Queer Theatre - Harald Kuhlmann - E-Book

Queer Theatre E-Book

Harald Kuhlmann

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Beschreibung

Vom Überdruss an der Kunst, falschem Erfolg & den Lieblingen des Feuilletons

Das E-Book Queer Theatre wird angeboten von BoD - Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Schwule Literatur, Queeres Theater, Schwule Schauspielkunst, Gay Literature, Deutsches Theater

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In memoriam

Manfred Salzgeber

1943 – 1994

Inhaltsverzeichnis

1 Ein geborener Schauspieler

2 Sodbrennen

3 Schöne Helena

4 Zadeks OTHELLO

5 Ein hartes Stück Arbeit

6 Umweg über Helsinki

7 Augen zu – und durch!

8 Schindluder

9 Wir werden berühmt

10 Böse Nachbarn

11 Perlen vor die Säue

12 Die Geisterfahrerin

13 Späte Berufung

14 Bestiarium

15 Talent und Verstand

1

Ein geborener Schauspieler

Nach den Jahren der Selbstüberschätzung und -stilisierung suchte Hubert die Rückkehr zum einfachen Leben. Er zog aufs Land. Man hatte ihm zu verstehen gegeben, damals, dass seine Bemühungen als Schauspieler nicht herausragend waren, und ihm nach ein paar Anfängerjahren am Theater in D. gekündigt. Sein Chef allerdings, Intendant Schlaumeier, drückte es anders aus.

"Sie sind jung, sehr begabt", sagte er, zugleich aufrichtig und verlogen. "Es wäre schade, sich hier verbrauchen zu lassen. Sie gehören an eine ganz große Bühne."

Den Beruf wieder aufzugeben, den er früh und aus vollem Herzen ergriffen hatte, höchst erfolgreich zunächst, und der ihm jetzt solche Demütigungen einbrachte, dies überlegte sich Hubert nun ernsthaft. Die Kollegen fingen schon an, ihn zu bedauern. Auch offene Häme brach aus.

Es war in den letzten Wochen der Spielzeit, wir nudelten fast täglich den FAUST II herunter, mit den Gedanken schon im Urlaub, als es zu beträchtlichem Aufsehen kam. Hubert spielte den Knaben Wagenlenker, seine so genannte Ansehrolle, und erstürmte jeden Abend, in schicker Lederkluft auf einem Motorrad sitzend, mit den Worten HALT, ROSSE! HEMMET EURE FLÜGEL/ FÜHLET DEN GEWOHNTEN ZÜGEL, den Motor kurz aufheulen lassend, die Bühne (Inszenierung Dr. Müller-Zeitgeist).

Eines Abends platzte an dieser Stelle ein Scheinwerfer, dann noch einer, Glasscherben fielen herab und knirschten unter den Sohlen, wir standen im Halbdunkel. Hubert geriet in die größte Verwirrung. Leute von der Statisterie kicherten, das Publikum wurde unruhig, hinter der Bühne setzte ein Gerenne ein. Normalerweise fällt in derlei Situationen der Vorhang. Aber nichts geschah. Auch mir, der ich den Herold spielte, fehlten die Worte. Lähmende Sekunden vergingen, kein Vorhang senkte sich gnädig herab.

Da springt Hubert vom Motorrad, reißt sich die Edelklamotten vom Leib, verlässt mit dem Ausruf "Och, leckt mich doch alle ...!“ die Bühne und – auf dem Umweg über seine Garderobe – das Theater, um es nie wieder zu betreten. Die Vorstellung wurde abgebrochen. Die Konventionalstrafe war enorm. Hubert zahlt, glaube ich, heute noch daran.

In den Siebzigerjahren traf ich ihn wieder. In Hamburg, auf der Mönckebergstraße. Jemand spricht mich von hinten an: "Guten Tag, mein Herold." Ich drehe mich um, erkenne ihn nicht sofort. Er fällt mir um den Hals. "Ich bin's, Knabe Wagenlenker." Sein Zutrauen überraschte mich, wir waren keineswegs befreundet. Mich beschlich ein Gefühl des Unbehagens.

