Halo Band 2: Die Invasion - William C. Dietz - E-Book

Halo Band 2: Die Invasion E-Book

William C. Dietz

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Beschreibung

Nur ein Kreuzer konnte aus der blutigen Schlacht um den Planeten REACH entkommen. An Bord befinden sich die wenigen Überlebenden des Massakers: Captain Keyes, ein paar Hundert Marines und der Master Chief der legendären SPARTANER-Eliteeinheit.Im Orbit über HALO werden die letzten Überlebenden der Reach-Schlacht von den Allianztruppen zur Notlandung gezwungen, wo sie von Feinden umzingelt werden. Es scheint so, als suchten die Außerirdischen etwas, das auf HALO verborgen ist. Die Ringwelt, die von einem längst vergessenen Volk erbaut wurde, hat viele tödliche Geheimnisse, doch eines stellt alle anderen Mysterien in den Schatten. Der Master Chief muss seine versprengten Truppen in ein brutales Wettrennen um HALOS dunkelstes Geheimnis führen - und dessen größte Machtquellen entfesseln.

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Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87, 70178 Stuttgart. Translation copyright © 2009 by Microsoft Corporation. All Rights Reserved. This translation published by arrangement with Ballantine Books, a division of Random House, Inc.

Amerikanische Originalausgabe: „HALO: The Flood“ by William C. Dietz published by The Ballantine Publishing Group. Bungie, Halo, Xbox, the Xbox and Microsoft Logos are either registered trademarks or trademarks of Microsoft Corporation in the United States and/or other countries. Used under license. © 2003, 2008 Microsoft Corporation. All Rights Reserved.

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. No similarity between any of the names, characters, persons and/or institutions in this publication and those of any pre-existing person or institution is intended and any similarity which may exist is purely coincidental. No portion of this publication may be reproduced, by any means, without the express written permission of the copyright holder(s).

Übersetzung: Claudia Kern

Lektorat: Manfred Weinland

Redaktion: Mathias Ulinski, Holger Wiest

Chefredaktion: Jo Löffler

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Satz und eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-8332-1930-6

www.paninicomics.de/videogame

Danksagungen

Mein Dank geht an Steve Saffel, der den Kurs festlegte, an DougZartman,derdieEinzelteilekoordinierte,anEricS.Trautmann, der sie polierte, bis sie glänzten, an Eric Nylund, der den Weg mit Die Schlacht um Reach vorgab, an Nancy Figatner und die Franchise Development Group für ihre Unterstützung und an Jason Jones, der gemeinsam mit dem herausragenden Bungie-Team ein wahnsinnig aufregendes Spiel erschuf.

Prolog

0103 Stunden, 19. September 2552 (militärischer Kalender) UNSC-Kreuzer Pillar of Autumn, Standort unbekannt

Sam Marcus, Technischer Offizier dritter Klasse, fluchte, als ihn das Intercom aus einem unruhigen Schlaf riss. Er rieb sich die brennenden Augen und sah auf die Missionsuhr, die mit der Wand über seiner Koje verschraubt war. Er hatte drei Stunden geschlafen – sein erster Schlaf seit 36 Stunden. Schlimmer noch, denn es war der erste Schlaf, den er überhaupt bekommen hatte, seit das Schiff gesprungen war.

„Verdammt“, murmelte er, „hoffentlich ist das wenigstens wichtig.“

Der Alte hatte, nachdem die Pillar of Autumn Reach mit einem Sprung verlassen hatte, die technische Besatzung mit Dreifachschichten strapaziert. Das Schiff war nach der Schlacht stark beschädigt, und die überlebenden Mechaniker arbeiteten rund um die Uhr, um dafür zu sorgen, dass der alte Kreuzer nicht auseinander fiel. Fast ein Drittel der technischen Besatzung war während der Flucht von Reach ums Leben gekommen, und sämtliche Abteilungen arbeiteten mit Minimalbesetzung.

Alle anderen wanderten natürlich in den Kühlschrank – das nicht benötigte Personal konnte sich während eines Slipstream-Sprungs immer ein Eisnickerchen gönnen. Marcus hatte es trotz über zweihundert Kampfmissionen auf weniger als 72 Stunden Kryolagerung gebracht. Jetzt war er jedoch so übermüdet, dass er für ein wenig ununterbrochenen Schlaf sogar die unangenehme Wiederbelebung in Kauf genommen hätte.

