Philine und das Orakeldesaster (1) - Lilly Silver - E-Book

Philine und das Orakeldesaster (1) E-Book

Lilly Silver

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Orakel werden ist nicht schwer … Orakel sein dagegen sehr! Der erste Band einer aufregenden, originellen Kinderbuchreihe mit einer Prise Magie ab 8 Jahren. Endlich ist er da: Philines heiß ersehnter 11. Geburtstag! An diesem Tag entscheidet sich, ob sie mit Tieren, Steinen oder Pflanzen sprechen wird. Denn sie stammt aus einer Familie voller mächtiger und berühmter Orakel. Klar, dass auch Philine unbedingt die Zukunft vorhersehen will! Doch ausgerechnet beim Großen Orakel-Spektakel fällt Oma in Ohnmacht, als ihre Fische im Gartenteich eine völlig unerwartete Weissagung abliefern. Philine bekommt weder aus Oma noch aus Mama heraus, was für ein Orakel sie nun wird. Auch die Sprüche aus den Glückskeksen, die Philine jeden Morgen liest, helfen ihr nicht weiter. Philine ist verzweifelt: Könnte es sein, dass sie gar kein Orakel wird? Als sich kurz darauf die Missgeschicke in der Familie häufen, Omas sonst so treffsichere Orakelsprüche fürchterlich schiefgehen und sich in der Nachbarschaft angriffslustige Krähen herumtreiben, beschließt Philine zusammen mit ihren beiden besten Freunden, den Dingen auf den Grund zu gehen. Doch was sie dann herausfinden, hätte beim besten Willen niemand voraussagen können … Der Auftakt einer orakelig-magischen Kinderbuchreihe mit ganz viel Witz und Gefühl. Wunderschön illustriert von Simona Ceccarelli ("Ein Mädchen namens Willow", "School of Talents"). Glückskeks sagt: Fans von "Liliane Susewind" und "Der Zaubergarten" werden dieses Buch lieben!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 197

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lilly Silver

pendelt zwischen ihrem norddeutschen Wohnort und Cornwall, wo sie eine zweite Heimat gefunden hat. Wenn sie nicht gerade fantasievolle Geschichten schreibt, versucht sie, die Wolken zu lesen, legt Tarotkarten oder deutet Tierspuren – jedoch weit weniger erfolgreich als ihre Protagonistin Philine.

Simona Ceccarelli

wuchs in Italien auf und begeisterte sich von klein auf sowohl für Kunst als auch für Wissenschaft. Und so arbeitete sie mehrere Jahre als Forscherin, bevor sie anfing, hauptberuflich Kinderbücher zu illustrieren. Sie liebt Cornwall und würde liebend gern Philine dort besuchen. Aber sie würde sie nie nach der Zukunft fragen, um die Überraschung nicht zu ruinieren. Allerdings würde sie zu gerne verstehen, was ihre Katze denkt …

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

1. Auflage 2024

© 2024 Arena Verlag Würzburg GmbH

Rottendorfer Str. 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Text © 2024 Lilly Silver

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Cover und Innenillustrationen: Simona Ceccarelli

Umschlagtypografie: Juliane Lindemann

Lektorat: Johanna Prediger

Satz: Malte Ritter

E-Book ISBN 978-3-401-81048-5

Besuche den Arena Verlag im Netz:

www.arena-verlag.de

Das Große Buch der Sibyllen

Kapitel 1

Liebe Leserin, lieber Leser,

Glückwunsch! Indem du dieses Buch in den Händen hältst, hast du schon mal alles richtig gemacht.* Nein, wirklich, das ist kein Scherz! Denn in diesem Werk findest du alles – und damit meine ich tatsächlich ALLES –, was es zum Thema Orakel und Prophezeiungen, Visionen und Vorhersagen, Spökenkiekerei und Weissagungen zu wissen gibt.

Krempeln wir also die Ärmel hoch und stürzen uns hinein ins Abenteuer. Denn wie es so schön heißt: Carpe diem!**

Beginnen wir mit den wichtigsten Dingen zuerst.

