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Die Erde der fernen Zukunft, im 16. Jahrhundert der Neuen Galaktischen Zeitrechnung: Längst ist sie das Zentrum eines Sternenreiches, das Tausende von Welten umfasst. Eine dieser Welten ist Epsal, ein Planet der Extreme. Epsal wird schon seit vielen Jahrhunderten von Menschen bewohnt. Die Epsaler haben sich an die Verhältnisse ihrer Welt angepasst, sie verstehen sich trotz aller Unterschiede noch als Menschen. Und Perry Rhodan ist aufs Engste mit Epsal verbunden. Aber auch der Raumfahrer mit all seinen Kenntnissen weiß nichts von dem düsteren Geheimnis, das sich in den öden Weiten von Epsal verbirgt. Als Rhodan die Welt besucht, gerät er in einen terroristischen Anschlag. Viele Menschen sterben, er entkommt in letzter Minute. Und er muss erkennen, dass Epsals Konflikte etwas mit ihm und früheren Entscheidungen zu tun haben – die Phantome von Epsal verbinden die Vergangenheit und die Gegenwart dieser Welt auf düstere Weise ...
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Seitenzahl: 229
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EXTRA
Die Phantome von Epsal
Besuch auf der Extremwelt – der Terraner stößt auf ein düsteres Geheimnis
Michael Marcus Thurner
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Vorab
1. Epsal-Chronik: Protokoll von J. M. (1)
2. Odin Goya: Staatsempfang
3. Perry Rhodan: Unterwegs mit Juf Kantenau
4. Jagdvorbereitungen
5. Perry Rhodan: Diplomatische Spielchen
6. Epsal-Chronik: Protokoll von J. M. (2)
7. Odin Goya: In der Akademie
8. Kurz vor der Tat
9. Perry Rhodan: Der Anschlag
10. Kurz nach der Tat
11. Odin Goya: Auf der Flucht
12. Perry Rhodan: Ein fragwürdiger Geschäftspartner
13. Die aufgenommene Spur
14. Epsal-Chronik: Protokoll von J. M. (3)
15. Odin Goya: Auf Augenhöhe
16. Perry Rhodan: Die erste Teilstrecke
17. Odin Goya: Im Innern des Schwalls
18. Epsal-Chronik: Protokoll von J. M. (4)
19. Perry Rhodan: Erwachen in Karindell
20. Die Jagd geht weiter
21. Odin Goya: Zu spät gekommen
22. Perry Rhodan: Neue Erkenntnisse
23. Wieder daneben!
24. Epsal-Chronik: Protokoll von J. M. (5)
25. Odin Goya: Die Stadt Kornath
26. Perry Rhodan: Der Kälte entgegen
27. Vorbereitung aufs letzte Gefecht
28. Odin Goya: Am Ende der Welt
29. Perry Rhodan: Die Heimat der Lahoori
30. In der Lahoori-Seele
31. Perry Rhodan: Die Erbtafel
32. Odin Goya: Kampf
33. Perry Rhodan: Aufräumarbeiten
34. Epsal-Chronik: Protokoll von J. M. (6)
35. Perry Rhodan: Letzte Gespräche
Nachher
Impressum
Sein Name ist Perry Rhodan. Er war ein Risikopilot, ein Raumfahrer, ein Friedensbringer: Sein Einsatz sorgte dafür, dass die Menschheit in Kontakt zu den Außerirdischen trat.
Als geeinte Welt ist die Erde der fernen Zukunft nun ein friedlicher Planet – zugleich bildet sie das Zentrum eines Sternenreiches, das Tausende von Welten umfasst. Eine dieser Welten ist Epsal, ein Planet der Extreme.
Epsal wird schon seit vielen Jahrhunderten von Menschen bewohnt. Die Epsaler haben sich an die Verhältnisse ihrer Welt angepasst, sie verstehen sich trotz aller Unterschiede noch als Menschen. Und Perry Rhodan ist aufs Engste mit Epsal verbunden.
Aber auch er weiß nichts von dem düsteren Geheimnis, das sich in den öden Weiten von Epsal verbirgt. Als Rhodan die Welt besucht, gerät er in einen terroristischen Anschlag.
Viele Menschen sterben, er entkommt in letzter Minute. Und er muss erkennen, dass Epsals Konflikte etwas mit ihm und früheren Entscheidungen zu tun haben – denn er stößt auf DIE PHANTOME VON EPSAL ...
Perry Rhodan – Der Terraner besucht alte Freunde und trifft neue Feinde.
Juf Kantenau – Der Resident gilt als entscheidungsschwach und verbirgt ein Geheimnis.
Odin Goya – Der junge Epsaler wirkt als Adjutant und wird zum Reiseführer.
