Petruschka Piepenbrink - Petra Winter - E-Book

Petruschka Piepenbrink E-Book

Petra Winter

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Beschreibung

Petruschka Piepenbrink wird am 13. Februar 1963 in Berlin geboren. Wegen ihrer wirren Haare erhält sie den slawischen Vornamen. Auf Russisch und Polnisch heißt "Petruschka" Petersilie, ihre smaragdgrünen Augen runden das Bild ab. Wirr wie die Haare entwickelt sich auch ihr Leben. Mit drei Jahren bekommt sie ein Kindermädchen aufgedrückt, das ihr beim Kämmen ständig die Haare ausreißt. Aber auch eine Fee tritt in ihr Leben. Seitdem erlebt sie unglaubliche Dinge, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Bei einer Urlaubsreise nach Norwegen sinkt die Fähre. Sie wird in letzter Sekunde gerettet, aber die Eltern werden vermisst. Von jetzt auf gleich gerät ihr Leben total aus den Fugen. Trauer, Verzweiflung und Glück reichen sich die Hand. Die Eltern haben im Wasser treibend ihre Gedanken verloren. In ihrer Verzweiflung ruft sie die Fee zur Hilfe. "Stelle einen Heiltrank her, der die Erinnerung deiner Eltern wiederherstellt. Dafür hast du nur einen Sommer und einen Winter Zeit. Als Erstes musst du Lesen lernen. Ich schreibe die Zutaten auf einen Zettel, aber du darfst niemandem von meiner Existenz erzählen, sonst geht die Magie meines Zauberpulvers verloren", warnt die Fee. Ein Wettlauf gegen die Zeit.

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Inhalt

Petersilie

Die Fee

Freitag der Dreizehnte

Die Hütte

Das Fährunglück

Die Großeltern

Ein Hoffnungsschimmer

Der Heiltrank und Buchstabensalat

Der Iglu

Der Schlittenhund

Die Fischschuppe

Hilfe in der Not

Das Sommerhaus

Die Blaubeere

Lebensgefährliche Aufgabe

Das Tentakel

Die erste Mondfahrt 1969

Zurück in Berlin

Vita

Petersilie

Seit ich drei Jahre alt war, nervte ich meine Eltern immer wieder mit der Frage, warum ich Petruschka heiße, denn meine Freunde und alle um mich herum hatten deutsche Namen bekommen. »Damals war das so in Deutschland, in den sechziger Jahren.«

Endlich erzählten sie mir dann mal, wie das mit Petruschka gekommen war: Als ich am Freitag, den 13. Februar 1963, im Krankenhaus geboren war, fragte der Arzt, ob sie schon einen Namen für mich ausgesucht hätten. Meine Eltern schüttelten den Kopf. »Wir haben nicht damit gerechnet, dass sie früher zur Welt kommt,« meinten sie. Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Na ja, ich muss aber irgendetwas auf das Namensschild schreiben. Ohne Vornamen nehmen wir dann einfach das U… für Unbekannt!« Also hieß ich erstmal U. Piepenbrink.

Eine Woche später gingen meine Eltern dann zum Standesamt, um für mich, Miss Unbekannt, den Vornamen eintragen zu lassen. Am Vorabend hatten sie bei einem Glas Wein überlegt, welche Mädchennamen ihnen gefallen würden. Plötzlich erschreckte sie lautes, klägliches Geschrei von mir. Sie rannten herbei und sahen mich im Bettchen liegen, mit hochrotem Schädel und zerzausten Haaren, die wie Petersilienstängel vom Kopf abstanden. Meine Eltern schauten sich an und wussten ohne Worte: »Unser Kind nennen wir nicht Petra, sondern Petruschka.« Dieser slawische Vorname ist von Petra abgeleitet, kommt aber viel seltener vor. Auf Russisch und Polnisch heißt Petruschka – Petersilie.

