Quo Vadis - Henryk Sienkiewicz - E-Book

Quo Vadis E-Book

Henryk Sienkiewicz

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Beschreibung

Quo Vadis ist ein Roman des polnischen Schriftstellers Henryk Sienkiewicz, der die Anfänge des Christentums in Rom zur Zeit Neros beschreibt. Er wurde 1895 erstmals veröffentlicht. Inspiriert wurde Sienkiewicz von einer alten Legende über eine Begegnung des Apostels Petrus mit Jesus. (aus wikipedia.de)

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Quo Vadis

Henryk Sienkiewicz

Inhalt:

Henryk Sienkiewicz – Biografie und Bibliografie

Quo Vadis

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Dreißigstes Kapitel.

Einunddreißigstes Kapitel.

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Vierunddreißigstes Kapitel.

Fünfunddreißigstes Kapitel.

Sechsunddreißigstes Kapitel.

Siebenunddreißigstes Kapitel.

Achtunddreißigstes Kapitel.

Neununddreißigstes Kapitel.

Vierzigstes Kapitel.

Einundvierzigstes Kapitel.

Zweiundvierzigstes Kapitel.

Dreiundvierzigstes Kapitel.

Vierundvierzigstes Kapitel.

Fünfundvierzigstes Kapitel.

Sechsundvierzigstes Kapitel.

Siebenundvierzigstes Kapitel.

Achtundvierzigstes Kapitel.

Neunundvierzigstes Kapitel.

Fünfzigstes Kapitel.

Einundfünfzigstes Kapitel.

Zweiundfünfzigstes Kapitel.

Dreiundfünfzigstes Kapitel.

Vierundfünfzigstes Kapitel.

Fünfundfünfzigstes Kapitel.

Sechsundfünfzigstes Kapitel.

Siebenundfünfzigstes Kapitel.

Achtundfünfzigstes Kapitel.

Neunundfünfzigstes Kapitel.

Sechzigstes Kapitel.

Einundsechzigstes Kapitel.

Zweiundsechzigstes Kapitel.

Dreiundsechzigstes Kapitel.

Vierundsechzigstes Kapitel.

Fünfundsechzigstes Kapitel.

Sechsundsechzigstes Kapitel.

Siebenundsechzigstes Kapitel.

Achtundsechzigstes Kapitel.

Neunundsechzigstes Kapitel.

Siebzigstes Kapitel.

Einundsiebzigstes Kapitel.

Zweiundsiebzigstes Kapitel.

Dreiundsiebzigstes Kapitel.

Vierundsiebzigstes Kapitel.

Quo Vadis, Henryk Sienkiewicz

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849618629

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Henryk Sienkiewicz – Biografie und Bibliografie

Der bedeutendste poln. Romanschriftsteller der Gegenwart, geb. 1846 in Wola Okrzejska (Kreis Lukow, Gouv. Sedlez), verstorben am 15. November 1916 in Vevey (Schweiz). Studierte in Warschau Philosophie, trat schon 1872 mit seiner ersten humoristischen Novelle: »Niemand ist Prophet in seinem Vaterland«, hervor, reiste 1876 nach Amerika und wurde dann durch seine unter dem Pseudonym Litwos in der Warschauer »Gazeta Polska« veröffentlichten, ungemein interessanten amerikanischen Reisebriefe in den weitesten Kreisen bekannt. Er veröffentlichte sodann eine Reihe von Novellen, die ein ungewöhnliches Talent in realistischer Auffassung und Darstellung bekundeten und allgemeines Aufsehen erregten. Am bemerkenswertesten darunter sind: »Stary sługa« (»Der alte Diener«), »Hania« (»Hanna «), »Szkice węglem« (»Kohlenskizzen«), »Janko muzykant« (»Janko der Musikant«), »Przez stepy« (»Durch die Steppen«), »Orso«, »Z pamiętnika poznańskiego nauczyciela« (»Aus dem Tagebuch eines Posener Lehrers«), »Czyja wina« (»Wer ist schuld«), »Za chlebem« (»Ums liebe Brot«), »Latarnik« (»Der Laternenmann«), »Jamioł«, »Niewola tatarska« (»Die Tatarenknechtschaft«), »Na jednę kartę« (»Auf eine Karte«), »Bartek zwycięzca« (»Bartel der Sieger«). Alsdann errang er einen ganz außerordentlichen Erfolg auf dem Gebiete des historischen Romans mit der großen Romantrilogie »Ogniem i mieczem« (»Mit Feuer und Schwert«, Warsch. 1884, 4 Bde.), »Potop« (»Die Sintflut«, Berl. 1886, 6 Bde.) und »Pau Wołodyjowski« (das. 1887–88, 3 Bde.). Alle drei Romane spielen im 17. Jahrh. auf dem blutigen Hintergrunde der Kriege mit den Kosaken, Schweden und Türken und übertreffen an Kraft, Erfindungsgabe und glänzendem Stil alles, was bisher auf diesem Gebiet in der polnischen Literatur geleistet wurde. Nach Herausgabe einer Reihe von Novellen (»Ta trzecia«, »Sachem«, »Sielanka« etc. 1889) veröffentlichte er dann 1890 das zweibändige Werk »Bez dogmatu« (»Ohne Dogma«), den bedeutendsten psychologischen Roman, den die polnische Literatur aufzuweisen hat. Seine letzten Publikationen sind die Romane »Rodzina Połanieckich« (1894), das weltberühmt gewordene »Quo vadis« (1895, aus der Zeit Neros), das in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde, und »Krzyżacy« (»Die Kreuzritter«, 1901). S. hatte dann seinen Wohnsitz abwechselnd in Warschau und Krakau und hat in den letzten Jahren weite Reisen nach England, Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland, dem Orient etc. unternommen. Eine Reise nach Afrika schildern seine »Briefe aus Afrika«. Eine Zeitlang war er Redakteur des Warschauer »Slowo«. Jetzt lebt er meist auf dem Gute Olęgoret (Gouv. Kjelzy), das ihm 1900 zu seinem 25jährigen Schriftstellerjubiläum von den Polen als Nationalgeschenk verehrt wurde. 1905 wurde ihm der Nobel-Preis für Literatur zuerkannt. Eine Sammlung seiner Werke erscheint seit 1880 in Warschau. S.' Schriften sind fast sämtlich mehrfach übersetzt worden, seine Romane deutsch Leipzig 1901–02 in 10 Bänden, eine andre deutsche Ausgabe seiner »Gesammelten Werke« erscheint seit 1906 in Graz. Seine Biographie schrieben P. Chmielowski (poln., Lemberg 1901) und J. Nowiński (poln., Warsch. 1901).

Quo Vadis

Erstes Kapitel.

Petronius erwachte erst gegen Mittag und zwar wie gewöhnlich noch sehr ermüdet. Am Tage zuvor war er bei Nero zu einem Gastmahle eingeladen gewesen, das sich bis spät in die Nacht hineingezogen hatte. Seit einiger Zeit fing seine Gesundheit an zu leiden. Er selbst klagte darüber, daß er am Morgen stets wie an allen Gliedern zerschlagen aufwache und nicht imstande sei, seine Gedanken zu sammeln. Aber das Morgenbad und die damit verbundene sorgfältige Massage durch seine darin geschulten Sklaven brachten dann allmählich sein träges Blut wieder in Bewegung, erfrischten, belebten ihn und erfüllten ihn mit neuer Kraft, so daß er aus dem Salbzimmer, der letzten Abteilung des Bades, wie neuerstanden heraustrat, mit Augen, die von Geist und Heiterkeit strahlten, verjüngt, voller Leben, in rosiger Laune und in so vornehmer, tadelloser Haltung, daß sich selbst Otho nicht mit ihm vergleichen konnte: kurz, wirklich als »arbiter elegantiarum,« als oberster Richter in Sachen des feinen Geschmacks, wie man ihn nannte.

In den öffentlichen Bädern verkehrte er selten und nur dann, wenn ein berühmter Rhetor, von dem man in der ganzen Stadt sprach, auftrat oder wenn aus Anlaß einer Ephebenfeier besonders aufregende Ringkämpfe zu erwarten waren. Er besaß in seiner Villa, »Insula,« eigene Bäder, welche ihm Celer, der berühmte Fachgenosse des Severus, erweitert, umgebaut und mit so erlesenem Geschmacke eingerichtet hatte, daß selbst Nero ihnen den Vorzug vor den kaiserlichen Bädern einräumte, obgleich diese letzteren ausgedehnter und mit ungleich größerem Prunk ausgestattet waren.

Nach jenem Gastmahl also, bei dem er, gelangweilt von Vatinius' Schwätzereien, mit Nero, Lucanus und Seneca über die Frage, ob das Weib eine Seele habe, disputiert hatte, war er spät aufgestanden und hatte wie gewöhnlich ein Bad genommen. Zwei riesige Badediener legten ihn auf einen Tisch aus Zypressenholz, der mit schneeigem ägyptischen Byssos bedeckt war, tauchten ihre Handflächen in wohlriechendes Öl und begannen seinen wohlgestalteten Körper zu salben. Petronius wartete mit geschlossenen Augen, bis die Wärme des Schwitzbades und die Wärme ihrer Hände seine Glieder durchdrang und seine Mattigkeit beseitigte.

Nach einiger Zeit unterbrach er jedoch das Schweigen, schlug die Augen auf und begann nach dem Wetter sowie nach den Gemmen zu fragen, die der Goldschmied Idomeneus ihm heute zur Ansicht zu schicken versprochen hatte. Die Sklaven teilten ihm mit, das Wetter sei herrlich, ein leichter Wind wehe von den Albanerbergen her, und die Gemmen seien noch nicht eingetroffen. Petronius schloß von neuem die Augen und befahl soeben, ihn in den eigentlichen Baderaum, das Tepidarium, zu tragen, als hinter dem Vorhange der Nomenclator sichtbar wurde und meldete, daß der junge Marcus Vinicius, der vor kurzem aus Kleinasien zurückgekehrt war, ihn zu besuchen gekommen sei.