Natürlich konnte er sich eigentlich nicht beklagen. Captain Keyes war ein brillanter Taktiker, und jeder an Bord wusste, wie knapp sie der Zerstörung entgangen waren, als Reach dem Feind in die Hände fiel. Eine wichtige Raumfahrtbasis war vernichtet worden, und Millionen starben, als die Allianz den Planeten verbrannte. Damit hatte sich eine der letzten Verteidigungsanlagen der Erde in Leichen und geschmolzenen Stein verwandelt.

Alles in allem hatten sie verdammt viel Glück gehabt, daraus zu entkommen, aber Sam hatte trotzdem das Gefühl, dass jeder an Bord der Autumn nur von geliehener Zeit zehrte.

Das Intercom summte erneut, und Sam schwang sich aus der Koje. Er drückte auf einen Knopf. „Marcus hier“, knurrte er.

„Tut mir Leid, dass ich dich wecken muss, aber ich brauche dich in Kryo Zwei.“ Cheftechniker Shephard klang erschöpft. „Es ist wichtig.“

„Kryo Zwei?“, wiederholte Sam verwirrt. „Was ist das für ein Notfall, Thom? Ich bin kein Kryo-Spezialist.“

„Ich kann dir nichts Genaues sagen, Sam. Der Captain will nicht,dassdasüberdieKommunikationsanlageverbreitetwird“, antwortete Shephard. Seine Stimme war beinahe ein Flüstern. „Nur für den Fall, dass jemand mithört.“

Sam verzog das Gesicht, während er seinem Vorgesetzten zuhörte. Er kannte Thom Shephard seit der Akademie, aber so grimmig wie in diesem Moment hatte er noch nie geklungen.

„Hör zu“, sagte Shephard. „Ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Das bist nun mal du, ob es dir gefällt oder nicht. Du hast die Kryo-Systeme überprüft.“

Sam seufzte. „Das war vor Monaten … aber: ja.“

„Ich schicke einige Daten auf dein Terminal, Sam“, fuhr Shephard fort. „Die werden ein paar deiner Fragen beantworten. Lade sie auf deinen tragbaren Pad, schnapp dir deine Ausrüstung und komm hier runter.“

„Verstanden“, sagte Sam. Er stand auf, schlüpfte in seine Uniformjacke und trat an sein Terminal. Er aktivierte den Computer und wartete auf Shephards Übertragung.

Dabei fiel sein Blick auf ein kleines Foto, das er an eine Ecke des Monitors geklebt hatte. Sam ließ seine Finger über das Bild gleiten. Die hübsche junge Frau darauf lächelte ihn an.

Das Terminal piepte, als Shephards Sendung eintraf. „Ich empfange die Daten, Chief“, rief er ins Intercom.

Er öffnete die Datei und stutzte, als die Nachricht auf dem Bildschirm erschien.

> DATEI GESICHERT / GEHEIM / NUR FÜR MARCUS, SAMUEL N. / SN: 18827318209-M.

> DECHIFFRIERSCHLÜSSEL: [PERSONALISIERT: „Ellens Hochzeitstag“]

Sein Blick fiel wieder auf das Bild seiner Frau. Er hatte sie seit fast drei Jahren nicht mehr lebendig vor sich gesehen – seit seinem letzten Urlaub auf der Erde. Und er kannte auch niemanden sonst im aktiven Dienst, der seine Familie in den letzten Jahren zu Gesicht bekommen hatte. Der Krieg ließ das einfach nicht zu.

Sam begann sich Sorgen zu machen. UNSC-Angehörige redeten normalerweise nicht über die Menschen, die sie zuhause zurücklassen mussten. Der Krieg lief so schlecht, dass die Moral ganz unten war. Wenn man an die Heimat dachte, machte das die Dinge nur noch schlimmer. Die Tatsache, dass Thom den Sicherheitscode personalisiert hatte, war bereits ungewöhnlich. Dass er Sam dabei an seine Frau erinnerte, passte überhaupt nicht zu Chief Shephard. Irgendjemand war aber offenkundig so sicherheitsbewusst, dass es an Paranoia grenzte.

Er tippte einige Zahlen ein – das Datum seiner Heirat – und begann mit der Entschlüsselung. Innerhalb von Sekunden war der Bildschirm gefüllt mit Schemata und technischen Daten. Seine geübten Blicke glitten über die Datei – und Adrenalin schoss wie ein Blitz durch seinen Körper und fegte jede Müdigkeit hinweg.

