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4000 Jahre in der Zukunft ... Wir befinden uns in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Die Menschen leben in Frieden und Freiheit. Von der Erde aus haben sie ein Netz aus Handelsbeziehungen und Bündnissen geschlossen, das zahlreiche Planeten in der Milchstraße umfasst. Perry Rhodan – der Mann, der die Menschheit zu den Sternen geführt hat – wird noch immer von der Vision angetrieben, die ihn seit seiner ersten Begegnung mit Außerirdischen erfüllt: ein partnerschaftliches Miteinander aller Völker der Milchstraße zu erreichen. Aber seit geraumer Zeit hat er diesen Plan erweitert: Das »Projekt von San« soll auch die freundschaftlichen Kontakte zu anderen Sterneninseln und ihren Bewohnern intensivieren. Ein wichtiges Hilfsmittel dazu ist der PHOENIX. Doch nicht alle tragen dieselben friedliebenden Gedanken in sich. Die Besatzung eines fremden Raumschiffs beispielsweise ist mit einer klaren Botschaft zur Erde gekommen. Die Unbekannten kündigen an: TERRA MUSS FALLEN ...
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Seitenzahl: 190
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Nr. 3300
Terra muss fallen
Die Zukunft wird aus Asche geboren
Ben Calvin Hary
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Das erste Geschenk
2. Das Raumschiff
3. Der Zeuge des Untergangs
4. Der Usurpator
5. Der Trividder
6. Dreimal Nichts
7. Husarenritt
8. Das Schwarze Mal
9. Das Dritte Geschenk
10. Absturz
11. Asche
Farbiger Mittelteil
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
4000 Jahre in der Zukunft ...
Wir befinden uns in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung.
Die Menschen leben in Frieden und Freiheit. Von der Erde aus haben sie ein Netz aus Handelsbeziehungen und Bündnissen geschlossen, das zahlreiche Planeten in der Milchstraße umfasst.
Perry Rhodan – der Mann, der die Menschheit zu den Sternen geführt hat – wird noch immer von der Vision angetrieben, die ihn seit seiner ersten Begegnung mit Außerirdischen erfüllt: ein partnerschaftliches Miteinander aller Völker der Milchstraße zu erreichen. Aber seit geraumer Zeit hat er diesen Plan erweitert: Das »Projekt von San« soll auch die freundschaftlichen Kontakte zu anderen Sterneninseln und ihren Bewohnern intensivieren. Ein wichtiges Hilfsmittel dazu ist der PHOENIX.
Doch nicht alle tragen dieselben friedliebenden Gedanken in sich. Die Besatzung eines fremden Raumschiffs beispielsweise ist mit einer klaren Botschaft zur Erde gekommen. Die Unbekannten kündigen an: TERRA MUSS FALLEN ...
Perry Rhodan – Der Terraner will die Menschheit zu den Sternen führen.
Shrell – Die Leun stellt dem Terraner ein Ultimatum.
Cameron Rioz – Der Trividder überlebt – und verliert alles.
Bonnifer
Aus Bonnifers Annalen
Eintrag 70.432
Heute wird Terra untergehen. Und ich bin machtlos, kann es nicht verhindern.
Langsam finde ich mich damit ab.
In diesem Jahr, das die Bewohner dieser Welt als das 2249. Jahr der Galaktischen Zeitrechnung bezeichnen, wird Shrells Plan aufgehen. Alle Vorbereitungen, das Ränkeschmieden und das Versteckspielen werden sich bezahlt machen. Wie schon zuvor.
Der 7. Juni ist das Datum, von dem die Geschichtsbücher der Galaktiker später sagen werden: »Es war der Tag, an dem das Ende seinen Anfang nahm.«
1.
Das erste Geschenk
In Terrania nannten sie es das »Geisterschiff«.
Perry Rhodan hielt das für einen übertrieben dramatischen Namen. Er passte nicht zu dem Schrotthaufen, der seit gut fünfzig Jahren offenbar herrenlos am Rand des Atlan Space Port ruhte. Dessen flechtenüberwucherte Hülle schrundig war und die an manchen Stellen geschmolzen und wieder erstarrt zu sein schien; vielleicht die Spuren einer vergangenen Raumschlacht. Es war ein grob halbmondförmiger, dreihundert Meter durchmessender Koloss aus Altmetall, plump und bedrohlich zugleich.