Petronius gab Befehl, den Gast ins Tepidarium zu geleiten, und begab sich auch selbst dorthin. Vinicius war der Sohn seiner älteren Schwester, welche sich vor langen Jahren mit Marcus Vinicius, einem Konsular aus der Zeit des Kaisers Tiberius, vermählt hatte. Der Jüngling diente bis dahin unter Corbulo gegen die Parther und war nach Beendigung des Krieges nach Rom zurückgekehrt. Petronius empfand eine gewisse Zuneigung für ihn, die nahe an Freundschaft grenzte, denn Marcus war ein schöner, kräftig gebauter Jüngling, der es zugleich verstand, in seinen Ausschweifungen ein gewisses ästhetisches Maß zu halten, was Petronius über alles schätzte.

»Sei gegrüßt, Petronius,« sagte der Jüngling, als er mit elastischem Schritte das Tepidarium betrat; »mögen alle Götter dir Glück schenken, namentlich Asklepios und Kypris, denn unter ihrem schützenden Beistande kann dir nichts Übles zustoßen.«

»Willkommen in Rom! Mögest du dich der Ruhe nach dem Kriege erfreuen,« antwortete Petronius, indem er seine Hände aus den Falten des weichen Musselingewebes, das ihn umhüllte, hervorstreckte. »Was gibt es Neues in Armenien, und bist du während deines Aufenthaltes in Asien nicht auch nach Bithynien gekommen?«

Petronius hatte früher Bithynien verwaltet, und was mehr bedeuten wollte, sein Amt mit Strenge und Gerechtigkeit geführt. Dies stand in merkwürdigem Gegensatz zu dem Charakter des Mannes, der wegen seiner Weichlichkeit und seines Hanges zur Üppigkeit allgemein bekannt war; daher liebte er es, sich jener Zeiten zu erinnern, weil sie ein Beweis dafür waren, was aus ihm hätte werden können, wenn er gewollt hätte.

»Ich war zufällig in Herakleia,« entgegnete Vinicius. »Corbulo hatte mich dorthin geschickt mit dem Befehl, Verstärkungen zusammenzuziehen.«

»Ach ja, Herakleia! Ich kannte dort ein Mädchen aus Kolchis, für das ich alle hiesigen geschiedenen Frauen, Poppaea selbst nicht ausgeschlossen, hingegeben hätte. Aber das sind vergangene Geschichten. Erzähle mir lieber, was es Neues an der parthischen Grenze gibt. Wahrlich, diese Vologesus, Tiridates, Tigranes und all diese Barbaren sind mir zuwider, welche, wie mir der junge Arulanus erzählt, bei sich zu Hause noch auf allen vieren kriechen und sich nur in unserer Gegenwart als Menschen gebärden. Aber man spricht jetzt viel von ihnen in Rom, wenn auch nur deshalb, weil es gefährlich ist, von etwas anderem zu sprechen.«

»Der Krieg geht schlecht vorwärts, und wenn Corbulo nicht wäre, so könnte er möglicherweise zu einer Niederlage führen.«

»Corbulo! Beim Bakchos, er ist der wahre Kriegsgott, der leibhaftige Mars, ein großer Feldherr und dabei aufbrausend, ehrlich und töricht. Ich liebe ihn, wenn auch nur deshalb, weil Nero ihn fürchtet.«

»Corbulo ist durchaus nicht töricht.«

»Vielleicht hast du recht; aber es ist alles eins. Die Torheit ist, wie Pyrrhon sagt, um nichts schlechter als die Weisheit und unterscheidet sich in nichts von ihr.«

Vinicius begann nun vom Kriege zu erzählen; als aber Petronius die Lider von neuem schloß, änderte der Jüngling, der seine müden und etwas eingefallenen Züge bemerkte, den Gegenstand der Unterhaltung und begann ihn mit einiger Besorgnis nach seiner Gesundheit zu fragen.

Petronius schlug wieder die Augen auf.

Gesund! ... Nein, er fühle sich nicht wohl. Soweit sei es allerdings noch nicht mit ihm gekommen wie mit dem jungen Sissena, der so stumpfsinnig geworden sei, daß er, wenn man ihn früh ins Bad bringe, frage: »Sitze ich schon?« Aber er sei nicht gesund. Vinicius habe ihn ja dem Schutze des Asklepios und der Kypris empfohlen. Man wisse aber nicht einmal, wessen Sohn dieser Asklepios sei, ob der Arsinoe oder der Koronis, und wenn die Mutter zweifelhaft sei, was solle man dann erst vom Vater sprechen! Wer könne heutzutage überhaupt dafür bürgen, daß er der Sohn seines Vaters sei!

Hier begann Petronius zu lachen und fuhr dann fort: »Ich schickte wirklich vor zwei Jahren drei Dutzend lebende Hähne und einen goldenen Becher nach Epidauros, aber weißt du auch, warum? Ich sagte mir nämlich: mag es helfen oder nicht, auf keinen Fall schadet es mir. Obgleich die Menschen auf der Erde den Göttern noch immer Opfer darbringen, so glaube ich doch, daß sie alle derselben Meinung sind wie ich. Alle! mit Ausnahme vielleicht der Eseltreiber, die sich den Reisenden an der Porta Capena vermieten. Außer bei Asklepios hatte ich ganz dieselbe Erfahrung bei den Söhnen des Asklepios zu machen, als ich voriges Jahr etwas an der Blase litt. Sie wachten eine Nacht im Tempel für mich. Ich sah, daß es Betrüger waren, aber gleichmütig sagte ich mir: was schadet dies mir? Die Welt will betrogen werden, und das Leben selbst ist eine Täuschung. Ebenso ist die Seele eine Täuschung. Man muß jedoch soviel Verstand besitzen, daß man die angenehmen von den unangenehmen Täuschungen unterscheiden kann. In meinem Badeofen will ich mit Ambra bestreutes Zedernholz verbrennen lassen, denn in meinem ganzen Leben zog ich Wohlgeruch üblen Düften vor. Was aber Kypris betrifft, der du mich ebenfalls empfahlst, so erfuhr ich ihren Beistand in dem Maße, daß ich die Gicht im rechten Fuße habe. Im übrigen ist sie eine gute Göttin! Ich nehme an, daß auch du jetzt früher oder später weiße Tauben zu ihrem Altare hinbringen wirst.«

»Du hast recht,« entgegnete Vinicius. »Die Pfeile der Parther haben mich nicht ereilt, aber Amors Pfeil hat mich getroffen ... ganz unerwartet, einige Stadien vor den Toren der Stadt.«

»Bei den weißen Knieen der Charitinnen! erzähle mir dies in einer Mußestunde!« rief Petronius.

»Ich kam eben, um deinen Rat zu erbitten,« antwortete Marcus.

In diesem Augenblicke erschienen aber die Badewärter, die sich mit Petronius beschäftigten. Auch Marcus legte seine Tunika ab und stieg in die mit lauem Wasser gefüllte Wanne, da Petronius ihn zu einem Bade einlud.

»Ah! ich habe nicht einmal gefragt, ob du Gegenliebe gefunden hast,« sagte Petronius, indem er auf Vinicius' jugendlichen, wie aus Marmor gemeißelten Körper blickte. »Hätte dich Lysippos gesehen, so würdest du jetzt als Standbild des Herakles in seiner Jugendblüte das Tor, das zum Palatinus führt, zieren.«

Der Jüngling lächelte geschmeichelt und begann in der Wanne unterzutauchen, wobei ziemlich viel warmes Wasser auf den Mosaikfußboden überfloß, auf welchem Here in dem Augenblicke dargestellt war, wo sie den Schlummergott bittet, Zeus einzuschläfern. Petronius betrachtete ihn mit künstlerischer Befriedigung.

Als Marcus das Bad beendet und sich den Dienern überlassen hatte, erschien der Lektor, einen runden Behälter aus Bronze vor sich hertragend, in dem sich Schriftrollen befanden.

»Willst du zuhören?« fragte Petronius.

