Reise nach Norby - Anne M. Weilandt - E-Book

Reise nach Norby E-Book

Anne M. Weilandt

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Beschreibung

Im Sommer 1924 kommen die ersten Feriengäste ins beschauliche Norby an der Westküste Jütlands, ihre Träume im Gepäck. Die schüchterne, streng behütete Sofie Hansen hat Heiratspläne, die ihrer Mutter nicht gefallen, und der junge Werbekünstler Axel Söderblom träumt davon, Bilder zu malen statt Plakate. Aber auch die Norbyer haben ihre Träume: James Jul, Tierarzt und Naturfreund, will Norbys stille, weite Landschaft bewahren - und endlich seine Jugendfreundin Kathrine Pedersen heiraten. Doch Kathrine will einen Mann, den sie lieben kann, und kümmert sich lieber um ihre Georginenzucht als um James. Sie weiß, die Liebe ist ein Geschenk. Sie kommt zu dem, der warten kann. Und sie macht Träume wahr ... Während nach einer verzauberten Sommerwoche in Norby nichts mehr ist, wie es vorher war, muss in Kopenhagen auch Søren, Sofies Verlobter, lernen, dass man der Liebe nicht befehlen kann.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Kapitel XXVI

Kapitel XXVII

Kapitel XXVIII

Kapitel XXIX

Die Figuren

Glossar

Nachwort

I

Juni 1924, Kopenhagen, Østerbro, Krausesvej

»Ich muss bald gehen«, sagte Sofie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. »Ach, Søren, wenn ich nur mutiger wäre … Aber Mutter … Ich kann einfach nicht. Es tut mir leid.« »Quäl dich nicht«, erwiderte Søren sanft, »es sind ja nur zwei Monate, und wenn du im September aus Jütland zurück bist, heiraten wir.« »Ja«, entgegnete Sofie und ein kleines Lächeln kam um ihre Mundwinkel. »Bis dahin wird Mutter bestimmt einverstanden sein, du wirst sehen.« Sie sah ihn bittend an. Søren zog sie an sich. »Wirst du mir schreiben?« »Aber ja«, erwiderte Sofie. »Und du mir?« Er nickte lächelnd. »Ich liebe dich«, sagte er leise. »Vergiss das nicht. Vergiss mich nicht …« Sofie schüttelte den Kopf. Eine Träne lief über ihre Wange. »Wie könnte ich denn …?«

Helle strich sich die kurzen blonden Haare aus dem Gesicht und wandte ihren Blick ab. Sie konnte es nicht mit ansehen, dass die beiden sich so viel unnötigen Kummer bereiteten. Jetzt weinte Sofie wieder. Was für ein Schaf ihre beste Freundin doch war! Wie oft hatten sie hier zu dritt im Wintergarten gesessen und überlegt, was nun werden sollte, seit Sofie Søren die Ehe versprochen hatte und ihre Mutter es nicht haben wollte. Als ob es da viel zu bedenken gäbe! Sofie war doch großjährig und konnte leben, wie es ihr gefiel. Helle hatte es ihrer Freundin oft genug vorgehalten, aber Sofies Antwort war immer die gleiche gewesen: Es wäre nicht recht, ihre Mutter so zu kränken. Sie hatte doch immer alles für sie getan und musste als Witwe ganz allein dem Geschäft vorstehen, nur mit Advokat Brandts Hilfe. Und nun fuhr sie lieber mit ihrer Mutter zur Sommerfrische an die Westküste, in der vagen Hoffnung, sie doch noch für Søren einzunehmen – statt ihn einfach zu heiraten und mit ihm in seine Stubenwohnung in der Ahornsgade zu ziehen. Und Søren, weichherzig, wie er war, ließ sie gehen, weil er es nicht ertragen hätte, wenn Sofie sich über ihn mit ihrer Mutter entzweite. Die Dummen … Helle beschloss, Søren nachher zu einem kleinen Bummel zu überreden. Er war ja mehr von der soliden Art, aber heute Abend wäre es bestimmt eine Art Heilkur. Sie erhob sich, um den Vogelbauer vom Korbtisch aufzunehmen. Sofies Kanarienvogel sollte bei ihr bleiben, bis die Hansens aus Jütland zurück waren. »Ich bringe Mads nach oben«, sagte sie. Sofie hob den Kopf von Sørens Schulter. »Grüß ihn jeden Tag von mir«, bat sie leise. Helle nickte, drückte zum Abschied ihren Arm und ging hinaus.

***

Malvine Krogh Hansen stand im Vestibül neben den Taschen und Körben ihres Handgepäcks und blickte ungeduldig auf die Haustür der Villa Møller gegenüber. Wo blieb Sofie? Die Droschke würde in zehn Minuten vorfahren, sie hatten einen Zug und zwei Fähren zu erreichen! Musste sie etwa Nielsine nach ihr ausschicken und so den vielen kleinen Peinlichkeiten in dieser unnützen Posse eine weitere hinzufügen? Wenn Sofie nur einsehen wollte, dass Søren Lauridsen zu ihrem Ehemann nicht taugte! Als Erbin des Handelshauses Krogh Hansen war sie dazu erzogen worden, einem großen Haushalt vorzustehen und zu repräsentieren. Sie brauchte einen Ehemann, der die Geschäfte führte, damit sie weiter so angenehm leben konnte wie bisher; einen Kaufmann eben – und keinen Mathematiklehrer. Da half es auch nicht, dass der Kandidat freundlich und gebildet war und aus einer Lotsenfamilie von Dragør kam. Malvine schüttelte den Kopf. Nicht auszudenken, dass Sofie in einer Stubenwohnung in Nørrebro kochen, putzen oder Kinder hüten würde und dabei mit dem Lehrergehalt des Hr. Lauridsen zurechtkommen müsste, während ihr alle gewohnten Annehmlichkeiten versagt wären! Und was sollte aus der Firma Krogh Hansen werden? Nein, Sofie musste verstehen, dass alle besser dran waren, wenn sie Hr. Lauridsen absagte. Ihr Liebeskummer würde schon vergehen, wenn die beiden einander nicht mehr jeden Tag sahen … Sie blickte zur Standuhr hin, die Droschke würde jeden Moment vorfahren, nun musste sie wohl doch Nielsine schicken. Ah, jetzt kam Sofie auf den Zuweg heraus, die Jacke ihres taubenblauen Reisekostüms über dem Arm. Aber wie sah sie denn aus! Die kupferfarbenen Locken zerzaust, das Gesicht blass, die hübschen blauen Augen ganz verweint. Malvine seufzte. So unordentlich konnte ihre Tochter sich unmöglich zeigen. Sie rief nach Nielsine und hieß sie, ein feuchtes Tuch, eine Bürste und Sofies Hut zu bringen. Sofie betrat das Vestibül und sagte gefasst, sehr nüchtern: »Fru Møller lässt grüßen, Mutter, sie wünscht eine gute Reise.« »Kind …«, erwiderte Malvine, nun doch mitleidig. Nielsine trat zu ihnen heran, reichte Sofie Bürste und Tuch und gab Malvine Sofies Hut zum Halten. Dann fuhr die Droschke vor. Nielsine ging hinaus und winkte dem Chauffeur, ihr mit dem Gepäck zu helfen. Die lange Reise nach Jütland hatte begonnen.