Ein Windhauch streifte ihn.
»Deine Leute wollen ihr Volksfest wirklich im Schatten dieses Ungetüms abhalten?«, fragte eine hohe Stimme.
»Auch schön, dich zu sehen, Gucky.« Rhodan schmunzelte. Er sah zu dem Sprecher hinab.
Vor ihm war buchstäblich aus dem Nichts ein metergroßes Geschöpf mit braunem Fell aufgetaucht. Der Kopf endete in einer spitzen Schnauze, aus der ein einziger Nagezahn ragte. Aus dem verdickten Hinterteil des Wesens wuchs ein platter Biberschwanz.
Einst hatten die Menschen Guckys Spezies aufgrund dieses Aussehens den Namen »Mausbiber« verliehen. Sie selbst hatten sich Ilts genannt. Gucky war der Letzte seiner Art, der einzige Überlebende seines Volkes. Der letzte Ilt.
Mehrere leere Stellplätze am Südrand des zivilen Raumhafens waren zur Freifläche umfunktioniert worden. Musik wummerte aus Akustikfeldern. Sanft legte Gucky die Pfote auf Rhodans Unterschenkel und schob ihn die Prallfeldabsperrung entlang. Im Vorübergehen starrte er auf das Geisterschiff.
»Ich hätte Lust, hineinzuteleportieren und zu schauen, ob wirklich Gespenster an Bord sind«, sagte er. »Aber ich darf ja nicht.«
»Ich bewundere deine Selbstdisziplin.«
Rhodan meinte das weniger ironisch, als es vermutlich klang. Gucky galt seit jeher als Supermutant, weil er über drei unterschiedliche Paragaben verfügte: Er war Telekinet, Telepath und Teleporter. Mit einem Sprung, wie er die Teleportation gerne nannte, war er auch so unvermittelt auf den Raumhafen gelangt. Der Windstoß, den Rhodan gespürt hatte, war ein Nebeneffekt: bewegte Luft, die der Ilt mit seiner Masse verdrängt hatte. Dass Gucky in den vergangenen Jahrzehnten nie der Versuchung erlegen war, gegen den diplomatischen Anstand zu verstoßen und sich das Geisterschiff von innen anzuschauen, bewies Beherrschung.
Das bedeutete allerdings nicht, dass er es nicht immer wieder vorgeschlagen hatte.
»Eines Tages wird sich die Besatzung zeigen.« Glauben konnte Rhodan das nach all der Zeit aber nicht mehr. Sie setzten sich in Bewegung.
Der Tag war jung, die Sonne eben aufgegangen. Auf dem Atlan Space Port herrschte trotz der morgendlichen Stunde Jubelstimmung. Rings um den provisorischen Festplatz parkten kugelförmige Raumschiffe – Giganten aus rötlichem Stahl, jeder Hunderte von Metern durchmessend und mit einer wulstförmigen Verdickung auf Höhe des Äquators. Die Kugel war die seit Jahrtausenden unter Menschenvölkern übliche Bauform.
Der Boden zwischen den Landestützen war bunt vor Menschen und anderen intelligenten Lebensformen. Kinder ruhten auf den Armen ihrer Eltern, wiesen auf ein Trivid-Spektakel, das sich über den Köpfen abspielte: Strichfiguren stellten eine zusammengefasste Geschichte des raumfahrenden Terra nach. Antigravkameras schwirrten umher. Mediennetzwerke übertrugen das Geschehen in die entferntesten Teile der Milchstraße.
In regelmäßigen Abständen standen brusthohe Pfosten, auf deren Spitze je ein Prallfeldemitter angebracht war. Eine Gruppe aus vier Jugendlichen presste sich an den unsichtbaren Zaun und rief einem vielleicht Zwanzigjährigen mit brauner Haut etwas zu, der es irgendwie auf Rhodans Seite der Barriere geschafft hatte. Neben dem jungen Mann stand eine rothaarige, etwa dreißigjährige Frau und half mit den Einstellungen einer schwebenden Kamera.