WAS IST EIN ORAKEL?

1. Ein Ort, an dem mehr oder weniger begabte Personen mehr oder weniger schlaue Voraussagen verkünden.

2. Als Orakel kann auch die Voraussage selbst bezeichnet werden.

3. Ein Orakel nennen wir außerdem einen Menschen, der wahrsagt.

So weit alles klar?

Alle Orakel können mit einfachen Hilfsmitteln die Zukunft vorhersagen. Dazu deuten sie die Wege der Wolken, schauen sich den Kaffee- oder Teesatz an oder studieren die Linien der linken Hand von der Person, die etwas über die Zukunft wissen will. Manche Orakel verwenden auch Runen, Karten oder Gummibärchen.

Mit all diesen Mitteln lassen sich einfache Vorhersagen durchführen. So bekommen wir nützliche Tipps für den Alltag: Nehme ich einen Regenschirm mit, bevor ich das Haus verlasse? Ist es ein guter Tag, um Freunde einzuladen? Bekommt meine Katze ein Schälchen Milch oder schlägt ihr das auf den Magen?

Für kompliziertere Fragen suchen die Menschen jemanden aus einer Orakelfamilie*** auf, der oder die über eine der drei Großen Orakelgaben verfügt, also ein Stein-, Blumen- oder Tierorakel ist.

Passt eher ein Schoßhündchen oder eine Dogge zu mir? Wie gehe ich mit meiner allzu neugierigen Freundin um? Soll ich diese Person wirklich heiraten?

Steinorakel lesen mögliche Hilfestellungen aus den Mustern, die bestimmte Steine bilden.

Blumenorakel sagen die Zukunft mithilfe verschiedenster Pflanzen vorher.

Tierorakel gewinnen wichtige Erkenntnisse, indem sie das Verhalten einer Tierart deuten, die ihnen besonders nahesteht.

*Anmerkung der Verfasserin: Ganz ehrlich – wie oft passiert uns das schon, dass wir ALLES richtig machen? Naa? Eben …

**Was so viel bedeutet wie: »Das Leben ist verdammt kurz, also trödle nicht herum und mach was draus!«

***Da du hier die englische Ausgabe vorliegen hast: In Großbritannien gibt es insgesamt zwölf Orakelfamilien, die weissagen können. Nur fünf haben eine Große Orakelgabe.

1

Jeder bekommt, was er verdient – meistens …

Ha! Hatte ich es doch gewusst! Da drüben an der Mauer warteten Martin, Paul und SdS (auch genannt Simon »Würg« de Sinclair). Zusammen ergaben sie nicht nur das unbeliebteste Trio der Klasse, sondern der ganzen Schule.

Die drei taten so, als würden sie bloß zufällig auf dem Schulhof herumlungern, aber mir konnten sie nichts vormachen. Zum Glück war ich diesmal vorbereitet.

»Hey, Orakelmädchen.« Schon versperrte Martin mir den Weg.

Paul boxte ihn spielerisch in die Seite. »Mann, was redest du?« Er grinste fies. »Sie ist doch noch gar kein Orakel.«

Pfff! Als hätten sie auch nur ansatzweise eine Ahnung davon, was ein Orakel ausmachte – diese Vollbrezeln! Jetzt stieß sich auch SdS von der Mauer ab und kam zu uns herüber. »Ihre Mutter liest in verwelktem Unkraut und die Oma in labbrigen Fischen«, höhnte er. »Was für ein Orakel kann Philine da schon werden?« Er beugte sich zu mir und sein Atem schlug mir ins Gesicht. Puh, zum Mittag hatte er sich in der Kantine für die Fleischklößchen entschieden – keine gute Wahl! Trotzdem beherrschte ich mich und verzog keine Miene. Stattdessen steckte ich unauffällig die Hand in die Tasche und fummelte das kleine Tütchen auf. Wie Oma immer sagte: »Beim Handeln kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an.«

SdS verschränkte die Arme. »Was ist, hat es dir die Sprache verschlagen? Ich dachte, Orakel müssen mit jedem reden!«

»Gute Orakel suchen sich ihre Klienten aus.« Jetzt hatte ich das Pulver zwischen den Fingern. »Aber bei Volltrotteln wie euch bringt Reden sowieso nichts.«

»Hä?«, fragte Paul.

