Proof of Hope - April Dawson - E-Book

Proof of Hope E-Book

April Dawson

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Beschreibung

Sich zu verlieben stand nicht im Businessplan

Aurora Madigan glaubt einfach nicht an die Liebe. Nicht nur, dass sie immer wieder an den Falschen gerät, auch der Erfolg von PROOF OF LOVE, der Treuetest-Agentur, die sie mit ihren Schwestern gegründet hat, beweist ihr jeden Tag, dass sie ihr Herz beschützen muss. Finanzmogul Elijah James würde lieber heute als morgen in das Start-up investieren, doch das erste Treffen geht gewaltig schief, und Rory wird darauf angesetzt, den Deal zu retten. Dass der attraktive New Yorker allerdings ihr Herz zum Rasen bringt wie niemand zuvor, war nicht Teil des Plans, denn Privates mit Beruflichem zu vermischen, ist absolut tabu!

"Bei Proof of Hope ist der Titel Programm: Die Geschichte ist herzerwärmend, emotional und ein Hoffnungsschimmer für all jene, die den Glauben an die wahre Liebe beinahe verloren haben." YVY KAZI

Band 1 der PROOF-OF-LOVE-Reihe von April Dawson

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Seitenzahl: 538

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Playlist

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von April Dawson bei LYX

Impressum

April Dawson

Proof of Hope

ROMAN

ZU DIESEM BUCH

Aurora Madigan glaubt einfach nicht an die Liebe. Nicht nur, dass sie immer wieder an den Falschen gerät, auch ihr Job in der Marketingabteilung von Proof of Love, der Treuetest-Agentur, die sie mit ihren Schwestern gegründet hat, beweist ihr jeden Tag, dass sie ihr Herz nicht leichtfertig verschenken, sondern um jeden Preis beschützen sollte. Seit die drei Schwestern begonnen haben, untreuen Partner*innen erfolgreich das Handwerk zu legen, kann sich die Agency vor Aufträgen kaum retten und steht kurz vor der Expansion. Finanzmogul Elijah James würde lieber heute als morgen in das aufstrebende Start-up investieren. Doch das erste Meeting in der Agentur geht durch eine Verwechslung gewaltig schief, und Rory wird darauf angesetzt, den Deal noch zu retten. Dass der attraktive New Yorker ihr Herz allerdings von der ersten Sekunde an zum Rasen bringt wie niemand zuvor, war nicht Teil des Plans. Denn Privates mit Beruflichem zu vermischen, ist bei Proof of Love absolut verboten!

Liebe Leser*innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure April & euer LYX-Verlag

Für Betzy.

Weil unsere Freundschaft mir die Welt bedeutet.

PLAYLIST

Hoppipolla – The Love

James TW – Lipstick

10cm – Drawer

Mark Tuan – lonely

Why dont we – Lucid Dreams

Nina Nesbitt – Loyal to Me

Hurts – The Water

CITI – Today

BIBI – Maybe if

Jackson Wang – 100 Ways

Mad Clown feat. Sondia – My Love is Pain

Ed Sheeran – Autumn Leaves

V – Christmas Tree

88rising, Stephanie Poetri, Jackson Wang – I love You 3000 II

Shawn Mendes – Never Be Alone

Kim Kyung Hee – Our Beloved Summer

James TW – Easy

IU – My sea

Kacey Musgraves – camera roll

Minhyun – Universe

Harry Styles – Matilda

WINNER – PRICKED (MINO&TAEHYUN)

Taeyeon – Some Nights

Edwin McCain – I’ll Be

James Morrison – Love is Hard

Sandeul – One More Step

1. KAPITEL

Rory

»Ich wette zehn Dollar, dass ich die Farbe deiner Unterwäsche erraten kann«, flüstert mir ein Typ ins Ohr, als ich mich endlich durch die Menschenmenge zur Bar gekämpft habe. Das Loft, meine Lieblingsbar, ist wie jedes Wochenende rappelvoll – das macht die Situation im Lokal unübersichtlich, weshalb mir dieser Mann neben mir nicht einmal aufgefallen ist. Ich hebe die Hand, um Fabrizio, meinen Lieblings-Barkeeper und guten Freund auf mich aufmerksam zu machen, ehe ich mich dem angeblichen Flirtmeister des Jahrhunderts zuwende.

Prüfend mustere ich seine breite Brust, bevor ich den Blick über seinen Hals zu seinem Gesicht gleiten lasse. Er sieht nicht schlecht aus, und wer weiß, vielleicht hätte ich ihm den miesen Anmachspruch verziehen, wenn er es scherzhaft gemeint hätte, doch seine kalten, blauen Augen mustern mich auf eine Art und Weise, wie keine Frau angesehen werden sollte. Als wäre ich ein Stück Fleisch, das er an sich reißen will – das ist es, was mir sein anzügliches Grinsen vermittelt.

»Kein Interesse. Aber danke«, antworte ich so freundlich, wie es in dieser Situation nur möglich ist, und hoffe, dass mein genervter Gesichtsausdruck reicht, damit er schnell das Weite sucht. Er stinkt nach Alkohol, dringt in meine Komfortzone ein, und sein Blick ist mir nach wie vor unangenehm. Es ist Abneigung auf den ersten Blick, also gebe ich mich gar nicht erst mit ihm ab.

»Hab dich nicht so. Ich mache doch nur Konversation.« Auch wenn ich ihn ignorieren wollte, entlockt mir seine Aussage ein empörtes Schnauben.

»Ach ja? Und das hältst du für einen passenden Gesprächseinstieg? Dein Boss muss sich ja freuen, dass du so offenherzig zu ihm bist.« Die Augen des Typen weiten sich, und er blickt sich panisch um, als wolle er überprüfen, ob jemand meine Worte gehört hat.

»Hey! So rede ich nicht mit ihm!«, zischt er empört und verzieht beleidigt das Gesicht. Ich blicke flehend in Fabrizios Richtung, hoffe, dass er mich endlich erkennt, doch er hat alle Hände voll mit der Kundschaft zu tun. Es würde auch nichts bringen, mit einem Winken auf mich aufmerksam zu machen, da er mit dem Rücken zu mir steht.

»Du warst derjenige, der behauptet hat, dass diese billige Anmache deine Art von Konversation ist, also spiel jetzt nicht den Beleidigten.« War ja klar, dass er austeilen, aber nicht einstecken kann, das ist so typisch für diese aufdringlichen Kerle.

»So war das nicht gemeint.«

»Wie dann? Du kennst mich nicht, redest von meiner Unterwäsche und gräbst mich mit dem schlimmsten Anmachspruch der Weltgeschichte an? Ist das für dich der Anfang eines normalen Gesprächs?«

»Ich …«

»Nichts du. Ich habe dir schon gesagt, dass ich kein Interesse an einer Unterhaltung mit dir habe, also wieso tust du uns beiden nicht einen Gefallen und trinkst einfach still deinen Drink. Okay?« Nun drehen sich tatsächlich ein paar Leute nach uns um, doch er ist es, der die missbilligenden Blicke erntet, nicht ich. Man kann ihm wohl ansehen, aus welchem Holz er geschnitzt ist. Mit meiner Reaktion hat er offensichtlich nicht gerechnet, denn seine Augen werden groß wie Untertassen, und er blickt beschämt auf seine Schuhe. Diese Art von Abweisung kann auf zwei Arten enden: Entweder ist er derjenige, der einfach weitertrinkt und sein Glück bei einer anderen versucht, oder er könnte es persönlich nehmen und einen Streit vom Zaun brechen. Zu meiner Erleichterung ist er eher der erste Typ. Er murmelt etwas Unverständliches und zieht in dem Moment Leine, als mich Fabrizio endlich entdeckt. Er kommt auf mich zu und zwinkert mir zu.

»Bellissima. Du siehst mal wieder unglaublich aus. Wartest du schon lange?«, begrüßt er mich fröhlich und gibt mir ein High Five, da wir uns nicht umarmen können. Normalerweise nehmen wir einander fest in den Arm, da er mit den Jahren ein wirklich guter Freund geworden ist.

»Danke, du Charmeur. Du bist aber auch nicht von schlechten Eltern«, gebe ich zurück und zwinkere ihm ebenfalls zu. Unsere Flirtereien sind nur Spaß.

»Ich bin von den besten Eltern«, erwidert er lachend und wischt den Tresen vor mir ab, ehe er seine muskulösen Arme auf der Theke abstützt.

»Sag ich doch. So etwas erkenne ich auf den ersten Blick.«

»Hör auf, mich anzubaggern«, sagt er belustigt und wirft das Tuch ins Waschbecken. Pff, das sagt der Richtige.

»Was? Du hast doch damit angefangen.«

»Schuldig, aber bei deinem Anblick werde ich schwach, also verzeih mir, ja?« Er zwinkert mir zu, und ich schwöre, ich höre die Frau neben mir verträumt seufzen, als wäre sie hin und weg von Fabrizio. Das wäre auch völlig legitim, immerhin ist er ein wirklich attraktiver und schöner Mann. Er flirtet gerne, lässt sich aber nie auf eine Kundin ein. Viele aus unserem Freundeskreis wollen eine Petition starten, dass wir beide zusammenkommen sollen, doch zwischen ist uns ist nie etwas passiert.