Der Mann bemerkte Rhodans Blick und grinste ihn an. So, wie man einen guten Freund grüßt.
Rhodan runzelte die Stirn. Wer war der Kerl? Das Gesicht kam Rhodan vage bekannt vor, für einen Pressevertreter schien er jedoch zu jung. Gehörten er und seine Begleiterin zu den Ehrengästen? Nickend erwiderte er den Gruß.
Um die Feiernden führte ein abgetrennter Pfad zum Stellfeld der OSIRIS, die geöffnete Bodenschleuse wartete. Immer mehr aus der Menge drängten sich an die Absperrung. Rhodan schüttelte Hände, scherzte mit tellerköpfigen Gatasern und spitzhornigen Cheborparnern.
Die Leute waren gekommen, um beim Neuen Aufbruch Glück zu wünschen. Das Projekt Phoenix, das er in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten geleitet hatte, ging in seine nächste Phase.
Perry Rhodan würde nicht mitfeiern. Das Fest gehörte der Bevölkerung. Er selbst war auf der Durchreise. Sein Ziel war der Mond.
Auf Luna sollte die feierliche Taufe des PHOENIX stattfinden. Damit würde eine völlig neue Kategorie von Raumschiffen erstmals in Aktion treten. Die Plätze im Gästebereich der Hamiller-Werft waren begehrt. Nur einige handverlesene Auserwählte würden ihn begleiten. Etliche waren bereits an Bord der OSIRIS.
Der Rest traf soeben ein. Liga-Residentin Thina Maynard und ihre Stellvertreterin Akasha Pal betraten die Rampe, die zur Heckschleuse empor führte. Beide vertraten die Regierung der Liga Freier Galaktiker. So hieß der Sternenstaat, dem die Erde angehörte und in dessen Hauptstadt – Terrania – der Raumhafen lag.
Dazwischen drängten sich Reporter, Journalisten und ihre Schwebekameras. Zu ihnen stieß der Braunhäutige, der Rhodan zugelächelt hatte. Er hielt einen vierarmigen, schwarzhäutigen Giganten vom Planeten Halut auf, aus dessen Kuppelkopf drei glutrote Augen starrten. Icho Tolot war einer von Perry Rhodans engsten Freunden und einer der treusten Verbündeten der Menschheit, obwohl er selbst kein Mensch war. Natürlich hatte Rhodan ihn bei der Schiffstaufe dabeihaben wollen.
Der junge Mann sagte etwas, das Rhodan nicht verstand. Tolot öffnete sein breites Maul, entblößte eine Reihe entsetzlicher Kegelzähne – und stieß brüllendes Gelächter aus. Erschrocken presste der Mann sich die Hände auf die Ohren. Die Umstehenden zuckten zusammen.
»Bist du wirklich nicht neugierig, wie die Besatzung des Geisterschiffs überhaupt aussieht?« Gucky schien mit den Gedanken woanders. Immer wieder sah er über die Schulter zu dem Wrack am Südwestende des Hafengeländes. »Keilflügelraumer« war der Begriff, den irgendwelche Journalisten für die fremde Bauform gefunden hatten.
»Ein Sprung, und das Mysterium wäre gelöst«, ergänzte er. Es klang wie eine Herausforderung.
Rhodan schüttelte den Kopf. Von allen Momenten, die Gucky in den vergangenen fünfzig Jahren für eine solche Exkursion vorgeschlagen hatte, war dies der unpassendste.
Dabei war er neugierig. Genau wie die meisten anderen Terraner.
Das Geisterschiff hieß eigentlich ELDA-RON, die Erbauer waren angeblich die »Leun«, doch kein solches Volk existierte in den Datenbanken der Milchstraße. Einst waren die Unbekannten nach einem automatisierten Asylgesuch gelandet, seither stellten sie sich tot. Falls es eine lebende Besatzung gab, waren deren Gedanken für Guckys telepathischen Sinne jedenfalls nicht zugänglich.