II

Einen Monat später, Norby, Ribe Amt, Jütland

Kathrine Pedersen war damit beschäftigt, den Sand um ihre Georginen wegzurechen und schwer hängende Blütenköpfe abzustützen. Zum Glück hatten die Pflanzen Regen und Gewitter bis jetzt im Großen und Ganzen unbeschadet überstanden. Sie hatte ja nicht gewusst, dass die Blüten auf den zarten Stängeln zum Hängen und Abknicken neigten. Auch hatte sie auf zahlreichere Bestellungen gehofft, nachdem sie den größten Teil ihrer geringen Erbschaft für den Ankauf der Knollen und die Aufgabe der Annoncen ausgegeben hatte. Sicher würde eine bunt bebilderte Beilage in den Zeitungen mehr Bestellungen bringen, nur war so etwas natürlich unbezahlbar. Ach, alles war schwierig, seit ihr Vater kurz nach Ostern überraschend gestorben war und die Familie fast mittellos zurückgelassen hatte. Nicht einmal ihre Mutter hatte gewusst, dass es so schlecht um ihre Rücklagen stand. Immerhin taugte das Haus für die Zimmervermietung, auch wenn ihre Mutter sich schwer damit abfinden konnte. Es blieb ihnen ja nichts anderes übrig, irgendwie mussten sie doch ein Einkommen erwirtschaften, wenn schon keiner die Georginenknollen haben wollte … So hatte Kathrine in den großen Zeitungen des Landes Anzeigen aufgegeben, in denen sie Zimmer mit Frühstück und warmem Mittagessen am Sonntag anbot. Bald darauf hatten sie Post von Malvine Hansen bekommen, die bis Ende August reserviert und auch gleich bezahlt hatte. Sie wollten einmal etwas anderes als die Sommerfrische auf Amager, hatte Fru Hansen erklärt, als sie und ihre Tochter Ende Juni angereist waren und das große Schlafzimmer der Eltern bezogen hatten. Ihre Mutter duldete die Gäste an ihrem Tisch nur widerwillig. Wenn Fru Hansen gelegentlich über die Stille und den allgegenwärtigen Sand in Norby klagte, neigte ihre Mutter zwar höflich den Kopf, erwiderte aber stets schmallippig, dass die Westküste eben ihr Eigenes habe. Die hübsche, sanfte, auch alltags immer gut angezogene Sofie dagegen saß meistens ruhig und in sich gekehrt neben Fru Hansen. Bei einer Tasse Kaffee im Garten hatte sie Kathrine anvertraut, dass ihre Sommerfrische nur ein Vorwand war. Die Hansens waren in Norby, damit Sofie sich wegen ihres Eheversprechens gegenüber ihrem ehemaligen Mathematiklehrer eines Besseren besann und ihm absagte. Nur konnte und wollte sie das nicht. Wieso sie denn nicht einfach nach Kopenhagen zurückfuhr und ihn heiratete, hatte Kathrine bei sich gedacht. Aber Sofie war Frau Hansen sehr ergeben und ähnlich wie sie darauf bedacht, ihre Mutter nicht zu kränken. Kathrine lächelte ein wenig, während sie sich zur nächsten Pflanzenreihe vorarbeitete. Am Ende waren sie beide in einer ähnlichen Lage: Sofie sollte dazu gebracht werden, dem Kandidat Lauridsen abzusagen, während ganz Norby darauf wartete, dass sie endlich James Jul heiratete, ihren Freund und Kameraden seit Kindertagen. Er war letztes Jahr in die Praxis seines Vaters eingetreten und als Tierarzt auch über Norby hinaus sehr gefragt. Mit James wäre sie gut versorgt, zweifellos, seine Mutter hätte eine tüchtige Schwiegertochter auf Julsgård und ihre Mutter könnte endlich zu ihrem Bruder Mogens nach Aalborg ziehen. Kathrine seufzte. Geradezu vorsintflutlich war das alles, wenn man bedachte, dass Frauen heutzutage doch gar nicht mehr heiraten mussten. Nein, James konnte sie noch so sehr bedrängen und behaupten, sie zu lieben – sie liebte ihn keineswegs und wünschte sich sehr, dass er endlich Vernunft annehmen würde und sie einfach wieder Freunde sein konnten. Nur war er eben ein Jul, und die waren stur. Oh, wenn James sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte! Dabei bemüht er sich kein bisschen um mich, dachte sie belustigt, während sie eine Blüte an einem Kiefernzweig festband, auch das ist James. Nicht einmal zu einem Spaziergang ließ er sich überreden. Stattdessen drängte er immerzu darauf, dass sie endlich heiraten sollten, kennen würden sie sich nach sechzehn Jahren Freundschaft wohl genug … Wenn er sie wenigstens mal nach Nybøl ins Hotel Danmark ausführen würde, zu einem der berüchtigten Tanzvergnügen, zu denen sie ja allein nicht gehen konnte. Aber da weigerte er sich strikt. Sie solle aufhören, ihn zu plagen, hatte er gereizt verlangt, seine Schwester liege ihm schon genug damit in den Ohren. Frauen wie Tilda und sie gingen nun mal nicht ins Hotel Danmark und Schluss! Starrköpfiger, altväterlicher James … Seit Neuestem verlegte er sich darauf, ihrer Mutter in Nybøl Kleinigkeiten zu besorgen, Wolle etwa oder ein Stückchen Kranzkuchen aus Andersens Bäckerei am Marktplatz, um sich dafür sehr gern zu einer Tasse Kaffee in die Stube bitten zu lassen. Dort hockte er dann stundenlang auf dem Sofa und fiel ihr mit Mutters Hilfe lästig. Kathrine seufzte. Ihre Mutter wollte sie eben versorgt sehen und fragte nicht danach, ob eine Heirat mit James sie auch glücklich machen würde. Seit Vaters Tod schien sie manchmal seltsam abwesend und war in ihrem Kummer bitter und streng geworden. Ganz in sich verschlossen strickte sie Strümpfe für den Kirchenbasar, als wenn nichts wäre, und erlegte sogar die Kosten für die Wolle weiter von ihrem schmalen Haushaltsgeld, damit nur keiner merkte, wie schlecht es bei ihnen stand. Sie war auf Vaters guten Ruf bedacht – Henning Pedersen, der geachtete Dichterphilosoph. Wenn da herauskäme, dass sie fast unversorgt zurückgeblieben waren … Immerhin hatte Mutter dafür gesorgt, dass Christian in Kopenhagen Philosophie studieren konnte, mit Unterstützung von Onkel Mogens. Er hätte sich lieber in Esbjerg Arbeit gesucht, um der Familie zu helfen, und wollte das Geld seines Patenonkels nicht annehmen, doch Mutter beharrte darauf. Das Unglück, das sie getroffen hatte, sollte Christians Aussicht auf eine akademische Karriere nicht behindern. Gleichzeitig hatte sie darauf bestanden, dass Kathrine im Haus blieb, obwohl es in Nybøl bestimmt Arbeit für sie gegeben hätte. Aber die Tochter Henning Pedersens verdingte sich nicht als Ladenfräulein oder Haushaltshilfe … Kathrine richtete sich auf und sah zur Landstraße hin. Eigentlich musste James jeden Augenblick von Nybøl kommen, mit Mutters Wolle. Die würde sie ihm gleich hier am Zaun abnehmen. Er kam ja vom Viehmarkt, da war er immer müde und gereizt und erst recht eine Plage. Außerdem hatte er sicher mit den Bauern und Käufern das eine oder andere Glas getrunken. Und saß nicht auch Jörn Jepsen gerade bei Mutter? Sie hatte ihn jedenfalls noch nicht herauskommen sehen.

***

Jörn Jepsen, Postbote und nebenher der Überbringer von Nachrichten und Neuigkeiten in Norby, saß gemütlich auf Gesine Pedersens Sofa, trank Kaffee und aß dazu mit Behagen von ihren köstlichen kleinen Zuckerkringeln. Auch wenn sie derzeit wegen ihres Kummers ein wenig streng und unnahbar daherkam, eine gute Bäckerin war Gesine geblieben und ihr Kleingebäck eines der besten in Norby. Das konnte er sicher sagen, er bekam ja überall genug davon vorgesetzt. »Na?«, fragte er jetzt, auf die Postkarte weisend, die er ihr vorbeigebracht hatte. »Axel Söderblom, Kaufmann und selbstständiger Werbekünstler aus Nybøl. Ist das was, Gesine?« Er blickte sie forschend an. »Was Seriöses, meine ich«, setzte er hinzu und griff nach einem weiteren Plätzchen.

»Selbstverständlich«, erwiderte Gesine kühl und richtete sich noch ein wenig im Sessel auf. In ihrem Trauerkleid aus schwarzem Bombasine, die blonden Flechten ordentlich um den Kopf gelegt, sah sie nun wohl würdevoll genug aus, um Jörn Jepsen die neugierigen Fragen zu verleiden. Dass ihr neuer Hausgast sich mit einer Postkarte angekündigt hatte, war unglücklich genug. Nichts würde Jörn davon abhalten, dessen Ankunft für kommenden Freitag und seine Zimmerbestellung für den ganzen August in Norby herumzuerzählen. Und natürlich würde er auch ausschwatzen, dass Hr. Söderblom aus Nybøl kam, also praktisch ein Nachbar war – und in seinem Absender keine Straße angegeben hatte. Nicht auszudenken, was sie am Sonntag vor der Kirche erwarten würde, wenn die Runde machte, dass sie an Hr. Söderbloms Achtbarkeit zweifelte. Und Gesine zweifelte, doch was nützte ihr das? Ihre Lage war so bedrückend, dass sie niemanden abweisen konnte. Wenn das Haus nur besser verkäuflich wäre … Einsam am unteren Ende des Strandwegs gelegen und nah bei den Dünenketten auf ehemaligem Meeresboden errichtet, taugte es nicht für eine Bauernstelle. Und dann noch die niedrig hängenden dunklen Deckenbalken und die mit geschichtlichen Szenen ausgemalten Wände! Steen Steensen, Kröger von Norby und langjähriger Freund der Familie, hatte ihr angeboten, das Grundstück auf Leibrente zu übernehmen, wenn sie ihn das Haus niederlegen ließ. Aber das konnte sie nicht, so kurz nach Hennings Tod.

Jörn sah vorsichtig zu Gesine hin. Sie war ja eben direkt ungemütlich geworden. Da hatte er mit seiner Frage nach dem neuen Hausgast wohl richtig gelegen … »Schon recht«, antwortete er begütigend, »kommt nicht alle Tage einer aus Nybøl zur Sommerfrische nach Norby.« Er klopfte auf seine Tasche. »Ich muss bald wieder.« Gesine nickte. »Ich hoffe, es hat geschmeckt.« »Wie immer ausgezeichnet«, erwiderte er in seinem eigentümlichen Singsang. »Tausend Dank, deine Zuckerkringel sind doch die besten.« Jetzt lächelte sie sogar, obwohl sie sicher wusste, dass er gerade ein wenig übertrieb. »Na, einen nehme ich noch«, setzte er augenzwinkernd hinzu, griff nach einem weiteren Plätzchen und lehnte sich wieder gemütlich zurück. Charmeur, dachte Gesine. Und doch war sein Lob eine kleine, unerwartete Freude, von denen es in der letzten Zeit wahrlich wenig genug gegeben hatte.