„Mein Gott“, sagte er mit plötzlich heiser gewordener Stimme. „Thom, ist das der … ist es wirklich der …?“

„Verdammt richtig. Komm sofort nach Kryo Zwei, Sam. Wir haben hier ein wichtiges Paket, das geöffnet werden muss. Und wir sind bald wieder im Realraum.“

„Schon unterwegs“, sagte er und beendete die Intercom-Verbindung. Seine Erschöpfung war nun endgültig vergessen.

Im Gegensatz zu den von Menschen entworfenen und gebauten Schiffen – bei denen das Kommandozentrum fast immer im Bugbereich lag – gab es bei den Allianzeinheiten einen logischen Aufbau. Ihre Kontrollräume waren im tiefsten Inneren hinter schwer gepanzerten Wänden vergraben, sodass sie allem außer einem direkten, absolut tödlichen Treffer widerstanden.

Die Unterschiede endeten hier nicht. Die Elite umgab sich nicht mit allen erdenklichen Kontroll-Interfaces und den niederen Wesen, die benötigt wurden, um diese zu bedienen. Sie zog es vor, ihr Schiff vom Zentrum einer ästhetisch leeren Plattform aus zu kommandieren, welche von einem Gespinst aus Antischwerkraft getragen wurde.

Daran dachte Schiffsmeister Orna ’Fulsamee jedoch nicht, als er im Kontrollraum seines Zerstörers stand und auf die Daten-Hologramme blickte, die vor ihm projiziert wurden. Eines zeigte die Ringwelt Halo. Der winzige Pfeil daneben markierte den Kurs des Eindringlings. Die zweite Projektion bestand aus einem Schema mit dem Namen MENSCHLICHES KRIEGSSCHIFF, TYP C-11. In einem dritten Hologramm wurden stetig wechselnde Zieldaten und Sensorendaten eingeblendet.

Orna ’Fulsamee kämpfte einen Moment lang gegen seinen Ekel an. Dass diese schmutzigen Primaten überhaupt einen Namen erhalten hatte – dass man sogar ihren minderwertigen Konstruktionen Namen verlieh! – widerstrebte ihm zutiefst. Es war pervers. Namen implizierten Rechtmäßigkeit, und diese Parasiten hatten nur das Recht auf Ausrottung.

Für seine Spezies hatten die Menschen auch „Namen“ gefunden. Man nannte sie „Elite“, während die niederen Völker der Allianz „Jackal“, „Grunt“ und „Hunter“ genannt wurden. Dass diese Kreaturen es wagten, seinem Volk Namen in ihrer harten barbarischen Sprache zu geben, war mehr als nur dreist.

Er versuchte, sich zu fassen. ’Fulsamee rieb seine unteren Mandibeln – was einem Schulterzucken entsprach – aneinander und zitierte im Geiste einen der Wahren Sprüche. Dies ist der Wunsch der Propheten, dachte er. Man hinterfragte solche Dinge nicht, selbst ein Schiffsmeister tat das nicht. Die Propheten hatten den Schiffen der Feinde Namen gegeben, und er würde diesem Wunsch entsprechen. Alles andere wäre eine grobe Pflichtverletzung gewesen.

Wie alle Geschöpfe seiner Art erschien auch dieser Allianz-Offizier durch seine Rüstung größer als er es tatsächlich war. Sie verlieh ihm ein breitschultriges, leicht gebücktes Aussehen. Dies und seine mächtigen vorstehenden Kiefer ließen ihn nach dem aussehen, was er in Wirklichkeit auch war: ein äußerst gefährlicher Krieger. Mit ruhiger und wohl modulierter Stimme beschrieb er die Situation. „Sie müssen einem unserer Schiffe gefolgt sein. Der Schuldige wird gefunden und sofort mit dem Tode bestraft werden, Ehrwürdiger.“

Als ein Windstoß seinen stark umwickelten Körper traf, bewegte sich das Wesen, das neben ’Fulsamee schwebte, leicht. Es trug einen hohen, reich verzierten Kopfschmuck aus Metall, das mit Bernstein abgesetzt war. Der Prophet hatte einen Schlangenhals, einen dreieckigen Schädel und zwei leuchtend grüne Augen, die eine bösartige Intelligenz ausstrahlten. Er trug eine rote Robe, eine goldene Unterrobe und irgendwo verborgen unter all dem Stoff einen Antigravgürtel, der seinen Körper über dem Boden schweben ließ. Obwohl er nur ein Niederer Prophet war, machte seine Körperhaltung deutlich, dass er mehr Macht als ’Fulsamee besaß.