»Wenn es ein Werk von dir ist, gern!« entgegnete Vinicius, »ist dies aber nicht der Fall, so möchte ich mich lieber mit dir unterhalten. Die Dichter überfallen jetzt die Leute an allen Straßenecken.«

»Du hast recht. Man kann in keine Gerichtshalle, kein Bad, keine Bibliothek, keinen Buchladen treten, ohne daß man einen Poeten erblickt, der hier seine Affenpossen treibt. Als Agrippa aus dem Osten zurückkehrte, glaubte er, die Leute seien verrückt. Aber die heutige Zeit ist auch dazu angetan. Der Caesar schreibt Verse, und deshalb folgen ihm alle auf diesem Wege. Es ist nur verboten, bessere Verse als er zu machen, und aus diesem Grunde fürchte ich ein wenig für Lucanus .... Ich schreibe aber Prosa und lasse sie weder mir selbst noch anderen vorlesen. Was der Lektor lesen wird, sind die Codicilli des armen Fabricius Vejento.«

»Warum arm?«

»Weil ihm mitgeteilt wurde, er solle sich nach Odyssa begeben und nicht eher nach Hause zurückkehren, bis er erneuten Befehl erhalte. An dieser Odyssee wird er allerdings leichter zu tragen haben, als Odysseus an der seinigen, denn seine Frau ist keine Penelope. Ich brauche dir übrigens nicht erst zu sagen, daß man damit unklug gehandelt hat. Aber man treibt hier alles auf die Spitze. Dies ist ein ziemlich schlechtes, langweiliges Buch, das erst begierig gelegen wird, seitdem der Verfasser verbannt worden ist. Jetzt hört man überall rufen: Scandala! Scandala! und es kann sein, daß Vejento manches erfunden hat, aber ich, der ich die Stadt, unsere Familienväter und unsere Frauen kenne, versichere dich, daß alles noch hinter der Wirklichkeit zurückbleibt. Jetzt sucht jedermann in dem Buche sich selbst mit Besorgnis, Bekannte mit Schadenfreude. In der Buchhandlung des Avirnus schreiben hundert Kopisten das Werk nach Diktat, und sein Erfolg ist sicher.«

»Ist nicht auch von deinen Angelegenheiten darin die Rede?«

»Jawohl; aber der Verfasser befindet sich im Irrtum, denn ich bin zugleich schlimmer und weniger fad, als er mich hinstellt. Sieh, wir haben hier schon längst das Gefühl dafür eingebüßt, was ehrenhaft und was unehrenhaft ist, und mir selbst will es scheinen, als ob in Wahrheit gar kein Unterschied zwischen beiden bestände, obgleich Seneca, Musonius und Thrasea vorgeben, ihn zu kennen. Mir ist alles eins! Beim Herakles, ich spreche so, wie ich denke! Aber den Stolz habe ich mir stets bewahrt, daß ich weiß, was häßlich und was schön ist, und davon versteht zum Beispiel unser rotbärtiger Dichter, Wagenlenker, Sänger, Tänzer und Schauspieler nichts.«

»Fabricius dauert mich trotzdem! Er war ein guter Gesellschafter.«

»Seine Eigenliebe hat ihn ins Verderben gestürzt. Jedermann beargwöhnte ihn, ohne etwas sicheres zu wissen; aber er selbst konnte sich nicht beherrschen und plauderte überall Geheimnisse aus. Hast du die Geschichte von Rufinus gehört?«

»Nein.«

»Wir wollen ins Frigidarium gehen; dort können wir uns abkühlen, und ich erzähle dir dabei die Geschichte.«

Sie begaben sich ins Frigidarium, in dessen Mitte ein Springbrunnen sprudelte, der in hellrosa Farbe schimmerte und veilchenduftendes Wasser von sich gab. Dort setzten sie sich in mit Seide ausgeschlagene Nischen und begannen sich abzukühlen. Eine Weile herrschte Schweigen. Vinicius betrachtete einige Zeit sinnend einen Faun aus Bronze, der, sich über den Arm einer Nymphe beugend, mit seinen Lippen lüstern die ihrigen suchte, und sagte dann: »Der hat recht! Das ist das beste im Leben.«

»Mehr oder weniger! Außerdem liebst du aber auch den Krieg, den ich nicht leiden kann, weil unter den Zelten die Nägel rissig werden und ihre rosige Farbe verlieren. Im übrigen hat jeder seinen eigenen Geschmack. Der Rotbart liebt Gesang, namentlich seinen eigenen, und der alte Scaurus seine korinthische Vase, die in der Nacht sogar vor seinem Bette steht und die er küßt, wenn er nicht schlafen kann. Er hat schon ihre Ränder weggeküßt. Sag' einmal, machst du keine Verse?«

»Nein; ich habe noch nie einen ganzen Hexameter zustande gebracht.«

»Du spielst nicht auf der Laute und singst auch nicht?«

»Nein.«

»Du bist auch kein Wagenlenker?«

»Ich versuchte es seinerzeit in Antiochia, aber ohne Erfolg.«

»Dann bin ich deinetwegen außer Sorge. Und zu welcher Partei gehörst du in der Rennbahn?«

»Zu den Grünen.«

»Dann bin ich völlig außer Sorge, zumal du wirklich großen Reichtum besitzt, wenn auch nicht so großen, wie Pallas oder Seneca. Denn sieh, für uns ist es gegenwärtig gut, Verse zu schreiben, zur Laute zu singen, zu deklamieren und an den Wettfahrten im Zirkus teilzunehmen, aber noch besser und namentlich gefahrloser ist es, keine Verse zu machen, nicht zu spielen, nicht zu singen und nicht im Zirkus aufzutreten. Am besten ist es aber, wenn man es versteht, das zu bewundern, was der Rotbart bewundert. Du bist ein hübscher Bursche; daher könnte dir vielleicht die Gefahr drohen, daß sich Poppaea in dich verliebt. Aber sie hat darin zuviel Erfahrung. Sie hat ihr Liebesverlangen zur Genüge bei ihren ersten beiden Männern gestillt; bei dem dritten sind ihre Wünsche auf etwas anderes gerichtet. Weißt du, daß dieser alberne Otho sie bis zum Wahnsinne liebt? Er irrt auf den Felsen Spaniens umher und seufzt, auch hat er seine früheren Gewohnheiten in dem Grade abgelegt und hat so sehr aufgehört, sich mit seiner Person zu beschäftigen, daß ihm zur Pflege seines Haares jetzt drei Stunden täglich genügen. Wer hätte das erwartet, namentlich von Otho!«

»Ich verstehe ihn,« erwiderte Vinicius. »Aber an seiner Stelle hätte ich etwas anderes getan.«

»Was denn?«

»Ich hätte mir treuergebene Legionen unter den dortigen Gebirgsbewohnern angeworben. Es sind tüchtige Soldaten, diese Iberer!«

»Vinicius, Vinicius! Fast hätte ich Lust, dir zu sagen, daß du dazu nicht imstande wärest. Und weißt du, warum? So etwas tut man zwar, aber man spricht unter keiner Bedingung davon. Was mich betrifft, so hätte ich an seiner Stelle die Poppaea ausgelacht, ebenso den Rotbart und hätte mir Legionen gebildet nicht aus iberischen Männern, sondern aus iberischen Frauen. Zu guterletzt hätte ich Epigramme geschrieben, die ich übrigens niemand vorgelesen hätte, wie es dieser arme Rufinus getan hat.«

»Du wolltest mir seine Geschichte erzählen.«

»Ich werde sie dir im Unctorium erzählen.«

Aber im Salbzimmer wurde Vinicius' Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt, nämlich auf wunderschöne Sklavinnen, die auf die Badenden gewartet hatten. Zwei von ihnen, Negerinnen, die herrlichen Statuen aus Ebenholz glichen, begannen sie mit kostbaren arabischen Parfumerien zu salben, andere, geschickte phrygische Haarkünstlerinnen, hielten in ihren Händen, die weich und geschmeidig waren wie Schlangen, Kämme und Spiegel aus poliertem Stahl; zwei andere, griechische Mädchen aus Kos, Göttinnen an Schönheit ähnlich, warteten als Vestiplicae auf den Augenblick, wo sie säulengerade Falten in die Togen der beiden Männer legen konnten.

»Beim Wolkenversammler Zeus!« rief Marcus Vinicius, »was für auserlesene Geschöpfe du hier hast!«

»Ich ziehe auserlesenes einer großen Anzahl vor,« entgegnete Petronius. »Meine gesamte Dienerschaft in Rom beträgt nicht über vierhundert Köpfe und ich glaube, daß nur Emporkömmlinge eine größere Menge Menschen zu ihrer persönlichen Bedienung brauchen.«

»Schönere Sklavinnen besitzt nicht einmal der Rotbart,« sagte Vinicius, dessen Nasenflügel sich blähten.

»Du bist mein Neffe, und ich bin weder ungefällig wie Bassus, noch ein Pedant wie Aulus Plautius,« entgegnete Petronius mit einer Art gleichmütiger Zuvorkommenheit.

Beim Klange dieses letzteren Namens vergaß Vinicius auf einen Augenblick die koischen Mädchen, und lebhaft den Kopf erhebend, fragte er: »Wie kommt dir Aulus Plautius in den Sinn? Weißt du, daß ich etliche Tage in seinem Hause zubrachte, als ich mir vor der Stadt die Hand verstaucht hatte? Es traf sich, daß Plautius in dem Augenblicke, wo sich der Unfall ereignete, hinzukam, und als er sah, wie sehr ich litt, mich in sein Haus aufnahm, wo mich auch sein Sklave, der Arzt Meryon, wiederherstellte. Hierüber eben wollte ich mit dir sprechen.«

»Worüber? Hast du dich bei dem Unfalle etwa in Pomponia verliebt? In diesem Falle dauerst du mich. Sie ist nicht mehr jung und dabei sehr tugendhaft. Ein schlechteres Verhältnis als dieses kann ich mir gar nicht vorstellen. Brrr!«

»Nicht in Pomponia, ach!« antwortete Vinicius.

