Philine und das Ferkelfiasko (2) - Lilly Silver - E-Book

Philine und das Ferkelfiasko (2) E-Book

Lilly Silver

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Orakel werden ist nicht schwer … Orakel sein dagegen sehr! Der zweite Band der aufregenden, originellen Kinderbuchreihe mit einer Prise Magie ab 8 Jahren. Philine stammt aus einer ganz besonderen Familie: Ihre Oma und ihre Mutter haben das Talent, in die Zukunft zu blicken. Im Gartenhäuschen empfängt Oma Ottilie Besucher von weither, die ihren Rat suchen, und Philines Mutter bindet in ihrem Blumenladen nicht nur wunderschöne Sträuße, sondern kann anhand der Blütenblätter die Zukunft voraussagen. Und endlich weiß auch Philine, dass sie einmal ein Orakel werden wird! Seitdem nutzt sie jede Gelegenheit, um sich im Weissagen zu üben. Sogar in der Schule wendet sie ihre magische Begabung an. Natürlich heimlich, denn Orakel in Ausbildung müssen sich an feste Regeln halten, bis sie alles über die Kunst der Prophezeiung gelernt haben. Doch Geduld ist nicht Philines Stärke! Noch dazu, wenn das fiese Krähenorakel Ravena De Vere finstere Pläne schmiedet und gleichzeitig ein ungestümes Wildschwein-Ferkelchen durch die Küstenstadt jagt. Philines Nachbarn sind völlig entsetzt darüber, dass es immer wieder aus seinem Gehege ausbüxt und für Chaos im Städtchen sorgt. Aber eigentlich finden Philine und ihre Freunde Charlotte und George das Schweinchen ganz niedlich … Vielleicht braucht es nur jemanden, der sich kümmert? Kurzerhand beschließen die Drei, alles zu tun, um dem süßen Frischling zu helfen. Wenn das mal kein Ferkelfiasko wird! Eine orakelig-magische Kinderbuchreihe mit ganz viel Witz und Gefühl. Wunderschön illustriert von Simona Ceccarelli ("Ein Mädchen namens Willow", "School of Talents"). Glückskeks sagt: Fans von "Liliane Susewind" und "Der Zaubergarten" werden dieses Buch lieben!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 195

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lilly Silver

pendelt zwischen ihrem norddeutschen Wohnort und Cornwall, wo sie eine zweite Heimat gefunden hat. Wenn sie nicht gerade fantasievolle Geschichten schreibt, versucht sie, die Wolken zu lesen, legt Tarotkarten oder deutet Tierspuren – jedoch weit weniger erfolgreich als ihre Protagonistin Philine.

Simona Ceccarelli

wuchs in Italien auf und begeisterte sich von klein auf sowohl für Kunst als auch für Wissenschaft. Und so arbeitete sie mehrere Jahre als Forscherin, bevor sie anfing, hauptberuflich Kinderbücher zu illustrieren. Sie liebt Cornwall und würde liebend gern Philine dort besuchen. Aber sie würde sie nie nach der Zukunft fragen, um die Überraschung nicht zu ruinieren. Allerdings würde sie zu gerne verstehen, was ihre Katze denkt …

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

1. Auflage 2024

© 2024 Arena Verlag Würzburg GmbH

Rottendorfer Str. 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Der Verlag behält sich eine Nutzung des Werkes für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

Text © 2024 Lilly Silver

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Cover und Innenillustrationen: Simona Ceccarelli

Umschlagtypografie: Juliane Lindemann

Lektorat: Johanna Prediger

Layout und Satz: Malte Ritter

E-Book ISBN 978-3-401-81084-3

Besuche den Arena Verlag im Netz:

www.arena-verlag.de

1

Sieben könnte deine Glückszahl sein.

