Resistance Band 1: Ein Sturm zieht auf - William C. Dietz - E-Book

Resistance Band 1: Ein Sturm zieht auf E-Book

William C. Dietz

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Beschreibung

GROSSBRITANNIEN, JULI 1951: Drei Jahre zuvor hatte sich Russland vollständig von der übrigen Welt abgeschottet. Ein politischer Machtkampf wurde vermutet. Doch es waren die Chimera: unersättliche außerirdische Invasoren. Im Dezember 1949 fielen sie über das restliche Europa her. Nur die glücklichsten Menschen starben sofort - die weniger Glücklichen wurden von einem Alien-Virus infiziert und verwandelten sich; innerhalb eines Jahres wurde nahezu das gesamte Europa überrannt. Nur Großbritannien gelang es, den Feind an den Küsten zurückzuhalten. Doch die Chimera entwickelten sich weiter ... NORDAMERIKA, NOVEMBER 1952: Die Chimera haben den Atlantik überquert und fallen über die Küstenstädte der USA her. Die Verteidiger werden niedergemacht oder in Monster verwandelt. Nur der US-Ranger Lieutenant Nathan Hale ist immun gegen das Alien-Virus und stemmt sich mit seiner schlagkräftigen Elite-Truppe gegen die außerirdischen Aggressoren. Doch Hale muss schnell erkennen, dass der größte Feind in den eigenen Reihen lauert ... DIE USA IM JAHR 1952: Nach ihrem beispiellosen Eroberungskrieg durch Russland und Europa, haben die außerirdischen Chimera nun auch den Atlantik überquert. Erste amerikanische Städte sind gefallen und die Überlebenden mutieren unter der Einwirkung eines Alien-Virus zu Monstern. Lediglich US-Ranger Nathan Hale und seine Spezialeinheit können etwas gegen die Invasoren ausrichten, doch schon bald müssen sie feststellen, dass die Aliens nicht der einzige Feind sind ... Bedrückender SF-Actionthriller basierend auf dem gleichnamigen Game!

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Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87, 70178 Stuttgart. All Rights Reserved. This translation published by arrangement with Ballantine Books, a division of Random House, Inc.

Amerikanische Originalausgabe: „RESISTANCE: A Gathering Storm“ by William C. Dietz published by The Ballantine Publishing Group.

© 2009 Sony Computer Entertainment America Inc. All games featured herein are trademarked and copyrighted properties of their respective publishers and/ or licensees. © Sony Computer Entertainment America Inc. „PlayStation,“ „PLAYSTATION“ and „PS“ Family logo are registered trademarks of Sony Computer Entertainment Inc. Sony Computer Entertainment logo is a registered trademark of Sony Corporation. All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

Übersetzung: Cora Hartwig Lektorat: Susanne Picard, Uwe Raum-Deinzer Redaktion: Mathias Ulinski, Holger Wiest Chefredaktion: Jo Löffler

Für meine geliebte Marjorie …

Danke, dass du tanzen gegangen bist, statt zu lernen,

dass du geglaubt hast, dass ich das kann,

und für jede Sekunde unserer Zeit zusammen.

Danksagung

Ich möchte mich bei Ted Price bedanken, Präsident und CEO von Insomniac Games und Creative Director von Resistance; bei Christian Cardona, Sony Marketing, Jefferson Dong, Sony Marketing, Greg Phillips, Sony Product Development, Brian Hastings, Chief Creative Officer von Insomniac Games und Ryan Schneider, Insomniac Games Community Director, für ihre Hilfe und Ratschläge.

Mein besonderer Dank gilt TJ Fixman and Marc Mailand von Insomniac Games für ihre Entwicklung des Stillman-Charakters und für TJ’s ersten Entwurf der Stillman-Episode in Kapitel 9, die er auf Anfrage geschrieben hatte.

Und schließlich stehe ich tief in der Schuld meiner Lektoren, Keith Clayton, Tricia Narwani und Steve Saffel. Und ich danke auch Sony Senior Producer Frank Simon für seine unermüdlichen Anstrengungen, alle beweglichen Teile zu koordinieren und die Antworten auf mindestens hundert Autorenfragen zu finden. Ich danke euch allen! Ohne euch hätte ich das nie geschafft.

1

Katz und Maus

Südlich von Huron, South DakotaDonnerstag, 15. November 1951

Der schneebedeckte Hügel sah nach nichts Besonderem aus, aber der Granit nur wenige Meter unter dem Mutterboden war stark genug gewesen, sich gegen Gletscher zu behaupten. Er würde vermutlich in mehreren tausend Jahren immer noch hier sein. Entscheidend für die Männer, die sich oben auf dem Hügel versteckten, war jedoch der Überblick, den diese Position bot. Er ermöglichte es ihnen, feindliche Truppenbewegungen zu beobachten und, so Gott will, sich bei einem Angriff zu verteidigen.

Die Tagestemperatur hätte zu dieser Jahreszeit bei 4°C liegen sollen, aber es waren jetzt minus 10°C, eine bittere Erinnerung daran, dass die außerirdischen Bestien die Atmosphäre der Erde zu ihrem Vorteil umgewandelt hatten. Deshalb erzeugte Lieutenant Nathan Hale kleine Atemwolken, während er auf dem Bauch lag und mit seinem Fernglas auf den Highway unter sich starrte. Er trug einen weißen Winterparka und passende Hosen über einer Wolluniform und Thermounterwäsche. Und er fror trotzdem.

Hale zwang sich dazu, die Kälte zu ignorieren, während er seine Umgebung beobachtete.

Er erinnerte sich an das vertraute weiße Band der Straße, auf der er mit seiner Familie jedes Jahr zum South Dakota State Fair in Huron gefahren war. Eine schmerzliche Erinnerung, denn obwohl er seit Monaten zurück in den Staaten war, war es ihm untersagt, seine Pflegeeltern oder Pflegeschwester zu kontaktieren. Waren sie nach Süden, nach Nebraska geflohen? Oder waren sie auf der Ranch geblieben? Drei Generationen der Familie hatten dort gegen die Elemente, die Wirtschaftskrise und das Land selbst gekämpft – und gewonnen. Aber die Invasion wäre wahrscheinlich sogar für sie zu viel gewesen.

Falls sie immer noch auf der Ranch lebten, dann schwebten sie in großer Gefahr. Die Bestien hatten den größten Teil von Europa und Asien erobert und konzentrierten jetzt ihre Aufmerksamkeit ganz auf Nordamerika. Chicago war bereits an die Invasoren gefallen, schon im Oktober, gefolgt von Wisconsin und North Dakota. Jetzt, da der Feind immer weiter gen Süden vorrückte, waren die Armee der Vereinigten Staaten und das Marine Corps gezwungen, sich immer weiter in die schrumpfende „Festung Amerika“ zurückzuziehen.

Aber die Bestien konnten aufgehalten werden. Während Hale durch den dünnen Schleier des stetig fallenden Schnees sah, wusste er, dass im Süden ein Ring aus Verteidigungstürmen errichtet wurde, allein zu dem Zweck, um den Vorstoß der Bestien aufzuhalten. Aber war das genug?

Hale hatte so seine Zweifel, denn er hatte damals zum verfluchten dritten Regiment gehört. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, welche Gräueltaten in England verübt worden waren. Hale wusste, ganz gleich, wie viele Verteidigungstürme die Regierung aufstellte, die Bestien würden nicht ruhen, bis sie ihre Gegner besiegt hatten.

Sergeant Marvin Kawecki riss Hale aus seinen Gedanken.

„Wir haben Gesellschaft, Sir … auf zehn Uhr.“

Kawecki duckte sich links neben Hale, sein rechtes Auge am Fernrohr seines L23 Fareye-Scharfschützengewehrs. Schneepartikel sammelten sich rasch auf dem Rücken seines Parkas.

Hale hatte nach Süden geschaut, und als er das Fernglas nach links schwenkte, sah er, was Kawecki meinte.

Drei Angriffsdrohnen der Bestien erschienen aus dem Schneegestöber, folgten dem Highway und warfen hochintensive Lichtstrahlen vor sich auf die Straße. Sie flogen etwa zwei Meter über dem Boden und schossen hin und her wie Jagdhunde, die eine Spur verfolgten.

Allein ihre Anwesenheit war schon aufschlussreich, denn obwohl die meisten Zivilisten in den Süden geflohen waren, wusste Hale, dass nichtmilitärische Widerstandsgruppen wie Freedom First weiter hinter den feindlichen Linien operierten – und gelegentlich sogar Erfolge erzielten. Die Ankunft der Drohnen ließ darauf schließen, dass die Bestien einen möglichen Hinterhalt erwarteten.

Die Anwesenheit der Bestien auf dem Highway 281 war genau die Art von Information, die Hale, Kawecki und Private Jim Jasper laut Befehl erlangen sollten. Man wusste zu wenig über die Invasoren, jedes winzige Datenstück half den Spezialisten vom Nachrichtendienst dabei, eine Informationsmatrix zu erstellen, die wirklich sehr nützlich sein würde.