***

James Jul lenkte seinen Einspänner auf dem Landweg Richtung Ringkøbing nach Norden zu. Der Markt heute war anstrengend gewesen. Das Gedränge und die Hitze erschöpften die Tiere genauso wie die Bauern und die Händler. Das Bier und die Schnäpse taten ihr Übriges dazu. Er hatte wie immer mithalten müssen und sich vor der Abfahrt nur notdürftig am Wassereimer erfrischen können. Umso mehr genoss er es jetzt, sich die kühlende Brise durchs Hemd gehen zu lassen, und freute sich schon darauf, endlich aus seinen Stiefeln zu kommen. Er bog beim Krug in den Strandweg ein und schaute im Vorüberfahren zufrieden zu den Kälbern auf Steen Steensens Weide hinüber, denen er im Frühjahr auf die Welt geholfen hatte. Er wandte den Blick zum Weg zurück und sah Kathrine im Garten bei ihren Georginen stehen. Wie es heute wohl mit ihr gehen würde? Seit er um sie warb, war es schwierig zwischen ihnen geworden. Dabei konnte sie ihm noch nicht einmal erklären, warum sie ihn nicht wollte, nur, dass es nicht richtig war mit ihnen … Dabei waren sie einander doch seit Kindertagen vertraut, mochten sich, hatten zusammen Krabben gefischt und am Strand Dämme gebaut. Ihre Familien waren miteinander befreundet und seine Eltern konnten sich gar keine andere Schwiegertochter vorstellen. Ob sie ihn nicht leiden mochte, hatte er einmal unverblümt gefragt. »Unsinn«, hatte Kathrine erwidert, sie würden eben nicht zueinander passen, das sei alles. Er solle doch bitte aufhören, ihr lästigzufallen, sie mochte ja seinetwegen schon gar nicht mehr nach Julsgård kommen, um Tilda und Freja zu besuchen. Dabei hätte Kathrine es doch gut bei ihm, dachte er, er würde gern für sie sorgen.

Kathrine kam auf den Weg heraus, als James Balder neben dem Zaun halten ließ. »Du siehst müde aus. Viel heute?«, fragte sie, während sie seinem Falben den Hals klopfte. »Wie immer«, entgegnete er schulterzuckend und umfasste sie lächelnd mit seinem Blick: die schmale Gestalt in dem blau-weiß gestreiften Sommerkleid, ihre bloßen Füße in den Holzschuhen, ihre silberblonden Flechten und die meergrauen Augen mit den kurzen hellen Wimpern … Ein Kuss wäre schön, dachte er, wusste aber, dass er gar nicht davon anzufangen brauchte, und wies stattdessen auf das Päckchen neben sich. »Für Mutter?«, fragte sie und schlug das Papier auf. »Aber das ist ja braune Wolle, Mutter nimmt nur schwarze, das weißt du doch!« »Herrgott, Kathrine!«, entgegnete er gereizt. Er hatte sich mit Pferd und Wagen durch das Gewühl am Markt gedrängt, um die Wolle abzuholen, und dann auch noch einen Umweg fahren müssen. Braune oder schwarze Wolle – wer Gesine Pedersens Strümpfe tragen musste, fragte sicher nicht groß nach der Farbe. »Entschuldige«, sagte Kathrine zerknirscht, »es nimmt sich ja auch nicht viel.« Sie nahm das Päckchen vom Sitz und legte es an den Zaun. »Das meine ich«, entgegnete James, nun auch wieder sanfter. Er sah sie abwartend an. »Na?«, fragte er schließlich, als von ihr nichts kam. »Muss ich mich jetzt auch noch selbst auf eine Tasse Kaffee einladen, Kathrine?« »Ein andermal, James«, erwiderte sie zögernd, wohl wissend, wie sehr er sich kränken und ihr deshalb leidtun würde. »Jörn Jepsen ist gerade bei Mutter, glaube ich.« Er spürte, wie sein Ärger zurückkam. Dass sie ihn hier so betteln ließ und mit einer schäbigen Ausrede abspeiste! »Soviel ich weiß, hat euer Sofa Platz für zwei«, entgegnete er kurz. »Ach, lass gut sein, James«, antwortete Kathrine versöhnlich. »Es war nett von dir, dass du extra hergekommen bist, aber sieh mal, müde und schlecht gelaunt, wie du bist, würden wir sicher nur streiten. Fahr nach Hause und leg dich in die Badewanne, bestimmt hat Tilda für dich angeheizt.« »Du schickst mich also weg?«, fragte er ruhig, scheinbar ohne einen Anflug von Ärger in der Stimme. Doch Kathrine wusste, unter dieser Ruhe verbarg sich eine heiße, helle Wut, die er nur mühsam beherrschte. »Für heute, ja«, erwiderte sie genauso ruhig, seinem Blick standhaltend, »und du weißt, warum, James. Hör auf, mir mit der Heiraterei lästigzufallen. Ich mag dir nicht immerzu Nein sagen und dann zusehen müssen, wie du dich kränkst. Wir sind doch Freunde.« »So?«, entgegnete James trocken. Er hatte genug gehört. Sein Blick wurde hart. »Zurück, Kathrine!«, befahl er unwirsch. Er fasste Balders Zügel fester und wollte ihn eben den Wagen wenden lassen, als er die Hansens vom Strand heraufkommen sah.

Sofie Hansen ging langsam hinter ihrer Mutter her, die Strandtasche in der einen und den Sonnenschirm in der anderen Hand. Ihre kupferfarbenen Locken glänzten im Sonnenlicht, ihre Wangen waren von der Anstrengung ein wenig gerötet. Sie sieht aus wie der Sommer, dachte James. Für einen Moment vergaß er seinen Zorn, ließ die Zügel sinken und stieg vom Wagen. Ohne recht zu wissen, was er eigentlich wollte, ging er den Hansens entgegen. Malvine Hansen schaute ihn mit erhobenen Brauen an, als er sich knapp vor ihr verbeugte und sich dann neben Sofie gesellte. »Die Tasche ist viel zu schwer für Sie, Frøken Hansen«, sagte er bestimmt, »geben Sie mal her!« Er nahm der überraschten Sofie die Tasche aus der Hand, noch ehe sie etwas erwidern konnte. »Und der auch«, fuhr er fort und griff nach dem Schirm. Sofie sah ihn verwundert und auch ein wenig erschrocken von der Seite an, während sie nebeneinander hergingen. Was war denn mit James Jul geschehen, dass er sie plötzlich so herrisch und ungestüm bedrängte? Bislang hatte er es doch immer bei ein paar höflichen Worten bewenden lassen und sich dann Kathrine zugewandt. Er roch nach Schnaps, war er betrunken? Ja, ein wenig bestimmt. Und er wirkte zornig, aber vor allem schien er traurig zu sein. James passte sich Sofies Schritt an. Unter ihrem wissenden Blick verging seine Wut. Es ist richtig für mich neben ihr, dachte er plötzlich, ohne es wirklich zu verstehen. »Würden Sie am Sonntag nach der Kirche mit mir ausfahren, Frøken Hansen?«, fragte er unvermittelt, als sie am Zaun angelangt waren. »Es wäre mir die größte Freude.« Er reichte der verdutzten Kathrine Tasche und Schirm, ergriff Sofies Hände, hielt sie fest und drängte: »Sagen Sie Ja!« Sofie erwiderte seinen Händedruck und antwortete lächelnd: »Das will ich gern.« »Sofie!«, sagte Malvine mahnend. James ließ Sofies Hände los und verbeugte sich vor Malvine, die ihn missbilligend ansah. »Ich werde gut auf Ihre Tochter achtgeben, keine Sorge. – Ich freue mich sehr, Frøken Hansen.« Er lächelte Sofie zu, stieg wieder auf den Wagen und fuhr unter den verwunderten Blicken der Frauen davon.

III

Der Freitag brachte, wie die Tage zuvor, einen wolkenlosen Himmel mit einer angenehmen Brise von See. Der neue Hausgast war leider ganz das Gegenteil des von Gesine erhofften solventen, gediegenen Herrn in den besten Jahren. Geradezu lächerlich jung und schmal sah er aus, wie er da auf seinem Damenfahrrad den Strandweg herabgeradelt kam und sich in die Pedale stemmte. Der blonde Haarschopf hing ihm lässig ins Gesicht. Er trug einen flotten, zweireihigen blauen Anzug mit Umschlägen an den Hosenbeinen und eine lederne Umhängetasche quer über der Schulter. Auf seinem Gepäckträger hatte er einen braunen Pappkoffer festgebunden. Gesine seufzte und zog die Gardine ein wenig zur Seite, um besser aus dem Fenster sehen zu können. Nun, Bettler wählten nicht, dachte sie bitter. Sie musste nehmen, was sich bot. Hoffentlich konnte er bezahlen … nicht auszudenken, wenn sie ihm die Tür weisen müsste! Sie bat still darum, dass ihr diese Demütigung erspart bliebe, während sie zuschaute, wie der junge Mann sein Fahrrad gegen ihren Zaun lehnte und seinen Koffer vom Gepäckträger nahm. Wie er jetzt beschwingten Schritts den Zuweg zum Haus heraufkam, den Koffer in der Rechten, die Linke lässig in der Hosentasche, erinnerte er sie ein wenig an Christian. Ob er wohl auch diese amerikanische Jazzmusik mochte?