»Sichu kommt.« Der Ilt deutete auf einen Gleiter, der sich von Westen über die Dächer der Abfertigungsterminals hinweg näherte. Dass Perry Rhodans Frau hinter den Kontrollen saß, hatte er mittels seiner telepathischen Fähigkeiten festgestellt. »Ich gebe dem Kommandanten der OSIRIS Bescheid, dass es gleich losgeht. In der Zwischenzeit kannst du weiter Hände schütteln. Dafür sind wir schließlich hier.«
Er stimmte zu.
Gucky entmaterialisierte. Ein Luftzug stürzte in das entstandene Vakuum.
»Kommissar Rhodan?« Eine junge, sehr sanfte Stimme rief nach ihm. »Darf ich dich interviewen?«
Rhodan wandte sich um und blickte in ein strahlendes Lächeln. Dunkelbraune Augen musterten ihn erwartungsfroh. Der junge Mann hatte sich von Icho Tolot abgewandt, die Antigravkamera schwebte ein Stück hinter ihm. Er trug das Haar kurz.
Seine rothaarige Begleiterin blieb abseits. Ein Steuerholo leuchtete vor ihr, damit bediente sie die Kamera.
»Wie wäre es gleich nach der Schiffstaufe?« Rhodan warf einen Blick auf die Uhrzeit im Multifunktionsarmband. Auf Luna stand eine finale Inspektion, ein letzter Besuch des Prototyps an. Dr. Barstow, die leitende Ingenieurin, wartete. »Wir können uns im Anschluss im Besucherbereich der Hamiller-Werft unterhalten«, fügte er hinzu.
Ein Schatten huschte über die Züge des jungen Mannes. Seine Lippen wurden schmal. Zwischen seinen Brauen erschien eine steile Falte. Schon im nächsten Moment grinste er wieder. Es ging so schnell, dass Rhodan einen Lidschlag lang glaubte, er hätte es sich eingebildet.
Sichu Dorksteigers Gleiter steuerte den Beiboothangar der OSIRIS an und landete.
»Bitte!«, rief die Rothaarige flehend. »Wir gehören nicht zu den Akkreditierten.« Schuldbewusst biss sie sich auf die Unterlippe.
»Wie seid ihr dann auf diese Seite der Absperrung gelangt?« Zugangsbänder um ihre Handgelenke verrieten, dass sie sich nicht einfach eingeschlichen hatten. Aber wozu hatte man ihnen Zugang gegeben? Zum Raumhafenpersonal oder den Sicherheitskräften gehörten sie, der Kleidung und der Kamera nach zu urteilen, ebenfalls nicht.
Illustration: Swen Papenbrock
»Ich konnte für Cams Trivid-Kanal ein paar Gefallen einfordern.« Die Rothaarige erklärte sich in wenigen Sätzen. Ein Cousin bei der Hafenverwaltung und ein Ex-Mann im Planungskomitee spielten eine Rolle. »Cameron Rioz und ich sind ein Team. Ich manage ihn und seinen Kanal für die Agentur, bei der ich arbeite. – Ich bin übrigens Lyta, Lyta Hasan.«
Von jenseits des Prallfelds hallten Rufe. Am lautesten zu hören waren die vier Jugendlichen, die dem Braunhäutigen namens Cam zujubelten: ein Junge, vielleicht sechzehn, und drei Mädchen, die etwas älter wirkten. In der Armbeuge trug der Junge ein Drei-D-Tattoo in Form eines Schmetterlings, der in allen Farben des Spektrums schillerte.
»Und du hast deine Anhänger mitgebracht.« Offenbar war Cam einer der zahllosen Trividder, wie sie scheinbar im Fünfjahrestakt auftauchten, mit wenig Inhalt und viel Persönlichkeit ein Millionenpublikum anhäuften und verschwanden, bevor man sich ihre Namen gemerkt hatte.
Der Junge mit dem Schmetterling bat um eine Unterschrift.
Leichtfüßig ging Cam zu ihm hin, tänzelte wie im Takt zur Festmusik. »Leute! Rhodan ist der viel größere Star! Den müsst ihr nach Autogrammen fragen!« Mit einem hingehaltenen Holomarker signierte er den Unterarm des Fans.
