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Mit der Technik der menschenähnlichen Arkoniden hat Perry Rhodan die Dritte Macht gegründet, einen Staat, der die zerstrittene Menschheit einen soll. Immer mehr junge Menschen schließen sich seiner Gemeinschaft an, darunter die sogenannten Mutanten. Sie sind die eigentlichen Erben des Atomzeitalters: Mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten können sie Gedanken lesen oder durch feste Materie sehen. Auf der Venus, wo Rhodan eine uralte Basis der Arkoniden in seinen Besitz gebracht hat, lässt er eine Mutantenschule errichten. Denn nur mit Hilfe der Mutanten kann der Kampf gegen die gefährlichen Individualverformer gewonnen werden, welche die Erde bedrohen. Dann greifen im Wega-System, nur 27 Lichtjahre von der Erde entfernt, die echsenhaften Topsider die menschenähnlichen Ferronen an. Rhodan eilt den Ferronen zur Hilfe: Mit einem arkonidischen Beiboot, der GOOD HOPE, bricht er zum ersten interstellaren Raumflug der Menschheit auf ...
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Nr. 2
Das Mutanten-Korps
Mit der Technik der menschenähnlichen Arkoniden hat Perry Rhodan die Dritte Macht gegründet, einen Staat, der die zerstrittene Menschheit einen soll. Immer mehr junge Menschen schließen sich seiner Gemeinschaft an, darunter die so genannten Mutanten. Sie sind die eigentlichen Erben des Atomzeitalters: Mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten können sie Gedanken lesen oder durch feste Materie sehen.
Auf der Venus, wo Rhodan eine uralte Basis der Arkoniden in seinen Besitz gebracht hat, lässt er eine Mutantenschule errichten. Denn nur mit Hilfe der Mutanten kann der Kampf gegen die gefährlichen Individualverformer gewonnen werden, welche die Erde bedrohen.
Niemand wird bestreiten, dass viele Prophezeiungen aus klassischen Zukunftsromanen inzwischen Realität geworden sind – man denke nur an die Werke von Jules Verne und H. G. Wells oder, um ein näherliegendes Beispiel zu nennen, an die ersten PERRY-RHODAN-Romane, in denen der Zeitpunkt der ersten Mondlandung ziemlich genau vorhergesagt wurde. Es wäre jedoch vermessen, zu behaupten, Verfasser utopischer Romane seien unfehlbare Hellseher. Sie haben das Recht, sich zu irren.
In den in diesem Buch zusammengefassten PERRY-RHODAN-Romanen aus den frühen sechziger Jahren (Das Mutantenkorps von W. W. Shols; Invasion aus dem All von Clark Darlton; Die Venusbasis von Kurt Mahr; Raumschlacht im Wegasektor von K. H. Scheer und Mutanten im Einsatz von Kurt Mahr) spielt ein Teil der Handlung auf der Venus. Der zweite Planet des Solsystems wird dabei als eine jungfräuliche Dschungelwelt geschildert.
Wir wissen aber inzwischen aus den Daten, die verschiedene Sonden zur Erde schickten, dass es auf dem Abendstern völlig anders aussieht.
Für uns war dies kein Grund, die Handlung dieses Buches völlig neu zu gestalten, wie wir überhaupt bei der Bearbeitung auch diesmal versucht haben, die Ursprünglichkeit der darin zusammengefassten PERRY-RHODAN-Romane zu bewahren. Änderungen ergaben sich aus der Notwendigkeit, Widersprüche zu korrigieren, Überleitungen zu schreiben und stilistische Mängel nach Möglichkeit zu beseitigen.
Der Erfolg des ersten PERRY-RHODAN-Buches »Die Dritte Macht« zeigt, dass wir dabei im Sinn unserer Leser verfahren. Aufmerksamen Lesern wird nicht entgehen, dass Handlungsteile, die Wiederholungen darstellen oder uninteressant sind, auf ihren Sinngehalt gekürzt wurden. Damit möchten wir die Bedenken jener PERRY-RHODAN-Freunde ausräumen, die bisher befürchteten, allzu lange warten zu müssen, um ihre PERRY-RHODAN-Bibliothek im Lauf der Zeit vervollständigen zu können. So bieten die PERRY-RHODAN-Bücher nicht nur die Handlung der Original-Romane, sondern in Auswahl und Form auch das Beste und Wichtigste aus den klassischen Vorbildern.
Heusenstamm, September 1978
In kosmischen Zeitmaßstäben gesehen, währt das Leben eines Menschen eine Millisekunde, und selbst die Dauer der gesamten menschlichen Existenz beträgt unter diesen Aspekten nicht mehr als einige Augenblicke. So ist es kein Wunder, dass die Ereignisse in unserem Universum einem menschlichen Beobachter chaotisch und sinnlos erscheinen müssen. Mit ihren begrenzten Sinnen, die ihnen nur einen winzigen Ausblick auf die Wirklichkeit erlauben, versuchen die Menschen, kosmische Zusammenhänge zu begreifen und zu überschauen. Dieser ohnmächtige und vielleicht gerade deshalb bewunderungswürdige Versuch wird von den Menschen Wissenschaft und Forschung genannt. Gefangen auf seinem kleinen Planeten, den er in seinem Zwiespalt von Emotion und Ratio zu vernichten droht, ringt der Mensch um Erkenntnisse, die ihn letztlich nur vor immer neue und größere Rätsel stellen.
Dieses verbissene Suchen nach letzten Wahrheiten lässt die Menschen ahnen, dass ihre Welt nur Teil einer unüberschaubaren universellen Ordnung ist, in der es Mächte und Existenzformen gibt, die darin eine bestimmende Rolle spielen. Stellen wir uns vor, die Menschheit würde eines Tages durch Umstände, die wir uns mit unserem beschränkten Auffassungsvermögen noch nicht erklären können, in den Sog kosmischer Ereignisse geraten.
Ein neuer Abschnitt menschlicher Geschichte würde dann beginnen, die Geschichte des Menschen in der Zukunft.
Die beiden Männer in dem spartanisch eingerichteten Raum saßen schweigend in ihren Sitzen und warteten. In Rhodans Gesicht zeigten sich die Anstrengungen der vergangenen Wochen, trotzdem wirkte er gelassen. Reginald Bull dagegen, der zweite Mann, machte einen ungeduldigen Eindruck. Als ein Summton erklang, beugte er sich mit einem Ruck über die Funkanlage und schaltete auf Empfang.
Eine nervöse Stimme erklang:
»Hier spricht das Sekretariat der Föderierten Weltmächte. Wir rufen Perry Rhodan, um ihm nach Abschluss der Konferenz folgendes Ergebnis mitzuteilen, das gleichzeitig als Kommuniqué über alle Nachrichtenstationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird: Die Vertretungen der NATO-Staaten, des Ostblocks und der Asiatischen Föderation haben heute über den völkerrechtlichen Status der so genannten Dritten Macht beraten. Die Vorgänge der letzten Tage, besonders die Ereignisse außerhalb der Erde, haben in allen Teilen der Welt ernste Besorgnis hervorgerufen. Die zweifellos in feindlicher Absicht erfolgte Annäherung eines Raumschiffs unbekannter Intelligenzen muss als eine Bedrohung der Erde angesehen werden. Es wird von den Delegierten der NATO, des Ostblocks und der Asiatischen Föderation eingeräumt, dass es allein dem Eingreifen der Dritten Macht zu verdanken ist, wenn das unbekannte feindliche Raumschiff auf dem Mond vernichtet werden konnte. Die Konferenzmächte halten daher eine gewisse Loyalität der Dritten Macht den gemeinsamen menschlichen Interessen gegenüber für gegeben und haben beschlossen, die Dritte Macht in ihrer gegenwärtigen geographischen Lage und Ausdehnung als souveränen Staat anzuerkennen. Perry Rhodan wird gebeten, diese Nachricht zu bestätigen.«
Bull drückte die Stopptaste und ließ sich wieder in den Sessel zurücksinken.
»Wir haben es geschafft«, sagte Rhodan schlicht. »Langsam scheint die Menschheit zu begreifen, dass nicht wir ihre Feinde sind, sondern dass Gefahr aus dem Weltraum droht.
Umfangreiche diplomatische Beziehungen sollen sich die Herren aus dem Kopf schlagen. Es würde ihnen gefallen, mit uns drei Dutzend und mehr Botschafter auszutauschen, doch wir sind ein Sonderfall in der Diplomatie. Man hat sich bereits langsam daran gewöhnt. Nimm bitte folgende Antwort auf ...«
»Willst du nicht selbst sprechen?«
»Ich habe meine Gründe dafür, es nicht zu tun.«
Reginald Bull zuckte mit den Schultern. »Ich werde es durchgeben. Bitte!«
»Sage ihnen, dass ich mich freue, eine so positive Antwort bekommen zu haben, dass ich die Einsicht lobe, mit der man in Genf gehandelt und entschieden hat, dass ich jedoch auf den Vorschlag betreffs diplomatischer Beziehungen später zurückkommen werde, da wir in unserem kleinen Reich vorläufig unter einer räumlichen Beschränktheit leiden, die die Anwesenheit diplomatischer Vertreter noch nicht rechtfertigt. Kontakte sind jedoch jederzeit möglich.«
Bully verzog das Gesicht. »Ich werde mir den Kopfzerbrechen, wie ich den Text formuliere ...«
»Du wirst sofort antworten, mein Lieber! Zum Kopfzerbrechen bleibt dir nicht viel Zeit. Mit dem Tempo der heutigen Sitzung haben die Machtblöcke der Erde einen neuen Rekord aufgestellt. Und du wirst dieses Tempo mithalten.«
Bully sah nicht gerade begeistert aus, aber Perry Rhodan gab ihm keine Gelegenheit zu protestieren, sondern fuhr fort:
»Du kannst die Pekinger Vertretung in Genf auffordern, sich Gedanken über den Verkauf des Territoriums zu machen. Ich denke nicht daran, einen souveränen Staat auf gepachtetem Gelände zu gründen.«
»Und wie groß hast du dir unseren zukünftigen Staat vorgestellt?«, wollte Bull wissen.