"Ich will ja nicht boshaft sein", sagte er und lehnte seinen Unterkörper gegen mich, "aber ein Glanzlicht warst du auch nicht gerade, wie wir alle, in dieser tierisch blöden Inszenierung. Was von Müller-Zeitgeist gehört? Ich glaube, er macht Regie in Cuxhaven. Gibt es dort überhaupt ein Theater?" Große wegwerfende Geste. "Gott sei Dank, dass ich mit alldem nichts mehr zu tun habe!"

Vom Rathausplatz flog ein Schwarm Möwen auf. Zustimmend verdrehte ich die Augen, wusste aber selbst nicht genau, warum. "Wie geht es dir, Hubert", fragte ich lahm, "wohnst du in Hamburg?"

"Ich lebe auf dem Land. Ich habe mir, halt dich bitte fest, ein Bauernhaus gekauft. Sehr schön gelegen, zehn Minuten zur Ostsee, für schlappe Hundertfünfzigtausend."

Die Möwen stießen kreischend auf eine Gruppe von Schülern herab, die sich mit Popcorn bewarfen. "Die sind wohl im falschen Film", sagte ich, auf Hitchcock anspielend, und zog Hubert in Richtung Thalia-Theater, um die Fotos in den Schaukästen zu betrachten. Aber dieses Ansinnen wies er zurück. "Ich kriege das kalte Kotzen, verschone mich ...!"

"Ja, heißt denn das, du willst überhaupt nicht mehr Theater spielen? Hubert, du bist ein geborener Schauspieler."

"Oder auch nicht. Gelegentlich mache ich noch Fernsehen. Mal hier, mal dort ein paar Drehtage. Von irgendwas muss ich ja leben, bis ich mir etwas Neues aufgebaut habe."

"Und was soll das sein, wenn ich fragen darf?"

"Willst du es wirklich wissen? Nun gut, ich lade dich ein, mich zu besuchen. Vielleicht am Wochenende ..."

"Geht nicht. Habe Vorstellung."

Wir schlenderten in Richtung Alster, redeten dummes Zeug und standen schließlich doch vor den Schaukästen des Thalia-Theaters. Hubert erkannte mich auf einem der Fotos. Ich muss gestehen, dies war auch meine Absicht gewesen, und mein Unbehagen wich einem Gefühl des Wohlbefindens.

"Bist du das hier", fragte er und machte einen spitzen Mund, "das ist ja nun wirklich das Letzte. Du spielst an diesem Saustall?" Er tat, als müsste er sich übergeben. Ich ging mit mir zu Rate, ob ich beleidigt sein sollte, denn immerhin spielte ich die Hauptrolle in dem Stück, hatte eben erst Premiere gehabt und hervorragende Kritiken bekommen.

"Hubert, rede doch nicht so! Du gewinnst dir keine Freunde damit", sagte ich nachsichtig. "Hör mal, um zehn ist Probe. Es bleibt noch etwas Zeit. Wir gehen rauf ins Betriebsbüro, und ich stelle dich den Leuten vor. Möglich, dass der Intendant schon im Haus ist ..."

Wieder große wegwerfende Geste. "Ich habe es nicht nötig, Boy Gobert in den Arsch zu kriechen", schrie er so laut, dass der Bühnenpförtner den Kopf wandte. "Da sitzen schon genug Andere drin!"

Jetzt reichte es mir. Woher nahm er bloß diese Arroganz, diese Selbstsicherheit? Und überhaupt, was hatte er für ein unmögliches T-Shirt an: mit aufgedruckter Meerjungfrau. Ich entschloss mich, gekränkt zu sein, und entwich mit vagem Abschiedsgruß in die Kantine.

Aber Hubert ließ sich nicht abschütteln. "Wie wär's mit übernächstem Wochenende", rief er hinter mir her. "Ich lass dir meine Adresse beim Pförtner. Muss unbedingt mit dir reden. Bitte nicht sauer sein! Besuch mich ...!"

Ich dich besuchen, Bürschchen? Nie und nimmer.