Zuerst fiel mir das Tröten kurz nach dem Park auf. Da ich eben am See vorbeigekommen war, kümmerte ich mich nicht weiter um das Geräusch. Denn an dem breiten Uferstreifen hatte sich wie immer jede Menge Federvieh getummelt: Enten, Schwäne, Blesshühner und Gänse. Und obendrein hatten sich ein paar Möwen um ein verdrecktes Wurstbrot gebalgt. Ich bog in die Weaver Street ein und ging ein Stück die Straße hoch, als es hinter mir noch einmal trötete. So laut, dass ich mich jetzt doch umdrehte. Im selben Moment riss der Bibliothekar die Tür der Bücherei auf und schoss heraus.

»Das ist ja eine Kanadagans«, rief er überrascht. »Was macht die denn mitten in der Stadt?«

Tatsächlich! Ein paar Meter von uns entfernt schritt eine große Gans den Bürgersteig entlang. So majestätisch, als wäre sie die Königin und alles ringsherum ihr Reich. Ihr Körper war fast überall mit graubraunen Federn bedeckt, nur der Hals glänzte kohlrabenschwarz. Auch der Kopf war schwarz, bis auf einen weißen Streifen am Kinn. Wieder stieß die Gans ein Tröten aus. Es klang fast ein bisschen empört.

»Hast du dich verlaufen?«, fragte ich.

Die Gans blieb stehen und legte den Kopf schief. Sie blickte mich aus ihren dunkelbraunen Augen aufmerksam an. Oooooooh, sie wollte mir etwas mitteilen! Nur was? Am liebsten hätte ich sofort versucht, das herauszufinden, aber ich riss mich zusammen. Nein, es ging nicht. Mama und Oma hatten mir nicht nur strengstens, sondern allerallerallerstrengstens verboten zu orakeln – erst recht in der Öffentlichkeit. Zu schade!

»Dort ist der See.« Der Bibliothekar fuchtelte mit den Armen und zeigte Richtung Park. »Da musst du lang!«

Doch die Gans scherte sich nicht um ihn. Stattdessen setzte sie sich in Bewegung und marschierte schnurstracks auf mich zu. Erst direkt vor mir hielt sie an. Ich schluckte. Sie reichte mir bis zur Brust und ihr Schnabel sah ziemlich kräftig aus.

»Ich muss los«, sagte ich und wich ein paar Zentimeter zurück. »Sonst komme ich zu spät zur Schule und das kann Mrs Rosewood gar nicht leiden.« Also winkte ich dem Bibliothekar und der Gans zum Abschied zu und lief mit großen Schritten weiter.

Als ich einen Blick über die Schulter warf, bekam ich einen Schreck. Die Gans folgte mir! Ich legte einen Zahn zu und bog um die nächstbeste Straßenecke. Schnell, ab hinter die Hecke! Gut verborgen beobachtete ich, wie die Gans über den Fußweg stolzierte. Gleich dahinter tauchte noch eine auf. Und dann die nächste! Wo kamen die denn auf einmal her? Jetzt blieben die drei auch noch vor der Hecke stehen! Vorsichtig schob ich ein paar Zweige zur Seite und starrte die Gänse durch das Guckloch an. Die drei stierten zurück. Davon hatte der Spruch in meinem Glückskeks heute Morgen aber nichts gesagt! Allerdings war von der Zahl »Sieben« die Rede gewesen … Hieß das etwa, dass hier gleich noch vier weitere Gänse auftauchen würden?

Kurz ärgerte ich mich. Vielleicht hätte ich nach dem Frühstück doch noch schnell aus dem Teesatz lesen sollen, so wie Oma es mir in den letzten Wochen beigebracht hatte. Aber das war nun einmal nicht besonders spannend. Viel mehr beschäftigte mich, was an meinem elften Geburtstag herausgekommen war: nämlich, dass ich einmal ein Tierorakel werden würde.

Das war eine Riesenerleichterung gewesen. Denn Oma war zwar ein Fischorakel und Mama ein Blumenorakel. Papa allerdings konnte überhaupt nicht wahrsagen. Deshalb hatte ich immer ein bisschen Angst gehabt, dass ich keine Orakelgabe abbekommen hatte.

