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Sie wollte sich nie mehr verlieben, aber ihr Herz hat andere Pläne ...
Als Chelsea Madigan ihren Verlobten in flagranti mit einer anderen Frau erwischt, zerbricht ihre Welt in Tausende Scherben. Sie gründet daraufhin Proof of Love und sagt mit ihrer Treuetestagentur der Untreue in New York den Kampf an. Der Erfolg lässt Chelsea aufblühen, doch ihr gebrochenes Herz kann sie auch damit nicht kitten. Als sie das Angebot bekommt, eine TV-Show als Expertin für Treuetests zu beraten, steht sie plötzlich Nathaniel Stan gegenüber - dem Produzenten der Show und Cousin ihres Ex-Verlobten. Und sosehr Chelsea auch mit ihrer Vergangenheit abschließen will, knistert es gewaltig zwischen ihnen. Doch kann sie ihr Herz jemals wieder in die Hände eines anderen legen?
»Seit Jahren schreibt April romantische Geschichten und ich will nicht, dass sie je damit aufhört. Mit PROOF OF LOVE hat sie dafür gesorgt, dass ich die Zeit vergesse und mich Hals über Kopf in Nathaniel verliebe.« AVA REED
Band 3 der PROOF-OF-LOVE-Reihe von April Dawson
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Seitenzahl: 483
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
Playlist
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
Ein Jahr später
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von April Dawson bei LYX
Impressum
April Dawson
Proof of Love
Roman
Chelsea Madigan ist die selbstbewusste und erfolgreiche Geschäftsführerin der Treuetestagentur Proof of Love. Gemeinsam mit ihren Schwestern hat sie es sich zum Ziel gemacht, die Wahrheit aufzudecken und Menschen davor zu bewahren, verletzt zu werden. Denn Chelsea weiß, wie es sich anfühlt, hintergangen zu werden, schließlich war die Affäre ihres ehemaligen Verlobten der Grund, weshalb sie der Untreue in New York den Kampf angesagt hat. Der Erfolg ihrer Firma lässt sie aufblühen, doch ihr gebrochenes Herz kann sie auch damit nicht wieder zusammenflicken. Als sie dann das Angebot bekommt, eine TV-Show als Expertin für Treuetests zu beraten, steht sie plötzlich Nathaniel Stan gegenüber – dem Produzenten der Show und Cousin ihres Ex-Verlobten. Und sosehr Chelsea auch mit ihrer Vergangenheit abschließen will, knistert es gewaltig zwischen ihnen. Doch kann sie ihr Herz jemals wieder in die Hände eines anderen legen?
Für meine wunderbaren Kinder.
Ohne euch wäre mein Leben so farblos und leer.
Ich hab euch lieb.
Sam Smith – For The Lover That I Lost
Charlie Oriain – Reasons To Stay
RY X – Berlin
Dean Lewis – How Do I Say Goodbye
Noah Kahan – Anyway
GEMINI – Going
Harry Styles – Cherry
Sara Kays – Remember That Night?
Billie Eilish – TV
BAEKHO – No Rules
James Smith – Say You’ll Stay – Acoustic
GSoul – Everytime
Ben Howard – Promise
Park Jaewoo – I Want To Love
Ben Howard – Promise
Anson Seabra – One Day Less
FINNEAS – Break My Heart Again
Blake Rose – Gone
Ber, Charlie Oriain – Meant To Be
»Ich habe zwei Immobilien an der Upper West Side und einen Landsitz in den Hamptons, der sogar in einem Inneneinrichtungsmagazin abgelichtet wurde«, reibt mir der Mann unter die Nase, der gegenüber von mir sitzt. »Nicht nur über die Einrichtung wurde berichtet, sondern auch über meine Autosammlung im Wert von mehreren Millionen Dollar.«. Vorhin hat er noch ganz nett gewirkt, zumindest bis er den Mund aufgemacht hat.
»Wow. Wie cool«, sage ich und zwinge mich zu einem Lächeln, verdrehe aber innerlich die Augen, denn Worte wie cool sage ich nie. Wirklich niemals.
»Ich pendle von einem Zuhause zum nächsten, wenn ich mal nicht arbeite, versteht sich. Ich bin ein vielbeschäftigter Mann. Immerhin führt sich eines der besten Unternehmen der Welt nicht von allein«, fügt er noch hinzu. Ich habe ihn nicht einmal danach gefragt. Genau genommen habe ich noch keine zwei Sätze gesagt.
»Hmm«, murmle ich und trinke einen großen, vielleicht zu großen Schluck von meinem Glas Wein. In der Regel greife ich eher nach etwas Alkoholfreiem, aber als hätte ich geahnt, dass ich ein mieses Date haben werde, habe ich spontan ein Glas Rotwein bestellt. Ganz nüchtern könnte ich diesen eingebildeten Snob nicht ertragen. Generell habe ich nichts dagegen, wenn jemand von seinen Erfolgen spricht oder stolz auf das Erreichte ist. Doch seitdem ich Horrance Willoughby II getroffen habe, redet er ständig über sich selbst und prahlt ununterbrochen. Ich bin nicht scharf darauf, im Mittelpunkt zu stehen, aber welchen Beruf ich habe und was für eine Person ich bin, sollte ihn doch interessieren, wenn er tatsächlich ein Auge auf mich geworfen hätte. Oder? Ich gehe so selten mit Männern aus, dass ich langsam vergesse, wie Dating überhaupt funktioniert.
Doch der Mann mir gegenüber scheint wohl zu glauben, dass er sich bei einem Bewerbungsgespräch befindet, denn plötzlich erläutert er mir, wieso er so ein guter Fang sei, und versucht mir unterschwellig zu sagen, dass ich dumm wäre, wenn ich mir ihn entgehen lasse. Die Dreistigkeit, die er an den Tag legt, ist unglaublich, und ich frage mich, ob er sich das antrainiert hat oder er so erzogen wurde.
»Wo siehst du dich in zehn Jahren?« Mit dieser Frage stoppe ich seinen Redeschwall, und auch wenn er überrascht aussieht, räuspert er sich, richtet seine teuer aussehende Krawatte und sieht mir direkt in die Augen. Es wirkt beinahe so, als müsse er sich selbst wappnen für den Unsinn, den er nun mit Sicherheit von sich geben wird. Wenn er sich unbedingt wie bei einem Vorstellungsgespräch verhalten will, dann werde ich auch die Fragen stellen.
»Ich möchte eine meiner Immobilien zu meinem festen Wohnsitz machen, wobei ich natürlich die anderen monatlich inspizieren werde. Nicht dass die Haushälterinnen tun, was sie wollen. Ich möchte vier Söhne, die in meine Fußstapfen treten sollen, und ich möchte, dass meine Frau sich vollkommen aufs Muttersein konzentriert und ihren Beruf auf Eis legt. Die Kinder sollen nicht von Nannys erzogen werden. Wir werden auch so genug Geld haben.« Ich will noch einen Schluck von meinem mittlerweile zweiten Glas Wein nehmen, als ich innehalte und langsam seinen Blick erwidere. Ich suche nach Anzeichen dafür, dass er nur einen Scherz machen wollte, erwarte, dass er in Gelächter ausbricht, doch sein selbstsicherer Blick zeigt mir, dass er es völlig ernst meint.
»Sehe ich das richtig? Du willst eine Brutmaschine, die keine eigene Meinung vertritt und all ihre Träume aufgeben soll, um deine Söhne zu deinen Klonen zu erziehen?«
»Also …«
»Und es sollen Söhne sein? Das heißt Mädchen sind dir nicht recht?«
»Nein, so meinte …«
»Oh, und nicht zu vergessen, sie soll nicht arbeiten, damit du immer schön über ihr stehen kannst und das Gefühl hast, Macht auszuüben?« Peinlich berührt blickt er auf seinen Schoß und kratzt sich am Hinterkopf. Er hat wohl gedacht, dass ich ihm zustimmen werde, doch da hat er sich geschnitten.
»Ähm …« Ich lasse nicht zu, dass er Gegenargumente erfindet, denn jetzt bin ich dran mit Reden, und ich habe nicht vor, klein beizugeben.
»Ich bin eine selbstbewusste, intelligente und erfolgreiche CEO, die ein millionenschweres Unternehmen leitet und für ihre Träume kämpft. Ich bewahre Tausende von Menschen davor, verletzt zu werden, und das sollte ich alles aufgeben, um nach deiner Pfeife zu tanzen?«
»Was? Das habe ich nicht gesagt!«, meint er empört und besitzt die Frechheit, die Arme vor der Brust zu verschränken.