»In wen denn sonst?«

»Wenn ich es nur selbst wüßte, in wen. Aber ich weiß nicht einmal genau, wie sie heißt: Lygia oder Callina. Im Hause nennt man sie Lygia, weil sie aus dem Volke der Lygier herstammt; aber sie hat noch ihren eigenen barbarischen Namen: Callina. Es ist ein seltsames Haus, das Haus dieser Familie Plautius; trotz der großen Zahl der Bewohner herrscht eine Stille darin wie in den Hainen von Subiacum. Längere Zeit hindurch wußte ich nicht, daß eine Gottheit darin wohnte. Da sah ich einst bei Tagesanbruch, wie sie sich in dem Springbrunnen im Garten badete. Und bei dem Schaume, aus dem Aphrodite geboren wurde, schwöre ich dir, daß die Strahlen der Morgenröte ihren Leib wie Pfeile durchdrangen. Ich glaubte, daß sie beim Aufgang der Sonne im Lichte zerfließen würde, wie die Morgendämmerung zerfließt. Seitdem sah ich sie zweimal, und seitdem weiß ich auch nicht mehr, was Ruhe ist, kenne ich kein anderes Verlangen, will nichts mehr von dem wissen, was mir die Stadt bieten könnte; ich will keine Weiber, kein Gold, kein korinthisches Erz, keinen Bernstein, keine Perlen, keinen Wein, kein Gelage, ich verlange nur nach Lygia. Ich sage dir im vollen Ernste, Petronius, daß ich mich nach ihr sehne, wie jener Hypnos auf dem Mosaikfußboden deines Tepidariums sich nach Paisitheia sehnte, daß ich mich die ganzen Tage und Nächte nach ihr sehne.«

»Wenn sie eine Sklavin ist, so kaufe sie doch.«

»Sie ist keine Sklavin.«

»Was ist sie denn? Eine Freigelassene des Plautius?«

»Da sie nie Sklavin war, kann sie auch nicht eine Freigelassene sein.«

»Wer ist sie also?«

»Ich weiß es nicht; die Tochter eines Königs oder etwas ähnliches.«

»Du machst mich neugierig, Vinicius.«

»Wenn du mich anhören willst, will ich sofort deine Wißbegierde befriedigen. Ihre Geschichte ist nicht allzulang. Vielleicht hast du Vannius, den König der Sueven, persönlich gekannt, der, aus seinem Lande vertrieben, lange Zeit hier in Rom lebte und sogar wegen seines Glücks im Würfelspiel und seines Geschicks im Wagenlenken berühmt war. Cäsar Drusus setzte ihn wieder auf den Thron. Vannius, der wirklich ein tüchtiger Mann war, regierte anfangs gut und führte glückliche Kriege; später aber begann er nicht nur die Nachbarvölker, sondern auch seine Sueven selbst allzusehr zu bedrücken. Daher beschlossen seine beiden Neffen Vangio und Sido im Verein mit den Söhnen des Hermundurenkönigs Vibilius, ihn zu zwingen, wieder nach Rom zu gehen, um sein Glück im Würfelspiel zu versuchen.«

»Ich weiß, es war zu Claudius' Zeiten, es ist noch nicht allzulange her.«

»Jawohl! Der Krieg brach aus. Vannius rief Jazygen zu Hilfe, seine teuren Neffen aber die Lygier, die von Vannius' Schätzen gehört hatten und von der Hoffnung auf Beute angelockt in so zahlreichen Massen ins Land kamen, daß selbst Cäsar Claudius wegen des Friedens an der Grenze in Besorgnis geriet. Claudius wünschte nicht, sich in die Barbarenkriege zu mischen, schrieb jedoch an Atelius Hister, der die Donaulegion befehligte, er möge den Verlauf des Krieges aufmerksam verfolgen und keine Friedensstörung gegen uns dulden. Hister verlangte nun von den Lygiern das Versprechen, die Grenze nicht zu überschreiten; diese verpflichteten sich nicht nur hierzu, sondern stellten auch Geiseln, unter denen sich die Gemahlin und die Tochter ihres Fürsten befanden. Du weißt ja, daß die Barbaren mit Weib und Kind in den Krieg ziehen. Und meine Lygia ist die Tochter jenes Königs.«

»Woher weißt du dieses alles?«

»Aulus Plautius selbst hat es mir erzählt. Die Lygier überschritten daraufhin wirklich nicht die Grenze. Aber Barbaren kommen und gehen wieder wie eine Windsbraut. So verschwanden auch die Lygier samt ihren Auerochsenhörnern, die sie auf dem Kopfe tragen. Sie erschlugen die Sueven des Vannius sowie die Jazygen; aber auch ihr König fiel, worauf sie mit der Beute abzogen. Die Geiseln blieben in Histers Händen. Kurze Zeit danach starb die Mutter, und da Hister nicht wußte, was er mit dem Kinde anfangen sollte, sandte er es zu Pomponius, dem Statthalter von ganz Germanien. Dieser kehrte nach Beendigung des Krieges mit den Katten nach Rom zurück, wo ihm Claudius, wie du weißt, gestattete, einen Triumphzug zu halten. Das Mädchen ging dabei hinter dem Wagen des Siegers einher. Da aber die Geiseln nicht als Kriegsgefangene betrachtet werden können, so wußte Pomponius seinerseits nicht, was er mit dem Kinde beginnen sollte, und übergab er es nach der Beendigung der Feier seiner Schwester Pomponia Graecina, der Gattin des Plautius. In diesem Hause, wo alles, von der Herrschaft angefangen bis herab zum Geflügel im Hühnerhof tugendhaft ist, wuchs Lygia zur Jungfrau heran, ist aber leider ebenso tugendhaft wie Graecina selbst, dabei jedoch so schön, daß selbst Poppaea im Vergleich zu ihr wie eine Herbstfeige neben dem Apfel der Hesperiden erscheint.«

»Und was weiter?«

»Ich wiederhole dir, daß ich sie seit dem Augen blicke, wo ich sah, wie die Sonnenstrahlen am Springbrunnen ihren Körper durchleuchteten, liebe, ohne an etwas anderes denken zu können.«

»Sie ist also durchsichtig wie eine Lamprete oder eine junge Sardine?«

»Spotte nicht, Petronius. Und wenn du die Offenherzigkeit, mit der ich zu dir über meine Liebe spreche, mißverstehst, so bedenke, daß ein schimmerndes Kleid oft tiefe Wunden bedeckt. Auch das muß ich dir erzählen, daß ich bei meiner Rückkehr aus Asien eine Nacht im Heiligtum des Mopsos schlief, in der Absicht, einen prophetischen Traum zu haben. Und wirklich erschien mir Mopsos selbst im Traum und erklärte mir, daß die Liebe eine große Veränderung in meinem Leben bewirken werde.«

»Ich hörte Plinius sagen, er glaube nicht an die Götter, wohl aber an Träume, und möglicherweise hat er recht. Meine Spöttereien hindern mich nicht daran, bisweilen zu denken, daß es in Wahrheit nur eine einzige ewige, allmächtige, schöpferische Gottheit gibt: Venus Genitrix. Sie verknüpft Seelen miteinander, sie verknüpft Lebendes und Lebloses. Eros rief die Welt aus dem Chaos ins Dasein. Ob er gut daran tat, ist allerdings eine andere Frage; aber da es so ist, so müssen wir seine Macht anerkennen, obgleich es uns freisteht, sie nicht zu segnen ...«

»Ach, Petronius, es ist leichter, auf der Welt Philosophie als einen guten Rat zu hören.«

»So sage mir, was du eigentlich wünschst.«

»Ich wünsche Lygia zu besitzen. Ich wünsche, daß ich mit diesen meinen Armen, welche jetzt in die leere Luft greifen, Lygia umfasse und an meine Brust drücke; ich wünsche ihren Atem einzusaugen. Wäre sie eine Sklavin, so würde ich Aulus für sie hundert Mädchen geben mit in Kalk getauchten Füßen, zum Zeichen, daß sie zum erstenmal zum Verkauf kommen. Ich will sie solange in meinem Hause haben, bis mein Haupt so weiß ist, wie der Soracte im Winter.«

»Sie ist keine Sklavin, gehört aber schließlich doch zur Familie des Plautius; und da sie ein verlassenes Kind ist, so kann sie als Alumna betrachtet werden. Plautius könnte sie dir abtreten, wenn er wollte.«

»Du sprichst so, weil du Pomponia Graecina nicht kennst. Im übrigen lieben beide Gatten sie so zärtlich, wie wenn sie ihre eigene Tochter wäre.«

»Ich kenne Pomponia – die wahre Trauerweide. Wäre sie nicht des Aulus Gattin, so könnte man sie als Klageweib vermieten. Seit Julius' Tode hat sie die schwarze Stola noch nicht abgelegt und sieht überhaupt so abgemagert aus, als wandle sie lebend bereits auf der Asphodeloswiese. Außerdem ist sie eine Univira und daher unter unseren vier- bis fünfmal geschiedenen Frauen ein leibhaftiger Phönix ... Aber ... hast du gehört, daß in Oberägypten jetzt wirklich ein Phönix ausgebrütet worden ist, was nicht häufiger vorkommt als einmal in fünfhundert Jahren?«

»Petronius, Petronius! vom Phönix sprechen wir ein andermal!«

»Worüber soll ich denn mit dir sprechen, lieber Marcus? Ich kenne Aulus Plautius, der zwar meinen Lebenswandel tadelt, aber mir doch eine Art Wohlwollen entgegenbringt und mich vielleicht höher schätzt als andere; denn er weiß, daß ich niemals ein Angeber gewesen bin, wie zum Beispiel Domitius Afer, Tigellinus und die ganze Schar der Freunde des Rotbartes. Obgleich ich mich nicht für einen Stoiker ausgebe, entrüstete ich mich doch nichtsdestoweniger über manche Taten Neros, bei denen weder Seneca noch Burrus etwas Arges fanden. Wenn du glaubst, daß ich etwas für dich bei Plautius tun kann, so stehe ich dir gern zu Diensten.«

»Ich glaube, du kannst es. Du hast Einfluß auf ihn, und außerdem besitzt dein Geist unerschöpfliche Hilfsmittel. Wenn du dich der Sache annehmen und mit Plautius sprechen wolltest ...«

»Du hast eine allzuhohe Meinung von meinem Einflusse und meiner Klugheit, aber wenn es weiter nichts ist, was du verlangst, so will ich mit Plautius sprechen, sobald er in die Stadt zurückkehrt.«