Devon Konta – Der Soldat beweist Nervenstärke und verfolgt einen Plan.
Astonia Wolf
Landlos Augenab stolperte durch den Schnee. Seit seiner Geburt umgab ihn das kalte Nass – und dennoch war er niemals in der Lage gewesen, es zu beschreiben, es einzuordnen.
Er glaubte zu spüren, dass es bergab ging. Wenn es ihm bloß nicht so schwerfallen würde, mit der Falschwelt die Verbindung zu halten, und wenn er bloß einen Interpretor bei sich gehabt hätte ...
Er blieb stehen. Er ruhte für eine Weile aus. Schneeflocken sanken auf ihn nieder. Er fühlte die Berührungen auf seiner Haut, ließ sie auf sich einwirken. Die Flocken waren von einer charakteristischen Struktur, die ihm verriet, dass er weit weg von zu Hause war – und dass er seinem Ziel näher kam.
Landlos Augenab hatte eine Richtung eingeschlagen, die andere Wesen als »Süden« bezeichneten. Sie verhieß eine Änderung der Witterungsbedingungen, die ihm gar nicht behagte. Er hätte sich selbstverständlich anpassen und seine Kältehaut umstrukturieren können, doch das würde zu viel Zeit kosten.
Er schätzte, dass er seit mehr als vierzig Stunden unterwegs war. Bald würde er sein Ziel erreichen.
Er bemerkte ein Vibrato im Innern seiner Körperhülle. Es sagte ihm, dass Gefahr drohte.
Seine Verfolger kamen näher. Er spürte und roch ihre Präsenz deutlicher und deutlicher. Sie stanken nach Unheil.
Landlos Augenab tat, was notwendig war, und setzte sich wieder in Bewegung. Er wusste, dass sein Leben durch diese Anstrengung schneller sein Ende finden würde. Doch was war schon die Existenz eines Einzelnen angesichts dessen, was er mit sich trug? Der Schlüssel musste in die richtigen Hände gelangen.
Er machte weite Schrittsprünge. Ignorierte die Warnsignale, die ihm sein Körper sandte. Verzichtete auf die innere Einkehr, die bislang sein Leben bestimmt hatte. Holte alle Kraft aus sich heraus, die ihm geblieben war.
Immer näher kam er dem Konglomerat an totem Material, das die Bewohner Siedlung nannten. Er entdeckte andere Wesen, die die schmalen Wege zwischen den ... den ... Häusern entlanggingen, und mühte sich, sie trotz seiner Schmerzen zu sondieren.
Es war schwierig, auf größere Distanz die Schwingungen der Bewohner der Falschwelt zu erfassen und zu beurteilen.
Tiefe Erschöpfung machte sich in Landlos Augenab breit, das Warn-Vibrato wurde intensiver. Die Verfolger waren viel zu nah. Sie reisten in ihren mechanischen, fliegenden Dingern, und vermutlich konnten sie ihn anhand der Wärme, die er ausstrahlte, ausfindig machen.
Er fühlte etwas, was ein Bewohner der Falschwelt als Verzweiflung bezeichnen würde. Denn keines der Wesen in der Siedlung zeigte jene Parameter, die es für die Übergabe des Schlüssels benötigte.
Er eilte den Hang hinab, immer schneller – und stolperte. Landlos Augenab beging den entscheidenden Fehler, vor dem er sich so sehr gefürchtet hatte.
Er fiel und schlitterte auf Schnee in die Tiefe. Seine Frosthaut rieb sich wund, das nackte Fleisch kam zum Vorschein. Es tat weh, unendlich weh ...
Endlich nahm die Rutschfahrt ein Ende, er prallte gegen den Stumpf eines minderen Baums. Er probierte, sich aufzurichten, doch es wollte ihm nicht gelingen.
Er hörte Geräusche, erkannte darin die Stimme eines Falschweltlers. Er versuchte, einzelne Wörter zu identifizieren, vergeblich: Sein Wortschatz war zu gering, sein Geist überstrapaziert.
Er blickte den Falschweltler an und beurteilte ihn. Die Eindrücke, die er gewann, waren vage. Indifferent. Dieser da war womöglich geeignet – oder auch nicht.
Doch hatte er eine Wahl? Die Verfolger hatten ihn beinahe eingeholt.
Landlos Augenab stülpte den Schlüssel aus einer Körperfalte und hielt ihn dem Falschweltler entgegen. »Nimm«, sagte er das mühsam erlernte Wort. »Nimmnimmnimm.«
Der Falschweltler zögerte.
»Dumu sstuns retten.«
Landlos Augenab ahnte, dass er die Wörter falsch betont und verschliffen hatte, also wiederholte er sie, so gut es mit seinen schwindenden Kräften ging.
