Pfisters Mühle: Ein Sommerferienheft - Wilhelm Raabe - E-Book

Pfisters Mühle: Ein Sommerferienheft E-Book

Wilhelm Raabe

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Beschreibung

Dieses eBook: "Pfisters Mühle: Ein Sommerferienheft" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältigkorrekturgelesen. Wilhelm Raabe wurde zu Zeiten Goethes geboren, und starb in der Zeit von Königin Victoria. Er erlebte einige Veränderungen seiner Umwelt, vor allem im Zusammenhang mit der Industrialisierung. Im Jahr 1884 drückte er seine Unzufriedenheit und Bedenken über diese Veränderungen in seinem Werk ""Pfisters Mühle"" aus. Pfisters Mühle gilt als der erste deutsche Umwelt-Roman. Die angesprochenen Thematiken der Naturverschmutzung durch Mensch und Industrie sind auch in der heutigen Zeit noch aktuell. Zur Handlung: Dr. phil. Eberhard Pfister aus Berlin, Gymnasiallehrer für Latein, Griechisch und moderne Sprachen, erzählt eine Geschichte aus der Gründerzeit. Alljährlich verunreinigt eine Zuckerfabrik während der Rübenkampagne den Bach und zerstört somit die Existenz seines Vaters, des Wassermüllers und ""Schenkwirts"" Pfister. Wilhelm Raabe, pseudonym: Jakob Corvinus (1831-1910) war ein deutscher Schriftsteller. Er war ein Vertreter des poetischen Realismus, bekannt für seine gesellschaftskritischen Erzählungen und Romane.

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Wilhelm Raabe

Pfisters Mühle: Ein Sommerferienheft

Der erste deutsche Umwelt-Roman: Veränderungen durch Industrielle Revolution

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-2726-9

Inhaltsverzeichnis

Erstes Blatt
Zweites Blatt
Drittes Blatt
Viertes Blatt
Fünftes Blatt
Sechstes Blatt
Siebentes Blatt
Achtes Blatt
Neuntes Blatt
Zehntes Blatt
Elftes Blatt
Zwölftes Blatt
Dreizehntes Blatt
Vierzehntes Blatt
Fünfzehntes Blatt
Sechzehntes Blatt
Siebzehntes Blatt
Achtzehntes Blatt
Neunzehntes Blatt
Zwanzigstes Blatt
Einundzwanzigstes Blatt
Zweiundzwanzigstes Blatt

UND IN DEM BLICK AUF DAS GANZE IST DER DOCH EIN STÄRKERER GEIST, WELCHER DAS LACHEN, ALS DER, WELCHER DAS WEINEN NICHT HALTEN KANN

Erstes Blatt

Inhaltsverzeichnis

Von alten und neuen Wundern

Ach, noch einmal ein frischer Atemzug im letzten Viertel dieses neunzehnten Jahrhunderts! Noch einmal sattelt mir den Hippogryphen; – ach, wenn sie gewußt hätten, die Leute von damals, wenn sie geahnt hätten, die Leute vor hundert Jahren, wo ihre Nachkommen das »alte romantische Land« zu suchen haben würden!

Wahrlich nicht mehr in Bagdad. Nicht mehr am Hofe des Sultans von Babylon.

Wer dort nicht selber gewesen ist, der kennt das doch viel zu genau aus Photographien, Holzschnitten nach Photographien, Konsularberichten, aus den Telegrammen der Kölnischen Zeitung, um es dort noch zu suchen. Wir verlegen keine Wundergeschichte mehr in den Orient. Wir haben unsern Hippogryphen um die ganze Erde gejagt und sind auf ihm zum Ausgangspunkte zurückgekommen.

Enttäuscht sind wir abgestiegen, und die Verständigen ziehen ihr buglahmes, keuchendes Tier in den Stall, und wir haben es ihnen schon hoch anzurechnen, wenn sie kopfschüttelnd und mit einem betrübten Seufzer das still tun und sich nicht durch irgendeine Redensart eines schlechte Geschäfte gemacht habenden Musterreiters ob ihrer Enttäuschung rächen und grinsen:

»Auf den Leim nie wieder!«

oder:

»Na, so blau!«

Jenseits dieser Verständigen sind dann einige, von denen wir, da wir höchstpersönlich unter ihnen beteiligt sind, nicht wissen oder nicht sagen können, ob sie zu den ganz Unverständigen gehören. Diese stehen und halten ihr Vogelpferd am Zügel und wissen nicht damit wohin, denken Kinder und Enkel und schütteln das Haupt. Durch die Wüste, über welcher der Vogel Rock schwebte, über welche Oberon im Schwanenwagen den tapfern Hüon und die schöne Rezia, den treuen Knappen Scherasmin und die wackere Amme führte, sind Eisenschienen gelegt und Telegraphenstangen aufgepflanzt; der Bach Kidron treibt Papiermühlen, und an den vier Hauptwassern, in die sich der Strom teilte, der von Eden ausging, sind noch nützlichere »Etablissements« hingebaut: wer hebt heute von unseren Augen den Nebel, der auf der Vorwelt Wundern liegt?