Trotz der Wahren Sprüche erinnerten die Menschen den Schiffsmeister an die kleinen, quietschenden Ratten, die er in seiner Kindheit gejagt hatte. Sofort verbannte er die Erinnerung an blutige Klauen aus seinem Geist und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Propheten und seinem ermüdenden Assistenten.

Der Assistent, der einen niedrigen Rang in der Elite einnahm, trug den Namen Bako ’Ikaporamee. Jetzt trat er vor, um anstelle des Propheten zu sprechen. Er hatte die unangenehme Angewohnheit, das königliche „Wir“ zu verwenden, was ’Fulsamee verärgerte.

„Das ist sehr unwahrscheinlich, Schiffsmeister. Wir bezweifeln, dass die Menschen über die Möglichkeit verfügen, einem unserer Schiffe bei einem Sprung zu folgen. Und selbst wenn sie es könnten, warum schicken sie dann nur einen einzelnen Kreuzer? Nein, wir halten es für wahrscheinlicher, dass das Schiff zufällig in diesem System aufgetaucht ist.“

Die Worte waren voller Überheblichkeit. Das machte den Schiffsmeister noch ärgerlicher, aber er konnte nicht darauf eingehen – zumindest nicht direkt und in Gegenwart des Propheten. Allerdings war ’Fulsamee nicht bereit, ganz nachzugeben.

„So“, sagte er und achtete sorgsam darauf, seine Antwort nur an ’Ikaporamee zu richten. „Sie wollen mir also weismachen, dass die Eindringlinge rein zufällig hier angekommen sind?“

„Natürlichnicht“,erwiderte’Ikaporameeungerührt.„ObwohldieseKreaturennachunserenMaßstäbenprimitivsind,verfügensieüberIntelligenz,unddeshalbwerdensieunterbewusstzurruhmreichenWahrheitundzumWissenderUraltenhingezogen.“

Wie alle Angehörigen seiner Kaste wusste ’Fulsamee, dass die Propheten auf einem Planeten entstanden waren, den die mysteriösen Wahrheitsgeber einst bevölkerten, den sie schließlich aber, aus Gründen, die nur die Uralten selbst kannten, verlassen hatten. Diese Ringwelt war ein gutes Beispiel für die Macht der Uralten … und für ihre Rätselhaftigkeit.

’Fulsamee fiel es trotz der Weisheit der Uralten schwer zu glauben, dass niedere Menschen hierher gezogen worden waren. Doch ’Ikaporamee sprach für den Propheten, somit musste es stimmen. ’Fulsamee berührte die leuchtende Fläche vor seiner Hand. Ein Symbol blinkte rot. „Plasmatorpedos bereitmachen und auf mein Kommando abfeuern.“

’Ikaporamee hob alarmiert die Hände. „Nein! Wir verbieten das. Das Schiff der Menschen ist der Ringwelt viel zu nahe. Ihre Waffen könnten das heilige Relikt beschädigen! Verfolgen Sie das Schiff, kapern Sie es, und übernehmen Sie die Kontrolle. Alles andere ist viel zu gefährlich.“

’Fulsamee war wütend über ’Ikaporamees Einmischung und antwortete zerknirscht: „Die Vorgehensweise, die der Heilige vorschlägt, wird vermutlich viele Opfer fordern. Ist das akzeptabel?“

„Man sollte sich danach sehnen, die körperliche Ebene verlassen zu dürfen“, antwortete sein Gegenüber. „Die Menschen sind bereit, ihr Leben zu opfern – sollten wir mit weniger aufwarten?“

Nein, dachte ’Fulsamee, aber wir sollten danach streben, mit mehr aufzuwarten. Er rieb seine unteren Mandibeln erneut gegeneinander und berührte die Leuchtfläche. „Der letzte Befehl wird aufgehoben. Beladen Sie vier Transporter mit Truppen und starten Sie weitere Kampfflieger. Neutralisieren Sie die Waffen der Eindringlinge, bevor die Kaperschiffe ihr Ziel erreichen.“

Hundert Einheiten weiter hinten, im Inneren des Feuerkontrollzentrums des Zerstörers bestätigte ein Half Commander den Befehl und gab dann seine eigenen Anweisungen. Lichter begannen zu flackern, die Decks vibrierten mit dumpfem Ton, und mehr als dreihundert kampfbereite Allianz-Krieger – eine Mischung aus denen, die die Menschen Eliten, Jackals und Grunts nannten – hasteten an Bord der ihnen zugewiesenen Transportschiffe. Es gab Menschen zu töten, und keiner wollte sich den Spaß entgehen lassen.