»Die Lahoori retten«, sagte er den letzten erlernten Satz auf, erhob sich mühsam und drückte dem Falschweltler den Schlüssel in die Hand.
Er wandte sich ab und stolperte davon. Das nackte Fleisch brannte, die Kälte durchdrang seinen Körper.
Landlos Augenab hatte getan, was er konnte. Das Schicksal seines Volks lag nicht mehr in seinen Händen. Er musste darauf vertrauen, dass der Falschweltler seinen Auftrag ernst nahm – und das Richtige tat.
So rasch er konnte, brachte er Distanz zwischen sich und den anderen. Die Verfolger indes rückten weiter auf, und bald fühlte er das metallene Ding-in-der-Luft unmittelbar über sich. Sie hatten ihn gestellt.
Landlos Augenab ignorierte die Schmerzen und sang ein letztes Mal. Kein Ton war für die Falschweltler zu hören, wie er wusste. Sie kannten bloß einen primitiven, mithilfe der Stimmbänder intonierten Gesang. Das Lied, das sich in seinem Innern ausbreitete, würden sie niemals erahnen oder spüren können.
Er erreichte den Abschluss des Gesangs und durfte ein letztes Mal den Triumph seiner Interpretation genießen, bevor sich ein Strahl aus dem Ding-in-der-Luft löste, ihn traf und seine körperliche Hülle vernichtete.
1.
Epsal-Chronik: Protokoll von J. M. (1)
Im Jahr 2044 landeten die drei terranischen Kugelraumer AMACORD, STRADA und BOCCACCIO auf einem 13.844 Lichtjahre von der Erde entfernten Planeten. Ihre Besatzungen beschlossen, zu bleiben und sich eine neue Existenz aufzubauen, fernab der alten Heimat.
Sie nannten die Welt Epsal und ehrten damit die während des Flugs überraschend verstorbene Hindu-Priesterin Epsa Danghawata.
Epsa bedeutet Sehnsucht oder
2.
Odin Goya: Staatsempfang
Es war ein wunderschöner Tag bei angenehmen Temperaturen. Die Sonne Vono stand halbhoch am Firmament, erste Herbstwinde trieben die laut kreischenden Kantenreiter vor sich her. Sie kämpften gegen die Schwerkraft und gegen heftige Böen an. Mit kräftigen Flügelschlägen arbeiteten sie sich immer höher, um in einer Höhe von mehreren Tausend Metern die Thermik von Wärmeströmungen auszunutzen.
Die Spitzen des Komundalgebirges waren bereits weiß angezuckert. Odin Goya vermeinte, den Beginn der kalten Jahreszeit zu riechen und zu schmecken. Sein Herz schlug laut und kräftig. Nur zu gern wäre er in die Berge gegangen, wie er es vor Beginn seiner Ausbildung immer wieder getan hatte.
Du lässt dich ablenken!, mahnte er sich und straffte seinen Körper. Goya legte die Hand ans zeremonielle Misericordia, jene dünne Stichwaffe, die stets bei Staatsempfängen getragen werden musste. Der Tross an Würdenträgern, Politikern, Wirtschaftstreibenden und Militärangehörigen kam ihm entgegen, begleitet vom Gesang des Rimdan-Chors.
Mehr als zehntausend Epsaler hatten sich auf der offenen Fläche vor dem Residentenpalast versammelt. Der Zug der Honoratioren teilte die Masse der Zaungäste in zwei fast gleich große Hälften.
Goya ließ den Blick über die epsalischen Bürger schweifen. Er fühlte sonderbare Unruhe, denn es war eine närrische Zeit. Immer wieder fanden sich Bürger, die mit der gegenwärtigen Politik nicht einverstanden waren und ihren Protest lautstark öffentlich zum Ausdruck brachten.
Juf Kantenau, der epsalische Resident, stand drei Reihen vor Goya. Er war von Personenschützern umgeben. Er wirkte nicht nur von seiner Statur her klein. Er hielt den Kopf zwischen die Schultern gezogen, als fürchte er sich vor der anstehenden Begegnung.
Nun ja. Irgendwie verstand Goya die Verkrampfung des Residenten. Man begegnete nicht jeden Tag einer lebenden Legende. Einem Unsterblichen. Dem Terraner.
Und da war er auch schon: Perry Rhodan. Er ging an der Spitze der Besuchergruppe voran. Er bewegte sich mit einem natürlichen Selbstverständnis, vorbei an Epsalern, die einen halben Kopf kleiner, aber fast doppelt so breit wie er waren. Hinter Rhodan kamen zwei muskelbepackte Riesen. Ertruser, die ihre weißen Gebisse entblößten und an Raubtiere gemahnten.