»Im Zentrum das Kugelschiff. Ringsherum das Sperrgebiet der Dritten Macht. Wir brauchen mindestens einen Radius von fünfzig Kilometern.«
Perry Rhodan verließ den Raum, ohne das bestätigende Kopfnicken des Freundes abzuwarten. So wichtig für ihn und die Welt die kommenden Verhandlungen waren, es gab noch entscheidendere Dinge für ihn zu erledigen. Dinge, die über eine bloße Kontaktaufnahme weit hinausgingen.
Er trat ins Freie. Nicht weit von ihm – im Zentrum der auf zehn Kilometer erweiterten Energieglocke – lag das Kugelraumschiff der Arkoniden. Im Hintergrund stand der aus dem Arkonidenschiff ausgebaute positronische Riesenautomat, dessen mikrophysikalische Reaktionen der Menschheit helfen sollten.
Rhodan benutzte seinen Spezialanzug, mit dessen Hilfe er die Strecke innerhalb weniger Sekunden überbrückte. Draußen war kein Mensch zu sehen, und Perry hoffte, die Einsamkeit, die er jetzt brauchte, auch im Innern der großen Halle anzutreffen. Doch er sah sich enttäuscht, denn die Arkonidin Thora trat ihm entgegen. Sie sah ihn abschätzend an.
»Oh, Thora! Zieht es Sie zum Altar Ihrer Macht?«
Die Arkonidin setzte eine verächtliche Miene auf. »Die Erde hat außer den Trümmern und Resten einer arkonidischen Technik kaum etwas Reizvolles für eine Frau meiner Herkunft zu bieten.«
Rhodan ließ sich von ihr nicht aus der Fassung bringen. »Die Gleichgültigkeit der Arkoniden ist schwer zu begreifen. Wenn sie etwas reizvoll finden, dann ist es ihr eigenes Milieu. Mir als Mensch ergeht es gerade umgekehrt: der Reiz liegt im Fremden.«
Hinter ihnen erklangen Schritte. Crest, der letzte Abkömmling der herrschenden Dynastie seiner Heimatwelt, kam herein.
»Hallo!«, sagte er freundlich, als habe er ein Leben lang keine andere als diese terranische Begrüßungsform gekannt. »Sie wollen sich mit dem Robotrechner beschäftigen, Rhodan?«
»Ich habe einige Fragen an die Maschine, von deren Beantwortung das Schicksal der Menschheit abhängt – das Schicksal der Menschheit im erweiterten Sinn.«
»Sie rechnen also auch uns dazu?«
»Auch Sie«, nickte Rhodan. »Wir sind uns einig darüber, dass alles in Gefahr ist, was wir unter der galaktischen Zivilisation verstehen. Es geht um unsere Sache, Crest. Sie dürfen uns nicht im Stich lassen!«
»Das klingt wie eine Aufforderung und wie ein Vorwurf zugleich.«
»Verzeihen Sie, Crest! Ein Vorwurf Ihnen gegenüber wäre ungerecht. Nur durch Ihre Mittel war es mir möglich, das unbekannte Raumschiff, das ins Solsystem eingedrungen war, zu vernichten. Doch Sie wissen, dass dieser Überraschungsangriff nur die Andeutung der Gefahr ist, in der wir wirklich leben. Vielleicht haben wir lange Jahre Zeit, uns vorzubereiten. Vielleicht stehen wir aber schon morgen vor der Aufgabe, die galaktische Zivilisation vor der Vernichtung zu schützen. Ich rechne mit dem ungünstigsten Fall, deshalb drängt die Entscheidung.«
»Er macht sich zum Anwalt der galaktischen Zivilisation«, sagte Thora aufgebracht. »Er bettelt um unsere Hilfe, die ihm Macht geben soll. Dabei vergisst er, wer wir sind.«
Rhodan ließ sich nicht provozieren. »Sie wissen selbst, wie sinnlos Ihr Vorwurf ist. Es ist noch nicht lange her, da waren Sie bereit, Ihr Urteil über die Menschheit Terras zu revidieren. Drängt es Sie immer noch, uns als unterentwickelte Halbzivilisierte abzutun? Verzichten Sie jetzt bitte auf die Antwort! Ich werde sie Ihnen selbst geben. Sie brauchen die Menschen von Terra, Sie, die beiden letzten Überlebenden der arkonidischen Expedition. Sie brauchen die Menschen, weil kein Weg mehr zurückführt, es sei denn mit unserer Hilfe. Und Sie werden wohl oder übel die Gefahren, Ängste und Sorgen mit den Terranern teilen müssen. Ihr von überspitztem Kastendünkel diktierter Widerstand schadet letztlich Ihnen selbst. Brauchen Sie mehr Beweise als die Ereignisse der letzten Tage?«
»Die terranische Menschheit ist ein Konglomerat«, erklärte die Arkonidin. »Ich stelle keineswegs in Frage, dass uns das Schicksal gemeinsame Interessen aufgezwungen hat. Doch ich zweifle die Fähigkeiten einer Menschheit an, die noch nicht einmal die Gegensätze auf dem eigenen Planeten überwunden hat. Sie sollten sich nicht beleidigt fühlen, Rhodan, wenn ich nach wie vor behaupte, dass Ihr Volk primitiv ist.«
»Es ist jung«, versuchte Crest die Worte seiner Artgenossin abzumildern. »Es hat Reserven, die es lediglich zu mobilisieren gilt. Das Schicksal eines Volkes wird von seinen genialsten Köpfen bestimmt. Es ist nicht notwendig, die gesamte Menschheit von heute auf morgen auf eine höhere Stufe zu bringen. Schon wenige geeignete Köpfe werden genügen. Ich weiß, Rhodan, wozu Sie fähig sind, nachdem Sie das Hypnostudium abgeschlossen haben. Wir haben Ihr Gehirn mobilisiert, das zu mehr als fünfundvierzig Prozent brachgelegen hat ...«
»Das hieße«, fragte Thora zweifelnd, »dass die terranische Primitivität nicht auf eine unterentwickelte Biologie zurückzuführen ist, sondern lediglich auf den unbewussten Verzicht auf vorhandene Kapazitäten?«
Crest nickte. »Teile des menschlichen Großhirns bleiben ungenutzt. Bei den so genannten Genies sind sie in Tätigkeit getreten. Die Menschen selbst haben bereits festgestellt, dass der Intelligenzquotient des Individuums nicht unbedingt von dem Volumen des Gehirns abhängig ist. Einstein, einer der größten Terraner überhaupt, ist der Beweis dafür. Sein Gehirn war identisch mit dem eines Durchschnittsmenschen. Seine Überlegenheit lässt sich nur durch die besonders ausgeprägte Aktivierung seines Gehirnvolumens erklären. Ein ähnliches Ergebnis hat die Hypnoschulung bei Rhodan erzielt.«
»Womit erklärt wäre, weshalb wir die Führungsrolle der Terraner unter Perry Rhodan anzuerkennen haben«, sagte Thora mit einer Spur von Spott. »Ich als Arkonidin verzichte unter diesen Umständen auf eine Zusammenarbeit. Es ist mit dem Niveau unseres Volkes unvereinbar, so zu handeln.«
»Niemand spricht von einer Führungsrolle der Menschen«, erklärte Rhodan mit erhobener Lautstärke. »Ich suche lediglich nach einem vernünftigen Kompromiss zwischen Ihren und unseren Interessen. Vernunft habe ich gesagt! Und nicht: Vorurteil oder Ressentiment. Was Sie meinem Volk vorwerfen, exerzieren Sie letzten Endes selbst vor. Ich maße mir nicht an, in diesen schweren Stunden auf Ihre Hilfe verzichten zu können. Und ich bedanke mich freudig dafür, soweit mir Ihre Unterstützung schon zuteil wurde. Ob Sie aber umgekehrt auf die Hilfe der Menschen verzichten können, das bleibt Ihre Sache. Ich dränge mich nicht auf. Und nun lassen Sie mich gehen.«
Perry Rhodan hob grüßend einen Arm und ließ die beiden Arkoniden stehen. Er ging zur Schaltanlage des großen Robotgehirns. Nach den ersten Griffen spürte er, dass jemand hinter ihn trat. »Dürfen wir Ihnen helfen, Rhodan?«, fragte Crest.
Rhodan lächelte schwach. »Thora hat mir versichert, dass sie sich aus den Angelegenheiten der Terraner heraushalten werde. Ist das nicht auch Ihr Entschluss, Crest?«
»Ich möchte Ihnen helfen, Rhodan. Aber nur, wenn es notwendig ist. Es wäre nicht korrekt, wenn sich Arkoniden allzusehr in die inneren Angelegenheiten der Terraner mischen.«
»Danke, Crest«, sagte Perry und bot dem anderen die Hand. »Ich werde versuchen, es allein zu schaffen. Ihre Gegenwart könnte mir dennoch eine Hilfe sein. Noch kein Mensch vor mir hatte eine derartige Aufgabe zu lösen. Das macht mich nervös.«
Perry Rhodan wandte sich der großen Maschine zu, die ein Geschenk der Arkoniden war. Die Bedeutung seiner heutigen Fragen lastete schwer auf ihm.
Aus den Positronenbänken drang ein kaum hörbares Summen. Das Gehirn war aktiviert und wartete auf die Fragen, die es zu beantworten galt. Es unterlag keiner mentalen Beeinflussung und arbeitete nach den Gesetzen der Logik. Menschliche Wertmaßstäbe kannte es nicht. Ihm ging es nur um den Sinn und Inhalt einer Sache, und es kalkulierte die Möglichkeiten über den Ausgang eines Fußballspiels und einer politischen Wahl mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie den Ausgang eines weltweiten Krieges. Wenn eine Antwort wirklich von den späteren Ereignissen abwich, so war dies einzig und allein einer nicht korrekten Fragestellung zuzuschreiben.