SEKTION I

PILLAR OF AUTUMN

Kapitel 1

0127 Stunden (Schiffszeit), 19. September 2552 (militärischer Kalender)

UNSC-Kreuzer Pillar of Autumn, Position unbekannt

Die Pillar of Autumn erbebte, als ihre Titanium-A-Panzerung einen Treffer hinnehmen musste.

Nur eine weitere Waffe aus dem unerschöpflichen Arsenal der Allianz, dachte Captain Jacob Keyes. Kein Plasma-Torpedo, sonst wären von uns nur Moleküle übrig geblieben.

Das Kriegsschiff war von den Allianz-Streitkräften auf Reach stark beschossen worden, und es grenzte an ein Wunder, dass die Außenhülle intakt geblieben war und den Sprung in den Slipstream überstanden hatte.

„Status!“, bellte Keyes. „Was hat uns da getroffen?“

„Allianz-Kampfflieger, Sir. Seraph-Klasse“, antwortete die taktische Offizierin Lieutenant Hikowa. Ihr Porzellanpuppengesicht verdüsterte sich. „Das hinterhältige Schwein muss den Antrieb abgeschaltet und sich an unseren Wachschiffen vorbei geschlichen haben.“

Keyes grinste humorlos. Hikowa war eine hervorragende taktische Offizierin, die im Gefecht keine Skrupel kannte. Sie schien die Taten des Allianz-Piloten als persönliche Beleidigung zu empfinden.

„Lehren Sie ihn das Fürchten, Lieutenant“, sagte er.

Sie nickte und tippte einige Befehle in ihr Kontrollpult – neue Weisungen für die Kampfflieger-Staffel der Autumn.

Einen Augenblick später wurde der Befehl über Funk bestätigt,undeinerderC709-LongswordsderAutumnsetztesichhinter die Seraph. Die Brückenbesatzung jubelte, als sich das kleine außerirdische Schiff in eine kurzlebige Sonne verwandelte, die von einem ganzen Planetensystem aus Trümmern umkreist wurde.

KeyeswischtesicheinenSchweißtropfenvonderStirn.ErüberprüfteseinDisplay.SiehattenvorzwanzigMinutendenRealraumerreicht.ZwanzigMinuten,dochdiePatrouillenderAllianz hatten sie bereits entdeckt und unter Beschuss genommen.

Er wandte sich dem Hauptschirm der Brücke zu und der dort sichtbaren Kugel, die unter dem spezialverstärkten Bug der Autumn hing. Ein purpurfarbener Gasriese bildete einen spektakulären Anblick. Einer der Longswords glitt auf seiner Patrouille daran vorbei.

AlsKeyesdasKommandoüberdiePillarofAutumnerhielt,hatteihndergroße,kuppelförmigeBildschirmderBrückeskeptisch gestimmt. „Der Kampf gegen die Allianz ist schon schwierig genug“, hatte er zu Admiral Stanforth gesagt. „Wieso machen wir die Brücke zu einem so herausragenden Ziel?“

Er hatte das Streitgespräch verloren – Kommandanten gewannen nicht bei Debatten mit Admirälen, und außerdem war nicht mehr genug Zeit geblieben, um den Bildschirm zusätzlich zu sichern. Er musste jedoch zugeben, dass der Ausblick das Risiko beinahe wettmachte. Beinahe.

Geistesabwesend spielte er mit der Pfeife, die er immer bei sich trug, und dachte nach. Es widerstrebte ihm, sich im Schatten eines Gasriesen zu verstecken. Er respektierte die Allianz als gefährlichen und todbringenden Feind, und er hasste sie wegen ihrer Massaker an menschlichen Kolonisten und Soldaten. Er hatte sie jedoch nie gefürchtet. Soldaten versteckten sich nicht vor dem Feind, sie sahen ihm ins Gesicht.