»Willkommen auf Epsal!« Juf Kantenau trat vor, reichte Rhodan die Hand und schüttelte sie kräftig. Etwas zu kräftig, wie Odin Goya meinte.
Der epsalische Resident bewegte den Kopf von links nach rechts und von rechts nach links, als würde ihn der Kragen seiner Galauniform einschnüren und er keine Luft bekommen. Laut sagte er, an die vielen Zuhörer gerichtet: »Es freut mich, dass du uns nach all den Jahren endlich mal wieder besuchst.«
»Die Freude ist ganz meinerseits«, versicherte Rhodan und entzog Kantenau seine malträtierte Rechte.
»Ich darf dich bitten ...?« Kantenau schob Rhodan vor sich her, vorbei an Goya und den anderen Soldaten, die Stufen des Residentenpalasts hoch.
Amüsiert bemerkte Goya, dass Rhodan Mühe hatte, den Schrittrhythmus beizubehalten. Die Stufen waren den kurzen und kräftigen Beinen eines Epsalers angepasst. Die Höhe war für einen Terraner zu niedrig, die Tiefe zu kurz. Darüber hinaus war er unsicher auf den Beinen. Rhodan hatte einen Mikrogravitator-Gürtel umgeschnallt, der die auf Epsal herrschende Schwerkraft von über zwei Gravos auf ein terranisches Normalmaß verminderte.
Das Gerät, das Rhodans Körper in eine künstliche Schwerkraftblase hüllte, war vermutlich noch nicht völlig einjustiert. Doch das positronische System lernte schnell, wie Goya wusste. Bereits in Kürze würde sich Rhodan auf Epsal bewegen, als wäre er hier geboren.
Goya drängte sich so nah wie möglich an den Unsterblichen heran. Seine Chefin hatte ihm so viel über Rhodan erzählt. Über dessen Wagemut, aber auch seinen Sinn für Pragmatismus. Über die Abenteuerlust, die immer wieder mit Rhodan durchging. Über das Jugendhafte, das manchmal durch ein spitzbübisches Lächeln verstärkt wurde.
»Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen?«, fragte Kantenau eben.
»Es war vermutlich auf Maharani, bei einem der vielen diplomatischen Anlässe«, antwortete Rhodan.
»Ach ja ... Dort wird es wohl gewesen sein. Leider verpflichtet mich mein Dienst an der Republik zu sehr. Ich wäre gern öfter auf Maharani, mitten im galaktopolitischen Zentrum.«
Der oberste Treppenabsatz war erreicht, Goya schloss auf. Seine Chefin hatte ihn angewiesen, Rhodan niemals aus den Augen zu lassen, Leibwächter hin oder her.
Kantenau und Rhodan drehten sich gemeinsam um. Spannung lag in der Luft. Aller Augen waren auf den Terraner gerichtet. Trivid-Kameras kamen ihm unangenehm nah, es wurde still.
Rhodan räusperte sich. »Es freut mich, endlich einmal wieder auf Epsal zu sein. Der Heimat treuer Verbündeter – und guter Freunde.«
Goya grinste. Rhodan wusste genau, was er zu tun und zu sagen hatte. Viele Epsaler waren rührselig, sie liebten das Pathos. Also lieferte der Terraner ihnen Pathos, verknüpfte es mit einigen Worten zu erfreulichen wirtschaftlichen Daten, zur Zusammengehörigkeit – und zum Ursprung dieser einstigen Kolonie, die sich längst aus dem Schatten Terras befreit und eine eigenständige Identität angenommen hatte.
Die Zuhörer applaudierten, während aufgeregte Journalisten bereits mit der Analyse von Rhodans Ansprache begannen.
Er lächelte. »Ich werde nach meinem Gespräch mit Juf Kantenau eine offizielle Pressekonferenz abhalten. Wenn es aber jetzt schon Fragen gibt – nur raus damit!«
Er erntete verblüffte Blicke. Die Journalisten starrten ihn beinahe erschrocken an, die Honoratioren ebenso, sogar Rhodans eigene Begleiter. Er durchbrach das Zeremoniell und holte sich damit Sympathiepunkte bei den Zuhörern.
»Stimmt es, dass du nach Epsal gekommen bist, um eine Freundin zu besuchen?«, rief jemand von ganz weit hinten, kaum noch verständlich.
»Das ist einer meiner Gründe für diese Reise, ja.«
»Ist es eine ... nahe Freundin?«, fragte eine klein gewachsene Epsalerin und erntete damit Gelächter.