»Mutter, ich bringe dir Hr. Söderblom.« Axel Söderblom trat schnellen Schritts auf Gesine zu, blieb vor ihrem Sessel stehen und stellte seinen Koffer ab. Er neigte sich mit einer kleinen Verbeugung über ihre Hand, die sie ihm entgegenstreckte, und sagte sehr nüchtern und korrekt: »Guten Tag, gnädige Frau.« Gesine betrachtete ihn nachdenklich und ihr erster Eindruck verstärkte sich. Mit seinem blonden Haarschopf, den roten, vom Fahrradfahren erhitzten Wangen und der jungenhaften Stimme erinnerte er sie einmal mehr an Christian. »Willkommen, Hr. Söderblom«, erwiderte sie ebenso nüchtern und korrekt. »Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise. Meine Tochter wird Ihnen gleich das Zimmer zeigen und auch die Pensionsgebühr in Empfang nehmen.« Axel Söderblom deutete eine weitere kleine Verbeugung an, richtete sich auf und blickte Gesine abwartend an. Sie hob die Brauen. Dieser abschätzende Blick war schon bald unverschämt. Und wie lässig er dastand … Anscheinend machte sie dem jungen Mann kaum Eindruck. Sie räusperte sich und fuhr noch ein wenig nüchterner fort: »Das Frühstück wird wochentags um halb acht aufgetragen. Sonntags um acht, danach gehen wir alle zum Gottesdienst, das Mittagessen wird um zwölf serviert. Ich bitte um Pünktlichkeit.« »Selbstverständlich«, entgegnete er und sah zu Kathrine hin, die ihn entschuldigend anlächelte.

***

Was hatte Mutter denn gegen ihn, dass sie so kalt und förmlich zu ihm war? Sah sie denn nicht, dass er war – wie Christian?, dachte Kathrine, während sie ihn dabei betrachtete, wie er sich im Zimmer ihres Bruders umsah. Und auch wieder nicht. Er war sicher nur wenig älter als ihr Bruder – zweiundzwanzig, dreiundzwanzig vielleicht? Aber ein Mann, und einer, der wusste, was er wollte, auch wenn er scheinbar so lässig daherkam. Wie er gerade vor Mutter gestanden hatte … Als ob ihm ganz egal wäre, was sie von ihm dachte. Und hübsch war er, besonders, wenn er lächelte, so ein kleines, leicht schiefes Lächeln. Und seine Augen … Aber ich starre ihn ja an! Sie schüttelte leicht den Kopf und rief sich zur Ordnung. »Bestimmt möchten Sie sich ein bisschen frischmachen. Ich hätte auch heißes Wasser für Sie, wenn Sie möchten.« »Danke, sehr gern, Frøken Pedersen.« Sie blickten einander lächelnd an. Kathrine bemerkte die kleinen gelblichen Einsprengsel in seinen graublauen Augen. Als er den Kopf drehte und das Licht auf sein Gesicht fiel, schimmerten sie fast türkisfarben. Ach, er war überhaupt nicht wie Christian, sondern ganz anders. Ganz und gar anders … »Wer schläft hier sonst?«, fragte Axel und legte seinen Koffer aufs Bett. »Sie?« »Nein, mein Bruder Christian«, entgegnete Kathrine ein wenig errötend. »Er studiert Philosophie in Kopenhagen, wissen Sie.« »Verstehe. Und Ihr Zimmer?« »Es liegt nebenan. Ich teile es mit Mutter.« Er nickte, streifte den Riemen seiner Umhängetasche hinunter und stellte die Tasche auf den Stuhl neben dem Bett. Einen Schrank gab es nicht, aber an der Waschschüssel auf der Kommode konnte er sich immerhin rasieren. Den kleinen Tisch in der Zimmermitte würde er ans Fenster rücken, um dort zu zeichnen, und das schmale Bord über dem Bett war gut für sein dänisch-englisches Wörterbuch und die Zeichenlehre. Fast wie in seiner Kammer in der Schmiedegasse kam er sich hier vor, da gab es auch nur das Nötigste. Dabei hatte er eben noch geglaubt, in ein wohlhabendes Haus gekommen zu sein. Es musste ein kleines Vermögen gekostet haben, die Balken und Wände im Flur so kunstvoll bemalen zu lassen. Und dann die polierten Kirschholzmöbel in der Wohnstube und diese Übergardinen aus schwerem rotem Samt vor dem Stubenfenster. Ein merkwürdiger Haushalt … »Und die Badestube?«, fragte er. »Unser Häuschen finden Sie bei der Spülküche und das Badezimmer liegt am Ende des Korridors«, antwortete Kathrine und fügte entschuldigend hinzu: »Aber wir baden nur samstags. Der Badeofen verbraucht so viel Holz und Kohle. Wir sind ja nicht an die Gasleitung angeschlossen.« »Ja, natürlich. Und wer heizt den Ofen an, Sie?« »Sicher«, antwortete sie erstaunt, »wer sonst?« »Ja«, wiederholte er, »wer sonst …« Sein Ton klang ärgerlicher, als er beabsichtigt hatte. Er sah an ihr hinunter und kränkte sich für sie. Sie sollte das nicht tun müssen, nicht allein jedenfalls. »Es tut mir leid«, sagte sie, »Sie sind sicher anderes gewohnt …« »Durchaus nicht«, erwiderte er schnell. »Bitte, machen Sie sich keine Gedanken, es ist nur …« Er brach ab und ließ seinen Blick erneut über ihre Gestalt wandern. Diese langen, fließenden Körperlinien, ihre feinen, silbrig überhauchten Farben, alles an ihr war vollkommen richtig. Ich will sie malen … »Ihre Linien und Farben …«, sagte er nachdenklich. »Sie sind mein Idealmodell, denke ich.« »Wie bitte?«, fragte Kathrine verblüfft. »Bitte, stehen Sie mir Modell«, bat er. »Alles an Ihnen ist gut, wissen Sie?« Er trat vor sie hin, legte beide Hände an ihren Zopfknoten und sagte: »Sie sollten die Haare kurz tragen, bis hier etwa«, und rührte an ihren Unterkiefer. »Dann würden die Halslinien noch besser herauskommen, und auch der Schwung Ihrer Wangenknochen.« Er lächelte sein kleines schiefes Lächeln, nahm seine Hände von ihr und fragte zweifelnd: »Sie würden ihren Zopf wohl nicht abschneiden lassen, wie?« »Ich weiß nicht«, erwiderte Kathrine vage. Ich weiß bald gar nichts mehr … Sie entfernte sich ein Stückchen von ihm, trat ans Fenster und sagte leichthin: »Das Meer, es glitzert gerade so schön in der Sonne. Christian meint, hier hat man den besten Ausblick zwischen Esbjerg und Skagen.« Er stellte sich neben sie. »Nichts für ungut, Frøken Pedersen, ich war wohl eben etwas voreilig.«

Sie blickten eine Weile schweigend aus dem Fenster. »Nicht schlecht«, bemerkte er dann, »aber für ein Bild bräuchte es stärkere Kontraste. Mehr Grün und einige Schaumkronen auf den Wellen … Bewegung … und die Dünen etwas versetzter, mit Schattierungen von Weiß und Ocker. – Weiter drunten in Vejrs bauen sie jetzt Sommerhäuser auf die Berge. Meinen Sie, das könnte hier auch ein Geschäft werden?« Kathrine zuckte mit den Schultern. Steen Steensen hatte davon erzählt und auch von einer Vermietungsgesellschaft für Norby gesprochen. Aber Steen hatte immer irgendwelche Einfälle. »Schwer zu sagen«, erwiderte sie. Axel wischte sich die Haare aus der Stirn. »Na, es war auch nur so eine Idee.« Er ging hinüber zum Bett, nahm sein Skizzenbuch, seinen Farbkasten und die Dose mit den Pinseln aus der Tasche und trug alles zum Tisch. »Ich bin hier, um das Meer nach der Natur zu zeichnen«, erklärte er, »für einige Plakatentwürfe, die ich drunten Vejrs anbieten will. An meinem Zeichentisch in Nybøl ist mir einfach nichts gelungen.« Kathrine nickte. »Ich kann mir auch nicht denken, in Nybøl das Meer zu malen.« »Nicht wahr?«, antwortete er eifrig. »Und was machen Sie so, außer Gäste empfangen und den Ofen anheizen, Frøken Pedersen?« Wenn er doch Kathrine zu ihr sagen würde, dachte sie und spürte immer noch seine Hand auf ihrem Haar. Aber es war natürlich ganz und gar ungehörig, ihn darum zu bitten, was sollte er denn von ihr denken …? »Ich züchte Georginen«, sagte sie, »seit diesem Frühjahr. Sie wachsen schon ganz schön.« »Ah, die Blumenreihen hinterm Zaun«, erwiderte Axel. »Ja, sie sind sehr hübsch. Verkaufen sie sich gut?« »Nein«, entgegnete Kathrine unglücklich, »es gab kaum Bestellungen auf meine Anzeigen. Aber vielleicht erinnern sich die Leute daran, wenn sie im Frühjahr ihre Gärten bestellen.« »Verstehe«, sagte Axel Söderblom nun sehr sachlich. Sie sollte das nicht tun müssen, nicht so, dachte er wieder. »Viel Glück!«, fügte er hinzu. »Danke, das kann ich wirklich brauchen.«

