Popper - Jonas Janson - E-Book

Popper E-Book

Jonas Janson

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Beschreibung

Drei Jugendlichen aus den bayerischen Alpen gelingt zu Anfang des 21. Jahrhunderts die Erzeugung eines Geschöpfes, das biologische und künstliche (und literarische) Intelligenz in sich vereint. Zur selben Zeit bricht in Süddeutschland eine Seuche aus, welche die Menschheit existenziell herausfordert. Die Ressourcen werden knapp, ein Krieg beginnt, und das irdische Leben tritt in eine neue Phase ein.

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Für meine Kinder

Inhalt

Kapitel 1: Vorspiel

Kapitel 2: Popper

Kapitel 3: Die Seuche

Kapitel 4: Reichtum und Tod

Kapitel 5: Krieg und Zukunft

Erster Teil:

»Vom Gorilla bis zur Vernichtung Gottes.«

Zweiter Teil:

»Von der Vernichtung Gottes bis zur Verwandlung des physischen Menschen.« –

Kornschnaps!

Gottfried Benn

Kapitel 1: Vorspiel

Mein Name ist Tristan Trusheim.

Ich habe beides gegoogelt: »Tristan« kommt aus dem Keltischen, abgeleitet von drest bzw. drust, und bedeutet Waffen-Lärm. FYI. For your information. Seit Richard Wagner, einem Songwriter von vor über tausend Jahren, wird Tristan in der Kunst aus dem Französischen abgeleitet, von »triste« – traurig, und ich glaube, das trifft es in meinem Fall besser. Bei »Trusheim« zeigt mir Google irgendeinen Comedian, den keiner kennt.

Ich bin tatsächlich eine traurige Figur. 17 Jahre alt. Ein soeben sitzengebliebener Außenseiter in der Schule, kein GF, girl friend, abgebrochener Fußballspieler, Loser par excellence, der sich hauptsächlich in den virtuellen Welten bewegt. Fett werde ich dabei nicht, denn ich esse kaum noch etwas. FUBAR. Fucked up beyond all repairs.

*

Ich habe einen Bruder, Niclas, Nicky, der ist das glatte Gegenteil von mir selbst. 15 Jahre alt, eine Granate, Bayernauswahl, Top Scorer, Klassenprimus, und schon jetzt kriegen die Mädchen feuchte Augen, wenn sie in seine Richtung blicken. Obwohl er noch kein einziges Schwanzhaar hat. FTW. For the win.

KP, kein Plan, warum die Natur ihre Gaben und Talente so ungleichmäßig verteilt. Schon immer war das so, seit ich denken kann: Als wir Skifahren lernten, war ich noch im Grundschwung unterwegs, während Nicky bereits im Parallelschwung die steilsten Hänge herunter scillte. Wenn wir früh morgens mit meinem Vater auf einen Berg stiegen, war ich lustlos, motzig und träge, er schnell und hellwach. Er bringt nur Einser und Zweier aus der Schule nach Hause, ich nur Fünfer und Sechser. Er ist blond, ich dunkelhaarig. Manchmal glaube ich sogar, dass mein Vater ihn mehr liebt. Papa hat eine andere Stimme, wenn er mit ihm spricht, und er sieht ihn mit anderen Augen an. Zärtlich, voller Stolz. Ich bin kein bisschen eifersüchtig, ehrlich, ist ja mein Bruder, ich gönne ihm das. Nur manchmal würde ich mir denselben Blick und dieselbe Stimme meines Vaters eben auch wünschen, wenn er mich ansieht. Bin immerhin genauso sein Sohn. Dabei sehe ich ihm gar nicht ähnlich. Ich braunhaarig, er blond (bzw. jetzt grau, ROFL, rolling on floor laughing), ich dünn und lang wie eine Bohnenstange, er mittelgroß und athletisch (setzt allerdings jetzt auch ein wenig Fett an, haha, selbst an meinem Vater geht die Zeit nicht spurlos vorüber). Ja, ich sehe meiner Mutter ähnlich. Sie ist auch dunkelhaarig, und sie ist sehr hübsch. Beziehungsweise – sie war sehr hübsch, denn jetzt wird sie alt. Sie stammt aus dem Alpenvorland. Wahrscheinlich ist irgendwann in der Vergangenheit ein Italiener über den Alpenkamm gestiegen und hat meine Urururgroßmutter gepoppt. Oder so. Wer weiß?