Tja, er war nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte.

Martins Gehirnzellen arbeiteten da ein bisschen schneller. »Ey, sie beleidigt uns!«

Ich lächelte die drei fröhlich an. »Exakt! Und wenn ihr so weitermacht, sorge ich dafür, dass in ganz England kein einziges Orakel mehr mit euch sprechen will.«

Paul guckte ein klein wenig erschrocken, aber Martin und SdS beeindruckte das natürlich nicht.

»Quatsch!«, fauchte SdS und trat noch einen Schritt auf mich zu.

Jetzt war er genau in Reichweite! Blitzschnell zog ich die Hand aus der Tasche und fasste in seinen Kragen. Er wand sich aus meinem Griff, aber nicht schnell genug!

»Hey, was ist das?« Schon fing er an, sich am Rücken zu kratzen.

Mit einem Satz sprang ich zu Martin und Paul. Martin bekam die größere Ladung Juckpulver in den Nacken, Paul nur noch ein paar Krümel. Es reichte trotzdem, denn im nächsten Moment schubberten sich die drei wie wild an der Backsteinmauer. Ich bog mich vor Lachen.

»Was hast du gemacht?«, kreischte SdS.

»Oh, das juckt«, stöhnte Paul.

»Meine Hagebutten-Juckpulver-Spezialmischung«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Für euch ist nur das Beste gut genug. Ihr wisst ja, wir Orakel kennen jede Menge Geheimnisse …«

Paul jaulte erschrocken auf. Völlig zu Recht! Denn ausnahmsweise hatte ich heute früh noch ein paar zerstoßene Brennnesselblätter unter das Pulver gemischt, damit es so richtig schön juckte. Das halbe Schuljahr über hatten die drei sich immer neue Gemeinheiten ausgedacht, aber jetzt war endlich die Zeit für Rache gekommen. Ich guckte mir ihre wilden Verrenkungen an und kicherte.

Inzwischen hatte SdS das meiste von dem Pulver abgeschüttelt. Wütend sprang er auf mich zu.

»Leute!« Charlottes Stimme gellte zu uns herüber. »Lasst gefälligst Philine in Ruhe!«

Schon war sie neben mir und stieß SdS zur Seite. Ihr Zwillingsbruder George kümmerte sich um Paul. Nur Martin war noch immer mit den letzten Pulverkrümeln beschäftigt.

»Sagt Bescheid, wenn ihr mal wieder was über Orakel wissen wollt«, sagte ich und winkte zum Abschied.

Wenn das kein Beweis war, dass Orakel funktionierten! Zum Glück hatte Mama heute Morgen aus ihrem Teesatz gelesen und mir eine kleine Weissagung gemacht. Extra für den letzten Schultag vor den Sommerferien.

Auch mit winzigen Krümeln lässt sich eine große Wirkung erzielen.

Das konnte man wohl sagen. Und der Spruch aus dem Glückskeks, den ich wie jeden Tag gezogen hatte, passte auch dazu.

George schob sich die Brille zurecht und Charlotte strich sich ihr schwarzes Kleid glatt, auf dem in fetten Buchstaben »Ich bin nichts für schwache Nerven« stand. Das konnte SdS jetzt wohl bestätigen …

Entspannt schlenderten wir durch das Schultor.

