Peter Lebrecht - Eine Geschichte aus vergangener Zeiten - Ludwig Tieck - E-Book
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Peter Lebrecht - Eine Geschichte aus vergangener Zeiten E-Book

Ludwig Tieck

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Beschreibung

Dieses eBook: "Peter Lebrecht - Eine Geschichte aus vergangener Zeiten" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Von Pflegeeltern auf dem Dorfe erzogen, vom Pater Bonifaz aus dem benachbarten Kloster unterrichtet, erlangt Peter die Hochschulreife und studiert an einer Katholischen Universität Jura, Sprachen und Philosophie. Auf Empfehlung eines seiner Professoren bekommt Peter eine Hofmeister-Stelle im Hause des Präsidenten von Blumbach. Dort erzieht er die beiden Söhne des Präsidenten und lernt das Fräulein Louise Wertheim, Erzieherin der Tochter des Hauses, kennen und lieben. Dem Glück steht Herr von Bärenklau – mit älteren "Rechten" auf das schöne junge Fräulein – im Wege. Aber Peter hat den Präsidenten auf seiner Seite und erreicht sein Ziel. Er und Louise werden getraut. Leider tanzt Peter auf seiner Hochzeit zu häufig mit weiblichen Gästen. Unterdessen ist auf einmal die Braut verschwunden. Und ward nicht mehr gesehen. Auf der Suche nach der verschollenen Ehefrau trifft Peter zufällig seine Pflegemutter und wird von ihr ins Bild gesetzt... Ludwig Tieck (1773-1853) war ein deutscher Dichter, Schriftsteller, Herausgeber und Übersetzer der Romantik.

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Ludwig Tieck

Peter Lebrecht - Eine Geschichte aus vergangener Zeiten

Eine lustige Klostergeschichte
e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected] ISBN 978-80-268-6876-7

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil
Erstes Kapitel. Vorrede
Zweites Kapitel. Meine Jugend – Erziehung – Universitätsjahre – ich bekomme eine Hofmeisterstelle
Drittes Kapitel. Der Leser wird sehen, daß ich ein Narr bin
Viertes Kapitel. Ich trete als Hofmeister auf
Fünftes Kapitel. Die Präsidentin und die übrigen Hausgenossen
Sechstes Kapitel. Ich werde verliebt
Siebentes Kapitel. Liebesgeständnisse
Achtes Kapitel. Andre Erklärungen – Ich bin eifersüchtig
Neuntes Kapitel. Ich bekomme ein Amt und eine Frau
Zehntes Kapitel. Unvermutete Gesellschaft
Eilftes Kapitel. Rückerinnerungen
Zwölftes Kapitel. Episode. – Der neue Siegwart, eine Klostergeschichte
Dreizehntes Kapitel. Ich verliere mein Amt und gewinne einen Prozeß
Vierzehntes Kapitel. Ich lerne meinen Vater persönlich kennen
Funfzehntes Kapitel. Reisebeschreibung
Sechzehntes Kapitel. Hannchen
Siebzehntes Kapitel. Seltsame Zusammenkunft
Achtzehntes Kapitel. Ist das vorletzte Kapitel. – Der Verfasser nimmt von seinen Lesern Abschied
Neunzehntes oder letztes Kapitel. Die moralische Tendenz dieses Buchs
Zweiter Teil
Erstes Kapitel. Das versprochene Kapitel über die Kopfneigungen und Rückenbeugungen
Zweites Kapitel. Meine Lebensweise
Drittes Kapitel. Schilderung einiger Menschen
Viertes Kapitel. Eine Unterredung mit meinem Schwiegervater
Fünftes Kapitel. Ein Beitrag zu den Kalenderprophezeiungen
Sechstes Kapitel. Unglück meines Freundes Sintmal
Siebentes Kapitel. Über Biedermänner
Achtes Kapitel. Eine Erzählung
Neuntes Kapitel. Episode über diese Episode
Zehntes Kapitel. Eine Vorlesung
Eilftes Kapitel. Eine Gespenstergeschichte
Zwölftes Kapitel. Kritik des vorigen Kapitels
Dreizehntes Kapitel. Bekenntnisse
Vierzehntes Kapitel. Ein äußerst unruhiger Tag
Funfzehntes Kapitel. Ein Brief
Sechzehntes Kapitel. Antwort und Beschluß an den Leser

