Reigen - Arthur Schnitzler - E-Book

Reigen E-Book

Arthur Schnitzler

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Beschreibung

In zehn Szenen streben zehn Paare der nach kurzem Dialog der sexuellen Vereinigung zu. Jeweils einer der Partner wird von Szene zu Szene ausgetauscht. Im »Reigen« steuert der Trieb das Geschehen. Arthur Schnitzler kritisiert im »Reigen« eine Gesellschaft, die Sexualität offiziell an die Ehe bindet, dieses Prinzip in der Praxis aber durch eine allgegenwärtige Doppelmoral unterläuft. Dass der »Reigen« im Österreich der Kaiserzeit viel Sprengstoff bergen würde, war Arthur Schnitzler von Anbeginn klar. Er ließ den »Reigen« im Jahr 1900 zunächst als Privatdruck in kleiner Auflage erscheinen. Erst 1903 wagte er die Veröffentlichung des »Reigens« bei einem Verlag. Die ersten Theaterinszenierungen wurden von krawallartigen Protesten gegen das angeblich unmoralische Werk begleitet.

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Reigen

TitelseitePersonen:Die Dirne und der SoldatDer Soldat und das StubenmädchenDas Stubenmädchen und der junge HerrDer junge Herr und die junge FrauDie junge Frau und der EhemannDer Gatte und das süße MädelDas süße Mädel und der DichterDer Dichter und die SchauspielerinDie Schauspielerin und der GrafDer Graf und die DirneImpressum

Arthur Schnitzler

Reigen

Zehn Dialoge

Personen:

Die DirneDer SoldatDas StubenmädchenDer junge HerrDie junge FrauDer EhegatteDas süße MädelDer DichterDie SchauspielerinDer Graf

Die Dirne und der Soldat

Spät abends. An der Augartenbrücke.

Soldatkommt pfeifend, will nach Hause.

DirneKomm, mein schöner Engel.

Soldatwendet sich um und geht wieder weiter.

DirneWillst du nicht mit mir kommen?

SoldatAh,ichbin der schöne Engel?

DirneFreilich, wer denn? Geh, komm zu mir. Ich wohn' gleich in der Näh'.

SoldatIch hab' keine Zeit. Ich muß in die Kasern'!

DirneIn die Kasern' kommst immer noch zurecht. Bei mir is besser.

Soldatihr naheDas ist schon möglich.

DirnePst. Jeden Moment kann ein Wachmann kommen.

SoldatLächerlich! Wachmann! Ich hab' auch mein Seiteng'wehr!

DirneGeh, komm mit.

SoldatLaß mich in Ruh'. Geld hab' ich eh keins.

DirneIch brauch' kein Geld.

Soldatbleibt stehen. Sie sind bei einer LaterneDu brauchst kein Geld? Wer bist denn du nachher?

DirneZahlen tun mir die Zivilisten. So einer wie du kann's immer umsonst bei mir haben.

SoldatDu bist am End' die, von der mir der Huber erzählt hat. –

DirneIch kenn' kein' Huber nicht.

SoldatDu wirst schon die sein. Weißt – in dem Kaffeehaus in der Schiffgassen – von dort ist er mit dir z' Haus 'gangen.

DirneVon dem Kaffeehaus bin ich schon mit gar vielen z' Haus 'gangen... oh! oh! –

SoldatAlso gehn wir, gehn wir.

DirneWas, jetzt hast's eilig?

SoldatNa, worauf soll'n wir noch warten? Und um zehn muß ich in der Kasern' sein.

DirneWie lang dienst denn schon?

SoldatWas geht denn das dich an? Wohnst weit?

DirneZehn Minuten zum gehn.

SoldatDas ist mir zu weit. Gib mir ein Pussel.

Dirneküßt ihnDas ist mir eh das liebste, wenn ich einen gern hab'!

SoldatMir nicht. Nein, ich geh' nicht mit dir, es ist mir zu weit.

DirneWeißt was, komm morgen am Nachmittag.