»Tut mir leid, dass ich nicht früher da war«, sagte Charlotte. »Aber du warst nach dem Klingeln so schnell draußen und hast gar nicht mitbekommen, dass Ms Rosewood mich noch mal in die Klasse zurückgerufen hat.«

»Macht nichts«, beruhigte ich sie. »Ihr seid ja genau rechtzeitig gekommen.«

George grinste. »Kann man so sagen.«

Ich seufzte leise. Wenn mir das mit der Weissagung vor der Schule bloß schon früher eingefallen wäre! Dann hätte ich mich die letzten Wochen bestimmt nicht so oft über SdS und die anderen beiden ärgern müssen. Noch war ich leider kein Orakel und konnte selbst Dinge voraussehen. Das funktionierte erst, wenn ich zwölf Jahre alt war. Aber immerhin würde ich in Kürze erfahren, welches Orakel ich einmal werden würde. Und das war ja schon mal was! Ich musste mich nur noch ein paar Stunden gedulden. Was leichter gesagt als getan war. Erstens war Geduld nicht meine Stärke. Und zweitens dehnten sich die Minuten und Stunden seit Tagen wie Kaugummi. Ich hatte keine Ahnung, wie ich die Zeit bis dahin aushalten sollte. Außer vielleicht …

»Wie wäre es mit einer Riesenportion Waldmeistereis?«, fragte ich. »Ich gebe eine Runde aus. Um die Ferien einzuläuten!«

»Heute hast du dich selbst übertroffen, Arthur«, sagte Oma nach dem Abendessen und legte ihr Besteck beiseite.

Papa grunzte zufrieden, dann schob er sich die letzte Gabel seiner Spezialbratkartoffeln mit Bohnen, Speck, Zwiebeln und extraweichem Spiegelei in den Mund.

»Wisst ihr, was ich jetzt brauche?« Oma nahm die Brille von der Nase und steckte sie sich in die silbergrauen Locken. »Hmmm …« Mama rüttelte leicht an der Blumenvase, die auf dem Tisch stand, sodass einige vertrocknete Blüten auf die Tischdecke fielen. Sie betrachtete das Muster der Blütenblätter. »Eine schöne Pediküre für deine müden Füße«, verkündete sie dann.

Oma lächelte, während Papa Blüte für Blüte wieder aufsammelte und sie in seine Serviette wickelte. »Haargenau«, sagte sie. »Das habe ich mir nach all der Arbeit redlich verdient, nicht wahr, Philine?«

Ich zwinkerte Oma verschwörerisch zu. Seit Tagen schon war sie mit den Vorbereitungen für das Orakel beschäftigt, das sie an meinem Geburtstag befragen würde. Weil sie in unserer Familie die meiste Erfahrung im Orakeln hatte, war das ihre Aufgabe. Omas Großes Fischorakel war ganz schön aufwendig. Aber es ging auch um eine ganz schön wichtige Prophezeiung, schließlich war morgen mein elfter Geburtstag. Und wie bei jedem Orakelkind, das seinen elften Geburtstag feierte, würde sich dann auch bei mir entscheiden, welches Orakel ich einmal werden würde – ein Fischorakel wie Oma oder ein Blumenorakel wie Mama. Dass ich tatsächlich leer ausgehen könnte, weil Papa nun mal kein Orakel war, versuchte ich, so gut es ging, auszublenden. Genauso wie die Möglichkeit, dass ich keine Große Orakelgabe abbekam und mein Leben lang nur kleinere Orakel würde machen können, also so was wie Wolkenlesen oder aus dem Kaffeesatz wahrsagen. Nein, das durfte beides nicht sein! Schließlich musste man sich nicht alles zu Herzen nehmen, nur weil es im Großen Buch der Sibyllen stand.

»Wie wär’s mit ein paar Melissenblättern fürs Badewasser?«, fragte Mama und entfernte noch ein paar trockene Blüten vom Strauß. Knips, knips, knips. Schon sah er wieder aus wie neu. Mama hatte wirklich Zauberhände, wenn es um Pflanzen ging. Sie züchtete die schönsten Blumen und machte hübsche Sträuße und Gestecke. Aber sie verkaufte die Blumen in ihrem Laden nicht nur. Sie las auch die Zukunft aus ihnen. Mama war nämlich ein Blumenorakel und Blumenorakel können so etwas. Das funktionierte ähnlich wie bei Oma, nur dass diese die Zukunft aus Fischen ablas. Eigentlich fand ich Tierorakel toll, nur Fische nicht so. Man konnte nicht mit ihnen spielen und ein kuschelweiches Fell wie meine Katze hatten sie auch nicht.