Erster Teil

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel. Vorrede

Inhaltsverzeichnis

Lieber Leser, du glaubst nicht, mit welcher innigen Wehmut ich dich diese Blätter in die Hand nehmen sehe, denn ich weiß es voraus, daß du sie wieder wegwerfen wirst, sobald du nur einige flüchtige Blicke hineingetan hast. Da mir aber deine Bekanntschaft gar zu teuer ist, so will ich wenigstens vorher alles mögliche versuchen um dich festzuhalten; lies daher wenigstens das erste Kapitel, und wenn wir uns nachher nicht wiedersehen sollten, so lebe tausendmal wohl. –

Um deine Gunst zu gewinnen, müßte ich meine Erzählung ungefähr folgendermaßen anfangen:

»Der Sturmwind rasselte in den Fenstern der alten Burg Wallenstein. – Die Mitternacht lag schwarz über dem Gefilde ausgestreckt, und Wolken jagten sich durch den Himmel, als Ritter Karl von Wallenstein auf seinem schwarzen Rosse die Burg verließ, und unverdrossen dem pfeifenden Winde entgegentrabte. – Als er um die Ecke des Waldes bog, hört er neben sich ein Geräusch, sein Roß bäumte, und eine weißliche Schattengestalt drängte sich aus den Gebüschen hervor.« – – –

Ich wette, du wirst es mir nicht vergeben können, daß ich diese interessante abenteuerliche und ungeheuerliche Geschichte nicht fortsetze, ob ich gleich, wie das der Fall bei den neueren Romanschreibern ist, selbst nicht weiß, wie sie fortfahren, oder gar endigen sollte.

In medias res will ich gerissen sein! rufen die Leser, und die Dichter tun ihnen hierin auch so sehr den Willen, daß ihre Erfindungen weder Anfang noch Ende haben. Der Leser aber ist zufrieden, wenn es ihm nur recht schauerlich und grauerlich zumute wird. Riesen, Zwerge, Gespenster, Hexen, etwas Mord und Totschlag, Mondschein und Sonnenuntergang, dies mit Liebe und Empfindsamkeit versüßlicht, um es glatter hinterzubringen, sind ungefähr die Ingredienzien, aus denen das ganze Heer der neusten Erzählungen, vom Petermännchen bis zur Burg Otranto, vom Genius bis zum Hechelkrämer, besteht. Der Marquis von Grosse hat dem Geschmack aller Lesegesellschaften eine andere Richtung gegeben, aber sie haben sich zugleich an seinem spanischen Winde den Magen verdorben; mit Herrn Spieß hat man sich gewöhnt, überall und nirgends zu sein; und keine Erzählung darf jetzt mehr Anspruch machen, gelesen zu werden, wenn der Leser nicht vorhersieht, daß ihm wenigstens die Haare dabei bergan stehen werden.

Um kurz zu sein, lieber Leser, will ich dir nur mit dürren Worten sagen: daß in der unbedeutenden Geschichte meines bisherigen Lebens, die ich dir jetzt erzählen will, kein Geist oder Unhold auftritt; ich habe auch keine Burg zerstört, und keinen Riesen erlegt; sei versichert, ich sage dies nicht aus Zurückhaltung, denn wäre es der Fall gewesen, ich würde dir alles, der Wahrheit nach, erzählen.

Auch muß ich dir leider noch bekennen, daß ich mich in keine geheime Gesellschaft habe einweihen lassen; ich kann dir also keine mystischen und hieroglyphischen Zeremonien beschreiben, ich kann dir nicht das Vergnügen machen, Sachen zu erzählen, von denen du nicht eine Silbe verstehst. –

Musäus faßte die glückliche Idee, durch seine Volksmärchen das Gewimmere und Gewinsle der Siegwartianer zu übertönen. Es ist ihm auch wirklich so sehr gelungen, daß das pecus imitatorum unzählbar ist. Alles hat sich rasch die Tränen der Empfindsamkeit aus den Augen gewischt, die Zypressen und Myrten im Haare sind verwelkt, statt der Seufzer hört man Donnerschläge, statt eines Billet doux oder eines Händedrucks, nichts als Gespenster und Teufel! –