»Cooles Tier!« Er tippte gegen die Tätowierung.
Der Junge strahlte.
Perry Rhodan fasste einen Entschluss. Selbst nicht im Mittelpunkt zu stehen, war ungewohnt für ihn, aber die Abwechslung gefiel ihm. Und irgendwie mochte er diesen gut aufgelegten Kerl. Mit Fans ging Rioz um, wie man mit guten Freunden spricht. Das schien sein Geheimnis zu sein.
»Ich nehme mir Zeit für dein Interview«, sagte er.
»Echt?« Cameron Rioz' Füße vollführten einen Tanzschritt, bevor er es anscheinend bemerkte und sich zur Ordnung rief.
»Selbstverständlich.« Für Rhodan waren es fünf Minuten einer schier ewigen Lebenszeit, die er opferte. Rioz' Karriere aber mochte er damit einen Schub verpassen. Die OSIRIS würde ohnehin nicht ohne ihn starten.
»Stellt euch so, dass das Geisterschiff nicht zu sehen ist.« Hasan positionierte sich mit dem Rücken zur ELDA-RON, sodass der Blickwinkel der Antigravkamera über die Feiernden wies. Sie schüttelte sich, wie um eine Gänsehaut abzustreifen. »Ich will lieber glückliche Gesichter im Bildhintergrund als diesen scheußlichen Blechhaufen.«
Sie und Gucky hätten sich sicher gut verstanden.
Rioz' Mehrzweckarmband erzeugte ein Mikrofonfeld. Ein Holo zeigte Fragen, die er in überbordendem Optimismus wohl vorbereitet hatte. Schnell ging er sie durch.
Rhodan las mit. Die Themen waren oberflächlich: »Wie ist es, mehr als siebenhundert Jahre an einem Langzeitplan zu feilen?« – »Wie fühlt es sich an, dass es im Projekt von San endlich vorangeht und das galaxienübergreifende Bündnis ins Rollen kommt?« – »Erzähl uns vom PHOENIX, was kann das neue Raumschiff?«
Auf jede Frage wusste Rhodan eine Standardantwort. Er würde stattdessen zwei, drei persönliche Einblicke geben. Wenn Rioz seinen Trivid-Kanal ähnlich moderierte, wie er mit den Fans umging, war das der geeignete Ton.
Es kam nicht dazu.
Ein Knall erschütterte das Gelände.
Und im nächsten Augenblick brach Chaos aus.
*
Rhodan kannte die Wahrheit. Sie war banal.
Die ELDA-RON stand, wie alle anderen Schiffe in diesem Areal, auf einem normalen, offiziell als solchem ausgewiesenen Dauerstellplatz. Der war ordnungsgemäß und unbefristet gepachtet worden und wurde regelmäßig bezahlt. Das Asyl war nach wenigen Jahren sowie dem üblichen politischen und bürokratischen Prozedere akzeptiert worden. Das war ein Verwaltungsakt, unspektakulär und von der Öffentlichkeit unbeachtet – die ELDA-RON war nur einer von vielen gleichartigen Fällen gewesen, die jedes Jahr nach Terra kamen.
Damals hatte es Besuche, gründliche Anhörungen und Inspektionen an Bord gegeben – und gab es noch immer, gelegentlich zumindest. Die Kommandantin erbat sich »aus kulturellen Gründen« völlige Anonymität und Diskretion, und das wurde von den Behörden und der Raumhafenverwaltung auch akzeptiert. Das konnte einem gefallen oder nicht, aber sie waren schließlich nicht das einzige Volk mit drakonischer Privatsphäre.
Rhodan selbst wusste das vom Hörensagen, denn er hatte mit Terras Verwaltung kaum zu tun. Die Leun wollten unter sich bleiben und ihr Schiff nicht verlassen, aber das mussten sie auch nicht. Gucky, wenn er nicht gerade scherzte, verstand das ebenso.