»Sie sind schon seit zwei Tagen zurück.«

»Dann laß uns ins Triclinium gehen, wo ein Mahl für uns bereit steht, und dann, wenn wir uns gestärkt haben, wollen wir uns zu Plautius tragen lassen.«

»Du bist stets gütig gegen mich gewesen,« antwortete Marcus Vinicius lebhaft; »nun aber lasse ich deine Bildsäule – sieh, eine so schöne wie diese hier – unter meine Laren versetzen und bringe ihr Opfer dar.«

Bei diesen Worten wandte er sich den Statuen zu, welche die ganze eine Wand des mit Wohlgerüchen erfüllten Zimmers schmückten, und deutete mit der Hand auf die Bildsäule des Petronius, die ihn als Hermes mit dem Stabe in der Hand darstellte, und fuhr dann fort: »Beim Strahlenglanze des Helios! wenn der göttliche Held Alexandros dir glich, so wundere ich mich nicht mehr über Helena.«

In dieser Versicherung lag ebensoviel Aufrichtigkeit wie Schmeichelei, denn Petronius war, obgleich älter und weniger kräftig gebaut, schöner als selbst Vinicius. Die römischen Frauen bewunderten nicht nur seinen überlegenen Geist und seinen vollendeten Geschmack, der ihm den Beinamen arbiter elegantiarum eingebracht hatte, sondern auch seine äußere Schönheit. Diese Bewunderung war sogar in den Gesichtern jener koischen Mädchen zu lesen, welche jetzt die Falten seiner Toga ordneten, und eine von ihnen, Eunike mit Namen, die ihn heimlich liebte, blickte ihm mit einem Gemisch von Demut und Entzücken in die Augen. Er aber achtete weiter nicht darauf, sondern wandte sich nur lächelnd an Vinicius, indem er das beißende Wort Senecas über die Weiber zitierte: »Animal impudens ...« usw.

Dann legte er seine Hand in den Arm seines Gastes und geleitete ihn in das Triclinium.

Im Unctorium begannen die beiden griechischen Mädchen, die Phrygierinnen und die Negerinnen, die Gefäße mit den wohlriechenden Salben wegzuräumen. In diesem Augenblicke erschienen aber hinter dem zurückgeschlagenen Vorhang des Frigidariums die Köpfe der Badewärter und stießen ein leises Pst! aus; auf diesen Ruf sprangen eine der Griechinnen, die Phrygierinnen und die beiden Negerinnen rasch auf und verschwanden augenblicklich hinter dem Vorhange. In den Baderäumen begann nun eine Zeit der Ausgelassenheit und des Übermutes, denen der Aufseher nicht steuerte, weil er selbst häufig an diesen Orgien teilnahm. Übrigens vermutete Petronius dies, aber als kluger Mann, der nicht gern strafte, fand er nichts arges dabei.

Eunike blieb allein im Unctorium zurück. Eine Zeitlang lauschte sie auf das aus der Richtung des Laconicums herübertönende Stimmengewirr und Gelächter, dann nahm sie den mit Bernstein und Elfenbein ausgelegten Stuhl, auf welchem Petronius vor kurzer Zeit gesessen hatte, und stellte ihn vorsichtig vor dessen Bildsäule.

Das Unctorium war von farbigem Sonnenlichte durchflutet, das sich auf den glitzernden Marmorplatten brach, mit denen die Wände bedeckt waren.

Eunike stieg auf den Stuhl und als sie sich in gleicher Höhe mit der Statue befand, legte sie ihr plötzlich die Arme um den Hals. Dann warf sie ihre goldenen Haare zurück, preßte ihren rosigen Leib an den weißen Marmor und drückte ihren Mund voller Inbrunst auf Petronius' kalte Lippen.

Zweites Kapitel.

Nach dem Mahle, das sich Frühstück nannte und zu dem die beiden Freunde sich zu einer Zeit niedersetzen, wo gewöhnliche Sterbliche ihr mittägliches Prandium schon längst eingenommen hatten, schlug Petronius vor, etwas zu ruhen, da es nach seiner Meinung zu früh war, um schicklicherweise Besuche machen zu können. Es gebe allerdings Leute, welche ihre Bekannten schon bei Sonnenaufgang zu besuchen pflegen, weil sie glauben, das gehöre zur alten römischen Sitte. Er aber, Petronius, halte dies für barbarisch. Die Nachmittagsstunden seien dazu am geeignetsten, wenn die Sonne auf ihrer Bahn bis über den Tempel des kapitolinischen Jupiter gelangt sei und in schräger Richtung auf das Forum niederschaue. Im Herbste sei es noch heiß, und die Menschen schlafen gern nach dem Essen. Dann sei es angenehm, dem Plätschern des Springbrunnens im Atrium zuzuhören und, nachdem man die vorgeschriebenen tausend Schritte gegangen sei, in dem roten Lichte einzuschlummern, das durch den halbzusammengezogenen purpurnen Bettvorhang dringe.

Vinicius erkannte das Zutreffende seiner Worte an, und sie begannen auf und nieder zu gehen, plauderten gemächlich über die Vorgänge auf dem Palatin und in der Stadt und fingen allmählich an, über das menschliche Leben zu philosophieren. Dann begab sich Petronius ins Cubiculum, schlief aber nicht lange. Nach Verlauf einer halben Stunde trat er wieder heraus, ließ sich Verbenenöl bringen und begann daran zu riechen und sich Hände und Schläfen damit zu reiben.

»Du glaubst gar nicht,« sagte er, »wie sehr dies belebt und erquickt. Jetzt bin ich bereit.«

Die Sänfte wartete ihrer schon längst; sie setzten sich hinein und ließen sich nach dem Vicus patricius, zu dem Hause des Aulus tragen. Die »Insula« des Petronius lag am Südabhange des Palatins in der Nähe der sogenannten Carinae; ihr kürzester Weg hätte daher unterhalb des Forums hingeführt, da aber Petronius zugleich bei dem Goldschmiede Idomeneus vorsprechen wollte, so gab er den Befehl, sie über den Vicus Apollinis und das Forum nach dem Vicus Sceleratus zu tragen, auf welchem Wege sie bei Läden aller Art vorüberkamen.

Riesige Neger hoben die Sänfte empor und setzten sich in Bewegung; ihnen folgten Sklaven, die man Pedisequi nannte. Eine Zeitlang hielt Petronius schweigend seine nach Verbenenöl duftenden Hände an die Nase und schien über etwas nachzudenken. Nach einer Weile sagte er: »Es fuhr mir eben durch den Kopf, daß, da deine Waldgöttin keine Sklavin ist, sie ja das Haus des Plautius verlassen und in das deinige übersiedeln kann. Du würdest sie mit Liebe umgeben und mit Reichtum überschütten, wie ich meine angebetete Chrysothemis, der ich – unter uns gesagt – ebenso im höchsten Grade überdrüssig bin, wie sie meiner.«

Marcus schüttelte den Kopf.

»Nicht?« fragte Petronius. »Im schlimmsten Falle dürfte die Sache vom Caesar abhängen, und du kannst versichert sein, daß der Rotbart dank meinem Einflusse auf deiner Seite stehen wird.«

»Du kennst Lygia nicht!« entgegnete Vinicius.

»Dann gestatte mir die Frage, ob du sie anders kennst, als von Gesicht. Hast du mit ihr gesprochen. Hast du ihr deine Liebe gestanden?«

»Ich sah sie zum erstenmal am Springbrunnen und habe sie später zweimal getroffen. Du mußt wissen, daß ich während meines Aufenthaltes in Aulus' Hause in einer Seitenvilla wohnte, die zur Aufnahme von Gästen bestimmt ist, und infolge meiner Handverstauchung nicht an den gemeinschaftlichen Mahlzeiten teilnehmen konnte. Erst am Abend des Tages, an welchem ich meine Abreise ankündigte, traf ich Lygia beim Essen, konnte aber kein Wort mit ihr sprechen. Ich mußte Aulus und seinen Erzählungen über die Siege, die er über die Britannier davongetragen hat, zuhören und dann seinen Darlegungen über den Untergang der kleinen Gutsbesitzer in Italien, den schon Licinius Stolo aufzuhalten versucht hat. Ich weiß überhaupt nicht, ob Aulus von etwas anderem sprechen kann; glaube auch ja nicht, daß wir davon loskommen, du müßtest denn wünschen, etwas über die Verweichlichung der heutigen Zeit zu hören. Es werden dort Fasanen auf dem Geflügelhof gehalten, aber nicht gegessen, da Aulus fest davon überzeugt ist, daß durch den Tod eines jeden Fasans der Untergang des römischen Reiches beschleunigt werde. Das zweite Mal traf ich Lygia an der Gartenzisterne; sie hielt einen frisch abgebrochenen Zweig in der Hand, tauchte dessen oberes Ende ins Wasser und besprengte damit die ringsherum stehenden Schwertlilien. Sieh dir meine Kniee an. Beim Schilde des Herakles, ich versichere dich, sie haben nicht gewankt, wenn die Parther wie Wetterwolken gegen unsere Manipeln anstürmten; an jener Zisterne haben sie aber gewankt. Und schüchtern wie ein Knabe, der noch das Amulett auf der Brust trägt, flehte ich nur mit den Augen um Erhörung, lange Zeit außer stande, ein Wort hervorzubringen.«

Petronius betrachtete ihn mit einer Art Neid.