»Aber sicher doch.«

»Was darf ich dir bringen?«

»Ein Soda mit viel Zitrone.«

»Das ist alles? Sind deine Schwestern oder Piper nicht hier?« Er sieht an mir vorbei, kann aber natürlich niemanden erkennen, da ich heute allein und zudem beruflich unterwegs bin.

»Sie sind heute langweilig und machen einen Filmabend.«

»Was? An einem Samstag? Wie können die nur?!«, fragt er übertrieben schockiert, ehe er nach einem Glas greift, seine Augen dabei aber nicht von mir abwendet.

»Sag ich doch. Ich wollte einfach mal raus. Wie ich sehe, tritt heute wieder jemand auf?« Ich deute mit dem Kinn in Richtung der kleinen Bühne, die jedoch von hier aus kaum zu erkennen ist. Ich sehe nur Haarschöpfe, die sich hin und her bewegen.

»Ja, eine Indieband aus Chicago. Sie sind echt gut. Kerry hat uns ein paar ihrer Demos vorgespielt. Ich sag’s dir, von denen werden wir in Zukunft noch viel hören.« Fabrizio hat, ähnlich wie meine Schwester Sierra, einen exzellenten und breit gefächerten Musikgeschmack. Wenn er sagt, dass die Band gut ist, dann habe ich keinen Zweifel daran.

»Wirklich? Das wäre nicht das erste Mal.« Tatsächlich gibt es drei Bands, die in diesem Lokal bei kleinem Publikum aufgetreten und in den folgenden Jahren groß rausgekommen sind. Der Laden ist so überfüllt, dass ich nicht mal das Banner der Band lesen könnte. Fabrizio reicht mir meinen Drink und zwinkert mir zu, ehe er weitere Bestellungen aufnimmt. Ich bin so oft hier, dass Kerry, der Besitzer des Ladens, mittlerweile wie ein großer Bruder für meine Schwestern und mich ist. Unsere Bestellungen werden alle notiert und die Gesamtrechnung am Monatsende beglichen. Dieses Privileg haben nur wir und Kerrys Familienmitglieder.

Normalerweise gehe ich am Wochenende mit meiner besten Freundin Piper oder meinen Schwestern aus, doch heute bin ich allein, und das ist gar nicht so schlimm. Ich bin ein extrovertierter Mensch, dem es nicht schwerfällt, mit fremden Menschen in Kontakt zu treten. Viele meiner engsten Freundschaften habe ich so geschlossen. Es ist Open Mic Night, und auch wenn ich keinen guten Blick auf die Musizierenden habe, gefällt mir der erste Song, den sie singen. Es ist eine Mischung aus Softrock und Indie, die genau meinen Geschmack trifft.

Ich setze mich auf einen Barhocker, stütze den Ellbogen auf dem Tresen hinter mir ab und blicke in Richtung der Bühne. Ich schließe die Augen, um einfach die Melodie auf mich wirken zu lassen. Ich bin, was Liebesbeziehungen angeht, ein Kopfmensch, doch wenn es um Musik geht, fühle ich es mit meinem ganzen Körper bis tief in meine Seele. Ein Song kann jemanden tiefer berühren, als Worte es allein vermögen.

Ich bin begeistert von den simplen und doch eingängigen Melodien, die mir trotz des vollen Lokals das Gefühl geben, an einem ruhigen und fremden Ort zu sein. Ich träume mich weg aus New York City und ins Hotel meiner Eltern am Grand Lake in Colorado, zu meinen Pferden und den Erinnerungen an eine sorgenfreie Kindheit. Auch wenn wir wohlbehütet aufgewachsen sind und unsere Heimat lieben, strebte jede von uns Madigan-Schwestern nach mehr.

Es muss wohl Schicksal gewesen sein, dass es uns alle drei an ein New Yorker College verschlagen hat. Ich habe einen Collegeabschluss im Bereich Marketing und bilde mich in Workshops zum Thema Social Media Management weiter. Chelsea, meine älteste Schwester, hat an der NYU School of Law als Jahrgangsbeste abgeschlossen, während meine Zwillingsschwester Sierra ihr Literaturstudium abgebrochen hat.

Unsere beruflichen Ziele waren unterschiedlich, doch schlussendlich wurden wir durch einen Schicksalsschlag wieder zusammengeführt, privat wie beruflich. Chelsea war erfolgreiche Anwältin in einer Kanzlei, glücklich verlobt und schien ihr Leben im Griff zu haben. Sierra und ich haben sie immer ein klein wenig beneidet, weil sie das perfekte Leben zu führen schien, das wir uns als Kinder erträumt hatten.

Doch Chelsea verschwieg uns, dass es nicht mehr gut lief zwischen Wallace und ihr. Während wir dachten, dass unsere Schwester vollkommen glücklich ist, wuchsen bei ihr die Zweifel an der Treue ihres Exfreundes. Wochenlang lebte sie im Ungewissen, allein mit ihren Gedanken und Gefühlen. Erst als es unerträglich für sie wurde, vertraute sie sich uns an. Bis sie an diesen Punkt ankam, war viel Zeit vergangen. Sie hatte Hoffnung und versuchte, das Vertrauen in ihren Partner nicht zu verlieren, bis sie diesen Mistkerl schlussendlich in flagranti erwischte.

Sie hat Wallace abserviert und einen klaren Schnitt vollzogen.

Wir waren für sie da, doch ihre perfekte Welt, die sie immer wollte, und auch sie selbst zerbrachen. Noch nie hatte ich meine Schwester in so einem Zustand gesehen. Sie als Älteste war immer die Weise, die Vernünftige gewesen, diejenige, die für alles einen Plan hatte. Doch plötzlich war sie ein Wrack und kam nur mühsam wieder auf die Beine. Als wir schon dachten, dass sie wieder die Alte wäre, kündigte sie ihren Job und suchte das Gespräch mit der ganzen Familie. Chels wollte, dass niemand anderer diese Unsicherheit spüren sollte, wie sie es tat, und entschloss sich dazu, eine Treuetest-Agentur zu eröffnen. Sie hatte ein klares Ziel vor Augen und sogar einen Businessplan erstellt. Mom und Dad waren begeistert und haben sie finanziell unterstützt. Sierra und ich haben ebenfalls einen Kredit aufgenommen, weil wir an ihre Idee glaubten und ebenfalls helfen wollten. Nun besitzen wir Anteile an der Proof of Love Agency, die Chelsea gegründet hat. Der Anfang war schwer, da wir nicht genug Geld für aufwändige Werbekampagnen hatten, uns die Reichweite fehlte und wir somit zu Beginn nur einen kleinen Kundenstamm hatten. Doch die Mundpropaganda hat uns im Laufe der Zeit sehr weitergeholfen. Und mit jedem Erfolg, den wir erzielten, kamen auch neue Aufträge hereingeflattert.

Durch das juristische Know-how meiner Schwester und unsere seriöse Vorgehensweise wurden wir mit den Jahren die beliebteste Treuetest-Agentur New Yorks.

Und auch heute führt mich die Arbeit hierher. Um zweiundzwanzig Uhr habe ich ein Fake-Date mit einer Zielperson in einem Pub. Zwar nicht in unserem Stammlokal, aber zwei Straßen weiter, sodass ich hier gemütlich etwas trinken und die Musik genießen kann, ehe es für mich an die Arbeit geht.

Eigentlich müsste ich nicht mehr auf Fake-Dates gehen, da ich in der Agentur für Marketing und Social-Media-Kanäle zuständig bin, aber ich kann es nicht lassen, Zielpersonen auf ihre Treue zu testen. Leider sind bei uns die Personen, bei denen sich der Verdacht auf Betrug bestätigt, in der Überzahl, aber so ist das Leben. Die persönlichen Umstände der Menschen sind nicht meine Angelegenheit. Wir testen nur – mit den Konsequenzen müssen die betroffenen Personen selbst umgehen.

Eine Stunde später habe ich meine Perücke auf, trage eine Brille und ein anderes Outfit, das ich mir im Auto angezogen habe. Heute treffe ich auf Cliff, einen Buchhalter, der seit zwanzig Jahren verheiratet ist und sich trotzdem mit mir trifft, nachdem er mich auf Social Media angeschrieben hat. Ich blicke zu unserem Security-Mitarbeiter Omar, der zwei Tische weiter sitzt und für meine Sicherheit zuständig ist. Mit einem Nicken signalisiert er mir, dass er wachsam ist und mir hilft, wenn ich ihn brauchen sollte. Zum Glück ist das erst ein Mal passiert.

»Cliff?«, frage ich und verstelle meine Stimme, sodass sie etwas höher klingt als üblich. Das Wichtigste bei den Fake-Dates und dem Auskundschaften der Zielpersonen ist es, tief in einer Rolle verankert zu sein. Sozusagen zu schauspielern, damit man denjenigen auf die Probe stellen kann, ohne die eigene Identität preiszugeben. Unsere Mitarbeitenden, die für die Testungen verantwortlich sind, haben alle viele Social-Media-Fotos, die auf die Perücken abgestimmt sind. Es sind Hunderte von Bildern, die so in Szene gesetzt werden, dass die Profile echt wirken.

