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Der dritte Fall der Kultermittlerin Bella Block jetzt neu im eBook! Der Sündenfall einer Metropole … Im fernen Moskau wartet für die Hamburger Privatermittlerin Bella Block ihr bisher persönlichster Fall: Hier möchte sie den Spuren ihres Großvaters, eines russischen Lyrikers, nachgehen. Doch in der Metropole angekommen, muss sie erkennen, dass das einstige idealistische Herz des Sozialismus zum Zentrum von Dekadenz, Korruption und bitterer Armut geworden ist: Während westliche Touristen ganze Vermögen beim Glücksspiel riskieren, gibt es für viele junge Frauen nur einen Weg, um der Abwärtsspirale zu entkommen … Als Bella in einer Hotelbar zufällig Augenzeugin eines Giftmordes an einer jungen Prostituierten wird, nimmt sie die Ermittlungen auf – und sticht unversehens in ein Wespennest aus Gier und Hass, das sie ins Visier der Moskauer Mafia bringt … »Mit präzisen Beschreibungen und stimmigen Dialogen schafft Doris Gercke Atmosphäre und gibt ihren Figuren den Atem der Authentizität.« Der Spiegel Der dritte Fall der legendären Kommissarin Bella Block, der unabhängig gelesen werden kann – ein bitterböser Kriminalroman für die Fans von Susanne Mischke. In Band 4 gerät Bella in einen Hamburger Bandenkrieg – und kämpft um Gerechtigkeit für eine ermordete junge Frau.
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Seitenzahl: 155
Über dieses Buch:
Im fernen Moskau wartet für die Hamburger Privatermittlerin Bella Block ihr bisher persönlichster Fall: Hier möchte sie den Spuren ihres Großvaters, eines russischen Lyrikers, nachgehen. Doch in der Metropole angekommen, muss sie erkennen, dass das einstige idealistische Herz des Sozialismus zum Zentrum von Dekadenz, Korruption und bitterer Armut geworden ist: Während westliche Touristen ganze Vermögen beim Glücksspiel riskieren, gibt es für viele junge Frauen nur einen Weg, um der Abwärtsspirale zu entkommen … Als Bella in einer Hotelbar zufällig Augenzeugin eines Giftmordes an einer jungen Prostituierten wird, nimmt sie die Ermittlungen auf – und sticht unversehens in ein Wespennest aus Gier und Hass, das sie ins Visier der Moskauer Mafia bringt …
Über die Autorin:
Doris Gercke, 1937 in Greifswald geboren, ist eine der bekanntesten Krimi-Autorinnen Deutschlands. Berühmt wurde sie durch ihre Reihe um die Kultermittlerin Bella Block, im ZDF verfilmt mit Hannelore Hoger in der Titelrolle. Auf der Criminale 2000 erhielt sie den »Ehrenglauser« für ihr Gesamtwerk. Doris Gercke lebt in Hamburg.
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre 17-teilige Reihe »Ein Fall für Bella Block«. Folgende Fälle sind als Hörbücher bei Saga Egmont erschienen: »Du musst hängen«, »Das lange Schweigen«, »Schlaf, Kindchen, schlaf« und »Das zweite Gesicht«.
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eBook-Neuausgabe Januar 2025
Dieses Buch erschien bereits 1989 unter dem Titel »Moskau meine Liebe« im Verlag am Galgenberg
Copyright © der Originalausgabe 1989 by Doris Gercke
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Zeljkica und AdobeStock/Alexe Smyshlaev eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)
ISBN 978-3-98952-591-7
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13, 4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/egmont-foundation. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Doris Gercke
Preis der Macht
Ein Fall für Bella Block 3
dotbooks.
Für Carlo, Conny, Günther und Lothar
Schreibe, was du
gesehen hast, und was ist,
und was geschehen soll
danach.
(Offenbarung, 1.2, Vers 19)
Nein, sagte die Frau.
Der Mann, der ihr gegenübersaß, schwieg. Er besah seine schmalen Hände. Am Nagelbett des Mittelfingers seiner rechten Hand entdeckte er ein winziges Stück überflüssiger Haut, das er sorgfältig entfernte.
Nein, sagte die Frau noch einmal. Das mache ich nicht. Alles, aber das nicht.
Kaffee oder Tee, Genosse Hauptmann, fragte der Kellner.