Mama hielt die Orakel im Hinterzimmer ihres Blumenladens ab. Der Laden lag im Erdgeschoss unseres Hauses.

Oma dagegen empfing ihre Besucher hinten in ihrem Gartenhäuschen. Doch im Gegensatz zum Laden war mir der Zutritt zu Omas Arbeitsstätte strengstens verboten. Dort machte sie die Weissagungen für ihre Kunden, bewahrte alle wichtigen Sachen für ihre Orakelarbeit auf und es gab eine Bibliothek mit wertvollen alten Büchern.

»Ich geh schnell in den Laden und hol dir ein paar Melissenblätter«, bot ich Oma an. Doch die sprang so plötzlich von ihrem Stuhl auf, dass mir vor Schreck die saure Gurke, die ich mir gerade genommen hatte, aus den Fingern flutschte. Chaka maunzte empört und verkrümelte sich hinter den Ohrensessel, der im Wohnzimmer vor dem Kamin stand.

»Bin gleich wieder da-ha«, flötete Oma und verschwand nach draußen.

Verdutzt sah ich ihr durch die Terrassentür nach, wie sie barfuß über Papas streichholzkurz gemähten Rasen joggte und schnurstracks zum Teich lief. Das Wasser zog sich rings um ihr Häuschen, weswegen es eine kleine Brücke gab. Dadurch wirkte das dunkelrote Holzhaus mit dem spitzen Dach wie ein Minischloss, das mitten in unserem Garten thronte – mit einem Burggraben voller Fische drum herum.

»Was ist denn mit Omilie los?«, fragte ich. Omilie war eine Kurzform aus Oma und Ottilie. So hieß Oma nämlich mit Vornamen. Die meisten in unserer Stadt nannten sie allerdings Otti. Und für den Rest der Welt war sie das Fischorakel von Penzance. Oma war mindestens so berühmt wie das Orakel von Delphi, und das war total bekannt! Nur Papa nannte sie Ottilie – oder, wenn er sauer war, die »werte Frau Schwiegermutter«.

Ich beobachtete, wie Oma sich einen Eimer schnappte und über die glitschigen Steine im Teich stakste. »Was macht sie da bloß?«, murmelte ich.

»Das wissen wohl nur die Götter.« Papa seufzte. Dann krempelte er die Ärmel seines blütenweißen Hemdes hoch, lockerte die Krawatte und begann, das Abendbrotgeschirr abzuräumen. Schnell schnappte ich mir die letzte saure Gurke aus dem Schälchen, das Charlotte und George mir voriges Jahr zum Geburtstag geschenkt hatten. Die beiden waren nicht nur meine allerbesten Freunde, sondern wohnten praktischerweise im Nachbarhaus. Sie hatten mir das Geschenk aus ihren Sommerferien in Griechenland mitgebracht: ein dunkelblaues Porzellanschüsselchen, das mit bunten Fischen in Rot, Gelb, Orange und Gold bemalt war. Fast wie die Fische in Omas Teich. Nur dass es dort auch langweilige graue gab.

Gerade als ich Papa helfen wollte, den Tisch abzuräumen, kam Oma mit dem Eimer in der Hand zurück.

»Tatataaaa!«, machte sie und stellte den Plastikeimer so schwungvoll ab, dass ein Schwall Wasser auf den Blumenteppich schwappte.

Sofort lief ich zu ihr hinüber. Oma ließ sich in den Sessel fallen, steckte ihre nackten Füße in den Eimer und – zack, stürzten sich die Fische wie ein Mückenschwarm auf sie.

»Die habe ich extra für dein Geburtstagsorakel einfliegen lassen«, erklärte sie stolz. »Aus der Türkei.«

Skeptisch betrachtete ich die kleinen silbergrauen Tierchen, die an Omas Füßen klebten, als ob sie sich dort festgesaugt hätten. »Und was für Fische sind das?«

»Garra rufa, auch Knabberfische genannt«, erklärte Oma und wackelte mit den Zehen. »Sie lieben abgestorbene Hautschüppchen. Pediküre mit Fischen, das solltest du auch mal ausprobieren, Arthur«, rief sie Papa zu, der es sich gerade mit der Zeitung auf der Couch bequem gemacht hatte.