»Nicht direkt, doch indirekt hast du sogar noch mehr verraten. Du bist ein Mann, der Frauen als minderwertig ansieht, der nur an sich selbst denkt, der das letzte Wort in allen Lebensbereichen haben muss, und was nicht passt, wird passend gemacht, oder?«
»Wie kommst du auf diesen Unsinn? Ich bin ein mitfühlender Mann, der immer respektvoll mit Frauen umgeht.« Seine Augen huschen hin und her, auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Grab, das er sich selbst geschaufelt hat.
»Das mag vielleicht sein, aber nur, wenn es dir in den Kram passt. Wir befinden uns seit einer Stunde auf einem Date. Einem Abend, der dazu gedacht ist, einander kennenzulernen, doch du hast ununterbrochen von dir und deinem Geld gesprochen. Du hast nicht mal so getan, als würde ich dich überhaupt interessieren.«
»Ich habe es wirklich nicht nötig, mir so etwas unterstellen zu lassen«, sagt er beleidigt und sieht sich um. Offensichtlich probiert er herauszufinden, ob jemand meine Worte gehört hat, die Sache ist ihm wohl unangenehm. Mir hingegen sind die anderen völlig egal. Ich werde nicht still bleiben, wenn ein Mann meint, dass Frauen nur hinter den Herd gehören und die Kinder hüten müssen. Verdammt, wir sind doch nicht mehr im Mittelalter! Meine Hände zittern vor lauter unterdrückter Wut.
»Mag sein, doch ich habe dir lediglich mitgeteilt, welchen Eindruck deine Worte auf mich gemacht haben. Dass ich nichts mit dir zu tun haben will, steht außer Frage, aber vielleicht hilft es dir beim nächsten Date, aus deinen Fehlern zu lernen.« Für meine Gefühlslage kommen mir die Worte erstaunlich ruhig über die Lippen. Doch vermutlich verrät meine Körperhaltung, dass bereits ein falsches Wort ausreichen würde, um mich an die Decke gehen zu lassen.
»Ähm … also … ich …«
»Ich bin dann mal weg«, sage ich, ohne seinem Gestammel weiter zu lauschen, schnappe mir meine Tasche und erhebe mich. Als ich auf ihn herabblicke, fühle ich mich stark und selbstbewusst. Ich brauche nicht mit Immobilien und Autos anzugeben, um zu zeigen, dass ich erfolgreich bin in dem, was ich tue. Meine Ausstrahlung und meine Selbstsicherheit erledigen das schon für mich, und auch wenn ich niemals prahlen würde – diesmal sitze ich sichtlich am längeren Hebel. Für einen Augenblick erlaube ich mir, diesen kleinen Triumph zu genießen. Dann drehe ich mich um und steuere auf den Tresen zu.
Ich begleiche beim Kellner die Rechnung und verlasse das Restaurant, das mir von Anfang an nicht zugesagt hat. Die Einrichtung war kalt, das Servicepersonal und die Kundschaft wirkten arrogant und die Musik war richtige Folter. Wer möchte laut Opernarien hören, wenn er sich unterhalten will? Sobald ich draußen bin, blicke ich auf die untergehende Sonne und seufze etwas niedergeschlagen auf. Ich hätte an diesem Abend arbeiten und Dinge, die liegen geblieben sind, abhaken können, doch nein, ich musste mich von meinem besten Freund Andrew zu diesem lächerlichen Date überreden lassen, und das habe ich nun davon.
Meine Standards für den richtigen Partner sind hoch. In meinem Lebensplan ist fest verankert, welcher Typ Mann der Richtige für mich ist, und wenn ich viele Frösche küssen muss, um ihn zu finden, dann werde ich das auch tun. Wenn es mein Terminkalender zulässt, versteht sich.
Doch auch wenn ich den Plan verfolge, mit dem richtigen Partner sesshaft zu werden, sehne ich mich nach Sex. Das letzte Mal, als ich warme Männerhaut auf mir gespürt habe, liegt schon über ein Jahr zurück, und langsam können mir meine geliebten Toys nicht mehr die Befriedigung schenken, wie es ein Mann tun könnte. Es ist so lange her, dass ich mich nicht mal an das genaue Datum erinnern kann, und normalerweise tue ich das immer. Wenn es um One-Night-Stands geht, die meist über Tinder zustande kommen, sind mir die Zukunftspläne des Partners nicht so wichtig, denn es ist eine einmalige Sache, bei der ich meist auf meine Kosten komme, aber keinen weiteren Kontakt wünsche. Bei Dates sieht das Ganze anders aus, denn im Gespräch muss ich schon wissen, ob er in mein zukünftiges Leben reinpasst oder nicht.
Entschlossen gehe ich durch Manhattans Straßen und genieße den Sommerabend, auch wenn ich mich noch immer über das Date ärgere. Im Idealfall wäre ich noch immer in dem Restaurant, würde lachen, mich gut amüsieren und vielleicht eine Anziehung zu dem Mann verspüren, der mich ausgeführt hat, doch stattdessen musste ich einen eingebildeten Egomanen treffen, der will, dass Frauen ihre Ziele aus den Augen verlieren und tun, was er sagt.
Nur an seine Worte zu denken lässt Wut in mir aufflammen, und meine Hände ballen sich zu Fäusten. Dass Dating nicht immer leicht ist, weiß ich durch meine jüngeren Schwestern, die zweieiigen Zwillinge Aurora und Sierra. Sie haben in den letzten Jahren gute und schlechte Erfahrungen gemacht, doch leider mussten sie einige Reinfälle ertragen, ehe der Richtige kam. Beide sind seit Monaten in einer Beziehung mit Männern, die sie respektieren und sie so lieben, wie sie sind. So wie es eigentlich immer in einer Beziehung sein sollte.
Jetzt, wo sie glücklich vergeben sind, habe ich das Gefühl, als könnte ich durchatmen und müsste nicht immer ein wachsames Auge über sie haben. Da Mom und Dad in Colorado sind, ist es meine Verantwortung, mich um meine Schwestern zu kümmern und ihnen eine Stütze in dieser Großstadt zu sein, die manchmal ziemlich beängstigend sein kann. Und gerade, weil meine Schwestern glücklich sind, ist der Wunsch in mir groß, auch endlich meinen Herzensmenschen zu finden.
Jemand, der mit mir harmoniert und dessen Zukunftspläne sich mit meinen spiegeln.
Mein Freundeskreis und meine Familie würden zwar sagen, dass ich in Sachen Beziehungen eine harte Nuss bin, die man nur schwer knacken kann, doch ich verteidige mich daraufhin stets. Klar, ich habe strikte Vorstellungen, wie mein zukünftiger Partner sein sollte und was ich von ihm erwarte. Das gilt nicht nur fürs Aussehen, sondern auch für die Charaktereigenschaften, seine Lebenseinstellung und Zukunftspläne. So einen Mann zu finden ist schwer, das ist mir bewusst, doch sollte ich ihm begegnen, dann werde ich alles tun, um ihn in meinem Leben zu halten.
Eine erfrischend kühle Brise weht mir ins Gesicht, als ich an der Ampel stehen bleibe und an mir herabblicke. Heute trage ich einen zartrosa Bleistiftrock zu weißer Satinbluse und ebenso weißem Blazer. Um das Outfit abzurunden, habe ich meine weißen Saint Laurent Heels an, die mehr gekostet haben als der Rest des Outfits. Sierra schüttelt immer den Kopf, wenn sie erfährt, wie viel meine Heels teilweise kosten, doch ich liebe sie und trage sie sehr gerne. Mein feuerrotes Haar habe ich wie immer zu einem Dutt frisiert und mein Make-up neutral gehalten. Ich finde nichts schlimmer, als sich für Dates übertrieben zu schminken, denn die Person, die man trifft, soll das wahre Ich sehen und nicht das Gefühl bekommen, es nach dem Abschminken mit einem völlig anderen Menschen zu tun zu haben.
Dieses Date mag eine Katastrophe gewesen sein, doch es hatte auch etwas Gutes, denn ich bin mir nun noch sicherer, mein Glück nur dann zu finden, wenn ich mit Männern ausgehe, die die Punkte meiner Liste erfüllen, und mich nicht mehr auf Blind Dates begebe. Auch wenn ich ursprünglich wieder ins Büro gehen wollte, um zu arbeiten, führt meine Wut mich schließlich vor das Loft – die Lieblingsbar von meinen Schwestern und mir, in der wir so viele schöne und ausgelassene Stunden zusammen verbracht haben.
Zwar trinke ich nur äußerst selten, doch die Enttäuschung darüber, dass ich wieder ein mieses Date hatte, lässt mich nach Cocktails gieren. Sobald ich das Loft betrete, fühle ich mich sofort heimelig und wohl, auch wenn das Lokal voller Menschen ist, die das Wochenende einläuten wollen. Ich bahne mir einen Weg zur hölzernen, polierten Theke durch und werde gleich von Fabrizio entdeckt, der mich mit einem Luftkuss begrüßt. Er ist Barkeeper, ein langjähriger Freund von meinen Schwestern und mir und versorgt uns mit den besten Cocktails in ganz Manhattan.