Es kam, wie es kommen musste. Nicht übernächstes, aber an einem der folgenden Wochenenden saß ich im Zug nach M., einem fürchterlichen Kuhdorf an der Ostsee. Hubert hatte mir einen langen, herzerweichenden Brief beim Pförtner hinterlassen, in dem es von Wörtern und Wendungen wie VERDAMMTE SCHEISSE/ABER SO GLAUB MIR DOCH/ICH SCHWÖRE BEI ALLEM WAS MIR HEILIG IST/DU BIST DER EINZIGE MIT DEM ICH REDEN KANN nur so wimmelte. Worüber er reden wollte, sagte er nicht.

Ellen, der ich den Brief zeigte, riet mir zwar hinzufahren, weigerte sich aber, mich zu begleiten. Sie kannte Hubert ziemlich gut, hatte sie doch in der tierisch blöden FAUST II-Inszenierung die Helena gespielt. Damals lernten wir uns kennen, ein Jahr später haben wir geheiratet.

"Sieh mal, er ist ein Wirrkopf und hochgradig gefährdet", meinte sie. "Wahrscheinlich hat er irgendwelchen Liebesknatsch. Oder er will dich anpumpen, – das wohl eher!"

"Aber wir sind eigentlich gar nicht befreundet."

"Ist das ein Argument? Er braucht deine Hilfe."

"Könntest du nicht nochmal mit ihm telefonieren?"

"Hat wohl wenig Zweck, – er will dich!"

Zuletzt ließ sie sich doch noch bereden. Hubert hatte uns, beziehungsweise mir, die Nummer eines Supermarkts im Dorf genannt, unter der er morgens zwischen acht und neun erreichbar sei. Ellen rief ihn an. Seine Stimme klang übermüdet, fast flehend. "Warum rufst du an? Kommt Georg nicht?"

Ellen, kluge Taktikerin, ging auf seinen Ton erst gar nicht ein. Sie fragte ihn nach diesem und jenem. Wie er den Kaufpreis des Hauses finanziert habe, ob er dort allein lebe, ob schönes Wetter sei. Dann, unvermittelt, ob sie mitkommen solle? "Ellen, bitte sei mir nicht böse. Ich möchte mit ihm allein sprechen." Das war deutlich.

Am nächsten spielfreien Samstag – Ellen nahm an einem Casting in der Freien Szene teil – saß ich nun am Fenster eines Nahverkehrszuges nach Kiel, mit Kurswagen Richtung Flensburg, und ließ die platte, zersiedelte Landschaft an mir vorbeiziehen. Dies war also die Heimat der Meerjungfrauen.

2

Sodbrennen

Ehrlich gesagt, ich hasse es, begönnert zu werden. Vielleicht hätte ich nicht so laut schreien sollen, das hat ihn in Verlegenheit gebracht, aber ich konnte mich einfach nicht beherrschen. Mein größter Fehler. Es war natürlich Absicht von ihm, mich vor die Fotos in den Schaukästen zu schleppen, – wollte sich bisschen bewundern lassen, der kleine Hosenscheißer! Doch den Gefallen tat ich ihm nicht. Einmal eine Lobeshymne in irgendeinem Käseblatt, mein Gott, und der Pegel seiner Selbstzufriedenheit steigt höher als die letzte Hochwassermarke. Das Thalia, man wird es evakuieren müssen, wenn die Presse ihn weiter lobt.

Aber Schorsch sah blendend aus. Überhaupt nicht gealtert, der Typ, und kein Wunder, dass er bei Herrn Gobert engagiert ist, der ja bekanntlich schöne Menschen um sich haben will. Nur, wie man mit dem Amüsieronkel überhaupt arbeiten kann, dieser Quotentunte des deutschen Heimatfilms, das begreife ich nicht.

Endlich, nach vielem Hin und Her hatte ich ihn so weit, Schorsch meine ich, die Einladung anzunehmen, nachdem er zuletzt noch versucht hatte, seine Elli einzuschalten. "Möchtest du, dass ich mitkomme?" Flöt, flöt. Sie war immer eine schlechte Schauspielerin, grottenmäßig schlecht. "Woher hast du hundertfünfzigtausend Mark, Hubsilein? Ist deine Konventionalstrafe schon bezahlt?"