Das ist jetzt auf der großen Chaussee der Messen ein Fahren und Reiten! Hier ein Schriftsteller, der mit seinem Helden geradewegs in die Hölle hineinjägt; dort eine Kutsche, hinter der, statt des Lakais, ein glänzender Genius steht; dort galoppiert ein andrer, und hat seinen Helden auf dem Pferde vor sich; dort wird einer sogar auf einem Esel fortgeschleppt, und droht in jedem Augenblick herunterzufallen; – o Himmel! man ist in einer beständigen Gefahr, zertreten zu werden! – Wohin ich sehe, nichts als Revolutionen, Kriege, Schlachten, und höllische Heerscharen! – Nein, ich vermeide diese geräuschvolle Landstraße, und schlage dafür lieber einen kleinen Fußsteig ein – was tut's, wenn ich auch ohne Gesellschaft gehe; vielleicht begegnet mir doch noch ein guter unbefangener Mensch, der sich, ebenso wie ich, vor jenen schrecklichen Poltergeistern fürchtet! –

Aber wird es nicht bald Zeit werden, meine versprochene Geschichte anzufangen? – Ich sehe, die Leser, die mir noch übriggeblieben sind, fangen auch schon an zu blättern, und sich wenigstens nach einigen Vorfällen umzusehn. – Zuvor muß ich aber doch noch um eine kleine Geduld ersuchen. –

Ich weiß nämlich nicht, ob die Lektüre meiner Leser nicht zuweilen in manche Fächer hineingeraten ist, wo man sich daran gewöhnt, Schriftsteller recht viel von sich selbst sprechen zu hören. Doch, Sie werden ja wohl in manchen unsrer deutschen Journale bewandert sein.

Ich heiße, wie Sie vielleicht schon werden gemerkt haben, Lebrecht; ich wohne auf einem kleinen Landhause, in einer ziemlich schönen Gegend. Ich schreibe diese Geschichte also nicht aus einem Gefängnisse, noch weniger den Tag vor meiner Hinrichtung, ob es Ihnen gleich vielleicht außerordentlich vielen Spaß machen würde. Ich bin nicht melancholisch, noch engbrüstig, ebensowenig bin ich verliebt, sondern meine gute junge Frau sitzt neben mir, und wir sprechen beständig ohne Enthusiasmus oder zärtliche Ausrufungen miteinander; – ja, ich weiß am Ende wahrlich nicht, wo das Interesse für meine Erzählung herkommen soll. –

Sehn Sie, meine Geschichte ist zwar nicht ganz gewöhnlich und alltäglich, aber es fehlt ihr doch das eigentlich Abenteuerliche, um sie anziehend zu machen; – die einzige Hoffnung, meine schöne Leserinnen, die mir übrigbleibt, ist, daß Sie gerade von der Langeweile so geplagt werden, daß Sie mich aus bloßer Verzweiflung lesen.

Ich muß Ihnen also zuvörderst bekennen, daß ich ein Mitglied der katholischen Kirche bin. –

Nicht wahr, Sie lachen über die albernen Vorurteile, daß ich dies noch mit in Anschlag bringe?

Freilich ist man jetzt so aufgeklärt, daß man gar keinen Unterschied unter den Religionsparteien mehr macht; man fängt selbst an, die Juden nicht mehr für eine andere Art von Menschen zu halten; die beliebten Unterredungen und Dispüten drehen sich alle um diesen Gegenstand; man schätzt jede andre Religion mehr, als die, zu welcher sich unsre Eltern bekennen, ohne weder mit der einen noch der andern Partei bekannt zu sein – o was haben wir nicht in den neuern Zeiten für Fortschritte in der Toleranz gemacht!

Aber ich habe nun schon viele der eifrigsten Bekenner der Toleranz gesehen, die einen andern Menschen darum haßten, weil er ein Aristokrat nach ihrer Meinung war; jener wütete wieder gegen den Demokraten.