Papa murmelte etwas, das verdächtig nach »Irrenhaus« klang, und verkroch sich hinter seiner Zeitung. Ich musste kichern. Papa war kein Orakel. Er arbeitete bei einer Bank und liebte lange, ordentliche Zahlenreihen und Tabellen – ganz im Gegensatz zu Oma, Mama und mir. Wir mochten es am liebsten laut, bunt und wild durcheinander.

Als ich mich wieder über den Eimer beugen wollte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie Chaka hinter dem Sessel hervorgeschlichen kam. Mit ihrem eleganten Tupfenmuster und den stachelbeergrünen Augen war sie eine wahre Schönheit. Eine ägyptische Kundin, die jedes Jahr nach Penzance reiste, um sich von Oma die Zukunft vorhersagen zu lassen, hatte Chaka vor elf Jahren als Geschenk mitgebracht. Genau einen Tag bevor ich auf die Welt kam. Wir waren von Anfang an unzertrennlich gewesen.

Neugierig linste ich mit Chaka über den Rand des Eimers und beobachtete, wie die Garra rufa an Omas Füßen knabberten. Vielleicht konnte ich Oma ja bitten, mir die Fische für meine Geburtstagsparty auszuleihen. Charlotte und George würden Augen machen. Schließlich waren Omas Fische sonst für uns tabu.

»Du, Omilie«, sagte ich und richtete mich ein Stück auf. Dabei stieß ich versehentlich mit dem Ellenbogen gegen den Beistelltisch, auf dem ein offenes Tütchen Waldmeisterbrause lag. Die hellgrüne Brause rieselte in den Eimer und sofort begann es darin zu schäumen.

Ach, du Schreck! Wie hatte das nur passieren können?

Oma japste nach Luft, als würde sich ein Milan auf ihre Fischteiche stürzen. Papa sprang so schnell vom Sofa auf wie neulich, als er sich auf seinen Lieblingstaschenrechner gesetzt hatte. Mama tat, was sie in chaotischen Momenten immer tat: Sie atmete einmal tief ein und lange wieder aus. Dann schnappte sie sich den Eimer und rannte damit ins Badezimmer, Chaka im Schlepptau.

Mit klopfendem Herzen lief ich den beiden hinterher. Als ich ins Bad schlitterte, schüttete Mama die Fische gerade ins Waschbecken und ließ frisches Wasser dazulaufen. Chaka war auf den Rand der Badewanne gehüpft und beobachtete mit zuckendem Schwanz die Fische, die im Waschbecken wie silbergraue Pfeile hin und her flitzten.

Als Oma hinter mir auftauchte, machte sich ein dicker Kloß in meinem Hals breit. »Das … das wollte ich nicht«, murmelte ich und schnappte mir Chaka, als sie versuchte, mit ihrer Pfote nach den Fischen zu angeln. Heiße Tränen stiegen in mir auf. Oma hütete ihre Fische doch wie einen Schatz!

»Ach was«, beruhigte Oma mich. »Ein bisschen Waldmeisterbrause hat noch niemandem geschadet. Erst recht keinem vernünftigen Orakelfisch!«

Mama lachte und wuschelte mir durchs Haar. »Na, zum Glück war es kein Gurkenwasser, was?«

Nun musste auch ich lachen. Mama konnte es nicht leiden, wenn ich überall meine Schüsselchen stehen ließ, nachdem ich mal wieder eine Portion von Omas Senfgurken verdrückt hatte. Vor allem, weil Chaka sich immer sofort über die Reste der süßsauren Brühe hermachte und dann tagelang roch wie ein wandelndes Gurkenfass.

»Nimmst du sie mit?«, fragte ich, als Mama zurück ins Wohnzimmer gehen wollte, und drückte ihr Chaka in die Arme. »Nicht, dass sie sich sonst einen Fisch schnappt.«

»Ja, das wäre kein gutes Omen«, murmelte Oma und beugte sich über das Waschbecken. Sekunden nachdem Mama und Chaka das Badezimmer verlassen hatten, wurde sie mucksmäuschenstill und starrte bewegungslos ins Wasser.