Es gibt viele Wege, Kontakt zu Zielpersonen aufzubauen, denn es kommt immer darauf an, was der Partner oder die Partnerin der Person als Betrug ansieht. Im Fall von Cliff ist seine Frau der Meinung, wenn er auf ein Date mit einer anderen Frau geht, ist dies für sie Betrug, und natürlich auch, wenn er seine Ehefrau verleugnet. Ich trage eine Brosche, die so verarbeitet ist, dass man die kleine Kamera nicht sehen kann, die mein Gegenüber aufzeichnet.

Clifford ist ein groß gewachsener, schlaksiger Mann mit einer dunkel umrahmten Brille, braunen Augen und schwarzen Haaren. Er ist dreiundvierzig, ehrgeizig in seinem Job, geht gerne fischen und hat zwei Kinder. Auf den ersten Blick wirkt er sympathisch und sieht gar nicht übel aus, aber ich lasse mich schon seit Langem nicht mehr von dem Äußeren blenden.

»Shelly. Schön dich zu sehen. Bitte nimm doch Platz«, sagt er, erhebt sich und setzt sich erst, sobald ich mich niedergelassen habe.

»Danke für die Einladung. Die Location ist ansprechend. Es ist nicht so laut hier drin, sodass man sich unterhalten kann«, sage ich, obwohl ich schon des Öfteren hier war.

»Ich wollte dich in einer entspannten Umgebung kennenlernen.« Ich tue so, als wäre ich gerührt und blicke verlegen auf meinen Schoß. Mein Charakter Shelly ist eher introvertiert, schüchtern und eine Schönheit, ohne dass es ihr bewusst ist. Auf diesen Typ Frau steht Cliff laut Aussagen seiner Frau. Also habe ich mir dieses Profil zugelegt und seine Fotos auf Social Media gelikt und eines kommentiert. Es dauerte nicht lange, bis er mich privat anschrieb. Nach einer Woche wollte er sich schon mit Shelly treffen und tappte somit in meine Falle.

»Es ist perfekt.«

»Schön, dass du so denkst. Seitdem ich dich kenne, habe ich das Gefühl, als würde ich leichter atmen können, und fühle mich nicht mehr so erdrückt vom Alltag«, meint er und verliert keine Zeit, indem er gleich mit dem Süßholzraspeln anfängt. Er macht Anstalten, nach meiner Hand zu greifen, die ich auf dem Tisch abgelegt habe, doch ich ziehe sie zurück. Regel Nummer Eins in unserer Agency ist, dass jeglicher körperlicher Kontakt, der übers Händeschütteln hinausgeht, verboten ist. Und noch wichtiger: Ich möchte nicht von ihm angefasst werden. Er ist ein verheirateter Mann, der sich hinter dem Rücken seiner Frau zu einem Date mit mir verabredet hat. Noch abstoßender geht es für mich moralisch nicht.

»Entschuldige, ich bin etwas nervös. Ich war schon länger auf keinem Date«, sage ich schüchtern und streiche mir eine Strähne hinters Ohr. Sein Blick folgt meinen Fingern und bleibt dann an meinem Gesicht hängen.

»Das macht doch nichts. Auch ich bin etwas eingerostet nach meiner Scheidung«, sagt er und lügt dabei wie gedruckt. Doch das weiß ich natürlich längst.

Ich seufze auf, denn ich hatte so sehr gehofft, dass Cliff eine der Ausnahmen ist. Ich kann es einfach nicht verstehen, wie man seine Partnerin so hinterhältig betrügen kann.

Am Anfang gab sich Cliff mit seinen Nachrichten zurückhaltend, was aber kein Treuebeweis ist. Wir hätten abbrechen und seiner Ehefrau sagen können, dass er nicht angebissen hat, aber es beginnt immer mit Smalltalk. Gespräche, wie man sie mit Personen aus seiner Nachbarschaft führen würde. Wir als Testende müssen ein gewisses Vertrauensverhältnis und eine Bindung per Chat aufbauen, erst dann fragen wir, ob er oder sie in einer Beziehung ist.

Wir wären keine verlässliche und seriöse Treuetest-Agentur, wenn wir nach kurzem Geplänkel gleich mit der Frage kommen, ob die Zielperson in einer Beziehung ist. Die würden doch den Braten gleich riechen, und wir hätten keine Aufträge mehr. Unser Geheimrezept ist es, einfach alles langsam angehen zu lassen und ein gutes Händchen für das richtige Timing zu haben. Weil Cliff sich anfangs geziert hat, hatte ich die Hoffnung, dass er seiner Partnerin gegenüber loyal ist und sich nicht auf eine andere Frau einlässt. Doch ich lag falsch.

Seine Behauptung, er sei geschieden, ist Beweis genug für seine Untreue. Er hat sich somit selbst verraten, also habe ich alles, was ich wollte. Wenn wir den Beweis der Untreue aufgezeichnet haben, ist unsere Arbeit eigentlich schon erledigt. Für mich gibt es dann keinen Grund, mich hier weiter aufzuhalten. Denn eine der Regeln unserer Agentur ist es, den Kontakt augenblicklich abzubrechen, sobald wir die Beweise in der Tasche haben.

In unserem Handbuch gibt es verschiedene Möglichkeiten, ein Fake-Date abzubrechen. Unser Security-Mitarbeiter und ich haben uns für den Notfallanruf entschieden. Ich nicke Omar zu, um ihm zu signalisieren, dass ich bereit für den Abgang bin. Er schnappt sich sein Smartphone und ruft mich an. Ich habe ihn vorsorglich als »Mom« eingespeichert – für den Fall, dass Cliff schielen würde. Heute tue ich so, als wäre meine Mutter im Krankenhaus, verabschiede mich von diesem Mann, den ich nie wiedersehen werde und eile hinaus.

Die frische Nachtluft lässt mich frösteln, also setze ich mich in Bewegung und gehe zu meinem Auto, das ich etwas weiter weg geparkt habe. Ich höre Schritte hinter mir, lasse mich aber nicht aus der Ruhe bringen. Wenn es Cliff wäre, dann wäre Omar in unmittelbarer Nähe und könnte mich im Zweifelsfall beschützen. Als ich mich umdrehe, stelle ich erleichtert fest, dass es nur Omar ist. Als sicher ist, dass Cliff nicht in der Nähe ist, verlangsame ich meine Schritte, sodass mein Bodyguard, wie ich ihn gerne nenne, zu mir aufschließen kann.

»Das war ein kurzes Vergnügen, oder?«, meint er mit einem traurigen Unterton, denn niemand von uns freut sich, wenn die Untreue nachgewiesen wird. Ich finde es schade, dass es so weit kommen muss, lasse aber nicht zu, dass die einzelnen Fälle mich zu sehr mitnehmen. Es wird Cliffs Frau das Herz brechen, wenn sie die Aufnahmen sieht, aber zum Glück führen diese Gespräche meist Chelsea und Sierra. Ich habe mich von Anfang an eher für die Strukturierung der Agentur zuständig gefühlt und habe wenig Interesse daran, mich mit den Klienten und Klientinnen zu beschäftigen, die am Boden zerstört sind, wenn die Untreue festgestellt wird. Ich bin bei diesen Gesprächen ungern dabei, weil die Trauer der Betrogenen meine Wut verstärkt und ich die untreuen Menschen am liebsten aufsuchen und anschreien würde. Aus diesem Grund halte ich mich aus diesem Bereich eher raus.

»Er wollte mich wohl heute Nacht klarmachen und keine Zeit verlieren.«

»Hmm, das stimmt wohl. Die arme Frau«, sagt er und schweigt daraufhin. Nach diesen Dates sind alle im Team meist niedergeschlagen, da sie diese Dinge sehr nah an sich ranlassen. Bei mir und Chelsea ist das nicht immer der Fall. Chelsea ist unsere Älteste und macht ihren Job, ohne sich von ihren Gefühlen leiten zu lassen. Meiner Zwillingsschwester Sierra stehen ihre Gefühle manchmal im Weg, und sie leidet offen mit den Menschen mit, die uns aufsuchen. Und doch liebt sie es, so eng an den Fällen dran zu sein: Sie möchte für die Menschen da sein und tröstend deren Hand halten.

Sie würde jedem helfen, wenn es in ihrer Macht stünde.

»Gute Nacht, Rory. Komm gut nach Hause«, sagt Omar, als wir neben meinem Auto zum Stehen kommen.

»Du auch. Nacht«, antworte ich und winke ihm zu, ehe ich in mein Auto steige und die Perücke vom Kopf nehme, um sie in den vorgesehenen Koffer auf dem Beifahrersitz zu legen. Ich öffne meinen Zopf und fahre mir durch mein schulterlanges, naturblondes Haar, ehe ich nach dem Smartphone greife und die Nummer meiner Schwester wähle. Womöglich würde sie mir den Hals umdrehen, wenn ich sie nach dem Fake-Date nicht anrufen würde.

