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Philoktet, geschrieben 1958/1964 und uraufgeführt 1968 am Münchner Residenztheater, ist eines der bekanntesten und wichtigsten Stücke des Autors. Diese Ausgabe gestattet den Vergleich mit der ›Vorlage‹, auf die Heiner Müller (1929–1995) antwortete: Sophokles' Philoktet, uraufgeführt 409 vor Christus in Athen.
»Die griechische wie die deutsche Version des tragischen Lebens von Philoktet zeigen deutlich, daß die Sprache der Partner des Todes ist. Man hört ihn als ein dunkles musikalisches Branden im Epos, aus dem das Ensemble der großen griechischen Tragödien hervorgeht. Man hört ihn auch, nicht nur in seinem Philoktet, im Ensemble der Stücke von Müller. Wenn es sich nicht um eine Komödie handelt, ist das Theater ein Akt des Tötens – wie der Stierkampf. Das Instrument, das Werkzeug dieser Tötung ist das Wort. Diese Macht zeigt sich nirgends so radikal, so klinisch wie in diesen beiden Werken.« Etel Adnan
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Seitenzahl: 144
Heiner Müller Philoktet
Sophokles Philoktet
Aus dem Griechischen von Wolfgang Schadewaldt
Nachwort von Wolfgang Storch
Suhrkamp Verlag
Personen
NEOPTOLEMOS
ODYSSEUS
PHILOKTET
Prolog
Darsteller des Philoktet, in Clownmaske.
Damen und Herren, aus der heutigen Zeit
Führt unser Spiel in die Vergangenheit
Als noch der Mensch des Menschen Todfeind war
Das Schlachten gewöhnlich, das Leben eine Gefahr.
Und daß wirs gleich gestehn: es ist fatal
Was wir hier zeigen, hat keine Moral
Fürs Leben können Sie bei uns nichts lernen.
Wer passen will, der kann sich jetzt entfernen.
Saaltüren fliegen auf.
Sie sind gewarnt.
Saaltüren zu. Der Clown demaskiert sich: sein Kopf ist ein Totenkopf.
Sie haben nichts zu lachen
Bei dem, was wir jetzt miteinander machen.
Küste.
Odysseus. Neoptolemos.
ODYSSEUS
Das ist der Platz, Lemnos. Hier, Sohn Achills
Hab ich den Mann aus Melos ausgesetzt
Den Philoktet, in unserm Dienst verwundet
Uns nicht mehr dienlich seit dem, Eiter drang
Aus seiner Wunde stinkend, sein Gebrüll
Kürzte den Schlaf und gellte mißlich in
Das vorgeschriebne Schweigen bei den Opfern.
Der Berg ist sein Quartier, sein Grab nicht, hoff ich
Ein Loch, vom Wasser in den Fels gewaschen
In langer Arbeit, als der Fisch bewohnte
Was wir mit trockner Sohle jetzt begehn.
Ein Quell davor. Wenn zehn Jahre einen Quell nicht
Austrocknen. Such mir seine Wohnung. Dann
Hör meinen Plan und was dabei dir zufällt.
NEOPTOLEMOS
Dein Auftrag führt nicht weit.
ODYSSEUS
Leer?
NEOPTOLEMOS
Eine Laubstreu.
Aus rohem Holz ein Trinknapf. Feuersteine.
Lumpen, zum Trocknen an den Wind gehängt
Mit schwarzem Blut.
ODYSSEUS
Die Wunde immer noch.
Er kann nicht weit gehn mit dem alten Schaden
Sucht Nahrung oder Grünzeug das den Schmerz dämpft.
Sorg daß er uns nicht anfällt, lieber ja
Als irgendeinem gibt er mir den Tod.
NEOPTOLEMOS
Mit Grund. Du warst das Eisen das ihn abschnitt.
ODYSSEUS
Sei du das Netz, mit dem ich ihn zurückfang.
NEOPTOLEMOS
Dein Wort hat weite Maschen. Was verlangst du?