Doch nun stand fest, dass ich mit Tieren orakeln würde. Und nicht nur das. Ich, Philine Catweazle, sollte das mächtigste Tierorakel aller Zeiten werden. Omilie hatte zwar eine Weile gebraucht, um meinen Orakelspruch zu deuten. Aber inzwischen gab es keine Zweifel mehr, dass diese alte Prophezeiung tatsächlich auf mich zutraf. Omilie war übrigens eine Kurzform aus Oma und Ottilie. So hieß Oma mit Vornamen. Die meisten in unserer Stadt nannten sie Otti. Für den Rest der Welt war sie das berühmte Fischorakel von Penzance. Doch selbst sie konnte nicht all meine Fragen beantworten: Wie genau würde ich die Zukunft vorhersagen? Würde ich wirklich mit allen Tieren sprechen können? Sogar mit Vogelspinnen und Tigern?

Eine der Gänse schnatterte leise. Ich seufzte. Dumm, dass ich ihr Verhalten nicht deuten konnte. Was wollten die drei bloß von mir? Konnten sie nicht ein bisschen deutlicher sein?

»Tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, wie ich aus euren Federn die Zukunft lesen soll«, erklärte ich und trat hinter der Hecke hervor. »Es dauert noch, bis ich gelernt habe, wie das mit dem Orakeln geht. Also: husch!« Ich wedelte wie wild mit den Händen, aber das schien die Gänse nicht zu beeindrucken. Im Gegenteil! Sie tröteten und kamen langsam auf mich zu.

»Wir sehen uns!«, rief ich und rannte los. Nur noch ein paar Meter, dann hatte ich die Schule erreicht. Mit etwas Glück waren die meisten Schüler so damit beschäftigt, sich über ihre Ferienerlebnisse auszutauschen, dass mich und die Gänse niemand beachten würde. Ich könnte mich unauffällig unter die Leute mischen und dabei Ausschau nach Charlotte und George halten.

Allerdings wuchs die Schar Gänse mit jedem Meter an. Jetzt waren es schon sieben! Und sie blieben mir dicht auf den Fersen. Normalerweise hatte ich nichts gegen tierische Gesellschaft einzuwenden, aber das hier war fast ein bisschen unheimlich.

»Hey, Philine, wen schleppst du denn da an?«, grölte eine Stimme.

Auch das noch! Die drei größten Fieslinge der Schule lungerten am Tor herum und versperrten mir den Weg. Martin, Paul und SdS, der eigentlich Simon de Sinclair hieß. WÜRG!

»Hast du deine Haustiere mitgebracht?«, fragte Paul.

Martin stieß ihn in die Rippen. »Quatsch, das sind bestimmt ihre Orakelviecher. Liest du jetzt aus Gänseinnereien die Zukunft?« Er trat so schnell auf eine der Gänse zu, dass diese laut fauchte.

»Hör sofort damit auf!«, schimpfte ich und verstellte ihm den Weg.

»Und was, wenn nicht?« Simon sah mich aus schmalen Augen an. »Ich hätte ja wirklich nicht gedacht, dass es noch schlimmer geht. Deine Mutter macht Orakel mit langweiligen Pflanzen und deine Oma liest die Zukunft aus stinkigen Fischen. Aber Gänse …« Er rümpfte die Nase. »Also Gänse sind so was von schräg! Wer will denn schon ein Gänseorakel sein?«

»Immer noch viel besser, als gar nicht orakeln zu können!«, fauchte ich. »Außerdem stimmt das nicht. Gänse sind nicht schräg.« Schon allein, weil SdS es behauptete, wollte ich widersprechen. Auch wenn ich zugeben musste, dass ich so viel Ahnung von Gänsen hatte wie von komplizierten Geometrieaufgaben – nämlich gar keine.