»Hallo, meine Schöne. Wie geht’s dir? Ich dachte, du bist heute auf einem Date?« Er stützt seine braungebrannten Arme an der Theke ab und schenkt mir eines dieser sexy Lächeln, mit denen er Frauen sowie Männern die Röte ins Gesicht treibt. In unserer Friends-Chatgruppe habe ich vom künftigen Date berichtet, doch mittlerweile bereue ich es. Wenn niemand von diesem Treffen gewusst hätte, müsste ich mich nicht erklären.
»Hey Fabi. Frag nicht. Das war eine absolute Katastrophe.« Schon wenn ich an Horrance denke, muss ich würgen. Niemals möchte ich diesen Mann wiedersehen, der Frauen als Besitz ansieht und ihnen gegenüber Macht ausüben will. Andrew hat mit Sicherheit nicht gewusst, wie er drauf ist, sonst hätte er mich niemals auf dieses Date geschickt.
»So schlimm?«, fragt Fabrizio und wischt die Theke vor mir mit einem Tuch ab, als ich mich auf den gepolsterten Lederhocker setze.
»Noch schlimmer.« Meine Enttäuschung ist mir wohl anzusehen, denn sein Blick wird weich, und er sieht aus, als würde er mich am liebsten in den Arm nehmen. Aber das kann er gleich wieder vergessen. Keine Gefühlsduselei und vor allem nicht in der Bar, in der mich viele kennen.
»Das klingt nicht gut. Was darf ich dir bringen? Geht aufs Haus!«
»Wirklich? Ich bekomme einen Gratis-Drink, weil ich ein mieses Date hatte? Dann bist du mir aber einige Getränke schuldig, mein Freund«, sage ich und kann mir das Lächeln nicht verkneifen. Der Wein von vorhin hat meine Zunge gelockert, und es gefällt mir, dass ich hier bin und nicht allein in meinem Büro, wo ich vielleicht zu viel über diesen vergeigten Abend nachdenken würde. Wenn ich mir heute schon keinen Mann angeln konnte, dann wenigstens gute Drinks.
»Nun, du hast mir nur von einem erzählt, und die anderen sind abgelaufen, so leid es mir auch tut«, meint Fabrizio scherzend und macht sich an die Arbeit, um mir einen Cosmopolitan zu machen. Fabrizio weiß, dass dies mein liebster alkoholischer Drink ist – zum Teil wegen Sex and the City, der Serie, die ich so sehr geliebt habe. Doch ich mag auch einfach den Geschmack von Zitrone oder Limette. Während ich auf mein Getränk warte, drehe ich den Hocker etwas und sehe mich in der Bar um. Wie fast an jedem Abend, an dem ich hier bin, sehe ich bekannte Gesichter, doch mit den meisten Personen möchte ich mich nicht unterhalten.
Schnell will ich mich wieder umdrehen, als ich einen Mann in einer der Sitzecken entdecke, der gerade seine Bierflasche zum Mund führt. Als sich unsere Blicke begegnen, hält er in der Bewegung inne. Seine Augen weiten sich bei meinem Anblick. Der blonde Mann mit halblangem Haar, das er sich hinter das Ohr geklemmt hat, hat einen fein gestutzten Bart und interessante Augen, deren Farbe ich aus der Entfernung zwar nicht erkennen kann, doch sobald er den Blick auf mich richtet, spüre ich, wie eine Gänsehaut sich auf meinem Körper ausbreitet.
Auch wenn ich mir sicher bin, ihn zum ersten Mal zu sehen, habe ich das Gefühl, ihn zu kennen. Er trägt ein Flanellhemd – ein Modefauxpas durch und durch, doch es steht ihm sehr gut und spannt sich um seine breite Brust. Langsam lässt er den Arm sinken und kneift kurz die Augen zusammen. Etwas verlegen, weil sein Blick mir selbst aus den paar Metern Entfernung unter die Haut geht, drehe ich mich schnell wieder um und lege meine Hand auf die Brust, da mein Herz plötzlich schneller klopft.
»Alles in Ordnung?«, erkundigt sich Fabrizio, als er das Glas vor mir abstellt. Da ich die meiste Zeit selbstbewusst und kühl rüberkomme, wie meine Schwestern nicht müde werden zu betonen, fällt es schnell auf, wenn ich mal verlegen oder aufgewühlt bin.
»Ja, alles gut. Ich bin etwas durch den Wind. Du weißt ja, es war ein langer Tag für mich«, sage ich, doch durch meinen lauten Herzschlag verstehe ich meine eigenen Worte selbst kaum. Wieso bringt ein völlig Fremder mein Herz nur durch einen Blick in Aufruhr?
»Wenn es später ruhiger wird, musst du mir alles erzählen, okay?« Ich will gerade fragen, was er meint, da ich innerlich noch immer verwirrt bin und eine Hitze meine Wange umfängt, doch dann fällt mir wieder ein, dass ich ihm von dem miesen Date erzählt hatte.
»Mach ich«, sage ich und versuche mich an einem atemlosen Lächeln, ehe er sich den anderen Personen an der Bar zuwendet. Kurz überlege ich, mich umzudrehen, diesem Mann vielleicht einen Drink auszugeben, in der Hoffnung, dass er zu mir kommt, doch ich besinne mich wieder. Nach dem verpatzten Date ertrage ich keine weitere Enttäuschung. Um mich abzulenken, nehme ich einen großen Schluck von meinem Cosmopolitan und seufze zufrieden auf. Wenn ich schon keinen Kerl abbekomme, sollte ich wenigstens meinen Gaumen zum Stöhnen bringen.
Der Cocktail schmeckt ungeheuer gut, und ich genieße jeden Schluck, doch während ich ihn langsam austrinke, entscheide ich, dass es mein letzter Drink für heute sein wird. Ich mag es nicht, vom Alkohol berauscht zu sein und womöglich die Kontrolle über meine Handlungen zu verlieren.
Plötzlich höre ich eine tiefe Stimme hinter mir, die mir bekannt vorkommt. »Chelsea? Hey!«
Ich drehe mich mit dem Hocker und blicke auf den attraktiven Mann, mit dem ich gerade noch einen intensiven Blickaustausch hatte. Mein Herz macht einen Satz, auch wenn es mich etwas abschreckt, dass er meinen Namen weiß. Doch plötzlich wird mir klar, wer vor mir steht.
»Nathaniel?«, frage ich verblüfft. Ich habe ihn schon seit Jahren nicht mehr gesehen, weshalb ich einen Moment gebraucht habe, um ihn zu erkennen. Wir sind aufs selbe College gegangen und kennen uns seit über zehn Jahren. Früher hatte er jedoch kürzeres Haar. Aber auch unabhängig von der Frisur ist der Cousin meines Ex-Verlobten ein attraktiver Mann.
»Genau der. Wie schön dich zu sehen.« Wir umarmen uns freundschaftlich, ehe wir uns wieder mustern.
»Das finde ich auch. Es ist Jahre her, dass ich dich gesehen habe. Gut siehst du aus.« Und es stimmt. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er schlank, hatte kurzes Haar und keinen Bart. Jetzt hat er an Muskelmasse zugelegt, trägt das Haar halblang, sodass er es sich hinters Ohr klemmen kann, außerdem hat er sich einen Bart wachsen lassen. Mit dem Flanellhemd sieht er wie die perfekte Besetzung für einen sexy Holzfäller in einer Serie aus und wie ein Double von Charlie Hunnam.
»Das kann ich nur zurückgeben. Schön wie eh und je erhellst du den Raum.«
»Gott, das hat schon lange niemand mehr zu mir gesagt«, gebe ich lachend zurück und spüre die Röte in meinen Wangen aufsteigen. Ich sollte heute wohl wirklich nichts mehr trinken.
»Dann wird es höchste Zeit.«
»Bist du mit Freunden hier?«, frage ich und blicke zu dem Tisch, an dem ich ihn vorhin gesehen habe. Er ist immer noch besetzt.
»Ich bin heute mit meinem Team vom Sender unterwegs, aber sie wollen schon langsam aufbrechen.«
»Du gehst schon?« Ich kann die Enttäuschung in meiner Stimme nicht zurückhalten. Es tut gut, ihn wiederzusehen, denn er war lange Teil meines Lebens.
»Nicht unbedingt. Wenn jemand mich einlädt, ihm oder ihr Gesellschaft zu leisten, würde ich liebend gerne bleiben.« Er zwinkert mir zu und bringt mich somit unweigerlich zum Lächeln. So war es bereits damals am College. Schon immer hat er mit seiner fröhlichen Art alle um sich herum zum Lachen gebracht.