ODYSSEUS
Daß du in unsrer Sache dich nicht schonst.
NEOPTOLEMOS
Das Leben zu behalten leb ich nicht.
ODYSSEUS
Noch andres das dir mehr sein mag als Leben.
Schwatz ihm den Bogen aus der Hand, mit Pfeilen
Schickt er mein Wort zurück in meinen Mund
Du hattest keine Hand in seinem Unglück
Nicht dein Gesicht auf unsern Schiffen sah er
Leicht mit gespaltner Zunge fängst du ihn
Leicht schleppen wir aufs Schiff den Waffenlosen.
NEOPTOLEMOS
Zum Helfer bin ich hier, zum Lügner nicht.
ODYSSEUS
Doch braucht es einen Helfer hier der lügt.
NEOPTOLEMOS
Vielleicht kann Wahrheit mehr.
ODYSSEUS
Bei dem nicht unsre.
NEOPTOLEMOS
Was kann er gegen zwei auf einem Fuß?
ODYSSEUS
Solang er seinen Bogen hat, zu viel.
NEOPTOLEMOS
Laß uns mit Pfeilen kreuzen seinen Pfeil.
ODYSSEUS
Wer folgt dem toten Feldherrn in die Schlacht?
NEOPTOLEMOS
Der Pfeil auf unsrer Sehne hält vielleicht
Im Köcher seinen Pfeil.
ODYSSEUS
Mehr als sein Leben
Gilt unser Tod ihm, und kein Leben ist
Auf Lemnos, das der Krieg nicht braucht vor Troja.
NEOPTOLEMOSwirft seinen Speer weg.
Mit nackten Händen zieh ich ihn aufs Schiff.
ODYSSEUSnimmt den Speer auf.
Sei wo du willst kühn, klug brauch ich dich hier
Und wenig nütz ist mir des Toten Schläue.
Lern das von mir eh dich sein Pfeil belehrt.
Dein letzter Gang wärs, Narr, ließ ich dich gehn.
NEOPTOLEMOS
Laß mir den Gang, so laß ich dir die Furcht.
ODYSSEUS
Wenn du noch einen Schritt gehst nagl ich dich
Mit deinem eignen Speer an diese Insel.
Und Herakles erscheint dir nicht wie dem
Den der beraubte Gott an sein Gebirg schlug
Zu dauernder Gesellschaft seinen Vögeln
Nicht von der Art die nachwächst ist dein Fleisch
Dich werden ganz vom Stein die Geier pflücken.
NEOPTOLEMOS
Viel hohen Mut dem Waffenlosen zeigst du.
ODYSSEUS
Ich zeig dir, was der Waffenlose kann.
NEOPTOLEMOS
Mit meinem Speer. Und nicht zum erstenmal
Seh ich in deinen Händen meins, geschickt
Zum Diebstahl, und an mir besonders, sind die
Mit Recht nicht trägst du, was mein Vater trug
Als er noch Hände hatte, sie zu brauchen
Das viel beschriene Erz, die narbige Stierhaut.
Gib mir von meinen Speeren einen wieder
Ich zeig dir, was ich kann mit einem Speer.
ODYSSEUS
Zeig mirs zu andrer Zeit am andern Ort.
Auch hab ich deinen Speer schon rot gesehn
Und zweifle nicht an deiner Kunst im Schlachten.
Ich brauch dich lebend und noch brauchst du mich so.
Mit tausend Speeren ist mein Speer begabt
Vom Zufall der Geburt, mit tausend deiner
Und tausend Speere sind mit dem behalten
Oder verloren, wenn du mir versagst.
Das wars warum ich dich nach Troja schleppte
Von Skyros weg, eh du das Leben schmecktest
Nach deines Vaters uns zu zeitigem Tod
Als seine Mannschaft weigerte die Schlacht
Auf seinem Hügel saufend seinen Wein
Und seine Weiber teilend, lang entbehrt
Das eine wie das andre überm Schlachten
Für seinen Ruhm und Mehrung seiner Beute.