»Hey Küken, wie war es?«, fragt sie und klingt nüchtern wie immer. Sie geht meist von der Untreue der Zielperson aus, was ich auf die Erlebnisse mit ihrem Ex zurückführe – außerdem ist die Betrugsquote hoch.

»Er meinte, er sei geschieden, dann hat mich Omar mit einem Anruf rausgeholt aus dem Date.« Ich öffne mit meiner freien Hand die Brosche, schalte die Kamera aus, die die Aufnahmen sofort speichert und in die Cloud hochlädt.

»Ich hasse es, recht zu behalten«, seufzt Chelsea.

»Na ja, eigentlich liebst du es.«

»Aber nicht in diesem Bereich. Ich wünschte einfach, ich müsste den Klienten und Klientinnen diese Aufnahmen nicht zeigen, aber auf der anderen Seite bin ich froh, dass ich ihnen offenbaren kann, wie es um ihre Partnerschaft wirklich bestellt ist. Das erspart ihnen später viele Schmerzen.«

»Mit den Konsequenzen müssen wohl beide leben. Unser Job ist es, die Treue zu prüfen. Nicht mehr und nicht weniger.«

»Hmm, du hast recht. Kommst du vorbei? Wir haben erst einen Film geschafft.«

»Nein, ich gehe gleich nach Hause und leg mich hin.«

»Ach, und bevor ich es vergesse, denk an unser Date.«

»Date?«

»Mittagessen, morgen mit mir. Hast du das schon wieder verdrängt?«, meint sie kichernd, und ich höre auch Sierra im Hintergrund lachen.

»Sorry, ich habe es vergessen. Aber ich bin definitiv dabei.«

»Okay, das musst du auch, denn wir müssen reden. Gute Nacht, Küken.« Sie legt auf, ehe ich noch etwas sagen kann. Verblüfft sehe ich auf mein Smartphone, und es juckt mich in den Fingern, erneut ihre Nummer zu wählen.

Wir müssen reden. Echt jetzt?

Mit diesen Worten verbindet man eigentlich immer etwas Negatives und geht meist vom Schlimmsten aus. Auch wenn ich viele Fragezeichen im Kopf habe, lege ich das Smartphone zur Seite und fahre nach Hause.

Schon als ich das Restaurant am nächsten Tag betrete, merke ich an der Haltung meiner Schwester, dass sie nervös ist. Ihr Rücken ist zu straff, ihre Miene angespannt, und einzelne Strähnen habe sich aus ihrem Dutt gelöst, was nun wirklich eher selten vorkommt. Unsere große Schwester legt immer Wert auf ein professionelles und gepflegtes Aussehen – im Büro, aber auch zu Hause. Was so viel heißt wie, alles muss sitzen, und kein Härchen darf sich aus der perfekten Frisur lösen. »Da ist doch was im Busch«, sagt meine Zwillingsschwester Sierra, die wohl dasselbe denkt wie ich. Wir sind zeitgleich angekommen, auch wenn wir nicht gemeinsam losgefahren sind. Das ist wohl so ein Zwillings-Ding, das wir wohl nie wieder loswerden. Zur selben Zeit am selben Ort, ohne es zu planen.

»Vielleicht ist sie schwanger«, schlussfolgert Sierra, was mich aber das Gesicht verziehen lässt, ehe ich heftig den Kopf schüttle.

»Du weißt, dass sie seit Ewigkeiten keinen Sex hatte. Wie sollte sie da schwanger sein?«

»Noch nie was von künstlicher Befruchtung gehört? Man braucht nicht zwingend Sex, um schwanger zu werden«, sagt meine Schwester und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Du hast ja recht, aber auch wenn sie es wäre, würde sie uns das normalerweise sofort erzählen. Wieso die Geheimniskrämerei?« Die ganze Nacht habe ich darüber nachgedacht, was so wichtig sein könnte, dass sie uns dafür extra hierher beordern musste.

»Du warst noch nie die Geduldige von uns. Du hast dir doch sicher die letzten Stunden den Kopf zerbrochen, was sie uns erzählen will, oder?« Mist, sie kennt mich einfach zu gut.

»Da ist was dran, aber ich verstehe trotzdem nicht, wieso sie uns in so ein feines Restaurant einlädt, wo wir doch sonst wichtige Dinge immer im Meetingraum der Agency besprechen.«

»Hier am Eingang weiter darüber zu rätseln und sie wie eine Stalkerin anzustarren wird uns nicht weiterhelfen«, antwortet meine Schwester und winkt unserer großen Schwester zu, die uns soeben entdeckt hat.

»Stimmt, dann mal los. Gleich werden wir mehr erfahren«, flüstere ich ihr ins Ohr und folge der Platzanweiserin.

»Hey, da seid ihr ja. Pünktlich auf die Minute«, begrüßt uns die Älteste der Madigan-Töchter und schenkt uns ihr Strahlelächeln, das sie glatt in einer Zahnpasta-Werbung präsentieren könnte. Wir umarmen uns kurz, und Zimtduft erfüllt meine Nase. Chelsea muss heute wieder ihr Zimt-Baked-Oatmeal zubereitet haben – ihr Lieblingsfrühstück.

»Du klangst so geheimnisvoll, als du dieses Treffen vorgeschlagen hast, da konnten wir keine Minute verlieren«, meint Sierra lachend, wirft mir einen vielsagenden Blick zu und nimmt auf dem Stuhl Platz.

»Stimmt, also schieß los. Was ist so wichtig, dass du es nicht in der Agency mit uns besprechen konntest?«, frage ich neugierig. Auch ich falle gleich mit der Tür ins Haus, weil ich nicht länger warten kann.

»Darf ich meine Schwestern nicht einfach zum Essen einladen, ohne dass ihr große Spekulationen anstellt?«, will sie wissen, hebt eine Braue und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Du hast geschrieben, dass wir miteinander reden müssen«, sage ich nüchtern, doch ihre Miene bleibt unverändert.

»Ja und? Das ist nur eine Feststellung.«

»Chels. Diese Worte sagt man nur, wenn man über etwas Todernstes reden oder sich von jemandem trennen möchte«, erkläre ich und lege mein Smartphone auf dem Tisch ab.

»Willst du mit uns Schluss machen?«, fragt Sierra mit großen Augen, als wäre sie ein Kleinkind, das gleich in Tränen ausbrechen wird.

»Ach Quatsch. Hör nicht auf Rory, sie übertreibt mal wieder.« Ich zucke als Antwort nur mit der Schulter und blicke sie herausfordernd an.

»Na schön. Sie hat auch recht mit ihrer Aussage. Ich will mit euch über die Zukunft der Agency reden.« Nun ist sie wieder ganz die Bossin und sitzt so steif da, als hätte sie einen Besen verschluckt. Auf ihre strenge Lehrerinnen-Art, wie ich sie immer nenne, zeigt sie sehr wohl, dass es sich um ein ernstes Thema handelt. Ein Blick zu Sierra, und ich weiß, dass auch sie es gemerkt hat und nun kein Raum mehr für Späße ist.

»Okay, wir sind ganz Ohr«, sage ich und lehne mich gespannt nach vorne, beide Hände auf dem Leinentischtuch abgelegt.

»Wie ihr wisst, läuft es in der Agency sehr gut. Wir sind ausgebucht und können uns vor Aufträgen kaum retten. Ich musste in den letzten Wochen sehr viele Anfragen ablehnen, weil wir weder die Kapazitäten noch das geschulte Personal haben, um die Nachfrage zu bedienen.«

»Also? Was könnte die Lösung für dieses Problem sein?«, fragt Sierra.

»Ich denke darüber nach, Investierende zu suchen, um eine Zweigstelle zu eröffnen, und neue Mitarbeitende einzustellen.«

»Du willst eine Franchise eröffnen, oder wie soll ich mir das vorstellen?«, will Sierra etwas skeptisch wissen. Sie mag Veränderungen im Arbeitsbereich ganz und gar nicht.

»Die Leitung würde ich einer von euch überlassen, außerdem möchte ich einige unserer Angestellten versetzen.«

»Wieso ziehen wir nicht einfach um?«, äußere ich den ersten Gedanken, der mir dazu in den Sinn kommt.

»Das wäre auch eine Möglichkeit. Da will ich mich noch gar nicht so festlegen, sondern vorher einfach mit euch sprechen, was ihr zu dieser Idee sagt. Immerhin seid auch ihr Teilhaberinnen der Agency.« Ich blicke zu Sierra, die wiederum mich ansieht, da wir mit dieser Information, oder besser gesagt Offenbarung, mit Sicherheit nicht gerechnet haben. »Generell finde ich die Idee nicht schlecht, aber bevor wir uns auf die Suche nach Investierenden machen, müssen wir einen Businessplan erstellen, dazu eine Präsentation, die die Zuhörenden begeistert und sie dazu bringt, tief in die Tasche zu greifen«, zähle ich auf und tippe mir mit dem Finger ans Kinn. Ich überlege schon fieberhaft, was wir noch beachten müssen.