Ach, die meisten Menschen müssen immer einen Titel haben, unter welchem sie leben können. Der verfolgte Parteigeist ist aus der Religion in die Politik übergegangen; der Himmel verhüte, daß wir hier nicht ebenso entehrende Verirrungen des menschlichen Herzens erleben! –

Ich bin also, um es dem Leser noch einmal zu wiederholen, Katholik; (Demokraten und Aristokraten kannte man in jenem Zeitpunkt noch nicht, in welchen meine Geschichte fällt;) und zum Verständnis dieser Geschichte ist es notwendig, daß der Leser die Rubrik wisse, unter welcher ich als Bekenner des Christentums stehe; darum wird er mir die Mitteilung dieser Nachricht verzeihen.

Ich erinnere mich mit Vergnügen der Vergangenheit; möge es dem Leser nicht beschwerlich fallen, mir zuzuhören.

Und nun zu meiner Geschichte. –

Diejenigen, die dies erste Kapitel gelesen haben, werden wahrscheinlich auch die folgenden lesen, denn ich habe mit Vorbedacht das langweiligste vorangestellt. –

Zweites Kapitel. Meine Jugend – Erziehung – Universitätsjahre – ich bekomme eine Hofmeisterstelle

Inhaltsverzeichnis

Man sieht sogleich, daß ich mich nicht sehr bei der Erzählung meiner Jugendgeschichte aufzuhalten denke, ob sie gleich, in der Manier vieler unsrer Romanschreiber dargestellt, einen mäßigen Band füllen könnte. – Aber ich denke, das lesende Publikum hat schon seit lange genug und übergenug an den pädagogischen Untersuchungen, Erzählungen von Universitätsvorfällen, und dergleichen. Ich verstehe es nicht, alle diese Armseligkeiten wichtig zu machen, darum will ich nur schnell darüber hingehn. –

Als zuerst meine Gedanken erwachten, traf ich mich in einem kleinen Hause eines Dorfes. Ich erinnere mich noch deutlich einer Weide, die vor unsrer Türe stand, und in deren Zweigen der Schein der Sonne flimmerte. Ein bräunlicher Mann, den ich Vater, und eine sehr freundliche Frau, die ich Mutter nannte, waren meine täglichen Gesellschafter. Außerdem hatte ich noch einen Bruder und eine Schwester.

Ich lebte den einen Tag fort, wie den andern, und auf diese Art wird man nach und nach älter, man weiß selbst nicht wie es geschieht. Ich half meinem Vater in Kleinigkeiten auf dem Felde, oder meiner Mutter in der Wirtschaft, oder schlug mich mit meinem Bruder herum. Kurz, mir verging die Zeit sehr geschwind, und ich hatte nie Ursache über Langeweile zu klagen.

Meine Erziehung war die einfachste, und vielleicht auch die beste von der Welt. Ich stand früh auf, und ging früh wieder schlafen. An Bewegung fehlte es mir nicht; meine Mutter Marthe schlug mich zuweilen, wenn ich unartig war, trotz ihrer Freundlichkeit, sonst ließ sie mir allen möglichen Willen. Ich sprang, lief und kletterte; fiel ich, so war es meine eigene Schuld, und mein eigener Schade; bekam ich von einem größern Jungen, den ich geneckt hatte, Schläge, so bedauerte mich niemand; hatt ich mich am Abend unter meinen kleinen Freunden verspätet und erkältet, so war ich am folgenden Abend desto vorsichtiger.

Marthe hatte kein pädagogisches Werk studiert, aber sie erzog mich ganz nach ihrem geraden Menschenverstande, und ich danke es ihr noch heute, daß man mich nach keinem Elementarwerk oder Kinderfreunde, in keinem Philantropin oder Schnepfenthal verbildete, daß man mich nicht schon im sechsten Jahre zum Philosophen machte, um zeitlebens ein Kind zu bleiben, wie das bei so manchen Produkten unsrer modernen Erziehung der Fall ist. –