»Na, wenn das so ist, dann lade ich dich auf einen Drink ein, wenn du magst.«
»Genau das wollte ich hören«, meint er belustigt und setzt sich auf den Hocker neben mir. Da er mir nun näher gekommen ist als zuvor, dringt sein Körperduft in meine Nase. Der Geruch von Aftershave und einer leichten Benzinnote ist auszumachen. Eine ungewöhnliche Mischung, die aber zu ihm passt.
»Nate, mein Freund. Wie geht’s dir?« Fabrizio begrüßt Nathaniel mit einem Handschlag und lächelt ihn erfreut an. Die beiden scheinen sich ebenfalls gut zu kennen.
»Ganz gut, ich bin mit dem Team hier. Und dir?«
»Kann nicht klagen, heute ist es relativ ruhig. Kennst du etwa unsere Chelsea?«, fragt er und sieht neugierig in meine Richtung.
»Ja, und ich denke sogar länger als du, Kumpel«, sagt er scherzhaft und sieht mich ebenfalls an. Ich weiß nicht, wieso, aber seine Blicke fühlen sich nun anders an als damals. Als würden sie mir ungewollt unter die Haut gehen, oder liegt es daran, dass ich schon etwas getrunken habe?
»Ach ja?«
»Chelsea und ich kennen uns seit dem College.«
»Okay, dass ist echt lange«, meint Fabi und stützt die Arme auf der Theke ab. Er ist nun ganz Ohr und lauscht gespannt Nathaniels Geschichte.
»Genau, im ersten Jahr hat uns jemand einander vorgestellt«, sage ich, erwähne aber nicht, dass es Wallace war, der uns miteinander bekannt gemacht hat. Ich möchte den Namen dieses Mistkerls nicht mal denken, geschweige denn in den Mund nehmen.
»Vorgestellt ja, aber ich bin dir schon vorher begegnet.«
»Wirklich?«
»Ja, du bist mir in einem Coffeeshop aufgefallen«, meint Nathaniel, was Fabrizio breit lächeln lässt, mich jedoch überrascht. Ich kann mich nicht erinnern, ihn je vorher gesehen zu haben.
»Du warst hin und weg von unserer Chels, oder?«, fragt er. Ich boxe ihm leicht gegen die Schulter, denn seine Worte machen mich etwas verlegen.
»Kann man so sagen«, meint Nathaniel scherzhaft und zwinkert mir zu. Ich verdrehe gespielt genervt die Augen. Das zwischen Nathaniel und mir wird niemals über eine Freundschaft hinausgehen. Er sieht gut aus, doch er passt nicht mal zu fünfzig Prozent in meinen Lebensplan. Das kann ich sagen, ohne zu wissen, in welchem Bereich er arbeitet – wir sind einfach zu verschieden. Nicht, dass wir jemals interessiert aneinander gewesen wären …
Schließlich wende ich mich unserem Barkeeper des Vertrauens zu. »Bringst du mir ein Soda mit Zitrone und Minze und für Nathaniel …« Ich blicke fragend in seine Richtung, doch er knöpft gerade sein Flanellhemd auf und streift es sich vom Körper. Darunter trägt er ein kurzärmeliges, weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt. Nathaniel fährt sich durchs Haar, das so weich aussieht und in mir den Wunsch weckt, es zu berühren. Männer mit langen Haaren sind eigentlich nicht mein Fall, aber ihm steht es.
»Ein Heineken bitte.«
»Kommt sofort«, meint Fabrizio und geht seiner Arbeit nach. Nun sind wir wieder allein, und ich kann nicht aufhören ihn anzusehen. Er fällt definitiv nicht in mein Beuteschema, denn er wirkt auf mich wie der Männertyp ›sexy Holzfäller‹. Doch ich bin auf der Suche nach dem Typen ›zielstrebiger CEO‹. Er erwidert meinen Blick, dreht den Hocker so, dass er sich mir mit dem ganzen Körper zuwenden kann.
»Nun erzähl mal. Wie ist es dir in den letzten fünf Jahren ergangen?«
»Fünf Jahre? Ist es wirklich so lange her, dass wir uns gesehen haben?« Die Frage stelle ich mehr mir selbst als Nathaniel.
»Wenn man es genau nimmt, sogar noch ein paar Monate länger.« Er bedankt sich bei Fabi, der die Flasche Bier vor ihm abgestellt hat.
»Aber immerhin hatten wir telefonisch Kontakt.« Ich runzle die Stirn und überlege fieberhaft, wann ich mit ihm telefoniert haben könnte, doch es will mir beim besten Willen nicht einfallen.
»Ich habe vor ein paar Monaten bei dir in der Agentur angerufen und wollte dich von einer Zusammenarbeit überzeugen, aber du hast abgelehnt.« Kaum hat er den Satz beendet, erinnere ich mich wieder. Er wollte mich als Beraterin für eine Dokumentation über Treuetestungen, doch ich konnte und wollte nicht helfen.
»Stimmt, ich war ziemlich im Stress und musste leider ablehnen.« Dass es auch damit zu tun hatte, dass er der Cousin meines Ex-Verlobten ist und ich mich von der Familie Stan fernhalten wollte, erwähne ich nicht.
»Schade, denn ich höre nur Gutes über deine Agentur und hätte gerne deine Beratung bei dem Projekt in Anspruch genommen.«
»Hast du schon einen Ersatz gefunden?«, frage ich und lächele Fabi an, der mein Soda mit einem Zwinkern vor mir abstellt.
»Nein, wir haben das Projekt auf Eis gelegt.«
»Doch nicht wegen mir?«, frage ich verblüfft, bevor ich einen Schluck von meinem kühlen Getränk nehme. Es ist erfrischend – genau das, was ich nach dem Wein und dem Cocktail gebraucht habe.
»Würdest du einer Zusammenarbeit nun zustimmen, wenn es wegen dir gewesen wäre?«, fragt er, neigt sich nach vorne und kommt näher. Sein intensiver Blick nagelt mich fest und ist so voller Feuer, dass ich schlucken muss. Nathaniel hatte noch nie Probleme damit, einer Person näher zu kommen. Er ist ein extrovertierter und offener Mensch, der eigentlich mit fast allen klarkommt; er passt sich an wie ein Chamäleon.
»Nein, ich habe leider nach wie vor keine Zeit.« Meine Stimme ist dünn, und ich musste ein paarmal schlucken, um überhaupt etwas rauszubringen. Aber ich reiße mich schnell wieder zusammen.
»Schade, ich hätte gern mit dir zusammen gearbeitet.«
»Wer weiß, vielleicht wären wir nicht miteinander klargekommen«, sage ich scherzhaft, weil er und ich schon früher häufig unterschiedlicher Meinung waren. Damals, als wir uns bei den Familienfeiern der Stan-Familie gesehen haben.
»Das glaube ich nicht. Wir sind beide zielstrebig und wollen das Beste aus unseren Projekten machen. Gemeinsam hätten wir gute Arbeit abgeliefert.« Die Überzeugung in seiner Stimme berührt mich, denn so zeigt er mir, dass er an seine und auch meine Arbeit glaubt.
»Vielleicht hast du recht. Nun erzähl mal, was hast du die letzten Jahre so getrieben?«
»Ich bin durch die Welt gereist und vor einem Jahr wieder in die Staaten gekommen. Habe die Reise abgebrochen und arbeite seitdem als Producer für Videocore.«
»Die Streaming-Plattform?«
»Genau. Der Mann meiner Cousine Shelby hat mich angeworben, und auch wenn ich anfangs nicht wusste, ob es das Richtige für mich ist, mag ich die Arbeit nun umso lieber.«
»An welchen Projekten hast du bisher gearbeitet? Kenne ich etwas, woran du mitgewirkt hast?«
»Sinners Punch, Lovelines, Firebirds Cave. Wobei ich da nicht von Anfang an dabei gewesen bin.«
»Wow, zwei der Filme habe ich sogar gesehen.«
»Und, haben sie dir gefallen?«
»Ja, das haben sie. Ihr habt wirklich gute Arbeit geleistet.«
»Danke. Derzeit arbeiten wir an einer True-Crime-Dokumentation.«
»Wow, ganz schön toughes Thema.«
»Und wie. Es zerrt ganz schön an unserer Substanz, doch es ist ein gutes Projekt, das es verdient hat, ausgestrahlt zu werden.«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Jetzt bist du dran, Madigan. Ich habe ja nur durch die Presse oder über die Social-Media-Kanäle von dir und deiner Agentur gehört. Nun möchte ich wissen, wie es dir geht und ob du zufrieden mit deinem Leben bist.« Nathaniel lächelt mich an und wartet gespannt darauf, mehr über mein Leben und mich zu erfahren. Ich bin nicht mehr dieselbe, die er vor fünf Jahren gekannt hat, sondern eine völlig neue Frau. Eigentlich erzähle ich ungern von der Trennung und dem Trauma, das diese ausgelöst hat, aber es tut so gut, ihn wiederzusehen. Nach wie vor fühle ich mich wohl in seiner Nähe, also entspanne ich mich und beginne zu erzählen.