Wenn Oma so guckte, durfte sie auf keinen Fall gestört werden, denn dann las sie in den Bewegungen der Fische. Ob es etwas mit morgen zu tun hatte? Sofort schlug mein Herz schneller, wie jedes Mal, wenn ich an meinen elften Geburtstag und die große Prophezeiung dachte. Die Zeit verstrich. Verstohlen linste ich zu dem Wecker in Blütenform, der auf der Ablage über dem Waschbecken stand. Der dünne Zeiger schien von Sekunde zu Sekunde lauter zu ticken. Daneben lag Mamas Haarclip mit der kleinen roten Kamelienblüte. Ihr Orakelschmuck, den sie für alle komplizierteren Weissagungen brauchte. Ohne seine Hilfe konnte sie nur einfache Alltagsorakel machen. Genau wie Oma für größere Prophezeiungen ihre Kette aus versilberten Fischgräten verwendete. Doch die hatte sie gerade gar nicht um. Warum also starrte sie noch immer ins Waschbecken zu den Knabberfischen, die in einer seltsamen Anordnung verharrten, als hätte man sie schockgefrostet? Ich räusperte mich. »Oma?«, flüsterte ich und zupfte leicht am Ärmel ihrer gold-grün gemusterten Tunika. »Omilie, ist alles in Ordnung?«

Oma schüttelte den Kopf, als würde sie aus einem Traum erwachen, setzte ihr wärmstes Lächeln auf und scheuchte mich aus dem Bad. »Ja, natürlich. Ich war nur einen Moment abgelenkt. Alles in bester Ordnung, mein kleines Böhnchen.« Ich kicherte, wie immer, wenn Oma mich so nannte. »Ich bin nur aufgeregt wegen morgen«, rief sie mir nach.

Wem sagte sie das! Ehrlich gesagt hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wie ich diese Nacht überstehen sollte. Die Nacht vor dem Großen Orakelspektakel, bei dem sich endlich entscheiden würde, ob ich einmal ein Fischorakel werden würde wie Oma oder – und das war es, was ich mir insgeheim wünschte – ein Blumenorakel wie Mama. Den Gedanken, dass ich ein ganz normales Mädchen bleiben könnte, schob ich weit weg. Und auch, dass es vielleicht nur für kleine Alltagsorakel reichte, kam natürlich überhaupt nicht infrage!

2

Feiere die Feste, wie sie fallen.

Wir saßen rund um den Gartentisch unter dem knorrigen alten Apfelbaum. Alle meine Freunde waren da: Sascha und Tarek, die in unserer Straße wohnten, Emily und Rosie aus meiner Klasse und natürlich Charlotte und George.

»Gibt’s noch mehr Limo?«, fragte Sascha und sah fragend zu Mama, während Tarek sich den vierten Blaubeermuffin auf den Teller lud.

»Für mich auch bitte«, meldete sich Charlotte zu Wort. »Ich bin am Verdursten.« In ihre Haare hatte sie heute drei knallgrüne Strähnchen gefärbt. Sie klebten an ihrer verschwitzten Stirn und ihr pinkes T-Shirt war mit Grasflecken übersät.

Kaum brachte Mama einen neuen Krug mit Holunderblütenlimonade, streckten ihr alle die Gläser entgegen. Nach den zwei Stunden Geburtstagsprogramm stürzten wir uns nun auf das Büfett, das Oma auf dem Rasen aufgebaut hatte.

Auch ich trank mein Glas in einem Zug leer. Papa hatte es mit der Rallye dieses Jahr echt übertrieben!

»Mann, hab ich einen Kohldampf!« George schaufelte sich ein großes Stück Kiwi-Sahne-Torte rein.