Wer hat ihm Hektor auf den Speer gesteckt?
Wir brauchten dich, sie in die Schlacht zu haun
Wie wir den brauchen jetzt für seine Mannschaft.
Nicht deinen Arm, zum Schlachten ungeschickt
Nicht seinen Arm, allein uns wenig brauchbar
Denn williger geht der Mann in seinem Blut
Unter dem Fuß der kommt im heimischen Leder.
Dein Erbe trag ich nicht zu meinem Ruhm
Sondern im Kampf um deines Vaters Leichnam
Sterbend für Totes, ging das meiste Blut
Aus meiner Mannschaft, und die Narben brannten.
Und brennen nicht mehr, seit sie mich behängt sehn
Mit deinem Erz zum Lohn für ihre Wunden.
Setz ich den Fuß aufs Festland ohne den
Kehrt seine Mannschaft unserm Krieg den Rücken
Der Troer wäscht sich weiß mit unserm Blut
Mästet mit unserm Fleisch die heimischen Geier.
Zum Dieb und Lügner bist du schlecht begabt
Ich weiß es. Süß aber, Sohn Achills, ist der Sieg.
Drum einen Tag lang, länger brauchts nicht, schwärz
Die Zunge, dann in Tugend wie du willst
Solang sie dauert, leb du deine Zeit.
Ins Schwarze gehn wir alle, weigerst dus.
NEOPTOLEMOS
Aus faulem Grund wächst wohl ein Gutes nicht.
ODYSSEUS
Eins ist der Grund, ein andres ist der Baum.
NEOPTOLEMOS
Den Baum nach seiner Wurzel fragt der Sturm.
ODYSSEUS
Den Wald nicht fragt er.
NEOPTOLEMOS
Den das Feuer frißt.
ODYSSEUS
Oder, den Grund umgrabend ganz, die Flut.
Am dritten stirbt das andre, was kommt geht
Und weitres reden wir auf Trojas Trümmern.
NEOPTOLEMOS
Hätt ich kein Ohr für dich und keine Sprache.
Sag mir die Lügen, die ich sagen muß.
ODYSSEUS
Dein Speer. In allem brauchst du nicht zu lügen.
Sei der du bist, Achills Sohn, ersten Schwerts
Vor Troja, bis in sein zu kühnes Fleisch
Der Weiberdieb den Pfeil gepflanzt hat, Paris.
Dann lüg: Heim fährst du, deine Segel füllt
Haß gegen uns, Haß gegen mich besonders
Wir riefen dich nach Troja in den Ruhm
Als deines Vaters Asche noch nicht kalt war
Weil die vieljährige Belagerung stockte
Durch die zu tiefe Trauer seiner Truppen
Du kamst und in die Schande wars, dein Erbe
Achills, des laut beweinten, Schild, Schwert, Speer
Weigerten wir deinem gerechten Anspruch
Ich wars, der dich beschwatzte, Falsches redend
Ich bins, der dir die Waffen stahl, das Erbe.
NEOPTOLEMOS
Schweig, wenn du Troja wiedersehn willst, davon.
ODYSSEUS
Ritz deinen Arm, wenn dich der Blutdurst plagt
Den du aus deiner Mutter Brüsten trankst
Sonst schlag ich dich zurück in unser Bündnis
Narr, mit dem Holz von deines Vaters Speer.
NEOPTOLEMOS
Mein Haß gehört dem Feind, so wills die Pflicht
Bis Troja aufhört. Für mein Recht dann tauch ich
In andres Blut den Speer. Kürz deine Zeit nicht
Mit Worten die mich rot sehn machen vorher.
ODYSSEUS
Spar deine Galle jetzt für deinen Auftrag.
Häuf Schlamm nach deiner Lust auf meinen Namen
Mich kränkt nicht, was dir hilft in unsrer Sache
Das Auge trübst du ihm für deinen Anschlag
Arglos den tödlichen, den Bogen, gibt er
In deine Hand, wenn du ihn glauben machst
Die wär so lüstern auf mein Blut wie seine
Und weil du nicht zu lügen brauchst in dem
Wählt ich zum Helfer dich für meinen Plan
Denn glaublich wirst du lügen mit der Wahrheit
Und mit dem Feind geht mir der Feind ins Netz.