»Du Glücklicher!« sprach er, »mögen Welt und Leben auch noch so erbärmlich sein, eins trifft man in ihnen an, das ewig schön sein wird – die Jugend.«

Nach einer Weile fragte er wieder: »Und du hast nicht mit ihr gesprochen?«

»Allerdings. Als ich mich etwas erholt hatte, erzählte ich ihr, daß ich auf der Rückkehr aus Asien begriffen sei, daß ich mir die Hand vor der Stadt verstaucht und Schmerzen gelitten habe, daß ich aber in dem Augenblicke, wo ich dieses gastliche Haus verlassen müsse, fühle, daß Schmerzen in ihm der Freude anderswo vorzuziehen seien, daß hier krank zu liegen besser sei, als anderswo gesund zu sein. Sie hörte meine Worte voller Verwirrung und gesenkten Hauptes an und zeichnete mit dem Zweige etwas in den safrangelben Sand. Dann schlug sie die Augen auf und richtete sie bald auf ihre Zeichnung, bald auf mich, als wollte sie noch etwas fragen und flüchtete dann wie eine Nymphe vor einem häßlichen Faun.«

»Sie muß schöne Augen haben.«

»Wie das Meer, und ich versank in ihnen wie im Meer. Glaube mir, der Archipelagos ist von einem matteren Blau. Bald darauf erschien der kleine Plautius und begann nach etwas zu fragen. Aber ich verstand nicht, was er wollte.«

»O Athene!« rief Petronius aus, »nimm diesem Jüngling die Binde von den Augen, die ihm Eros angelegt hat, denn sonst zerschmettert er am Ende noch seinen Kopf an den Säulen des Venustempels.«

Dann wandte er sich zu Vinicius und sagte: »O du Lenzknospe am Baume des Lebens, du erster grüner Sproß am Weinstock! Ich sollte dich anstatt in das Haus des Plautius nach dem Hause des Gelocius schaffen lassen, in dem sich eine Schule für des Lebens unkundige Knaben befindet.«

»Warum denn eigentlich?«

»Was zeichnete sie in den Sand? War es nicht der Name Amors oder ein von seinem Pfeile durchbohrtes Herz oder etwas ähnliches, aus dem du entnehmen konntest, daß die Satyrn deiner Nymphe schon manche Geheimnisse des Lebens ins Ohr geraunt haben? Wie war es möglich, daß du jene Zeichen nicht ansahst?«

»Ich trage die Toga schon länger, als du glaubst,« versetzte Vinicius, »und bevor der kleine Aulus zu mir kam, sah ich mir diese Zeichen genau an, denn ich weiß ja, daß liebende Jungfrauen in Griechenland und Rom häufig Geständnisse in den Sand schreiben, die ihre Lippen nie aussprechen würden. Rate einmal, was sie zeichnete.«

»Wenn es etwas anderes ist, als ich vermute, so will ich nicht erst raten.«

»Einen Fisch.«

»Wie sagst du?«

»Ich sage: einen Fisch. Was hatte das anderes zu bedeuten, als daß in ihren Adern ebenso kaltes Blut fließt? Ich weiß es nicht. Aber du, der du mich eine Lenzknospe am Baume des Lebens nanntest, wirst gewiß besser imstande sein, mir die Bedeutung dieses Zeichens zu erklären.«

»Mein Lieber, danach mußt du Plinius fragen. Er versteht sich auf Fische. Lebte der alte Apicius noch, so könnte er dir vielleicht auch etwas darüber sagen, da er in seinem Leben mehr Fische gegessen hat, als der Meerbusen von Neapel fassen kann.«

Das weitere Gespräch wurde abgebrochen, denn sie kamen in belebte Straßen, in denen der Lärm der Menschen es unmöglich machte. Über den Vicus Apollinis hinweg wandten sie sich nach dem Forum Romanum, wo an heiteren Tagen vor Sonnenuntergang Scharen von Müßiggängern zusammenströmten, um zwischen den Säulen auf und ab zu gehen, Neuigkeiten zu erzählen und sich erzählen zu lassen, Sänften mit bekannten Persönlichkeiten vorübertragen zu sehen und schließlich in die Gewölbe der Goldschmiede, in Buchhandlungen, in Läden, in denen Geld gewechselt wurde, in Seidenhandlungen, Bronzehandlungen und andere derartige Hallen hineinzugaffen, von denen sich viele in den Häusern befanden, die den dem Kapitol gegenüberliegenden Teil des Platzes umgaben. Die eine Hälfte des Forums, unterhalb des überhängenden Burgfelsens, lag bereits im Schatten; die höher gelegenen Tempelsäulen dagegen hoben sich noch hellschimmernd vom blauen Himmel ab. Die tiefgehenden warfen lange Schatten auf die Marmorplatten – überall stand eine solche Menge von Säulen, daß das Auge sich darin wie in einem Walde verirrte. Es hatte den Anschein, als seien Häuser und Säulen zusammengedrängt. Sie türmten sich übereinander, dehnten sich nach rechts und links aus, zogen sich die Berglehne hinauf, schmiegten sich an die Felswand oder aneinander an wie kleinere und größere, stärkere und schwächere, gelbe und weiße Stämme, die bald mit Architraven und Akanthosblüten geziert, bald mit ionischen Voluten bedeckt waren, bald in eine rechteckige skulpturengeschmückte Steinplatte ausliefen. Oberhalb jenes Säulenwaldes glänzten bemalte Triglyphen, aus den Tympana traten plastische Göttergestalten hervor, auf den Giebelspitzen schienen geflügelte vergoldete Quadrigen sich in die Höhe zu schwingen in den blauen Himmelsraum, der sich so friedlich über der ewigen Stadt wölbte. In der Mitte und an den Seiten des Platzes wogten die Menschen hin und her: scharenweise strömten sie unter die Arkaden der Basilika Julius Caesars, scharenweise saßen sie auf den Stufen der Standbilder des Castor und Pollux und drängten sich um den Vestatempel, von dessen aus riesigen Marmorplatten bestehenden Wänden sie sich gleich Schwärmen von buntfarbigen Schmetterlingen oder Käfern abhoben. Über die mächtigen Stufen zur Seite des dem Jupiter Optimus Maximus geweihten Tempels fluteten neue Menschenmassen herab; vor den Rostra lauschte man den Worten einiger Gelegenheitsredner; hier und da ertönte das Geschrei von Händlern, die Früchte, Wein oder mit Feigensaft vermischtes Wasser feilboten, von Scharlatanen, die wunderwirkende Arzneien anpriesen, von Wahrsagern, die verborgene Schätze verrieten, von Traumdeutern. Bisweilen mischten sich in den Lärm und das Stimmengetöse die Klänge einer Sistra, ägyptischen Sambuka oder griechischer Flöten. Hier und dort brachten fromme oder betrübte Beter Opfergaben zu den Tempeln. In der Mitte der Menschenmenge sammelten sich auf den Steinplatten, voller Begier nach dem verstreuten Opfergetreide, Scharen von Tauben gleich beweglichen hell- und dunkelfarbigen Punkten, schwangen sich hier flügelrauschend empor und ließen sich dort an einem leeren Platz mitten im Gedränge von neuem nieder. Von Zeit zu Zeit öffneten sich die Menschenmassen, um Sänften vorbeizulassen, in denen geputzte Frauenköpfe oder die Gesichter von Senatoren und Rittern mit müden und lebensüberdrüssigen Gesichtern sichtbar wurden. Die vielsprachige Menge rief laut ihre Namen unter Hinzufügung von Spitznamen aus, die entweder Spott oder Anerkennung ausdrückten. Hin und wieder marschierten Abteilungen von Söldnern oder Wachtsoldaten gemessenen Schrittes durch das Gedränge, um die Ordnung auf den Straßen aufrechtzuerhalten. Ringsherum war die griechische Sprache ebenso häufig zu hören, wie die lateinische.

Vinicius, der lange Zeit nicht in Rom gewesen war, betrachtete mit einer gewissen Neugier jene Volksmenge und jenes Forum Romanum, welches im Sturme die Welt erobert hatten, so daß Petronius, welcher die Gedanken seines Gefährten erriet, es ein Quiritennest – ohne Quiriten nannte. In der Tat war das heimische Element beinahe in Gefahr, unter dieser Menge zu verschwinden, die sich aus allen Rassen und Völkern zusammensetzte. Es waren dort Äthiopier zu erblicken, riesige, blonde Gestalten aus dem fernen Norden, Britannier, Gallier und Germanen, schiefäugige Bewohner Sericums, Leute vom Euphrat und Leute vom Indus mit rotgefärbten Bärten, Syrier von den Ufern des Orontes mit schwarzen, sanften Augen, bis auf die Knochen ausgedörrte Bewohner der arabischen Wüste, Inden mit eingefallener Brust, Ägyptier mit ihrem ewig gleichmütigen Lächeln im Gesicht, Numidier und Afrikaner, Griechen aus Hellas, welche ebenso angesehen in der Stadt waren wie die Römer selbst, aber in Wissenschaft, Kunst, Geist und List diesen überlegen waren, Griechen von den Inseln und aus Kleinasien, aus Ägypten, aus Italien, aus Gallia Narbonensis. Neben den massenhaften Sklaven mit durchbohrten Ohrläppchen fehlten aber weder die Freigelassenen, Müßiggänger, für deren Unterhaltung, Nahrung und selbst Kleidung der Caesar sorgte – noch auch freie Fremdlinge, welche die Aussicht auf Lebensgenuß und Reichtum nach der Riesenstadt gelockt hatte, ebensowenig fehlte es an bestechlichen Personen, an Serapispriestern mit Palmzweigen in den Händen, an Priestern der Isis, auf deren Altar mehr Opfergaben niedergelegt wurden als im Tempel des kapitolinischen Jupiter – an Priestern der Kybele mit goldenen Reisähren in den Händen, an Priestern wandernder Götter, an orientalischen Tänzern mit grellfarbigen Mitren, an Amulettenverkäufern, an Schlangenbändigern und chaldäischen Magiern, endlich an Leuten ohne jegliche Beschäftigung, welche sich jede Woche in den Speichern am Tiber Getreide holten, sich um Einlaßkarten zum Zirkus schlugen, die Nächte beständig in den verfallenen Häusern am Tiberufer zubrachten und an heiteren, warmen Tagen unter bedeckten Torbogen, in den schmutzigen Schenken der Subura, auf der Milvischen Brücke oder vor den »Insulae« der Reichen verweilten, wo ihnen von Zeit zu Zeit Reste von den Mahlzeiten der Sklaven zugeworfen wurden.

