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Psyche ist ein spannender Kurzroman von Theodor Storm. Ein junger Mann rettet ein Mädchen in einem Sturm. Bald darauf schafft er aus dieser Rettung ein Werk. Auszug: Es war an einem Vormittage im August, und die Sonne schien; aber das Wetter war rauh, der Wind kam hart aus Nordwest, und Wind und Flut trieben ungestüm die schäumenden Wellen in den breiten Meeresarm, der zwischen zweien Deichen von draußen an die Stadt hinanführte. Die Brettergebäude der beiden Badeflöße, welche in einiger Entfernung von einander am Ufer angekettet lagen, hoben und senkten sich; im Binnenlande würde man wohl von einem Sturm gesprochen haben, und selbst hier an der Küste schien dieselbe Ansicht zu herrschen, denn der sonst so belebte Badeplatz war heute gänzlich leer. Nur dort vor dem Schuppen, der auf dem Vorlande neben dem der Stadt am fernsten Floße lag, stand die knochige Gestalt der alten Badefrau; die langen Bänder ihres großen verschossenen Taffethuts flatterten knitternd in der Luft, den Friesrock hielt sie sich mit beiden Händen fest. Sie hatte nichts zu tun; Badekappen und Handtücher der Damen und Kinder lagen drinnen im Schuppen ruhig in ihren Fächern. »Ich geh nach Haus,« sagte sie bei sich selber; »'s kommt niemand in dem Mordwetter.«
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Seitenzahl: 47
Es war an einem Vormittage im August, und die Sonne schien; aber das Wetter war rauh, der Wind kam hart aus Nordwest, und Wind und Flut trieben ungestüm die schäumenden Wellen in den breiten Meeresarm, der zwischen zweien Deichen von draußen an die Stadt hinanführte. Die Brettergebäude der beiden Badeflöße, welche in einiger Entfernung von einander am Ufer angekettet lagen, hoben und senkten sich; im Binnenlande würde man wohl von einem Sturm gesprochen haben, und selbst hier an der Küste schien dieselbe Ansicht zu herrschen, denn der sonst so belebte Badeplatz war heute gänzlich leer. Nur dort vor dem Schuppen, der auf dem Vorlande neben dem der Stadt am fernsten Floße lag, stand die knochige Gestalt der alten Badefrau; die langen Bänder ihres großen verschossenen Taffethuts flatterten knitternd in der Luft, den Friesrock hielt sie sich mit beiden Händen fest. Sie hatte nichts zu tun; Badekappen und Handtücher der Damen und Kinder lagen drinnen im Schuppen ruhig in ihren Fächern. »Ich geh nach Haus,« sagte sie bei sich selber; »'s kommt niemand in dem Mordwetter.«
Sie haschte ihre Hutbänder, die ihr über die Augen flogen, und sah am Deich entlang nach der Stadt hinab. Die Schafe, welche auf dem Vorlande angetüdert waren, hatten, so weit die Stricke reichten, sich gruppenweise mit dem Rücken gegen den Wind gestellt; sonst war nichts zu sehen. – – Aber doch! Dort auf dem Deiche kamen zwei Männer angegangen und stiegen dem nächsten Badefloße gegenüber, das der Uferbeschaffenheit wegen der Männerwelt hatte überlassen werden müssen, an der Außenseite des Deiches herab; ihre Leintücher, die sie mit sich führten, ließen sie dabei mit erhobener Hand über ihren Köpfen fliegen; ihre jugendlichen Stimmen, ihr helles Lachen konnte nicht zu der Alten dringen, denn der Wind nahm es ihnen vom Munde und verwehte es in der Richtung nach der Stadt zu.