Wer? – Was? ist vielleicht die richtigere Frage. Ein leichter Hauch aus der Tiefe der Seele in diesen Nebel, und er zerteilt sich auch heute noch gradeso wie im Jahre siebenzehnhundertundachtzig. Das »alte romantische Land« liegt von neuem im hellsten Sonnenschein vor uns; wir aber erfahren mit nicht unberechtigtem Erstaunen, wie uns jetzt der »Vorwelt Wunder«, die wir in weiter Ferne vergeblich suchten, so nahe – dicht unter die Nase gelegt worden sind im Laufe der Zeiten und unter veränderten Umständen.

Zehn Schritte weit von unserer Tür liegen sie – zehn, zwanzig, dreißig Jahre ab –, als die Eisenbahn noch keine Haltestelle am nächsten Dorfe hatte – als der Eichenkamp auf dem Grafenbleeke noch nicht der Separation wegen niedergelegt war – als man die Gänseweide derselben Separation halben noch nicht unter die Bauerschaft verteilt und zu schlechtem Roggenacker gemacht hatte – als die Weiden den Bach entlang noch standen, als dieser Bach selber –

Nun, von diesem letztern demnächst recht vieles mehr! Er fließt zu bedeutungs-und inhaltsvoll durch die Wunder der mir persönlich so nahe liegenden Vorwelt, von welcher hier erzählt werden soll, als daß über seine Existenz mit einem Sprunge oder in drei Worten weitergeschritten werden könnte.

† † †

»Was schreibst du denn da eigentlich so eifrig, Mäuschen?« fragte die junge Frau; und der junge Mann, das eben vom Leser Gelesene, niedergeduckt durch die süße Last auf seiner Schulter, noch einmal seitwärts beäugelnd, meinte:

»Eigentlich nichts, Mieze. Bei genauesten Betrachtung aber leider nichts weiter als das, was du selber bereits längst durch gottlob ziemlich eingehendes und eifriges Studium herausgefunden hast. Nämlich, daß ein gewisser Jemand auch an einem so schönen Morgen wie der heutige der graueste aller Esel, der ›erschröcklichste aller Pedanten‹ und – kurz und gut eigentlich ›ein gräßlicher Mensch‹ ist.«

»Dann klapp das dumme Zeug zu und komm herunter und erzähle mir das übrige draußen. Ein schrecklicher Mensch bist du, und ein himmlischer Morgen ist es. Die Wildtauben gurren immer noch in den Bäumen, und von dir, mein Schatz, verbitte ich mir hoch und höchst alles fernere Geknurre und Gedruckse. Komm herunter, Ebert –

›Das Wasser rauscht zum Wald hinein, Es rauscht im Wald so kühle; Wie mag ich wohl gekommen sein Vor die verlassene Mühle?‹«

Mit heller, lustigster Stimme machte sich die liebe Kleine ihre eigene Melodie zu dem wehmütig-schönen, melodischen Verse, und mir blieb wirklich nichts übrig, als unter meine unmotivierte Stilübung dahin drei Kleckse zu machen, wo im Druck vielleicht einmal drei Kreuze stehen, und mich hinunterziehen zu lassen unter die alten Kastanienbäume, in deren Wipfel die wilden Tauben immer noch in den Sommermorgen hineingurrten.

Zweites Blatt

Inhaltsverzeichnis

Zu leeren Tischen und Bänken

Es war ein eigen Ding um die Mühle, von der hier die Rede ist. Im Walde lag sie nicht, und verlassen war sie grade auch nicht. Ich hatte sie nur verkauft – verkaufen müssen –, aber vier volle Sommerwochen war sie noch einmal mein Eigentum. Dann erst traten die neuen Besitzer in ihr ganzes Recht an ihr. Ich hatte mir das nicht so ausbedingen und es mir schriftlich geben lassen können, aber die jetzigen Herren hatten gegen meine »seltsame Idee« nichts einzuwenden gehabt, sondern mich und meine Frau sogar recht freundlich eingeladen, bis zum Beginn des Baus ihrer großen Fabrik auf ihrem Besitz ganz zu tun, als ob wir daselbst noch zu Hause wären. Einmal also sollte ich sie noch für mich haben, wie ich sie seit meinem ersten Augenaufschlagen in dieser Welt kannte und in meinen besten Erinnerungen mit ihr verwachsen war. Nachher durften freilich die neuen Herren mit ihr anfangen, was sie wollten: ich und mein Weib hatten weder ein Wort noch einen Seufzer dreinzugeben. Ich wußte schon, daß sie, die nunmehrigen Eigentümer, sich große Dinge mit ihr vorgenommen hatten, für mich aber konnte leider Gottes mein Vätererbe nichts weiter sein als ein großes Wunder der Vorwelt, ein liebes, vergnügliches, wehmütiges Bild in der Erinnerung. Und ich hatte meine junge Frau dies Jahr, das erste Jahr unserer Ehe, nicht nach der Schweiz, nach Thüringen oder in den Harz in die Sommerfrische geführt, sondern nach meiner verlassenen Mühle. Was sollte daraus werden, wenn das Weib dem Manne nicht in seine besten Erinnerungen zu folgen vermochte? Schnezlers Romanze hatte sie meinem »ewigen Gesumme« im Eisenbahnwagen von Berlin her bereits so ziemlich abgelauscht und abgelernt und mehr als einmal dabei gesagt: »Bald kann ich’s auch auswendig, Miezchen!«, wobei sie dann hinzusetzte: »Auf deine väterliche Heimat bin ich aber doch sehr gespitzt, mein Herz.« – –

Meine väterliche Heimat! Daß ich gespitzt oder gespannt auf meinen Aufenthalt und mein unwiderruflich Abschiednehmen dort gewesen sei, kann ich nicht sagen. Der Ausdruck, selbst aus dem Munde der Liebe oder grade aus diesem lieben, zärtlichen Mündchen, war mir auch gar nicht zu Sinne, wenn ich gleich im Rädergerassel, in ein Geschrill der Dampfpfeife und dem Getümmel der Bahnhöfe nicht wußte, wie ich ihn verbessern sollte.