»Ich bin definitiv dafür. Es ist eine Möglichkeit, unser Unternehmen zu erweitern, und so können wir mehr Menschen helfen.« Typisch Sierra, sie ist die Wohltäterin, die zuerst an die Kundschaft denkt, während ich in erster Linie die Umsatzsteigerung im Kopf habe. Geld ist für mich nicht alles, aber wenn es ums Geschäft geht, ist es wichtig, alles professionell und durchdacht anzugehen. Deshalb will ich es nicht zulassen, dass mir bei meiner Arbeit Gefühle im Weg stehen.

»Das freut mich. Danke, Sierra. Diese Idee schwirrt schon seit einer Weile in meinem Kopf herum, aber wirklich klar wurde es mir, als ich die ganzen Absagen delegieren musste. Die Kundschaft kommt mit so viel Hoffnung in die Agency, und ich will sie einfach nicht mehr wegschicken müssen«, meint Chelsea, und mir wird erst jetzt klar, wie viel Arbeit sie wohl im Hintergrund hatte, ohne dass wir es mitbekommen haben. Wie immer will sie alle Last selbst tragen, auch wenn wir ihr immer wieder gesagt haben, dass sie mit allem zu uns kommen kann.

»Also von mir gibt es ein klares Ja zu der Idee, die Proof of Love Agency zu erweitern, auch wenn wir uns da reinhängen müssen, um das Konzept richtig in Angriff zu nehmen«, sage ich, was Chelsea vor Freude strahlen lässt, und auch Sierra scheint erleichtert, dass ich ohne lange Bedenkzeit mit im Boot bin.

»Genau das wollte ich hören«, jubelt Chelsea, was eher untypisch für sie ist. Sie klatscht begeistert in die Hände, als der Kellner zu unserem Tisch kommt. Ich wende mich ihm zu und bin positiv überrascht. Er sieht süß aus, wie ein Surferboy mitten im langsam kalt werdenden Manhattan, der dir die letzten Sonnenstrahlen verspricht. Kurz blinzelt er, erwidert aber mein Lächeln, wobei zwei herrliche Grübchen zum Vorschein kommen, und fragt, was er uns bringen darf. Ja, er ist mega-süß, also zwinkere ich ihm zu, als er uns die Karte reicht.

Chelsea nennt als Erste ihre Bestellung, da sie immer weiß, was sie will, ohne überhaupt auf die Karte zu sehen. Ihre Wahl fällt auf den Salat der Saison, aber sie überrascht uns, als sie zusätzlich auch noch eine Flasche Champagner bestellt. Die Verblüffung ist uns wohl anzusehen – unsere Älteste meidet eigentlich Alkohol.

»Wenn das kein Grund ist, die Korken knallen zu lassen, dann weiß ich auch nicht«, erklärt sie, zuckt mit den Schultern und gibt die Karte lächelnd an den Kellner zurück, der aber nur Augen für mich zu haben scheint. Vielleicht war mein Grinsen etwas zu freundlich, doch ich genieße seine Aufmerksamkeit auch.

»Wo sie recht hat, hat sie recht. Wir erweitern unser Business, darauf müssen wir anstoßen«, antworte ich und blicke meine Schwester voller Bewunderung an.

Ohne sie würde es keine Agency geben, und ich wüsste vielleicht noch immer nicht, welchen beruflichen Weg ich einschlagen soll. Klar, ich wollte in einer Marketingabteilung arbeiten, aber ich wusste nie, in welchem Bereich. Welche Branche es werden sollte hat sich – so kann man sagen – wie von selbst gefügt, denn ich könnte mir nicht vorstellen, etwas anderes zu machen, als unser Familienunternehmen weiterhin an die Spitze zu bringen und Menschen Klarheit zu verschaffen.

Wir nennen Matt, wie es auf dem Namensschild des hübschen Kellners zu erkennen ist, unsere Bestellung, die er aufmerksam entgegennimmt. Nickend sammelt er die Karten wieder ein, wobei ich zufällig einen Blick auf einen tätowierten Schriftzug an seinem Handgelenk erhaschen kann, ehe er sich von uns abwendet. Ich blicke ihm nach, und auch er kann es nicht lassen und wirft mir noch einen Blick über die Schulter zu, ehe er in der Küche verschwindet.

»Den hast du ganz schön verzaubert, was?«, meint Chelsea, kann sich aber gerade noch das Lächeln verkneifen. Es ist wohl offensichtlich, dass wir uns mit Blicken abgetastet haben, bevor wir es später womöglich mit den Händen tun werden.

»Sieht ganz so aus«, antworte ich und streiche mir eine verirrte Strähne aus dem Gesicht.

»Egal, wo du hinkommst, scheinst du die Menschen für dich einzunehmen. Vor allem die Männer, die dir gefallen«, meint Sierra und sieht mich wissend an. Natürlich ist ihr nicht entgangen, dass ich seinen Flirt erwidert habe.

»Zum Glück, so wird es nie langweilig. Matts Hände waren einfach hinreißend.« Ich muss zugeben, dass ich mich, neben dem Duft eines Mannes, von gepflegten Händen angezogen fühle. Ich habe irgendwo mal einen Spruch gelesen: Wenn ein Mann seine Hände pflegt, dann hegt er auch seine Beziehung auf dieselbe Weise. Vielleicht ist es albern, aber es hat sich fest in meinem Inneren verankert.

»Ehrlich? Ich fand seine Augen faszinierend. Er hatte ein grünes und ein blaues Auge«, meint Sierra und blickt verträumt zu der Tür, durch die er verschwunden ist. Sie ist die Romantikerin unter uns, die noch von Disneyprinzen träumt, leider aber immer die Bösewichte abbekommt.

»So genau konnte ich das nicht erkennen«, sage ich.

»Du bist echt zu beneiden«, seufzt meine ältere Schwester auf, und ja, ich ziehe die Kleine-Schwester-Karte des Öfteren, da ich vier Minuten später als sie geboren wurde. Meistens, um meine Schwestern zu etwas zu überreden, das sie nicht von Anfang an machen wollten. Sie sieht verträumt zur Theke, wo einige Servicekräfte stehen.

»Wie meinst du das?«

»Na ja, du bist selbstbewusst, weißt, was du im Leben willst, und ziehst Männer an wie Magneten. Ich liebe meinen Job, aber mit Männern habe ich einfach kein Glück.« Wie ich schon sagte: Die Bösewichte stellen ihren Glauben an die Liebe auf eine harte Probe. Viele Partner hatte sie noch nicht, doch unser Berufsumfeld macht es ihr schwer, einem Mann voll und ganz zu vertrauen. Ob wir es wollen oder nicht, unser Beruf beeinflusst auch unser Privatleben.

»Das mit den Männern kann auch ein Fluch sein. Wenn ich mich mal für einen One-Night-Stand entscheide, entpuppen sich manche Kerle als eine riesige Enttäuschung, und ich muss trotzdem zu meinem Loki greifen.« Viele denken, dass mein liebster Vibrator nach der Marvel-Figur benannt ist, doch Loki ist auch der Gott der List.

»Bei diesem Mann würde Loki ganz schnell in Vergessenheit geraten, der wüsste schon, was er tut«, meint Chelsea und wirkt abwesend. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie sich gar nicht ins Gespräch eingebracht hat, was eher untypisch ist. Sierra und ich sehen sie neugierig an, doch sie blickt nicht in die Richtung des Kellners, sondern zu einem Tisch hinter mir und Sierra. Es sieht ihr nicht ähnlich, jemanden offen zu beobachten, doch sie scheint tief in Gedanken versunken und vor allem fasziniert zu sein.

»Dreht euch nicht um!«, sagt unsere Älteste, doch es ist bereits zu spät. Wir sehen hin, und ich bin angenehm überrascht, als ich erkenne, was oder besser gesagt wen sie angestarrt hat. Einen Tisch hinter uns sitzen drei Männer in Anzügen, die eine anziehende Aura versprühen und beinahe die männliche Version von uns dreien darstellen. Es ist wie bei einem Unfall, man will wegsehen, doch man kann es einfach nicht. Einer von ihnen stellt die anderen durch sein gutes Auftreten in den Schatten. Er trägt einen marineblauen Anzug zu perlweißem Hemd und einer blau-weiß karierten Krawatte, und sieht aus wie einem Modemagazin entsprungen. Er hat einen Dreitagebart und dichtes kupferfarbenes Haar.

Ihr Tisch ist zu weit weg, als dass ich seine Augenfarbe erkennen könnte, aber seine Hände sind groß und anziehend, das sehe ich trotz der Entfernung. Er sieht aus wie ein Mann von Welt, attraktiv, wohlhabend und aufregend. Ich bin so sehr von ihm fasziniert, dass ich die anderen zwei gar nicht wahrnehme. Zugegeben, er sieht zum Anbeißen aus, aber nachdem ich ein wenig gestarrt habe, wird mir wieder klar, dass Typen wie er nichts für mich sind. Männer wie ihn habe ich schon oft getroffen, und jedes Mal habe ich festgestellt, dass wir nicht zusammenpassen. Einer war so sehr in sich selbst verliebt, dass es keinen Platz für jemanden anderen in seinem Leben geben könnte. Ein anderer wiederum war zwar liebevoll und hatte echte Gefühle für mich, war aber ein Workaholic, der seine Arbeit über mich gestellt hatte. Dann ist da noch die Ego-Elite, wie ich sie nenne. Männer, die sich etwas darauf einbilden, dass sie reich sind, was ich absolut nicht ausstehen kann. Wie ich schon sagte, Männer wie er sind nichts für mich.