Nein, ist sie nicht, blöde Kuh. Womit habe ich eigentlich verdient, immer nur mit diesem Härtefall identifiziert zu werden. Sobald irgendwer meinen Namen hört, fragt er nicht, wie es mir geht, was ich mache, ob ich genügend zu tun habe, sondern ob ich meine Konventionalstrafe schon bezahlt habe. "Sie Ärmster, woher wollen Sie bloß das viele Geld nehmen?" Es hatte sich herumgesprochen, auch an anderen Theatern, dass ich zur Zahlung einer Netto-Abendeinnahme verdonnert worden war, etwa fünfund-zwanzigtausend Mark, aber das war nicht das Schlimmste. Am schlimmsten war das Beileid der Kollegen.

Zugestanden, es war nicht ganz in Ordnung, was ich damals gemacht habe, und ich verlange ja auch nicht, dass man mir deswegen ein Denkmal setzt. Mit den meisten meiner Spielkameraden aus jener Zeit – nein: mit allen! – habe ich keinen Kontakt mehr. Routinemäßig bewarb ich mich noch an verschiedenen Provinzklitschen, aber da war nichts zu machen. Entweder kein Interesse, oder sie wussten Bescheid. Was soll's, dachte ich, wenn du sowieso keine Chance hast, bewirb dich doch gleich an der Schaubühne, dem damals wohl berühmtesten Theater, und das tat ich dann auch. Mit überraschendem Ergebnis, wie sich zeigte.

"Hey, was ist los", rief Schorsch, als er vom Zug auf den Bahnsteig sprang und mir in die Arme stolperte, "heute ohne Meerjungfrau?" Seine gute Laune war aufgesetzt. Wahrscheinlich dachte er, o Gott, auf was habe ich mich da eingelassen.

"Willkommen am Arsch der Welt", flachste ich. "Sind noch vier Kilometer, bis wo ich wohne ...!"

Dies hatte ich vorher abgeklärt mit ihm, dass wir nämlich noch ein Stückchen zu gehen hätten, trotzdem schien er pikiert. Zum Glück war schönes Wetter, nur die Straße ein bisschen matschig. Ich nahm seine Reisetasche, wollte sie aufs Fahrrad setzen, doch das erlaubte er nicht.

"Meine Sachen trage ich selbst."

Der Zug fuhr ab, die Bahnschranke hob sich und wir machten uns auf den Weg. Eine Schar Gänse lief schnatternd hinter uns her.

Sich an der Schaubühne zu bewerben war der Beginn eines demütigenden Rituals. Den anderen Theatern schickte man Fotos und Lebenslauf ein, gesäumt von diskreter Selbstanpreisung, und bekam, wenn es einem nicht gelang, Aufmerksamkeit zu erheischen, entweder keine Antwort oder die Fotos zurück ("Wir danken für Ihr Interesse ..."). Als Nobody warst du der letzte Dreck, man musste eben versuchen, an die großen Namen ranzukommen!

Vom Halleschen Ufer, damals eine Wallfahrtsadresse, erhielt man den Bescheid, man möge doch bitte begründen, warum man sich für die Schaubühne interessiere, und das Dümmste was du sagen konntest war, ich möchte mit Peter Stein arbeiten. War diese Klippe umschifft, wurdest du zu einem Gespräch nach Berlin gebeten, Fahrtkosten zahlte das Arbeitsamt, und hattest dort dem Bewerbungsausschuss Rede und Antwort zu stehen.

"Du schreibst uns hier", ermittelte Jutta, "wenn dich die Schaubühne nicht nimmt, willst du überhaupt nicht mehr Theater spielen, – ist das wahr?"

"Ja, ich möchte nur noch im Kollektiv arbeiten."

"Du weißt aber", mahnte Michel, "dass wir ein politisches Theater sind und marxistisch-leninistische Schulung machen?"

"Ja, deshalb habe ich mich beworben."

"Bist du Mitglied einer Partei?", prüfte Sabine. Ich tat, als hätte ich mich verschluckt, um Zeit zu gewinnen. "An welchen politischen Aktivitäten hast du teilgenommen an dem Theater, wo du bisher engagiert warst?"