Der Kellner ging hinüber an das Buffet. Auf dem hellgrünen Velour waren seine Schritte nicht zu hören. In der Morgensonne sah seine braune Livree angestaubt aus. Sie hätte auch gebügelt werden müssen.
Am Nebentisch nahm ein älteres Ehepaar Platz. Die Ehefrau hängte die Kameratasche ab und legte sie zusammen mit einer Zeitung auf den Tisch. Ihr Mann griff nach der Zeitung. Die Ehefrau ging zum Buffet. Gedankenverloren sah der Hauptmann ihr nach.
Der Kellner kam zurück. Er stellte zwei Kännchen Kaffee auf den Tisch, an dem der Hauptmann wieder seine Hände besah. Dann ging er hinüber zum Nachbartisch.
Die Ehefrau lief mit einem Teller, auf dem zwei Scheiben Wurst lagen, zu dem Tisch, an dem ihr Mann die Zeitung las.
Wir nehmen Tee, sagte sie hastig zum Kellner und eilte zurück an das Buffet.
Ich vermute, du hast dir das gut überlegt, sagte der Hauptmann. Sicher hast du genau nachgedacht, bevor du abgelehnt hast.
Da gibt es nichts zu überlegen.
Die Stimme der Frau war unsicher. Sie hatte ihre Tasse mit Kaffee gefüllt und begann ein Stück Zucker auszuwickeln. Ihre langen, knallrot lackierten Fingernägel behinderten sie dabei.
Am Nebentisch kam die Ehefrau zurück. Ohne den Blick von der Zeitung zu wenden, nahm ihr Mann die Arme zur Seite, sodass sie den mit Aufschnitt gefüllten Teller vor ihm abstellen konnte. Dann ging sie wieder zum Buffet.
Er zahlt extra, sagte der Hauptmann. Tausend pro Tag sind auf jeden Fall drin.
Für dich oder für mich, fragte die Frau schnell.
Der Mann hob den Kopf und sah sie an. Es tat ihr leid, dass sie gefragt hatte, aber jetzt war es nicht mehr zu ändern.
Für dich, sagte der Mann. Er lächelte.
Das Gesicht der Frau rötete sich leicht. Sie senkte den Kopf.
Nein.
Die Ehefrau am Nebentisch kam zum zweiten Mal vom Buffet zurück. Diesmal brachte sie Brot, ein Ei, Butter und Käse. Ihr Mann sah immer noch in die Zeitung. Sie baute die Sachen vor ihm auf. Dann ließ sie sich ächzend auf ihren Stuhl fallen und wartete.
Ich habe gestern deine Tochter gesehen, sagte der Mann leise.
Er hatte die Betrachtung seiner Hände endgültig aufgegeben und sah der Frau aufmerksam ins Gesicht.
Sie ist fünfzehn, wie? Gut entwickelt für ihr Alter.
Er machte eine Pause. Die Frau ihm gegenüber presste die Lippen zusammen.
Gestern haben wir ein paar junge Leute festgenommen, fuhr er fort. Rauschgift. Ich möchte nur wissen, wer ihnen das Zeug besorgt hat. Man müsste sie vor sich selbst schützen. Schwieriges Problem, bei unseren Lagern. Nach jedem Besuch in einer Strafkolonie für Frauen bin ich halb krank, so niederschmetternd ist der Eindruck. Wer da wieder rauskommt, ist kaputt.
Der Kellner brachte Tee an den Nebentisch. Er stellte die Kännchen ab und ging. Ächzend erhob sich die Ehefrau und goss ihrem Mann Tee ein. Abwartend blieb sie stehen. Der Ehemann legte die Zeitung beiseite und blickte auf das vor ihm aufgebaute Frühstück. Seine Arme hingen schlaff herunter.
Zucker, sagte er.
Die Ehefrau wickelte ein Stück Zucker aus, ließ es in die Tasse fallen und rührte um.
Zwei.
Seine Arme hingen noch immer schlaff herab. Die Ehefrau gab auch das zweite Stück Zucker in die Tasse und rührte noch einmal um. Der Ehemann blieb mit herunterhängenden Armen sitzen.
Die Frau presste noch immer die Lippen zusammen. Der Mann ihr gegenüber lächelte.
Vier Jahre, in vier Jahren kann man erwachsen werden. Körperlich und moralisch. Was sie in der Zeit mitmachen, das reicht fürs Leben.
In Ordnung, sagte die Frau. Sag mir, was ich tun soll.