Selbstverständlich war das nicht die Mär, welche die Medienabteilung des Raumhafens kultivierte. Denn mit dem Mysterium, das irgendwann bei Anwohnern und Reisenden zu kursieren begann, kam ein gewisses Prestige. Über die Jahrzehnte war das Geisterschiff, dank scherzhaft gestreuter »Verschwörungstheorien«, zum inoffiziellen Maskottchen geworden. Und so klang die offizielle Version:
Natürlich hatten die Terraner in den vergangenen fünf Jahrzehnten oft versucht, mit der Besatzung der ELDA-RON zu sprechen. Doch seit der Landung hatte niemand das Geisterschiff je betreten oder verlassen. Funkanrufe blieben stets unbeantwortet. Mehrmals hatte die Raumhafenverwaltung versucht, die ELDA-RON vom Landefeld zu entfernen, war jedoch an bürokratischen Hürden gescheitert. Die Fremden hatten sich schlicht nie etwas zuschulden kommen lassen.
Der Geheimdienst der Liga hatte den sogenannten Keilflügelraumer lange beobachtet, dies schließlich aber mangels Dringlichkeit eingestellt. Ein, zwei Mal waren überraschend Boxen mit Hyperkristallen unter dem Schiff erschienen – so entrichtete man die Standgebühren. Doch dahinter konnte auch ein Schiffsrechner stecken. Proviantnachschub benötigte an Bord anscheinend niemand.
Der Rest waren Gerüchte und Rätsel. Die Überzeugung herrschte, dass ein überlebendes Besatzungsmitglied die Schäden an der Hülle längst repariert hätte. Hatten die Leun solche Angst, dass sie sich nicht vor die Tür trauten?
All das ging Perry Rhodan durch den Sinn, während er sich nach der Ursache des Knalls umsah. Der Lärm war von der ELDA-RON gekommen!
In der Seite des Geisterschiffs klaffte ein Loch. Es gab den Blick auf Decks und eine Maschinenhalle voll fremdartiger Aggregate frei. Die Ränder wirkten zerfasert, wie die Säume eines gerissenen Gewebes. Dunkler Rauch stieg aus dem Innern.
Unter den Feiernden verebbte der erste Schock. Hinter der Absperrung geriet die Menge in Aufruhr. Schrille Entsetzensschreie ertönten. Der Junge mit dem Schmetterling versteifte. Seine Freundinnen fassten ihn an den Schultern, wahrscheinlich, um ihn vom Prallfeld und aus der Nähe des Schiffs fortzuziehen. Sirenengeheul übertönte die Musik, bevor das Gewummer abbrach.
Rhodan machte gegenüber Cam Rioz eine entschuldigende Geste und aktivierte sein Mehrzweckarmband. Er prüfte den Kommunikationskanal der Hafenleitung und setzte eine Hinweismeldung ab. Der Verwaltungssitz lag am Nordende des Raumhafens, aber das war etliche Kilometer entfernt.
In diesem Moment gingen dort die ersten Meldungen ein. Positroniken würden lichtschnell Entscheidungen treffen und Sicherheits- und Rettungspersonal entsenden.
Schutzschirmzäune spannten sich plötzlich zwischen dem Geisterschiff und den anderen Stellplätzen. Atlan Space Port war ein ziviler Raumhafen, um dessen Schildwall der Stadtteil Atlan Village gewachsen war. Die Energiefelder dienten dem Schutz der Anwohner und wurden automatisch aktiviert, sobald gewisse Parameter erfüllt waren.
Rhodan setzte eine Nachricht an die OSIRIS und an das Festkomitee ab: »Keine Verletzten, allen geht es gut.«
Mehr konnte er nicht tun. Die Zuschauer waren verunsichert, aber hinter den Prallfeldern sicher, die soeben aufgeflammten Energiebarrieren schützten sie zusätzlich.
Einer der Zäune trennte Lyta Hasan von Rhodan und Cameron Rioz. Schulterzuckend lenkte sie die Antigravkamera herum, sodass sie die Rauchfahne filmte. »Ich glaube, da drin ...«
Ein zweiter Knall ertönte, lauter und gellender als der erste. Diesmal stieg ein Feuerball aus dem Leck, blendete Rhodan. Undeutlich erkannte er nun etwas Schwarzes, Eiförmiges unter dem Geisterschiff, wo zuvor nichts gelegen hatte. War es durch die Explosion dorthin gelangt?