»Hätten auch zu Haus bleiben können,« brummte die Alte, als sie die beiden in eine der Türen des Badefloßes hatte verschwinden sehen; »aber 's kümmert mich nicht; ich geh nach Haus!« Sie holte eine große tombakne Taschenuhr hinter ihrem Gürtel hervor und zählte mit den Fingern die Zahlen auf dem Zifferblatt. »Es könnt nur eine kommen bei dem Unwetter, aber ihre Zeit ist schon vorüber; die Flut muß bald eine halbe Stunde stehen, und die, die kann schon immer nicht 'nmal das erste Wasser abwarten.«
Schon hatte sie die gegen Norden nach dem Deiche zu befindliche Tür des Schuppens in der Hand, als sie bei einem Blick, den sie noch zur Stadt hinüberwarf, mit beiden Händen an ihren Taffethut fuhr. »Heilige Mutter Maria!« rief sie; »man könnte katholisch werden! Da kommt ein Frauenzimmer, da kommt sie!«
Und wirklich, es war ein Frauenzimmer, das dort auf dem Deiche von der Stadt herkam; es war sogar ein Mädchen, ja, es war nur eine Mädchenknospe; und sie kam rasch trotz Wind und Wetter näher. Der flache Strohhut war ihr längst vom Kopfe gerissen, und sie trug ihn am Bande in der Hand; den Knoten des sonnenblonden Haares hatte der Wind gelöst, daß es frei von dem jungen Nacken wehte; immer rascher ging sie, und ihre dunkeln Augen spähten in die Ferne. Als sie die knochige Gestalt der Alten, die noch immer vor dem Schuppen stand, erkannt hatte, flog sie an der Seite des Deiches hinunter und dann über das Vorland zu ihr hinüber. »Kathi,« rief sie, »Kathi, ich konnt nicht eher kommen; ich fürchtete schon, du seist nach Haus gegangen!«
»Ja, ja,« murmelte die Alte; »wär ich nur so klug gewesen!«
»Kathi! Nicht brummen!« Und während sie drohend den Finger gegen die Alte erhob, schaute sie ihr fast zärtlich in die Augen.
»Aber 's geht ja doch nicht, Frölen!« meinte noch einmal die Alte, indem sie dem Mädchen das blonde Haar von der Stirn zurückstrich.
»Aber es geht erst recht, Kathi! Heute gibt's hier weder Wickelkinder noch alte Tanten; ganz allein hab ich heut das Reich, ich und über mir die Vögel in der Luft! Sieh nur da die schöne Silbermöwe! Hurra, Kathi, 's wird 'ne Lust!«
»Ja, ja, Frölen, selbst das Vogelzeug fliegt heut ans Land.«
»Oder vielmehr, sie werden vom Wind dahin geworfen! Aber ich, Kathi; so etwas lasse ich mir nicht gefallen!«
Die Alte sah sie voller Staunen an. »Aber, Kind, so sehen Sie doch nur, das Floß wippelt ja wie ein Schaukelpferd; der Weg dahin ist fußtief unter Wasser!«
Die junge Dame hob sich auf den Zehen und blickte zum Strand hinab. »Freilich,« sagte sie, lustig nickend, »ich muß mir Schuh' und Strümpfe in deinem Schuppen ausziehen.«
In der Abteilung desselben, welche die beiden jetzt betraten, sah es in diesem Augenblicke wohnlich genug aus. Freilich waren auch drinnen nur die nackten Bretterwände; aber der Tür gegenüber stand eine mit bunten Polstern belegte Ruhebank, an der einen Seite befand sich neben den Fächern für die Badeutensilien ein mit braunen Kaffeekännchen, Dosen und Tassen besetztes Regal, und durch das der Stadt zu gelegene kleine Fenster schien die Mittagssonne und erwärmte und erleuchtete den ganzen Raum.
»Hm,« sagte das Mädchen und nickte lächelnd nach dem Regal hinauf, »die Frau Kammerrätin und die Frau Kriegsrätin und die Frau Baronin, die haben alle die Schlüssel zu ihren Kaffee- und Zuckerdosen in ihren Taschen; schau nur, da baumeln allenthalben die Vorhängeschlösser; da können wir nicht daran, Kathi.«
»Aber Frölen, Sie trinken ja doch keinen Kaffee nach dem Bade, wie die drei alten Damen.«
»Nein, ich nicht, Kathi; aber du, wie bekommst du denn deine Tasse?«
»Ich, Frölen? Ich hab zu Haus meinen Zichorie; dann kriegt der Kater auch sein Teil.«
Die Mädchenknospe aber langte in den Schlitz ihres Kleides und legte gleich daraus zwei zierliche Papierdüten aus den unter dem Tassenregal stehenden Tisch. »Mokka,« sagte sie feierlich, »und – feinste Raffinade! Mama hat's mir eigens für dich eingewickelt; sie wußte wohl, daß du für mich allein heut Wache stehen müßtest. Und nun zünd dir die Spritmaschine an und koch dir deinen Kaffee, und – deinen Kater laß ich grüßen!«