Du wirst sehen, es gefällt dir sogar, wenn du es oft genug gemacht hast. Trink deinen Kaffee, wir haben nicht mehr viel Zeit für die Vorbereitungen.
Die Frau trank nicht. Sie starrte vor sich auf die Tischplatte. Die dunklen, glatten Haare fielen ihr halb über das Gesicht. Der Hauptmann sah sie prüfend an. Sie war schön. Vielleicht ein bisschen zu aufwendig angezogen für einen gewöhnlichen Vormittag. Aber sie hatte Geschmack.
Wenn du es richtig anstellst, kann es was Festes werden, sagte er freundlich. Dein Kunde kommt vorläufig alle drei Wochen. In der Modebranche kommen wir voran. Und für dich und deine Tochter fallen bestimmt Kleider dabei ab.
Mit Käse, sagte der Ehemann am Nebentisch.
Seine Frau schnitt ein Brötchen auf, bestrich beide Hälften mit Butter, belegte die untere mit Käse und legte beide ihrem Mann auf den Teller.
Leberwurst, sagte der Ehemann.
Seine Frau griff nach der zweiten Brötchenhälfte, bestrich sie mit Leberwurst und legte sie zurück auf den Teller ihres Mannes. Der Ehemann hob die schlaff herunterhängenden Arme auf den Tisch, nahm in die linke Hand das Käsebrötchen, in die rechte Hand die Teetasse und begann, laut und genüsslich zu frühstücken. Seine Frau ging zum vierten Mal an das Buffet. Diesmal, um das Frühstück für sich selbst zu holen.
Lass dir das Geld gleich geben, sagte der Mann, während er mit der dunkelhaarigen Frau den Raum verließ.
In der Hotelhalle waren mehrere Reisegruppen angekommen. Die beiden drängten sich durch die Menschenmenge. Der Blick der Frau fiel durch die gläsernen Hoteltüren auf das Denkmal zu Ehren der Bezwinger des Weltraums. Die in der Sonne glänzende Rakete schien gerade gestartet zu sein.
Der Mann und die Frau hatten den Fahrstuhl erreicht. Sie fuhren in den zwanzigsten Stock. Auf dem Flur war niemand zu sehen, außer einer alten Frau, die an einem Tischchen in der Mitte des Ganges hockte und schlief.
Der Mann schloss das Zimmer auf. Die Frau ging ans Fenster und blickte hinaus. Sie sah auf den Moskauer Fernsehturm, die Allee der Kosmonauten und den Park der All-Unions-Ausstellung. Sie wandte sich um und begann, ihr Kleid auszuziehen. Als sie nackt war, brachte sie ihre Sachen in den Wandschrank im Flur. Der Mann hatte sich auf einen Sessel gesetzt und wartete. Die Frau legte sich auf die Bettdecke.
Ich mache nur die Füße fest, sagte der Mann. Er holte zwei kurze Stricke aus der Jackentasche und befestigte erst das eine und dann das andere Bein der Frau am rechten und linken Fuß des Bettes. Er gab sich Mühe, die Stricke nicht zu fest anzuziehen.
Die Hände brauchst du nur über den Kopf zu legen. Er hat bis heute Abend bezahlt. Wenn er länger will, muss er mehr geben. Um 18.00 Uhr kannst du Schluss machen. Er ist ganz in Ordnung.
Während der Mann sprach, hatte er seine Arbeit beendet. Er sah auf die Frau herunter. Dann ging er. An der Tür wandte er sich noch einmal um.
Auf dem Nachttisch steht ein Glas Wasser, sagte er, für dich. Schärfere Sachen sind im Kühlschrank.
Die Frau lag einen Augenblick still, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war. Die Sonne schien durch die dünnen Vorhänge auf ihren Bauch.
Vielleicht ist es doch nicht so schlimm, dachte sie. Und das Geld ist auch nicht zu verachten.
Dann fiel ihr ihre Tochter ein, und sie spürte, wie ihr Mund trocken wurde. Sie stützte den linken Arm auf, angelte mit der rechten Hand das Glas Wasser vom Nachttisch und trank.
In der Zimmertür drehte sich der Schlüssel. Das Geräusch des sich drehenden Schlüssels sollte das letzte sein, das sie in ihrem Leben hören würde. Als der Freier neben dem Bett stand, war sie schon tot.