Rhodan begann mit der Vorbereitung der Programmierung. Alle Details, die ihm zur Vorprüfung der endgültigen Frage wichtig erschienen, fütterte er in die positronischen Reaktionszellen und prüfte auf diese Weise mehrere Stunden lang die endgültige Formulierung. Der Individual-Gedächtnisteil der Maschine reagierte in dreifacher Hinsicht. In Wort, Bild und Schrift gab er die Ergebnisse mit Hilfe seiner Interpretationszellen in der Endstufe wieder. Gleichzeitig sorgte eine Konservierungskammer dafür, dass alle Antworten festgehalten wurden.
Die Vorprüfung aller Fragen ergab bereits ein kaum fassbares Ergebnis.
Unter 22,3 Milliarden Möglichkeiten hatte die Menschheit zu wählen, um einen brauchbaren Weg in die Zukunft zu finden. Nun war es nicht einfach so, dass eine Lösung als richtig und alle anderen als falsch zu definieren waren. Die Skala zwischen Nachteil und Vorteil lief über den Bildschirm wie ein ausgebreitetes Spektralband. Noch nach mehr als hundert Selektionsgängen standen auf der positiven Seite mehr als tausend empfehlenswerte Möglichkeiten, und Perry Rhodan musste erneut nach einschränkenden Fragen suchen, um sich näher an das Kernproblem heranzutasten.
Anfangs gab es noch kurze Wortwechsel zwischen ihm, Crest und Thora, doch mit der Fortdauer des Experiments wurde er immer wortkarger. Als draußen die Dämmerung hereinbrach, stand Thora auf und erklärte, in ihre Schiffskabine gehen zu wollen. Crest schloss sich ihr an. »Wenn Sie Schwierigkeiten haben, Rhodan, melden Sie sich. Ich stehe immer zu Ihrer Verfügung«, sagte er, bevor er Rhodan verließ.
Rhodan nickte abwesend. »Schon gut, Crest. Ich werde noch ein paar Stunden brauchen und verständige Sie später. Ruhen Sie sich etwas aus.«
Beide Arkoniden ahnten nicht, dass der Terraner über ihr Gehen erleichtert war. Perry Rhodan wollte allein sein, wenn es um die letzten entscheidenden Fragen ging.
Nach Einbruch der Dunkelheit erhielt er auf die Frage nach einer neuen Invasion eine niederschmetternde Antwort. Er wiederholte das Experiment fünfmal, ehe er es als abgeschlossen gelten ließ und in seiner ganzen Bedeutung zur Kenntnis nahm.
Das arkonidische Robotgehirn ließ keinen Zweifel daran: Nach allen zur Verfügung stehenden Daten musste man damit rechnen, dass der Feind aus dem Weltraum bereits zuschlug.
Nachdem Rhodan seine Überraschung überwunden hatte, rief er Reginald Bull an.
»Wo steckst du jetzt, Bully?«
»Wo du mich verlassen hast. Die Herren in Peking sind harte Burschen und halten mich stundenlang mit Bagatellen auf.«
»Ich möchte wissen, was du mit Peking verhandelst!«
»Du Meister der Gedächtniskunst! Hast du vergessen, dass ich dir ein Grundstück besorgen sollte?«
»Im Gegenteil! Du scheinst meine Anweisungen nach Belieben auszulegen. Ich hatte dir lediglich aufgetragen, die Delegation der AF darüber zu unterrichten, dass wir das Sperrgebiet zu kaufen gedenken. Aber darüber sprechen wir später. Du verschwindest jetzt sofort aus dem Sender und begibst dich an Bord des Schiffes. Manoli und unsere drei Freunde von der Abwehr sollen sich sofort bei dir einfinden. Das Schiff muss innerhalb der nächsten zehn Minuten startklar sein. Und niemand geht von Bord, falls ich etwas später kommen sollte. Gib für die gesamte Station Alarm.«
»Was ist denn los, Perry?«
»Tue, was ich dir sage. Ende!«
Kurz vor Mitternacht verließ Rhodan den Robotrechner.
»Er kommt!«, rief Captain Klein, als Perry Rhodan mit seinem Arkonidenanzug im Gleitflug heranjagte und in die geöffnete Schleuse glitt. Kurz darauf stand er im Kommandoraum.
»Du fungierst als Pilot, Bully! Sofort starten! Ich spreche mit Kakuta. Hallo, Kakuta, sind Sie in der Zentrale?«
»Ja, Perry!«
»Wir verlassen mit dem Arkonidenschiff das Territorium. Beobachten Sie den Start und schalten Sie für ein paar Sekunden den Schutzschirm aus.«
»Wird gemacht!«
Die Kugel schoss senkrecht in den Himmel und verschwand wie ein irrlichternder Quecksilbertropfen in der Nacht.
Reginald Bull wandte den Kopf um, während seine Hände die inzwischen erlernten Griffe wie im Traum ausführten. »Willst du uns nicht verraten, was das alles zu bedeuten hat, Perry? Eric und die anderen zweifeln bereits an meinem Verstand, weil ich sie stundenlang hingehalten habe.«
»Ich habe mich seit dem Nachmittag mit dem Robotgehirn unterhalten und entscheidende Fragen gestellt. Deshalb dauerte es so lange. Wir werden eine Art Ariadnefaden brauchen, wenn wir uns im Labyrinth der Zukunft zurechtfinden wollen.«
»Und du hast ihn gefunden?«
»Ja«, nickte Rhodan und versank für Augenblicke in tiefe Gedanken. Dann richtete er sich auf. »Wir müssen die irdische Gravisphäre bis mindestens zur Mondbahn absuchen. Eine der Antworten des Gehirns besagte, dass die zu erwartende Invasion bereits im Gang ist.«
Manoli war der erste, der die Sprache wiederfand. »Du meinst diese unbekannten Eindringlinge, deren Schiff wir vor Tagen vernichten konnten?«
»Wir alle waren uns klar darüber, dass es sich nur um ein Vorpostengefecht handeln konnte. Thoras Erklärungen haben sich als richtig erwiesen. Der Überlichtsender des auf dem Mond zerstörten Arkonidenschiffs hat nichtmenschliche Lebewesen von hoher Intelligenz in unser System gelockt. Die Fantanleute, wie sie von den Arkoniden genannt werden, begnügen sich nicht mit Halbheiten und Einzelaktionen. Ich habe dem Gehirn die Lage geschildert, so gut ich sie mit Hilfe von Crests Angaben beurteilen konnte. Die Antwort der Maschine ist bekannt. Ich bitte alle, die Plätze einzunehmen. Die Arbeitsteilung ist bekannt.«
Rhodan konzentrierte sich auf die Bildschirme. Die laufende Automatbeobachtung meldete keine Ortung von Fremdkörpern. Perry Rhodan besprach die Situation mit Bully, Eric Manoli, Captain Klein, Li Tschai-Tung und Peter Kosnow.
Bei einer Entfernung von knapp 400.000 Kilometern von der Erde befahl Perry, das Schiff auf eine Kreisbahn zu lenken.
»Gut so«, murmelte Rhodan zufrieden, als die gigantische Sichel des Mondes steuerbord hinter ihnen zurückfiel.
»Das Gehirn sei unfehlbar, sagt man, nicht wahr?« Manoli stellte unvermittelt die Frage und sah dabei Rhodan an. »Wo ist also der Gegner, wenn die Invasion schon begonnen hat?«
»Fehlbar ist der Mensch«, erinnerte Perry Rhodan. »Wenn die Invasion nicht erfolgt, war meine Fragestellung an die Positronenmaschine falsch. In diesem Fall wünsche ich geradezu, einen Fehler gemacht zu haben.«
»Sie haben einen gemacht«, kam in diesem Augenblick Thoras Stimme aus dem Lautsprecher. »Kehren Sie getrost um, Perry Rhodan. Crest und ich haben Ihre Bemühungen verfolgt. Es gibt kein fremdes Raumschiff innerhalb der Marsbahn. Es wäre besser, Sie widmeten sich dringenderen Aufgaben auf der Erde.«
»Ich danke für die Belehrung. Befindet sich Crest bei Ihnen?«
»Er ist in seiner Kabine. Sie erinnern sich, dass wir zu ruhen gedachten.«
»Auch ich habe mitgehört«, meldete sich Crest im gleichen Augenblick. »Obwohl ich Thoras Nachricht bestätigen kann, muss Ihre Fragestellung nicht unbedingt falsch gewesen sein, Rhodan. Wenn das Gehirn die Invasion ankündigt, so ist damit keine genaue Zeitangabe der zu erwartenden Landung erfolgt. Es ist durchaus möglich, dass sich der Gegner noch viele Lichtjahre entfernt aufhält und erst in den nächsten Tagen die Erde erreicht. Dieser Patrouillenflug hat mich nicht gestört, und ich halte ihn für eine Vorsichtsmaßnahme. Man sollte dieses Unternehmen in Abständen wiederholen, wenn ich mir den Rat erlauben darf.«
»Sie dürfen, Crest! Vielen Dank!«
»Ich soll also landen?«, fragte Bully.
»Nach einer weiteren Erdumkreisung über die Pole, mein Alter. Inzwischen erzählst du mir, was du mit Peking ausgehandelt hast.«
Bully nickte und sagte: »Die Asiatische Föderation ist der Meinung, dass das Stück öde Wüste um den Goshun-Salzsee das teuerste ist, was man sich überhaupt denken kann. Die Herren in Peking nutzen die Situation aus.« Er machte eine resignierende Geste. »Sieben Milliarden Dollar.«
Rhodan sah ihn ungläubig an.