In den Wald hinein rauschte das Wasser nicht, das die Räder meiner Mühle in meinen Kindheits-und Jugendtagen trieb. In einer hellen, weiten, wenn auch noch grünen, so doch von Wald und Gebüsch schon ziemlich kahl gerupften Ebene war sie, neben dem Dorfe, ungefähr eine Stunde von der Stadt gelegen. Aus dem Süden kam der kleine Fluß her, dem sie ihr Dasein verdankte. Ein deutsches Mittelgebirge umzog dort den Horizont; aber das Flüßchen hatte seine Quelle bereits in der Ebene und kam nicht von den Bergen. Wiesen und Kornfelder bis in die weiteste Ferne, hier und da zwischen Obstbäumen ein Kirchturm, einzelne Dörfer überall verstreut, eine vielfach sich windende Landstraße mit Pappelbäumen eingefaßt, Feld-und Fahrwege nach allen Richtungen und dann und wann auch ein qualmender Fabrikschornstein – das war es, was man sah von meines Vaters Mühle aus, ohne daß man sich auf die Zehen zu stellen brauchte. Aber die Hauptsache in dem Bilde waren doch, und dieses besonders für mich, die Dunstwolke und die Türme im Nordosten von unserm Dörfchen. Mit der Natur steht die Landjugend auf viel zu gutem Fuße, um sich viel aus ihr zu machen und sie als etwas anderes denn als ein Selbstverständliches zu nehmen; aber die Stadt – ja die Stadt, das ist etwas! Das ist ein Entgegenstehendes, welches auf die eine oder andere Weise überwunden werden muß und nie von seiner Geltung für das junge Gemüt etwas aufgibt.

Was alles, worüber ich heute noch Rechenschaft ablegen kann, habe ich erlebt in dieser Pappelallee, auf dem Wege von und nach der Stadt!

Und sie stand noch dazu in einem ganz ausnahmsweise angenehmen Verhältnis zu uns in der Mühle, diese Stadt!

Dutzende von nunmehr vermorschenden Tischen und Bänken unter unsern Kastanien und Linden, in Gebüsch und Lauben, auf behaglichen Rasenflecken zeugen noch davon. Heute haben Emmy und ich die Auswahl unter allen diesen behaglichen Plätzen und das Reich allein an allen Tischen und auf allen Bänken. Es hindert uns nichts mehr, in meines Vaters Grasgarten, um der Sonne auszuweichen oder sie zu suchen, mit dem Buch und der Zigarre, der Häkelarbeit und der Kaffeekanne um ein paar Schritte weiterzurücken; aber einst war das anders.

Es gab eine Zeit, wo Emmy mehr die Auswahl unter den Studenten aus der Stadt als unter den Plätzen im Mühlengarten gehabt hätte. Aber nicht bloß unter den Studenten. Es gab damals keinen angenehmern Ruf als den meines Vaters mit seinem kühlen Bier, seinem heißen Wasser zum billigen Kaffeekochen und seiner süßen und sauern Milch. Sie kannten alle in der Stadt unsere Mühle, groß und klein, Gelehrte und Ungelehrte, hohe Regierende und niedere Regierte.

Wir waren von Urväterzeiten die Leute darnach und lieferten den Bauern im Dorf und den Bäckern in der Stadt nicht bloß das Mehl, sondern auch noch einiges andere zu dem allgemeinen Behagen der Welt. Soweit die deutsche Zunge klingt, sitzen heute noch Alte Herren auf Kathedern, Richterbänken und an Krankenbetten, ganz abgesehen von denen, die allsonntäglich auf Kanzeln stehen; und in die Schulstube, den Schwurgerichtssaal, die Krankenstube und das Räuspern und Schnauben der »christlichen Zuhörer« summt es ihnen aus zeitlich und räumlich entlegener Ferne:

»Weende, Nörten, Bovenden Und die Rasenmühle, Das sind Orte, wo man kann Sich behaglich fühlen.«

Die Rasenmühle ist es freilich nicht, von welcher hier die Rede ist; aber es wiederholt sich gottlob manches Gute und Erquickliche an andern Orten unter andern Namen. Auch mein väterlich Anwesen hat seine Stelle in mehr als einem ältern Studentenliede, und wir, die Pfister von Pfisters Mühle, können nichts dafür, daß künftige Generationen, wenn sie ja noch singen, nicht mehr von ihm singen werden.

Drittes Blatt

Inhaltsverzeichnis

Wie Sardes, Frau!