Vielleicht ist auch die Enge des Alpentals, in dem meine Mutter groß wurde, mein Verhängnis. Vielleicht ist mein Horizont aus genetischen Gründen so beschränkt, vielleicht bin ich deshalb faul und träge und falle schleichend der Flachbildschirmverblödung zum Opfer. Als DAU, dümmster anzunehmender User sozusagen. Ich kann eben nur noch mit dem Finger Bilder von der einen zur anderen Seite wischen, zu mehr Aktivität fehlt mir schlichtweg die Kraft. Das heißt: Für einen Mausklick reicht es natürlich. Den brauche ich für meine E- Games. Ludologie, let’s play! Nachdem ich im Fußball der realen Welt keinen Erfolg hatte, habe ich mich dem Fußball der virtuellen Welt zugewandt. FIFA. Hier bin ich mein eigener König. Die Frauen jubeln mir zu. Eine sieht aus wie Sonja, ein Mädchen in meiner Klasse, in das ich mich verliebt habe. Sie will nichts von mir wissen. Surprise. Ich gebe den Spielern Zeichen. Left! Right! Forward! Back! Fire! Score! Goal! Manchmal stehe ich neben mir, sehe mich auf meinem Hocker sitzen, in einen Screen starren, mouse-clickend, totally absorbiert. Wie vor zwei Jahren in Las Vegas. Papa hat uns alle eingepackt und mit in eine Bar genommen. Dort saßen die Amerikaner um einen riesigen Bildschirm herum, ein Beer in der Hand, und schrien wild durcheinander. Basketball. Left! Right! Forward! Back! Fire! Basket! Give it to Dirk! Give it to Dirk! Dirk Nowitzki. Mann, war ich stolz auf diesen deutschen Baum! Überhaupt Las Vegas! Ein gigantisches Pflaster. Mitten in die Wüste gezimmert. Skyscrapers, Trump Tower, Spielcasino, Puff. Aber irgendwie hart. In den Spielcasinos hockten die Amerikaner vor den Automaten, glotzten auf die Zahlen, mit verblödeten Gesichtern, ugly faces ISTR, I seem to recall, als seien sie selbst zu Automaten geworden. Man muss sich an die Dinge verlieren können, um ihnen etwas abzugewinnen. Das haben sie alle geschafft. Frage allerdings, POV, point of view, ob es ein Gewinn ist oder nicht. Verloren haben sie sich, verloren waren sie in der Tat. Ich habe Ehepaare gesehen, die, mit grauen Gesichtern nebeneinandersitzend, ihr Hab und Gut in die Spielautomaten verpulverten. Unsere Taxifahrerin hat erzählt, dass sie als junge Frau in einem Bordell arbeiten musste, weil sie alles verspielt hatte. Damals in Amerika war ich fünfzehn Jahre alt, ich habe die Gefahren erkannt und verstanden. Trotzdem befinde ich mich jetzt im freien Fall. Mein Computer frisst mich auf. Wir werden eins.

*

Mama und Papa machen sich vielleicht Sorgen. Das wäre ja völlig normal. Mamas und Papas machen sich immer Sorgen. Bis sie tot sind. Dann können sie sich keine Sorgen mehr machen.

So haben sich meine Urgroßeltern um meine Großeltern Sorgen gemacht, meine Großeltern um meine Eltern, meine Eltern um mich. Und so werde ich mir um meine Kinder Sorgen machen. Falls es dazu kommt. RL, real life, Ihr wisst schon. Eigentlich will ich keine Kinder haben. Aus mehreren Gründen.