"Ich habe den Betriebsrat beleidigt und ihn aufgefordert zurückzutreten. Ich habe versucht, eine Rote Zelle zu gründen. Ich habe eine Vorstellung von FAUST II platzen lassen, weil ich ein Zeichen setzen wollte."

Mehr gelogen habe ich nie.

Wir gingen durch eine blühende Landschaft. Schreiend gelbe Rapsfelder so weit das Auge reicht, Vogelgezwitscher, blauer Himmel. Die Leute, die uns entgegen kamen, grüßten respektvoll, fast ehrerbietig. Seitdem sie mich einmal im Fernsehen erkannt hatten, war ich hier der liebe Gott, und wenngleich mir das runterging wie Öl, verursachte es mir Sodbrennen. Wie konnte ich ihnen begreiflich machen, dass ich ein simples, gewöhnliches Leben führen wollte, ihr Leben. Stattdessen wurde ich, Nebendarsteller im Vorabend-Programm, angeglotzt wie das achte Weltwunder.

"Aber ich wusste ja gar nicht", sagte Schorsch, "dass du auch ihm, dem Meister, vorgesprochen hast. Wie war er denn so?"

"Er hat mich in den Arsch gefickt, seelisch."

"Du meinst, er hat dich gedemütigt?"

"Wahrscheinlich merkte er, dass ich darauf aus war, von ihm engagiert zu werden, und ich mache mir heute noch mein kriecherisches Verhalten zum Vorwurf, meine Willfährigkeit, meine Liebedienerei. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke."

"O Gott, das kenne ich. Grauenhaft."

"Etwas Ähnliches habe ich nur noch in Bremen erlebt. Ich war blöd genug, mich auf ein Massenvorsprechen einzulassen, und musste zwei Stunden warten. Endlich werde ich vom Assistenten auf die Bühne geführt, grell erleuchtet, und aus dem dunklen Zuschauerraum tönt eine nölige Stimme: Also bitte, fangen Sie an!

Ich spreche ein paar Sätze aus der Fee-Mab-Erzählung des Mercutio, die Stimme nölt: Och nein, nicht schon wieder! Haben Sie nichts anderes, was Modernes?

Mich dem Selbstwertgefühl einer Küchenschabe nähernd mache ich den Beckmann aus DRAUSSEN VOR DER TÜR, bis die Stimme dazwischennölt: Danke, das reicht! Der Assistent sagt leise zu mir: Entschuldigung, er ist heute nicht gut drauf, – Sie werden von uns hören!

Ich hörte natürlich nie etwas."

"Entsetzlich. Furchtbar. Diese Herren meinen immer, wir seien bloß Material in ihren Händen."

"Aber das Beste kommt noch. Voriges Jahr, ich hatte eine hübsche Rolle in einem international erfolgreichen Kinofilm gespielt, bekomme ich eine Postkarte, handschriftlich. GRATULIERE ZU IHRER ROLLE IN SCHLÖN-DORFFS FILM/MÖCHTE GERN MIT IHNEN ARBEITEN/HERZLICH PETER ZADEK."

"Vielleicht hat dir jemand einen Streich gespielt."

"Nein, bestimmt nicht. Die hohen Herren pflücken ab, was woanders erfolgreich ist, und versuchen natürlich auch, sich gegenseitig die Beute wegzuschnappen."

"Gut für uns. Dann sind wir einmal die Stärkeren."

"Immer vorausgesetzt, nicht nur du, sondern auch das Umfeld ist erfolgreich. Was nützt es dir, wenn du in einem sauschlechten Film große Klasse bist."

"Und Peter Stein ...? Man hört ja, dass an seinem Theater die Hauptrollen durch Mehrheitsvotum besetzt werden, – stimmt das?"

"Den Quatsch hat er nur ein einziges Mal geduldet. Inzwischen hat er seinen Willen durchgesetzt."

"Ja, und? Was er zu dir gesagt hat, will ich wissen!"

"Nachdem ich mir also einen Wolf gespielt hatte und total fertig war, wirklich am Boden zerstört, meinte er: Es beginnt, mich zu interessieren.

Karajan hätte es nicht schnöder sagen können!"