»Nicht so nahe, wie du vielleicht glaubst.« Rhodan grinste, wurde aber rasch wieder ernst. »Gibt es auch Fragen mit etwas mehr Gehalt?«
»Wie lange wirst du bleiben?« – »Wirst du die neu eröffnete Nationalgalerie besuchen?« – »Das entscheidende Fußballspiel um die Kontinental-Meisterschaft?«
Fragen prasselten auf Rhodan nieder, er beantwortete sie zu Goyas Überraschung ruhig und geduldig.
Goya begriff: Es kostete den Terraner nur wenige Minuten Zeit, würde aber seinen Ruf als den Epsalern verbundener Mensch stärken. Und das in einer Zeit, in der gute Freunde und Verbündete selten waren.
»Was hältst du von den Lahoori?«, rief jemand aus der Menge, blieb jedoch hinter anderen Epsalern verborgen. Sosehr sich Goya bemühte, den Mann zu entdecken – er blieb anonym in der Menge der eng aneinandergedrängten Zuhörer.
Rhodan runzelte die Stirn. Er kannte Goyas Heimatwelt gut und hatte vor seiner Ankunft gewiss ein Dossier über die Sitten und Gepflogenheiten auf Epsal erhalten. War er dabei irgendwann auf den Begriff Lahoori gestoßen?
»Sie werden auch Phantome genannt, nicht wahr?«, sagte Rhodan. »Niemand weiß, ob sie tatsächlich existieren. – Und ich weiß, dass es Bestrebungen gibt, ihnen den Status von Bürgern der epsalischen Republik zu verleihen. Das erscheint mir doch etwas gewagt ...«
»Es gibt sie!«, hörte Goya denselben Mann wie zuvor krakeelen – und entdeckte ihn gleich darauf. Er war etwas größer als seine Mitbürger, die Wangen waren vor Aufregung dunkelbraun gefärbt.
Goya tastete über die Misericordia. Er ahnte, er fühlte die Gefahr. Wo waren die epsalischen Sicherheitsleute, die für Rhodan abgestellt worden waren? Die beiden Ertruser bezogen bereits Position, links und rechts ihres Schützlings.
Der Schreihals verschaffte sich ein wenig Freiraum und wühlte sich rücksichtslos durch die Menge, kam auf Rhodan zu. »Ihr wollt bloß nicht wahrhaben, dass die Lahoori Bürger wie ihr und ich sind! Ihr macht euch lustig, ihr verspottet sie ...«
Rhodans Leibwächter traten vor. Quarc und Kinxasa hießen sie, wenn Goya sich recht erinnerte. Die Präsenz der riesenhaften Ertruser hätte jedermann abgeschreckt, nicht aber diesen Kerl, der völlig von Sinnen war und immer mehr Energie entwickelte, während er vorwärtsdrängte.
Er stieß Beschimpfungen aus, fluchte über die epsalische Regierung und über Rhodan, brabbelte Unverständliches.
Endlich waren die epsalischen Sicherheitsleute heran. Sie griffen nach dem Mann, er riss sich nochmals los und entwickelte dabei unheimlich anmutende Kräfte.
Goya holte Luft. Er stellte sich dem Verrückten in den Weg. Er durfte nicht zulassen, dass Rhodan etwas geschah. Niemals! Zur Not würde er die Misericordia einsetzen. Er hatte Anweisungen von der Chefin erhalten, dass ...
Einer der beiden Ertruser stupste Goya beiseite, als wäre er ein Nichts. Der Riese packte den Angreifer am Schlafittchen. Der wehrte sich nach Leibeskräften, kam aber gegen die Urgewalt des Ertrusers nicht an. Er strampelte mit den Beinen in der Luft, schrie und spuckte und trat um sich, ohne etwas zu erreichen.
Die Situation, die eben noch ernsthaft erschienen war, driftete ins Absurde ab, umso mehr, als der Ertruser dröhnend zu lachen begann und den Angreifer wie ein nasses Wäschestück ausschüttelte.
»Wir haben alles im Griff«, sagte der Leibwächter, an die Menge gewandt. Und leiser, bloß für Rhodan und wenige Leute ringsum zu hören: »Ich habe ihn gescannt. Er ist unbewaffnet. Er wollte wohl bloß Aufmerksamkeit erregen.« Er drehte sich zu Goya um: »Alles klar, kleiner Mann? Entschuldige den Schubser. Ich wollte dir nicht wehtun.«
»Schon in Ordnung.« Goya unterdrückte seinen Schmerz. Schulter und Hüften waren vermutlich geprellt.
Epsalische Uniformierte kamen heran. Endlich! Sie ließen sich den Tobenden aushändigen, banden ihm die Hände auf den Rücken und spritzten ihm Klebeschaum über den Mund. Das hinderte ihn an weiterem Geschrei, ohne seine Atmung zu beeinträchtigen.