»Ach!« SdS lachte höhnisch. »Du wirst also wirklich ein Gänseorakel?«

Ich presste die Lippen zusammen. Darauf würde er ganz sicher als Allerletzter eine Antwort bekommen. Bis wir nicht genauer Bescheid wussten und der Hohe Rat nicht informiert war, wollten wir geheim halten, dass ich ein besonderes Tierorakel werden würde. Nur meine besten Freunde waren eingeweiht. Apropos! Wo steckten George und Charlotte eigentlich? Ein bisschen Unterstützung wäre jetzt wirklich nicht verkehrt!

Paul bückte sich und hob etwas auf. Dann machte er eine schnelle Bewegung und eine der Gänse schlug laut krächzend mit den Flügeln.

»Lass das!« Ich fiel ihm in den Arm, bevor er den nächsten Stein werfen konnte. »Du tust ihnen weh.«

»Na und?«, sagte SdS abfällig. »Sind doch bloß blöde Gänse. Sollen sie halt einfach verschwinden. Die haben hier sowieso nichts zu suchen.«

»Genau wie einige andere hier«, murmelte ich und fragte dann lauter: »Müsstet ihr nicht längst im Klassenzimmer sein?« Ich drängte mich an SdS, Martin und Paul vorbei und nickte den Gänsen zu. »Kommt mit.« Eben hatte ich sie selbst loswerden wollen, aber wenn ich SdS damit ärgern konnte, durften sie meinetwegen gern auf dem Schulhof bleiben.

Wie auf ein Stichwort watschelten sie hinter mir her – alle sieben!

Paul versuchte, einer Gans den Weg abzuschneiden, aber sie stieß ein lautes Fauchen aus und er wich erschrocken zurück.

Gerade als ich weitermarschieren wollte, formte SdS die Hände zu einem Trichter und brüllte quer über den Schulhof: »Hey, seht mal: Philines Gänseschar! Das sind ihre neuen Freundinnen!«

Sofort drehten sich alle zu mir um. Na toll. So viel dazu, dass ich mich unauffällig unter die Leute mischen würde.

Martin und Paul kicherten und auch ein paar der älteren Schüler fingen an zu lachen. Einige zeigten mit den Fingern auf die Kanadagänse und mich. Die hatten sich jetzt in einem Kreis um mich versammelt und starrten mich erwartungsvoll an. Meine Wangen brannten. Am liebsten hätte ich mich ins nächste Gebüsch gestürzt. Mussten mich alle so anglotzen? Und wie sollte ich jetzt die Gänse überreden, mich in Ruhe zu lassen? Schließlich konnte ich sie ja schlecht ins Klassenzimmer mitnehmen! Wenn bloß Omilie hier wäre. Oder meine Katze Chaka! Sie hätte einmal kurz die Krallen ausgefahren und SdS einen ordentlichen Kratzer verpasst. Auch Söckchen wäre super gewesen, er hätte mir ganz sicher Mut gemacht. Das flauschige Chinchilla war seit einigen Monaten mein zweites Haustier.

Ich seufzte. Es half nichts. Oma saß in ihrem Gartenhäuschen und sagte bestimmt schon längst ihren ersten Kunden die Zukunft voraus. Und Chaka und Söckchen lagen wahrscheinlich friedlich dösend in meinem Zimmer. Wo steckten nur Charlotte und George? Weit und breit waren weder Charlottes wilder Haarschopf zu sehen noch Georges riesige Brille. Dafür fiel mein Blick auf den Schulgarten. Bingo, der Teich!

Irgendwie musste ich es schaffen, die Gänse dorthin zu lotsen. Und zwar schleunigst. Denn mir gefiel es überhaupt nicht, wie mich hier alle anglotzten.

»Gehen wir«, brummte ich und wandte mich um, in der Erwartung, dass die Gänse mir wie eben einfach hinterherwatscheln würden.

Was für ein Irrtum!

Als das Schnattern immer lauter wurde, warf ich einen Blick über die Schulter. »Heiliger Krötenblitz!«, entfuhr es mir. Die sieben Gänse standen noch immer an derselben Stelle im Kreis. Als wären ihnen aus den Schwimmhäuten Wurzeln gewachsen! Nur ihre Hälse wurden länger und länger, während sie mir hinterherschnatterten. Das gab es doch nicht!