Und was soll ich euch sagen? Wirr wie die Haare entwickelt sich auch mein Leben, ihr werdet es sehen. Und manchmal auch ganz schlimm …

Mit drei Jahren bekam ich ein Kindermädchen verpasst, die mir beim Kämmen ständig die Haare ausriss und auch sonst kein Vergnügen war. Eine Fee trat in mein Leben. Ich erlebte unglaubliche Dinge, schreckliche und schöne, Dinge, die ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Trauer, Verzweiflung und Glück reichten sich die Hand …

Aber noch ist es nicht so weit, zuerst beginnt alles richtig gut: Von klein auf betrachte ich mit meinen strahlenden smaragdgrünen Augen das Leben ganz genau. Schon früh fange ich an, vor mich hin zu brabbeln. Oft quietsche ich vor Vergnügen. Mit fünf Monaten lerne ich krabbeln und von da an ist nichts mehr sicher vor mir. Alles fasse ich an und stecke es in den Mund. Nicht alles findet meine Zustimmung. Bisweilen schleudere ich die Sachen von mir, die mir nicht schmecken. Aber richtig unheimlich wird es, wenn ich keine Geräusche mache, dann bin ich garantiert irgendwo auf Abenteuersuche unterwegs. Alle gefährlichen Sachen, wie Messer, Gabel, Schere und Licht, müssen meine Eltern gut verstecken. An jedem Tag, an dem ich die Augen öffne, lerne ich etwas Neues.

Ich werde schnell zum Liebling aller Verwandten. Oma Hilde und Opa Ernst sehen mich nicht so oft, sie wohnen in Friedenau und das ist ziemlich weit entfernt, wenn man kein Auto hat. Großtante Else ist die Schwester von Oma. Mehr Angehörige haben wir in Berlin nicht. In Norwegen leben Opa Lars, Oma Liv und Papas Bruder Björn.

Mein Papa heißt Ole und meine Mama Emma Piepenbrinck. Sie haben kurz vor meiner Geburt geheiratet und ein Haus im Bezirk Tegel gekauft. Ich soll in einer gepflegten Umgebung aufwachsen, fanden sie.

Weil Mama bald wieder in ihrem Beruf als Ärztin arbeiten will und Papa als Physiker in sein Institut zurückkehren muss, bekomme ich im Alter von drei Jahren ein Kindermädchen. Sie heißt Frau Roth. Ihren langen dünnen Zopf formt sie zu einer Schnecke und steckt die mit Haarnadeln am Hinterkopf fest. Sie ist irgendwie knorrig und sieht von Kopf bis Fuß grau aus. Wie alt sie ist, verrät sie niemandem.

Bevor meine Eltern morgens um sieben das Haus verlassen, um zur Arbeit zu fahren, schlüpft Frau Roth durch die Tür. Jeden Tag prüft sie genau, ob ich mich schon gewaschen und die Zähne geputzt habe. Beim Bürsten meiner Haare nimmt sie leider keine Rücksicht auf meine wilden Strähnen. Es ziept so sehr, dass ich immer denke, sie würde mir alle Haare ausreißen. Nach dem Kämmen fegt sie die rausgerissenen Haare zusammen und verlässt das Badezimmer. Ich blinzele mir die Tränen weg und fasse ängstlich mit der Hand an den Kopf. Meine Finger ertasten eine strubblige Masse, könnten das Haare sein? Rasch klettere ich auf einen Stuhl und schaue in den Spiegel. Erleichtert sehe ich, dass sie nicht alle erwischt hat. Puh! Und immerhin weiß ich, dass sie mich jetzt bis zum Mittag in Ruhe lässt.

Ich schaue aus dem Fenster. Wie gern wäre ich da draußen und würde mit dem Hasen spielen, der da durch unseren Garten hoppelt.

Schade, dass meine Eltern nicht hier sind! Sie spielen immer lustige Spiele mit mir und haben mich lieb. Frau Roth kann mich ganz bestimmt nicht leiden, sonst wäre sie nicht so böse zu mir.