Ein dritter Knall! Aus dem Lichtblitz schleuderte ein Trümmerteil.
Genau auf Rhodan und Rioz zu!
Erneut reagierte Perry Rhodan binnen eines Lidschlags. Er sah den scharfkantigen Umriss auf sich zukommen, packte den jungen Mann am Kragen und zerrte ihn zu Boden. Die Metallscherbe sauste eine Handbreit über seinen Rücken hinweg, der Luftzug riss an seinen Haaren.
Es schepperte, als die Scherbe einen der Prallfeldemitter traf und außer Funktion setzte. Die Absperrung kollabierte.
Die Menge hatte Glück im Unglück. Die meisten Zuschauer waren nach der ersten Explosion zurückgewichen. Andere hasteten im letzten Moment beiseite – aber nicht alle. Ungebremst schlitterte das Trümmerstück über den Plastbetonbelag mitten in die vorderste Reihe.
Jemand schrie.
Mit einem Ruck blieb das Teil liegen.
Perry Rhodan und Cameron Rioz sahen einander an.
Rhodan kam aus der Hocke. Das Interview, die Taufe des PHOENIX, die Reise nach Luna – alles war vergessen. Was da warum explodiert war, nachdem das Geisterschiff fünf Jahrzehnte lang kein Lebenszeichen von sich gegeben hatte, kümmerte ihn vorerst nicht. Wer hatte geschrien? War derjenige verletzt?
Er sprintete los.
Rhodan rechnete damit, dass Rioz zurückbleiben und Hasan ihre Antigravkamera auf das Unglück im Publikum richten und es für eine Story ausnutzen würde: Seht her, der Stadtgründer selbst stürzt sich todesmutig ins Verderben, rettet Menschen und andere Galaktiker! Nur hier auf meinem Kanal! Abonniert mich für mehr heiße Raumhafen-Action. So funktionierte das Handwerk: Alles wurde übertragen, das Leben verkam zum Livebericht. Für Rioz bedeutete das Unglück ein Quotenplus.
Selbstverständlich würde Hasan seine Kamera bedienen und er aus dem Off kommentieren.
Aber genau das geschah nicht. Rioz hastete an Rhodans Seite durch die Menge.
Sie sprangen über den umgefallenen Emitterpfahl und auf die Metallplatte zu. Die war von der Detonation verbeult und halbrund aufgewölbt, lag aber so auf, dass unter dem Metall ein Hohlraum entstand. Ein dünner Arm ragte darunter hervor.
Um Rhodan und Rioz drängten sich Menschen mit schockierten Mienen. Die Szene wirkte wie eingefroren. Die drei weiblichen Jugendlichen standen umher, starrten auf das Metallstück.
»Jazz!«, schrie ein Mädchen mit blauen Haaren.
*
Dicht neben dem Arm ging Rhodan in die Hocke und packte das Metall, um es hochzuheben. Auf der blassen Haut erkannte er die schwarze Umrandung eines holografischen Schmetterlings. Daneben war der tiefblaue Schwenker, in dem Rioz' Unterschrift endete.
»Jazz« musste der Name des Jungen sein. Das Trümmerteil hatte ihn unter sich begraben.
Wie schwer war der Junge verletzt? Medoroboter und Rettungskräfte waren sicher längst unterwegs und würden jede Minute eintreffen, doch auf sie wollte Rhodan nicht warten. Vergeblich rief er in Gedanken nach Gucky; der Mausbiber hätte das Metallstück telekinetisch anheben können. Bekam er an Bord der OSIRIS mit, was sich außerhalb abspielte?
»Hilf mir!«, sagte er zu Rioz, aber da hatte dieser längst zugepackt.
Zu zweit hievten sie tatsächlich das Metallteil vom Körper des Verletzten. Aus direkter Nähe erinnerte die Textur des Metalls an feines Stahlgewebe. Für seine Größe war es ungewöhnlich schwer.
»Zieht ihn raus!«, rief Rioz seinen Fans zu.