SoldatGut is. Gib mir deine Adresse.

DirneAber du kommst am End' nicht.

SoldatWenn ich dir's sag'!

DirneDu, weißt was – wenn's dir zu weit ist heut abend zu mir – da... da...Weist auf die Donau.

SoldatWas ist das?

DirneDa ist auch schön ruhig... Jetzt kommt kein Mensch.

SoldatAh, das ist nicht das Rechte.

DirneBei mir is immer das Rechte. Geh, bleib jetzt bei mir. Wer weiß, ob wir morgen noch 's Leben haben.

SoldatSo komm – aber g'schwind!

DirneGib Obacht, da ist so dunkel. Wennst ausrutschst, liegst in der Donau.

SoldatWär' eh das beste.

DirnePst, so wart nur ein bissel. Gleich kommen wir zu einer Bank.

SoldatKennst dich da gut aus.

DirneSo einen wie dich möcht' ich zum Geliebten.

SoldatIch tät' dir zu viel eifern.

DirneDas möcht' ich dir schon abgewöhnen.

SoldatHa –

DirneNicht so laut. Manchmal is doch, daß sich ein Wachter her verirrt. Sollt man glauben, daß wir da mitten in der Wienerstadt sind?

SoldatDaher komm, daher.

DirneAber was fällt dir denn ein, wenn wir da ausrutschen, liegen wir im Wasser unten.

Soldathat sie gepacktAh, du –

DirneHalt dich nur fest an.

SoldatHab kein' Angst...

DirneAuf der Bank wär's schon besser gewesen.

SoldatDa oder da... Na, krall aufi.

DirneWas laufst denn so –

SoldatIch muß in die Kasern', ich komm' eh schon zu spät.

DirneGeh, du, wie heißt denn?

SoldatWas interessiert dich denn das, wie ich heiß'?

DirneIch heiß' Leocadia.

SoldatHa! – So an' Namen hab' ich auch noch nie gehört.

DirneDu!

SoldatNa, was willst denn?

DirneGeh, ein Sechserl für'n Hausmeister gib mir wenigstens! –

SoldatHa!... Glaubst, ich bin deine Wurzen... Servus! Leocadia...

DirneStrizzi! Fallott! –

Er ist verschwunden.

Der Soldat und das Stubenmädchen

Prater. Sonntagabend.

Ein Weg, der vom Wurstelprater aus in die dunkeln Alleen führt. Hier hört man noch die wirre Musik aus dem Wurstelprater; auch die Klänge vom Fünfkreuzertanz, eine ordinäre Polka, von Bläsern gespielt.

Der Soldat. Das Stubenmädchen.

StubenmädchenJetzt sagen S' mir aber, warum S' durchaus schon haben fortgehen müssen.

Soldatlacht verlegen, dumm.

StubenmädchenEs ist doch so schön gewesen. Ich tanz' so gern.

Soldatfaßt sie um die Taille.

Stubenmädchenläßt's geschehenJetzt tanzen wir ja nimmer. Warum halten S' mich so fest?

SoldatWie heißen S'? Kathi?

StubenmädchenIhnen ist immer eine Kathi im Kopf.

SoldatIch weiß, ich weiß schon... Marie.

StubenmädchenSie, da ist aber dunkel. Ich krieg' so eine Angst.

SoldatWenn ich bei Ihnen bin, brauchen S' Ihnen nicht zu fürchten. Gott sei Dank, mir sein mir!

StubenmädchenAber wohin kommen wir denn da? Da ist ja kein Mensch mehr. Kommen S', gehn wir zurück! – Und so dunkel!

Soldatzieht an seiner Virginierzigarre, daß das rote Ende leuchtet's wird schon lichter! Haha! Oh, du Schatzerl!

StubenmädchenAh, was machen S' denn? Wenn ich das gewußt hätt'!

SoldatAlso der Teufel soll mich holen, wenn eine heut beim Swoboda mollerter gewesen ist als Sie, Fräul'n Marie.

StubenmädchenHaben S' denn bei allen so probiert?