Er ging zurück zur Kommandostation und aktivierte das Navigationsprogramm, berechnete einen Kurs, der tiefer ins System führte und übertrug die Daten an den Navigator, Fähnrich Lovell.

„Captain“, meldete sich Hikowa. „Die Sensoren haben eine feindliche Kampfstaffel auf unserem Kurs entdeckt. Direkt dahinter fliegen Kaperschiffe.“

„Das war nur eine Frage der Zeit, Lieutenant.“ Er seufzte. „Wir können uns hier nicht für immer verstecken.“

Die Autumn schien aus dem Schatten des Gasriesen ins gleißende Sonnenlicht zu gleiten.

Keyes’ Augen weiteten sich überrascht, als das Schiff den Gasriesen hinter sich ließ. Er hatte mit einem Allianz-Kreuzer, Seraph-Kampffliegern oder einer anderen militärischen Bedrohung gerechnet – nicht aber mit einem gewaltigen Objekt, das zwischen dem Gasriesen Threshold und seinem Mond schwebte.

Die Konstruktion war gigantisch. Sie bestand aus einem ringförmigen Körper, der im reflektierten Sternenlicht wie ein von innen beleuchtetes Juwel glitzerte.

Die Oberfläche war metallisch, tiefe geometrische Formen schienen darin eingraviert zu sein. „Cortana“, sagte Captain Keyes. „Was ist das?“

Ein dreißig Zentimeter großes Hologramm erschien über einer Holoplattform neben der Station des Captains. Cortana, die hochmoderne künstliche Intelligenz des Schiffes, hob die Augenbrauen, als sie die Langstreckensensoren aktivierte. Lange Zahlenreihen liefen über die Anzeigen und über Cortanas „Körper“.

„Der Ring hat einen Durchmesser von zehntausend Kilometern“, meldete Cortana. „Er ist zweiundzwanzig Komma drei Kilometer tief. Die Spektralanalyse ist ergebnislos, aber die Muster passen zu keinem bekannten Allianz-Material, Sir.“

Keyes nickte. Diese erste Einschätzung war interessant, sehr interessant, denn die Allianz-Schiffe waren bereits hier gewesen, als die Autumn aus dem Slipstream direkt in ihre Fänge geriet. Als er den Ring entdeckte, hatte Keyes befürchtet, die gigantische Konstruktion gehöre der Allianz. Das hätte deren Überlegenheit nur noch untermauert. Der Gedanke, die Konstruktion könne auch die Möglichkeiten der Allianz übersteigen, war irgendwie beruhigend.

Aber der Gedanke machte ihn auch nervös.

Unter dem schweren Beschuss der gegnerischen KriegsschiffeimEpsilon-Eridani-System–demSystem,indemsichReach, die letzte große Militärbasis der UNSC befand – hatte Cortana keinen anderen Ausweg gesehen, als das Schiff zu einer zufälligen Koordinatenreihe springen zu lassen. Das war eine übliche Vorsichtsmaßnahme, um Allianz-Streitkräfte von der Erde wegzulocken.

Nun schien es, als hätten die Männer und Frauen an Bord der Pillar of Autumn zwar ihre eigentlichen Verfolger abgeschüttelt, jedoch nur, um noch mehr Allianz-Streitkräften hier zu begegnen … wo auch immer hier sein mochte.

Cortana richtete eine Langstreckenkamera auf den Ring und benutzte die Zoomfunktion. Keyes stieß einen lang gezogenen Pfiff aus. Die innere Oberfläche bestand aus einem grünen, blauen und braunen Mosaik. Es gab Wüsten, Dschungel, Gletscher und Ozeane. Weiße Wolken warfen dunkle Schatten auf die Landschaft. Der Ring drehte sich und zeigte einen gewaltigen Wirbelsturm, der sich über einer großen Wasserfläche bildete.