Plötzlich fühlte Hale, wie sich seine Bauchmuskeln anspannten. Eine der Drohnen verließ die Straße und kam direkt auf sie zu! Sie reduzierte ihre Flughöhe, bis sie etwa einen Meter über dem Boden schwebte, und schien entschlossen, die Kuppe des Hügels zu erreichen. Schnee rieselte in dem Lichtstrahl, der den Boden absuchte, nach unten. Waren sie entdeckt worden? Oder war die Maschine nur darauf programmiert, Hügelkuppen zu untersuchen?

„Ich hab sie“, zischte Kawecki durch die Zähne. „Musst es nur sagen.“

Aber Hale wollte es nicht sagen, denn wenn Kawecki die Drohne abschoss, würde die Hölle losbrechen. Sein Team war fast fünf Kilometer tief in der grauen Zone, an Flucht war da nicht zu denken.

Doch als sich die Konstruktion weiter auf ihre Position zubewegte, schien es kaum eine andere Option zu geben.

Hale öffnete den Mund und wollte gerade den Befehl geben, als ein Schneehase aus der Deckung sprang und die Drohne abrupt stoppte. Der Lichtkegel schwenkte in die Richtung des fliehenden Tieres. Der Hase war keine drei Meter weit gekommen, als ihn ein einziger Schuss traf und er sich Hals über Kopf überschlug. Blut spritzte in alle Richtungen. Schließlich blieb er auf dem Schnee liegen.

Der Kundschafter der Bestien schwebte noch einen Moment drohend auf der Stelle, dann schwenkte er zurück zur Straße und schwebte den Abhang hinab.

Hale ertappte sich dabei, dass er die Luft angehalten hatte, und atmete so leise wie möglich aus.

„Jasper?“, fragte er leise. „Wie sieht’s mit der Hintertür aus? Wir müssen vielleicht bald verschwinden.“

Jasper lag anderthalb Meter hinter den beiden Männern flach auf dem Boden. Er sah nach Westen, seinen M5A2-Folsom-Karabiner im Anschlag, und gab Hale und Kawecki Deckung. Nur weil einige der Bestien auf der 281 nach Süden gezogen waren, hieß das nicht, dass alle das taten.

„Die Hintertür ist weit offen, Sir“, antwortete Jasper.

„Wir können los.“

Hale wollte die Meldung bestätigen, als er plötzlich spürte, wie der Boden unter ihm erzitterte.

„Heilige Scheiße“, fluchte Kawecki. „Was ist das denn?“

Hale klemmte sich wieder hinter das Fernrohr und beobachtete, wie eine Phalanx aus Stahlköpfen links aus dem Schneetreiben hervorkam. Das war schon schlimm genug, doch er wusste, dass den Schädeln etwas folgte, das noch weitaus schlimmer war. Gleich …

Das Ding war zuerst nur eine Art Fleck, eine amorphe Masse, die man im wirbelnden Schnee kaum ausmachen konnte. Aber nur wenige Augenblicke später kam der Mauler ins Blickfeld. Das Ungeheuer war neun Meter hoch, jeder Schritt fraß sechs Meter Straße. Die Erde erzitterte mit einem Dröhnen, das in den Zähnen widerhallte, jedes Mal, wenn einer der gigantischen dreizehigen Füße den Boden berührte. Das groteske Wesen konnte etwas ausspucken, das Napalm nicht unähnlich war, und Hülsen mit ätzender Flüssigkeit schleudern, die beim Aufschlag explodierten. Mit einigen gut gezielten Schüssen aus einem Raketenwerfer konnte man das Ungeheuer sicher in die Knie zwingen, doch das leichtbewaffnete Aufklärungsteam hatte nichts in dieser Größenordnung dabei.

Dann entdeckte Hale, dass ein gigantisches Bündel auf den Rücken des Maulers geschnallt war. Er seufzte erleichtert: Das Monster wurde im Moment nur zum Transport von Vorräten benutzt.

Es war unmöglich festzustellen, was da transportiert wurde, wo die Bestien hin wollten und aus welchem Grund. Aber um solche Fragen konnten sich die Strategen kümmern.

Die Vibrationen wurden stärker, als zwei weitere Mauler auftauchten, ihre Rücken schneebedeckt. Lungenwarme Luft schoss aus ihren Nüstern, während sie dem ersten Ungeheuer gen Süden folgten.

Nachdem sie im dichten Schneetreiben verschwunden waren, legte Hale das Fernglas ab und begann sich Notizen zu machen. Er notierte die Zeit, die Richtung, in die die Bestien zogen, und wie viele es von jeder Art gab. Die Bestien kamen in verschiedenen Formen, und der Nachrichtendienst würde wissen wollen, welche in den Angriff auf Nordamerika involviert waren.

Als das letzte Ungeheuer im weißen Nebel verschwand, schob er sein Buch in die Brusttasche zurück.

„Okay“, sagte Hale gerade laut genug, dass seine beiden Männer ihn hören konnten. „Ich weiß nicht, wie es bei euch aussieht, aber ich könnte eine heiße Dusche vertragen. Und was von dem Zeug, das sie in der Messe austeilen. Also nichts wie weg hier … nicht vergessen, die Bastarde haben sechs Augen, also verhaltet euch unauffällig.“

Kawecki hatte schon eine Menge Action erlebt. Er wusste, dass sich Hales Warnung an Jasper richtete, der erst an ein oder zwei Scharmützeln teilgenommen hatte und relativ unerfahren war, vor allem für einen Sentinel. Die meisten Kämpfer dieser Elite-Einheit kamen aus der Armee oder von den Marines und waren echte Schwergewichte mit reichlich Special-Ops-Erfahrung – Hale war ein Musterbeispiel dafür. Die Special Research Projects Administration, die SRPA, hatte zwar ein Serum entwickelt, mit dessen Hilfe sich Sentinels sogar von Wunden erholen konnten, die normalerweise tödlich waren. Aber selbst dieser „Bug Juice“ – wie manche der Männer das Zeug nannten – konnte die Wirkung eines direkten Treffers aus einem feindlichen Bestien-Mörser nicht aufheben.

So blieb die Verlustrate hoch und Grünschnäbel wie Jasper wurden immer mehr zur Norm. Sie hatten viel zu lernen.

Jasper war sich darüber im Klaren, dass ihn die beiden Veteranen mit Argusaugen beobachteten, als er sich auf den Ellbogen seinen Weg bahnte und dann mit dem Kopf voran den Steilhang hinunterrutschte. Schnee glitt dabei in seinen offenen Kragen und lag kalt auf seiner Haut, als er sich herumschwang und mit den Füßen abbremste. Er erreichte den Boden der kleinen Talsohle und ging sofort hinter einer Gruppe schneebedeckter Felsen in Deckung.

Ein schneller Blick in alle Richtungen verriet ihm, dass der Horizont sicher war. Er hob den Daumen.

Kawecki kam als nächster hügelabwärts, gefolgt von Hale. Sie marschierten den Weg zurück, auf dem sie gekommen waren, hinab durch eine schmale Schlucht. Hale ging voran, Kawecki in der Mitte und Jasper bildete die Nachhut. Das war ein harter Job, bei dem Jasper ab und zu anhalten musste, um nach möglichen Verfolgern Ausschau zu halten. Anschließend musste er rennen, um die Kameraden wieder einzuholen.

Jetzt war die Schlucht trocken, doch im Frühjahr würde sie halb voll sein mit Schlamm und Geröll. Sie führte zu einem zugefrorenen kleinen Flusslauf. Durch Löcher im Eis konnten sie das fließende Wasser darunter sehen. Es gluckerte munter vor sich hin, eine passende Begleitung zum gleichmäßigen Knirschen ihrer Stiefel und dem gelegentlichen Knacken brechenden Eises.

Die Landezone war noch gut drei Kilometer entfernt, aber Hale wusste, dass ihr Flugzeug einige Zeit bis zur LZ brauchen würde, also funkte er: „Bravo-Sechs an Echo-Drei … hören Sie mich? Over.“

„Hier ist Drei!“ Die Antwort kam sofort. „Ich höre Sie laut und deutlich. Over.“

„Wir sind ungefähr 45 Minuten entfernt“, erklärte Hale, „und wir haben das Laufen satt. Over.“

„Alles klar“, antwortete Echo-Drei fröhlich. „Marilyn und ich sind schon auf dem Weg. Over.“

Hale grinste, als er von einer Eisfläche zur nächsten sprang, vorsichtig, immer in sicherer Entfernung von den Löchern. Das altgediente VTOL-Flugzeug von Echo-Drei hatte das Bild einer wunderschönen, leicht bekleideten Marilyn Monroe auf der linken Seite des Rumpfes.

„Kann’s kaum erwarten, sie zu sehen“, sagte er und meinte es. „Over.“

Der restliche Weg zur LZ war dann ein scheinbar endloser Hindernisparcours. Die drei Männer waren gezwungen, immer wieder von einer Seite des gefrorenen Wasserlaufs zur anderen zu wechseln, um tiefere Wasserflächen, dünnes Eis oder große Felsformationen zu umgehen.