Die Gegend des Dorfes war schön und abwechselnd; und auf meinen einsamen Spaziergängen erwachte zuweilen ein gewisses dunkles Gefühl in mir, ein Drang, etwas mehr zu wissen und zu erfahren, als ich bisher gelernt hatte. Vorzüglich, wenn die Glocke die Leute zur Kirche einlud, und nun die alten Frauen, ihren Rosenkranz still betend, daherwackelten, befiel mich eine Art von heiligem Grauen, noch mehr aber, wenn der Priester nun selber kam, und sich jeder im Zuge ehrfurchtsvoll vor ihm neigte, und ich nachher aus der Ferne den Gesang aus der Kirche vernahm. – Bei jeder Mönchskutte empfand ich eine unwillkürliche Ehrfurcht, und trotz dieser entstand bald der Wunsch in mir, auch einst so einherzutreten, und von jedem Vorübergehenden den Zoll der Ehrerbietung einzusammeln. Ich hing im stillen diesem Wunsche immer mehr nach, und erwachte oft sehr unangenehm aus meinen schönen Träumen, wenn der Vater mich mit aufs Feld nahm, um ihm in seiner Arbeit zu helfen.

So tief liegt die Sucht, sich über seine Nachbarn zu erheben, in der Seele des Menschen. Ich schien auch für den Stand, den ich mir wünschte, wie geboren. In meiner Kindheit war es gar nicht meine Sache, viel über einen Gegenstand nachzudenken, oder wohl gar an irgend etwas zu zweifeln. Marthe mochte mir noch so ungeheure Märchen erzählen, ich hätte mich für die Authentizität des Siegfried und der Haimonskinder totschlagen lassen; jeden Fremden, den ich durch unser Dorf wandern sah, betrachtete ich sehr genau, ob es nicht etwa der ewige Jude Ahasverus sei.

Man erstaunte über meine großen und seltenen Talente zum geistlichen Stande; besonders gewann mich der Pater Bonifaz eines benachbarten Klosters sehr lieb. Er sah meine tiefe Andacht in der Kirche, die Festigkeit meines Glaubens, meinen Abscheu gegen jede Art von Ketzerei – o wie viel Mühe gab sich der gute Mann, mich vollends für die gute Sache zu gewinnen!

»Dieser Knabe«, rief oft Bonifaz in hoher Begeisterung, »ich ahnde es, wird einst ein Schutzgeist und Reformator der rechtgläubigen Kirche werden; ein Schwert in der Hand Gottes gegen die Ketzer, eine Geißel gegen die Freigeister und Gotteslästerer, ein Vernichter der Rezensenten und Literaturzeitungen, eine Qualmbüchse den Fackeln der Aufklärer!«

Ich verstand zwar von diesen Deklamationen nichts, aber doch nahm ich mir vor, die Prophezeiung meines teuren Bonifaz nicht zuschanden werden zu lassen.

Der Pater nahm itzt selbst die Mühe auf sich, mich zu unterrichten, da ich in der Schule des Dorfes kein vorzüglicher Gelehrter werden konnte. Er bemerkte bald, daß ihm meine Fähigkeiten den Unterricht sehr erleichterten, denn ich lernte in sehr kurzer Zeit Lesen und Schreiben, auch begriff ich bald so viel vom Lateinischen, daß ich meinem Lehrer sehr verfängliche Fragen vorlegte, die er sich nicht zu beantworten getraute.

Meine Eltern sahen mich als ein Wundertier an, und wurden ernstlich darauf bedacht, meine ungeheuren Talente nicht ganz verlorengehen zu lassen. Pater Bonifaz schlug ihnen vor, mich in die nächste Stadt auf ein Gymnasium zu schicken, und dieser Vorschlag ward bald von ihnen genehmigt. Als mir dieser Entschluß angekündigt ward, erfuhr ich zugleich einen andern Umstand, der eigentlich für mich von der größten Wichtigkeit hätte sein sollen.

Meine Mutter sagte mir nämlich, daß sie und mein Vater nicht meine wahren, sondern nur meine Pflegeeltern wären, daß sie mir aber den Namen meines wirklichen Vaters, verschiedener Ursachen wegen, nicht nennen könne; dieser wünsche indessen, daß ich mich dem geistlichen Stande widme, und wolle mich daher studieren lassen.