Ich schwitzte und spürte, wie meine Wangen anfingen zu brennen. Bestimmt war ich knallrot im Gesicht. Kein Wunder, denn um mich herum wurde jetzt lebhaft getuschelt. Aber einfach weglaufen kam nicht infrage. Auch wenn ich noch kein richtiges Orakel war – ich musste etwas tun! Ich lief auf die Gänse zu und schaute der nächstbesten in die Augen. »Ihr kommt jetzt alle mit!«, raunte ich ihr zu und versenkte meinen Blick tief in ihren, während mir das Herz bis zum Hals schlug.

Täuschte ich mich oder begannen ihre dunkelbraunen Knopfaugen zu funkeln? Nein, sie wurden sogar ein kleines bisschen größer! Bitte, bitte, lass es funktionieren, flehte ich stumm. Ein, zwei Sekunden schien die Zeit stillzustehen, dann machte sie tatsächlich einen Schritt auf mich zu. Und noch einen! Ohne nachzudenken, drehte ich mich um und ging wieder los. Als ich kurz zurückblickte, hätte ich am liebsten einen Luftsprung gemacht. Es funktionierte! Alle sieben Gänse folgten mir. Und ich hatte es sogar ohne Söckchen hinbekommen.

»So, der Ausflug ist beendet«, rief ich so laut, dass alle es hörten. »Ab zum Teich mit euch!« Das war das Beste, was mir auf die Schnelle eingefallen war. Schließlich durften die Zuschauer hier auf dem Schulhof auf gar keinen Fall ahnen, dass sie gerade Zeuge eines geheimen und allerallerallerstrengstens verbotenen Mini-Orakel-Rituals geworden waren.

Ohne mich weiter um die anderen Schüler zu kümmern, marschierte ich auf die kleine Gartenpforte zu. Die Gänse watschelten erwartungsvoll hinter mir her.

Sobald wir durch die Pforte waren, wandte ich mich nach links. Hier wuchsen die Sträucher so hoch, dass kaum etwas zu sehen war. Puh, geschafft!

Eilig führte ich die Gänse zu dem Teich in der Mitte des Gartens.

»Braucht ihr ein bisschen Abwechslung zum See im Stadtpark? Kann ich verstehen, hier ist es auch schön!« Einladend zeigte ich aufs Wasser. Die Gänse reihten sich vor mir auf und reckten erwartungsvoll die Hälse. Ein bisschen unheimlich waren mir ihre Schnäbel immer noch, trotzdem kniete ich mich hin und sah ihnen nacheinander in die Augen. »Ich weiß, ihr wollt mir wahrscheinlich etwas sagen. Aber es tut mir leid. Ich verstehe euch einfach nicht. Könnt ihr es nicht demnächst noch mal versuchen?« Am besten, wenn ich Söckchen bei mir hatte, fügte ich in Gedanken hinzu.

Jetzt klapperten alle sieben mit den Schnäbeln. Das war bestimmt ein Ja! Sie hatten mich also verstanden. Ich hatte es ganz allein geschafft! Ein warmes Gefühl durchströmte mich.

Diesmal liefen sie zum Glück nicht hinter mir her, als ich mich umwandte und aufs Gartentor zusteuerte. Inzwischen waren die meisten Kinder im Gebäude verschwunden. Mit dem letzten Klingeln schlüpfte auch ich hinein und lief zu unserem Klassenzimmer. Gerade noch rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn!

2

Es ist eine hohe Kunst, liebe Gäste angemessen zu empfangen. Noch größer ist allerdings die Kunst, ungebetene Gäste wieder loszuwerden.

»Wo warst du denn?«, zischte Charlotte mir zu, als ich in letzter Sekunde auf meinen Stuhl glitt. Ich musste grinsen, als ich den Spruch auf ihrem Kleid las: Ich bin nichts für schwache Nerven. Hinter mir kam schon Mrs Rosewood in die Klasse.