Nach und nach vereinigte sich der Bach mit Zuläufen von links und rechts zu einem Fluss, und die Uferbänke wurden höher. Das war ein zweischneidiges Schwert, fand Hale, denn im Schutz der zehn Meter hohen Böschungen konnten sie sich unbemerkt fortbewegen. Andererseits machten sie es fast unmöglich, im Falle eines Angriffs zu entkommen.

Lange Zeit schien alles glattzugehen, bis Hale nach einer Biegung erstarrte, als vor ihm plötzlich ein Teil der Böschung explodierte. Tonnen von Erdreich und Schnee rutschten in den Fluss, wo sie kurzfristig einen Damm bildeten, ehe sie weggespült wurden.

Dicht hinter ihm blieb Kawecki wie angewurzelt stehen.

„Hey, Lieutenant, was zur Hölle …“

Hale schüttelte kurz den Kopf und hielt einen Finger an die Lippen. „Hinhören!“, zischte er.

Zuerst war nichts zu hören, dann bemerkte er ein fernes Grollen, ein Vibrieren unter den Stiefeln. In dem Moment brüllte Hale „Gräber!“

Einen Sekundenbruchteil später schrie Jasper „Kontakt!“ und feuerte hinter ihnen mit seinem Karabiner.

Aber die anderen hatten keine Zeit, um nachzusehen, was er meinte, als noch mehr Erde abging und sich in den Fluss ergoss. Ein Bohrkopf brach durch die Böschung und eine zylindrische Maschine von der Größe einer Lokomotive stieß aus der Böschung. Sie sackte schwer auf den Boden und kam zum Stillstand, die vordere Hälfte hing über dem Fluss. Schnee, der auf der Bestienkonstruktion landete, verdampfte sofort.

Hale hatte diese Maschinen schon mal gesehen, damals in England, damit war London überrannt worden. Eine Luke öffnete sich und wenigstens ein Dutzend schwer bewaffneter Hybriden kletterte raus und ließ sich ins flache Wasser fallen, um den Menschen den Fluchtweg zu verstellen. Hale suchte nach einem Ausweg, aber es war zu spät. Hinter ihm schoss Jasper immer noch stromaufwärts.

„Eine Angriffsdrohne, Sir!“, brüllte er. „Ich krieg nicht mal ’ne Delle da rein!“

Hatte uns die erste Drohne gesehen?, fragte sich Hale. Arbeiten der Gräber und die Drohne zusammen? Oder war sein Team einfach zur falschen Zeit am falschen Ort?

Das war das Problem mit den Bestien – man konnte es nicht wissen. Aber das spielte jetzt auch gar keine Rolle mehr. Sie hatten keine Wahl, sie mussten sich verteidigen. Fontänen aus Schnee, Dreck und Wasser schossen in die Luft, als die Drohne das Feuer eröffnete und die Sentinels Deckung hinter ein paar vom Wasser rundgeschliffenen Felsen suchten.

„Ich kümmere mich um die Drohne“, brummte Hale finster, als er sein Schrotgewehr zur Seite legte. „Ihr übernehmt die Hybriden.“

Während die anderen Männer nickten und sich dem noch immer dampfenden Gräber zuwandten, machte Hale die Bellock-Automatik bereit. Er hatte den Granatwerfer auf dem Rücken getragen, es war die schwerste Waffe, die sie hatten.

Die Drohne bestand aus einer zentralen Hülle, einer Sensor-Phalanx und zwei Waffenarmen. Mündungsfeuer blitzte auf, als die Maschine feuerte und ihre Projektile an dem Felsen abprallten, hinter dem Hale in Deckung lag. Er würde sich kurz zeigen müssen, um das Feuer zu erwidern. Aus Erfahrung wusste er, dass es nur eine Möglichkeit gab, die Maschine zu besiegen – er musste den Hochleistungsschild durchbrechen.

Zwischen den feindlichen Salven schoss Hale, ging in Deckung, tauchte wieder auf und feuerte erneut. Die meisten seiner Brandgeschosse trafen das Ziel und explodierten, erbarmungslos nagte er sich in den Schild der Drohne.

Als er gerade aus der Feuerlinie abtauchte, traf etwas seinen linken Arm. Es tat höllisch weh, aber Hale warf eine Granate, ehe er wieder in Deckung ging.

Der Kampf war zermürbend. Er schien sich endlos hinzuziehen, obwohl noch nicht einmal eine Minute vergangen war. Endlich stieg ein dünner Faden schwarzen Rauchs auf und die Maschine verlor an Höhe. Aber sie feuerte immer noch und zwang Hale dazu, in Deckung zu gehen, als seine Bellock leergeschossen war. Er ließ die Waffe fallen und griff nach der Rossmore 236. Die Schrotflinte war zwar nicht Hightech, hatte aber ordentlich Wumm und sein Leben in England damit mehr als nur einmal gerettet.

Sein 12er Kaliber war kaum in Position, da hörte Hale ein lautes singendes Geräusch, als die Drohne direkt über seinem Kopf auftauchte. Er riss das Schrotgewehr nach oben und feuerte aus beiden Rohren. Der Rückstoß bohrte sich in seine Schulter, und es gab einen lauten Knall, als die Bestien-Maschine von zwei Schrotladungen aus kurzer Entfernung getroffen wurde. Die Drohne ruckte zurück, sie explodierte und spickte Hale mit kleinen Schrapnell-Splittern. Sie stachen ihn an einem dutzend Stellen, aber Hale sah mit einer gewissen Befriedigung, dass er die Bedrohung neutralisiert hatte.

Kawecki hörte die Explosionen hinter sich, aber er konzentrierte sich auf die Hybriden. Da blieb keine Zeit, um nachzusehen.

Die Hybriden waren zäh und anpassungsfähig, eine der häufigsten Erscheinungsformen der Bestien. Standard-Hybriden waren sogar vage humanoid, mit sechs Augen und einem Mund voller nadelscharfer Fangzähne – das Resultat eines Alien-Virus, das menschliche Körper in seine Bestandteile aufbrach und neue Formen erschuf, die vielseitig einsetzbar waren.

„Hinter dem Vorsprung verstecken sich Wanzen!“, schrie Jasper. „Ich schicke ihnen eine Granate rüber!“

„Lass dich von den Bastarden nicht taggen!“, warnte Kawecki, aber da war Jasper schon mit Kopf und Schultern über den Felsen und feuerte den sekundären Granatwerfer des Karabiners ab. Während das Projektil auf sein Ziel zuraste und der Sentinel wieder in Deckung ging, feuerte einer der Hybriden eine Bullseye-Peilkugel. Sie traf Jasper, richtete aber keinen sichtbaren Schaden an.

Aber in der Sekunde, bevor die Explosion der Granate dem Hybriden den Kopf abriss, triggerte der ein Dutzend Bullseye-Projektile. Sie zerrissen die Luft auf der Suche nach der Markierung, die wenige Augenblicke zuvor abgefeuert worden war.

„Nein!“, schrie Kawecki verzweifelt, aber es war zu spät.

Der glitzernde Schwarm kreiste über Jaspers Kopf, dann rammten sich alle zwölf Projektile hinein. Das war mehr Schaden, als selbst ein Sentinel verkraften konnte. Jasper zuckte spastisch, als die Geschosse ihn auseinanderrissen.

Hale stieß dazu, als Jasper fiel. Er lud die Bellock nach und schleuderte der feindlichen Stellung ein Sperrfeuer entgegen. Die Hybriden kreischten abscheulich, als es einige zerfetzte und andere in Brand gerieten. Sie rannten planlos umher, versuchten die Flammen auszuschlagen und wurden so zu leichten Zielscheiben für Kawecki. Dann legte sich eine unheimliche Stille über das Flussbett. Nach einer scheinbaren Ewigkeit, die nur wenige Minuten gedauert hatte, war der Kampf vorbei.

Hale kniete sich neben Jaspers verstümmelten Körper, entfernte nüchtern die Erkennungsmarken des jungen Sentinel und ließ sie in eine Tasche fallen. Dann, mit einer Schnelligkeit, die aus bitterer Erfahrung geboren war, nahm er Jasper alles ab, was er und Kawecki noch gebrauchen konnten.

Natürlich hätten sie gern dafür gesorgt, dass Jasper wenigstens ein ordentliches Begräbnis bekam, doch sie waren noch fast einen Kilometer von der LZ entfernt und mussten davon ausgehen, dass noch mehr Bestien unterwegs waren. Aber sie konnten die Leiche auch nicht liegen lassen, damit sie ausgeschlachtet werden konnte. Hale zog den Stift aus einer Thermalgranate, ließ den Zylinder neben dem Toten fallen und zog sich zurück. Kawecki folgte ihm.