»Sieben Milliarden«, wiederholte er. »Wir brauchen allein die Hälfte davon für unsere Montageindustrie in der Energiekuppel. Nicht einmal das Geld ist vorhanden.«
»Der mächtigste Staat der Erde ist auch der kleinste und ärmste. Paradox, nicht wahr?«
»Du kommst vom Thema ab, Bully. Kakuta hat zwar ein paar leistungsfähige Lieferanten gefunden, aber Geld liefern sie nicht. Wir besitzen kaum Rücklagen. Wir brauchen einen Finanzminister. Wie wär's mit dir?«
Bully brach in Gelächter aus.
»Ich bin Astrogator und Elektronikingenieur, ich habe Astromedizin und Geologie studiert, und ich habe eine arkonidische Hypnoschulung erhalten. Aber mit Geld habe ich kaum eine glückliche Hand.«
»Du verzichtest also auf das Amt des Finanzministers?«
»Für meine Person, ja. Als Universalgenie fühle ich mich nicht sehr wohl.«
»Du wirst noch die Arbeit eines Universalgenies zu leisten haben. Warte, bis wir gelandet sind.«
Das Kugelschiff schoss senkrecht auf die Wüste Gobi hinab. Sekundenlang öffnete sich der Energieschirm und gab den Landeplatz frei. Als die Männer von Bord gingen, zeigte sich am östlichen Horizont ein erster Sonnenstrahl.
Unmittelbar nach der Landung rief Rhodan seine Freunde zu sich und hielt eine kurze Ansprache.
»Meine Herren, ich brauche kaum noch ein Wort über die augenblickliche Lage zu verlieren. Wir sind im Besitz von Macht und diplomatischer Anerkennung. Wir sind auf der anderen Seite trotz vielversprechender Anfänge einer eigenen Fertigungsindustrie arme Schlucker und haben außerdem den Beginn einer Invasion zu erwarten, deren Ausmaß noch nicht abzusehen ist. Ich habe Sie zusammengerufen, um Ihnen zu sagen, dass ich von allen den Einsatz der ganzen Person erwarte. Du, Bully, wirst mit Tako Kakuta nach Peking gehen und den Vertrag für den Ankauf des Sperrgebiets abschließen. Zur Beschaffung des Geldes müssen wir eben einiges arkonidisches Gerät verkaufen. Den übrigen Herren möchte ich nun in groben Umrissen einen Plan vorlegen, wie wir die Produktion unserer Industrie beschleunigen können. Doch bevor wir die Einzelheiten besprechen, bitte ich Sie, diesen Zeitungsartikel mit Aufmerksamkeit zu lesen und mir dann zu sagen, ob Sie sich an weitere Einzelheiten der hier beschriebenen Affäre erinnern, und welche Vorstellung Sie haben, wie wir in diesem Fall eventuelle Kenntnisse für uns ausnutzen können.«
Es war eine typische Londoner Nacht. Die aus der Themse aufsteigende Feuchtigkeit kroch in die Kleider und ließ die wenigen Passanten erschauern.
Ein ärmlich gekleideter Mann, der am späten Abend, über die Vauxhall Bridge kommend, am linken Flussufer die Grosvenor Road entlangschritt, hatte den Kragen hochgeschlagen. Der tief auf die Ohren gezogene Hut mochte wohl die Aufgabe haben, das Gesicht zu verbergen. Hinter den Gaswerken hielt der Mann sich rechts, ging über den St. Georges Square in Richtung Lupus Street und bog dann in die Alderney Street ein.
Vor einer schweren Teakholztür blieb er stehen und zog die Glocke.
Eine korpulente Frau öffnete und erkundigte sich nach seinen Wünschen.
»Zu Mister Barry, bitte.«
»Es tut mir leid, Sir! Um diese Zeit können Sie ihn unmöglich noch stören. Mister Barry will gerade zu Bett gehen. Und Sie sehen, dass ich ...«
Der späte Besucher ließ sich nicht abweisen. »Mister Barry wird nicht mehr ans Schlafengehen denken, sobald er mich sieht.«
»Haben Sie eine Karte, Sir?«
»Es ist nicht nötig, dass Sie mich melden. Ich kenne den Weg. Vielen Dank, Madam!«
»Sir!«, rief die Frau empört, als der Mann sich rücksichtslos durch den schmalen Türspalt schob und ins helle Flurlicht trat. »Wer sind Sie? Ich kann Sie nicht hineinlassen!«
»Ich danke Ihnen, Madam! Bemühen Sie sich nicht mehr!« Ohne sie weiter zu beachten, ging er durch den Korridor und öffnete eine Tür.
Hiram Barry saß noch an seinem Schreibtisch und machte keineswegs Anstalten, sich zur Nachtruhe zu begeben. Das Licht der Tischlampe warf einen scharfen Kegel auf die Schreibunterlage, während das übrige Zimmer in Dunkelheit lag.
»Sie wollten doch schlafen gehen, Milly«, sagte Barry, als er die Tür hinter sich hörte.
»Milly geht auch schlafen«, erklärte der Besucher, und der Klang seiner tiefen Stimme ließ Barry herumfahren. In der Dunkelheit stand nur ein Schatten. Doch die Stimme hatte alles verraten. Die Stimme war unvergesslich für Hiram Barry.
»Adams«, stöhnte er.
»Homer G. Adams«, vervollständigte der Besucher seinen Namen. »Ich hoffe nicht, ungelegen zu kommen.«
»Nein, natürlich nicht, Adams! Für Sie steht mein Haus zu jeder Tageszeit offen. Sie wissen doch ...«
»Die Dinge, die ich weiß, liegen sehr weit zurück. Aber ich weiß sie. Und das ist wichtig. Meinen Sie nicht auch, Barry?«
»Sie waren immer ein kluger Kopf, Adams. Mit Ihrem Gedächtnis haben Sie Geld gemacht, mit nichts anderem. Ich habe Sie immer bewundert. Und natürlich auch ein wenig beneidet.«
»Vergessen Sie nicht den Hass, Barry. Bewunderung lasse ich mir gefallen. Vom Neid der anderen ernährt sich die Eitelkeit. Doch der Hass ist gefährlich, wie Sie an meinem Beispiel sehen. Ich möchte nicht, dass es Menschen gibt, die mich hassen.«
»Was wollen Sie, Adams? Reden Sie nicht vom Hass. Ich hasse Sie nicht.«
Der Besucher trat näher an den Schreibtisch heran. »Natürlich nicht. In vierzehn Jahren verliert sich das. Ich brauche Sie nicht mehr zu töten, denn aus Ihrem Hass ist Furcht geworden. Und damit lasse ich Sie gerne weiterleben. Vielleicht zahlt sich dadurch einiges an Sie zurück.«
Barry stöhnte. »Sind Sie gekommen, um mir das zu sagen? Haben Sie vierzehn Jahre lang an Rache gedacht? Ich kann es mir nicht vorstellen, denn daran wären Sie zugrunde gegangen. Und außerdem waren es zwanzig Jahre, wenn ich mich nicht irre.«
»Auf zwanzig Jahre lautete das Urteil. Aber nach vierzehn hielt man mich für ausreichend bestraft. Man spricht dann von guter Führung, wie Sie vielleicht wissen.«
»Man sagt so«, nickte Barry, der sich inzwischen etwas gefangen hatte. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Wenn ich wüsste, dass kein Gift drin ist.«
»Sie machen schlechte Scherze, Adams. Bitte, trinken Sie! Ich weiß noch heute, dass Sie Whisky lieben. Und dann erzählen Sie. Ich möchte wissen, wie es nach den vierzehn Jahren heute zwischen uns steht.«
Adams lachte kaum hörbar. »Unser Verhältnis steht nicht zur Debatte. Aus dem Zuchthaus gibt es nichts Interessantes zu berichten. Mein Besuch wird Sie auch nicht lange aufhalten, wenn wir schnell zu einer Einigung kommen.«
»Worüber sollten wir uns einigen?«
»Ich brauche einen Anzug. Einen guten neuen, nach der heutigen Mode.«
»Ist das alles?« Barry öffnete eine Schublade und zog ein Banknotenbündel hervor. »Hier haben Sie zehn Pfund.«
»Erst der Anzug, dann das Taschengeld. Sie erinnern sich an ein Konto auf der Midland-Bank. Es stand damals bei 16.000 Pfund. Nicht viel, ich weiß. Es war immer mein Schicksal, niemals eigenes Geld zu besitzen, wenn man von dieser kleinen Altersrente absieht. Es müssen noch einige Zinsen hinzugekommen sein.«
»Ihre Frage verwirrt mich, Adams. Wie sollte ich über Ihre Konten bei der Midland-Bank orientiert sein?«
»Ich meine das Konto, das wir auf Ihren Namen laufen ließen. Sie erinnern sich, dass die Transaktion mit Servey Ltd. einiges abwarf, das beim besten Willen nicht in den Büchern erscheinen durfte.«
»Sie sprechen in Rätseln, Adams.«
»Keineswegs! Haben Sie eigentlich nie darüber nachgedacht, weshalb Sie damals ohne Strafe ausgingen? Haben Sie sich nie darüber gewundert, dass Homer G. Adams eine Aussage verweigerte, die ihn zwar nicht hätte entlasten können, die aber dennoch dazu beigetragen hätte, einen gewissen Hiram Barry auf eine ähnliche Reise zu schicken? Glauben Sie im Ernst, dass ich Sie schützen wollte, damit Sie mein Geld ausgeben konnten? O nein! Um mein Geld zu schützen, ließ ich Sie laufen. Und heute bin ich da, um es zu holen. Einschließlich Zinsen. Wenn Sie die Kosten für den Anzug abziehen, dürften es knapp 24.000 Pfund sein. Wenn Sie damit spekuliert haben, dürften es zwei Millionen sein. Doch davon will ich nichts wissen. Mir genügen 24.000, und Sie können alles behalten, was Sie inzwischen damit verdient haben. Ich hoffe, Barry, dass Sie eine solche großzügige Behandlung durch mich zu würdigen wissen.«
Barry zögerte mit der Antwort. Seine Finger umklammerten die Tischkante.