Erstens: Man muss dazu eine Frau finden. Der Computer hilft dabei nur bedingt. Die Parship-Frauen sehen zwar in der virtuellen Welt gut aus, aber wenn man sie dann bei Tageslicht irgendwo trifft, sind sie nicht wiederzuerkennen. Mit den chinesischen Sexpuppen ist es zwar super, aber es gibt eben keinen Nachwuchs. Jedenfalls noch nicht. Vielleicht irgendwann mal. 143, I love you. Und dann kommt ein Cyborg dabei heraus. Zweitens: Wenn die Rotzlöffel endlich da sind, hat man keine ruhige Minute mehr. Seh’ ich an meiner Tante und ihrem Sohn David. Die reinste Fress- und Scheißmaschine. Brüllen, fressen, schlafen, kacken, Windeln wechseln. Und wenn das kleine Monster ein einziges Mal die Mundwinkel zu einem Lachen verzieht, tun alle so, als läge das Christkind persönlich in der Krippe. FML. Fuck my life. Drittens: Nachher kommt so ein Typ wie ich dabei heraus, BOFH, bastard operateur from hell. Nein, ich will keine Kinder haben.

*

B2K. Back To Keyboard.

»Wo fass ich dich, unendliche Natur? Euch Brüste, wo?«

Stammt von Goethe, einem Rapper, hat vor mehr als tausend Jahren gelebt. Oder so. Hab’ ich gefunden, als ich das Wort »Brüste« gegoogelt habe. Krass. Man denkt an Titten, und dann kommt so was dabei heraus. Dabei hat der alte Rapper auch an nichts anderes gedacht als an Titten, als er das geschrieben hat. Da bin ich sicher. Er hat nur so getan, als würde er sich um die Natur im Ganzen bemühen. Dabei wollte er eigentlich nichts anderes tun, als Titten grapschen. Zugegebenermaßen: Er hat es schöner ausgedrückt. Grats. N1. Nice one. Ob die Frauen so was vor tausend Jahren gut fanden? Was würde Sonja wohl dazu sagen? »WTF … du Loser«, würde sie sagen. Dann würde sie sich eins ablachen. ROFL, YMMD, you made my day. 143. Ach, Sonja.

Ich habe den Rapper noch ein bisschen weiter gegoogelt. TBH, to be honest: Der hatte echt was drauf. Manche von den Songs, die er geschrieben hat, können sogar heute noch mithalten. Mit Rag’n’ Bone Man und so. Zum Beispiel der Plot von dem Opa, der mit dem Teufel wettet, dass er am Ende selbst der Schlauere ist, F2F, face to face. Erst wird er auf diese Weise noch einmal jung, poppt eine Braut, die er nachher wieder sitzen lässt, dann wird er reich, königlich reich, und schließlich treibt er’s mit der schönsten Frau Griechenlands. Am Schluss stirbt er dann zwar auch, wie eben alle Menschen, aber er kommt trotzdem noch in den Himmel, obwohl er’s wirklich toll getrieben hat. Und der Teufel geht leer aus. IMHO, in my humble opinion, so was musst du dir erst mal einfallen lassen. Genial. Und diese Sprache! Ist zwar total abgefahren, aber irgendwie auch modern, expressiv, stunning. »Blut ist ein ganz besonderer Saft.« Kann man wohl sagen. »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.« Sehe ich auch so. Ganz einfach: Biologie verschwindet, Technik bleibt. Hat der alte Rapper Goethe damals schon vorausgesehen, sogar den Cyborg, er hat ihn allerdings »Homunculus« genannt. Ein künstlicher Knirps, der sich auf den Weg macht, die natürlich (per Sex) geschaffenen Menschen abzulösen. Delete. EOT, end of transmission. So wird es kommen, NPOV, neutral point of view, da sollen die sich alle in ihre konservative Watte betten, so viel sie wollen. Cyborgsund Homunculi können auch besser zum Mars fliegen und irgendwo anders hin. Und das ist richtig wichtig, weil die Erde nämlich irgendwann total kaputt ist, wenn es so weiter geht mit dem Klima und den Atomwaffen und Donald Trump und so. FUBAR sozusagen. Dann müssen die Menschen alle weg, auf den Mars oder sonst wohin, aber ich glaube, das geht eben erst, wenn wir unsere Gehirne auf Computer herunterladen und uns der Physis entledigen können. Eine Art neurodigitale Transformation. AISI, as I see it, ist das die Voraussetzung? Denn mit unserem armseligen Körper kommen wir im Universum leider nicht weit. Aber wie soll das gehen? KP. Arbeite dran. BBIAB, be back in a bit.