Also wende ich den Blick ab und sehe auf mein Smartphone, wo mir eine neue Nachricht angezeigt wird. Meine beste Freundin Piper hat mir geschrieben.

Piper: Wo bist du?

Rory: Essen mit meinen Schwestern im Spine. Möchtest du dazustoßen?

Piper: Nein, danke. Ich hatte nur eine Freistunde und muss wieder in die Uni, aber ich wollte dich unbedingt fragen, was Chels zu verkünden hatte. Ist sie Batman? ; )

Rory: Nein, leider keine Superkräfte, aber dafür will sie beruflich hoch hinaus.

Piper: Das ist sie doch schon längst. Oder will sie die Weltherrschaft an sich reißen?

Rory: So etwas in der Art. Für die Weltherrschaft bräuchte sie schätzungsweise noch ein oder zwei Jahre.

Piper: Das ist doch mal ein Plan. Ich bin dann für die Livehintergrundmusik zuständig.

Rory: Babe, du bekommst einen ganzen Soundtrack : )

Piper: Und ein Orchester. Schreib das auf und schlage es Chelsea vor.

Rory: Ist notiert.

Piper: Braves Mädchen. Lass uns später genauer darüber reden.

Rory: Bei einem Cocktail?

Piper: Wohl eher bei zwei ; )

Eine Bewegung lenkt mich ab. Ich hebe den Blick und sehe wieder den Kellner, der zu unserem Tisch zurückgekehrt ist und gerade die Getränke vor uns abstellt. Meine Schwestern haben sich an den Männern bereits sattgesehen und sind in ein Gespräch über die Arbeit vertieft, sodass sie Matt und mir keine Beachtung schenken.

»Hey«, begrüßt er mich, selbstbewusster diesmal, und schenkt jeder von uns schwungvoll ein Glas Champagner ein. Seine Bewegungen sind geschickt, und er hat die Ärmel hochgekrempelt, sodass ich einen herrlichen Blick auf seine Unterarme und Hände habe. Und dann trägt er noch ein weißes Hemd. Wenn er seine schwarze Hose durch eine Jeans ersetzen würde, wäre die tödliche Kombi perfekt. So nenne ich die Outfitkombination, die mich bei Männern schwach werden lässt.

»Hallo. Ich bin Rory.« Ich reiche ihm meine Hand, nachdem er die Getränke abgestellt hat.

»Matt«, antwortet er und blickt betreten zu Boden. Der Arme ist nervös, aber ich weiß, was ich will, also übernehme ich das Reden.

»Möchtest du meine Nummer?«, frage ich und hoffe, dass meine offene Art ihm die Nervosität nehmen kann. Zuerst wirkt er ein wenig überrumpelt. Mit meiner Direktheit hat er wohl nicht gerechnet.

»Ähm, klar doch«, antwortet er dann und kratzt sich verlegen am Nacken. Dann kommt er zu sich und greift nach einem Notizblock, den er an seinem Gürtel trägt, und reicht ihn mir gemeinsam mit einem Stift.

»Mein Smartphone darf ich während der Arbeitszeit nicht benutzen, also müssen wir auf die altbewährte Methode zurückgreifen«, meint er und schenkt mir ein schiefes Lächeln, frei von Nervosität. Ich zögere nicht lange, notiere meine Nummer und gebe ihm den Block zurück.

»Danke. Ich melde mich, okay?«

»Unbedingt«, antworte ich, ehe er sich wieder aufrichtet und meinen Schwestern ebenfalls Aufmerksamkeit schenkt.

»Euer Essen wird in Kürze da sein.«

»Ist gut. Danke für die Info«, antworte ich und denke, dass er wieder gehen wird, doch er sieht sich um, als überprüfe er, ob jemand in seine Richtung blickt. Dann beugt er sich noch mal zu mir runter, um mir etwas ins Ohr zu flüstern.

»Du siehst wirklich bezaubernd aus«, sagt er leise und bringt mich zum Lächeln.

»Vielen Dank, Matt.« Nun zwinkert er mir zu, bevor er geht, und ich kann nicht anders, als ihm auf den knackigen Hintern zu starren. Ich stütze das Kinn auf meiner Handfläche ab und blicke ihm nach. Dieser Tag wird immer besser.

»Sieht so aus, als hättest du heute ein besonderes Händchen für Männer?«, stellt Sierra fest und sieht zwischen ihm und mir hin und her.

»Dem Anschein nach, ja. Er ist wirklich süß«, antworte ich wahrheitsgemäß und wende mich wieder meinen Schwestern zu.

»Ist er nicht etwas … na ja, unbeholfen für dich?«, fragt mich Chelsea, die natürlich nur auf Männer steht, die mit beiden Beinen im Leben stehen und einen Zwanzig-Jahres-Plan vorweisen können. Also Typen wie sie selbst.

»Ich mag es, dass er schüchtern ist. So macht es Spaß, alle Facetten von ihm kennenzulernen.«

»Was ist, wenn er total langweilig ist?«, fragt nun Sierra, die unsere Unterhaltung wohl immer interessanter findet.

»Dann werden wir wohl ins Kino gehen müssen. Ehe ich ihm danach sage, dass er nett ist, es aber nicht zwischen uns funkt.«

»Wieso dann überhaupt dich mit ihm verabreden, wenn du in den Nachrichten schon herausfiltern könntest, ob er zu dir passt oder nicht?« Chelsea kann es einfach nicht lassen. Die Fragerei ist bei ihr berufsbedingt, doch mich ermüdet es mit der Zeit. »Was, wenn er einen schlechten Tag hatte und ich die Nachrichten falsch aufgefasst habe? Ich gebe jedem eine Chance, mich beim ersten Date zu überzeugen.«

»Dann hat Matt wohl großes Glück, dass er eine Frau wie dich für sich gewinnen konnte«, sagt Chelsea liebevoll und unterstreicht ihre Worte, indem sie kurz meine Hand drückt. Sie stellt meine Entscheidungen häufiger infrage, als mir lieb ist, doch sie meint es immer gut, das führe ich mir immer vor Augen, bevor ich drohe, an die Decke zu gehen. Doch es ist nicht einfach, wenn man zwei Schwestern hat, und noch schwerer, wenn man mit ihnen zusammenarbeitet. Wir lieben uns, doch wir sind manchmal unterschiedlicher Meinung, weshalb wir uns immer mal wieder in die Haare kriegen. Zum Glück legt sich das meist schnell wieder.

»Gewonnen ist noch nichts, aber ich freue mich auf das, was kommt.«

»Dann lasst uns mal anstoßen. Auf viele Chancen und Glück in allen Lebensbereichen«, meint meine große Schwester und hebt ihr Champagnerglas. Wir stoßen miteinander an. Kurz bevor ich einen Schluck nehme, schicke ich ein Stoßgebet gen Himmel und hoffe, dass die Erweiterung der Agency vom Glück verfolgt wird.

2. KAPITEL

Elijah

Stolz erfüllt mich, als ich meine Mutter auf der Bühne betrachte, die elegant das Haar zurückwirft und mit der Moderatorin um die Wette lächelt. Sie ist völlig in ihrem Element, lacht und scherzt und ist dabei, den ganzen Raum dazu zu bringen, verrückt nach ihr zu werden. Bis jetzt bin ich auf jedem Book-Release von Mom erschienen, auch wenn sie alle ähnlich ablaufen und mich manchmal langweilen. Zuerst wird über das Buch, dann über Privates geplaudert, ehe sie aus dem aktuellen Buch vorliest. Das wiederum vertrage ich nicht so gut, denn das, was sie vorliest, trifft nicht immer meinen Geschmack. Gerade als ich darüber nachdenke, weist die Moderatorin Mom an, vorzulesen. Und auch wenn ich ihr den Moment gönne, krame ich meiner Sakkotasche herum.

Ich ernte viele verwunderte Blicke von den Damen in meiner Sitzreihe, als ich mir EarPods ins Ohr stecke, die ich bei jedem Release mit mir mitschleppe. Dann beginnt Mom aus ihrem neuen Erotikroman vorzulesen. Den meisten mag mein Verhalten respektlos vorkommen, doch für mich ist es reiner Selbstschutz. Denn niemand, und ich wiederhole, absolut niemand will aus dem Mund seiner Mutter etwas über harte Schwänze und multiple Orgasmen hören. Bei der ersten Lesung habe ich das nicht bedacht und wäre fast schreiend aus dem Buchladen gerannt, denn natürlich hatte sie sich für eine erotische Szene entschieden, die sehr genau ins Detail ging. Meine Mom ist A. C. Gleeson, eine der bekanntesten Autorinnen der Staaten. Ihr Hauptgenre ist Erotik, wobei sie auch reine Liebesromane, Romantasy und sogar einen Krimi geschrieben hat, der mir persönlich am besten gefällt. Man kann ahnen wieso. Richtig, weil in dem Buch keine Sexszene vorkommt. Aus ihrem Krimi hätte sie stundenlang vorlesen können, und ich hätte jede Minute genossen. Für gewöhnlich liebe ich es, ihrer Stimme zu lauschen, da sie eigentlich Synchronsprecherin ist und beim Lesen in die Rolle der Figuren hineinschlüpft. Im Gegensatz zu den anderen Kids in meinem Umfeld habe ich früher nicht traurig geseufzt, als es Zeit fürs Bett war. Viel eher bin ich vor Freude herumgehüpft, denn ich wusste, dass Mom mir wieder aus einem meiner Kinderbücher vorlesen würde. Zu dieser eher züchtigen Lektüre hat sie schon lange nicht mehr gegriffen. Jetzt geht es eher heftiger zu.