Wieder liefen Berechnungen über den halbtransparenten Körper der KI, dann begann sie die eingehenden Daten auszuwerten. „Captain“, sagte Cortana. „Das Objekt ist eindeutig künstlich. Ein Gravitationsfeld kontrolliert die Drehgeschwindigkeit und sorgt dafür, dass die Atmosphäre im Inneren bleibt. Es ist zwar nicht hundertprozentig sicher, aber ich glaube, dass der Ring über eine Sauerstoff-Stickstoff-Atmosphäre und eine erdähnliche Schwerkraft verfügt.“

Keyes hob eine Augenbraue. „Wer zur Hölle hat diesen Ring gebaut, und was in Gottes Namen soll das eigentlich sein?“

Cortana dachte ganze drei Sekunden über die Frage nach. „Ich weiß es nicht, Sir.“

Scheiß auf die Vorschriften, dachte Keyes. Er nahm seine Pfeife, zündete sie mit einem altmodischen Streichholz an und atmete eine dicke Tabakwolke aus. Die Ringwelt glitzerte auf den Stationsmonitoren. „Dann sollten wir das besser herausfinden.“

Sam Marcus rieb seinen schmerzenden Nacken. Seine Hände zitterten vor Müdigkeit. Der Adrenalinstoß, der ihn durchströmt hatte, als er Chief Shephards Anweisungen entgegennahm, war längst abgeebbt. Jetzt fühlte er sich nur noch müde, erschöpft … und ein wenig ängstlich.

Er schüttelte den Kopf, um wach zu werden und betrachtete den kleinen Beobachtungsmonitor. Jedes Kryodepot war mit einer solchen Station ausgerüstet, einem zentralen Beobachtungsposten, der Hunderte von eisigen Röhren überwachte. Verglichen mit den meisten Räumen des Schiffes war die Beobachtungsstation von Kryo Zwei riesig, aber die Anhäufung von Vitalüberwachungs-Monitoren, Diagnose-Anzeigen und Computerterminals – die unmittelbar mit den einzelnen Kryoröhren verbunden waren – ließen den Raum beengt und unbequem erscheinen.

Ein elektronisches Geräusch ertönte, und Sams Blick glitt über die Statusanzeigen. Es gab nur eine aktive Kryoröhre in diesem Bereich, und ihr Monitor bettelte blinkend um Aufmerksamkeit. Er klickte auf das Instrumentendisplay und aktivierte das Intercom. „Er kommt zu sich, Sir“, sagte er, drehte sich um und schaute aus dem Fenster des Beobachtungsraumes.

Tech Chief Thom Shephard winkte Sam von unten aus Kryolager Zwei zu. „Gute Arbeit, Sam“, rief er. „Wir können das Siegel gleich öffnen.“

Die Statusmonitore übermittelten weiter Informationen an die Beobachtungsstation. Die Körpertemperatur wurde langsam normal – zumindest nahm Sam an, dass sie normal war. Er hatte noch nie einen Spartaner geweckt – und die meisten Chemikalien hatte man bereits aus seinem System gespült.

„Er ist jetzt in der REM-Phase, Chief“, rief Sam, „seine Gehirnwellenaktivität zeigt an, dass er träumt. Das bedeutet, dass er fast wach ist. Sollte nicht mehr lange dauern.“

„Gut“, antwortete Shephard. „Beobachte die Neuro-Anzeigen. Wir müssen auf mögliche Rückkoppelungseffekte achten.“

„Verstanden.“

Auf dem Sicherheitsterminal erstrahlte ein rotes Licht. Eine Reihe von Buchstaben erschien auf dem Bildschirm:

> ERWECKUNGSSEQUENZ BEREIT. SICHERHEITSSCHLÜSSEL [PRIORITÄT ALPHA] AKTIVIERT.

> x-CORTANA.1.0—KRYOLAGER.23.4.7

„Was zum Teufel …?“, murmelte Sam. Er aktivierte erneut das Intercom. „Thom? Irgendwas Seltsames geht hier vor … eine Art von Sicherheitscode, der von der Brücke kommt.“

„Verstanden.“ Es rauschte kurz, als Shephard die Bordzentrale zuschaltete. „Kryo Zwei an Brücke!“

„Ich höre, Kryo Zwei“, antwortete eine weibliche Stimme, die mit den klassischen Schwankungen synthetischer Sprache angereichert war.

„Wir könnten jetzt das Siegel bei unserem … Gast öffnen, Cortana“, erklärte Shephard. „Wir brauchen …“

„… den Code“, beendete die KI den Satz. „Übertragung läuft. Brücke Ende.“

Unmittelbar danach erschien eine neue Textzeile auf dem Sicherheitsschirm:

> ENTSCHLÜSSELE DEN GEHEIMEN SARG.

Sam bestätigte den Befehl, der Sicherheitshinweis verschwand und an seiner Stelle erschien eine Uhr, die den Countdown bis zum Ablauf der Erweckungssequenz anzeigte.