Auch George guckte mich neugierig an. Wie immer waren seine Brillengläser ein bisschen verschmiert und dazu trug er einen seiner heiß geliebten khakifarbenen Overalls. »Wir dachten schon, du hast am ersten Tag verschlafen.«

»Das ist mir nur ein einziges Mal passiert«, protestierte ich. »Aber warum wart ihr nicht auf dem Schulhof? Ich hätte euch da echt gut gebrauchen können.«

»Mum hat uns heute früh zur Schule gebracht«, erklärte Charlotte und verdrehte die Augen.

George stöhnte. »FRÜH ist genau der richtige Ausdruck.«

»Du kennst sie ja …«, fuhr Charlotte fort. »Mum wollte auf keinen Fall, dass wir heute zu spät kommen.«

Oh ja, das konnte ich mir lebhaft ausmalen. George und Charlotte wohnten direkt nebenan. Ihre Mutter war sehr nett, aber auch ganz schön pingelig. Zum Glück ging es bei uns zu Hause entspannter zu!

»Wenigstens war die Sonne schon aufgegangen«, seufzte George. »Aber es war trotzdem so früh, dass wir eine halbe Ewigkeit hier herumgesessen haben, bis endlich Emily und Rosie gekommen sind.« Er stupste mich an. »Und jetzt erzähl schon! Was ist eben passiert?«

In diesem Moment fiel ein Schatten auf uns.

»Guten Morgen, ihr Lieben«, sagte Mrs Rosewood. Sie sah uns alle drei streng an. »Falls ihr es noch nicht bemerkt habt, möchte ich euch darauf hinweisen, dass ihr euch nicht mehr am Strand oder zu Hause im Garten befindet, sondern in der Schule. Und es ist sehr unhöflich, sich zu unterhalten, während Simon uns von seinen Ferienerlebnissen berichtet.«

Simon, ausgerechnet! Na, da hatte ich auf jeden Fall nichts Wichtiges verpasst. Ich verdrehte die Augen und kassierte gleich den nächsten scharfen Blick von Mrs Rosewood.

Simon erzählte weiter von seiner langweiligen Reise nach Mallorca oder Mailand oder wohin auch immer seine Eltern mit ihm geflogen waren. Sobald Mrs Rosewood wieder nach vorn verschwunden war, fing ich an zu flüstern. »Ihr glaubt nicht, was mir auf dem Schulweg passiert ist …«

»Philine, das ist die letzte Warnung.« Mrs Rosewood klopfte auf ihr Pult. »Sonst muss ich dich leider umsetzen.«

»Schon verstanden, Mrs Rose…«, begann ich, da wurde ich mitten im Satz unterbrochen.

Ein lautes Quäken schallte in den Raum. Nein, bitte nicht! Dabei hatte eben alles so gut geklappt! Die Gänse und ich – wir waren doch auf einer Wellenlänge gewesen …

»Was war denn das?«, rief Emily erschrocken.

Rosie und Paul stürzten an die weit geöffneten Fenster, gefolgt von den anderen. Nur ich blieb auf meinem Platz sitzen. Schließlich konnte ich mir denken, woher das Geschnatter kam.

»Oh, Kanadagänse!«, hörte ich George jubeln. »Sie gehören zu den größten Gänsearten weltweit. Wusstet ihr das? Ursprünglich stammen sie aus Nordamerika, sind aber vor langer Zeit nach England eingewandert. Um genau zu sein, war das …«

»Klappe, George!«, riefen Rosie, Emily, Martin und Charlotte.

»Was machen denn die Gänse hier?«, fragte Emily verwundert. »Es sind eins, zwei, drei …«

»Sieben«, sagte ich laut.

Rosie drehte sich zu mir um. »Hast du etwa in den Ferien geübt?«, fragte sie verdattert. »Oder warum kannst du so gut wahrsagen?«

Ich winkte bloß ab. Es wäre zu schön, wenn ich so etwas schon voraussagen könnte. Aber wie sollte das gehen, wenn ich meine Zeit mit Teesatzlesen oder Wolkendeuten verbringen musste?