Ich klappte das dumme Zeug zu, und es hatte wirklich keiner weitern Überredungskunst und Kraft bedurft, um mich dazu zu bewegen. Emmy hatte für den heutigen Morgen ihr und also auch mein Plätzchen in einer zerzausten Laube dicht am Flusse gewählt, wo man im Schatten saß und das Licht auf dem muntern Wasser und den Wiesen drüben im vollen Morgenglanze vor sich hatte.

Die Wildtauben gurrten über uns, im Schilf schnatterte eine Entenschar, hielt uns fest im Auge und achtete auf die Bissen, die von unserm Frühstückstische für sie abfielen. Ein Storch ging am andern Ufer in der Sonne spazieren, und Emmy sagte:

»Guck mal den! Eine volle halbe Stunde schon achte ich hier allein in der Einsamkeit auf ihn, und manchmal guckt er auch hier herüber, als wollte er sagen: Siehst du, ich stehe nicht bloß im Bilderbuche und sitze im Zoologischen Garten gegen eine halbe Mark Eintrittsgeld an Wochentagen, sondern –«

»Ich bin eine Wirklichkeit, eine wirkliche, wahrhaftige Wirklichkeit, und ich fange auch nicht bloß Frösche, sondern Kinder; und weise Frauen und nicht bloß gelehrte, sondern auch kluge Männer wollen nicht bloß nach der Tradition, sondern auch aus eigener Erfahrung als ganz gewiß wissen –«

»Du, höre mal, närrischer Dummrian«, meinte meine neunzehnjährige blonde Matrone, mich jetzt ihrerseits wieder unterbrechend, aber dabei doch noch ein wenig mehr sich annestelnd, »mit den Kindergeschichten und Märchen, und was deine überweisen Frauen und naseweisen Männer aus der Erfahrung und der Naturgeschichte und der eigenen Tradition wissen wollen, rücke jetzt meinetwegen eine Bank weiter. Die Auswahl haben wir ja; und ich habe auch darüber den ganzen Morgen in meiner verlassenen Einsamkeit mir allerlei Gedanken gemacht. Herzensmann, eine schöne Wirtschaft müßt ihr hier vor meiner Zeit doch geführt haben!«

»Eine wunderschöne – wunderbare – wundervolle, Kind!«

»Das sieht man den Ruinen noch an; und es tut dir heute natürlich nicht im geringsten leid, daß ich damals nicht auch schon mit dabeiwar wie die Jungfer Christine und euch diese wunderbare, wunderschöne, wundervolle Wirtschaft nicht mit führte?«

Und ich, Eberhard Pfister, frage jeden, das heißt jedes männliche Erdengeschöpf, was er oder es auf diese Frage geantwortet haben würde.

Glücklicherweise rief die Christine in diesem Augenblick in unseren jetzigen hiesigen Haushaltsangelegenheiten nach der jungen Frau, und zwar mit einer Milde und Lieblichkeit in Ton und Ausdruck, die ich in meinen jungen Jahren nicht immer an ihrem Organ gekannt hatte. Und Emmy flötete zurück: »Gleich, gleich, gute Seele!«, warf mir ihr Nähzeug auf den Schoß und enttänzelte neckisch und holdselig durch den Lichter-und Schattentanz unter den guten, alten Kastanienbäumen unserer Mühle zu, mit zierlichem Knicks und Kußhand mich in meinen Erinnerungen an die hiesige frühere Wirtschaft zurücklassend.

Ach und wie nahe lagen sie noch, die Tage dieser früheren Wirtschaft in der Mühle! Wie wenige Jahre war es her, daß mein Vater dort in der Tür stand , in die eben mein Liebchen geschlüpft war, und ebenfalls fröhlich und unschuldig »gleich!« rief, aber hinzusetzte »meine Herrschaften!« im Verkehr zwischen dem Hause und den Tischen und Bänken unter den grünen Bäumen den Fluß entlang und auf den Rasenplätzen – der vergnüglichste Mensch der Welt. Ach, wenn nur nicht grade die vergnüglichsten Menschen dann und wann das bitterste Ende nehmen müßten!…

Alle haben ihn gekannt. Patrizier und Plebejer, Philister, Professoren und Studenten, die letzteren freilich nur neulich noch, haben ihn gekannt, den Vater Pfister in seinem Haus-und Gartenwesen; und wenn ich heute noch in jener vieltürmigen Stadt dort von manchen Leuten gekannt bin und freundlich gegrüßt werde, so habe ich das einzig und allein Pfisters Mühle, meinen Ahnen drin und meinem verstorbenen Vater Bertram Gottlieb Pfister und seiner ausgezeichneten Wirtschaft zu danken. Was unsern Familiennamen anbetrifft, so hat der Ahnherr des Geschlechts sicherlich der ehrsamen Bäckergilde angehört. Als Magister artium und Doktor der Theologie ist ein der Familie zugehöriger, zu einem Pistor oder Pistorius latinisierter Becker zwischen dem Schmalkaldischen und dem Dreißigjährigen Kriege nachzuweisen; aber als Pfister haben wir seit dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts eben auf Pfisters Mühle gesessen, und verschiedene von diesen letzteren werten Männern würden wahrscheinlich in ihrem Staub sich schütteln, wenn die Nachricht zu ihren verschollenen Ruhestätten dränge, daß dem in der Folge nicht mehr so sein werde.