Mit meiner Kinderfrau läuft jeder Tag gleich ab. Um zwölf Uhr gibt es Mittagessen und danach muss ich eine halbe Stunde ruhen. Danach geht es raus auf den Spielplatz. Da sitzt Frau Roth dann wie angenagelt auf der Bank und gibt immer wieder Kommandos: »Pass auf! Mach dein Kleid nicht schmutzig! Klettere nicht auf das Gerüst, da stürzt du ab!« Ich stelle mir manchmal vor, wie ich ihr einfach einen Korken in den Mund stecke, damit ich sie nicht mehr höre. Abends frage ich wieder einmal meine Eltern, warum Frau Roth kommen muss.

Sie erklären es mir geduldig noch einmal: Es sind keine Verwandten in der Nähe, die auf mich aufpassen könnten. Weil Mama und Papa aber das neue Haus gekauft haben, das sehr teuer war, müssen sie beide Geld verdienen und jeden Tag zur Arbeit gehen. Ich sage ihnen, dass ich finde, ich könnte schon gut auf mich alleine aufpassen. Leider sind sie von dieser Idee aber nicht so begeistert wie ich. Sie meinen, ich solle es ihnen nicht so schwermachen und ganz lieb sein bei Frau Roth, dann würde sie sicher bald auch viel netter werden. Ich denke mir, dass das bestimmt nicht klappen wird, aber ich sage nichts mehr.

So kommt es, dass Frau Roth bei mir all meine Sinne schärft. Durch sie lerne ich, mich geräuschlos im Haus zu bewegen. Im ganzen Haus und überall im Garten baue ich mir Verstecke. Wenn sie mal wieder zu viel rumschreit, stecke ich mir Stöpsel in die Ohren. Meistens versuche ich, ihr aus dem Weg zu gehen.

Nur morgens zum Waschen und Zähneputzen gelingt es mir nicht, ihr zu entkommen. egal wie leise ich zur Tür schleiche.

Auch wenn ich noch so vorsichtig die Klinke runterdrü-cke und durch einen schmalen Spalt linse, wird im gleichen Moment die Tür mit einem Ruck aufgerissen und ich schaue in die blitzenden Augen meiner Kinderfrau. Ihre knochigen Hände sind unerbittlich, sie dreht mir zur Strafe das rechte Ohr um und schleift mich ins Badezimmer. Ich schweige, aber insgeheim schreie ich ihr alle boshaften Ausdrücke, die ich überhaupt nur kenne, ins Gesicht. Natürlich nicht laut, ich bin ja nicht dumm. Manchmal bilde ich mir aber ein, dass sie die Worte in meinen Augen ablesen kann.

Wenn wir fertig sind, schleiche ich mich manchmal auf mein Zimmer und muss weinen. Können meine Eltern denn keine nette Kinderfrau finden? Sie sagen, dass sie bisher keinen Erfolg hatten bei der Suche. Und dass Frau Roth nicht so viel kostet wie wahrscheinlich andere Kindermädchen. Als ich mich das letzte Mal bei Mama beklagt habe, hat sie traurig geguckt. Ich will aber nicht, dass Mama traurig guckt. Deshalb habe ich beschlossen, nichts mehr zu sagen.

Die Fee

Und dann, nach einem besonders schlimmen Morgen im Badezimmer mit Frau Roth, geschieht eines Tages ein Wunder. Ich stehe am leicht geöffneten Fenster und starre traurig in den Garten, als plötzlich goldener Glitzerstaub auf mein Fensterbrett rieselt. Da ich nicht begreife, woher der Staub kommt, öffne ich das Fenster weit. Plötzlich schwirrt dicht an meinem Kopf etwas vorbei, etwas Kleines, Zartes, Funkelndes … So etwas habe ich noch nie gesehen. Was ist das? Ich reibe mir die Augen, weil ich es nicht glaube, was ich vor mir sehe.