»Setzt euch wieder, Kinder«, bat Mrs Rosewood. Sie scheuchte alle auf ihre Plätze und schloss energisch ein Fenster nach dem anderen.

Doch kaum war sie ans Pult zurückgekehrt, schlug etwas gegen die Scheibe.

»Sie wollen rein«, johlte Martin.

Ha, dieser Blitzmerker!

»Macht das Fenster auf!«, befahl SdS seinen Handlangern und sofort sprangen Martin und Paul auf.

»Nein, auf keinen Fall!«, widersprach Mrs Rosewood, doch da war es schon geschehen. Die Gänse flatterten aufs Fensterbrett und von dort in die Klasse. Alle sieben! Dann stellten sie sich hintereinander auf und watschelten schnurstracks auf mich zu.

Die halbe Klasse starrte verdattert zu mir. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass SdS mich fixierte wie eine Schlange ihre Beute. Bitte nicht!, flehte ich die Gänse stumm an. Wie sollte ich das nur erklären, ohne etwas über meine Orakelfähigkeiten zu verraten?

»Nein, wie süß«, zwitscherte Rosie.

»Süß?«, fragte George schockiert. »Kanadagänse sind doch nicht süß! Sie sind unglaublich beeindruckend! Die Branta canadensis, wie der lateinische Name lautet, hat eine Flügelspannweite von über zwei Metern und gilt als außerordentlich mitteilungsfreudig.«

Wie zur Bestätigung bildeten die Gänse einen Halbkreis um mich und tröteten dabei aus Leibeskräften. Da klopfte es an der Tür und die Stimme von Mr Petersen war zu hören. »Alles in Ordnung, Grace?«, schrie er gegen den Lärm an.

Mrs Rosewood wurde ein bisschen blass um die Nase. »Alles bestens, John«, rief sie. »Nur bitte jetzt nicht reinkommen. Wir … wir machen hier gerade ein … ein kleines Experiment.«

Die Gänse rückten noch dichter an mich heran.

»Was hat das zu bedeuten, Philine?«, fragte Mrs Rosewood verwirrt.

Mir brach der kalte Schweiß aus. Philine, du musst mir versprechen, deine Fähigkeiten im Zaum zu halten, gerade in der Öffentlichkeit. Ich muss erst mit dem Hohen Rat sprechen und herausfinden, was es mit der Prophezeiung auf sich hat, hörte ich Omilies strenge Stimme in meinem Kopf.

»Philine, hat das etwas mit …«, flüsterte Charlotte, biss sich dann aber schnell auf die Lippe.

»Später«, wisperte ich und sie nickte sofort.

George legte den Finger an die Stirn. »Hm, ich bin mir nicht sicher, aber gehört das vielleicht zu ihrem Paarungsverhalten?«, überlegte er laut.

Simon, Martin und Paul prusteten los.

Na, herzlichen Dank auch!

»Sehr hilfreich, George«, presste ich hervor und saß dabei wie festgetackert auf meinem Stuhl. »Fällt dir vielleicht etwas ein, wie wir sie wieder nach draußen befördern können?«

Georges Antwort ging in einem lauten Trötkonzert unter. Ohne nachzudenken, sprang ich auf und stieg auf meinen Tisch. Dass ich noch mal Kontakt zu ihnen aufnahm, wie eben auf dem Schulhof, schied ganz klar aus. Mir gefiel überhaupt nicht, wie SdS mich die ganze Zeit beobachtete. Ich musste seine Zweifel zerstreuen, und zwar schleunigst.

»Raus mit euch. Zurück zum Teich!«, rief ich daher und zeigte auf die offenen Fenster. Dazu fuchtelte ich wie wild mit den Armen. Die Gänse schlugen sofort mit den Flügeln und verteilten sich wie auf ein Kommando überall im Klassenzimmer. Eine hüpfte auf Mrs Rosewoods Stuhl, eine steckte den Kopf in den Papierkorb und zwei weitere bauten sich vor der Tür auf. Zwei Gänse ließen sich auf dem Fußboden nieder und eine andere setzte sich sogar auf Simons Tisch. Simon wich erschrocken ein paar Meter zurück.