Aber Emmy kümmert das ja gottlob nicht, und auch mich lange nicht so viel, als es von Rechts wegen sollte. Das Kind ist reizend; und gesund und jung sind wir beide, und Berlin ist eine große Stadt, und man kann es darin zu vielem bringen, wenn man die Augen offen und auch seine übrigen vier Sinne beisammen behält und nicht ganz ohne Grütze im Kopfe ist. Wir zwei haben die Welt und unsere hübschesten, feinsten und würdigsten und wertvollsten Hoffnungen in ausgesuchter Fülle noch vor uns; wir haben das volle Recht, die Mühle als nichts weiter als das uns nächstliegende Wunder der Vorwelt zu nehmen. Und wenn einer nichts dagegen einzuwenden haben würde, so ist das mein alter lieber Vater, der letzte Pfister auf Pfisters Mühle unter seinem noch nicht eingesunkenen und verschollenen grünen Hügel bei unseren Vorfahren auf dem Kirchhofe unseres Dorfes.

Von dem, dem Vater Pfister, rede ich nun, an den denke ich nun, während Emmy und Christine drinnen in dem Hause an seinem großen Herde, auf welchem er einen so vortrefflichen Grog und Glühwein zu brauen verstand, von welchem so viele sparsamere Familienmütter und hübsche, junge Kleinbürgertöchter das kochende Wasser für ihren Kaffeetopf holten, an welchem er so viele tausend glückselige Kindergesichter vergnüglich tätschelte, – ihre Köpfe über mein Mittagessen zusammenstecken.

»Vater Pfister, mir zuerst!«

Wie oft ist der Ruf durch den übrigen lustigen Lärm um uns her an mein Ohr geklungen, seit ich aufwachte – auch ich unter den Gästen von Pfisters Mühle – des Vater Pfisters verzogenster Stammgast!

Des Vaters! Meine Mutter hatten wir leider so früh verloren, daß ich für mein armes Teil gar keine Erinnerung mehr von ihr hatte und ich als Gast in der Mühle wie auf der Erde von frühester Kindheit an auf den Vater angewiesen war. Und auf die Jungfer Christine! Die hatte die Mutter bald nach ihrer Verheiratung mit dem jungen Müller von Pfisters Mühle sich an die Hand und ins Haus gezogen und soll auf dem Sterbebett zu ihr gesagt haben: »Mädchen, ich stürbe viel weniger ruhig, wenn ich dich nicht kennte und wüßte, daß du ein gutes Herz und eine harte Hand und weiter keinen Anhang in der Welt hast. Die Wirtschaft und den Verkehr mit den Leuten hab ich dir auch beigebracht, also rücke mir das Kissen zurecht in meiner bittern Sorge und stehe fest für die Mühle und meinen Müller und – nimm noch zum letztenmal einmal vor meinen leiblichen Augen mein arm, verlassen Tröpfchen aus der Wiege und lege es trocken, auf daß ich noch einmal sehe, daß du es in alle Zeit weich anfassen willst und dein Bestes tun. Zurechtgeschüttelt hab ich dich wohl, wenn’s zu deinem Besten notwendig war, – jetzt küsse deine Frau in ihrer höchsten Angst dafür zum Danke; und wenn’s mir möglich sein wird, passe ich auch ganz gewiß noch fernerhin aus der Ewigkeit auf dich und dein Verhalten…«

»Und den Kuß hab ich mit dir im Arme, mein Junge, an ihrem Bett auf den Knieen ihr geben dürfen und mich so mit der Mühle verlobt und auf kein Mannsbild nachher weiter geachtet, wenn ich auch wohl mal wie andere die Gelegenheit gehabt habe, mich zu verändern, und ganz gute Partien aus dem Dorfe und aus der Stadt!« hat mir die Christine tausendmal mit immer sich gleichbleibender Rührung erzählt, und ich werde wahrlich auch heute noch nicht darob ungeduldig, auch wenn die treuherzige, melancholische Erinnerung noch so sonderbar mit den Vorkommnissen – Ärgernissen und Annehmlichkeiten – des laufenden Tages in Verbindung gebracht wird.

Wie mein Vater die Jahre seit dem Tode meiner Mutter ohne die Christine zurechtgekommen sein würde, weiß ich nicht. Er hätte es wohl auch möglich gemacht, aber besser war besser, und so war auch für die Stadt und Umgegend Pfisters Mühle ohne die Jungfer Christine nicht mehr zu denken, und was demnächst in der großen Stadt Berlin aus der Christine in unserm neuen Haushalt werden wird, das wage ich nicht vorauszusagen, wenn ich mir gleich vorgenommen habe, sie nach besten Kräften bei gutem Humor zu halten und ihr das neue Leben so leicht als möglich zu machen. Daß Emmy mir dabei helfen will und auch bereits einige Male ein erkleckliches Maß von Selbstbeherrschung im Verkehr mit dem guten alten Mädchen bewiesen hat, trägt viel zu meiner Beruhigung bei. – –

