. »Da ist nichts. Das Wasser liegt ruhig da!«

»Und doch ist da etwas«, beharrte der Autopilot. »Du solltest es dir ansehen!«

Missmutig machte Vornay sich auf den Weg zur Luke. Er stieg in das Innere der Plattform hinunter und zwängte sich in den engen Kontrollraum. Der Bildschirm zeigte den Meeresspiegel und das grüne Wasserreich darunter.

Der Gataser entdeckte, wovon der Autopilot die ganze Zeit gesprochen hatte. Ein riesiger Felsklotz schwamm im Wasser. Er ragte tief hinab in die Unergründlichkeit und besaß eine hellgrüne Farbe, die sich kaum von der des Wassers unterschied. Hätte das Ding weiß oder grau geleuchtet, hätte er es für einen verirrten Eisberg aus der Polarzone gehalten. So aber gab es ihm Rätsel auf.

Eine Ahnung bemächtigte sich des Krisenrats. Hatte er sich bisher eingeredet, dass er sich nicht mehr nach einem Geschenk sehnte, entsprach es doch den Tatsachen, dass kein Jülziish von der Sehnsucht verschont geblieben war. Sie hatte sogar die Angehörigen anderer Völker erfasst, die auf Gatas und den anderen Planeten lebten.

Vornay richtete sich auf. Was er an Gefühlen bisher in seiner Arbeit erstickt hatte, drängte jetzt vehement an die Oberfläche. Er taumelte und hielt sich mühsam an einer Leiste fest. »Volle Kraft voraus!«, zirpte er mit bebender Stimme. »Geh dicht an das Gebilde heran!«

Er kehrte auf die Oberseite der Plattform zurück. Diesmal hockte er sich an die Mulde und ließ die Wasseroberfläche nicht mehr aus den Augen. Die Plattform setzte sich in Bewegung und durchpflügte das Wasser, bis sie plötzlich mit aufheulenden Triebwerken Gegenschub gab und still lag.

»Was ist?«, pfiff der Blue. »Warum geht es nicht weiter?«

Die Antwort des Autopiloten war einleuchtend. Der Felsklotz kam ihnen entgegen. In Sichtweite kräuselte sich die Wasseroberfläche, spitzte der Gipfel des Berges in die Luft. Grün schimmernd hob er sich aus dem Wasser, und Vornay erhielt in diesem Augenblick völlige Sicherheit.

»Es ist ein Geschenk«, jubelte er. »Sieh nur, ein Geschenk wartet auf mich!«

Das Geschenk der Hesperiden war vergleichsweise groß. Aber es gab größere, und sie standen irgendwo auf den Planeten herum, eifersüchtig bewacht von ihren Besitzern. Der Felsklotz schwankte leicht im Wasser und stieg immer weiter empor. Nach kurzer Zeit ragte er hoch über die Plattform hinaus.

Vornay spürte jetzt deutlich die Faszination, die das Ding auf ihn ausübte. Er fühlte sich zu ihm hingezogen und getraute sich doch nicht so recht. Einerseits sehnte er sich nach dem Geschenk, andererseits zerfloss er aus Achtung vor dem riesigen Gebilde. Wenn er es besaß, wie sollte er es vor Zudringlichen schützen?

Etwas zupfte in seinem Bewusstsein. Er zuckte zusammen und lauschte, wie sich in seinen Gedanken erste Begriffe bildeten und zu einem Satz formten. »Ich schütze mich selbst, Vornay«, sagte das Geschenk lautlos in ihm. »Es gibt nichts und niemand, der in der Lage wäre, mir Schaden zuzufügen. Aber ich würde es bedauern, wenn mir etwas zustieße!«

»Ich auch«, beteuerte der Blue hastig. »Ich werde dich mit aller Sorgfalt behandeln, die dir zusteht!«

Das Geschenk der Hesperiden schwieg eine Weile. Es bewegte sich ein kleines Stück auf die Plattform zu. »Du klingst nicht gerade begeistert, Krisenrat«, teilte es mit. »Und dabei habe ich dich ausgesucht, weil ich dich für ein bedeutendes Wesen halte.«

»Verzeih. Was muss ich tun? Wie kann ich dir helfen?«

Vornay überschlug sich vor Entgegenkommen. Er vergaß die Plattform, und die stupide Meldung des Autopiloten, dass die Plattform den Berg berührt hatte, nahm er nicht einmal wahr.

»Ich begleite dich auf allen deinen Wegen«, ließ das Geschenk verlauten. »Du wirst bald erfahren, was du für mich tun kannst. Ich fordere und verlange nichts.«

Raynit-Sit-Vornay dachte an das, was er bereits über die Geschenke wusste. Jedes Geschenk besaß einen Namen und ein Stück Wissen. »Wie heißt du?«, fragte er.

»Du bist voreilig«, kam die Antwort. »Es fehlt dir ein gutes Stück Faszination, Vornay. Wir werden eine Weile intensiv miteinander arbeiten müssen, ehe ich dir meinen Namen sage!«

Der Gataser erschrak. Die Worte klangen unpersönlich, und er empfand es so, als enthielten sie eine unterschwellige Drohung. Jetzt, wo er endlich ein Geschenk hatte, wollte er es nicht gleich wieder verlieren.

»Ich werde mir Mühe geben«, zirpte er. »Aber geh bitte nicht weg, ja?«

Und das versprach ihm das Geschenk der Hesperiden von Muun.

Da ging der Vater der Adoption. Die Jülziish musterten ihn mit ihrem vorderen Augenpaar, bis er an ihnen vorbeigegangen war, und verfolgten seinen Weg mit dem hinteren Augenpaar, bis er um eine Gebäudeecke verschwunden war.

Der Vater der Adoption tat, als merke er nichts. Scheinbar in Gedanken versunken schritt er dahin, den Schlauch um den Leib gewunden, und der Schlauch rührte sich ab und zu, zog sich zusammen oder dehnte sich aus.

Irgendwo lachte ein Halbwüchsiger, als er erkannte, dass Schlauch und Kopf dieselbe Schattierung besaßen, ein rosa-grünes Streifenmuster quer zur Bewegungsrichtung. Mit einem solchen Muster hätte der Jülziish nie Regierungsmitglied werden können.

Der Jülziish, dem die Aufmerksamkeit seiner Artgenossen galt, hatte nichts dergleichen im Sinn. Vater der Adoption nannten sie ihn, und manchmal munkelten die Bewohner von Yrtüfy-Nord, dass er kindersüchtig aus Langeweile war, dass er so viele Kinder adoptierte, weil er sich davon einen gesicherten Lebensabend versprach.

Weit gefehlt, denn der Vater der 72 elternlosen Kinder war ein gut gestellter Pensionär. Er machte einen unverbrauchten Eindruck, und es war sicher, dass er sich im Lauf seines Lebens keinen Hals abgeknickt hatte.