Wenn Scham dich rot färbt, wird er glauben, Wut ists
Sie ists vielleicht und selber weißt du nicht
Was schneller in die Schläfe treibt dein Blut
Scham, weil du lügst oder Wut, weil du nicht lügst
Und glaublicher wird deine Wahrheit ihm
Je dunkler dir die Lüge das Gesicht schminkt.
NEOPTOLEMOS
Sei du dein eigner Helfer in der Sache.
ODYSSEUS
In diesem Handel bist du nicht der erste
Der was er nicht will tut. Wir tatens vor dir.
Dein Vater, der in Weiberkleider kroch
Ich wars der ihm die auszog mit der Maske
Des Kaufmanns, handelnd Web- und Mordgerät.
Ausstellt ich beides vor den Weibern im
Palast, von denen eins ein Mann war, er
Dem Blick nicht kenntlich, und so war er kenntlich
An seiner Furcht vor Werkzeug, Lust auf Waffen.
Mich selber vorher fingen so die Fürsten
In ihren Krieg: als ich den Narren spielte
Salz streuend in die Furchen, hinterm Pflug
Im Joch die Ochsen meine Feldherrn nannte
Und die bekannten nicht zu kennen vorgab
Rissen sie von den Brüsten meines Weibs
Den Sohn und warfen den mir vor den Pflug
Kaum hielt ich das Gespann, zweimal vier Hufe
Das schwer zu haltende, einmal bewegt
Eh mir das teure Blut den Boden düngte
Den ich mit Salz verdarb, mich zu behalten
So war ich überführt heilen Verstandes
Und hatte keinen Weg mehr aus der Pflicht.
So viel davon. Wie willst dus? Auf den Knien?
Kniet.
NEOPTOLEMOS
Wär ich ein Troer, süß wär meine Pflicht.
Gewohnt den Staub zu küssen ist dein Knie
Mein Vater sah dich so und sah die Feldherrn
Mit so verkürzten Beinen vor ihm stehn
Als euern Krieg sein langer Zorn aufhielt
Weil ihr nach seiner ersten Schlacht euch schmücktet
Mit seinem Sieg und kürztet seinen Ruhm.
ODYSSEUS
Mehr kränkte ihn, daß wir die Beute teilten
Und klüger war dein Vater als sein Sohn
Er wußte gut, daß wir, den Blick im Staub
Die Steine zählten, unsern Tod für ihn
Wenn er dem Zorn sich ließ, sein Erz, dem Tau.
Dein Leben ists, um das ich auf den Knien geh.
Steht auf.
Dein Fisch kommt, Netz. Ungleich sein Schritt noch immer.
Sieh nicht auf mich. Mit mir gesehn stirbst du
Eh du den Durst gestillt hast auf mein Blut.
NEOPTOLEMOS
Mehr einem Tier als einem Menschen gleicht er
Schwarz eine Wolke über ihm von Geiern.
ODYSSEUS
Solang der sein ist, fürchte seinen Bogen.
Bis er uns folgt, in Stricken oder frei
Nach Troja, wo Asklepios ihm den Fuß heilt
Damit er uns hilft von der größern Wunde
Aus der zu lang schon zweier Völker Blut geht
Der Stinkende uns vom Gestank der Schlacht
Fürchte sein Elend mehr als seinen Bogen.
Nur blind für seine Wunde heilst du die
Nur taub für seinen Jammer stillst du den
Allein in deiner Hand liegt jetzt das ganze
Denn was ich dabei kann ist beten um
Ein wenig Schläue mehr für dich zum schlauen
Hermes, Athene auch helf dir zum Sieg
Die Göttin, die der Gott sich aus dem Kopf schnitt.
Ab. Auftritt Philoktet.