Es gab einen Blitz, als das Ding hochging, gefolgt von einem blendenden Glühen, als das pulverförmige Aluminium kombiniert mit Eisenoxid zu geschmolzenem Eisen und Aluminiumoxid wurde. Selbst in gut zehn Metern Entfernung, wo Hale angehalten hatte, konnte er immer noch die intensive Hitze spüren.

Hale wollte etwas sagen, Jasper für sein Opfer danken, aber sie hatten keine Zeit. Weitere Schüsse ertönten, als Kawecki mit seinem Fareye stromaufwärts feuerte.

„Da sind Heuler, Lieutenant … sechs, jetzt fünf, alle südwärts.“

Hale seufzte.

„Okay“, sagte er, als er die leere Bellock fallen ließ und sich Jaspers Karabiner nahm, „treten wir ihnen in den Arsch.“

Sie joggten schnell los, atmeten eine Brise Ozon, als sie unter dem Gräber durchkamen, spritzten durch knietiefes Wasser und erreichten die andere Seite. Hale sprach in das Lippenmikro seines Funkgeräts, während er rannte, seine Wortgruppen immer wieder unterbrochen von dem Zwang zu atmen.

„Bravo-Sechs an Echo-Drei … haben einen Mann verloren … fünf Heuler hinter uns … südwärts im Flussbett … ETA in etwa zehn Minuten … Over.“

„Hier Drei“, meldete sich der Pilot bitter. „Kommt ran, Sechs … wir kümmern uns um die Heuler. Over.“

Der Pilot klang zuversichtlich, aber Hale hatte seine Zweifel. Er trieb sich und Kawecki zur Eile an, als die Heuler – vierfüßige Bestien in Löwengröße – ihren lang gezogenen Schrei ausstießen, dem sie ihren Namen verdankten und der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Nach dem Klang zu urteilen holten sie auf.

„Wir sollten sie langsamer machen!“, schrie Hale und kam an einer weiteren Biegung des Flusses rutschend zum Stehen. Seine Schrotflinte, die er weggeworfen hatte, wäre auf kurze Distanz sehr wirkungsvoll gewesen, aber Hale wollte den Heulern nicht zu sehr auf die Pelle rücken, wenn es sich vermeiden ließ. Kawecki sah zu, wie das erste Biest fiel und wieder auf die Beine kam. Es rückte weiter vor, zog aber ein Bein hinter sich her, während ein anderer Heuler die Führung übernahm. In der Zwischenzeit drehten sich die Menschen um und rannten weiter, nachdem sie die Bestien erfolgreich kurzzeitig aufgehalten hatten.

Der Boden war uneben, die schneebedeckten Felsen tückisch und rutschig. Eiskaltes Wasser spritzte von ihren Kampfstiefeln auf, als die beiden im Zickzack rannten, um Felsen und spiegelglatten Eisflächen zu entgehen.

Dann kam das VTOL ins Blickfeld. Es schoss drei Meter über dem Ufer geradewegs auf sie zu. Marilyns Maschinen dröhnten, als sie über die Männer hinwegflog. Hale konnte den Luftzug der Propeller fühlen.

Der Pilot eröffnete das Feuer. Hale drehte sich um, blickte zurück und sah einen Vorhang aus Gischt aufsteigen, als Hunderte von Hochgeschwindigkeits-Kugeln sich ihren Weg durch das Wasser und die heranpreschenden Heuler bahnten. Sie fielen schreiend, ihr Blut färbte den Fluss rot, die roten Wellen umspülten seine Stiefel.

„Richte Marilyn aus, dass ich sie liebe“, sagte Hale anerkennend ins Mikro.

Das Flugzeug wandte sich auf der Suche nach einem sicheren Landeplatz stromaufwärts und wackelte bestätigend mit den Flügeln. Zehn Minuten später war das verbliebene Team an Bord und angeschnallt.

Die Mission war erfolgreich gewesen – aber war das den Preis wert? War Jasper für etwas Bestimmtes gestorben? Oder war sein Tod nur ein weiteres Opfer in einem Krieg, den sie nicht gewinnen konnten?

Der Sentinel schloss seine Augen und lehnte den Kopf gegen die Kabinenwand. Er war erschöpft, aber der Schlaf wollte nicht kommen. In seiner Hand hielt er ein Paar Erkennungsmarken, so fest, dass sie in sein Fleisch schnitten.

2

Absturz

In der Nähe von Valentine, NebraskaFreitag, 16. November 1951

Die Schlucht war hunderte Meter tief, und als Hale sich auf der elastischen Leitung vortastete, achtete er darauf, mit seinem Blick die gegenüberliegende Seite des Canyon zu fixieren. Wenn er nach unten sah, würde er ganz sicher das Gleichgewicht verlieren und abstürzen.

Also setzte Hale einen Fuß präzise vor den anderen und fühlte, wie die gewaltige Energieleitung langsam anfing, hin und her zu schwanken.

Plötzlich klopfte jemand an die Tür. Sein Magen sackte durch, dann holte ihn die Realität wieder ein, in der er unter einer schweißgetränkten Decke lag und nach Luft schnappte.

„Lieutenant Hale?“, fragte eine Stimme draußen. „Tut mir leid, Sie zu wecken, Sir … aber der Major will Sie um 0400 im Besprechungsraum sehen.“

Hale schielte auf seine Armbanduhr. Es war 03:25 Uhr.

„Okay“, krächzte er. Mit kräftigerer Stimme fügte er hinzu: „Was gibt’s denn?“

„Keine Ahnung, Sir“, antwortete die Stimme. „Das liegt über meiner Lohngruppe.“

Hale schwang seine Beine vom Metallgestell, setzte sie fest auf den Boden und begann mit dem Prozess, sich präsentierfähig zu machen. Weniger als zwölf Stunden waren vergangen, seit er und Kawecki vom Einsatz zurückgekehrt waren. Zwei dieser Stunden hatte er damit verbracht, einem Team von Analysten immer und immer wieder das Gleiche zu erzählen. Nachdem sie jeden Fetzen an Information aus ihm herausgequetscht hatten, wurde er entlassen und nutzte seine Freiheit, um etwas zu essen und ganz dringend mal die Augen zu schließen. Er war nicht mal mehr duschen gegangen, sondern einfach ins Bett gefallen.

Jetzt stand Hale in Boxershorts vor dem Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Nur eine leichte Rötung war da zu sehen, wo ihm das feindliche Feuer den Arm aufgeschlitzt hatte. Die Splitterwunden der explodierten Drohne waren vollständig verheilt, und er fühlte sich besser, wesentlich besser, als ihm zustand. Ironischerweise konnte er sich für seine schnelle Heilung bei dem Schimärenvirus bedanken, obwohl die außerirdische Bazille in ihm sicher bösartig werden würde, wenn man sie sich selbst überließe.

Glücklicherweise hielten regelmäßig verabreichte Hemmstoffe das Virus in Schach. Ergänzt wurden sie durch aerosolierte Dosen, die er bei Feldeinsätzen in seinem I-Pack immer dabei hatte. Aber letztendlich hing alles davon ab, dass er Zugang zu einem militärischen Behandlungscenter hatte. Ohne regelmäßige Immunisierungen würden sich seine Zellen über kurz oder lang erbarmungslos verwandeln.

Das war eine Möglichkeit, über die Hale lieber nicht nachdachte.

Er warf sich ein Handtuch um den Hals, schlüpfte in ein Paar Mokassins und nahm sein Rasierzeug mit in den Flur. Dort folgte er einer Reihe nackter Glühbirnen durch den fensterlosen Korridor bis zur Gemeinschaftsdusche. Die SRPA-Basis war nicht mit vielen Annehmlichkeiten ausgestattet, aber es gab reichlich heißes Wasser und Hale war entschlossen, sich seinen Anteil zu holen.

Das Gesicht im Spiegel war blass und schmal. Es war das Gesicht eines Asketen, nicht das eines tatkräftigen Mannes. Noch vor sechs Monaten hatte er am MIT unterrichtet. Er hatte nie eine Waffe abgefeuert, bevor er der Officer Candidate School beitrat. Nun machte er sich vor Angst fast in die Hose. Aber Captain Anton Nash wusste Dinge, wichtige Dinge, die mit Physik zu tun hatten. Aus diesem Grund hatte man ihn zum Captain ehrenhalber gemacht.

Und jetzt sollte er Soldaten in die Schlacht führen.

Viele Männer waren unter dem Mobilisierungsbefehl von Präsident Grace einberufen worden und erledigten nun Jobs, für die sie nicht qualifiziert waren. Aber was Nash von allen anderen unterschied – so vermutete er zumindest – war die Tatsache, dass er entsetzliche Angst hatte. Nicht nur vor den Bestien, sondern vor seinen eigenen Schwächen. Und davon gab es viele. Was Nash im Spiegel sah, beeindruckte ihn also keinesfalls. War heute der Tag, an dem er sterben würde?

Ja, dachte Nash bei sich, wahrscheinlich. Und mit diesem Gedanken wischte er sich mit einem Waschlappen die Schweißperlen von der Stirn, knöpfte mit zittrigen Fingern seine Jacke zu und warf einen letzten Blick auf das Foto, das auf der schmucklosen Kommode stand. Die Frau auf dem Bild war schön, schöner, als es ein Mann wie er verdient hatte. Er wollte, dass sie stolz auf ihn war, mehr als alles andere.