Petronius war der Volksmenge wohlbekannt. Fortwährend drang an Vinicius' Ohren der Ruf: »Hic est!« – »Da ist er!« Er war seiner Freigebigkeit wegen beliebt; namentlich aber war seine Popularität seit der Zeit gestiegen, wo er vor dem Caesar gegen ein Todesurteil gesprochen hatte, das über die ganze »Familia,« das heißt über sämtliche Sklaven des Präfekten Pedanius Secundus ohne Unterschied des Geschlechts und Alters verhängt worden war, weil einer von ihnen in einem Anfalle der Verzweiflung diesen Wüterich getötet hatte. Petronius erklärte zwar wiederholt laut, daß ihm dies alles gleichgültig gewesen sei und daß er mit dem Kaiser nur als Privatmann, als arbiter elegantiarum gesprochen habe, dessen ästhetisches Gefühl sich gegen dieses barbarische Abschlachten, das sich wohl für Skythen, aber nicht für Römer schicke, empöre. Nichtsdestoweniger war Petronius seit dieser Zeit beim Volke, das über dieses Blutbad entrüstet war, beliebt.

Aber er kümmerte sich nicht darum; er mußte daran denken, daß dieses Volk auch den Britannicus, welchen Nero vergiftete, geliebt hatte, ebenso Agrippina, die dieser hatte ermorden lassen, Octavia, die man zu Pandataria in heißem Dampfe erstickte, nachdem ihr vorher die Adern geöffnet worden waren – Rubelius Plautius, den Verbannung getroffen hatte, und Thrasea, dem jeden Tag das Todesurteil gesprochen werden konnte. Die Liebe des Volkes konnte daher eher als schlechtes Zeichen gelten, und der Skeptiker Petronius war zugleich abergläubisch. Die Menge betrachtete er aus einem doppelten Gesichtspunkte: als Aristokrat und als Ästhetiker. Leute, die nach gerösteten Bohnen rochen, welche sie auf der Brust mit sich herumtrugen und außerdem vom Moraspielen an den Straßenecken und Peristylen beständig heiser und schweißbedeckt waren, verdienten in seinen Augen nicht den Namen Menschen.

Er kümmerte sich daher weder um die Beifallsrufe, noch um die Kußhände, die ihm von hier und da zugeworfen wurden, und erzählte Marcus den Fall des Pedanius, wobei er über den Wankelmut des Straßenpöbels spottete, der am Tage nach der schrecklichen Metzelei Nero bei seiner Fahrt nach dem Tempel des Jupiter Stator jubelnd begrüßt hatte. Bei der Buchhandlung des Avirnus ließ er jedoch halten, stieg aus und kaufte ein schön geschriebenes Manuskript, welches er Vinicius überreichte.

»Dies ist ein Geschenk für dich,« sagte er.

»Ich danke dir,« entgegnete Vinicius. Dann sah er auf den Titel und fragte: »Satyrikon? Das ist etwas Neues. Von wem ist es?«

»Von mir. Ich sehne mich aber durchaus nicht nach demselben Schicksale wie Rufinus, dessen Geschichte ich dir erzählen wollte, oder wie Fabricius Vejento; deswegen weiß niemand etwas davon, und auch dich möchte ich bitten, nicht darüber zu sprechen.«

»Du erklärtest, keine Verse zu schreiben,« sagte Vinicius, indem er das Buch in der Mitte aufschlug, »doch sehe ich hier die Prosa stark mit ihnen gemischt.«

»Wenn du es liest, so beachte das Gastmahl des Trimalchio. Was die Verse betrifft, so sind sie mir zuwider, seit Nero ein Epos schreibt. Wenn Vitellius, mußt du wissen, sich erbrechen will, so gebraucht er Elfenbeinstäbchen, die er sich in den Schlund steckt, andere bedienen sich in Olivenöl oder eine Thymianabkochung getauchter Flamingofedern – ich jedoch lese Neros Gedichte – und der Erfolg tritt sofort ein. Ich kann sie nachher wieder loben, zwar nicht mit leichtem Gewissen, doch mit leichtem Magen.«

Nach diesen Worten ließ er die Sänfte bei dem Goldschmied Idomeneus von neuem anhalten, und gab, nachdem er die Angelegenheit mit den Gemmen geordnet hatte, den Befehl, die Sänfte direkt zum Hause des Aulus zu tragen.

»Unterwegs will ich dir zum Beweise, wie groß die Eitelkeit eines Schriftstellers sein kann, die Geschichte des Rufinus erzählen,« sagte er.

Ehe er aber beginnen konnte, bogen sie in den Vicus Patricius ein und hielten nach kurzer Zeit vor Aulus' Wohnung. Ein junger kräftiger Janitor öffnete ihnen die zum Ostium führende Tür, über der eine in einem Bauer eingesperrte Elster sie mit dem lauten Rufe: »Salve« begrüßte.

Auf dem Wege vom zweiten Zimmer, Ostium genannt, nach dem Atrium sagte Vinicius: »Hast du bemerkt, daß hier die Türhüter nicht mit Ketten gefesselt sind?«

»Ein sonderbares Haus,« antwortete Petronius leise. »Ohne Zweifel ist es dir bekannt, daß Pomponia Graecina in dem Verdachte steht, Anhängerin eines orientalischen Aberglaubens zu sein, der in der Verehrung eines gewissen Chrestos besteht. Es scheint, daß Crispinella dieses Gerede über sie aufgebracht hat, die es Pomponia nicht verzeihen kann, daß ihr ein Mann fürs ganze Leben genügt. Univira! Es ist heutzutage leichter, in Rom eine Schüssel norischer Pilze zu bekommen. Man hat Pomponia vor ein Familiengericht gestellt ...«

»Du hast recht, es ist ein sonderbares Haus. Später werde ich dir erzählen, was ich hier sah und hörte.«

Unterdessen waren sie bis ins Atrium gelangt. Der hier angestellte Sklave, Atriensis genannt, befahl dem Nomenclator, die Gäste anzumelden, und schob diesen Lehnstühle und Fußbänke hin. Petronius, der erwartet hatte, in diesem ernsten Hause beständigen Trübsinn anzutreffen, war noch nie hier gewesen und sah sich daher mit einer gewissen Überraschung und einem Gefühl der Enttäuschung um, denn das Atrium machte eher einen heiteren Eindruck. Eine Flut strahlenden Lichtes ergoß sich durch eine große Öffnung von oben und spiegelte sich tausendfach in einem Springbrunnen wider. Ein viereckiges Becken in der Mitte, das zur Aufnahme des bei schlechtem Wetter durch die Öffnung im Dach einfallenden Regens bestimmt war und Impluvium hieß, war von Anemonen und Lilien umgeben. Namentlich die Lilien schienen im Hause beliebt zu sein; denn es standen da ganze Beete voll weißer und roter Lilien, außerdem blaue Schwertlilien, deren zarte Blätter vom Wasserstaube wie versilbert waren. Mitten in dem nassen Moose, in welchem die Töpfe mit den Lilien verborgen waren, und dem Blättergewirr standen kleine Statuen aus Bronze, Kinder und Wasservögel darstellend. In der einen Ecke beugte eine ebenfalls in Bronze gegossene Hirschkuh ihren von der Feuchtigkeit grün angelaufenen Kopf zum Wasser nieder, als wolle sie trinken. Der Fußboden des Atriums bestand aus Mosaik; die Wände, teils mit rotem Marmor ausgelegt, teils mit Fischen, Vögeln und Greifen auf Holz bemalt, ergötzten die Augen durch ihr Farbenspiel. Die Türen der Nebenzimmer waren mit Verzierungen aus Schildpatt oder sogar aus Elfenbein geschmückt; an den Wänden zwischen den Türen standen die Statuen von Aulus' Ahnen. Im ganzen konnte man gediegenen Reichtum erkennen, der fern von Luxus, aber vornehm und selbstbewußt war.

Petronius, dessen Haus ungleich größer und prunkvoller war, konnte hier jedoch nichts aufdringliches entdecken, was seinen Geschmack beleidigt hätte – und wollte sich eben mit dieser Bemerkung an Vinicius wenden, als ein Sklave, der Velarius, den Vorhang, der das Atrium vom Tablinum trennte, auseinander schlug, und im Innern des Gemaches lud Aulus Plautius sie ein, näher zu treten.

Dieser war ein Mann, der sich dem Abende seines Lebens näherte, mit schneeweißem Haupte, aber kräftig, mit energischem Gesichte, das etwas klein war, aber auch etwas an den Kopf eines Adlers erinnerte. Jetzt malte sich in seinen Zügen etwas wie Verwunderung, ja Unruhe über die unvermutete Ankunft des Freundes, Genossen und Vertrauten Neros.

Petronius war zu sehr Weltmann und zu scharfsinnig, um dies nicht zu bemerken; er erklärte daher sofort nach der ersten Begrüßung mit der ganzen Beredsamkeit und Offenheit, die ihm zu Gebote stand, daß er komme, um für die Hilfe zu danken, welche der Sohn seiner Schwester in diesem Hause gefunden habe, und allein Dankbarkeit sei der Grund seines Besuches, zu dem ihn übrigens seine alte Bekanntschaft mit Plautius ermutigt habe.