Sie führten ihn ab, gingen dabei nicht sonderlich sanft mit ihm um. Der Mann hatte unangenehme Stunden vor sich. Ihn erwarteten ein Verhör, mehrere Anzeigen und vermutlich einige Monate Haft.
Rhodan näherte sich Goya und sagte leise: »Danke. Ich weiß deinen Einsatz zu schätzen.«
»G... gern geschehen«, sagte Goya. »Das war doch selbstverständlich.«
»Selbstverständlich ist heute gar nichts. Du gehörst nicht zu den epsalischen Sicherheitskräften, oder?«
»Nein. Ich wurde von der Chefin hergeschickt. Sie bestand darauf, dass ich ein Auge auf dich hätte.«
»Die Chefin?«, wunderte sich Rhodan.
»J... ja. Du weißt schon. Kommandantin ...«
»Wären wir gleich in den Palast gegangen, wäre uns dieses unwürdige Schauspiel erspart geblieben«, mischte sich ein Dritter in die Unterhaltung ein: Juf Kantenau. Mit einem starren Lächeln blickte er in die Menge und zupfte Rhodan am Arm.
»Das mag sein, Resident«, erwiderte der Terraner. »Aber ein wenig Bürgernähe kommt immer gut an. Ohne dir zu nahe treten zu wollen: Deine Sicherheitsleute brauchten ganz schön lange, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Ohne Quarc und Kinxasa hätte es gefährlich werden können. Für dich ebenso wie für mich.«
»Dafür kannst du nicht mich verantwortlich machen, Perry! Die Militärmitglieder des Stetigen Rats haben für die Sicherheitsvorkehrungen gesorgt.«
Das ist eine glatte Lüge!, dachte Goya und ballte die Hände zu Fäusten.
3.
Perry Rhodan: Unterwegs mit Juf Kantenau
Zwei epsalerähnliche Roboter öffneten die schweren Flügeltore des Palastgebäudes. Halbdunkel umfing die Eintretenden, ihre Schritte hallten hohl von den Wänden einer großen Halle wider. Applaus und vereinzelte Hochrufe tönten aus der Menge jener Honoratioren, die im Innern des Palasts auf Rhodans Eintreffen gewartet hatten.
Er unterdrückte einen Seufzer und lächelte in die vielen Kameradrohnen, die ihn umschwirrten. Er gab Belangloses von sich, machte Komplimente und strahlte Zuversicht aus. Jedes Wort, jedes Mienenspiel mochte die galaxisweite Politik beeinflussen.
Der Weg durch das Spalier der 1,60 Meter großen und fast ebenso breiten Epsaler wurde zur Qual. Rhodan verdankte es nur seinen beiden Begleitern, dass er nicht zu sehr bedrängt wurde. Quarc und Kinxasa verschafften sich rasch Respekt. Seltsam. Er hatte die beiden niemals nach ihren Nachnamen gefragt.
»Die Epsaler lieben dich«, sagte Kantenau, der stets neben ihm blieb. »Mehr als dreitausend Jahre nach Gründung der Kolonie Epsal findest du bloß Freunde auf meinem Heimatplaneten.«
»Und ich fühle mich jedes Mal aufs Neue wohl auf Epsal.« Rhodan grüßte und lächelte, freute sich über das Zusammentreffen mit einem alten Bekannten und wechselte einige Worte mit Terras Botschafterin Minas Turba.
Einige hochrangige Beamte und Würdenträger blieben zurück, neue gesellten sich hinzu. Rhodan musste weitere Hände schütteln und Namen wiederholen, die er sich ganz gewiss nicht merken würde. Er hatte derartige Empfänge tausendfach mitgemacht. Bei nahezu jedem offiziellen Anlass auf jeder Welt der Milchstraße wollte man ihn berühren, einige Worte mit ihm wechseln, vor ihm prahlen, ihn beeindrucken. Das war Teil des Spiels, aber nicht unbedingt jener Teil, den er besonders mochte.
Quarc und Kinxasa lotsten ihn mit viel Geschick und Körpereinsatz durch die Menge, bis sie das Tor zum Kernbereich der Residenz erreicht hatten.
Rhodan wandte sich nochmals um. Er erblickte den jungen Epsaler, der sich todesmutig dem Tobenden in den Weg geworfen hatte, bloß mit einer zeremoniellen Stichwaffe in der Hand. Was er wohl für eine Rolle im Getriebe der oberen Zehntausend von Epsal spielte?
Rhodan zwinkerte ihm zu, der Epsaler winkte überrascht zurück.
Die Türen schlossen sich – und abrupt kehrte Stille ein. Auch die Kameradrohnen blieben zurück.