SoldatWas man so merkt, beim Tanzen. Da merkt man gar viel! Ha!

StubenmädchenAber mit der blonden mit dem schiefen Gesicht haben S' doch mehr 'tanzt als mit mir.

SoldatDas ist eine alte Bekannte von einem meinigen Freund.

StubenmädchenVon dem Korporal mit dem aufdrehten Schnurrbart?

SoldatAh nein, das ist der Zivilist gewesen, wissen S', der im Anfang am Tisch mit mir g'sessen ist, der so heis'rig red't.

StubenmädchenAh, ich weiß schon. Das ist ein kecker Mensch.

SoldatHat er Ihnen was 'tan? Dem möcht' ich's zeigen! Was hat er Ihnen 'tan?

StubenmädchenO nichts – ich hab nur gesehn, wie er mit die andern ist.

SoldatSagen S', Fräulein Marie...

StubenmädchenSie werden mich verbrennen mit Ihrer Zigarrn.

SoldatPahdon! – Fräul'n Marie. Sagen wir uns Du.

StubenmädchenWir sein noch nicht so gute Bekannte. –

SoldatEs können sich gar viele nicht leiden und sagen doch Du zueinander.

Stubenmädchen's nächstemal, wenn wir... Aber, Herr Franz –

SoldatSie haben sich meinen Namen g'merkt?

StubenmädchenAber, Herr Franz...

SoldatSagen S' Franz, Fräulein Marie.

StubenmädchenSo sein S' nicht so keck – aber pst, wenn wer kommen tät!

SoldatUnd wenn schon einer kommen tät, man sieht ja nicht zwei Schritt weit.

StubenmädchenAber um Gottes willen, wohin kommen wir denn da?

SoldatSehn S', da sind zwei grad wie mir.

StubenmädchenWo denn? Ich seh' gar nichts.

SoldatDa... vor uns.

StubenmädchenWarum sagen S' denn: zwei wie mir? –

SoldatNa, ich mein' halt, die haben sich auch gern.

StubenmädchenAber geben S' doch acht, was ist denn da, jetzt wär' ich beinah g'fallen.

SoldatAh, das ist das Gatter von der Wiesen.

StubenmädchenStoßen S' doch nicht so, ich fall' ja um.

SoldatPst, nicht so laut.

StubenmädchenSie, jetzt schrei' ich aber wirklich. – Aber was machen S' denn... aber –

SoldatDa ist jetzt weit und breit keine Seel'.

StubenmädchenSo gehn wir zurück, wo Leut' sein.

SoldatWir brauchen keine Leut', was, Marie, wir brauchen... dazu... haha.

StubenmädchenAber, Herr Franz, bitt' Sie, um Gottes willen, schaun S', wenn ich das... gewußt... oh... oh... komm!

SoldatseligHerrgott noch einmal... ah...

StubenmädchenIch kann dein G'sicht gar nicht sehn.

SoldatA was – G'sicht

SoldatJa, Sie, Fräul'n Marie, da im Gras können S' nicht liegen bleiben.

StubenmädchenGeh, Franz, hilf mir.

SoldatNa, komm zugi.

StubenmädchenO Gott, Franz.

SoldatNaja, was ist denn mit dem Franz?

StubenmädchenDu bist ein schlechter Mensch, Franz.

SoldatJa, ja. Geh, wart ein bissel.

StubenmädchenWas laßt mich denn aus?

SoldatNa, die Virginier werd' ich mir doch anzünden dürfen.

StubenmädchenEs ist so dunkel.

SoldatMorgen früh ist schon wieder licht.

StubenmädchenSag wenigstens, hast mich gern?

SoldatNa, das mußt doch g'spürt haben, Fräul'n Marie, ha!

StubenmädchenWohin gehn wir denn?

SoldatNa, zurück.

StubenmädchenGeh, bitt' dich, nicht so schnell!

SoldatNa, was ist denn? Ich geh' nicht gern in der finstern.

StubenmädchenSag, Franz, hast mich gern?