»Sie wissen genau, Adams, dass 24.000 eine Menge Geld sind. Besonders für mich. Ich habe nie in Ihren Maßstäben gerechnet.«
Adams lächelte. »Es bleibt jedem selbst vorbehalten, in welchen Maßstäben er sich bewegt. Sie sind ein kleiner Gauner, und niemand hat Ihnen verwehrt, ein großer zu werden. Außerdem scheinen Sie zwei Begriffe zu verwechseln. Wenn ich jemand um zwölf Millionen Pfund betrog, so geschah das nur mit dem Geld eines anderen. Meine Milliardengeschäfte hatten niemals die persönliche Habgier zum Motiv. Ich tat es ... nun, sagen wir, um der sportlichen Seite willen. Ich lege Wert darauf, Barry, als Amateur und Idealist zu gelten. Ich lege Wert darauf, dass die Welt mich als den selbstlosen Diener an großen Dingen anerkennt.«
»Auch heute noch?«, fragte Barry.
Homer G. Adams nickte bedächtig. »Auch heute noch! Glauben Sie nicht, dass ich mich in meinen besten Jahren von der großen Bühne zurückziehen werde. Ich werde wiederkommen. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, Barry. Und ich habe manches gehört. Doch das dürfte Sie kaum interessieren. Geben Sie mir den Anzug und das Geld! Dann werde ich nicht länger stören.«
Hiram Barry schien einen Entschluss gefasst zu haben.
»Kommen Sie mit in mein Schlafzimmer, Adams! Sie haben eine halbe Stunde, meine Kleiderschränke zu inspizieren.«
Adams brauchte keine halbe Stunde. Er warf ein paar Anzüge aufs Bett und wählte einen davon aus.
»Den nehme ich«, sagte er. »Das Jackett dürfte passen. Die Hosen werden wir um einige Zentimeter einschlagen. In der Dunkelheit dürfte es keinen stören, und morgen werde ich einen Schneider aufsuchen. Wo darf ich mich umkleiden?«
»Dort ist das Bad. Bitte sehr!«
»Herzlichen Dank, Barry. Ich sehe, wir kommen sehr gut zurecht. Wenn Sie mir inzwischen den Scheck ausschreiben wollen.«
Nach zehn Minuten trat Adams wieder in die Bibliothek. Barry hielt ihm zögernd einen Scheck hin, auf dem die Summe von 24.000 Pfund Sterling und darunter Barrys verschnörkelter Namenszug standen.
»Brauchen Sie vielleicht noch etwas Bargeld?«, fragte Barry, der den Gast offenbar schnell loswerden wollte. »Sie werden sicherlich in ein Hotel gehen wollen.«
»Schönen Dank! Sie sind zu liebenswürdig, mein Freund. Doch jeder entlassene Zuchthäusler trägt eine gewisse Summe Bargeld bei sich. In der Beziehung ist der Staat nicht kleinlich. Es ist also nicht notwendig, dass Sie mehr geben, als mir zusteht. Homer G. Adams hat noch seinen Stolz. Ich empfehle mich, Barry! Es war mir ein Vergnügen, Sie nach so langen Jahren gesund wiederzusehen und so nett mit Ihnen plaudern zu dürfen.«
Nachdem Adams gegangen war, wählte Hiram Barry die Telefonnummer der Midland-Bank und gab dem Nachtportier den Auftrag, am nächsten Morgen bei Dienstbeginn dem Direktor sofort eine bestimmte Mitteilung zu machen. Danach wählte er eine zweite Nummer und meldete sich mit einem Mädchennamen.
»Was soll diese Störung so spät in der Nacht, Lad?«, drang eine gereizte Stimme aus der Hörmuschel. »Ich hatte den ganzen Tag geschäftliche Verpflichtungen. Ruf mich morgen wieder an, aber bitte nicht vor dem Dinner.«
»Moment, du wirst sofort wach werden, wenn du mich einen Augenblick anhörst.«
»Lass diese Phrasen! Das zieht nicht bei mir. Also ...«
»Zum Teufel, wenn du jetzt auflegst, breche ich in einer halben Stunde deine Haustür ein und hole dich aus dem Bett.«
»Was ist passiert?«
»Ich musste soeben einen Scheck über 24.000 Pfund ausschreiben. Und zwar auf mein Konto bei der Midland-Bank.« Barry seufzte bei dem Gedanken an den Vorfall.
»Bist du verrückt geworden, oder sind ein paar Gauner bei dir eingedrungen? Aber ganz gleich, mein Junge, du rufst sofort die Bank an und sperrst den Scheck. Und dann sprichst du mit der Polizei.«
»Die Bank ist bereits verständigt, jedoch in anderer Hinsicht. Ich werde das Konto auffüllen lassen, da im Augenblick nur 14.000 draufliegen.«
Der Mann am anderen Ende war zunächst sprachlos. Dann brachte er hervor: »Nur der Teufel könnte dich dazu bringen, Barry.«
»Es war Homer G. Adams, den sie heute aus dem Zuchthaus entlassen haben.«
Der andere Teilnehmer antwortete erst nach einem längeren Stöhnen. »Adams ist frei? Dann unterlasse jedes Gespräch mit der Polizei.«
»Das war auch meine Ansicht. Allein du bist für diesen Fall zuständig. Und falls du die Dienststunden nicht im Kopf haben solltest, die Bank öffnet morgen früh um neun Uhr.«
Der erste Schalterkunde in der Midland-Bank am nächsten Morgen war Homer G. Adams.
Er übersah das nervös zuckende Gesicht des Schalterbeamten und starrte gelangweilt zur Decke der Halle, unter der eine Reihe von Kronleuchtern hing. Dass Adams' Augen dabei dennoch scharf die Umgebung inspizierten, fiel niemand auf. Den kleinen Mann mit dem großen Kopf bewegte die Frage, ob das Konto gedeckt war. Barry hätte es inzwischen auflösen können.
Nach längerer Wartezeit gab der Beamte den Scheck zurück.
»Es tut mir leid, Sir! Das Konto weist einen Fehlbetrag auf. Wir können Ihnen nicht alles auszahlen.«
»Wieviel fehlt?«, fragte Adams knapp.
»Hundert Pfund.«
»Mehr nicht? Und deshalb machen Sie ein solches Aufheben?«
»Es ist wegen der Korrektheit, Sir!«, erklärte der Beamte.
»Wegen der Korrektheit hätten Sie dem Kontoinhaber die hundert Pfund Kredit geben können«, sagte Adams spöttisch.
»Im Prinzip haben Sie recht, Sir. Doch in diesem Fall war vermerkt, dass das Konto nach dem Abheben der Gesamtsumme als gelöscht zu betrachten ist.«
»Es ist gut so! Ich begnüge mich mit dem verbleibenden Rest, vorausgesetzt, Sie lassen mich auf die Auszahlung nicht länger als fünf Minuten warten.«
Adams schob den Scheck durch das Fenster und nahm das Geld in Empfang. Er verließ das Bankviertel auf schnellstem Weg mit der Untergrundbahn. Am Piccadilly-Circus stieg er aus und machte zwischen Quadrant und Regent Street seine notwendigsten Einkäufe. Das Dinner nahm er bereits auf dem Raketenflughafen von Croydon ein.
Den Kellner, der ihn bediente, fragte er nach der Abflugzeit des Raketenclippers.
»Ihr Abflug ist um 13 Uhr 45, Sir. Sie haben also noch mehr als eineinhalb Stunden Zeit. Bei unserer prompten Bedienung dürften Sie daher keine Schwierigkeiten haben.«
Homer G. Adams schien wenig überzeugt und wandte sich lautstark an einen Tischnachbarn. »Verzeihen Sie, Sir! Fliegen Sie auch nach Tokio? Ich meine mit der Maschine um 13 Uhr 45?«
Der Fremde musterte ihn scharf. »Es tut mir leid, ich fliege bereits um 13 Uhr 20. Aber nicht nach Ostasien.«
»Entschuldigung«, sagte Adams.
Das Essen nahm er in ungewöhnlicher Eile ein und schielte bei jedem Bissen nach der großen Normaluhr an der Stirnseite des Restaurants. Er zahlte bereits, als der letzte Gang aufgetragen wurde und verließ kauend den Tisch, um sich zur Gepäckaufbewahrung zu begeben.
»Hallo, würden Sie einmal feststellen, ob die Koffer, die ich auf diesem Schein aufgab, bereits an Bord sind?«
»Der Clipper nach Tokio«, sagte der Mann kurz, nachdem er einen Blick auf den Zettel geworfen hatte. »Das Gepäck wird im Augenblick verladen.«
»Sind meine Koffer dabei?«
Der Mann holte tief Luft und hatte sichtlich Mühe, nicht die Geduld zu verlieren. »Natürlich ist Ihr Gepäck dabei, Sir! Sie haben ja die Quittung in Händen. Wir arbeiten durchaus zuverlässig, und es ist nicht notwendig, zusätzliche Kontrollen durchzuführen.«
»Ich bitte um Verzeihung! Wenn Sie es sagen ...«
Adams gab sich in gespielter Schüchternheit zufrieden. Doch ihn schienen heute noch mehr Sorgen zu bedrücken. Nachdem man ihm an der Sperre gesagt hatte, dass die Passagiere noch nicht durchgelassen würden, eilte er zum Nordausgang und winkte ein Taxi heran.
»Nach Epsom, bitte! Fahren Sie, so schnell Sie können.«
Der Fahrer tat ihm den Gefallen und wurde in Epsom reichlich belohnt.
Einer seiner Kollegen erhielt den Auftrag, Homer G. Adams nach Dorking zu bringen. Als Adams dort einen dritten Wagen nahm, um nach Croydon zurückzukehren, war es inzwischen 13 Uhr 35 geworden.
»Schaffen Sie es in zehn Minuten nach Croydon?«
»Unmöglich, Sir!«
»Versuchen Sie es«, nickte Adams freundlich.