Ich bin gespannt, was es diesmal sein wird, dachte Bella belustigt, während sie versuchte, den Porsche in eine ziemlich kleine Parklücke zu zwängen.
Noch jedes Mal hatte ihre Mutter an ihr etwas gefunden, das nicht in Ordnung gewesen war. Für Bella war daraus mit der Zeit ein Sport geworden. Sie zog sich so korrekt wie möglich an und wartete dann gespannt, was es wohl diesmal an ihrem Aufzug auszusetzen gäbe.
Endlich hatte sie den Wagen eingeparkt – die Lücke war wirklich ziemlich klein gewesen – und stand, den Blumenstrauß in der Hand, die Schuhe geputzt und die Hose gebügelt, vor der Haustür und klingelte. Von innen wurde der Summer gedrückt, aber niemand erschien. Bella trat ein. Auch im Hausflur und in der Wohnungstür wartete niemand. Bella ging ins Wohnzimmer und fand ihre Mutter auf dem Fußboden, vor einem ausgebreiteten Stadtplan von Moskau.
Hier, sagte sie, ohne aufzusehen, wo ich die schwarzen Kreuze gemacht habe, da musst du unbedingt hin. An den Kreuzen stehen Nummern, und hier ist die Liste. Die Fragen habe ich daneben geschrieben. Würdest du sonst doch vergessen.
Immer noch ohne aufzusehen, schob sie Bella einen weißen Bogen entgegen.
Bella blickte hinunter auf den Stadtplan. Dicke schwarze Kreuze hatten ihn an verschiedenen Stellen unleserlich gemacht.
Die Liste ist noch nicht vollständig. Warte. Es dauert noch ein Weilchen.
Bella setzte sich schweigend in einen Sessel und sah zu, wie die alte Frau auf dem Fußboden ihre Sehnsüchte mit nummerierten schwarzen Kreuzen versah.
Mutter, sagte sie schließlich. Ich muss den Stadtplan auch noch lesen können.
Wieso? Du nimmst doch sowieso deinen eigenen Plan mit, hoffe ich. Du vergleichst einfach. Na gut, alles wirst du nicht schaffen, aber sieh unbedingt nach, ob das Haus noch steht, in dem dein Großvater ...
Mutter, jetzt hör mal auf. Weshalb fährst du nicht selbst, wenn du so neugierig bist?
Bellas Mutter hob den Kopf. Sie saß kerzengerade auf dem Fußboden neben dem Stadtplan.
Wie beweglich sie noch ist, dachte Bella bewundernd, zäh, klein und beweglich.
Weil ich mich fürchte, sagte sie bestimmt.
Weil du was?
Weil ich mich fürchte, wiederholte sie. Komm, hilf mir mal auf.
Bella zog die Mutter hoch. Die setzte sich ebenfalls in einen Sessel und sah ihre Tochter an.
Das ist ganz einfach, sagte sie dann. Ich bin jetzt bald dreiundachtzig. Du kannst dir ausrechnen, wie lange ich ungefähr noch leben werde. Kann sein, ein Jahr oder fünf, viel mehr ist auf keinen Fall drin. Und das reicht nicht, um nochmal von vorn anzufangen.
Von vorn anfangen? Wovon sprichst du?
Nimm an, die Genossen sind nicht ordentlich umgegangen mit der Revolution. Man redet ja heute so allerlei. Und ich komme jetzt und stelle fest, es ist etwas dran an dem Gerede. Was müsste ich machen? Ich müsste kritisieren, diskutieren, neu überlegen ... und dafür reicht meine Zeit nicht mehr. So einfach ist das.
Mutter, sagte Bella vorsichtig, könnte es nicht sein, dass du dich grundsätzlich und von Anfang an geirrt hast? Könnte es nicht sein –
Bella, du redest Blödsinn. Und du weißt es. Hoffentlich, fügte sie hinzu, als Bella nicht antwortete. Der Tee ist fertig. Hol ihn aus der Küche.
Gehorsam holte Bella das Tablett mit Tee und Keksen und deckte den Tisch. Die Liste mit den Fragen lag schon an ihrem Platz.
Du kannst sie ergänzen, sagte Bellas Mutter. Vielleicht fällt dir etwas Besonderes auf. Verheimliche mir nichts.
Natürlich nicht, sagte Bella beschwichtigend.
Die Stimme ihrer Mutter hatte zuletzt doch ein bisschen zaghaft geklungen.