Und mit diesem Gedanken trat Nash seinem Schicksal entgegen.

Jede SRPA-Basis war anders, und doch hatten alle bestimmte Dinge gemeinsam. Dazu gehörten auch die unterirdischen Bunker, in denen Flugzeuge und Wagen gewartet und abgestellt werden konnten. Die weiteren Ebenen unter der Oberfläche waren für Verwaltung, Lazarett und Messe vorgesehen. Normalerweise lagen die Wohnquartiere noch tiefer unter der Erde, wo sie durch eine Matrix aus Gängen verbunden waren, in denen Sprengstoff zur Abwehr von Bestien-Gräbern lagerte.

Trotzdem war Hale bewaffnet, als er sich seinen Weg durch die Korridore bahnte und einen Fahrstuhl bestieg, der ihn zum Verwaltungsdeck bringen würde. Der stehende Befehl für jeden Sentinel lautete, im Dienst immer bewaffnet zu sein, also trug Hale eine HE .44 Magnum in seinem Holster sowie zwei Schnelllader-Magazine in seinen Gürteltaschen. Obwohl nicht völlig kampfbereit, trug er Thermohosen, ein Baumwollhemd und eine hüftlange, graue Jacke. Würde im Notfall reichen.

Die Goldstreifen auf Hales Schultern sorgten dafür, dass die Soldaten im Flur salutierten, als er vorbeiging. Und da er erst vor Kurzem zum Second Lieutenant befördert worden war, achtete er darauf, ebenfalls höflich zu grüßen. Als sich die Fahrstuhltür schloss, schoss im letzten Moment noch ein Sergeant durch den Spalt. Beim Anblick von Hale salutierte er schnell.

So etwas wie eine Zentralheizung gab es in der SRPA-Basis nicht. Die Luft war kühl, und Hale war dankbar für die Wolluniform. Der Fahrstuhl hielt mit einem Ruck, und er folgte dem Sergeant nach draußen.

Ehe Hale den Lagebesprechungsraum betreten konnte, musste er durch einen Sicherheits-Checkpoint, an dem drei schwer bewaffnete Soldaten postiert waren. Er zeigte seine SRPA-ID-Karte und die Nummer, die auf der Innenseite seines linken Arms eintätowiert war, dann durfte er passieren. In dem spartanischen Flur dahinter stand ein Tisch mit Kaffee, Orangensaft und dicken Schinken-Ei-Sandwiches.

Einfaches Essen, aber Hale wusste es besser, als es für selbstverständlich zu halten. Denn während die Atmosphäre des Planeten immer kälter wurde und die Bestien mehr und mehr Land eroberten, waren Lebensmittel-Engpässe schon fast an der Tagesordnung. Er fühlte sich ein bisschen schuldig, als er einen vollen Teller mit in den Besprechungsraum nahm und nach einem Sitzplatz suchte. Am besten irgendwo, wo er in Ruhe frühstücken konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.

Diese Hoffnung zerschlug sich schnell, denn Major Richard Blake entdeckte ihn und beorderte ihn mit einer energischen Handbewegung nach vorn. Es waren ungefähr dreißig Offiziere und andere SRPA-Offizielle anwesend, und wenigstens ein Dutzend Köpfe drehte sich, als er nach vorn ging. Nicht nur, weil er als letzter den Raum betreten hatte, sondern weil er eben der war, der er war. Es war Hale schwergefallen, nicht weiter aufzufallen, seit er aus der Schlacht um Großbritannien zurückgekehrt war – als einer der wenigen, die überlebt hatten.

Er war auch einer der ersten Sentinels und ein entscheidendes Mitglied des SAR-Bergungsteams, das um 0630 die Basis verlassen sollte.

Captain Nash, der bereits an der Stirnseite des Tisches saß, beobachtete, wie Hale näher kam. Es gab keinen Zweifel an der Identität des Lieutenants. Er hatte sich in England mit dem Schimärenvirus infiziert und die tödliche Infektion irgendwie überlebt. Danach hatte sich die Farbe seiner Augen verändert. Sie waren goldgelb, wie bei den Bestien, trotz der Tatsache, dass er nur zwei davon hatte.

Hales Haare waren wenig mehr als Stoppeln auf seinem Kopf, und in seinen Zügen lag eine gewisse Härte, als sei er kein Mann, der viel Geduld mit Dummköpfen hatte. Als Hale den dampfenden Kaffee und sein Essen auf dem Tisch abstellte und in der ersten Reihe Platz nehmen wollte, stand Nash auf, um ihn zu begrüßen: „Sie sind Lieutenant Hale. Es freut mich, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Nash. Anton Nash.“

Als die goldenen Augen seinen Blick trafen, sah Nash darin eine hohe Intelligenz und etwas, das möglicherweise Vorsicht war – was verständlich war, unter diesen Umständen.

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir“, antwortete Hale, seine Stimme ganz neutral. Er hätte vielleicht noch etwas gesagt, doch Blake wählte diesen Moment, um das Meeting zu beginnen.

Blake war ein großer Mann mit markanten Augenbrauen, tief liegenden Augen und einem kämpferischen Kinn. Seine graue SRPA-Uniform war makellos und es war bekannt, dass er erwartete, dass jede SRPA-Uniform so aussah, ganz gleich, wer sie trug. Seine Exerzierplatz-Stimme donnerte bis in den hintersten Winkel des Raumes.

„Bitte setzen Sie sich. Wie die meisten von Ihnen wissen, zählt jede Sekunde – also fangen wir gleich an.“

Stühle scharrten über den Boden, gefolgt von einem Rascheln, als alle sich setzten. Hale fand seinen Platz und nutzte die Gelegenheit, um von seinem Sandwich abzubeißen und es mit einem Schluck heißen Kaffees herunterzuspülen. Er schaute sich um und bemerkte, dass eine gewisse Erwartung in der Luft lag. Er fragte sich, was wohl der Grund dafür sein mochte.

„Okay“, sagte Blake und ging am Planungstisch vorbei zum Podium. Es stand vor einer großen weißen Leinwand. „Die Situation heute ist einmalig und wir müssen uns beeilen. Aber bevor wir anfangen, gibt es etwas, das Sie sehen sollten.“ Das Licht wurde gedämpft und das Projektionssystem angeschaltet. Die Qualität des Films war nicht besonders gut.

Er sah aus, als wäre er spät am Tage aufgenommen worden, mit wenig Licht. Schnee wirbelte vor der Kamera und machte es noch schwieriger für den Zuschauer, zu erkennen, was er da eigentlich sah. In der Mitte des Bildschirms stand etwas im Fokus, das viele Menschen als Hügel bezeichnet hätten – ein wenig bemerkenswerter Hügel, abgesehen von der Art, wie er aus der umliegenden Ebene aufragte. Die übrige Landschaft war nämlich flach wie ein Pfannkuchen.

Hale war in South Dakota geboren, er erkannte die Geographie, die laut seines Naturkundelehrers aus der siebten Klasse ein Lakkolith war. Geschmolzenes Magma war zwischen zwei sedimentäre Gesteinsschichten geflossen und hatte eine dazu gezwungen, sich nach oben zu wölben.

„Sie sehen hier Bear Butte“, bestätigte Blake, während sich die Kamera in Bewegung setzte. „Etwas mehr als 350 Meter hoch und in der Nähe von Sturgis, South Dakota.“

Hale rutschte auf seinem Stuhl hin und her und fragte sich, warum der Major ihrer aller Zeit mit einem nicht besonders außergewöhnlichen Stück Landschaft verschwendete. Er griff nach seinem Essen, als Blake weitersprach. „Und hier, wenn wir auf die andere Seite sehen, finden wir das Wrack eines Bestien-Shuttles.“

Das erntete Hales ungeteilte Aufmerksamkeit, und er legte den Rest seines Brotes ab.

Das Luftfahrzeug der Bestien befand sich im oberen Bereich des Hügels, knapp unterhalb der schneebedeckten Kuppe. Obwohl der Rumpf intakt war, konnte man große Trümmerteile sehen. Es gab allerdings keine Anzeichen einer Explosion oder von einem Brand nach dem Aufschlag. Das war viel versprechend.

„Diese Aufnahmen wurden gestern gemacht. Wir wissen nicht, was mit dem Shuttle passiert ist“, erklärte Blake, der mit seinem Pointer auf das Bild der Absturzstelle tippte. „Vielleicht gab es irgendein mechanisches Problem, oder es waren die Wetterbedingungen gestern Abend – wir gehen davon aus, dass der Unfall dann passierte. Es ist möglich, dass der Pilot den Hügel nicht sah, bis es zu spät war. Was auch immer die Ursache war, wir haben Glück, denn wenn wir schnell genug ein Team dorthin bekommen, können wir das Wrack nach Bestientechnologie durchsuchen. Sowas wird uns dabei helfen, die Bastarde zu besiegen.