Zwei Tage später betrete ich mit Andrew den Dolce & Gabbana Store. Meine Heels hinterlassen das klackende Geräusch, das ich so liebe, als ich mich in dem luxuriösen und hell erleuchteten Raum umsehe. Es dauert nicht lange, bis mir ein Etuikleid an einer Schaufensterpuppe ins Auge sticht. Es geht bis zu den Knien, ist pastellgrün mit einem züchtigen Ausschnitt und halblangen Ärmeln. Das perfekte Herbst-Outfit fürs Büro. Ich möchte es sofort anprobieren und gehe auf den Ständer zu, an dem ich es vermute, doch da stellt sich Andrew mir in den Weg.
»Chelsea. So leicht kommst du mir nicht davon«, meint er ernst und legt seine Hände brüderlich auf meine Schulter. »Erzähl mir endlich, wie dein Date war.« Ich höre die Sorge in seiner Stimme, also erwidere ich seinen ernsten Blick und antworte.
»Der totale Reinfall. Das Date und vor allem der Kerl.«
»Ach ja?«
»Sagen wir es mal so, er passte nicht in meinen Zehnjahresplan, und das ist noch nett ausgedrückt«, sage ich scherzhaft, auch wenn mich das Verhalten von Horrance noch immer ärgert. Doch seitdem ich diesem Mann aus meiner Vergangenheit wieder begegnet bin, habe ich kaum noch an das missglückte Blind Date gedacht. Es hat so gutgetan, einen alten Freund wiederzutreffen. Nathaniel und ich haben uns lange unterhalten und über alles und nichts geredet.
»Du hast einen Harvard-Absolventen und heißen Millionär in die Flucht geschlagen, weil er keinen Zehnjahresplan vorweisen konnte?«
»Nein, das war nicht der Grund, Drew.« Denkt er etwa, dass es meine Schuld war, dass das Date mies gelaufen ist? Hält er mich für so oberflächlich, dass ich ihn nur deswegen würde abblitzen lassen?
»Was dann? Alle beschreiben ihn als tollen Kerl.«
»Glaub mir, das ist er mit Sicherheit nicht. Er ist ein narzisstischer Frauenhasser, der eine Marionette haben möchte und keine ebenbürtige Partnerin. Er hat nur mit seinem Geld und Beruf geprahlt und mir nicht eine einzige vernünftige Frage gestellt.« Ehrliche Bestürzung ist in seinem Gesicht zu sehen, und er tritt einen Schritt zurück, wobei er sich mit einer Hand übers Kinn streicht. Das tut er immer, wenn er fieberhaft über etwas nachdenken muss.
»Oh, verdammt. Was ist das für ein Arsch!« Drew möchte noch so viel mehr sagen, das sehe ich ihm an, aber er will mehr Informationen von mir. Wie immer ist es ihm wichtig, dass ich alles ausspreche, was mir auf der Seele brennt.
»Einer mit einem zu groß geratenen Ego. Aber keine Sorge, ich habe es ihm sauber gegeben, ihm alles an den Kopf geworfen, was ich von ihm halte. Nicht nur die Leute am Nebentisch haben das gehört, sondern das ganze Restaurant.« Die Erinnerung an diesen Moment erfüllt mich mit Stolz, denn für mich war es nicht immer selbstverständlich, offen zu sagen, was ich denke. Es gab auch Zeiten, in denen ich geschwiegen hätte, doch damals war ich auch unglücklich und wusste noch nicht, wie viel Power in mir schlummert.
»Das ist meine Chelsea. Ich weiß ja, dass du dich nicht unterbuttern lässt.« Er klopft mir stolz auf die Schulter, was mich das Kinn recken lässt.
»Nie und nimmer.«
»Was hast du danach gemacht?«
»Ich war bei Fabrizio in der Bar.«
»Du hast doch nicht etwa Alkohol getrunken, oder?«
»Doch, das habe ich«, antworte ich, »aber ich habe mich schnell wieder gebremst.«
»Wieso hast du mich nicht angerufen? Ich wäre sofort vorbeigekommen«, meint er und greift nach meiner Hand, um mich zu trösten, doch meine Wut auf das Date ist bereits verraucht.
»Ich habe einen guten Freund aus der Vergangenheit wieder getroffen, und sich mit ihm zu unterhalten hat mich meine Wut vergessen lassen.«
»Da bin ich aber beruhigt. Es tut mir schrecklich leid, dass ich dich auf ein Date geschickt habe, ohne den Typen zu kennen. Ich verspreche hoch und heilig: Der nächste Mann, den ich dir vorstelle, wird von mir höchstpersönlich geprüft.«
»Nein! Keine Verkupplungsversuche mehr. Der letzte hat mir schon gereicht. Ich suche mir meinen Mann schon selbst«, sage ich entschlossen. Der Mann, den ich in meinem Lebensplan aufgeführt habe, wird zwar schwer aufzutreiben sein, doch ich bin mir sicher, dass ich ihn finden werde. Weil ich weiß, was ich will – und das werde ich auch bekommen.
»Cut! Das war’s, Leute! Gute Arbeit«, ruft der Regisseur und beendet damit offiziell die Dreharbeiten zu unserer True-Crime-Dokumentation, die sich mit vermissten Personen und ihrem Verbleib beschäftigt. Die letzten Monate waren hart und haben mich teilweise an meine psychische Belastungsgrenze getrieben. Die Interviews mit den Opfern und Hinterbliebenen haben mich geprägt und mitgenommen, sodass ich meine Familie häufiger angerufen habe als üblich.
Meine Eltern waren begeistert, dass ich mich täglich bei ihnen gemeldet habe, und vielleicht werde ich das beibehalten. Auch wenn die Arbeit belastend war, haben wir eine gute Dokumentation zusammengestellt, die hoffentlich viele Menschen wachrütteln wird.
Ich drehe meine Kontrollrunde, wobei ich genau im Blick behalte, welche Mitarbeitenden gerade mit was beschäftigt sind. Die Kamera wird zum Transport abgebaut, die Darstellenden werden in ein Zelt begleitet – dort wird ein Interview stattfinden, das im Abspann zu sehen sein wird. Einige Praktikantinnen und Praktikanten verteilen Wasserflaschen, während die Mitarbeitenden die Geräte für die Belichtung abbauen und die Mikrofone, die an der Kleidung der Darstellenden befestigt waren, wieder in die entsprechenden Koffer packen.
Als ich sicher bin, dass alles läuft wie geplant, verabschiede ich mich persönlich vom Team und steige in meinen Dienstwagen, der mir vom Fernsehsender zur Verfügung gestellt wurde. Bevor ich den Motor starte, blicke ich durch das Fenster auf den strahlend blauen Himmel über mir. Heute ist ein herrlicher Sommertag mit Höchsttemperaturen bis zu achtundzwanzig Grad – perfektes Motorrad-Wetter! Doch leider sitze ich in diesem Toyota Tacoma, einem hochmodernen SUV, auch wenn ich lieber den Fahrtwind spüren möchte. Vor allem die Euphorie, dass wir den Dreh beendet haben, weckt in mir den Drang, eine Runde mit meiner Maschine zu drehen.
Mit einem Seufzen gebe ich mich meinem Schicksal jedoch hin und starte den Wagen. Während der Fahrt zum Sender gerate ich mehrfach in Staus, meinem aktuellen True-Crime-Podcast höre ich nur halbherzig zu. In den letzten Monaten habe ich mich von diesem Format berieseln lassen, um auch bei den Dreharbeiten den richtigen Vibe zu spüren. Jetzt haben wir das Material im Kasten, was bedeutet, dass der anstrengendste Teil bereits geschafft ist. Mein Kollege Mack und die zugeteilten Mitarbeitenden werden das Material schneiden und vertonen, danach landet es wieder bei mir.
Zurück beim Sender werde ich schon am Eingang von Jacey begrüßt, deren Wangen sich immer rot färben, wenn sie mich sieht. Mir ist klar, dass sie mich attraktiv findet, doch ich habe ein rein kollegiales Interesse an ihr, und das merkt sie auch daran, wie ich mich in ihrer Nähe gebe. Ich nicke ihr freundlich zu, als ich in den Aufzug steige und auf den Knopf für den siebten Stock drücke. Gerade schließen sich die Türen, als sich eine Hand dazwischenschiebt und sie wieder aufgleiten lässt. Meine Assistentin Holly eilt in den Fahrstuhl und begrüßt mich atemlos.