Ihre Erotikbücher haben sich millionenfach verkauft und wurden in zwanzig Sprachen übersetzt. Ich habe jedes ihrer Bücher gelesen, muss aber zugeben, dass ich die erotischen Szenen übersprungen habe. Wäre sie eine andere Autorin gewesen, hätte ich das ganze Buch gelesen, doch da es sich um meine Mutter handelt, kann ich es einfach nicht über mich bringen. Mom hat Verständnis dafür und meinte auch, dass ich nicht all ihre Bücher lesen muss, um ihr einen Gefallen zu tun, aber ich bekräftige immer wieder, dass ich es gerne mache. Denn auch wenn ich die heißen Szenen überspringe, lässt es sich nicht leugnen, dass sie eine begnadete Autorin ist.

Das Schreiben hat sie erst nach der Scheidung von meinem Vater für sich entdeckt, als die Einsamkeit unerträglich wurde und sie drohte, den Halt zu verlieren. Meine Eltern haben sich geliebt, doch Dad hat es mit der Treue nicht so ernst genommen, was meine Mutter damals gebrochen zurückgelassen hat. Es hat sehr lange gedauert, bis sie die Scherben ihres Herzens wieder zusammengesetzt hatte, und doch ist sie seit der Trennung keine einzige Beziehung mehr eingegangen, als hätte mein Vater einen irreparablen Schaden angerichtet. Durch die Scheidung erhielt sie Dads halbes Vermögen, eine beträchtliche Summe, doch meine Mutter hat sich noch nie viel auf ihr Geld eingebildet. Jede ihrer Immobilien ist mit Ikea-Möbeln eingerichtet.

Ein Makler meinte mal, dass reiche Menschen keine Möbel bei Ikea kaufen. Meine Mutter erwiderte darauf, dass intelligente Menschen es tun sollten. Sie ist der Meinung, dass Geld allein nicht glücklich macht. Dass sie meinen Vater verloren hat, hat sie in eine tiefe Krise gestürzt, aus der nicht mal ich ihr raushelfen konnte. Als ich schon dachte, dass wir professionelle Hilfe benötigen, hat sie sich hingesetzt und eine Liebesgeschichte geschrieben, die im Gegensatz zu ihrem Leben ein Happy End bekommen hat. Sie hat Tag und Nacht geschrieben, war wie unter Strom und ähnelte plötzlich wieder mehr der lebenslustigen und fröhlichen Frau, die sie früher gewesen ist.

Als das Buch fertig war, hat sie es ohne Umschweife an einen der großen amerikanischen Verlage geschickt, sie hatte sich gar nicht die Mühe gemacht, es auch woanders zu probieren, denn für sie kam nur ein bestimmter Verleger infrage. Sie bekam lange keine Zu- oder Absage, doch das hat sie nicht daran gehindert, zwei weitere Bücher zu beenden, weil sie einfach nicht aufhören konnte, Geschichten zu Papier zu bringen. Als sie schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte, erhielt sie endlich eine Antwort. Der Verlag war so begeistert von dem Skript, dass er sie unter Vertrag genommen hat. Seitdem geht es für Mom beruflich bergauf.

Wenn ich mich umsehe, habe ich beinahe ein schlechtes Gewissen, weil ich einen Sitzplatz habe, während Dutzende Frauen die Lesung im Stehen verfolgen. Sie hängen an den Lippen meiner Mutter und fiebern mit, während in meinem Ohr Jon Bon Jovi über eine Liebe singt, die wohl auch meine Mutter gerade auf der Bühne beschreibt. Da das Schreiben sie im wahrsten Sinne des Wortes gerettet hatte, habe ich es mir nicht nehmen lassen, bei jeder Lesung dabei zu sein, selbst als ich noch zur Uni ging. Wenn sie schon nicht mehr mit Dad zusammen ist, dann möchte ich derjenige aus der Familie sein, der sie unterstützt. Tante Geena, Moms einziges noch lebendes Familienmitglied neben mir, kann aufgrund der Arbeit heute nicht hier sein. Sie hätte mir einfach aus Spaß meine EarPods gestohlen, damit ich leide. Das hat sie schon einmal versucht. Aber ich liebe es, Zeit mit den zwei der drei wichtigsten Frauen in meinem Leben zu verbringen. Die dritte im Bunde, meine beste Freundin Mikaela, ist gerade auf Barbados und genießt ihren wohlverdienten Urlaub.

Etwa zwei Stunden später hat Mom unzählige Bücher signiert und in die Kameras gelächelt. Sie wirkt erschöpft, als ich schließlich als Letzter auf die Bühne trete und sie in den Arm nehme.

»Hast du die ganze Zeit über gewartet?«, fragt sie mich immer wieder, und ich antworte auch stets das Gleiche.

»Natürlich, ich will doch deinen großen Moment nicht verpassen.« Ich möchte sie wissen lassen, wie sehr ich ihre harte Arbeit schätze und dass ich sie immer unterstützen werde, egal, welche berufliche Richtung sie einschlagen wird.

»Du bist wirklich ein Schatz. Ich hole schnell meinen Mantel, dann können wir gehen, ja?« Sie sieht müde und aufgekratzt zugleich aus – die typische Mischung, wenn sie auf Lesungen, Messen oder Conventions ist. Bei ihrer allerersten Lesung befürchtete sie, dass niemand erscheinen und sie die Peinlichkeit niemals überwinden würde. Doch dann kamen Dutzende Leser und Leserinnen und haben ihr vorgeschwärmt, wie sehr ihr Buch sie verzaubert hat. Es hat meiner Mutter die Tränen in die Augen getrieben, und sie erzählt heute noch, wie sehr sie diesen Moment genossen hat. Und wenn man sie jetzt ansieht, merkt man, wie viel selbstsicherer sie im Umgang mit der Moderation und der Leserschaft geworden ist. Sie ist dankbar, sich voll und ganz dem Schreiben widmen zu können. Nach der Scheidung, als Mom das Geld von Dad erhielt, meinten ihre Freundinnen, sie solle sich auf die faule Haut legen, doch das könnte sie nie.

Nur zu Hause zu sein und sich ausschließlich um den Haushalt zu kümmern würde meine Mutter in den Wahnsinn treiben. Deswegen hat das Schreiben sie nicht nur aus einer Krise geholt – es ist ihre Berufung, das, was sie bis ans Ende ihrer Tage tun möchte. Und dass es ihr Spaß macht, ist ihr deutlich anzusehen.

»Ist gut, ich warte draußen auf dich.« Ich trete hinaus in die Herbstsonne, die mich nicht zu wärmen vermag. Der Wind ist einfach zu stark. Mir ist schleierhaft, was Menschen am Herbst so großartig finden. Es ist kalt, ständig regnet es, und man muss sich im Zwiebellook anziehen, weil das Wetter unberechenbar ist. Heute habe ich mir freigenommen, doch die Mails und Anrufe, die ich auf stumm geschaltet habe, kann ich nur schwer ignorieren. Auch wenn ich es nicht zugeben will, bin ich ein waschechter Workaholic, der es genießt, sein Unternehmen zu leiten. Also greife ich nach meinem Smartphone und gehe die Anrufliste durch. Ich rufe meinen besten Freund Arthur zurück, der zweimal versucht hat, mich zu erreichen. Das ist eher untypisch für ihn, da er eigentlich lieber textet, statt sich das Ding ans Ohr zu halten, wie er immer so schön sagt.

»Hey, ich weiß du bist bei deiner Mom, aber ich wollte dich um einen riesigen Gefallen bitten.«

»Hey Mann. Schieß los. Wo brennt es?«

»Kannst du eine Kiste Champagner mitbringen, wenn du später kommst? Ich habe gerade die Torte abgeholt und im Stress die Kiste vergessen.«

»Klar, schick mir einfach die Adresse und sag Bescheid, dass ich sie gegen zwanzig Uhr abholen werde.«

»Danke, Mann. Du hast was gut bei mir.«

»Dann leih mir deinen Maserati.« Ich weiß, dass er niemals zustimmen wird, möchte ihn aber etwas aufziehen.

»Hey! Dann hole ich mir die Kiste wohl doch selbst.« Ich breche in Gelächter aus und genieße sein Zögern in vollen Zügen. Mir war klar, dass er seinen Schatz niemals in fremde Hände abgeben würde. Nicht mal seine Freundin darf damit fahren, obwohl er sie vergöttert.