Er nahm einen Briefumschlag aus seiner Tasche und reichte ihn ihr. »Die Pensionsgebühr, erst mal für die nächste Woche.« Kathrine sah ihn bestürzt an. »Aber Sie haben doch für den ganzen August bestellt.« »Ich möchte Ihr Angebot erst prüfen«, entgegnete er und senkte leicht seinen Blick. Kathrine sah die Scham in seinen Augen. Sie schämte sich auch für ihn und seine kleine feige Lüge. »Sie haben das Geld nicht, das ist alles!«, sagte sie zornig. »Bitte«, entgegnete er, »ich werde zahlen. Nur halten mich meine Auftraggeber hin, obwohl meine Plakate mittlerweile hängen. Die Kaufherren haben manchmal so eine Art … Bei Krøger und Jacobsen war gestern keiner im Kontor und der Gehilfe durfte nichts anweisen. Ich zahle sofort, wenn ich das Geld besorgt habe. Nächste Woche … bestimmt.« »Es ist nicht wegen des Geldes«, sagte Kathrine und schaute ihn eindringlich an. Er errötete, hielt aber ihrem Blick stand. »Ich wollte Sie nicht anlügen und schäme mich dafür. Aber als ich die Karte schrieb, hatte ich die Zusage für das Geld bereits erhalten und dachte, ich würde es bekommen, bevor ich zu Ihnen hinausfahre.« Kathrine steckte den Umschlag in ihre Schürzentasche. »Dann also nächste Woche«, sagte sie. »Und Ihre Mutter?« Sie hob kurz die Schultern und wandte sich zum Gehen. »Sie verlässt sich auf mich und wird nicht fragen. Und jetzt hole ich Ihnen Ihr Wasser.« »Warten Sie, Frøken Pedersen …« Sie drehte sich zu ihm um und ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Da lächelte er auch. »Danke. Und ich verspreche es«, sagte er sanft. »Nächste Woche. Wenn Sie mir das bitte glauben möchten.« Sie nickte und ging mit schnellen Schritten hinaus.

***

Ich muss achtgeben, dachte Kathrine, während sie die Erde zwischen den Georginenknollen lockerte. Axel Söderblom hatte so eine Art an sich, einfach an ihr Haar zu rühren, über ihre Linien zu sprechen, als wäre das nichts. Wie er ihr in die Augen sah und ihr sagte, dass er sich wegen seiner dummen kleinen Lüge schämte, um dann um ihr Vertrauen zu bitten. Was hätte sie da anderes tun können, als ihm zu vergeben und es gut sein zu lassen? Lächelnd hackte sie weiter. Die Augen auf den Boden gerichtet und ganz in ihre Gedanken vertieft, bemerkte sie Axel erst, als er neben ihr stand. »Ihre Georginen wären gut zu malen«, sagte er. »Finden Sie?« Kathrine richtete sich auf. »Ja, die vielen unterschiedlichen Farbtöne zu den dunkelgrünen Blättern. Es würde Eindruck machen – und zum Kaufen anreizen.« Er ließ seinen Blick über die Blumen schweifen. »Ich könnte natürlich auch den ganzen Garten malen«, fuhr er nachdenklich fort, »mit dem Haus und dem Meer dahinter, als Beilage zu den Annoncen … oder ein Plakat.« Er wandte sich zu ihr. »Wie heißen Sie?« Sie sah ihn überrascht an. »Mit Vornamen«, setzte er ungeduldig hinzu. »Kathrine.« »Georginen von der Westküste – robuste Qualität und strahlende Farben durch neuartige Züchtung, Bestellung bei Firma Kathrine Pedersen, Strandweg, Norby, Ribe Amt, Jütland. Und dazu Ihre Blumenreihen. Meinen Sie, das wäre was?« Kathrine sah die Begeisterung in seinen Augen und den Stolz in seinem Blick, auch seine Ernsthaftigkeit. Es war ganz zwecklos, weiter achtzugeben. »Ich würde mich über Ihr Bild sehr freuen.« Er nickte. »Dann machen wir es so. – Würden Sie mir wohl sagen, wo ich etwas zu essen herbekomme, Frøken Pedersen?« »Im Ladengeschäft der Verbrauchervereinigung. Oder möchten Sie lieber im Krug essen?« »Ich möchte, dass Sie mit mir kommen … und Du sagen. Würden Sie?« Er blickte sie lächelnd an. Ganz und gar zwecklos, dachte sie, legte die Hacke hin und folgte ihm zu seinem Fahrrad.

»Das Ladengeschäft ist beim Krug oben am Strandweg«, erklärte sie, während sie sich auf dem Gepäckträger zurechtsetzte. »Der Anbau mit den Stufen.« Axel nickte. »Halt dich fest«, sagte er, dann trat er langsam in die Pedale. Sie schlang ihre Arme um seine Mitte. Sie konnte seine Rippen und Muskeln unter der Anzugjacke spüren, als er beim Pedaletreten den Rücken beugte und streckte. Er fühlte sich gut an. Und er war ganz anders mit ihr als James, viel – vorsichtiger. Sie mochte es, wie er sie um ihr Einverständnis fragte. Wie es wohl war, mit ihm zu tanzen …?»Gehst du zum Tanz ins Hotel Danmark?«, fragte sie. »Ja, manchmal«, antwortete er. »Und du?« »Nein …« Sie seufzte. »Nie?«, entgegnete er erstaunt. »Aber du würdest gerne, oder?« Sie legte ihre Arme ein wenig fester um ihn. »Ja.« »Mit mir, vielleicht?«, fragte er. »Ja«, sagte sie lächelnd und begann mit offenen Augen vor sich hin zu träumen.

Kurz vor dem Krug kamen ihnen die Hansens entgegen. »Halt mal an«, sagte Kathrine. »Das sind die Hansens. Ich möchte euch bekannt machen.« Sie hatte Axel beim Wasserbringen kurz von den Gästen aus der Hauptstadt erzählt. Axel bremste und ließ Kathrine absteigen. Die Hansens waren abwartend stehen geblieben. »Ich hoffe, es hat geschmeckt«, sagte Kathrine freundlich. Wie immer fühlte sie sich vor Fru Hansens kühlem Blick und ihren leicht erhobenen Brauen zu besonderer Höflichkeit angehalten. »Danke, ja«, erwiderte Malvine Hansen gemessen, »Fru Steensen führt eine sehr gute Küche.« Kathrine hatte damit gerechnet, dass Axel, wie alle Männer, sofort von Sofies besonderer Schönheit eingenommen sein würde. Doch er schaute nur kurz auf Sofie und blickte dann lächelnd zu ihr. Oh … »Unser neuer Hausgast, Hr. Söderblom«, übernahm Kathrine das Vorstellen, »Fru Krogh Hansen und Frøken Krogh Hansen.« Axel verbeugte sich hinter seinem Fahrrad leicht vor den beiden Frauen. »Gnädige Frau, Frøken.« Die Witwe aus Kopenhagen wirkte noch strenger als seine vornehme Gastgeberin, fand er. Und die zarte Sofie Hansen mit ihren braun-rot-goldenen Farben und ihrer elfenbeinweißen Haut sah aus wie aus einem Bild von Raffael. Er blickte wieder zu Kathrine hin. »Wir sind unterwegs zur Verbrauchervereinigung«, sagte sie. »Hr. Söderblom will sich umsehen.« Malvine nickte. Sie hatte Axels gleichgültigen Blick auf Sofie mit Erleichterung bemerkt. Endlich einmal ein junger Mann, auf den sie nicht aufpassen musste! Ein kleines Lächeln zeigte sich um ihren Mund. Sie wünschte höflich einen guten Tag und ging gemächlich weiter. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, sagte Sofie freundlich. »Vielleicht können wir drei bald mal zusammen Karten spielen.« Dann schloss sie sich ihrer Mutter an.

Den Rest des Weges schob Axel sein Fahrrad. »Sofie und ich spielen abends manchmal zusammen«, erklärte Kathrine, während sie nebeneinanderher gingen. »Ihre Mutter legt lieber Patiencen, weißt du, und meine strickt. Aber zu dritt ist es mit den Karten natürlich viel besser.« Kathrine schaute Axel prüfend von der Seite an. »Sie ist sehr schön, nicht?«, setzte sie errötend hinzu. Wie bezaubernd es doch war, dass sie sich nicht verstellte … Nein, sie war bezaubernd … Lässig erwiderte er: »Ja, die alten italienischen Meister hätten sie sicher gern gemalt.« Er strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ich brauche Brot und etwas Aufschnitt, darf ich die in der Spülküche zu euren Sachen legen?« So, die alten italienischen Meister, dachte Kathrine. »Natürlich, gern«, antwortete sie. Sie betraten das Ladengeschäft und Kathrine fragte sich, ob ihr Herz jetzt immer so schnell schlagen würde neben ihm …

IV

Der Samstag auf Julsgård war wie überall in Norby mit den Vorbereitungen für den Sonntag ausgefüllt. Man schaffte Ordnung in Haus und Hof, erledigte die kleine Wäsche der vergangenen Woche und heizte die Badeöfen an. Auch James hatte wie jeden Samstag ein ausgiebiges Bad genommen und sich dann in seine kleine Wohnstube zurückgezogen, um vor dem Abendessen noch etwas für sich zu sein. Seit Mittwoch versuchte er zu verstehen, was mit ihm geschehen war. Er war wütend auf Kathrine gewesen, gekränkt darüber, einmal mehr so leichthin abgewiesen zu werden, und, ja, auch ein wenig betrunken. Aber das erklärte nicht, weshalb Sofie ihm plötzlich so anders vorgekommen war und er seitdem immerzu an sie denken musste. Er schob das Sofakissen unter seinem Kopf zurecht und blätterte weiter durch sein Buch über Rinderzucht. Ihr fragender, aufmerksamer Blick, als sie neben ihm hergegangen war. Da hatte er sich von ihr erkannt gefühlt, gespürt, dass etwas in ihr auf etwas in ihm antwortete. Ja, sie hatte gewusst, wie es um ihn stand, und fühlte mit ihm … Du liebe Güte! Sie hatte doch nicht etwa Mitleid mit ihm? Nachdenklich klappte er sein Buch zu und blickte auf. Nein, da war etwas zwischen ihnen, er war sich sicher. Er legte das Buch auf den Tisch und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Und Kathrine? Zum ersten Mal war er froh darüber, dass sie ihn abgewiesen hatte. Mit Sofie fühlte sich alles so anders an. Dass er überhaupt so fühlen konnte … Und es war so neu und zart und … wunderbar.