»Hey Holly. Na, wieder im Stress?« Sie ist meine Assistentin, hat allerdings auch eigene Aufgabengebiete, die sie ganz schön auf Trab halten.
»Hallo. Leider ja, irgendwie habe ich mal wieder die Zeit vergessen. Wie war dein Tag bisher?«, fragt sie und wendet sich mir zu.
»Wir haben die Dreharbeiten abgeschlossen, das Set wird gerade abgebaut, und Mack macht nun seinen Part.«
»Das ging jetzt schnell, oder?« Sie fährt sich durch das tiefschwarze Haar, doch es ist so glatt, dass die Frisur sich nicht verändert, sondern aussieht wie immer.
»Ja, aber ich bin auch gar nicht allzu traurig darüber.«
»Wegen des aufwühlenden Themas?«
»Ja, ich werde jetzt wohl eine Weile Pause von ernsten Projekten machen, bis ich emotional wieder gefestigt bin. Es war hart für mich, ständig von dem Wort ›Opfer‹ verfolgt zu werden.« Ich konnte eine Weile nicht schlafen und habe mir angewöhnt, in der Nacht Workouts zu machen, um meinen Körper zu ermüden, sodass ich besser einschlafen kann. Das hat zwar nur bedingt geholfen, dafür hat mein Körper jedoch nie besser ausgesehen als jetzt.
»Das ist verständlich. Ich bin froh, dass ich eher im Hintergrund und mit organisatorischen Aufgaben beschäftigt war«, meint Holly mitfühlend und legt eine Hand auf meine Schulter. Plötzlich sehe ich nicht mehr Holly vor mir, sondern Chelsea, da sie die Letzte war, die ihre zarte Hand auf meine Schulter gelegt hat. Es hat so gutgetan, sie wiederzusehen und sich mit ihr zu unterhalten. So viele Jahre sind vergangen, und trotzdem habe ich immer wieder an Chelsea gedacht. Sie war damals nicht nur die Verlobte meines Cousins, nein, sie war viel mehr als das.
Rückblickend betrachtet war es wohl Liebe auf den ersten Blick, denn schon als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, war ich hin und weg und wollte sie wiedersehen und sie um ein Date bitten. Doch dann kam sie mit Wallace zusammen, war Jahre an seiner Seite und verlobte sich sogar mit ihm. Egal wie oft ich es versucht habe, die Gefühle für sie konnte ich nie ganz abschütteln.
Auch nicht, als ich sie in dieser Bar gesehen habe. Ich habe geflirtet und Witze gemacht, jedoch tief in meinem Inneren wollte ich ihr meine Gefühle gestehen. Doch ich habe es nicht getan. Aus so vielen Gründen, doch ich bereue es auch nicht, denn es wäre der falsche Zeitpunkt gewesen.
»Alles klar?«, fragt Holly, doch in diesem Moment gleiten die Türen auf.
»Ja, entschuldige, ich war tief in Gedanken versunken.«
»Ach, macht doch nichts, das passiert uns allen mal.« Ihre Aussage bringt mich zum Schmunzeln, denn eigentlich ist sie es meist, die schnell in Gedanken abdriftet.
»Gut zu wissen.« Ich verabschiede mich von meiner Assistentin und betrete die Etage, auf der sich mein Büro und die Räumlichkeiten meines Teams befinden. Ich lege den Rucksack auf dem Tisch ab, setze mich auf meinen Lederdrehstuhl und lege den Hinterkopf auf der Rückenlehne ab. Kaum habe ich an Chelsea gedacht, kann ich nicht mehr aufhören. Sehe ihr Lachen vor mir, als wir uns im Loft unterhalten haben, lausche ihren Worten, als sie von ihren Erfolgen und Misserfolgen der letzten Jahre geredet hat. Sie hat mehr erzählt als ich, aber das war okay, denn ich möchte jedes Wort hören, das ihren wunderschönen Mund verlässt.
Damals war sie verboten, und doch wollte ich sie in meinem Leben wissen, auch wenn es ausweglos war. Aber sie hat mich nur als den Cousin ihres Ex-Verlobten gesehen und nicht als einen Mann, dem sie ihr Herz schenken könnte. Nachdem sie sich von Wallace trennte, war sie nicht mehr dieselbe, ihr Herz war gebrochen.
Immer wenn ich sie zufällig in einem Café oder im Loft sah, wollte ich zu ihr gehen und ein Gespräch mit ihr anfangen, doch da war diese Traurigkeit in ihren Augen, die immer hervorblitzte, wenn sie dachte, dass niemand sie beobachtete. Das hat mich abgeschreckt, denn auch wenn ich ihr nah sein wollte, wollte ich ihr den Raum geben, den sie brauchte.
Also habe ich mich auf die Gespräche mit meinem Team konzentriert und versucht, nicht zu offensichtlich in ihre Richtung zu blicken. Doch vor zwei Tagen haben sich unsere Blicke gekreuzt, und ich wusste, dass der Moment endlich gekommen war. Denn zum ersten Mal seit unserer ersten Begegnung hatte sie mich mit einem Interesse in den Augen angesehen, das mich berauschte und animierte, zu ihr zu gehen.
Seitdem denke ich ständig an sie. Am Wochenende suchte ich nach Zerstreuung, war in der Werkstatt und habe an meiner Maschine herumgeschraubt, anstatt die neuen Möbel, die ich auf dem Flohmarkt in Brooklyn ergattert habe, zu restaurieren. Am Sonntag habe ich in Gingers Bar ausgeholfen, und auch wenn alle Tische und Theken voll besetzt waren, konnte mich die Arbeit nicht ablenken, weil ich ihr feuerrotes, langes Haar vor mir gesehen habe und dieses ansteckende Lächeln.
Ich stehe auf und gehe in meinem Büro auf und ab, weil ich einfach nicht zur Ruhe komme. Vielleicht bin ich auch ein wenig aufgekratzt, da ein Projekt nach monatelanger, harter Arbeit beendet ist, doch meine Gedanken sind noch immer bei Chelsea.
Es klopft, und Holly betritt mein Büro. Ihr Haar wippt um ihr Gesicht herum, und ihr Lächeln ist so strahlend und fröhlich, dass ich wünschte, es würde auf mich übergehen. Doch als sie mir ins Gesicht sieht, scheint ihr aufzufallen, dass ich nicht so unbekümmert aussehe wie sonst.
»Irgendwas stimmt doch nicht.«
»Alles ist gut. Was gibt’s?«
»Der Boss will uns sehen. Es geht um ein neues Projekt, das für Wirbel sorgt.«
»Okay, ich komme gleich. Danke fürs Bescheid geben.«
»Geht klar. Ähm, ich warte dann draußen auf dich.« Sie wirkt erstaunt, vermutlich, weil ich nicht mehr wissen will, obwohl ich an ihrer Körpersprache erkenne, dass sie mir unbedingt mehr dazu erzählen möchte.
»Ist gut.« Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hat, atme ich tief durch, fahre mir durchs Haar, das mir bis zum Kiefer reicht, und streiche es hinter mein Ohr. Ich bin hier bei der Arbeit. Bisher habe ich es immer gut hinbekommen, Privates und Berufliches voneinander zu trennen, also sollte ich das so beibehalten. Ich mag meine Jugendliebe wieder getroffen haben, wir hatten einen tollen Abend und haben sogar Handynummern ausgetauscht, doch das ist alles rein freundschaftlich. Das muss ich ein für alle Mal in meinen Kopf kriegen. Ich hole meine Wasserflasche aus dem Rucksack und trinke sie in einem Zug aus. Mit jedem Schluck werde ich klarer im Kopf. Ich atme tief durch, schnappe mir mein iPad und öffne die Tür, um meiner Arbeit nachzugehen.
Als ich in den Flur trete, ist Holly schon an meiner Seite, sodass wir gemeinsam ins Büro des Programmleiters gehen können.
»Nachbeben von dem harten Wochenende?«, meint sie scherzhaft, und es gelingt mir sogar, ein Lächeln zustande zu bringen.
»Ja, das kannst du laut sagen. Irgendwie wäre ich an diesem Dienstag lieber im Bett geblieben.«
»Ich auch, das kannst du mir glauben, aber da müssen wir alle durch, würde ich mal sagen. Ist der Regisseur noch am Set?« Holly ist für die Organisation der Dreharbeiten zuständig und alles, was noch dazu gehört, war aber heute nicht vor Ort, sondern hat die Abrechnungen an die Buchhaltung weitergeleitet. Sie kümmert sich um die Zeitpläne, das Personalmanagement und organisatorische Dinge rund um die Produktion eines Projekts.