SoldatAber grad hab' ich's g'sagt, daß ich dich gern hab'!

StubenmädchenGeh, willst mir nicht ein Pussel geben?

SoldatgnädigDa... Hörst – jetzt kann man schon wieder die Musik hören.

StubenmädchenDu möcht'st am End' gar wieder tanzen gehn?

SoldatNa freilich, was denn?

StubenmädchenJa, Franz, schau, ich muß zu Haus gehn. Sie werden eh schon schimpfen, mei' Frau ist so eine... die möcht' am liebsten, man ging' gar nicht fort.

SoldatNaja, geh halt zu Haus.

StubenmädchenIch hab' halt 'dacht, Herr Franz, Sie werden mich z' Haus führen.

SoldatZ' Haus führen? Ah!

StubenmädchenGehn S', es ist so traurig, allein z' Haus gehn.

SoldatWo wohnen S' denn?

StubenmädchenEs ist gar nicht so weit – in der Porzellangasse.

SoldatSo? Ja, da haben wir ja einen Weg... aber jetzt ist's mir zu früh... jetzt wird noch 'draht, heut hab' ich über Zeit... Vor zwölf brauch' ich nicht in der Kasern' zu sein. I' geh' noch tanzen.

StubenmädchenFreilich, ich weiß schon, jetzt kommt die Blonde mit dem schiefen Gesicht dran!

SoldatHa! – Der ihr G'sicht ist gar nicht so schief.

StubenmädchenO Gott, sein die Männer schlecht. Was, Sie machen's sicher mit einer jeden so.

SoldatDas wär' z'viel! –

StubenmädchenFranz, bitt' schön, heut nimmer, – heut bleiben S' mit mir, schaun S' –

SoldatJa, ja, ist schon gut. Aber tanzen werd' ich doch noch dürfen.

StubenmädchenIch tanz' heut mit kein' mehr!

SoldatDa ist er ja schon...

StubenmädchenWer denn?

SoldatDer Swoboda! Wie schnell wir wieder da sein. Noch immer spielen s' das... tadarada tadaradaSingt mit... Also wannst auf mich warten willst, so führ' ich dich z' Haus... wenn nicht... Servas –

StubenmädchenJa, ich werd' warten.

Sie treten in den Tanzsaal ein.

SoldatWissen S', Fräul'n Marie, ein Glas Bier lassen's Ihnen geben.Zu einer Blonden sich wendend, die eben mit einem Burschen vorbeitanzt, sehr hochdeutschMein Fräulein, darf ich bitten? –

Das Stubenmädchen und der junge Herr

Heißer Sommernachmittag. – Die Eltern sind schon auf dem Lande. – Die Köchin hat Ausgang. – Das Stubenmädchen schreibt in der Küche einen Brief an den Soldaten, der ihr Geliebter ist. Es klingelt aus dem Zimmer des jungen Herrn. Sie steht auf und geht ins Zimmer des jungen Herrn.

Der junge Herr liegt auf dem Diwan, raucht und liest einen französischen Roman.

Das StubenmädchenBitt' schön, junger Herr?

Der junge HerrAh ja, Marie, ah ja, ich hab' geläutet, ja... was hab' ich nur... ja richtig, die Rouletten lassen S' herunter, Marie... Es ist kühler, wenn die Rouletten unten sind... ja...

Das Stubenmädchen geht zum Fenster und läßt die Rouletten herunter.

Der junge Herrliest weiterWas machen S' denn, Marie? Ah ja. Jetzt sieht man aber gar nichts zum Lesen.

Das StubenmädchenDer junge Herr ist halt immer so fleißig.

Der junge Herrüberhört das vornehmSo, ist gut.

Marie geht.

Der junge Herrversucht weiter zu lesen; läßt bald das Buch fallen, klingelt wieder.

Das Stubenmädchenerscheint.

Der junge HerrSie, Marie... ja, was ich habe sagen wollen... ja... ist vielleicht ein Cognac zu Haus?

Das Stubenmädchen