*

Ich habe mit Nicky über die neurodigitale Transformation gesprochen. Er findet, das ist Quatsch. Klar findet er’s Quatsch, dem geht’s ja auch gut. Im Gegensatz zu mir. Der hat eben nur seinen Fußball im Kopf, die Mädchen, die Schule und sonst nichts. Der ist mit seiner Gegenwart komplett versorgt. Muss nicht irgendwohin abspacen. In keine digitalen Welten und kein Universum. Der ist da zufrieden, wo er ist. Da trifft er sich mit den Nachbarsmädchen, da fährt er mit seinen Fußballkameraden zum Camp nach Südtirol, da rennt er durch die Berge, und da kämpft er mit Physik und Mathematik. Total langweilig, mein Bruder. Immer zufrieden. Immer konform.

Selbst der Rapper Goethe fände das langweilig. Sein Opa, den er aus irgendeinem komischen Grund »Faust« genannt hat, ist ja selbst als großer Professor im Studierzimmer noch unzufrieden. Beschwört den Erdgeist herauf, ergibt sich der Magie, will lieber in die Natur, statt in seinem Studierkerker Totenschädel anzustarren. Und dann wettet er mit dem Teufel, dass er niemals zufrieden sein wird – egal was der mit ihm anstellt. Das nenn’ ich Größe. Nie zufrieden sein, nicht mal als Professor Opa. Kicken und Weiber – so toll ist das nämlich gar nicht. Kann jeder. Aber AI, artificial intelligence, brain auf Computer, das ist ein Fortschritt. Leet. 1337.

*

BTB! Target: Brain on Computer. Tools: Tristan, Kabel für elektromagnetisches Mapping, mein Zimmer.

Ich habe mir eine große Menge bipolarer Kabel zugelegt, über mobile apps, die fixiere ich mir jetzt überall am Kopf, über dem Gehirn (falls vorhanden), und leite die empfangenen Signale auf meinen Mac ab. Mal sehen, was der damit anstellt, AI, irgendwas wird schon passieren. FML, da tun sich ein paar Fragen auf. Frage 1: Am Mac gibt es Stecker, aber an meinem Kopf? Mkay, SS1, simple solution 1: Habe mir, wie schon gesagt, Kabelelektroden zugelegt, wie beim EKG, nicht ganz billig, aber Daddy hat’s ja. Natürlich stellt sich jetzt ganz schnell die nächste Frage. Frage 2: Das Gehirn sitzt normalerweise unter den Haaren, shit happens, und wie sollen die Elektroden auf meinen braunen Locken kleben bleiben? SS2: Der Kopf wird rasiert. Meine Mutter wird sich wundern. Aber soll sie ruhig. Rekt, wrecked. Nur Kinder wie Niclas, schlau, schön, erfolgreich, das ist easy. Aber ein Sohn, der sich die braunen Locken bis auf die Kopfhaut abrasiert, um bipolare Elektroden übers Hirn zu kleben – da wird’s langsam spannend. True challenge. Geschieht den Spießern recht. Arzt mein Daddy, Lions Club, Professor – alles von vorgestern. Außerdem ist meine Mutter sowieso nur mit sich selbst beschäftigt. Mit dem scheiß Altwerden. TFAC, time for a change. Also: Rasierapparat (hab schon einen), und eine Locke nach der anderen muss fallen. Gar nicht so einfach vor dem Spiegel, alles seitenverkehrt. Aber es geht. Die braunen Locken zieren die Badezimmerfliesen. Schade eigentlich, habe schöne Locken. OMFG, oh my fucking god, bin gespannt, was Sonja sagt. Irgendwie sehe ich jetzt aus wie der Typ, der im Youtube-»Faust« den Teufel spielt. Hab’ ich mir komplett angesehen, JFTR, just for the records. Sieht böse aus – und schwul. Schwul und cool. Professor Opa Kopf nach oben, Teufel Kopf nach unten, echt crazy. Was würde Sonja dazu sagen? Was wird Sonja dazu sagen?