Die Sonne steigt, und Vater Pfisters letzter Stammgast müßte um eine Bank weiterrücken, um im Schatten seiner Erbbäume zu bleiben mit seinen Morgenphantasien. Aber wir wohnen schon auf der Schattenseite unserer Straße in der großen Stadt Berlin, und ich habe mich daselbst allzu häufig nach dem Sonnenlicht der Jugendheimat gesehnt, um demselben inmitten derselben in einer solchen wohligen Frühe aus dem Wege zu gehen. Und ich habe den Grundriß und sonstigen Entwurf der großen Fabrik, welche die demnächstigen Eigentümer an diesem Orte aufrichten werden, eingesehen und weiß, wie wenig Helle und Wärme im nächsten Jahre schon die Ziegelmauern und hohen Schornsteine auch hier übriglassen werden. Auch diese Vorstellung hält mich auf meinem Platze fest. Ich fühle mich mehr denn je als Vater Pfisters letzter Stammgast in dem heutigen Sonnenschein und Baumlaubschatten. Es hat sich manch einer einen mehr oder weniger vergnüglichen kleinen Rausch an diesen Gartentischen gezeugt; aber kein guter Trunk hat so einen aus Licht und Schatten und Erinnerung gewebten, wie er mich in diesen Tagen gefangen hält, einem andern Gast zuwege gebracht.

»Wie Sardes in der Offenbarung Johannis ist sie, meine Mühle, Kind!« hatte ich noch neulich im Eisenbahnwagen zu Emmy geseufzt. »Sie hat den Namen, daß sie lebet, und ist tot!«

»O Gott, dann weiß ich doch nicht, ob es trotz allem nicht besser gewesen wäre, wenn wir woanders zu unserer Erholung hingegangen wären!« hatte die Kleine unter dem Eindrucke dieses lugubern, biblisch-gelehrten Zitats ängstlich erwidert und – nun gab es nichts Lebendigeres für sie und für mich als Pfisters Mühle.

Für sie war es ein neues, liebliches, ungewohntes – unbekanntes Leben, für mich ein konzentriertestes Dasein alles dessen, was an Bekanntschaft und Gewohnheit gewesen war, von Kindheit an, durch wundervollste Jünglingsjahre bis hinein ins früheste, grünendste Mannesalter.

Alles um mich herum, bei gutem und schlechtem Wetter, bei Sonnenschein und Regen, hatte in den Tagen und Nächten dieser seltsamen Sommerfrische nicht bloß den Namen, daß es lebte, sondern es lebte wirklich. Und wie hätte vor allem der letzte wirkliche Herr und Wirt des guten Ortes sich in Nebel und Nichts auflösen können, während sein letzter Stammgast noch seinen Platz auf der Bank und am Tische festhielt?

Viertes Blatt

Inhaltsverzeichnis

Herein von der Gänseweide

»Einen Augenblick, meine Herren, es wird frisch angestochen!« Ich höre den jovialen Ruf wie einer der durstigen Gäste im Garten, und ich bin zugleich auf dem kühlen, gewölbten Flur mit dabei als flachsköpfiger, dreikäsehoher Eingeborener von Pfisters Mühle und beobachte den Vorgang mit stets sich gleichbleibendem Interesse. Das geleerte Faß darf ich den Abhang hinter dem Haus hinab in den Schuppen zu den übrigen rollen, und das Gaudeamus igitur aus der großen Laube ist mir wie ein Gesang von der Wiege her. Seit Väterzeiten kennen wir, alle Pfister in der Mühle, das Kommersbuch auswendig, wenn ich gleich in neuester Zeit der einzige bin, der auch in andern Lauben, Gärten, Schenken und Mühlen mit Schankgerechtsame Gebrauch davon gemacht hat mit der Verbindungsmütze auf dem närrischen, heißen Kopfe und dem Schläger in der Faust.

Er setzte etwas auf seinen und seines Hauses und Gartens Ruf in der Welt, mein Vater! Fast alle unsere Wände waren mit den Verbindungsschildern, Silhouetten und Photographien seiner akademischen Freunde bedeckt, und für mein eigenes Leben sind seine Neigungen zu dem jungen gelehrten Volk und allem, was dazu gehört, von dem größesten Einfluß gewesen. Der Umgang mit den jungen (und auch den alten) Leuten, welche ihm die Stadt und die Universität tagtäglich herausschickten und in deren mehr oder weniger geräuschvolle Unterhaltung er gern auch sein Wort und seine Stimme dreingeben durfte, hatte ihm in betreff meiner wohl allerlei in die Phantasie gesetzt, was meinem Lebensgange jedenfalls eine andere Richtung gab, als Pfisters Mühle seit Generationen an ihren Erbeigentümern gewohnt war.