Diese Nachricht machte eben keinen besondern und bleibenden Eindruck auf mich, so überraschend sie vielleicht jedem andern Kinde gewesen sein würde. – Meine Eltern gaben mir ihren Segen und ihre Tränen mit auf den Weg, Pater Bonifaz hielt eine lange sehr rührende Rede, und ich reiste nach der Stadt ab.

In dieser Stadt war zugleich eine katholische Universität, und ich hatte also gleich die bequemste Gelegenheit, vom Schüler zum Juristen zu avancieren, denn so nannte man hier die Studenten, da man unter dem Namen Student jedweden Schüler begriff.

Man hatte mich an den Professor X... gewiesen, und dieser nahm sich meiner fast väterlich an; an ihn war das Geld adressiert, das ich vierteljährlich empfing; und ihm hab ich vorzüglich die Aufklärung meines finstern Kopfes zu verdanken. Er zerstreute nach und nach die schwarzen Phantome, die durch Bonifaz bei mir einheimisch geworden waren, ein Sonnenstrahl der Vernunft fiel in die dunkeln Gänge des Aberglaubens, und ich ward unmerklich ein ganz andres Wesen.

So lebt ich ein Jahr nach dem andern, und war ziemlich fleißig. Ich verließ die Schule, und ward nun im eigentlichsten Verstande Jurist, denn die Theologie war mir itzt zuwider. – Ich vollendete den Kursus, und stand nun da, als ein förmlich gemachter Mann, aber ohne irgend zu wissen, was ich nun in der Welt mit meiner Gelehrsamkeit anfangen solle. Ich hatte mich mit hunderterlei Sachen angefüllt, ohne mich nur ein einzigesmal zu fragen: wozu?

Glücklicherweise hatte ich neben den juristischen Wissenschaften auch Sprachen und etwas Philosophie studiert; und mein Beschützer, der Professor X... tat mir itzt einen Vorschlag, den ich sogleich mit beiden Händen ergriff.

Aus W.... hatte ihm der Präsident von Blumbach geschrieben, er sei für seine Söhne um einen Hofmeister verlegen, und bäte ihn also, ihm ein schickliches Subjekt vorzuschlagen. X... warf seine Augen auf mich, ich ward vom Präsidenten angenommen; X... gab mir noch manchen guten Rat mit, womit ich aber noch nicht recht umzugehen wußte, und so machte ich mich auf den Weg nach der großen Stadt W....

Drittes Kapitel. Der Leser wird sehen, daß ich ein Narr bin

Inhaltsverzeichnis

Ich setzte mich mit großer Zufriedenheit in den Wagen, der mich an den Ort meiner Bestimmung bringen sollte. Ich ward in eine mir ganz unbekannte Welt hineingefahren, ohne Menschenkenntnis und Kenntnis meiner selbst, ohne genau zu wissen , wer ich sei; nur mit dem Namen Lebrecht ausgestattet, der, wenn er mir auch eigentlich nicht zukam, mir doch immer als Vorschrift dienen konnte, nach der ich handelte.

Indem der Wagen fuhr und der Kutscher fluchte, fing ich an bei mir selbst zu überlegen, von welcher Art meine künftige Beschäftigung sein würde, und ob ich dem Amte auch wohl gewachsen wäre, das man mir anvertraute. – Ich ließ alle meine Kenntnisse und Talente die Revue passieren, und war nicht wenig mit mir selbst zufrieden, als ich die ganze große Masse übersah.

»Ich verstehe Latein und Griechisch«, sagte ich ziemlich laut zu mir selbst, doch so, daß es der Kutscher nicht hören konnte; »etwas Französisch, die Geschichte der alten und neuen Welt kann ich an den Fingern hererzählen, dabei bin ich ein guter Jurist, und verstehe vortrefflich mit den Atquis und Ergos umzugehn. Habe ich nicht einmal disputiert und dreimal opponiert? Ließ ich nicht zur Freude der ganzen Universität den Disputanten neulich in das scharfsinnigste Dilemma laufen, daß er weder vor- noch rückwärts konnte?«