Okay, wir sind heute zwei wichtige Schritte weitergekommen, mein Computer, mein Gehirn und ich. EOBD, end of business day.

*

Sonja hat mich in der Schule immerhin bemerkt. »OMFG, wie siehst du denn aus? Creepy, NSY, never seen yet!«, hat sie auf dem Schulhof gebrüllt, dann hat sie sich einen abgelacht und mit dem Finger auf mich gezeigt. BG, breite grins, oder auch blöde Gans. »Guckt euch den an, aus welchem Universum kommt der?« Die anderen Idioten haben mitgelacht, keiner hat sich irgendwie für mein Forschungsprojekt interessiert, keiner hat erkannt, wie wichtig das ist. Wie auch? Was soll man von diesen Dumpfbacken und groundlings erwarten? SNAFU, situation normal all fucked up. Von Idioten umzingelt. Aber immerhin: Als ich mich zurückzog, um das fehlende Verständnis meiner Mitmenschen durch wissenschaftliche Tätigkeit zu sublimieren, hat Sonja mir wohlwollend lächelnd hinterhergeblickt. Mädchen, mein Mädchen, wie lieb ich dich! (Goethe, Rapper von vor mehr als tausend Jahren).

*

Das ganze Projekt ist komplizierter als ich dachte. Zwar sehe ich auf meinem Mac ein paar spikes and waves, also irgendetwas aus meinem Gehirn ruft er schon ab. Aber was das soll, auf dem Screen, keine Ahnung. No idea! Viel ist es jedenfalls nicht. Die vereinzelten elektrischen Signale sprechen entweder für eine miserable Ableitung oder für eine geringe Hirnaktivität. Beides wäre schlecht für das Projekt. Richtig schlecht. Aber ich kann’s ja ausprobieren.

Wie jeder gute experimentelle Wissenschaftler muss ich dabei systematisch vorgehen. Für jedes Experiment darf nur eine Variable geändert werden. Leet, 1337. SS3: Die Hirnaktivität von Niclas muss größer sein als meine, schließlich ist er viel besser in der Schule. Also, IOW, in other words, Niclas muss ran an mein High End-Elektroenzephalogramm (HEEEG).

*

Wir haben lange miteinander geredet, Niclas und ich. Viel länger als sonst.

»Was soll der Mist?«, hat er gefragt. »Was bringt das – ein Gehirn ohne Körper? Das macht doch gar keinen Spaß, kein Fußball, keine Mädchen. Wozu also das Ganze? Außerdem schaffst du das sowieso nicht, niemals. Dazu bist du viel zu doof.«

Mein Bruder liebt offene Worte. Ich habe mich auf einen philosophischen Diskurs mit ihm eingelassen.

»Du Arsch«, habe ich gesagt. »Nur weil du eine Eins nach der anderen nach Hause bringst, musst du dir noch längst nicht einbilden, ein Genie zu sein. Einige von den richtig Schlauen – nicht von den Halbschlauen, so wie du einer bist – sind miserable Schüler gewesen, SNAFUs und FUBARs.«

»Okay, bro«, hat er geantwortet, »wer denn zum Beispiel?«

»Albert Einstein, Thomas Mann.«

Niclas lachte laut.

»Red’ keine Scheiße, großer Bruder«, hat er gesagt. »Nicht jeder, der miserabel in der Schule ist, wird deshalb automatisch ein Albert Einstein oder ein Thomas Mann.«

Mein Bruder liebt, wie gesagt, das offene Wort, und ich mag das an ihm, ehrlich.

»Okay«, habe ich geantwortet, wenn du so viel schlauer bist als ich, dann müsste bei dir an meinem HEEEG ja deutlich mehr zu sehen sein als bei mir.«

»Klar – es sei denn, das Ding ist Mist!«

»Traust du dich?«

Er überlegte kurz. Er wirkte irgendwie verunsichert. Niclas und verunsichert, pwned. Wahrscheinlich war er aber doch nur im Zwiespalt, weil er seine blonden Locken abschneiden musste, die Mädchenfänger. Trotzdem schien ihm das Ganze irgendwie unheimlich zu sein. Brain on Computer. Wo führt das hin?