Aulus versicherte ihn seinerseits, der Gast sei willkommen, und was die Dankbarkeit betreffe, so habe auch er diese Empfindung, wenn auch Petronius gewiß nicht die Veranlassung dazu errate.

Petronius erriet es in der Tat nicht. Vergebens richtete er seine braunen Augen nach oben und bemühte sich, sich den geringsten Dienst, den er Aulus oder sonst jemandem geleistet hatte, ins Gedächtnis zurückzurufen. Er erinnerte sich an keinen, es müßte denn der Gefalle sein, den er Vinicius zu tun im Begriffe stand. Doch so etwas konnte allerdings absichtslos geschehen sein, aber auch nur absichtslos.

»Ich liebe und achte Vespasianus sehr,« antwortete Aulus, »dem du das Leben gerettet hast, als es ihm einmal passierte, daß er unglücklicherweise beim Anhören der Verse des Kaisers einschlief.«

»Es war ein Glück für ihn, daß er sie nicht hörte,« entgegnete Petronius; »doch will ich nicht leugnen, es hätte unglücklich ablaufen können. Der Rotbart wollte durchaus einen Centurio mit der freundlichen Aufforderung zu ihm schicken, sich die Adern zu öffnen.«

»Doch du, Petronius, hast ihn ausgelacht.«

»So ist es, oder vielmehr im Gegenteil: ich sagte Nero, daß, wenn Orpheus es verstanden habe, durch seinen Gesang wilde Tiere einzuschläfern, er einen ebenso großen Triumph davongetragen habe, da es ihm gelungen sei, Vespasian zum Einschlafen zu bringen. Den Rotbart kann man unter dem Vorbehalt tadeln, daß man dem leichten Tadel eine größere Dosis Schmeichelei beimischt. Unsere gnädige Augusta Poppaea versteht dies ausgezeichnet.«

»Leider, so sind die Zeiten,« antwortete Aulus. »Mir fehlen zwei Vorderzähne, die mir ein Stein, von der Hand eines Briten geschleudert, eingeschlagen hat, und daher kommen meine Worte zischend heraus. Aber doch habe ich die schönste Zeit meines Lebens bei den Briten zugebracht.«

»Weil eine siegreiche Zeit war,« setzte Vinicius hinzu.

Aber Petronius, welcher fürchtete, der alte Feldherr könne anfangen von seinen früheren Kriegen zu erzählen, gab dem Gespräche eine andere Wendung. In der Nähe Praenestes hätten Landleute einen toten jungen Wolf mit zwei Köpfen gefunden, und bei einem Gewitter hätte jüngst der Blitz einen Flügel des Lunatempels zerstört – ein Vorfall, der namentlich im Spätherbste unerhört sei. Ein gewisser Cotta, der ihm dieses erzählt habe, habe zugleich hinzugefügt, daß die Priester dieses Tempels auf Grund dieses Ereignisses den Untergang der Stadt oder mindestens den Fall eines großen Hauses prophezeit hätten, der nur durch außerordentliche Opfer abgewendet werden könne.

Aulus drückte nach Anhörung dieser Erzählung seine Ansicht dahin aus, daß man solche Wunderzeichen nicht leicht nehmen dürfe und daß vielleicht die Götter über die furchtbare Zunahme der Lasterhaftigkeit erzürnt seien; dies sei auch gar nicht verwunderlich, und in einem solchen Falle seien Sühnopfer völlig am Platze.

»Dein Haus, Plautius, ist nicht groß,« entgegnete Petronius, »obgleich ein großer Mann darin wohnt; das meinige ist aber in Wahrheit viel zu groß für einen solchen Taugenichts von Eigentümer, obgleich es ebenso klein ist. Wenn es sich aber um den Untergang einer so bedeutenden Sache wie zum Beispiel des Palastes des Caesars, der domus transitoria, handelte, würde es sich für uns wohl lohnen, Opfer darzubringen, um deren Untergang abzuwehren?«

Plautius gab auf diese Frage keine Antwort, eine Vorsicht, die Petronius etwas verdroß, denn trotz seiner völligen Unfähigkeit, Gutes und Böses unterscheiden zu können, war er niemals ein Angeber gewesen, und man konnte mit ihm ohne alle Gefahr sprechen. Daher gab er dem Gespräch abermals eine andere Wendung und begann Plautius' Wohnung und den guten Geschmack, der in dem Hause herrsche, zu rühmen.

»Es ist ein alter Familiensitz,« antwortete Plautius, »auf dem ich nichts geändert habe, seitdem er mir als Erbteil zugefallen ist.«

Nachdem der Vorhang, der das Atrium vom Tablinum trennte, weggezogen worden war, konnte man das ganze Haus übersehen, so daß der Blick durch das Tablinum, das daran stoßende Peristyl und den jenseits von diesem liegenden Saal bis zum Garten schweifte, der sich von fern wie ein helles Bild, umgeben von einem dunklen Rahmen, ausnahm. Fröhliches Kindergelächter drang von dort bis ins Atrium herüber.

»Ach, Feldherr,« sagte Petronius, »gestatte uns, diesem heiteren Lachen, das anzustimmen heute so schwer ist, in der Nähe zu lauschen.«

»Gern,« erwiderte Plautius, indem er sich erhob. »Mein kleiner Aulus und Lygia spielen dort Ball. Was jedoch das Lachen betrifft, so meine ich, Petronius, daß es unserem ganzen Leben daran mangelt.«

»Das Leben ist des Lachens wert; also lache ich darüber,« versetzte Petronius; »aber hier klingt das Lachen ganz anders.«

»Petronius,« fügte Vinicius hinzu, »lacht übrigens oft tagelang nicht, dafür aber dann mitunter ganze Nächte hindurch.«

Bei diesen Worten durchschritten sie das Haus der Länge nach und gelangten in den Garten, wo Lygia und der kleine Aulus mit Bällen spielten, während eigens in diesem Spiele unterwiesene Sklaven, Sphaeristae genannt, diese von der Erde aufhoben und ihnen wieder in die Hand gaben. Petronius warf einen raschen, flüchtigen Blick auf Lygia, und der kleine Aulus sprang, als er Vinicius erblickte, herbei, um ihn zu begrüßen. Dieser schritt jedoch weiter und verneigte sein Haupt vor dem schönen Mädchen, welche mit einem Balle in der Hand errötend dastand, mit aufgelöstem Haar und bei nahe atemlos.

In dem von Efeu, Wein und Geißblatt beschatteten Gartentriclinium saß Pomponia Graecina, und die Gäste näherten sich ihr, um sie zu begrüßen. Obgleich Petronius in Plautius' Hause nicht verkehrte, kannte er sie doch, denn er hatte sie bei Antistia, der Tochter von Rubelius Plautus, und ferner in Senecas und Pollios Hause gesehen. Er konnte sich der Bewunderung nicht entschlagen, welche ihm ihr ernstes und dabei freundliches Gesicht, die Vornehmheit ihrer Haltung, ihrer Bewegungen, ihrer Sprache einflößten. Pomponia widersprach seiner Meinung über die Frauen in solchem Grade, daß dieser Mann, der bis ins Mark verderbt und selbstbewußt war wie niemand sonst in Rom, nicht nur für sie eine gewisse Hochachtung empfand, sondern auch ihr gegenüber etwas von seinem Selbstvertrauen einbüßte. Und als er ihr nun für ihre Sorge um Vinicius dankte, entschlüpfte ihm wie unwillkürlich der Ausdruck »domina,« den er sonst nie in den Mund nahm, wenn er zum Beispiel mit Calvia, Crispinella, mit Scribonia, mit Valeria, Solina und anderen Frauen der großen Welt sprach. Nachdem die Begrüßungen und Danksagungen vorüber waren, begann er sein Bedauern auszusprechen, daß er Pomponia so selten sehe und sie niemals im Zirkus oder im Amphitheater treffe, worauf sie ihm ruhig, ihre Hand in die ihres Gatten legend, antwortete: »Wir sind alt und lieben beide immer mehr die häusliche Ruhe.«

Petronius wollte widersprechen, aber Aulus Plautius fügte mit zischender Stimme hinzu: »Und wir fühlen uns immer fremder unter Menschen, die sogar unsere römischen Götter mit griechischen Namen benennen.«

»Die Götter sind schon längst zu bloßen rhetorischen Figuren geworden,« erwiderte Petronius gleichgültig; »seitdem aber griechische Rhetoren uns unterrichten, fällt es mir zum Beispiel selbst leichter, Hera an Stelle von Juno zu sagen.«

Bei diesen Worten richtete er seine Blicke auf Pomponia, wie um auszudrücken, daß er in ihrer Gegenwart an keine andere Gottheit denken könne, und machte dann seine Einwendung gegen das, was sie über ihr Alter gesagt hatte: »Gewiß, die Menschen altern rasch; aber es gibt auch solche, welche ein völlig anderes Leben genießen, und auch Gesichter, welche Saturn vergessen zu wollen scheint.« Petronius sagte dies mit einer gewissen Aufrichtigkeit, weil Pomponia Graecina, obgleich sie über den Mittag des Lebens hinaus war, sich eine ungewöhnliche Frische der Gesichtsfarbe bewahrt hatte und, da ihr Kopf klein und ihre Züge feingeschnitten waren, trotz ihrer schwarzen Kleidung und trotz ihres ernsten Wesens daher mitunter den Eindruck einer bedeutend jüngeren Frau machte.