Ich bekam eine ordentliche Ehrfurcht vor mir selber, denn ich hatte noch nie die Bilanz zwischen dem, was ich wußte und nicht wußte, so genau gezogen. Ich hatte das Schicksal der meisten jungen Leute, die den ersten Ausflug in die Welt versuchen. Sie haben sich von Jugend auf nur mit sich selbst beschäftigt, und sich doch kaum von einer Seite kennen lernen, sie bemerken an sich selbst nur Vorzüge, an jedem andern nur Fehler. Mit der Miene der Unparteilichkeit treten sie auf die Waagschale, um zu wiegen, wieviel sie wert sind: mit selbstgefälligem Lächeln blicken sie umher, da sie so tief niedersinken, und bemerken nicht, daß auf die andere Schale noch keine Gewichte gestellt sind.

Die Straße war sehr besucht und jedermann, der vorbeiging, grüßte mich sehr freundlich und ehrerbietig, wer vorbeifuhr, sahe neugierig in den Wagen hinein und machte nicht selten ein spöttisches Gesicht. Doch ich ließ mich alles dies nicht kümmern.

Es war ein schönes Frühlingswetter und die Gegend, durch welche ich reiste, angenehm und abwechselnd. Meine Phantasie ward von den reizenden Gegenständen, die mich umgaben, angefrischt, ich erinnerte mich gerade zur rechten Zeit, daß ich auch ein paarmal Verse gemacht hätte, um in eine Menge von süßen Träumen zu fallen. Ich hatte mancherlei sehr empfindsam Sachen gelesen und die menschliche Gesellschaft kam mir als eine große, zärtliche Familie vor, in welcher sich nur zuweilen ein Kind vom rechten Wege verliert und nur der Zärtlichkeit bedarf, um sogleich wieder zurückgeführt zu werden. Ich nahm mir also vor, ein recht edler, fein empfindender Mensch zu werden, um recht viele Verirrte wieder auf den rechten Weg zu bringen; mir stiegen die Tränen in die Augen, wenn ich mir die vielen Edeltaten lebhaft vorstellte, die ich gewiß noch verüben würde. Besonders aber ward mein Herz gerührt, wenn ich überlegte, welche innige und zärtliche Herzensfreunde ich aus meinen künftigen Eleven bilden müßte, wie vielen Dank mir die Eltern schuldig sein würden, welchen Nutzen der Staat aus meiner Erziehungskunst zöge, wie die ganze Welt meiner künftig mit Ehrfurcht und Rührung erwähnen sollte.

»Ja«, rief ich in meinem Enthusiasmus aus – »die Menschen sind gut, wenn man ihnen nur mit Liebe entgegenkommt, die Welt ist schön, wenn man nur zu leben versteht! – Ja, ich werde glücklich sein, mein Glück im Glücke meiner Brüder suchen. – O kommt an mein Herz, ihr Unglücklichen und Leidenden, hier findet ihr Trost und Hülfe; kommt an meine Brust, ihr Verfolgten und Verirrten, hier findet ihr keinen Haß und keine Unversöhnlichkeit! Die lauterste, reinste Menschenliebe springt für euch in diesem Herzen.«

Ich streckte meine Arme sehnsuchtsvoll aus, es schien, als wenn die sonnenbeglänzte Welt meiner Umarmung entgegenstrebe.

Der Fuhrmann, der im letzten Wirtshause etwas zuviel getrunken hatte, wollte in einen Nebenweg einlenken – unglücklicherweise lief das Hinterrad über einen Erdhügel, die Pferde gingen weiter – der Wagen knackte und fiel in demselben Augenblicke um.

Der Fuhrmann raffte sich auf, sah seine Kutsche auf einen Augenblick an und fing dann auf die kaltblütigste Weise von der Welt an, die gräßlichsten Flüche auszustoßen. Nach seinen Exklamationen war niemand als der Teufel mit allen höllischen Geistern an diesem Vorfalle schuld. Vom Schreck betäubt, lag ich noch immer im Wagen, bis mich der ergrimmte Fuhrmann hervorzog und sich dann Mühe gab, den Wagen wieder aufzurichten.

»Ist Er denn toll?« rief ich im höchsten Unwillen aus, als ich wieder auf den Beinen stand und zur Besinnung gekommen war.