»Aber es geht wirklich nicht, Sir. Ich kenne die Strecke wie meine Westentasche. Wir brauchen dreizehn Minuten, wenn nichts dazwischenkommt.«
»Fahren Sie so schnell wie möglich. Um dreizehn Uhr fünfundvierzig startet ein Raketenclipper nach Tokio. Wenn wir den noch zu sehen bekommen, erhalten Sie zehn Pfund extra.«
»Sie wollen mitfliegen?«
»Nein, es genügt, wenn ich ihn starten sehe.«
Der Mann gab sein Bestes und hatte Glück mit dem Gegenverkehr. Um 13 Uhr 47 hielt er am Nordausgang des Flughafens.
Adams lief in die Halle und beobachtete, wie der Clipper nach Tokio im Dunst verschwand. Wider Erwarten machte er ein durchaus zufriedenes Gesicht. Im Gegensatz zu einem Mann in seiner Nähe, der seinem Zorn mit lauten Worten Luft machte. In seiner gehobenen Laune fühlte Adams sich veranlasst, den Mann anzusprechen.
»Nehmen Sie es nicht so schwer, mein Herr. Sie haben einen Leidensgefährten, der einen Ausweg weiß.«
»Wer sind Sie?«
»Ihr Leidensgefährte. Ich werde heute Abend in Tokio erwartet und hoffe, dass sich das trotz allem einrichten lässt.«
»Haben Sie eine Privatmaschine?«, fragte der Fremde zugänglicher.
»Das nicht, aber in fünfundzwanzig Minuten geht ein Clipper nach Sydney. Er macht auf Sansibar eine Zwischenlandung, und dort hätten wir Anschluss mit der Maschine aus Kapstadt.«
»Wann erreicht der Kapstädter Clipper Tokio?«
»Gegen 21 Uhr Greenwicher Zeit. Ich schlage vor, Sie lösen sich eine Zusatzkarte.«
»Ich danke Ihnen. Dann wären wir also noch vor dem Mittag in Tokio.«
In Sansibar hatten sie eine knappe Stunde Aufenthalt und begaben sich ins Flughafen-Restaurant. Von seinem Begleiter hatte Adams inzwischen erfahren, dass er John Marshall hieß und sechsundzwanzig Jahre alt war. Über seine beruflichen Bindungen hatte Marshall nichts erzählt, und Adams war auch nicht neugierig gewesen, da er in diesem Augenblick die Bedeutung dieser Begegnung noch nicht ahnen konnte.
Doch das gegenseitige Versteckspielen sollte in kurzer Zeit sein Ende haben. Adams kaufte eine Zeitung. Das Blatt enthielt Nachrichten, die noch keine zwei Stunden alt waren. Auf der zweiten Seite fand Adams eine Überschrift, die ihn nicht sehr überraschte, weil sie in seiner Kalkulation eine Rolle gespielt hatte. Dennoch war sie sehr bedeutungsvoll für ihn.
»Interessiert es Sie, was mit der Maschine geschehen ist, die wir in London verpasst haben?«, fragte Adams betroffen.
»Was soll mit ihr geschehen sein?«
»Sie ist in der Nähe von Kiew explodiert und abgestürzt.«
»Das ist nicht Ihr Ernst!«
»Hier steht es schwarz auf weiß.« Adams reichte seinem Reisebegleiter das Blatt.
Marshall erblasste. »Bei Gott, zu dem Glück dürfen wir uns gratulieren.«
»Natürlich, das Leben ist wichtiger als unsere paar Habseligkeiten. Trotzdem hoffe ich, dass Sie nicht allzu wertvolle Dinge in Ihrem Gepäck hatten.«
John Marshall lächelte hintergründig. »Es war nichts von Bedeutung, Mr. Adams. Alles, was für mich wichtig ist, hat Raum in dieser kleinen Reisetasche, die ich niemals aus der Hand gebe. Die verlorene Kleidung lässt sich durch neue ersetzen. Mein Verlust lässt sich also verschmerzen. In Ihrem Interesse wünsche ich, dass es bei Ihnen nicht anders ist.«
Adams spürte den prüfenden Blick Marshalls und wusste nicht viel damit anzufangen. Marshall war jung und hatte ein offenes Gesicht, das Ehrlichkeit verriet. Doch seine Augen wirkten reifer, als es sein Lebensalter hätte vermuten lassen.
Da Homer G. Adams mit seiner Reise Pläne verfolgte, die für jeden anderen als top secret zu gelten hatten, gab er sich wortkarg. Das obligatorische Gespräch brachte er immer wieder auf Nebensächlichkeiten, wenn es die Höflichkeit nicht zuließ, ganz zu schweigen.
Über dem Indischen Ozean wurde das jedoch anders.
»Sie haben sehr viel Geld bei sich, nicht wahr, Mr. Adams?«, sagte Marshall plötzlich nach einer längeren Pause.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich denke es mir, weil Sie Ihre Tasche regelmäßig mit der gleichen Aufmerksamkeit betrachten, wie ich es tue. Man verdreht nicht so oft den Kopf nach oben, wenn man über sich im Gepäcknetz lediglich ein paar Butterbrote und eine Zeitung liegen hat.«
»Das ist interessant. Treiben Sie psychologische Studien, Mr. Marshall?«
»Ganz recht, ich beschäftige mich in letzter Zeit sehr damit. Doch Sie kommen vom Thema ab.«
»Wenn Sie theoretisieren wollen, dürfte es Sie doch kaum interessieren, ob ich wirklich eine größere Menge Geld bei mir habe.«
»Ich fragte in Ihrem Interesse, Mr. Adams. Vorausgesetzt, Sie haben viel Geld bei sich, dann müsste Ihr Misstrauen weitergehen als bisher. Ein Blick auf die Tasche allein genügt dann nicht.«
»Solange die Tasche da ist, ist auch das Geld da. Oder haben Sie als Psychologe eine andere Auslegung für meine Schlussfolgerung?«
»Ihre Tasche ist neu. Sie trägt das Etikett eines Geschäfts aus der Regent Street. Ich möchte wetten, Sie haben sie erst heute Vormittag gekauft.«
»Das stimmt«, sagte Adams verblüfft. »Aber was wollten Sie damit sagen?«
John Marshall neigte sich etwas zu ihm und bemühte sich, leise zu sprechen. »Es ist möglich, dass jemand eine gleiche Tasche gekauft hat. Wenn die jetzt über uns im Netz läge, wäre Ihre logische Schlussfolgerung nicht mehr viel wert.«
Adams zuckte mit den Schultern und dachte an seine Pistole in der Tasche. Wenn Marshall etwas gegen ihn unternehmen wollte, so würde ihm das hier unter mehr als achtzig Zeugen kaum gelingen. »Gut«, sagte er schließlich. »Offenbar interessiert es Sie, einmal viel Geld beieinander zu sehen. Ich will Ihnen den Gefallen tun.«
Er stand auf, nahm die Reisetasche aus dem Netz, setzte sich wieder hin und öffnete sie. Im selben Augenblick hatte er ein ähnliches Gefühl wie damals, als sein großer Coup ein Fehlschlag geworden war.
Er schloss die Augen und zählte stumm bis zehn. Das war eine alte Gewohnheit, um in kritischen Situationen nicht die Nerven zu verlieren. Als er aufblickte, war er wieder der alte Börsenjobber ohne Nerven.
»Woher wussten Sie, dass mein Geld gestohlen wurde, Marshall? Ich verlange, dass Sie jetzt ohne Umschweife reden.«
»Ich denke, es ist jetzt kaum wichtig, woher ich das weiß. Fragen Sie lieber, wer es hat.«
»Wissen Sie es?«
»Ich glaube es zu wissen. Doch ich möchte in Ruhe mit Ihnen darüber sprechen. Hätten Sie Lust, mit in den Speisesaal zu kommen? Wir suchen uns einen separaten Tisch.«
Sie gingen hinaus. Unterwegs erklärte Adams: »Ich möchte vorher dem Kommandanten Meldung über den Diebstahl machen. Reservieren Sie uns schon einen geeigneten Platz.«
Kurz darauf kehrte er zurück. »Es ist in Ordnung, jedenfalls, soweit es meine Anzeige betrifft. Ich hoffe, Sie können mir mehr verraten. Denn die polizeilichen Recherchen werden erst nach der Landung beginnen. Vielleicht wird man den Flugplatz absperren und die Passagiere nicht herauslassen. Doch das ist alles nicht sicher genug. Mir wäre es lieb, wir könnten die Angelegenheit selbst regeln, solange wir noch unterwegs sind. Wer ist also nach Ihrer Meinung der Täter?«
»Ich weiß es nicht. Es kommen mindestens sechs bis acht Personen dafür in Frage.«
»Befinden sie sich an Bord, oder hat man meine Tasche bereits in Sansibar oder früher ausgetauscht? Moment, ich habe im Flughafenrestaurant hineingesehen. Da war noch alles in Ordnung. Unser Mann müsste sich also an Bord befinden. Die einzige Möglichkeit, die Tasche auszutauschen, war wohl während des Einsteigens gegeben. Wir standen in einer Schlange und kamen an der Sperre nur langsam vorwärts. Es ist möglich, dass ich meine Tasche öfters abgestellt habe.«
Marshall schien belustigt. »Ihre Rekonstruktion ist in Ordnung. Genauso stelle ich es mir vor. Aber wer es gewesen ist, kann ich wirklich nicht sagen. Ich habe die Passagiere schon nacheinander unter die Lupe genommen. Doch es ist niemand dabei, der die gleiche Tasche trägt wie Sie.«
»Seltsam! Sie wissen herzlich wenig. Und trotzdem traf Ihr Verdacht so verblüffend genau zu.«
»Eine andere Frage«, wechselte Marshall das Thema. »Der Betrag, den Sie vermissen, mag für einen Durchschnittsmenschen sehr hoch sein. Wäre er auch für Sie unersetzlich?«
»Ich verstehe Sie nicht ganz«, sagte Adams zögernd, und wieder spürte er das Misstrauen gegen John Marshall. »Ihre Formulierungen sind oft sehr überraschend, Mr. Marshall. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass der Dieb meines Geldes sich so auffällig benehmen würde wie Sie.«
Im selben Augenblick flog die Tür auf, und mehrere Männer drangen lärmend herein. Zwei von ihnen schlugen die Tür wieder zu und verriegelten sie, obwohl noch einige andere Passagiere nachdrängen wollten.