Ich hoffe nur, ich werde genügend Zeit haben, um all deine Aufträge auszuführen.
Natürlich hast du genug Zeit. Was willst du denn sonst so lange dort machen? Und übrigens: Du willst doch nicht etwa in diesem unmöglichen Jackett verreisen?
Bella saß im Flugzeug und beobachtete, wie sich die Wälder unter ihr in die Spielzeugwälder einer elektrischen Eisenbahnanlage verwandelten. Vor einer halben Stunde war ihr klar geworden, dass sie einen ziemlich großen Fehler begangen hatte, den zu beheben eine lange Zeit in Anspruch nehmen würde. Sie hatte sich, anstatt wie vorgesehen ein langes Wochenende in Moskau auf den Spuren ihres Großvaters zu wandeln, in einen sowjetischen Polizisten verliebt. An eine Fortsetzung der Geschichte war nicht zu denken, und Bella hasste unerledigte Sachen. Sie fand, dass sie einen Plan machen müsse, um das Gefühlschaos, von dem sie beherrscht wurde, möglichst bald hinter sich zu bringen. Aber weiter als: keinen Tropfen Alkohol in den nächsten Monaten, um die Kontrolle über die Gedanken nicht zu verlieren, und: mit niemandem über die Geschichte reden, um die Erinnerung schneller verblassen zu lassen, war sie bei der Landung des Flugzeugs in Hamburg nicht gekommen.
In Hamburg fiel Schnee.
Himmel, geht es nicht etwas einfacher, dachte Bella verzweifelt.
Sieht schön aus, nicht?, fragte der Taxifahrer freundlich. Und Bella dachte an den nächtlichen, verschneiten Roten Platz, den nachtblauen Himmel darüber und gegen den Nachthimmel diese rote Fahne.
Im Haus war es warm. Bella fühlte sich ein bisschen getröstet. Sie ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank und nahm zwei volle Flaschen Wodka heraus. Sie schraubte die festsitzenden Metallkappen ab und ließ den Inhalt der Flaschen nacheinander in den Ausguss laufen. Sie überlegte einen Augenblick, ging an den Schreibtisch, holte auch die Flasche aus der untersten Schublade links hervor und goss den Inhalt ebenfalls fort. Es kostete sie große Anstrengung, dabei die Erinnerung an einen Abend zu verdrängen, an dem ebenfalls Wodka flaschenweise vergossen worden war. Sie öffnete die Reisetasche und suchte den Block-Gedichtband hervor. Sie hatte ihn in den vergangenen vier Tagen nicht angerührt. Kurz darauf lag sie im Bett, die Vorhänge sperrten den Schnee aus, und las – oder versuchte doch zu lesen.
Dahin – was man liebte, was einem begegnet,
Der Weg nicht gewiss, und alles vorbei ...
Und doch nicht zu löschen, und dennoch gesegnet,
Und unwiederbringlich ... verzeih!
Sie schlug die Seiten um, natürlich nur, um zu finden:
Ich werde dich preisen,
Werde den Klang
Deiner Stimme zum Himmel tragen!
Werde den Sternen
In großem Gesang
Dank für dein Feuer sagen!
Bella warf das Buch in die Ecke, zog die Decke über den Kopf und befahl sich einzuschlafen.
Es war Ende Februar, und Bella hatte vergessen, dass man in dem Zustand, in dem sie sich befand, jeden Vers, jeden Himmel und sogar jede Tischkante zu dem entsprechenden Objekt der Begierde in Beziehung setzt. Da wäre es auf einen Vers mehr oder weniger nicht angekommen.
Nach acht Wochen war klar, dass etwas geschehen musste. Da Wodka nicht in Frage kam, rief sie Beyer an.
Was ist los, fragte er, du klingst, als ginge es dir nicht gut.
Es geht mir wunderbar, antwortete Bella. Wenn ich nicht so gut fliegen könnte, wäre ich schon aus dem Fenster gesprungen.
Und Schnaps?, fragte Beyer zurück, ist dir dein Vorrat ausgegangen?
Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann sind es zynische junge Leute. Es gab eine Zeit, da waren wir beide der Meinung, dass Zynismus nichts weiter ist als die männliche Reaktion auf eine misslungene persönliche Karriere.
Ist gut, ich bin gleich da.
Bellas Stimme hatte müde geklungen und so hoffnungslos, dass Beyer ernsthaft beunruhigt war.