PHILOKTET
Ein Lebendes auf meinem toten Strand.
Ein Ding, das aufrecht geht wie vordem ich
Auf anderm Boden mit zwei heilen Beinen.
Wer bist du, Zweibein? Mensch, Tier oder Grieche?
Und wenn du der bist, hörst du auf zu sein.
Neoptolemos läuft weg.
Und hättest du tausend Beine für die Flucht
Mein Pfeil läuft schneller.
Neoptolemos bleibt stehn.
Wirf dein Eisen weg.
Neoptolemos tut es.
Mit welcher Sprache, Hund, lerntest du lügen
Mensch, welche Hündin warf dich in die Welt
Welch guter oder schlimmer Wind dein Schiff
Auf meinen Steinstrand, den die Schiffe meiden
Seit ich das Meer nach nahenden Schiffen abweid
Mit ältern Augen immer ohne Glück
Auf meinem Fels allein mit meinen Geiern
Beschwingter Wolke zwischen Aug und Himmel
Geduldig wartend mein vergehndes Fleisch
Oder nach einem Rest von einem Schiff
Mich Schwimmenden zu halten aus dem Bauch
Der Fische oder einen Rest von mir.
Das Kleid des Griechen trägst du, das ich trug.
Im Kleid des Griechen mag ein Grieche stehn.
Oder erschlugst du einen Griechen, Freund?
Denn Freund nenn ich dich, wenn von deiner Hand
Ein Grieche starb und frag nach deinem Grund nicht
Es war ein Grieche, keinen Grund brauchts weiter.
Wenn du mich selber zu den Schatten schickst
Ich bin ein Grieche, weiter keinen Grund brauchts.
Und selber bin ichs, der den Tod austeilt
Wenn du bist was dein Kleid anzeigt, ein Grieche
Denn Griechen warfen auf den Stein im Salz
Mich so Verwundeten in ihrem Dienst
Und nicht mehr Dienlichen mit solcher Wunde
Und Griechen sahns und rührten keine Hand.
Das blieb vom Kleid im Wetter der Verbannung
Mit Augen siehst du was vom Griechen blieb
Ein Leichnam, der sich nährt von seinem Grab.
Mein Grab hat Raum für mehr als meinen Leichnam.
Eh ich an deinem letzten Laut dich kenn
Gefragt von meinem Pfeil, bist du ein Grieche?
Dein Schweigen sagt, du bists und spannt den Bogen.
So stirb und nähr die Geier, meine Nahrung
Ein Vorgeschmack den Schnäbeln auf mein Fleisch.
NEOPTOLEMOS
Mit rauher Zunge redest du den Gast an
Zu rauher Mahlzeit mit gespanntem Bogen
Den Hungrigen nach langer Meerfahrt lädst du
Ein kurzes Gastbett ist der Bauch der Geier.
Wußt ich, daß man mit Pfeilen hier den Gast
Bewirtet und mit seinem Fleisch die Vögel
Ich kehrte ungesehn von solchem Wirt
Den Bug aufs Salzmeer, gastlicher als du
Ließ deine Insel dir, dich deiner Insel.
PHILOKTET
Laut, der mir lieb war. Sprache, lang entbehrt.
Mit der das erste Wort aus meinem Mund ging
Mit der ich antrieb meine tausend Rudrer
Die tausend Speere lenkte in der Schlacht.
So lang gehaßt wie auch entbehrt. Und länger.
Lang hört ich die aus meinem Mund allein
Wenn Schmerz mir aus den Zähnen grub den Schrei.
Fühllos die Felsen gaben ihn zurück
Mit meiner Stimme vielfach an mein Ohr.
Mein Ohr hat Lust auf eine andre Stimme.
So lebe, weil du eine Stimme hast.
Red, Grieche. Red von mir das schlimmste, red
Von meinen Feinden Gutes. Was du willst.
Lüg, Grieche. Allzu lang hört ich nicht lügen.
Wo liegt dein Schiff? Woher die Fahrt? Wohin?