Bis auf wenige Ausnahmen sprangen die im Speisesaal Anwesenden von ihren Sitzen und vervollständigten die plötzliche Verwirrung. In dem Geschrei war kein Wort zu verstehen, bis endlich einer der Männer nach Ruhe rief und seine Forderung mit einer erhobenen Pistole unterstrich.
»Alles hinsetzen!«, befahl der Unbekannte. »Ich habe ein paar kurze Fragen an Sie, meine Herrschaften. Wer von Ihnen trägt eine Waffe bei sich? Bitte melden! Es geht nicht darum, dass sie Ihnen abgenommen werden soll, sondern darum, dass Sie sie gebrauchen.«
Als erste kam John Marshalls Hand hoch. Seinem Beispiel folgten verschiedene andere – und schließlich auch Homer G. Adams. Insgesamt waren es sieben Passagiere.
Ein älterer Mann fragte nach dem Grund des Zwischenfalls.
»Wir befinden uns in einer kritischen Lage«, wurde ihm geantwortet. »Mehrere Passagiere haben die Mannschaft des Clippers überwältigt. Einige von ihnen sind in den Passagierraum eingedrungen, um alle Reisenden zu entwaffnen. Es kommt jetzt in erster Linie darauf an, diese Tür zu bewachen, dass niemand hindurchgelangt. Sodann bitte ich um geeignete Vorschläge, wie der ursprünglich Zustand an Bord wiederhergestellt werden kann.«
»Sie können die Tür nicht sperren!«, begehrte eine Dame auf. »Mein Mann und meine Kinder befinden sich im Passagierraum!«
Andere Leute meldeten sich mit ähnlichen Bedenken, doch sie waren in der Minderzahl und fanden kein Gehör.
»Wir können jetzt nicht auf besondere Wünsche einzelner Rücksicht nehmen, meine Herrschaften!«, rief der Mann mit der Pistole. »Ich muss Sie bitten, Disziplin zu wahren und an die Gefahr zu denken, in der wir uns befinden.«
»Es wäre gut«, kam eine Stimme aus dem Hintergrund, »wenn wir die Gefahr auch nicht überschätzten. Im übrigen wird es diese Bande kaum auf unser Leben abgesehen haben, sondern höchstens auf unseren Besitz. Ich schlage daher vor, sofort zu kapitulieren, denn nur dadurch retten wir unser Leben.«
»Feigling!«, rief jemand protestierend. Ein anderer sprach den Verdacht aus: »Sie gehören wohl auch zu dieser Gangsterbande ...«
»Es wäre gut, es spräche jeweils nur einer!«, verlangte John Marshall. »Ich glaube, ich habe die Möglichkeit, Ihnen allen eine gewisse Aufklärung über diesen Vorgang zu geben. Bedingung ist jedoch, dass wir den Eingang zum Passagierraum scharf bewachen.«
Mehrere bewaffnete Männer drängten sich nach vorn und versicherten, diese Aufgabe zu übernehmen.
»Berichten Sie!«, forderte dann der erste Sprecher John Marshall auf.
»Ich schicke voraus, dass ich selbst nichts Bestimmtes weiß«, begann dieser. »Ich bin aber soweit orientiert, dass ich einen begründeten Verdacht aussprechen kann, nach dem die Gefahr für uns keineswegs zu bagatellisieren ist. Die Gangster haben es ohne Zweifel auf einen ganz bestimmten Besitz in Höhe von etwas mehr als 23.000 Pfund Sterling abgesehen. Dieses Geld haben sie bereits an sich gebracht.«
»Warum dann dieser Aufwand?«, fragte jemand. »Will man uns ungeschoren lassen?«
»Wahrscheinlich. Man hat es jedenfalls kaum noch auf Ihr Geld abgesehen, sondern wird sich höchstens noch für den Schmuck Ihrer Gattin interessieren. Die größere Gefahr für uns liegt darin, dass die Gangster dem Bestohlenen wahrscheinlich nach dem Leben trachten. Denn das Geld und darüber hinaus noch andere Dinge, die hier nicht zur Debatte stehen, sind ihnen nur dann sicher, wenn sie den Mann töten.«
»Wer ist das?«
»Das ist jetzt völlig nebensächlich.«
Adams ließ Marshall nicht weiterreden. Er stand auf und machte eine Verbeugung vor den Anwesenden. »Dieser Mann bin ich. Bitte, verzeihen Sie, wenn ich Sie allein durch meine Anwesenheit in eine solche Verlegenheit gebracht habe, doch letzten Endes bin ich völlig schuldlos an der Sache.«
Adams fühlte Marshalls Hand auf der Schulter und nahm wieder Platz. Es war jetzt besser, wenn John Marshall sprach.
»Wir werden sehr bald zum Handeln gezwungen sein, meine Damen und Herren. Aus diesem Grund vermeiden Sie bitte überflüssige Zwischenfragen. Um Mr. Adams unschädlich zu machen, werden die Banditen zweifellos den Clipper an einen anderen Ort bringen. Das kann an einer unwirtlichen Küste sein oder mitten im Urwald. Ich glaube, aufgrund dieser Lage wird es Ihnen klar sein, dass wir etwas zu unserer Verteidigung unternehmen müssen. Solange wir in der Luft sind, besteht keine unmittelbare Gefahr. Doch das kann sich schnell ändern.«
Bisher hatte keiner der Gangster versucht, die Tür zwischen Passagier- und Speiseraum aufzubrechen. Im so genannten freien Teil des Clippers befand sich eine kleine Gruppe der Besatzung, zwei Köche, ein Kellner und drei Stewardessen. Marshall begab sich zu ihnen.
»Sie haben doch sicherlich eine Telefonverbindung mit dem Kommandoraum. Darf ich die einmal benutzen?«
Seine bestimmte Höflichkeit in dieser Situation machte Eindruck, und man führte ihn bereitwillig an den Apparat. Der Kellner drückte den Wahlknopf für ihn. Das Gespräch wurde am anderen Ende angenommen. Allerdings war es hier mit der Höflichkeit zu Ende.
»Was wollen Sie? Friedensangebote machen – oder was?«, erklang eine raue Stimme.
»Sie haben es erraten, Sir! Welchen Grund sollte ich sonst wohl haben, um mich mit Ihnen zu unterhalten?«
»Es gibt keinen Frieden, es sei denn, Sie kapitulieren bedingungslos.«
»Eben das wollen wir vermeiden. Verhandlungen dienen dem Zweck, Kompromisse zu finden.«
»Spar deine Luft, Junge! Du wirst sie noch brauchen!«
»Moment, Sir! Natürlich haben wir etwas zu bieten. Mir völlig klar, dass Leute Ihres Typs nichts zu verschenken haben.«
»Was hast du uns zu bieten?«
»Ich habe Geld. Das heißt, einer der Passagiere hier hat es.«
Der Mann im Kommandoraum lachte verächtlich. »Schönen Dank für den Hinweis. Den übrigen Zaster werden wir uns im Lauf des Tages holen. Bis zur Landung habt ihr keine Sorgen mehr damit.«
»Das Geld ist nicht an Bord. Es ist sinnlos, hier am Telefon so lange zu reden. Hier hören zu viele Menschen mit. Geben Sie mir freies Geleit bis zur Kommandobrücke und zurück?«
»Wenn du deine Pistole zurücklässt, kannst du kommen.«
Marshall hatte noch einige Schwierigkeiten mit den anderen Passagieren. Die einen hielten seine Verhandlungsbereitschaft für sinnlos. Andere sprachen den Verdacht aus, er sei selbst ein Gangster und versuche, sich auf diese Weise aus dem Staub zu machen. Schließlich ließ man ihn gehen.
Im Passagierraum nahmen die Gangster Marshall in Empfang und brachten ihn nach vorn. Im Vorbeigehen machte er sich ein Bild von ihrer zahlenmäßigen Stärke. Es handelte sich um mindestens zehn Männer, die alle bewaffnet waren.
Der Anführer in der Pilotenkanzel war ein gut gekleideter Mann. Mit zwei Helfern hatte er die Navigation übernommen und schien sie auch gut zu beherrschen.
Marshall setzte sich unaufgefordert in einen freien Sitz.
»Ich möchte kurz und klar sagen, wie ich die Sache sehe. Sie können dann urteilen, ob ich recht habe.«
»Schieß los, kleiner Prophet!«
»Sie haben es auf Mr. Adams abgesehen. Sein Geld besitzen Sie bereits. Jetzt brauchen Sie nur noch sein Leben, um in aller Zukunft vor ihm sicher zu sein. Da Sie ihn nicht umbringen und trotzdem laut Fahrplan in Tokio landen können, planen Sie, irgendwo in Südasien niederzugehen, um dann unerkannt zu verschwinden. Für mich ist in diesem Zusammenhang das Schicksal der übrigen Passagiere wichtig, während Sie sich kaum um sie kümmern werden. Habe ich mich soweit klar ausgedrückt?«
»Rede weiter, mein Junge. Das war doch sicherlich nicht alles.«
»Zunächst war es alles. Denn mein Angebot hat nur dann einen Sinn, wenn die Sache bis hierher stimmt.«
»Du wolltest uns Geld besorgen. Weißt du, wo Adams noch etwas versteckt hat?«
»Natürlich! Es handelt sich um mehr als 40.000 Pfund auf der Bank von Montreal. Ich schlage Ihnen folgendes Geschäft vor: Ich opfere Adams mit seinem Geld. Abgesehen von einigen Spesen natürlich, die für mich dabei herausspringen müssen. Sie garantieren mir die Sicherheit aller übrigen Passagiere. Einverstanden?«
»Wie hoch rechnen Sie Ihre Spesen?«, fragte der Anführer. Seit Marshall die Summe von 40.000 genannt hatte, sprach er ihn plötzlich höflich an.