»Geschafft!«, ächzte Kantenau, öffnete den Magnetkragen, schlüpfte aus seiner Uniformjacke und warf sie einem wartenden Servoroboter zu. »Du hast keine Ahnung, wie sehr mich dieses Zeugs einengt!«
Rhodan sah sich um. Er war oft genug im Regierungspalast gewesen – und hatte dennoch das Gefühl, jedes Mal ein anderes Gebäude zu betreten. Die wechselnden Residenten hatten die Angewohnheit, völlig neu zu dekorieren.
Kantenau legte offensichtlich Wert auf Kitsch und Opulenz. Die Sitzmöbel zeigten grellbunte Muster, die sich im dicht gewebten Teppichboden fortsetzten. Hölzerne Tierfiguren, mit Edelsteinen verziert, krochen langsam umher und gaben in unregelmäßigen Abständen leise Klappergeräusche von sich. Von den Decken hingen Leuchtkörper, die ein für Terraner zu grelles Licht verbreiteten ...
»Sehr schön«, log Rhodan. »Ich habe den epsalischen Sinn für guten Geschmack immer schon gemocht.«
»Danke sehr«, sagte Kantenau mit Stolz in der Stimme und lockerte nun auch seine eng geschnittene Hose.
»Warum schafft ihr diese Phantasiegewänder nicht einfach ab?« Rhodan steuerte eine bequem wirkende Couch an und setzte sich.
»Wir legen nun mal Wert auf Traditionen.« Juf Kantenau ließ sich ihm gegenüber auf einem Sessel nieder. Das robuste Möbelstück gab unter dem Gewicht von gewiss dreihundert Kilogramm kaum nach. »Geschäfte werden in unserer Heimat aufgrund des Auftretens entschieden. Und den neuen Standesdünkel des epsalischen Militärs hast du ja wohl schon kennengelernt.«
Ja. Rhodan war bereits einigen Offizieren über den Weg gelaufen, seit er das Raumschiff verlassen hatte. Sie hatten ihn von oben herab behandelt. Als wäre er ein Bittsteller und nicht ein Terraner, der bei Freunden zu Besuch war.
Kantenau deutete in Richtung einiger Brötchen, die auf dem Tisch zwischen ihnen bereitgestellt waren. »Mahlkorn-Panini nach epsalischer Art.«
»Nein danke, Juf. Ich hatte schon eine ausgiebige Mahlzeit an Bord meines Schiffs.«
»Ich verstehe.« Kantenau nickte und griff selbst zu. Binnen weniger Augenblicke verschlang er drei der Brötchen und spülte sie mit einer Karaffe Rotwein hinunter.
»Du weißt, dass ich einen engen Terminplan habe«, erinnerte Rhodan den Epsaler. »Ich möchte heute noch so viele Gespräche wie möglich hinter mich bringen, bevor ich mich dem eigentlichen Grund meines Besuchs widme.«
»Selbstverständlich, Perry. Meine Leute haben deine Termine eng getaktet und die rein repräsentativen Auftritte auf ein Minimum reduziert. Es gibt ein Gespräch mit Villaria Shank von Epsal-Net, unserem öffentlichen Trivid-Sender, ein gemeinsames Arbeitsessen mit lokalen Politikern, deinen Auftritt vor dem Stetigen Rat und mehrere Zusammenkünfte mit hochrangigen Militärvertretern, die unverschämte Wünsche an dich richten werden.«
»Ja. Ich habe die Liste bereits gesehen.«
»Was du aber nicht weißt, ist, dass du es hierbei mit einer sehr einflussreichen und gefährlichen Frau zu tun bekommst.«
»Du meinst Vilma Sankaji?«
»Richtig«, antwortete Kantenau. »Die Generalin stammt aus einer hoch angesehenen Familie und gilt auf dem Fachgebiet der Strategischen Planung als außerordentlich kompetent.«
»Das klingt, als würdest du sie bewundern?«
»Ich beneide sie um das Geschick, mit dem sie ihre Untergebenen führt. Ich wollte, ich hätte denselben Rückhalt in der Zivilbevölkerung wie sie in den Reihen des Militärs.«
»Warum hältst du sie für gefährlich, Juf?«
Der epsalische Resident erhob sich und begann eine unruhige Wanderung durch den Raum. »Selbst die Wände im Palast haben Ohren, Perry. Ich möchte deshalb nicht allzu viel über Sankaji sagen. Nur dies: Sie hält wenig von den Spielregeln der Diplomatie. Sie besitzt Charisma und bekommt viel Unterstützung von den Kadern des Militärs. Ihre Ansichten sind leider nicht unbedingt demokratiefreundlich.«
»Ich verstehe.« Rhodan lehnte sich zurück und gab sich entspannt. »Es gibt gewiss die Gelegenheit, mit Sankaji ein Gespräch unter vier Augen zu führen?«
»Ich kann euch gern miteinander bekannt machen.«
»Danke, Juf. Ich weiß deine Unterstützung sehr zu schätzen.«
4.