Aber wir müssen schnell sein“, fügte er hinzu, „denn die Wanzen kennen unsere Bergungsstrategien und werden wahrscheinlich irgendeine Freakshow auf dem Hügel abziehen, um die Absturzstelle zu sichern.“

An diesem Punkt drehte sich Blake und wies mit der Hand zu den beiden Männern am Planungstisch.

„Bitte begrüßen Sie Captain Anton Nash im Team. Er wird die Mission befehligen – und ich schicke Lieutenant Hale als Backup. Der Rest des Teams besteht aus zwei Squads, jedes angeführt von einem Unteroffizier. Sie brechen um 0630 auf. Noch Fragen?“

Es gab in der Tat noch Fragen, zumindest für Hale, obwohl er sie nicht laut stellen wollte. Hatte der Major seinen Verstand verloren? Nash war grüner als Gras. Jeder konnte das sehen. Und hier standen Menschenleben auf dem Spiel.

Deshalb wartete Hale, bis die Stabsoffiziere damit fertig waren, sich gegenseitig mit Fragen und Kommentaren zu löchern. Als sich der Lärm gelegt hatte und die Gruppe aufbrach, klemmte er sich an Blakes Seite. „Sir? Haben Sie kurz Zeit?“

Blake grinste bitter. „Sagen Sie’s mir nicht – lassen Sie mich raten. Sie sind sauer, weil Sie Nash unterstellt sind.“

Ein Muskel zuckte in Hales linker Gesichtshälfte. „Darf ich offen sprechen, Sir?“

Blake seufzte. „Das wird mir vermutlich leid tun, aber bitte, Erlaubnis erteilt.“

„Ich finde das zum Kotzen, Sir. Meine Männer verdienen einen Offizier mit Kampferfahrung.“

„Und sie haben einen“, erwiderte Blake spitz. „Sie! Was Nash angeht, da haben Ihre Männer Glück, dass sie den haben. Statt reinzurauschen und die Stelle zu sichern, damit die Jungs von der Technik alles nach Artefakten abgrasen können, wie sie das in der Vergangenheit gemacht haben, wird es bei dieser Mission ganz anders laufen.“

Hale wollte etwas einwenden, aber der Major hob die Hand, um ihn verstummen zu lassen.

„Denken Sie drüber nach. Sagen wir mal, einer von Ihren Jungs wühlt im Bestien-Shuttle, und es ist randvoll mit Zeug, das irgendwie cool aussieht, aber dann werden sie angegriffen. Was sollen sie mitnehmen? Die Kiste mit den meisten Tasten? Vielleicht kommen Sie dann mit dem Bestien-Äquivalent eines Toasters nach Hause! Das ist uns schon zu oft passiert, weil wir nicht darauf vorbereitet waren, die Gelegenheit richtig auszunutzen.

Das ist eine ernste Sache, Hale. Die Freaks sind uns in Sachen Technologie weit voraus, und wir hinken immer bloß hinterher. Nash sieht nach nichts aus, aber er ist klüger als wir beide zusammen. Er weiß mehr über die Technologie des Feindes, als wir zwei jemals vergessen können, und wenn es hart auf hart kommt, wird er wissen, welche Kiste er mitnehmen soll. Also geht er, und Sie werden das Beste daraus machen. Haben wir uns verstanden?“

„Sir, ja, Sir“, antwortete Hale steif.

„Gut. Und jetzt Marsch. Die Zeit läuft“, antwortete Blake. Dann wurde sein Ton freundlicher. „Passen Sie auf da draußen. Sie sind vielleicht nicht so klug wie Nash, aber gelegentlich sind Sie ganz nützlich.“

Das Mech-Deck, wie die Sentinels es nannten, war eine riesige Halle, in der Reihen greller Lichter die Sonne vertraten, die eiskalte Luft war schwer von den kombinierten Gerüchen von Flugbenzin, Öl und Auspuffgasen. Maschinen röhrten, Kettenzüge ratterten und Elektrowerkzeuge kreischten, während aus den unvermeidlichen Lautsprecherboxen ständig unverständliches Gemurmel tönte. Die Atmosphäre war chaotisch für jeden, der nicht daran gewöhnt war, und das schloss Captain Nash ein.

In seinem Eifer, alles richtig zu machen, stand Nash bereits neben dem großen zweimotorigen VTOL, als die Sergeants Kawecki und Alvarez erschienen. Beide führten ein Squad Sentinels an. Jeder Soldat trug I-Packs über weißer Winteruniform und war bis an die Zähne bewaffnet – mit zwei Feuerwaffen, einer Auswahl an Granaten und so viel Munition, wie sich vertreten ließ. Das war eine Balance, die sich aus praktischer Erfahrung entwickelt hatte, da zu viel Gewicht sie langsamer machen würde.

Nash hoffte, Punkte zu sammeln, weil er so früh war, aber Kawecki und Alvarez interpretierten seine Anwesenheit als einen Mangel an Vertrauen. Schließlich war es ihr Job, dafür zu sorgen, dass die Männer fertig waren, bevor die Offiziere auftauchten.

Die Unteroffiziere sagten kein Wort, aber Nash spürte ihre Ablehnung, obwohl er keine Kränkung beabsichtigt hatte.

Alles, was er tun konnte, war neben seiner Werkzeugtasche zu stehen und sich nutzlos zu fühlen, während Container mit Bergungsausrüstung, C-Rationen und anderen Gerätschaften ins Flugzeug verladen wurden. Gelegentlich schaute ein Soldat hoch und grinste. Nash folgte dem Blick eines Mannes und erkannte, dass er direkt unter einem riesigen glubschäugigen Cartoon-Mädchen namens Betty Boop stand. Doch ehe er sich wegbewegen konnte, tauchte Lieutenant Hale auf.

Hale war selbst Sergeant gewesen und kannte daher das Theater, wenn es darum ging, sich auf eine Mission vorzubereiten. Und er kannte die Rolle, die er spielen sollte. Also ging er exakt um 0615 über den Öl verschmierten Beton auf den Punkt zu, an dem ein unbeholfener Anton Nash wartete. Hale warf einen Blick in die ausdruckslosen Gesichter der Sergeants und war sich ziemlich sicher, dass er die Situation richtig einschätzte. Er ging bewusst zuerst auf Nash zu und salutierte perfekt, wie auf dem Exerzierplatz.

„Guten Morgen, Sir. Sieht so aus, als wären wir abmarschbereit. Wenn es Ihnen recht ist, sollten wir uns jetzt das Team ansehen.“

Nashs Erleichterung war deutlich spürbar. Er erwiderte den Gruß.

„Das wäre mir recht, Lieutenant. Danke.“

Nash beobachtete interessiert, wie den Soldaten befohlen wurde, ihre Ausrüstung paarweise gegenseitig zu überprüfen, während Hale die Reihen abschritt, dicht gefolgt von den beiden Sergeants. Mit der Ausnahme eines Mannes, der zu viel Munition bei sich hatte, und eines Soldaten, dessen I-Pack mangelhaft war, bestanden alle Sentinels die Inspektion.

Um 0628 bestieg das Bergungsteam den Flieger. Der Soldat mit dem fehlerhaften I-Pack trug ein neues, und alle Sentinels schnallten sich auf ihren Plätzen an.

Nash fühlte das dringende Bedürfnis zu gähnen und versuchte es zu verstecken – und das mehr als nur einmal. Er hätte eigentlich total aufgedreht sein müssen und ein Adrenalin-High haben sollen, aber aus irgendeinem Grund war er müde. Vielleicht war das ein gutes Zeichen. Vielleicht bedeutete es, dass er nicht so nervös war, wie erwartet. Und vielleicht würde es ihn ruhig und selbstbewusst aussehen lassen. Zumindest hoffte er das.

Bei einem anderen wäre das Gähnen vielleicht ein Zeichen souveräner Gelassenheit gewesen, jene Art von Offizier, die auf dem Weg zum Gefecht noch ein Nickerchen macht. Aber Hale wusste es besser. Teilweise, weil er selbst wirklich gern gegähnt hätte und weil er wusste, dass es ein Zeichen von Angst war.

Was – wenn man darüber nachdachte – die logische Reaktion auf diese Situation war.

Ein plötzlicher Ruck sorgte dafür, dass er sich festhielt, als der motorisierte Schlepper die Betty Boop auf einen der vier Fahrstühle im Zentrum des Mech-Decks zog. Dann, befreit von seiner Last, summte der kleine Traktor davon. Es gab ein lautes Klacken, als der Öffnungsmechanismus anlief, ein Tor schob sich weit über ihnen auf und die Plattform hob sich langsam. Das Licht wurde schwächer, als sie die künstlichen Sonnen zurückließen und die Rollbahn erreichten.

Ein lautes Rattern war zu hören, als die Maschinen des VTOLs gestartet wurden, schnell gefolgt von einem heiseren Dröhnen, als die beiden Sternmotoren zum Leben erwachten. Das ganze Flugzeug begann zu vibrieren. Tageslicht und kalte Luft strömten in das Frachtdeck, als der Lift die Betty Boop an die Oberfläche brachte.