Die Mädchen verharrten um das Trümmerstück, mit Tränen in den Augen und kreideweisen Gesichtern. Erst nach der Aufforderung krochen sie auf Händen und Füßen zu dem Verletzten und zerrten ihn unter dem Bruchstück hervor.
Kaum hatten sie es geschafft, war auch schon der erste Medoroboter heran. Die Maschine schwebte über den Jungen, fuhr ihre Untersuchungstentakel aus und injizierte ihm etwas. Rhodan und Rioz ließen das Metallstück hinkrachen und keuchten.
Gleich darauf gab der Roboter Entwarnung.
Der Junge namens Jazz hatte Glück gehabt. Die Druckwelle, die das Trümmerstück vor sich hergeschoben hatte, hatte ihn schlicht umgeweht. Er hatte am Boden gelegen, bevor es ihn hatte treffen können. Sein Arm war gebrochen, zwei Rippen angeknackst, und am Hinterkopf hatte er eine Platzwunde. Dank der modernen Heilmethoden würde er binnen Stunden wieder auf den Beinen sein. Er war bei Bewusstsein und blickte aus großen Augen um sich.
»Wow.« Der Junge betrachtete erst Rhodan, dann Rioz. »Gleich von zwei Legenden gerettet. Bester Tag von allen!« Das Grinsen kehrte auf seine Lippen zurück. Er wollte den Untersuchungstentakel abschütteln und aufstehen, doch die Mädchen hielten ihn fest.
»Bleib liegen, Brüderchen«, sagte die Blauhaarige. »Ma und Pa bringen mich um, wenn du tot nach Hause kommst.«
Die Feier war vorzeitig beendet. Die Hologirlanden erloschen, anstelle des Trivid-Spektakels leuchtete ein großformatiger Hinweistext: »Gelände bitte geordnet räumen.« Pfeile wiesen zu den Notausgängen. Die Galaktiker strömten vom Platz. Der Raumhafen leerte sich zügig.
Jazz wurde weiter versorgt. Rhodan und Rioz vergewisserten sich, dass er wirklich in Ordnung war, dann überließen sie den Verletzten seinen Begleiterinnen. Rioz kehrte zu Hasan zurück, er sprach leise durch den Energiezaun mit ihr. Unwillkürlich hielt Rhodan nach der Kamera Ausschau. Er entdeckte das faustgroße Gerät in Hasans Hand. Mit dem Filmen hatte sie aufgehört.
Gucky materialisierte einen Augenblick später. Entschuldigend legte er den Kopf schräg.
»Wie ich sehe, hast du alles im Griff, Chef.« Er klang geknickt. »Tut mir leid, dass ich nicht früher aufgetaucht bin. Im Passagierbereich eines Raumers der OXTORNE-Klasse bekommst du nichts mit, und die Schlafmützen in der Zentrale haben eine Minute gebraucht, bis sie uns von der Katastrophe informiert hatten. Hätte ich nicht zufällig die Gedanken des Funkoffiziers und die der Menge hier draußen gelesen, säße ich vermutlich immer noch in der Mannschaftsmesse über meinem Möhrensoufflé.«
»Schon gut, Gucky.« Er kraulte seinen Nacken. »Gib mir einen Augenblick.«
Die Energiezäune wurden abgeschaltet, mittlerweile isolierte ein Paratronschirm das Geisterschiff vom Rest des Raumhafens.
Löschroboter kamen aus allen Richtungen, drangen durch kurzlebige Strukturlücken und sprühten weißen Schaum auf die brennende Hülle.
Rhodan verbrachte die nächsten Minuten damit, Funkgespräche mit dem Mond und den Organisatoren der Schiffstaufe zu führen. Sollten sie das Ereignis verschieben? Der Aufregung Rechnung tragen und auf einen ruhigeren Zeitpunkt warten? Er beriet sich mit Sichu, seiner Frau und eine der bedeutendsten Wissenschaftsgrößen der Liga, die mit den anderen Ehrengästen auf der OSIRIS geblieben war. Ihre Meinung zählte für ihn. Rhodan war für den Abbruch.