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Doch dieses Klischee hat einen Riß - ein Spalt, der zwischen uns verläuft: wir sind getrennt. Ich habe Namor im letzten Winter verlassen, aus dem einfachen Grund, daß ich ihn nicht mehr mochte.
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Seitenzahl: 22
Tanja Dückers
Portola Drive
SuKuLTuR
2014
Umschlaggestaltung unter Verwendung der autumnischen Schrift von Tanja Dückers.
PORTOLA DRIVE
Ich verstehe nicht, was er gesagt hat. Der junge Schwarze wedelt mit einer bunten Cordmütze, und es ist uns nicht klar, ob dieses Schwenken ein Fortscheuchen oder einfach nur eine lässige Geste bedeutet. Jetzt gesellt sich ein zweiter Mützentyp dazu; er ist kleiner, seine Zähne sind schlecht, sein Bauch lugt unter einem zu kurzen, verwaschenen T-Shirt hervor. Es deprimiert mich, daß ich in den USA in den Schwarzenvierteln stets auf Bewohner treffe, die jeder Reiseführerwarnung entsprechen und in den weißen Villengegenden das gepflegte Gutsherrenklischee zu Gesicht bekommen. Wenigstens profitiere ich von dem Vorteil, den mein Äußeres bietet: Vor der Reise habe ich mir die Haare pechschwarz färben und mir getönte Kontaktlinsen anfertigen lassen, um als Lateinamerikanerin durchzugehen. Auf diese Weise kann ich mich in Viertel begeben, in die ich sonst keinen Schritt setzen dürfte. Meinen Paß, in dem Geburtsort: Potsdam steht, muß ich ja niemanden unter die Nase halten. Außerdem: Potsdam, wer kennt das schon?
„Hablas espanol?“
Ich nicke, lächele. Der Kleinere hält mir jetzt einen Comic unter die Nase, in dem sich drei Muskelmänner in Spanisch über – wie ich so auf die Schnelle mitbekomme – einen geplanten Mord unterhalten. Ich werfe Namor einen Blick zu. Er bildet sich ein, als „mein Beschützer“ auftreten zu müssen und hat mir seine Begleitung für diese Reise geradezu aufgedrängt. Namor: Mein Ex-Freund, der die Tatsache, daß ich noch keinen neuen Freund habe, für Anlaß genug hält, sich weiterhin so oft wie möglich in meiner Nähe aufzuhalten. Mit dem Erfolg, daß er mich mit seinen blonden Claudia Schiffer-Locken, seinen trinkwasserblauen Augen sowie seinen marginalen Englisch- geschweige denn Spanischkenntnissen hier jeden Tag in Schwierigkeiten bringt. Namor kommt wie ich aus Potsdam, wir sind schon zusammen in den Kindergarten gegangen, und unsere Eltern, sie sind Nachbarn, haben sich schon früh darauf verständigt, daß wir ein gutes Paar abgeben würden. Aber wie immer bei allzu perfekt geschmiedeten Plänen kam natürlich nachher alles anders. Und das ist gut so. Vorab: Namor heißt natürlich nicht wirklich Namor. Es irritierte mich nur, als ich ihn näher kennenlernte, daß sein wirklicher Vorname nach einem Buch klingt: Roman. Also stellte ich sein Leben auf den Kopf, riß ihn aus seiner allzu intensiven Lektüre heraus, und drehte seinen Namen um. Man kann nicht auch noch so heißen wie man ist. Ich bin Ave.
„Ich glaube, wir sollten jetzt gehen, ich weiß nicht, der Typ will dich anbaggern, glaube ich …“, flüstert Namor mir zu.