»Er ist noch vor Ort und sichtet das Material, aber da er die Nacht durchgearbeitet hat, wird er sich wohl bald ins Hotel begeben.«
»Okay, danke für die Info. Ich werde mich mit dem Team in Verbindung setzen, sobald das Set abgebaut wurde, und die weiteren Schritte einleiten.« Ich öffne die Tür, lasse ihr den Vortritt und gehe dann selbst in das Büro von Raffael Lopez, unserem Programmleiter, der zugleich ein früherer Schulfreund von mir ist. Heute trägt er eine Jeans zu einem perlweißen Hemd, das seine gebräunte Haut und die schwarzen Locken noch mehr hervorhebt.
»Willkommen zurück, Nate. Ich habe gehört, ihr habt die Dreharbeiten erfolgreich beenden können.«
»Das haben wir. Es war eine Achterbahnfahrt und aufwühlend, aber wir haben es geschafft.« Er deutet mit der Hand auf den ovalen Tisch auf der rechten Seite seines großen Büros, das er für Meetings benutzt, und Holly und ich setzen uns.
»Ich schätze, dass ihr nach diesem Projekt etwas Lockeres wollt.« Wir nicken beide und legen unsere iPads vor uns ab. Holly und ich haben schon oft darüber geredet, wie sehr uns das Thema runterzieht und wie froh wir sind, dass wir es endlich hinter uns haben.
»Was schwebt dir vor?«, frage ich ihn, öffne meine Notizen-App und schnappe mir meinen Apple Pencil, um mir Notizen machen zu können.
»Du hast doch vor ein paar Monaten ein Projekt über eine Treuetest-Agentur vorgelegt. Erzähl mir mehr davon«, sagt Rafe. Ich halte inne und hebe langsam den Kopf, um ihn ansehen zu können. Ich schlucke und richte mich etwas auf, ehe ich antworte.
»Die Idee kam uns beim Brainstorming, und Mack meinte, dass wir daraus eine Dokumentation machen könnten, doch die Beraterin, die uns bei dem Drehbuch beziehungsweise mit der Umsetzung helfen sollte, hat abgelehnt.« Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich Chelsea das erste Mal angerufen habe. Meine Nervosität hat mich selbst überrascht, doch egal, wie sehr ich sie zu überreden versuchte, sie war an einer Zusammenarbeit nicht interessiert.
»Wir haben ein Drehbuch zu einem Projekt erhalten, bei dem es ebenfalls um eine Treuetest-Agentur geht. Zuerst hatte ich Bedenken, dass es wie die Trash-Show Catfish aufgebaut wäre, doch es steckt ein überaus interessanter Plot hinter der Idee. Es handelt sich um eine Serie, die wir uns gut im Sommerprogramm vorstellen könnten. Es ist neu, es ist ein angesagtes Thema, und es gibt viele Möglichkeiten, Konflikte zu thematisieren.«
»Das könnte gut ankommen. Wieso hast du das letztes Jahr wieder zu den Akten gelegt?«, fragt mich Holly, und ich fahre mir mit dem Daumen über die Lippen, weil ich selbst keine gute Antwort darauf habe. Ich habe damals Chelsea angerufen, weil ich weiß, dass sie professionell ist und ich mir nur eine Zusammenarbeit mit ihr vorstellen konnte. Nicht weil ich auf sie stehe, sondern weil ihr Erfolg in der Branche für sie spricht.
»Die Expertin, die perfekt für das Projekt gewesen wäre, hatte keine Zeit für eine Zusammenarbeit. Klar hätten wir das mit einer anderen Person aus der Branche umsetzen können, doch ich wollte für diese Idee nur von den Besten beraten werden.«
»Vielleicht solltest du sie noch mal fragen. Dieses Projekt ist vom Vorstand ins Rennen geschickt worden, und es gibt einige interessierte Producer, aber ich will, dass du es bekommst.«
»Wieso ich?«, frage ich, da ich noch nicht so lange im Team bin wie die anderen.
»Weil du einer der Besten in meiner Abteilung bist. Ich vertraue auf dein Urteil und deine Fähigkeiten.«
»Du weißt aber schon, dass ich einen befristeten Arbeitsvertrag habe und er Ende dieses Jahres abläuft.« Nun fährt sich Rafe durch sein dichtes Haar und sieht etwas schuldbewusst in meine Richtung.
»Ich muss ja gestehen, dass ich gehofft habe, dass du es vergisst und ich dir den neuen Vertrag im Zuge des Projekts vorlegen könnte.« Meine Mundwinkel wandern nach oben, weil ich seine Hoffnung auch ein wenig verstehen kann. Ich mache meinen Job gewissenhaft und gut, sodass er mich als wertvollen Mitarbeiter nicht verlieren will.
»Wolltest du mich so dazu bringen, meine Weltreise erneut zu verschieben, oder was?« Ich scherze, weil ich es eigentlich als liebe Geste empfinde, dass er mich halten will.
»Vielleicht. Aber du kannst es mir nicht verdenken. Du leistest hervorragende Arbeit. Ich wäre dumm, wenn ich dich gehen lassen würde.« Holly nickt zustimmend, doch so lange bei Videocore zu arbeiten war nie geplant. Außer bei meinem Job in Gingers Bar, bin ich noch nie länger als ein Jahr bei einem Job drangeblieben.
»Danke, das ist nett von dir. Ich werde das Projekt übernehmen, aber nur, wenn eine bestimmte Expertin im Boot ist, die eine Treuetest-Agentur in Manhattan leitet.« Als meine Worte zu ihm durchsickern, breitet sich ein wissendes Grinsen auf seinem Gesicht aus.
»Klar, du kannst ihr ja Werbezeit zur Prime Time anbieten. Währenddessen kannst du die Kalkulation berechnen, die Drehorte suchen und das Konzept erstellen. In eineinhalb Monaten müssen wir den Vorstand über den aktuellen Stand informieren, und wenn wir das Go bekommen, können wir nächsten Sommer schon mit den Dreharbeiten starten.«
»Okay, ich lese mir das Drehbuch durch und melde mich bei dir, sobald ich fertig bin.«
»Ist gut, ich lasse es ausdrucken und auf deinen Schreibtisch legen. Holly? Was sagst du dazu?«
»Die Idee klingt gut, ohne dass ich ein Drehbuch brauche. Es ist neu, es ist cool und verspricht viel sexuelle Energie.«
»Gut, dann würde ich vorschlagen, dass ihr euch an die Arbeit macht.«
»Machen wir.« Holly steht als Erste auf, verabschiedet sich und blickt auf ihr iPad, als sie den Raum verlässt. Da sie weiß, dass mein Freund und ich uns nach den Meetings noch eine Weile unterhalten, geht sie meist direkt wieder an die Arbeit.
»Sie wird eines Tages noch gegen eine Wand laufen«, meint Rafe belustigt. Holly blickt wirklich immer auf das Tablet oder ihr Handy – auch wenn sie geht.
»Ist bis jetzt noch nie vorgekommen. Sie hat das ganz gut im Griff, würde ich sagen«, erwidere ich, ehe ich tief ein und ausatme. Was für eine verhexte Situation. Gerade als ich beschließe, nicht an eine bestimmte Frau zu denken, hält das Schicksal es für eine gute Idee, erneut eine Zusammenarbeit mit ihr anzuvisieren. Ich frage mich, ob sie diesmal zustimmen wird. Wir hatten so einen schönen und lustigen Abend, dass ich das Gefühl habe, als hätte sich etwas an unserer Freundschaft verändert. Als wäre sie auf die nächste Stufe gehoben worden.
»Stört es dich, dass ich nichts gesagt habe? Das war nicht böse gemeint. Ich will nicht, dass du gehst. Das sage ich als Programmleiter und Freund.«
»Ach was, das ist nicht schlimm. Ich mag die Arbeit hier, auch wenn ich das nicht erwartet hätte. Du weißt, dass ich mich ungern festlege.« Er verschränkt die Arme vor der Brust und sieht mich eindringlich an.
»Das weiß ich, deswegen freue ich mich sehr, dass du dich hier bei uns wohlfühlst. Die Expertin, von der du gesprochen hast, ist Chelsea, oder?« War klar, dass dies seine Schlussfolgerung ist, denn wir beide kennen nur eine Frau, die in dieser Branche arbeitet.
»Genau. Sie ist diejenige, die ich gern mit ins Boot holen möchte.«
»Hmm. Also ich lobe ja deinen Eifer, aber ich denke nicht, dass sie an diesem Projekt arbeiten möchte.«
»Wie kommst du darauf?«, frage ich, während ich den iPen an der Hülle befestige und mich erhebe.