Jagdvorbereitungen
Sponzanto ließ sich Essen aufs Zimmer bringen, aß den Fleischhappen ohne viel Genuss und spülte ihn mit überteuertem Eiswein aus dem Norden Ashpals hinab. Anschließend widmete er sich seinem Schwebekoffer.
Die Sicherheitsvorkehrungen in der Stadt wurden außergewöhnlich lax gehandhabt. Man hatte sein Gepäck am Gleiterterminal nur oberflächlich kontrolliert. Auch das Märchen von der kranken Tante, um die er sich einige Tage lang kümmern wollte, hatten die gelangweilten Beamten anstandslos geschluckt.
Er packte die Wäsche samt Uniform aus und aktivierte routinemäßig die Umgebungskontrolle. Die Mikropositronik seines Multifunktionsarmbands sondierte das Zimmer. Sie gab nach wenigen Sekunden Entwarnung: Der Raum wurde nicht überwacht.
Also zog er die Keramik- und Kunststoffteile aus dem doppelten Boden des Reisekoffers und setzte sie übungshalber zu seinem Thermostrahler zusammen, mehrmals hintereinander.
Nachdem Sponzanto überzeugt war, den Vorgang im Schlaf zu beherrschen, brachte er die Einzelteile wie vorgesehen an der Uniform an. Der Strahlergriff wurde zu einer Art Epaulette, wie sie die Reserveoffiziere der epsalischen Armee zu zeremoniellen Anlässen trugen, und der Lauf zu einer breiten Führungsschiene auf seiner linken Brust, an die er einige protzige Orden heftete. So fand jedes der acht Teile der Waffe einen Platz.
Wieder übte er, wieder stoppte er die Zeit mit. Er benötigte sechs Sekunden für das Zusammensetzen des Strahlers. Am nächsten Tag, wenn er seine Arbeit erledigte, würde er schneller arbeiten müssen.
Nach einer Stunde war er zufrieden. Sponzanto meditierte nach den Regeln der Nochurna. Er dachte an Angst und Mut, an Pflichtbewusstsein und innerliche Flucht, an Konzentration und Unruhe. An beide Seiten jedes Aspekts seiner Arbeit, der am kommenden Tag wichtig sein würde.
Danach kehrten seine Gedanken zu den Geschehnissen nahe des Residentenpalasts zurück. Da war dieser wirre Einzelgänger gewesen, der Rhodans improvisierte Pressekonferenz gestürmt hatte. Er hatte von den Lahoori erzählen wollen, dieser verdammte Störenfried!
Immerhin hatte Sponzanto dadurch mehr über die Vorkehrungen erfahren, die anlässlich von Rhodans Besuch getroffen worden waren. Die epsalischen Sicherheitsleute waren ihr Geld nicht wert. Die beiden Ertruser hingegen ...
Er würde etwas gegen sie unternehmen müssen, und er wusste auch schon, was.
Sponzanto griff erneut in den Koffer und wärmte den Stoff des Innenfutters an einer bestimmten Stelle mit der Hitze seiner Hände. So lange, bis sich das Material auflöste und den dahinter versteckten Inhalt freigab: drei messingfarbene, dünne Plättchen mit der Größe von Geldchips. Zwei davon nahm er und ersetzte damit Knöpfe seiner Uniform.
Er streifte zweimal über Hemd, Uniformjacke und Hose und aktivierte so die Selbstglättung. Er würde sauber und adrett aussehen, wie es von einem Reserveoffizier erwartet wurde.
Sponzanto packte seine Sachen zusammen, ging in Gedanken nochmals seine Aufgabe durch und legte sich dann nieder.
5.
Perry Rhodan: Diplomatische Spielchen
Generalin Vilma Sankaji musterte Perry Rhodan, reichte ihm die Hand und bat ihn, Platz zu nehmen. Sie bewegte sich hölzern, als wäre sie nicht oft auf dem politischen Parkett unterwegs.
»Danke, dass du mich trotz deines engen Terminplans empfängst«, sagte Rhodan.
»Ich wollte immer schon mal den großen Unsterblichen kennenlernen. Um ehrlich zu sein, mag ich diese Massenaufläufe nicht sonderlich.«
»Um ehrlich zu sein: Diese Abneigung merkt man dir an, Generalin. Aber ich verstehe dich gut. Ich würde auch lieber mehr arbeiten und weniger in unverbindliche Plaudereien verwickelt werden.«
Sankaji hob die Augenbrauen. War sie von seiner Ehrlichkeit überrascht?