Die SRPA-Basis 6 war 1934 unter strengster Geheimhaltung unter General Arthur L. Pratt, Senator Robert Crowe und Dr. Fjodor Malikov konstruiert worden, in der Nähe des alten Fort Niobrara in Nebraska. Hunderttausende Tonnen Erdreich und Fels waren bewegt worden, um für die Untergrundbasis Platz zu schaffen. Das Material hatte man nicht fortgeschafft, sondern zur Errichtung eines 15 Meter hohen Walls genutzt, der die Basis umgab und alle erdenklichen Arten von Verteidigungswaffen beherbergte.

Vor Kurzem, als Reaktion auf die SRPA-Direktive 1140.09, hatten die Arbeiten an einem äußeren Graben begonnen, der mit AvGas gefüllt und dann in Brand gesteckt werden konnte, falls es nötig werden sollte. Man brauchte nicht viel Fantasie, um sich den Grund für eine solche Maßnahme zu denken.

Die Motoren des VTOLs schwenkten für den Start nach oben, und als der Pilot sie mit mehr Treibstoff fütterte, begann das Flugzeug noch stärker zu vibrieren. Dann, als sich das Fahrwerk vom Boden löste und Schneeflocken durch die Seitentüren hereinwehten, erhaschte Hale noch einen Blick auf die karge Oberflächenbasis. Nicht sein letzter, wie er hoffte, als die Motoren nach vorne schwenkten und der Senkrechtstarter mit einem Ruck gen Norden zuckte.

Bear Butte war etwa 190 Kilometer entfernt, die Spitzengeschwindigkeit der Betty Boop lag bei knapp 480 Stundenkilometern, also ging Hale davon aus, dass sie in einer halben Stunde wieder festen Boden unter den Stiefeln haben würden. Bei der niedrigen Wolkendecke und geringer Sichtweite war die Maschine von oben relativ sicher, aber sie mussten tief über ein Gebiet fliegen, in das die Bestien schon teilweise eingedrungen waren. Und das bedeutete, das Flugzeug war durch Bodenfeuer angreifbar. Dieses Risiko konnten sie nicht vermeiden, es gab keine andere Möglichkeit, den Butte vor dem Feind zu erreichen.

Er hoffte jedenfalls, dass sie nicht schon zu spät dran waren.

Hale schielte rüber zum Mittelgang, wo Captain Nash saß. Er sah, wie sich ein Auge des Mannes in nervösen Zuckungen schloss, und hoffte, dass es kein anderer bemerkt hatte. Das VTOL wurde durchgeschüttelt, als ein plötzlicher Seitenwind den Rumpf traf. Der Richtschütze an der Tür schlang sich einen langen Schal um den Hals und die Sekunden tickten davon.

Die Missionszeit lief.

Es war klar, dass Hale nicht viel von ihm erwartete. In gewissem Sinne war das sogar von Vorteil, denn es bedeutete, dass Nash nicht die Führungskraft spielen musste, die er gar nicht war.

Der Wissenschaftler dachte nicht weiter über seinen Mangel an militärischer Erfahrung nach, sondern konzentrierte sich auf die Mission. Sie würden Technologie sicherstellen, die den Vereinigten Staaten dabei helfen würde, den Krieg zu gewinnen.

Und wenn sie das fanden, was sie erwarteten, dann war das nicht nur irgendwelche Technologie. Nach dem zu urteilen, was man von dem abgestürzten Flugzeug sehen konnte, hofften sie auf etwas, dass die SRPA als „Alpha-Artefakte“ bezeichnete – Bestien-Ausrüstung, die den Wissenschaftlern in New Mexico helfen würde, die Geheimnisse der Kernspaltung, vielleicht sogar der Kernfusion zu lösen. Das würde den Weg für unglaublich mächtige neue Waffen ebnen.

Darüber sinnierte Nash nach, als er von einer unbekannten Stimme aus seinen Tagträumen gerissen wurde, die aus dem Stöpsel in seinem Ohr zu ihm sprach.

„Hier spricht der Pilot … noch fünf bis zum Ziel. Achtet darauf, nichts zurückzulassen. Offensichtliche Ausnahmen sind leichte Mädchen von zweifelhaftem Ruf und Träger mit Schlitz-Bier, die möglicherweise an Bord sein könnten.“

Die Ankündigung sorgte für Lacher, Rufe und laute Pfiffe, bis Kawecki und Alvarez ihre Männer wieder unter Kontrolle brachten und dann die Checkliste durchgingen, um sicherzustellen, dass alle kampfbereit waren. Nachdem die Überprüfung zu ihrer Zufriedenheit abgelaufen war, machten sie Meldung an Hale.

„Squad 1 ist bereit, Sir“, sagte Kawecki forsch.

„So wie Squad 2“, meldete Alvarez.

„Vielen Dank, Gentlemen“, erwiderte Hale. „Laden und sichern!“

Hales Befehl folgte eine Serie von Klick- und Zischlauten, als irdische und Bestienwaffen gefechtsbereit gemacht wurden. Sie waren so verteilt worden, dass gleichzeitig die Fähigkeiten des Einzelnen und der Nutzen für das Team im Kampf gegen viele verschiedene Gegnerarten berücksichtigt wurden.

Dieser Gedanke wog schwer auf Nash, der seinen Karabiner überprüfte, den er mit dem Lauf nach oben zwischen seine Knie geklemmt hatte. Würde er damit schießen müssen? Würde er sich daran erinnern, wie das ging? Es war nicht genug Zeit gewesen, um ihm mehr als das allernötigste Grundlagentraining zu geben. Er hob die Waffe, schob eine Patrone in die Kammer und ließ die Sicherung an, als er sie wieder ablegte.

Nash schielte über den Gang zu Hale und meinte, ein kaum wahrnehmbares Nicken zu sehen, der Anfang von etwas, das ein Lächeln sein könnte. Es hätte auch ein Zeichen von Herablassung sein können, aber Nash glaubte nicht, dass es so gemeint war. Der andere Offizier schien nicht auf diese Weise zu funktionieren. Also antwortete er mit einem jungenhaften Grinsen.

Plötzlich und zum ersten Mal fühlte Nash sich als Teil des Teams. Aber sein Blut gefror, als er die nächsten Worte des Piloten hörte.

„Oh oh, sieht so aus, als wären die Stinker zuerst angekommen! Oben auf dem Butte schwärmen die Hybriden wie die Fliegen.“

Nash löste seinen Gurt und stand von seinem Sitz auf, ohne wirklich darüber nachzudenken. Als das VTOL einen weiten Bogen flog, machte der Steuerbordschütze Platz und Nash steckte sein Gesicht in den eiskalten Flugwind.

Er konnte die schneebedeckte Hügelkuppe sehen, den Punkt, an dem das Shuttle in den felsigen Abhang gerammt war, und die große Gruppe von Bestien, die sich abseilten, so schnell es unter diesen Bedingungen ging. Das Shuttle war an einem Punkt niedergegangen, der keinen leichten Zugang ermöglichte. Es gab kein Anzeichen eines feindlichen Flugzeugs, das die Bestien auf dem Hügel abgesetzt hatte, aber bestimmt hatten sie eins auf Abruf.

„Setzen Sie uns direkt unterhalb vom Wrack ab“, befahl Nash und war überrascht, wie sicher seine Stimme klang. „Neben der kleinen Baumgruppe.“

Hale sah über Nashs Schulter und nickte. Das VTOL konnte sie nicht auf dem Hügel absetzen und es konnte nicht auf dem Gefälle landen, also war der Befehl durchaus sinnvoll. Das Problem war, dass die Bestien nicht nur den Vorteil hatten, dass sie früher angekommen waren. Sie hielten auch noch das höher liegende Gebiet, wodurch sie ungestraft auf die Sentinels unter sich schießen konnten.

Aber es ging nicht anders, erkannte Nash, als die Bestien das Feuer auf das VTOL eröffneten. Sie schickten Serien von Tracers hoch, um das Flugzeug vom Himmel zu holen.

In der Zwischenzeit schwenkten die Motoren des VTOL in die Vertikale und der Pilot ging über dem Landeplatz runter. Projektile prallten mit Ping! und Bang! vom Rumpf ab. Die Sentinels lösten ihre Gurte und beeilten sich, aus der Maschine zu kommen, sobald das Fahrwerk festen Boden erreichte. Kawecki trieb seine Männer zur Eile an. „Worauf zur Hölle wartet ihr noch?“, bellte er. „Eine verdammte Einladung? Raus aus diesem Eimer und sucht euch ’ne Deckung.“

Nash wollte dem Rest des Teams in die eisige Landschaft folgen. Doch er konnte sich nicht bewegen. Seine Beine wussten, was zu tun war, aber das machte keinen Unterschied. Sie weigerten sich, seinen Befehlen Gehorsam zu leisten.