Ein weißlicher Müller und ein weiser Mann war er; aber alles auf einmal konnte auch er nicht bedenken und das einander Ausschließende miteinander in Gleichklang bringen. So trug denn auch er sein Teil der Schuld, daß der augenblicklich letzte Pfister nicht mehr als Müller auf Pfisters Mühle sitzt; und mein einziger Trost ist, daß der Alte, als er auf seinem Sterbebett zum letzten Male seinen Arm mir um den Nacken legte und mich zu sich niederzog, sagen durfte: »Ist’s nicht, als ob ich’s vorausgerochen hätte, lieber Junge, als ich dich von der Gänseweide holte und mit der Nase ins Buch steckte? Die Welt wollte uns nicht mehr, wie wir waren, zu ihrem Nutzen und Vergnügen. Aufdrängen muß man sich keinem; und so ist’s wirklich am besten so geworden, wie es sich gemacht hat…«

Es war richtig; auf Schulen ging ich zwar schon, nämlich in die Dorfschule zum Kantor Busse, und am liebsten um den Kantor und die Schule herum, als er, Vater Pfister, mich auf dem Gänseanger nacktbeinig unter den übrigen flachsköpfigen Barfüßern herauslangte, mich am Kragen nach Hause führte und mich in genaueste wissenschaftliche Verbindung mit einem andern, etwas ältern und gebildeteren, verwahrlosten Menschenkinde brachte, das er gleichfalls am Kragen hielt, wenn auch mehr mittelbar, daß heißt infolge des Pumpes, den es seit längerer Zeit bei ihm angelegt hatte.

»Wenn Sie auf den Vertrag eingehen, Herr Asche, wird es vielleicht für beide Parteien ein gutes Abkommen sein, und dünner sollen Sie mir nicht dabei werden, wenn dies nicht so in Ihrer Natur liegt und die Weltregierung Sie nicht schwerer auf der Waagschale haben will, Adam«, sagte mein Vater.

Das aber ist die zweite Gestalt, die von Tisch und Bank, aus Licht und Schatten, aus alle dem Tumult, den Klängen und Studentenliedern um Pfisters Mühle sich loslöst und vertraulich-seltsam wie mit Stroh im Haar, wenn auch keineswegs im Kopfe, in diese Traumbilder hineinschlendert. Grade als habe auch sie bis jetzt den Tag auf der Gänseweide hingebracht oder noch bequemlicher, auf dem Rücken liegend zwischen den Roggengarben auf dem Felde jenseits der Uferweiden, des Entengeschnatters und des Mühlwasserrauschens von Pfisters Mühle.

»Können das Ding probieren, Vater Pfister! Geben Sie Ihren Bengel her. Werden ja bald erfahren, wer die Langweilerei am ersten satt kriegt, Sie, ich oder dies glückselige, quatschlige, weißfleischige Geschöpf Gottes hier. Braten könnte ich es mir jeden Mittag; weshalb sollte ich ihm nicht gegen zivilisiertere freie Beköstigung und ein Taschengeld an jedem Mittwoch und Sonnabend die Anfangsgründe des Lateinischen beizubringen versuchen? Die Sache paßt mir vollkommen. Mürbe wollen wir ihn schon kriegen. So ‘nen jungen Römer zum Weichreiten unterm Sattel hab ich mir schon längst zu Weihnachten oder zum Geburtstage gewünscht. Sollen wir heute mit ihm anfangen, oder hat der Knabe auch eine Stimme bei dem Kontrakt und zieht er’s vielleicht vor, am nächsten Sabbat zum erstenmal übergelegt zu werden?«

Ich habe damals erst meinem Vater in das freundliche, kluge, vergnügte Gesicht gesehen und dann dem Studiosus der Philosophie Adam Asche in das seinige, und, die Zähne zusammenbeißend, gesagt: »Heute!« und nachher die volle Gewißheit erhalten, daß der letzte wirkliche Besitzer von Pfisters Mühle auch bei dieser Gelegenheit ganz genau wußte, wen er vor sich hatte und was er tat.

Emmy kennt die dämmerige, düstere Brutstätte meiner ersten wissenschaftlicheren Betätigungen. »Brr!« hat sie zuerst gesagt, den Kopf hineinsteckend, aber nachher, wahrscheinlich um mich in meinen Gefühlen nicht zu sehr zu verletzen, hinzugefügt: »O, wie hübsch kühl an einem heißen Tage wie heute!«, und das Liebchen hatte vollkommen recht. Das Loch war recht schön kühl im Sommer, und im Winter konnte man es leider heizen, und Studiosus Asche bemerkte bei unserer ersten Niederlassung darin: »Würgen könnte ich dich, Lümmel, ob deiner höchst unnötigen Existenz im Weltganzen! Da soll nun ein Mensch Atem holen und Latein verstehen, mit dem vollen Wissen davon, wieviel gemütlicher es draußen ist. Na, Gott sei dir Esel gnädig in diesem Sack mit – Asche! Na, na, sieh mich nur nicht so blödbockig an, Junge! Wir müssen’s ja zusammen aushalten!«

Und wir haben es zusammen ausgehalten in dem Stübchen nach hinten hinaus in Pfisters Mühle. Nach hinten hinaus, von der Lust des Gartens so weit als möglich entfernt, aber doch nicht ganz von dem Getön derselben und noch weniger von dem Geklapper und Rauschen der Turbinenstube, hatte uns mein Vater den Tisch ans Fenster gerückt und denselben mit allem nötigen Material an Dinte, Federn und Papier versehen, und da habe ich nicht nur die Rudimente der Römersprache, sondern noch manches andere von meinem – Freund Adam Asche gelernt.

Was mir das Latein genützt hat, weiß ich so ziemlich genau heute; aber wie nützlich mir das »andere« war, erfahre ich heute tagtäglich so viel mehr, daß von einer sichern Berechnung noch lange nicht die Rede sein kann.