Eine kleine zauberhafte Gestalt verneigt sich vor mir wie vor einer Königin. Sie ist so groß wie ein halbes Wasserglas. Sie hat spinnenfeine helle Haare und trägt ein schimmerndes Kleidchen.

Ihre Flügel sind so zart wie von einem Schmetterling. Jetzt schüttelt sie sich, und wieder rieselt Goldstaub von den Flügeln herab.

Mit glockenklarer Stimme spricht sie zu mir: »Mein Name ist Alina, ich komme aus der Feenwelt. Ja, die gibt es, schau nicht so komisch.« Sie kichert leise, guckt dann aber wieder ernst. »Du musst wissen, dass ich gerade fertig bin mit der Feenschule. Ich darf also jetzt Aufträge übernehmen, verstehst du, um Kindern auf der Erde zu helfen.« Bevor ich noch etwas fragen kann, erzählt sie schon weiter:

»Ich lag gerade auf Wolke Sieben, um meine Flügel zu wärmen – weißt du, im Winter müssen wir gut auf unsere Flügel achten, sie sind so dünn und können abfrieren –, also ich lag da und in dem Moment klingelte das Wolkentelefon.

Mein Feenausbilder war am Apparat.»Alina«, sagte er,»auf der Erde gibt es ein Mädchen mit dem Namen Petruschka, die oft aus dem Fenster schaut und weint. Geh hin und frage, was sie so unglücklich macht.« Und siehst du, da bin ich! Bitte erzähl mir, was dich so traurig macht und womit ich dir helfen kann.«

Ich starre sie immer noch aus weit aufgerissenen Augen an. Kann das wahr sein? So ein kleines zartes Geschöpf will mir helfen? »Das Schlimmste ist für mich, wenn Frau Roth mir beim Kämmen die Haare ausreißt!«, platze ich heraus. Alina kichert.»Na, ich finde, du hast noch genug auf dem Kopf.« Doch dann antwortet sie ganz ernsthaft. »Weißt du, wir Feen haben verschiedene Zauberpulver, die uns magische Kräfte verleihen, damit helfen wir den Menschen, wenn sie uns brauchen.« Sie reicht mir einen kleinen Lederbeutel.»Darin ist Zauberpulver. Manchmal brauchst du es gar nicht, wenn du dir etwas nur Doll genug wünschst. Wenn das aber nicht klappt, greif in den Beutel und nimm vorsichtig ein paar Krümel Feenstaub heraus. Verstreue sie im Wind und der Wunsch erfüllt sich. Allerdings gibt es eine Bedingung: Du darfst niemanden verraten, dass es mich gibt, sonst geht der Zauber sofort verloren.«

Ich nicke schnell. Und wie ich aufpassen werde, dass mir das nie passiert! Da fordert mich Alina auf, eine Probe zu machen. »Ruf doch Frau Roth und überleg dir, was du dir wünschst, wenn sie kommt.« »Dass sie die Tür nicht aufbekommt«, entfährt es mir sofort. Alina lächelt und nickt und ich hole tief Luft und rufe die Kinderfrau. Es dauert nicht lange, da höre ich schon, wie ihre Schritte immer näherkommen.

Mir wird ein bisschen mulmig, deshalb gehe ich vorsichtshalber in Deckung. Voller Spannung beobachte ich, wie die Klinke sich langsam neigt. Jeden Moment wird jetzt die Tür aufgehen.

Ich schließe die Augen und halte die Luft an. Die Tür bleibt geschlossen.

Stattdessen wird die Klinke immer heftiger gedrückt, das Türschloss knarzt, aber so wild Frau Roth auch daran rüttelt, die Tür bleibt zu. »Petruschka, bist du da drin?«, schreit Frau Roth jetzt. Ich lege meinen Finger auf die Lippen, um der Fee zu zeigen, dass sie kein Geräusch machen soll. Nach einer Weile gibt die Kinderfrau auf und die Schritte entfernen sich wieder.