Hilflos sah er dabei zu, wie die Männer ihn ignorierten und an ihm vorbeizogen. Als der letzte raussprang, schlug ein Bestien-Projektil durch die Hülle des VTOL und flog zwei Zentimeter an Nashs Nase vorbei. Das erschreckte ihn noch mehr, genug, dass sich seine Füße wieder in Bewegung setzten und ihn aus der Tür beförderten. Aber nicht, bevor er seine schwere Tasche packen und ins Freie werfen konnte.

Hale war als einer der ersten Soldaten draußen. Er ging in die Hocke und verschaffte sich schnell einen Überblick, während die Projektile um ihn herum kleine Krater in den Boden rissen. Sein Blick blieb an einer Gruppe von Bäumen hängen und er gestikulierte seinen Männern.

„Da hin!“, schrie er und zeigte auf das dichte Nadelholz.

„Geht in Deckung!“

Ein Mitglied des Teams, ein Soldat namens Lang, wurde getroffen und von seinen Kameraden in die relative Sicherheit der Bäume geschleppt. Ein Sanitäter kümmerte sich sofort um die Beinwunde, die bereits von selbst angefangen hatte zu heilen.

Hale wollte gerade zu den Bäumen sprinten, als er sah, dass Nash eine Tasche aus dem Frachtraum des VTOL warf. Statt einer der ersten zu sein, die das Flugzeug verließen, war Nash der Letzte. Hale fluchte und rannte zu ihm, schnappte sich die schwere Tasche und führte seinen befehlshabenden Offizier zu der Baumgruppe.

Die Motoren heulten auf und die Propeller erzeugten einen Schneesturm. Das Flugzeug hob ab.

„Lasst mich wissen, wann der Spaß hier vorbei ist“, sagte der Pilot in seinem Ohr. „Dann komme ich wieder und hole euch ab.“ Mit einem Kippen der Motoren war das VTOL verschwunden.

Hale und Nash beendeten ihren Sprint zu den Bäumen. Zu diesem Zeitpunkt war der Rest des Teams schon dabei, Verteidigungspositionen zu errichten.

„Was ist da überhaupt drin?“, fragte Hale und ließ die Tasche neben Nash fallen. „Ein Haufen Steine?“

Er machte sich nicht die Mühe, die Anrede „Sir“ hinzuzufügen, aber Nash schien das nicht zu bemerken. Statt Hale zurechtzuweisen, beantwortete er einfach die Frage. „Werkzeuge. Bestienwerkzeuge. Wenn wir etwas Wertvolles finden, müssen wir es – was auch immer es ist – vom Shuttle abtrennen. Und das so schnell wie möglich.“

Das ergab Sinn, dachte Hale und fühlte sich dumm, dass er gefragt hatte. Doch dann schob er den Gedanken beiseite und schätzte die Lage ein.

Das Wrack war etwa 250 Meter über ihnen. Die Bestien waren verdammt nah dran und hatten alles ziemlich gut unter Kontrolle. Mit einem lauten Krachen traf ein großkalibriges Projektil den Baum, neben dem Hale stand, Splitter und Schnee prasselten auf ihn ein.

„Sergeant Kawecki … Sergeant Alvarez“, sagte Hale über Funk, „Machen wir uns mit den Fareyes an die Arbeit. Oder werdet ihr etwa gern beschossen?“

Das sorgte für ein paar Lacher, und die besten Scharfschützen des Teams machten sich an die Arbeit. Innerhalb weniger Minuten wurde das feindliche Sperrfeuer immer wieder vom regelmäßigen Krachen der Scharfschützengewehre unterbrochen.

Hale ging nach vorn, um eine bessere Aussicht auf den Hügel zu bekommen, und Nash folgte ihm. Kaum angekommen, entdeckte Hale eine lange Reihe von Felsen, die das untere Ende eines schneebedeckten Abhangs markierten und ein gutes Versteck boten. Durch das Fernglas folgte sein Blick dem Abhang bis zum Wrack und dem Trümmerfeld. Schon jetzt lag ein halbes Dutzend toter Bestien auf dem blutroten Schnee. Die überlebenden Hybriden waren in Deckung gegangen, aber ab und zu zeigte sich einer, um auf gut Glück auf die Menschen zu feuern. Die meisten zahlten einen hohen Preis für ihren Mut.

„So“, sagte Nash von seiner Position neben Hales rechtem Ellbogen aus. „Sie haben Erfahrung mit so was. Was meinen Sie, wie sollten wir vorgehen?“

Hale zögerte mit der Antwort auf diese Frage, denn schließlich hatte Nash das meiste Lametta auf den Schultern. Er war versucht, ihm die alleinige Führung zu überlassen. Aber das wäre Selbstmord gewesen, und er musste auch an die Männer denken, ganz zu schweigen von der Mission. Also wählte er seine nächsten Worte mit Bedacht.

„Ich glaube nicht, dass wir eine Wahl haben“, sagte er bedächtig. „Sieht so aus, als müssten wir uns den Weg auf den Hügel erkämpfen. Das wird aber nicht einfach – und wir werden viele Verluste in Kauf nehmen müssen.“

Nash zuckte zusammen, als ein verirrtes Projektil mit einem Pfeifen an seinem Ohr vorbeisauste und einen der Felsen traf.

„Sie wissen das natürlich am besten“, sagte Nash und senkte sein Fernglas, „aber vielleicht gibt es noch einen anderen Weg.“

„Wirklich?“, meinte Hale sarkastisch. „Und wo könnte der sein?“

Nashs Auge zuckte nervös und er kämpfte mit sich, um seine Stimme ruhig zu halten.

„Sie haben das Wrack gesehen, Lieutenant. Es liegt auf einem Bett aus schneebedecktem Geröll. Der Schnee ist rutschig, so wie auch die ganzen Granitbrocken. Das können wir vielleicht zu unserem Vorteil ausnutzen. Was wäre, wenn Sie Ihre Männer mit diesen LAARK-Dingern unmittelbar unter das Wrack schießen lassen? Das könnte einen Erdrutsch auslösen, der das Shuttle mindestens den halben Hügel nach unten befördern würde.“

Hale starrte ihn einfach nur an. Es gab einen Moment der Stille, unterbrochen nur vom periodischen Krachen der Scharfschützengewehre und dem gelegentlichen Pfeifen eines Querschlägers. Er rang volle fünf Sekunden mit der Idee. „Klingt ziemlich gewagt, Sir“, sagte er zögerlich. „Ist aber den Versuch wert.“

Nash lächelte, und ein weiteres Mal sorgte ein unwillkürliches Muskelzucken dafür, dass er ihm zuzwinkerte.

Ich wünschte, er würde damit aufhören, dachte Hale.

„Gut. Freut mich, dass Sie das denken.“

Das Team war mit zwei L209 LAARK-Raketenwerfern ausgerüstet. Es dauerte fast zehn Minuten, die Soldaten mit diesen Waffen zu finden, sie am Fuß der Rutschbahn in Position zu bringen und sie genau zu instruieren. Es schneite inzwischen heftiger, was die ohnehin schon eingenebelte Absturzstelle noch schlechter sichtbar machte. Hale fühlte die Dringlichkeit der Lage, als er sich zwischen die Männer kniete.

„Zielt auf einen Punkt fünf Meter unter dem Wrack“, erklärte er ihnen, „und feuert auf drei. Sobald die ersten Raketen auf dem Weg sind, sofort nachladen – und den nächsten Schuss vorbereiten. Aber nicht abdrücken, bevor ich es sage. Verstanden?“

„Ja, Sir“, antworteten beide Soldaten gleichzeitig.

„Gut“, sagte Hale, „jetzt sucht das Ziel. Sagt Bescheid, wenn ihr soweit seid.“

Zehn Sekunden vergingen, während die Männer sorgfältig zielten.

„Bereit, Sir“, sagte der Linke, schnell gefolgt von dem rechten Soldaten.

„Also auf drei“, sagte Hale. „Eins, zwei und drei.“

Es gab ein lautes Wuuusch, gefolgt von einem weiteren, nur einen Sekundenbruchteil später. Zwei Raketen jagten den Hügel hoch. Wenige Augenblicke später schlugen sie in den Abhang ein. Die doppelte Explosion erzeugte ein Geräusch, das wie eine einzige klang und eine Fontäne aus Schnee und pulverisiertem Gestein in die Luft schoss. Nash fühlte die Vibration durch die Sohlen seiner Stiefel.

Aber sobald der Rauch sich legte, sah alles unverändert aus.

Hale warf Nash einen Blick zu, sah die Unsicherheit in dessen Gesicht und drehte sich wieder zurück.

„Versuchen wir es noch mal“, sagte er ruhig. Beide Männer hatten bereits nachgeladen. „Die gleiche Stelle wie gerade eben – auf drei. Eins, zwei und drei!“

Es erklang ein erneutes, doppeltes Wusch, als zwei weitere Raketen davonrasten, gefolgt von sich überlappenden Explosionen. Aber dieses Mal hörte Hale noch etwas anderes.