Welches Kleid sie wohl morgen zur Kirche anziehen würde? Das rosenrote, wie vergangene Woche? Sie sollte Mormors Ring dazu tragen, dachte er lächelnd. Bei Kathrine hatte er nie an den Ring gedacht, obwohl sie oft über Großmutter Ane gesprochen hatten. Heute, vor dem Schlafengehen, würde er ihn herausholen und ansehen, das Gold und die himbeerfarbenen Granate berühren … Ob Sofie wohl Erdbeeren mochte? Er hatte extra ein Kästchen für sie besorgt.

»James?« Tilda rief im Korridor nach ihm. Einen Moment später öffnete sie die Tür und kam zu ihm herein. »Abendessen ist fertig.« Sie deutete lächelnd auf sein Buch. »Bist du wieder mal bei deinen schottischen Rindern?« James stand auf, ging zu seiner Schwester und legte den Arm um sie. »Lass mich nur«, erwiderte er ebenfalls lächelnd. »Eines Tages werde ich hier Rinder züchten. Da kann Vater sagen, was er will.« Er drückte sie an sich. »Was machen Poulines Kätzchen?« Die weiße Katze hatte kürzlich vier Junge bekommen, so weiß wie ihre Mutter, und Tilda war sehr damit beschäftigt, nach ihnen zu sehen und sich um sie zu sorgen. »Sie trinken und schlafen. Ich glaube, sie sind schon wieder gewachsen.« James lachte. »Das hast du heute Mittag auch schon gesagt«, entgegnete er. Die beiden traten in den Korridor hinaus. »Sie tun ja auch nichts anderes«, hielt Tilda dagegen. Auf dem Weg in die Küche fragte sie: »Sag, die Erdbeeren … Mutter meint, sie sind für Kathrine?« Er nickte halb verärgert, halb belustigt. »Sie sind für morgen«, bestätigte er leichthin, »aber nimm dir ruhig ein paar zum Nachtisch.« »Danke schön«, sagte sie artig. Während sie sich zu den Eltern an den Tisch setzten, schaute Tilda ihren Bruder forschend an. Was war nur mit ihm los? Er benahm sich so anders heute …

***

Sofie legte ihren Kriminalroman auf den Nachttisch. Nach dem langen warmen Bad war sie zu schläfrig, um der verwickelten Geschichte über einen flotten Detektiv im fernen London folgen zu können. Außerdem war sie mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Sie blickte vorsichtig zu ihrer Mutter, die neben ihr im Bett saß und schweigend im Damenjournal blätterte, die wollene Bettjacke um die Schultern gelegt und die schönen goldblonden Haare zu ordentlichen Zöpfen geschlungen. Ach, es hätte gerade so behaglich zwischen ihnen sein können, fast wie früher im Krausesvej, wenn Mutter ihr abends vorgelesen und mit ihr gebetet hatte. Stattdessen machte sie ihr seit Tagen Vorwürfe wegen ihrer Ausfahrt mit James Jul. Als ob noch etwas daran zu ändern wäre … Der Kandidat war offensichtlich betrunken, hatte sie ihr vorgehalten, es wäre gar nicht auszudenken, wie er sich aufführen könnte, wenn er mit Sofie allein war! Am Ende würde sie sich durch ihre unbedachte Freundlichkeit noch in Bedrängnis bringen. Wenn sie sich doch nur nicht so klein und dumm neben ihrer Mutter vorkommen würde. Und allein. Ach, Søren … Er hätte sie verstanden und getröstet. Sie sehnte sich sehr nach ihm. Es war nun bald zwei Wochen her, als sie den letzten Brief von ihm erhalten hatte. Vielleicht wollte er sie tatsächlich nicht mehr, war »zur Besinnung gekommen«, wie Mutter es nannte. Aber nein, von Helle hörte sie ja auch nichts. Es musste also an der Post liegen, oder an den Fähren. Sofie nahm es sich übel, dass sie für einen Moment den Zweifeln ihrer Mutter Glauben geschenkt hatte. Die meinte es natürlich gut mit ihr. Aber musste sie deshalb immer recht haben? Ihr ständig Vorhaltungen und Vorschriften machen, ganz egal, ob es nun um Søren, ihre Ausfahrt mit James Jul oder was immer ging? Ja, James Jul hatte sich am Mittwoch seltsam und auch ein bisschen erschreckend benommen, da hatte ihre Mutter leider recht. Vor allem aber war er traurig und verzweifelt gewesen … Erstaunt merkte sie, dass sie ihn in Schutz nahm. Jedenfalls wollte sie nicht schlecht von ihm denken oder gar Angst vor ihm haben, nur weil ihre Mutter befürchtete, er könnte sich vergessen, wenn sie allein waren. Morgen, vor der Kirche, würde sie sich einen Platz hinter den Frauen suchen, wo sie ihn ungestört betrachten konnte – ohne Vorbehalte, wie Søren es ihr geraten hätte, freundlich … Sie blies ihre Kerze aus. »Gute Nacht, Mutter«, sagte sie, schmiegte sich in die Kissen und schickte Søren einen Kuss. Vielleicht dachte er auch gerade an sie …

V

Kathrine und Axel gingen gemächlich den Strandweg hinauf. Axel hatte erklärt, dass er Bewegung brauche, und Kathrine darum gebeten, ihm den Weg zur Kirche zu zeigen. Gesine und die Hansens ließen sich wie jeden Sonntag in Steens Wagen zum Gottesdienst fahren. Steen tat Gesine gern den Gefallen, ihre Hausgäste mitzunehmen und auch sonst gelegentlich seine Fahrdienste anzubieten. »Gehst du nach dem Gottesdienst mit mir über die Heide zum Leuchtturm?«, fragte Axel jetzt. Kathrine seufzte. »Nach der Kirche muss ich Mutter mit dem Mittagessen helfen, aber anschließend hätte ich wohl Zeit.« Axel hob die Brauen. Helfen? Sicher würde sie wieder die ganze Arbeit allein tun müssen. »Gut, dann also nach dem Mittagessen«, erwiderte er und betrachtete sie lächelnd. »Bleib mal stehen!« Sie stand still und blickte ihn fragend an. »Besser, die Sonne käme von der anderen Seite«, meinte er, »aber sonst: genau richtig! Sommerfrische an der Westküste … Ich will sehen, wie die violette Heide und dein gelbes Kleid zusammengehen. Du vor dem Leuchtturm mit dem Meer im Hintergrund, die Sonne im Rücken, deine Farben und Linien. Es wird genau richtig, ich weiß es jetzt schon. Ich werde dich so zeichnen, ja?« »Dann gefällt dir mein Kleid also?«, fragte sie schüchtern und spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Ihr Kleid war immerhin nach der neuesten Mode geschnitten, fiel gerade von den Schultern herab, war von der Hüfte ab in kleine Falten gelegt und ließ die halbe Wade frei. Sie hatte viel Mühe mit dem Nähen gehabt, besonders mit dem Ansatz des weißen Matrosenkragens. Nun war sie bald fünfundzwanzig und überhaupt nicht geübt im Herumtändeln. Es war geradezu lächerlich, dachte sie, böse mit sich selbst, und schaute unter ihrer Hutkrempe vorsichtig zu Axel. »Nicht nur das Kleid, Kathrine«, erklärte er eifrig, »auch dein Hut mit der kleinen Schleife, wie die Rockfalten sich im Wind bewegen, der weiße Matrosenkragen, alles!« »Verstehe«, erwiderte Kathrine enttäuscht und schaute zum Kirchturm hinüber. Er sollte sie ansehen, nicht ihre Rockfalten … Axel blickte sie an, runzelte die Stirn und begann zu lächeln. »Kathrine, natürlich mag ich dich leiden in deinem Kleid. Was meinst du wohl, wie ich auf die Idee für die Zeichnung gekommen bin? Aber wenn mir ein Bild einfällt, sehe ich nur noch Farben und Linien und vergesse alles andere.« Er schaute sie eindringlich an, seine Stimme klang entschuldigend, fast bittend.

»Ich bin so, weißt du?« Kathrine lächelte auch. Ein kleines Glitzern kam in ihre Augen. »Danke für das Kompliment«, erwiderte sie. Wie sehr ihm das Herz neben ihr schlug, wenn sie sich so anmerken ließ, dass er ihr gefiel. Und dieses Glitzern in ihren Augen … »Darf ich gleich neben dir sitzen?« »Ja«, sagte sie, »natürlich.« Was sonst …?