»Nach der Trennung von Wallace hat sie einen Cut gemacht. Sie wollte mit niemandem aus der Familie etwas zu tun haben.« Da Raffael der Mann meiner Cousine Shelby ist, kennt er Chels ebenfalls, und er weiß auch, dass ich eine Schwäche für sie habe. Das war, denke ich, allen außer Chelsea bewusst, auch wenn ich mir Mühe gegeben habe, es nicht zu zeigen.
»Glaubst du, selbst nach all den Jahren hegt sie einen Groll gegen Wallace und unsere Familie?«, frage ich, auch wenn ich die Antwort schon ahne. Immerhin hat er sie tief verletzt und verraten, das hinterlässt tiefe Narben.
»Ich denke nicht, dass sie sauer auf uns ist, sondern einfach nicht an ihre Beziehung mit Wallace erinnert werden will.« Wir blicken beide auf unsere Füße, da dies nach wie vor ein heikles Thema in unserer Familie ist. Normalerweise tendieren Familienmitglieder dazu, zusammenzuhalten, doch gefühlt waren alle auf Chelseas Seite. Dieser Arsch hat sie über Monate hinweg betrogen, und als sie es rausgefunden hat, hat er allen Ernstes die Affäre, die sich als seine Jugendliebe herausgestellt hat, geheiratet.
»Das kann ich verstehen, denn dieser Mistkerl hat wohl Wunden bei ihr hinterlassen, die sich nur schwer schließen lassen.«
»Aber sieh es mal so. Durch diese Erfahrung hat sie ihre Agentur gegründet und hilft nun anderen Menschen, die wohl die gleiche Hölle durchleben, wie sie es getan hat.«
»Sie hat sich aus den Scherben ihres Lebens etwas aufgebaut, und dafür werde ich sie immer bewundern«, sage ich und bereue es beinahe, ihr diese Worte nicht ins Gesicht gesagt zu haben. Sie kann stolz auf ihren Erfolg sein, und ich hoffe, dass sie eines Tages darüber hinwegkommen kann und glücklich wird.
»Tara, was kannst du über deine aktuelle Testung sagen?« Ich blicke zum Ende des langen Tisches, wo unsere langjährige Mitarbeiterin sitzt und kurz auf ihr Tablet guckt. Ich merke schon an ihrer steifen Haltung, dass mir womöglich nicht gefallen wird, was sie zu sagen hat. »Stimmt etwas nicht?«, fühle ich ihr auf den Zahn, weil Tara ein sehr feinfühliger Mensch ist, und wenn ihr etwas Sorgen bereitet, dann sieht man es ihr auch an. Sofort spüre ich die Anspannung in mir. Ich kann es nicht ausstehen, wenn etwas nicht nach Plan läuft.
»Ich weiß, die Kundin sieht es erst als Betrug, wenn ihr Partner sich mit uns verabreden würde, doch seine Nachrichten werden immer anzüglicher, und ich weiß langsam nicht mehr, wie ich antworten soll. Seine Worte bescheren mir sogar Albträume.« Ich schließe kurz die Augen, da wir leider viele von diesen Fällen haben und ich meinen Mitarbeitenden diese Bürde ungern auferlege. Es ist schlimm, wie ich es schon geahnt habe.
»Dann leite den Fall sofort an mich weiter. Ich werde mit der Klientin sprechen und ihr mitteilen, dass wir kein Date brauchen werden und eigentlich genug Beweise dafür haben, dass ihr Mann ein Arsch ist. Und Tara, ich verstehe, dass du dein Bestes geben willst, aber du hättest sofort zu mir kommen müssen, sobald die Nachrichten in diese Richtung gehen.« Sie nickt traurig und sieht starr auf das Display, statt zu mir.
»Danke, Chelsea, aber ich konnte es irgendwie nicht«, flüstert Tara mit einem Seufzen, und als sie den Kopf hebt, sehe ich ihre traurigen Augen.
»Das verstehe ich, aber wenn du nicht darüber reden kannst, dann hättest du mir auch schreiben können. Das fällt manchmal leichter«, sage ich, und nicke ihr zu, ehe ich aufstehe und somit alle Blicke auf mich ziehe. Da ich am anderen Ende des Tisches sitze, haben mich alle Mitarbeitenden genau im Blick, als ich auf und ab gehe, um die richtigen Worte zu finden. Als ich sicher bin, dass ich ihre volle Aufmerksamkeit habe, rede ich weiter.
»Bitte wendet euch immer an Rory, Sierra oder mich, sollte euch ein Fall zu sehr mitnehmen oder unangenehm sein. Wir sind dafür da, Menschen, die euch nicht guttun zu übernehmen und euch Raum zu geben, damit ihr euch von dieser Erfahrung erholen könnt. Solltet ihr bei einer Testperson Bedenken haben, teilt sie uns bitte mit. Niemand wird euch diesbezüglich böse sein oder es euch übel nehmen. Wir wissen eure harte Arbeit zu schätzen, doch bitte passt auch auf eure mentale Gesundheit auf.« Rory erhebt sich nun ebenfalls und lächelt mich schwach an, ehe sie sich unseren Mitarbeitenden zuwendet und das Wort ergreift.
»Solltet ihr bezüglich eines schwierigen Falls psychologische Hilfe benötigen, haben wir eine Psychologin zur Hand, die bei Bedarf gerne mit euch über eure Sorgen reden wird. Also zögert bitte nicht. Wir sind für euch da und wissen, wie schwer es sein kann, die Treue von Zielpersonen zu testen.« Unsere Mitarbeitenden wirken erleichtert, einige von ihnen lächeln uns zu. Ihre Reaktion bedeutet mir viel, denn sie zeigt, dass unsere Worte sie berühren und sich in ihnen festigen.
»Ich schließe mich gern meinen Schwestern an. Wir werden unser Bestes tun, um euch ein sicheres Arbeitsumfeld zu ermöglichen. Habt ihr diesbezüglich noch Fragen?« Sierra blickt in die Runde, doch alle schütteln leicht den Kopf. Ich denke, es ist alles gesagt, was wichtig war.
»Da Tara die Letzte war, die den Status ihrer Prüfung vorgetragen hat, erkläre ich das Meeting hiermit für beendet«, meint Sierra und stellt sich neben uns, sodass wir als die CEOs nun alle nebeneinanderstehen und den Mitarbeitenden so hoffentlich signalisieren, dass wir hier sind und sie sich bei Problemen an uns wenden können. Der Raum leert sich schnell, sodass nur meine Schwestern und ich in dem lichtdurchfluteten Raum übrig bleiben. Es handelt sich um einen Meetingraum, der für ca. fünfzig Personen ausgelegt ist. Eine Wand besteht völlig aus Glas, während die anderen Wände in einem edlen Grau gestrichen wurden. Vieles hat sich in den letzten Jahren geändert. Das wird mir beim Betrachten des Raums bewusst.
»Als wir damals diese Agentur gegründet haben, hätten wir nicht gedacht, dass wir Meetings mit fünfunddreißig Menschen abhalten würden, oder?«, sage ich etwas wehmütig und denke an den Anfang zurück, als wir nur zwei Mitarbeitende hatten, denen wir noch nicht mal ein gutes Gehalt zahlen konnten.
»Wir haben es zumindest gehofft, aber dass wir in diesem Maße erfolgreich sein würden, hätte ich mir nicht träumen lassen«, meint Rory nachdenklich und streicht sich eine Strähne ihres blonden, schulterlangen Haares hinters Ohr.
»Werden wir jetzt etwa nostalgisch?«, fragt Sierra belustigt, sodass ich sie mit der Schulter anstupse.
»Ein wenig. Taras Aussage lässt mich alles ein wenig hinterfragen. Wir wussten ja, dass es für die Psyche anstrengend sein wird, sich mit unserer Arbeit zu befassen, doch wirklich zu hören und zu sehen, welchen Effekt es auf unsere Mitarbeitenden ausübt, ist hart.«
»Ich verstehe, dass es dich immer mitnimmt, wenn sich eine Testperson als untreu herausstellt, aber so ist das eben, wenn man mit Menschen zu tun hat. Man kann die netteste Person treffen, aber auch illoyale und verlogene Menschen. Jeder, der in unserer Branche arbeitet, weiß das«, fügt Rory ernst hinzu, während die romantisch angehauchte Sierra nur langsam nickt. Wie immer trifft Aurora mit ihren Worten den Nagel auf den Kopf.
»Ich denke, ich sollte nicht so viel darüber nachdenken, oder?«, sage ich und schnappe mir mein iPad. Meine Schwestern tun es mir gleich, doch dann wenden sich die beiden fast gleichzeitig mir zu.