Es war damals ein recht dürftiges, mageres Männchen, das mit einem Kopf, der von einem äußerst schwarzstrubbelhaarigen Riesen ihm zwischen die Schultern gefallen zu sein schien, mir gegenüber, wie es sich ausdrückte, »die schönen Stunden vertrödelte« und mir nicht selten energisch genug in die Flachswolle griff, um, wie es seufzte, »wenigstens etwas« aus mir herauszuziehen. Von »zu braven« Eltern, wie er meinte, war er – Studiosus philosophiae A. A. Asche – Adam August Asche. »Ich gebe Ihnen mein Wort, Vater Pfister«, sagte er, »ich würde hier wahrhaftig nicht sitzen müssen, um Ihr Junges philologisch zu belecken, wenn mein Alter etwas mehr auf das Wohlbehagen seines Jungen und etwa weniger auf die Wohlfahrt der Welt und ihre gute oder schlechte Meinung von ihm gegeben hätte.«

»Reden Sie sich nicht um Ihren besten Trost in dieser Welt, Herr Asche«, sagte mein Vater. »Weil ich Ihren Vater gekannt habe, habe ich mir eben alleweile gedacht, allzuweit kann der Apfel nicht vom Stamme gefallen sein, und Vertrauen zu Ihnen gehabt und Sie mir aus dem Vivathoch da draußen im Garten und vom Verliegen da draußen auf der Wiese und im Heu hereingeladen und Sie gegen einen Strich durch Ihr Konto und eine übrige angemessene Entschädigung an meinen eignen wilden Dorfindianer und eheleiblichen Tagedieb gesetzt.«

»Reden Sie sich nicht um Ihren Hals, Vater Pfister!« hat mein Freund und Gönner, Doktor Adam Asche, gelacht.

Fünftes Blatt

Inhaltsverzeichnis

Hinter dem Beutelkasten und unter den Kastanien

Wie wunderlich das für mich heute ist, mit dem lieben jungen Weib und der alten Christine in unserer alten Küche und unserm wohlgegründeten behaglichen Heim in der großen Stadt in diesen abgezählten Sommertagen von der guten alten Zeit in Pfisters Mühle zu träumen und zu schreiben! Wie sind trotz der sonnigen, hoffnungsreichen Gegenwart jene anderen, gleichfalls zu-und abgezählten Tage und Stunden in dem muffigen, dunkeln Winkel nach hinten hinaus gleichfalls zur »guten alten Zeit« für mich geworden!

Von dem Latein, das mir darin, wie mein gelehrter Freund Asche das nannte, »verzapft« wurde, werde ich reden müssen. Ich weiß heute noch nicht, wie eigentlich meine Begabung dafür ist, aber das weiß ich genau, daß wir uns damals in dieser Hinsicht auf das Notwendigste beschränkt haben.

»Es ist Ihr Junge, Vater Pfister, und so haben Sie gewissermaßen die Berechtigung, mit ihm anzufangen, was Sie wollen. Mensa bringe ich ihm schon bei; was er nachher auf den Tisch zu stellen hat, ist Ihre und seine Sache«, sagte Studiosus Asche. »Was mich anbetrifft, so wissen Sie, daß mein Alter insolvent starb und Schönfärber war.«

»Und daß von meines guten Freundes, Ihres Vaters, Kunst, Wissenschaft und Sinnesart vielleicht grade das auf Sie übergegangen ist, was Sie brauchen und was andern Leuten bei Gelegenheit auch wieder nützlich werden kann. Auf einmal kann man selten das Beste zugleich haben, so zum Beispiel den Verstand in der Welt und das Glück in ihr. Sie ständen sich selber im Lichte, wenn Sie von Ihrem seligen Vater mit der geringsten Despektion reden wollten, Herr Asche.«

»Bei den unsterblichen Göttern!« ist die ruhige, gewissenssichere Antwort gewesen. »Was würde aus mir armen Waisenknaben geworden sein und werden, wenn nicht wenigstens ein Bruchteil vom Talent des Alten, die Dinge in der Weit schönzufärben, auf mich übergegangen wäre? Sie wissen, Vater Pfister, es ist so ziemlich das einzige, auf was die Gläubiger beim Ausschütten der Masse keinen Anspruch erhoben.« –

Das ist wahr. Ich habe nicht einen zweiten Menschen kennengelernt, der mit gleicher Fähigkeit, den Beschwerden dieser Erde eine angenehme Färbung zu geben, versehen gewesen wäre, wie mein erster, über den Dorfkantor hinausreichender Lehrmeister in unserm Hinterstübchen. Auch die unvermutete, »aus dem blauesten Himmel hereinbrechende« Störung seiner »Wald-, Feld-, Wiesen-und Pfistersmühlen-Faulheit« überwand er, und die Stunden, während welcher mein Vater uns beide hinter Schloß und Riegel hielt, gingen viel glatter und behaglicher vorbei, als wir es uns beim Beginn der ersten vorgestellt hatten. Es sitzt mehr als eine grammatikalische Regel wahrscheinlich nur deshalb heute noch bei mir fest, weil ich zugleich mit ihr noch das entfernte fröhliche Getön des Gartens und das nahe Rauschen der Mühlräder im Ohre habe.