Ich blickte ihn an. »Du musst keine Angst haben«, sagte ich gönnerhaft. »Der Weg ist wahrscheinlich noch sehr weit.«

»Unerreichbar für dich«, bestätigte er und begann, sich seine schönen blonden Locken abzurasieren. Ich lachte und konnektierte ihn stolz mit meinem HEEEG.

Wir beide, mein Bruder und ich, begaben uns dann auf eine erstaunliche Entdeckungsreise: Nicht nur, dass seine Gehirnsignale tatsächlich anders aussahen als meine (wenn auch nicht wirklich komplexer). Nein, es gelang meinem schlauen Bruder auch noch, unsere Potenziale digital zu verarbeiten und übereinander zu lagern. Merge files. Niclas, das kleine Superhirn, programmierte meinen Mac so, dass die einen Potenziale die anderen elektrisch integrierten, das eine Gehirn sozusagen von dem anderen lernte. Die resultierenden Potenziale nannten wir Trisnic-Potenziale. SS4.

*

Am nächsten Morgen umzingelten uns die Mitschüler und Mitschülerinnen.

»Jetzt spacen Tristan und Niclas gemeinsam ab!«, rief Sonja. »Bald fashion bei den Trusheims.«

Niclas grinste sie breit an.

»Nur weil du’s nicht raffst, du Zicke! Sei einfach still!«

PLONK, please leave our newsgroup, kid! Die Anderen standen staunend herum. Hätte ich mich auch nie getraut, so mit Sonja zu reden. Aber statt sauer zu werden, schien sie irgendwie beindruckt zu sein.

»Dann erklär’s mir, Zwerg«, hat sie geantwortet.

»Okay, Sonja«, sagte Niclas. »Hat was mit dem Gehirn zu tun, dem Ding unter der Kalotte, das du so selten brauchst. Mein genialer bro hat mit seinem genialen bro eine Methode entwickelt, das Gehirn auf einen Computer zu loaden. Und wenn du willst, sis, kannst du mitmachen.«

»ORLY; oh really?«, fragte sie spöttisch. »Ist das eine Einladung zu einem date?«

»Dafür bist du viel zu hässlich«, hat mein Bruder knallhart geantwortet.

Wäre fast in den Boden versunken. Habe ihm nie von meiner großen Liebe zu Sonja erzählt. Dachte, jetzt ist alles aus. Aber versteh’ einer die Frauen. Statt sich auf dem Absatz umzudrehen und kein Wort mehr mit Niclas zu reden, wurde sie rot wie eine Tomate.

»Das stimmt aber nicht, Niclas«, sagte ich schnell. »Sonja ist doch total hübsch.«

Er zuckte mit den Schultern und ließ sich Zeit für seinen nächsten Strike. »Na ja, geht schon einigermaßen«, sagte er dann grinsend. Schließlich nickte er und lachte. »FACK, full acknowledge. Wenn du übrigens mal Lust hast, dein Gehirn hinter dem hübschen Gesicht für etwas anderes zu benutzen als für blöde Sprüche, bist du tatsächlich eingeladen, einen Beitrag zu unserem Projekt zu leisten.«

Sonja war jetzt geschmeichelt. »Why not?«, sagte sie und lächelte uns zu.

*

Ich kapier’ es bis heute nicht, wie es dazu kommen konnte, aber eines Tages saßen wir zu dritt vor meinem HEEEG. Die Trusheim Brothers und … Sonja! Sie ließ sich ihre blonden Haare abrasieren (mir brach es das Herz, ihren Kopf kahl zu scheren) und wir konnektierten sie mit unserer Erfindung. Ihre elektrischen Potenziale sahen völlig anders aus als unsere. Während Niclas und ich die Peaks zu Beginn und Ende der Skala auf den Bildschirm plotteten, waren bei ihr die höchsten Ausschläge in der Mitte zu verzeichnen, eine breitflächige AuC, Area under the Curve