Mir knurrte ebenfalls der Magen. Heute Mittag war ich so aufgeregt gewesen, dass ich keinen Bissen hinunterbekommen hatte. Deshalb schnappte ich mir nun gleich zwei Sandwiches und zwei Buttercremeschnitten auf einmal. Auf die Schnitten hatte Mama eine dicke Schicht grüne Götterspeise gegossen und sie zur Krönung mit kleinen Sahnetupfern verziert. Sie passten total gut zu meinem Geburtstagsgeschenk: einem grasgrünen Ballonrock mit extragroßen Taschen, in denen ich jede Menge Juckpulver und lauter andere nützliche Sachen unterbringen konnte.

»Du hast’s echt gut. Ich hätte auch gern in den Sommerferien Geburtstag«, sagte Emily und streichelte Chakas glänzendes Fell, die sich auf ihrem Schoß zusammengeringelt hatte und zufrieden schnurrte.

Ich nickte und schluckte den letzten Bissen hinunter. »Finde ich auch. Juli-Geburtstage sind die weltbesten Geburtstage.« Noch dazu schien heute die Sonne von einem blitzeblauen Himmel, genau wie Oma es gestern vor dem Zubettgehen vorhergesagt hatte.

Wetterorakeln war babyleicht, jedes Orakel auf der Welt konnte es. Genau wie Kaffeesatz- und Teeblätterlesen. Wenn ich zwölf war, würde ich das auch alles können. Das Jahr zwischen dem elften und zwölften Geburtstag war dazu da, dass man in der Orakelei ordentlich ausgebildet wurde. Dank Mama und Oma würde das bei mir bestimmt prima klappen.

»Macht deine Mutter nachher wieder ein Blumenorakel mit uns?«, wollte Rosie wissen. »So wie letztes Jahr?«

Ich sah, wie Tarek George unter dem Tisch heimlich mit seinen schlammbespritzten Zehen anstieß und die Augen verdrehte. »Mädchenkram«, hörte ich ihn flüstern.

»Dieses Jahr hat sich Mama eine andere Überraschung ausgedacht.« Sofort spitzten alle die Ohren. Ich wusste, dass meine Freunde Geburtstage bei uns Catweazles liebten. Schließlich gab es nur ein Dutzend Orakelfamilien in England und wir waren die einzige hier in Cornwall.

»Wir machen ein Gummibärchenorakel. Aber wer keine Lust darauf hat«, sagte ich und schielte in Richtung der Jungs, »der kann auch mit Papa ein Wissensquiz spielen. Hat er sich selbst ausgedacht. Soll ich Bescheid sagen, dass du mitmachen willst, Tarek? Papa freut sich bestimmt total.«

Tarek wurde rot. »Nee, lass mal, schon okay«, murmelte er. »Gummibärchenorakel ist cool.«

Papa hatte sich den Nachmittag extra freigenommen.

»Ich hab tolle Preise mitgebracht, für diejenigen, die mein Wissensquiz bestehen«, hatte er heute Morgen beim Frühstück gesagt und mir fröhlich zugezwinkert. Danach hatte ich tief Luft geholt, um die Kerzen auf meinem Geburtstagskuchen auszublasen. Bitte, bitte, lass mich ein Orakel werden, hatte ich stumm gefleht. Dummerweise war eine Kerze übrig geblieben.

»Heißt das jetzt, dass mein Wunsch nicht in Erfüllung geht?«, hatte ich Oma gefragt und meine Stimme hatte vor Aufregung gezittert. Sie hatte nur meinen Arm getätschelt und gelächelt.

»Weißt du, Böhnchen«, hatte sie gesagt, »wenn die Katze Flügel hätte, wär kein Sperling mehr in der Luft.« Dann war sie aufgestanden, um in ihr Gartenhäuschen zu gehen. Ratlos hatte ich ihr hinterhergesehen. Manchmal waren mir Omas Orakelsprüche einfach zu kompliziert …

»Hey, was soll das?« Emily, die gerade ihre Finger nach einem Sandwich mit Lachscreme ausgestreckt hatte, starrte mit großen Augen auf Chaka. »Das war das letzte«, rief sie beleidigt, während das Sandwich in Chakas Magen verschwand.