»Mach dich locker, war nur ein Scherz. Aber dein Gesicht kann ich mir direkt vorstellen. Mit Sicherheit ist alle Farbe daraus gewichen.«

»Du bist so ein sadistischer Arsch.«

»Selber Arschl…« Ein Räuspern erklingt hinter mir, und ich weiß, dass es meine Mutter ist. Sie hasst es, wenn ich fluche, auch wenn ich schon erwachsen bin. Für sie bin ich immer noch der kleine Junge mit den Pausbäckchen. Dass die Figuren in ihren Büchern ständig fluchen und im Bett nicht selten Dirty Talk führen, ist Nebensache. Ihr einziges Kind darf das nicht. Punkt.

»Das war deine Mom, oder?«

»Mhmm«, antworte ich, als ich ihn schon seufzen höre.

»Jetzt bist du dran, mein Freund. Wir sehen uns heute Abend, wenn sie dir nicht das Fell über die Ohren gezogen hat. Grüß sie von mir, und sei pünktlich.« Als er auflegt, drehe ich mich um und sehe die erhobene Braue meiner Mutter. Ich bin dreißig Jahre alt, aber mir ist es ungeheuer wichtig, mit meiner Mom gut auszukommen, also blicke ich sie entschuldigend an.

»Entschuldige fürs Fluchen.«

»Schon gut. War das Arthur?«

»Ja, er lässt dich grüßen. Heute Abend ist seine Geburtstagsparty inklusive einer Überraschung, und ich muss noch eine Kiste Champagner vom Lieferanten für ihn abholen.«

»Will er Lola einen Antrag machen?« Verwundert blicke ich sie an, denn auf diesen Gedanken wäre ich gar nicht gekommen.

»Nicht, dass ich wüsste. Wie kommst du auf diese Idee?«

»Na ja, eine Kiste Champagner für eine Geburtstagsparty? Das ist eher unüblich, außer man will protzen, und das tut Arthur mit Sicherheit nicht.« Das hat er tatsächlich noch nie getan, aber da er seinen dreißigsten Geburtstag feiert, habe ich mir nichts dabei gedacht.

»Wir werden es heute Abend erfahren, aber jetzt führe ich dich mal zum Essen aus, Miss Bestseller-Autorin.«

»Hörst du wohl auf, mich so zu nennen?«

»Wieso? Es stimmt doch.«

»Weil ich nichts lieber höre, als wenn du mich Mom nennst.« Das liebe ich so an ihr. Sie ist nicht auf Komplimente oder Ansehen aus und verliert die wichtigen Dinge im Leben nie aus dem Auge.

Ich halte meiner Mutter die Autotür auf, damit sie einsteigen kann, öffne den Knopf meines Anzugs, ehe ich auf der Fahrerseite einsteige und mich anschnalle. Wenn ich zu geschäftlichen Terminen unterwegs bin, habe ich einen Fahrer, sodass ich auf dem Weg entspannen oder arbeiten kann, aber bei privaten Treffen fahre ich immer selbst. An die Staus in Manhattan habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Statt mich darüber zu ärgern, drehe ich lieber das Radio oder meine Songs auf Spotify lauter.

Wir fahren in ein mexikanisches Restaurant, in dem ich uns einen Tisch reserviert habe. Meine Sekretärin Blair schwört auf diese Location, denn hier hat ihr Mann damals um ihre Hand angehalten. Neben dem dunklen, aber elegant aussehenden Ambiente ist das Essen hier hervorragend, deshalb komme ich öfter hierher. So oft, dass mich das Personal bereits mit Vornamen anspricht. Auch Mom ist angetan vom Lokal, was ich beinahe geahnt habe. Wir haben einen ähnlichen Geschmack.

Als wir satt sind, lehnen wir uns zurück, genießen unseren Kaffee und warten auf das Dessert. Wir reden über Gott und die Welt, wobei ich es vermeide, über Dad und das Unternehmen zu sprechen, doch früher oder später ist auch dieses Thema fällig, selbst wenn ich weiß, dass es ihr immer noch wehtut, über ihn zu sprechen. Sie hat den Verlust nie überwunden.

»Wie läuft es auf der Arbeit?«, fragt sie mich, als unsere Nachspeise vor uns abgestellt wird.

»Ganz gut. Ich habe ein Team aus pharmazeutischen und kosmetischen Fachkräften in Aussicht, die natürliche Beautyprodukte herstellen und vertreiben.«

»Oh, ich wollte schon länger auf Naturkosmetik umsteigen. Wie ist die Resonanz?«

»Ich habe meinen Mitarbeitenden monatelang kostenlos die Produkte zur Verfügung gestellt und habe selbst gesehen, dass sich bei vielen das Hautbild deutlich verbessert hat. Danach habe ich einen Vertrag aufsetzen lassen. Das Gute ist, dass sie Koryphäen in Sachen Social Media sind und sich mit ihren ästhetischen Posts bereits einen Namen gemacht haben. Ich beschleunige ihren Erfolg einfach nur ein wenig.«

»Wann gehst du damit an die Presse?«

»Im Laufe der nächsten Woche, wenn alles gut läuft.«

»Bist du bereit, dich wieder der Meute zu stellen? Ich weiß ja, dass du diese Pressekonferenzen und Interviews nicht magst.«

»Ich werde mich wohl mental darauf vorbereiten müssen.«

Moms Aufmerksamkeit liegt immer noch auf mir, als würde ihr eine Frage auf der Seele brennen.

»Hat es eigentlich einen bestimmten Grund, dass du keine öffentlichen Auftritte magst?«

Ich denke eine Weile darüber nach, ob es je einen Moment gegeben hat, der mich so getriggert hat, dass öffentliche Ereignisse und das Sprechen vor größeren Gruppen mir jetzt so schwerfallen.

»Na ja, die fiese Mrs Bridesteen hat mich in der Highschool in einem Jahr drei Präsentationen vor der Klasse halten lassen. Das habe ich ihr wohl übelgenommen.«

»Aber alle in der Klasse haben sie doch halten müssen, oder?«

»Ja, aber sonst bekam jede Person nur eine aufgebrummt. Sie konnte mich aus einem mir unbekannten Grund nicht leiden und hat mir wohl einen reinwürgen wollen.«

»Du Armer. Wieso hast du damals nichts gesagt?«

»Weil ich es nicht für wichtig hielt. Du weißt, ich war der Klassenclown. Ich war zwar bei den anderen Kids beliebt, aber die Lehrpersonen haben mich immer getadelt. Ich hätte nicht gedacht, dass die Erfahrungen aus meiner Schulzeit eine solche Abneigung in mir auslösen würden.« Das ist mir jetzt erst bewusst geworden, als Mom es erwähnt hat. Es ist zwar nicht so schlimm, dass ich Schweißausbrüche bekomme oder meine Stimme zittert, wenn ich eine Rede halten muss, aber da ist immer dieses ungute Gefühl, das mich beim Sprechen begleitet.

»Ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen. Wenn ich erfolgreich bleiben will, ist Öffentlichkeitsarbeit enorm wichtig, das weißt du.« Ich nehme einen Bissen von dem unglaublich leckeren Schokoladen-Kirsch-Kuchen.

»Das stimmt, man sollte aber nichts forcieren, nicht, dass die mentale Gesundheit darunter leidet. In Zeiten wie diesen ist das so wichtig.« Wie recht sie doch hat. In anderen Unternehmen lassen sich viele beurlauben, weil sie unter Burnout leiden. Sie sind ausgebrannt und können mental nicht mehr das leisten, was sie wollen. Ein CEO, den ich gut kenne, hatte sogar einen Herzinfarkt, weil die Arbeit ihn überlastet hat. Ich gehe deshalb immer zu meiner Psychotherapeutin Jane, wenn ich den Bedarf sehe.

Nach der Scheidung wollte meine Mom, dass ich mit jemandem über die Situation rede. Jane war damals erst achtundzwanzig und hatte gerade ihre Praxis eröffnet. Nun ist sie seit fast zwanzig Jahren meine Therapeutin und kennt mich gut. Ich sehe sie vielleicht nur einige Male im Jahr, aber dafür kann sie mich nun gut einschätzen und hat mir schon häufig hilfreiche Ratschläge gegeben.

»Ich kann dir versichern, sobald ich den Punkt erreiche, an dem alles schwer wird und ich das Gefühl habe, erdrückt zu werden, werde ich wieder zu Jane gehen und dich in Kenntnis setzen. Ich weiß, dass ich darauf achten muss, mich nicht zu übernehmen.«

»Da bin ich beruhigt. Manchmal erwische ich mich dabei, dass ich in der Vergangenheit feststecke, und dann sehe ich den Teenie-Elijah, der nicht wusste, in welche Richtung er sich entwickeln würde. Und dann schaue ich dich jetzt an und bin so unheimlich stolz.«

»Ich habe schon gehört, dass deine Lobgesänge auf mich wieder zugenommen haben.«

»Tante Geena?«, fragt sie und hebt eine Braue.

»Jep. Sie meinte, wenn du nicht bald aufhörst, klebt sie dir den Mund zu.«

»Charmant wie immer, meine große Schwester.«

»Sie würde sagen, es ist zum Wohle ihrer Ohren.«