***

Allmählich füllte sich der kleine kiesbestreute Platz vor der Eingangshalle der neuen Kirche, die im letzten Jahr des alten Jahrhunderts anstelle der baufälligen Fachwerkkirche errichtet worden war. Wie die Meierei und der Leuchtturm zeugte sie mit ihrem soliden Ziegelwerk davon, dass auch in Norby modernere Zeiten angebrochen waren. Dennoch waren die Norbyer ihrer althergebrachten Gewohnheit treu geblieben, sich vor dem Gottesdienst nach Männern und Frauen getrennt am Aufgang zur Kirche einzufinden, um zu plaudern und Neuigkeiten auszutauschen. Für gewöhnlich drehten sich ihre Unterhaltungen um das Wetter, die Meierei und die alltäglichen Vorkommnisse in den Ställen und auf den Weiden, während sie darauf warteten, dass ihnen Jens Jensen, ihr Küster und Organist, die Kirchentüren öffnete. Doch seit Gesine Pedersens Hausgäste den Gottesdienst besuchten, schauten die Frauen auch gern auf die Damen aus der Hauptstadt, die so ganz andere Kleider trugen als sie – und besonders auf das Fräulein, das in der neusten Mode nicht nur ausnehmend hübsch aussah, sondern so freundlich und fein in seiner ruhigen Art daherkam und sich gar nichts darauf einbildete, eine Kopenhagenerin zu sein … Ah, da fuhr Steen die Damen vor. Als Erste stieg Mette Steensen vom Wagen, um Gesine Pedersen und dann den Hansens herunterzuhelfen. Frøken Hansen trug heute wieder ihr rosenrotes Seidenkleid, das ihr so gut zu Gesicht stand. Einen Stoff von solchem Glanz und solch besonderem Rot gab es sicher nicht bei Ibsens in Nybøl zu kaufen, wohl auch kaum in Esbjerg oder Ringkøbing. Und erst recht nicht das Gebilde aus himbeerroter Seide, nicht Hut, nicht Kappe, das sie leicht schief auf die rotbraunen Locken gedrückt hatte. Ja, das war mal was anderes als ihre nüchternen Strohhüte oder die schottisch karierten Tücher, und sicher besaß das Frøken auch zu jedem Kleid etwas Passendes. Malvine Hansen dagegen enttäuschte die Frauen heute. Nachdem sie letzte Woche in einem Sommerkleid aus lavendelfarbener Spitze und einer großen Kameenbrosche am viereckigen Ausschnitt zur Kirche gekommen war, schienen der dezente silbergraue Taft, die lange einreihige Perlenkette und das mit Gaze aufgeputzte Band über den fein ondulierten Haaren kaum einen zweiten Blick wert. Dabei war die kostbare Seide doch bestimmt um ein Vielfaches teurer gewesen als die lila Baumwollspitze … Wo denn Kathrine war, hörte man eine der Frauen fragen. Doch da die Hansens schon über den Kirchplatz gingen, richtete sich alle Aufmerksamkeit auf die beiden und Kathrine war vergessen. Auch die Männer auf der anderen Seite der Vorhalle bedachten die Hansens mit neugierigen Blicken. »Na, das Frøken sieht ja wieder aus wie einer von Bäcker Andersens kleinen Himbeerbaisers«, bemerkte einer und brachte damit seine Nachbarn zum Schmunzeln. Teufel auch! So was Hübsches und Feines sah man nicht alle Tage. Zu Malvine schwieg man sich aus. Bemerkungen über die stattliche und respektgebietende Dame verboten sich irgendwie von selbst. Auf beiden Seiten der Türen kam Gemurmel auf, als die Juls mit zwei Wagen heranfuhren. Vorneweg Theo mit Freja und Tilda auf dem Zweispänner, dahinter James auf seinem Tilbury. Das hatte es ja noch nie gegeben! Interessiert beobachteten die Norbyer, wie die Juls in den Pastoratshof gegenüber einfuhren, wo die Wagen während des Gottesdienstes stehen sollten.

Auf dem Weg zu den Männern blickte James suchend zu den Frauen hinüber. Ah, dahinten stand sie, fast an der Mauer. Und sie trug das rosenrote Kleid … Er nickte Sofie lächelnd zu. Sie neigte den Kopf, lächelte auch und senkte dann den Blick. Ein wenig verunsichert ging er weiter. Frøken Hansen mied ihn doch nicht etwa? Hatte er sie am Mittwoch vielleicht zu sehr bedrängt? Er nahm sich vor, heute besonders vorsichtig mit ihr zu sein. Erleichtert sah er, dass sie wieder zu ihm hinschaute und dabei lächelte. Immerhin … Von den Männern wurde er gleich mit der Frage nach dem zweiten Wagen begrüßt. »Ich hab heute noch was vor«, erwiderte er kurz angebunden. Die Kunde über seine Ausfahrt mit Sofie würde noch früh genug die Runde machen. Sofie beobachtete James von ihrem sicheren Platz aus. Wie ansehnlich er ausschaute und wie schick er angezogen war. Der rehbraune Sommeranzug ging gut zusammen mit seinen kastanienfarbenen Locken und dem sonnengebräunten Gesicht. Und den Kognakton der Krawatte hatte er, wie seine topasgeschmückten Manschettenknöpfe, offensichtlich mit Bedacht gewählt. Sofie, die einen Sinn für Formen und Farben hatte, gefiel seine Wahl. Und dass er wieder so gelassen und vernünftig dastand und mehr zuhörte als sprach, auch. Ich würde ihm gern vertrauen, dachte sie, einmal mehr von sich selbst überrascht. Sie sah, dass die Frauen die Köpfe drehten. Kathrine und Axel kamen über den Friedhof auf die Kirche zu.

Auch die beiden wurden aufmerksam beobachtet. Die Nachricht von Axels Ankunft war in Norby bereits herum. Das war also der Kaufmann und selbstständige Werbekünstler, der mit dem Fahrrad aus Nybøl zu ihnen herausgeradelt war? Viel älter als Gesines Christian konnte der schlanke junge Mann mit dem blonden Schopf jedenfalls nicht sein, und ob er seriös war, würde man sehen. Jedenfalls trug er sich recht flott, wie er da festen Schritts in seinem zweireihigen blauen Anzug lächelnd neben Kathrine herging. Einige der Frauen bemerkten, dass Kathrine anders schien als sonst, strahlend geradezu, und wunderten sich. Auch Freja sah es und hielt es für die Vorfreude auf die bestehende Ausfahrt mit James. Es war auch wirklich an der Zeit, dass ihr Sohn sich ein bisschen mehr um Kathrine bemühte, dachte sie und lächelte bei dem Gedanken an den Korb, den er heute Morgen für ihre Ausfahrt hergerichtet hatte. Sogar an Erdbeeren hatte er gedacht. Sie wandte sich an Gesine: »Dein neuer Hausgast?«, fragte sie, als Axel grüßend an den Frauen vorbeiging. »Ja«, erwiderte diese knapp. Sie hatte ja selbst der guten Ordnung wegen darauf bestanden, dass Hr. Söderblom mit ihnen zur Kirche ging, und natürlich gewusst, dass man reden und sie über ihn ausfragen würde. Aber sie hätte nicht gedacht, dass sie sich wieder so kränken würde, wenn ihre schlimme Lage einmal mehr vor allen offenbart wurde. »Kathrine zeigt ihm den Weg«, fügte sie etwas freundlicher hinzu. Schließlich ging es nicht an, sich unhöflich gegen Kathrines zukünftige Schwiegermutter zu betragen. »So?«, entgegnete Freja und wandte sich dann lächelnd Kathrine zu, die gerade zu ihnen trat, während Axel nach einer kleinen Verbeugung zu den Frauen hin weiter zu den Männern ging. Dass Gesine ihr nun auch noch den jungen Mann aufhalste, dachte Freja unwillig. Der sollte doch imstande sein, allein zur Kirche zu finden. Freja wollte Kathrine eben auf die Ausfahrt ansprechen, doch dann öffnete Jens Jensen die Kirchentüren und die Gelegenheit war vorüber.

Axel und Kathrine fanden sich am Aufgang zur Vorhalle wieder zusammen und gingen auf den Eingang zu. Etwas seitlich vor der Kirchentür stand Pastor Dahl, der Axel freundlich anblickte. »Hr. Söderblom, nehme ich an?« Die Neuigkeit von Axels Einzug bei den Pedersens war Abel Dahl von seiner Frau überbracht worden, die es, wie alle, von Jörn Jepsen hatte. Vor seinem Pastor hielt Jörn sich natürlich zurück. Axel neigte bejahend den Kopf. »Nun, willkommen in unserer Gemeinde!«, begann Abel Dahl mit einem väterlichen Lächeln. »Zögern Sie nicht, mich während Ihres Besuchs als Ihren Pastor zu betrachten, Hr. Söderblom, und wie alle in Norby meinen seelsorgerlichen Rat zu suchen.« Axel neigte nochmals den Kopf, erwiderte höflich: »Ich werde gewiss daran denken. Danke, Herr Pastor«, und ging an ihm vorbei in die Vorhalle hinein. Kathrine sah den verdutzten Blick des Pastors, als sie Axel folgte. Oje, jetzt hat er ihn gekränkt, dachte sie, und Mutter hat’s gemerkt. Aber gefallen hatte es ihr doch, wie er Abel Dahl abgewiesen hatte. Sie lächelte Axel zu und hob ein wenig die Brauen dabei. Er verstand, lächelte auch und fragte leise: »Welche Bank?«

Pastor Dahl war verblüfft und spürte, dass er anfing, sich zu ärgern. Hatte ihn der junge Mann doch einfach stehen lassen! So etwas kannte er bisher nur von Steen Steensen, der offen den Respekt vor seinem Amt verweigerte. Steensen kam nur an den Feiertagen zur Kirche, seiner Frau zuliebe, und hielt ansonsten dafür, dass sie einander nicht vor die Füße liefen. Sein Geschäft als Kröger von Norby sei es nun mal, den Männern Bier und Schnaps zu verkaufen, hatte er auf Abel Dahls Nachfrage einmal bündig erklärt. Auch wenn es dem Herrn Pastor nicht gefiel … Abel Dahl rief sich zur Ordnung. Er hatte Gottesdienst zu halten und seine Gedanken zu wahren. Und der abschätzige junge Mann sollte sich lieber vorsehen, Unruhe in seiner Gemeinde würde er keinesfalls dulden!