»Zweitausend Pfund.«
»In Ordnung. Das ist kulant. Wie kommen wir an das Geld?«
Marshall wunderte sich, dass alles so reibungslos verlief.
»Sie müssen natürlich zum Schein mit Adams verhandeln. Wir werden uns einen Weg ausdenken, wie wir seinen Verdacht zerstreuen können. Letzten Endes zahlt er sein eigenes Lösegeld. Ich bin überzeugt, er hat ein Kodewort für telegraphische Überweisungen. Auf diesem Wege können Sie ohne großen Zeitverlust kassieren. Ich werde das schon machen. Er kennt mich zwar erst seit heute Mittag, als wir uns in Croydon begegneten, doch inzwischen konnte ich sein Vertrauen gewinnen. Aber nun zur anderen Hälfte des Handels. Wo werden Sie landen?«
John Marshall war in diesem Augenblick völlig konzentriert. Er musste aufpassen, dass er sich nicht verriet. Wenn die Banditen herausfanden, dass er doppeltes Spiel trieb, war er verloren.
»Wir haben einen geeigneten Platz in der Nähe von Rangun«, sagte der Anführer, und Marshall war sicher, dass der andere log. »Von Rangun aus können wir gut mit London verhandeln. Ihre Schäfchen werden dort auf jeden Fall sehr bald Anschluss nach Tokio bekommen.«
»Können Sie mir sagen, wie Ihr heimlicher Landeplatz aussieht? Mich interessieren Details, weil ich sichergehen will.«
Der Verbrecher dachte zwangsläufig an Vorderindien und an eine Landschaft zwischen dem Kardamom-Gebirge und der Stadt Madura. Kennzeichnend war dabei der Übergang von einem dichten Urwald in eine weite Savanne.
»Es handelt sich um einen alten Flugplatz für horizontal startende Maschinen«, sagte er. »Doch er ist für unsere Zwecke gut geeignet. In der Nähe befindet sich heute lediglich ein Eingeborenendorf, so dass ich selbst kein Risiko eingehe. Werden Sie jetzt mit Adams reden?«
»Selbstverständlich. Am besten sofort.«
»Gut, gehen Sie!«
John Marshall durfte zurückkehren. Er fühlte sich unsäglich erleichtert.
»Wir werden bei Rangun abgesetzt«, erklärte er den Passagieren im Speisesaal. »Von dort haben wir gute Verbindungen nach Japan oder Korea. Bedingung für uns ist lediglich, dass wir uns nach der Landung lange genug im Clipper aufhalten, bis die Banditen sich weit genug absetzen können. Mehr konnte ich für Sie nicht herausholen.«
»Es ist viel, wenn es stimmt«, sagte ein älterer Mann. »Aber wenig, wenn ich bedenke, dass wir keinerlei Garantien für dieses Versprechen haben.«
Marshall versuchte den Sprecher zu beruhigen. »Wir dürfen nicht wählerisch sein. Wenn Sie bessere Garantien herausholen können, dann gehen Sie doch nach vorn.«
Die meisten schlugen sich auf Marshalls Seite und waren mit dem Erreichten zufrieden. Während das Gespräch lebhafter wurde und eine der Stewardessen meldete, dass man zur Zeit die nördlichen Malediven überfliege, zog John Marshall sich unauffällig in Richtung der Toiletten zurück, wo er ein kleines Funkgerät aus der Tasche nahm, das für einen normalen Hochfrequenztechniker des terranischen 20. Jahrhunderts etwas ungewöhnlich ausgesehen hätte.
»Hier Marshall, hier Marshall! – Ich rufe die Dritte Macht! Bitte melden! Hier John Marshall! – Perry Rhodan, bitte melden Sie sich ...«
Im Sperrgebiet der Zentralgobi heulten die Alarmanlagen.
Über die Außenlautsprecher der Baracken dröhnte Reginald Bulls Stimme: »Höchste Alarmstufe! Alles in die Zentrale kommen!«
Perry Rhodan, der gerade im Begriff gewesen war, wieder zu dem Robotgehirn zurückzukehren, um weitere Detailberechnungen durchführen zu lassen, machte auf dem Absatz kehrt und jagte die zweihundert Meter zurück. Er traf mit Kakuta, Captain Klein und Leutnant Kosnow gleichzeitig ein.
»Wir haben unseren Finanzminister!«, erklärte Bully. »Marshall hat einen guten Mann gefunden, aber er befindet sich in den Händen von Banditen. Innerhalb weniger Minuten werden sie ihn auf dem Südzipfel Indiens absetzen und dabei wahrscheinlich liquidieren. Marshall hat mir soeben eine entsprechende Meldung durchgegeben.«
»Alles zum Raumschiff!«, befahl Rhodan sofort.
Vor den Baracken lief ihm Thora über den Weg.
»Was bedeutet dieser Alarm?«, fragte sie scharf.
»Wir brauchen das Schiff, Thora! Ich hoffe nicht, dass Crest oder Sie im Augenblick etwas anderes damit vorhaben.«
»Sie scheinen das Schiff bereits als Ihr Eigentum anzusehen, Terraner. Aber da Crest keine Einwände hat, will ich Sie nicht aufhalten.«
Rhodan hatte keine Zeit, sich über ihren ironischen Unterton zu ärgern. Er rannte weiter, weil das Stichwort »Finanzminister« genügt hatte, ihm die Bedeutung dieses Augenblicks klarzumachen.
Er hatte im Kopf die Entfernung Gobi bis zum 10. Breitengrad berechnet und gewusst, dass er mit seinem flugfähigen Arkonidenanzug zu spät kommen würde. Die letzte Möglichkeit war das Raumschiff, dessen Beschleunigung ausreichte, innerhalb weniger Minuten die Entfernung von viertausend Kilometern zu überbrücken.
Vom Alarm bis zum Start der Riesenkugel vergingen nur Minuten. Bully übernahm die Funktion des Piloten.
»Peter!«, rief er Kosnow zu. »Wir halten Kurs auf Vorderindien! Wir müssen dem Clipper entgegenfliegen. Sobald wir ihn im Auge haben, kann nichts mehr schiefgehen. Die letzte Standortmeldung von Marshall kam, als sie sich über den Malediven befanden.«
Das Raumschiff flog in einer Höhe von 130 Kilometern. Unter ihnen huschten das Hochland von Tibet, der Himalaja, Nepal, der Ganges vorbei. Minutenlang befanden sie sich wieder über Wasser, dem Golf von Bengalen zwischen Dschaipur und Madras. Dann meldete Reginald Bull den Raketenclipper. Die Männer drängten sich um den Bildschirm.
Rhodan deutete auf einen pulsierenden Lichtfleck. »Dort muss er sein. Die Höhe beträgt etwa achtzigtausend Meter.«
»Hoffentlich entdecken sie uns nicht«, sagte Kosnow.
»Unmöglich«, grinste Bully. »Wir fliegen mit eingeschaltetem Schutzschirm. Selbst wenn die Herrschaften dort unten den Himmel beobachten, werden sie nicht das geringste erkennen. Soll ich jetzt tiefer gehen?«
Rhodan nickte. »Schließe bis auf zweitausend Meter auf. Wahrscheinlich müssen wir unmittelbar nach dem Clipper landen. Denn ich möchte den Banditen nicht allzuviel Zeit lassen, um Gegenmaßnahmen zu treffen.«
»Was sollten sie gegen unsere Bewaffnung ausrichten?«, fragte Bull.
»Sie haben eine Menge Geiseln an Bord«, gab Rhodan zu bedenken. »Unter den Umständen wird unsere technische Überlegenheit kaum viel nützen.«
»Was phantasieren Sie von 40.000 Pfund?«, empörte sich Homer G. Adams. »Ich habe das Geld nicht. Und wenn ich es hätte, würde ich kaum ...«
»Ich weiß, dass Sie ein armer Schlucker sind«, beruhigte ihn Marshall. »Aber das brauchen Sie den Gangstern ja nicht zu sagen. Es kommt nur darauf an, dass Sie sie hinhalten, bis wir Hilfe erhalten. Sie müssen auf jeden Fall so tun, als besäßen Sie das Geld und wären bereit, es für Ihr Leben zu bezahlen.«
»Bis wir Hilfe erhalten?«, fragte Adams gedehnt. »Haben Sie vielleicht derartige Beziehungen, dass Sie diese Hoffnung allen Ernstes auszusprechen wagen?«
John Marshall lächelte geheimnisvoll. »Sie können ja einmal darüber nachdenken. Bis zur Landung haben Sie noch genau drei Minuten Zeit, dann wird Sie wahrscheinlich der Anführer der Verbrecher zu sich rufen.«
Adams sah auf seine Uhr und den kleinen Bildschirm über dem Eingang der Schiffsküche. »Bis nach Rangun sind es noch mehr als zweitausend Kilometer. Ich glaube, Sie haben sich verrechnet, Marshall.«
»Keineswegs! Wir landen bereits in der Nähe von Madura.«
Adams hatte keine Gelegenheit mehr, weitere Fragen zu stellen, denn die Männer in der Pilotenkanzel hatten bereits das Landemanöver eingeleitet. Wie ein fallender Stein sackte der Clipper weg, und die Passagiere hatten Mühe, sich einen festen Halt zu verschaffen. Dann gab es einen harten Stoß, und die Maschine lag still.
»Wir sind gelandet«, sagte jemand. Der Bildschirm zeigte eine bewachsene Buschsteppe und im Hintergrund die grüne Mauer eines dichten Urwaldstreifens.