»Philine!«, schrie Mrs Rosewood. »Dadurch wird es nur noch schlimmer.«

Ja, genau das war mein Plan. Niemand sollte denken, ich könnte mit Gänsen kommunizieren. Vor allem nicht SdS. Zufrieden schaute ich mir das Chaos im Klassenzimmer an, als Mrs Rosewood sich umwandte und die erste Gans energisch zum Fenster scheuchte. »Los, Kinder! Helft mir, das Federvieh hinauszubugsieren!«, befahl sie uns.

Wir bildeten eine Kette, breiteten die Arme aus und gingen langsam auf die erste Gans zu. Mit vereinten Kräften gelang es uns, die Gänse nacheinander zum Fenster zu treiben.

Die letzte Gans aber blieb auf dem Fensterbrett stehen und schaute mich abwartend an. Der Rest der Klasse murmelte aufgeregt durcheinander und sah den Gänsen dabei zu, wie sie Richtung Schulhof flatterten. Keiner bemerkte uns. Sollte ich …? Geht zurück zum Teich, beschwor ich die Gans stumm und fixierte für den Bruchteil einer Sekunde ihren Blick. Bitte, ihr dürft mein Geheimnis nicht verraten.

Ob sie mich tatsächlich verstanden hatte? Jedenfalls wandte sie den Blick ab und flog ihren Kameradinnen hinterher. So oder so war unser Klassenzimmer nach kurzer Zeit gänsefrei.

Erleichtert verschloss Mrs Rosewood die Fenster und wandte sich an uns. »Setzt euch bitte wieder hin«, sagte sie. »Und schlagt eure Bücher auf. Ich glaube, wir fangen einfach mit Mathe an. Dabei sollte kaum etwas schiefgehen.«

Alle setzten sich hin. Bis auf Simon. Er starrte mich wütend an. »Du hast die Gänse hier angeschleppt«, schnauzte er. »Also machst du das hier gefälligst auch weg!«

Er zeigte auf einen großen graubraunen Fleck mitten auf seinem Tisch. Genau dort, wo eben noch die siebte Kanadagans gesessen hatte.

»Uäh«, machte Martin und Paul würgte leise.

Ich unterdrückte ein Kichern. Manchmal erfüllten sich geheime Wünsche auf ganz unerklärliche Art und Weise.

Das Große Buch der Sibyllen

Kapitel 7

Liebe Leserin, lieber Leser,

willkommen zurück! Lasst uns keine Zeit verlieren, sondern in die Hände klatschen und uns begierig auf den Wissensschatz stürzen, den dieses hochgeschätzte Buch birgt.

Nachdem wir* uns einige Basiskenntnisse über das Orakeln angeeignet haben, gehen wir nun ein paar Schritte zurück in die Vergangenheit. Denn um die Gegenwart zu verstehen, müssen wir zuerst mehr über die Anfangszeit des Orakelwesens, wie wir es heute kennen, erfahren. Sicher kennt jede und jeder von euch die legendäre Kultstätte Delphi.

An ebendiesem Ort im wunderschönen Griechenland begab es sich vor vielen Jahrhunderten, dass eines der seltensten Geschöpfe dieser Erde, nämlich ein Drache, das berühmte Orakel von Delphi aufsuchte.

Leider konnten wir bisher nicht herausbekommen, was der Drache von dem Orakel wollte. Wollte er das Orakel befragen? Wollte er es warnen? Wollte er sich an dieser Stätte niederlassen?

Jedenfalls stürmte der griechische Gott Apollon auf den Drachen zu, bevor dieser sich dem Orakel überhaupt nähern konnte.

Ein schrecklicher Kampf entbrannte, der sich über dreizehn Tage und Nächte hinzog.*