***

In seiner Predigt erklärte Abel Dahl mit vielen Wendungen und Beispielen, was es hieß, der Sünde gestorben zu sein. Unterdessen dachte Malvine über ihre missliche Lage nach, denn sie war keineswegs der Sünde gestorben und trug schwer daran. Da Sofie beharrlich an Hr. Lauridsen festhielt, hatte sie vor bald zwei Wochen begonnen, alle Post von und nach Kopenhagen an sich zu nehmen, um ihren Sinneswandel zu befördern. Ein gewagtes, ja, verwerfliches Handeln, außerdem schwierig zu bewerkstelligen! Was, wenn es herauskäme? Zu allem Übel hatte es bisher kaum Wirkung gezeigt, denn Sofie zweifelte nicht etwa an Søren Lauridsen, sondern an der Zuverlässigkeit der Post. Wenn sie nur verständiger wäre … Oder war es am Ende ein Fehler, dass sie ihrer Tochter eine ernsthafte Liebe nicht zutraute? Eine Liebe, die auch Schwierigkeiten und Hindernissen standhalten, diese überwinden und an ihnen wachsen würde? Ach, es blieb ihr nur, abzuwarten, um Gottes Hilfe zu bitten und weiter zwischen Baum und Borke auszuharren. Sie konnte nun ja nicht mehr damit aufhören, die Briefe weiter an sich zu nehmen. Gerade versprach Pastor Dahl allen, die der Sünde absterben wollten, ein leichtes Herz, ein Leben in lauter Licht und Liebe. Malvine seufzte leise. Wahrlich ein schönes Versprechen. Wenn der Herr Pastor doch Amen sagen und das Zeichen zum Singen geben wollte …

***

»Theo!«, rief Freja und fasste nach der Hand ihres Mannes, als sie sah, wie James bei der Kirchentür Sofie den Arm bot und sie dann über den Kirchplatz zum Pastoratshof hinüberführte. Oh! Tilda lächelte ein wenig. James und das Frøken … Deshalb war er gestern so anders gewesen! »Er hat mir nichts … Ich dachte, der Korb wäre für Kathrine«, murmelte Freja ungläubig. Sie drückte Theos Hand und blickte zu Kathrine hinüber, die gerade fröhlich mit dem neuen Hausgast der Pedersens in Richtung Friedhofspforte ging. Anscheinend lachte sie über etwas, das er sagte, und verwandte keinen Blick auf James und das Frøken … »Nun, nun«, sagte Theo beruhigend und drückte Frejas Hand. Er war genauso überrascht und bestürzt wie sie und rechnete überdies darauf, dass Freja schon sehr bald mit heftigen Kopfschmerzen zu Bett liegen würde, wie immer, wenn sie etwas aufregte. Sieh dich nur vor, mein Sohn … »Wir sollten jetzt auch fahren«, sagte er. »Oder willst du mit hinüber zum Kaffee bei Grete Dahl?« »Um Gottes willen«, entgegnete Freja, »nur das nicht! Bring mich nach Hause, Theo. Bitte!«

VI

Das Mittagessen bei Pedersens zog sich hin, wenn auch die wenigen Scheiben Hackbraten, das bisschen Gemüse und die paar Kartoffeln in den Schüsseln den Aufwand kaum lohnten, den Gesine Pedersen dafür trieb. Axel griff nach der Fleischplatte und legte sich unter dem missbilligenden Blick seiner Gastgeberin ein zweites Stück Hackbraten auf den Teller. Er unterdrückte ein Lächeln. Eben hatte sie ihm schon die Kartoffeln in den Mund gezählt … Sie mochte es auch nicht leiden, dass er sich mit Kathrine und Sofie Du sagte. Und als die drei Freitagabend beim Kartenspielen so vergnügt gewesen waren, hatte sie ihn streng um ein wenig mehr Zurückhaltung gebeten. Nein, sie war ganz und gar nicht einverstanden mit ihm. Aber Kathrine hatte ihre Freude gehabt und gestrahlt, als er ihre guten Karten bedient hatte. Ob sie beim Tanzen auch so fröhlich sein würde? Er wollte es schon bald herausfinden, dachte er und suchte ihren Blick. Kathrine sah errötend von ihrem Teller auf. Wie sie Mutter mit ihrer unverstellten Art gefallen würde … Anders als seine feine Gastgeberin hielt seine Mutter nichts von Heuchelei und bot jedem die Stirn, der auf sie herabsah, weil sie ihren Sohn ohne Ehemann und Vater großgezogen hatte. Ja, so war es, seit Axel denken konnte, nur Mutter und er, zusammen in ihrer Häuslerwohnung in der Schmiedegasse, etwas außerhalb der Stadt, dort, wo die armen Leute wohnten. Von seinem Vater sprachen sie nie. Gesine Pedersen hingegen war sehr bedacht darauf, den vornehmen Schein zu wahren, dabei waren die Pedersens selber arm wie die Kätner. Er durfte ja nur an ihrem blankpolierten Esstisch mit dem schimmernden Porzellan aus der königlichen Manufaktur sitzen, weil die Pedersens die Pensionsgebühr so bitter nötig hatten. Kathrine hatte es ihm auf dem Heimweg vom Gottesdienst erzählt. Auch, dass sie James Jul heiraten sollte, aber nicht mochte. Dabei wäre sie mit ihm bestimmt gut dran, während er … Er beugte sich wieder über seinen Teller.

Gesine legte die Serviette hin. »Ich hoffe, es hat geschmeckt.« Dann erhob sie sich und ging, gefolgt von Malvine, hinaus, während das benutzte Geschirr wie immer für Kathrine blieb. Die stand nun auch auf, griff nach dem Tablett und sagte lächelnd: »Wir können gleich los, ich beeile mich mit dem Abwasch.« »Ich helfe dir«, erwiderte Axel. Sie schaute ihn überrascht an. Er reichte ihr Teller und Schüsseln hin und schmunzelte über Kathrines erstaunten Blick. Dann nahm er das beladene Tablett auf, um es in die Küche zu bringen. »Was denn?«, fragte er halb ernst, halb scherzend. »Hast du noch nie einen Mann ein Tablett tragen sehen?« Kathrine biss sich auf die Lippe und senkte wortlos den Blick. »Wie?«, fragte er verblüfft. »Nicht mal deinen Bruder?« »Nein, Christian sollte seine Zeit nicht vertrödeln. Mutter hatte schon immer große Pläne mit ihm …« Sie zuckte mit den Schultern. Axel wurde blass vor Zorn. Für den feinen Herrn Bruder konnte also nicht genug getan werden, während sie … Er hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Verstehe«, sagte er trotzdem leichthin und trug das Tablett in die Spülküche. Kathrine folgte ihm mit der Fleischplatte. »Ich brühe uns beim Abwaschen einen Kaffee auf, ja?«, fuhr er fort. »Oder zählt deine Mutter die Bohnen auch nach?« Er sah zufrieden, wie das Glitzern in ihre Augen kam und ein Lächeln um ihren Mund, als sie ihm wortlos die Kaffeedose hinstellte.

***

James hatte großen Gefallen an der Ausfahrt mit Sofie und freute sich, dass auch sie die kleine Landpartie mehr und mehr zu genießen schien. Nachdem sie zuerst sehr zurückhaltend, fast schüchtern gewesen war und zu allem nur genickt oder verhalten gelächelt hatte, saß sie jetzt ganz zufrieden neben ihm, die Hände locker über der Kappe im Schoß gefaltet, und hörte aufmerksam zu, wie er von Norby und der Westküste sprach. Er wies mit der Hand zu den Aufforstungen vor den Dünenketten hinüber, die nun die Versandungen aufhielten, und erzählte von den gefährlichen Untiefen hinter den Sandbänken, von Schiffsunglücken und dem Bau des Leuchtturms, erklärte ihr den warmen Draht, die Telefonleitung, mit der sich die Rettungswachten längs der Westküste verständigten, und kam schließlich auf den Hafen von Esbjerg zu sprechen, der nach und nach die Fischer aus den Dörfern in die neue, schnell wachsende Stadt weiter im Süden gezogen hatte. Deshalb gab es auch keine Berufsfischerei mehr in Norby und die Hütten unten am Strand standen leer. »Die sind Ihnen doch bestimmt schon aufgefallen, als Sie mit Ihrer Mutter spazieren gingen?« »Oja, und ich habe auch schon hineingesehen«, antwortete Sofie und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Dass man so leben kann …« »Nur