Mit welchem Auftrag? Hast du einen Auftrag?
Weißt du, was vor dir steht, sich selber fremd
Auf einem Fuß, ganz faules Fleisch der andre?
Ich sah dich unter meinen Feinden nicht
Auch trägst du bartlos deine Waffen wohl
Noch nicht so lang wie ich den schwarzen Fuß trag
Doch weiß ich, ihre Zungen sind geschickt
Den Schatten meines Schattens noch zu schwärzen
Bei Ungebornen und bei Toten auch.
Sag, welche Lügen trugen sie dir auf
Zu welcher Untat leihst du deine Hand
Wird meinen Mördern meine Zeit zu lang
Gehst du als Bluthund auf der roten Spur
Ganz abzutun das viel geschundne Wild
Eh es die Gurgel aufreißt seinen Hunden?
Ich will dir Atem lassen für die Wahrheit.
Drei Worte länger sei dein Leben. Sag sie.
NEOPTOLEMOS
Fremd bist du mir, dein Unglück unbekannt.
Schuldlos den Geiern gäb mich dein Geschoß.
PHILOKTET
Schweig, Grieche, eh ich dir die Stimme ausreiß.
Kann sein, du weißt nicht, wo der Sturm dich antrieb.
Die Insel kennend kennst du mich wohl auch.
Mit einem Atem nennt man unsre Namen
Und jeder Stein hat Atem auszuschrein die
Ganz ihr Beherrscher bin ich und ihr Knecht
An sie gekettet mit der unzerreißbarn
Kette der Salzflut, die uns blau umringt
Mich, Philoktet, und Lemnos, meine Insel.
NEOPTOLEMOS
Von Lemnos hört ich reden, nie von dir.
Und lügen ist auf Skyros nicht der Brauch.
PHILOKTET
Doch hat ein Herdendieb vielleicht und Lügner
Aus Ithaka, der deines Vaters Vieh stahl
Auf gastlichem Bett bewirtend deine Mutter
Mit seinem Samen seinen Raub gezahlt
Und aus der Saat des Lügners wuchs ein Lügner
Auf Skyros auch: du. Laß die Hand vom Speer.
Sei der du bist, ein Lügner, Mörder, Dieb
Du hast ein Schiff, mehr brauch ich nicht von dir
Und einen Platz auf deiner Ruderbank
Oder darunter. Hast du noch ein Schiff?
Nimm mir das Ausland von den Füßen, Grieche
Den Schatten meiner Geier aus den Augen.
Oder hat mir der Sturm dein Schiff zerbrochen
Und mit dir teilen soll ich meine Vögel
Und aufgebraucht ist uns die Mahlzeit vom
Zweifachen Hunger, eh das Grab gebraucht wird
Und grablos faulen wir in gleicher Sonne.
NEOPTOLEMOS
Achills Sohn bin ich, Neoptolemos.
Im Auftrag eigner sehr gekränkter Ehre
Nach Skyros heim, Troja im Rücken, fahr ich.
Für meinen Feind spar deinen Pfeil, dein Feind ists
Aus Ithaka, wo man die Hunde krönt.
PHILOKTET
Willkommen in der Narrheit, Sohn Achills.
Hast du den Griechen einen Dienst getan?
Sie sind gerecht, sie strafen dich dafür.
So sehr ein Narr kann nur ein Grieche sein
Daß er für einen Griechen eine Hand krümmt.
Red mir von anderm, sag mir meine Zeit
Wie lang der Krieg um Priams Stadt war, wen
Der Schuttplatz deckt von Lieben und Gehaßten.
Denn mit der ersten Flotte fuhr ich aus
Und wurde vor der ersten Schlacht besiegt
Wo mir kein Baum die Jahre zählen half
Die Sonne nur den immer gleichen Kreis geht
Der Mond im immer gleichen Wechsel seinen
Unter dem Gang der ferneren Gestirne
Dem Auge unverrückt, auf schwarzer Bahn.
Nach tausend Malen war ich müd zu zählen