Der Soldat erwachte. Seine Atmung wurde schneller, ebenso sein Herzschlag, bis sich beides normalisierte. Das ist er also, dachte Sam, ein echter Spartaner. Nicht nur irgendein Spartaner, sondern möglicherweise der letzte. In der Gerüchteküche an Bord hieß es, die anderen seien auf Reach ums Leben gekommen.

Sam wusste ebenso wie die anderen Techniker von dem Programm, obwohl er nie zuvor einen echten Spartaner gesehen hatte. Um den stark ansteigenden Unruhen innerhalb der Zivilbevölkerung entgegen zu wirken, hatte die koloniale Militärverwaltung 2491 heimlich das ORION-Projekt in Auftrag gegeben. Im Zuge dieses Programms sollten Supersoldaten, die den Codenamen „Spartaner“ trugen, ausgebildet und körperlich verändert werden.

Dieser erste Versuch war erfolgreich verlaufen, und so wurde 2517 eine neue Gruppe Spartaner, die Serie II ausgebildet, um als Supersoldaten der nächsten Generation zu dienen. Das Projekt sollte eigentlich geheim bleiben, aber der Krieg gegen die Allianz änderte vieles.

Jeder wusste, dass die menschliche Rasse kurz vor der Niederlage stand. Die Schiffe der Allianz und ihre Technologie waren einfach zu fortschrittlich. Menschliche Streitkräfte konnten sich zwar in Bodengefechten behaupten, aber die Allianz zog sich in diesen Fällen einfach zurück und verglaste den Planeten aus dem Orbit heraus mit ihren Plasmawaffen.

Die Lage wurde immer ernster, und die Admiralität sah sich plötzlich einen Zweifrontenkrieg gegenüber. Den einen kämpfte man gegen die Allianz im All, den anderen gegen die zerfallende menschliche Gesellschaft auf den Planeten. Die Öffentlichkeit und das Militär brauchten dringend gute Neuigkeiten, also enthüllte man die Existenz des Projekts SPARTANER-II.

Jetzt gab es endlich Helden, hinter denen man stehen konnte, Männer und Frauen, die den Krieg zum Feind getragen und einige entscheidende Schlachten gewonnen hatten. Selbst die Allianz schien die Spartaner zu fürchten.

Doch bis auf einen waren alle verschwunden, waren gefallen, um die menschliche Rasse vor der Allianz und der Gefahr der Ausrottung zu schützen. Sam betrachtete den Soldaten, der vor ihm lag, beinahe ehrfurchtsvoll. Dies war ein Moment, von dem er noch seinen Kindern erzählen würde, sollte er das Glück haben, zu überleben.

Allerdings hatte er immer noch Angst. Wenn die Gerüchte stimmten, dann war der Mann, der langsam das Bewusstsein wiedererlangte, beinahe so fremd, mit Sicherheit aber so gefährlich wie die Allianz.

Er schwebte im Niemandsland, irgendwo zwischen Kryo und Erwachen, als der Traum begann.

Es war ein vertrauter Traum und einer, der nichts mit Krieg zu tun hatte. Er war auf Eridanus II, der Kolonialwelt, auf der er geboren und die längst von der Allianz zerstört worden war. Er hörte Gelächter um sich herum.

Eine weibliche Stimme rief seinen Namen – John. Einen Moment später wurde er von Armen gehalten, die nach Seife rochen. Die Frau sagte etwas Nettes zu ihm, und er wollte etwas Nettes entgegnen, aber die Worte fielen ihm nicht ein. Er versuchte sie zu sehen, den Nebel zu durchdringen, der ihr Gesicht umgab, und erkannte schließlich eine Frau mit großen Augen, einer geraden Nase und vollen Lippen.

Das Bild waberte und verschwamm wie die Reflektion in einem Teich. Einen Augenblick später hatte sich die Frau vor ihm verändert. Jetzt hatte sie dunkle Augen, durchdringende blaue Augen und blasse Haut.

Er kannte ihren Namen: Dr. Halsey.

Dr. Catherine Halsey hatte ihn für das SPARTANER-II-Programm ausgesucht. Die meisten glaubten, dass die zweite Generation der Spartaner aus den Reihen des UNSC-Militärs ausgesucht worden war; nur eine Handvoll Menschen kannte die Wahrheit.

Zu Halseys Plänen gehörte die Entführung von ausgesuchten Kindern. Die Kinder wurden auf die Schnelle geklont – was die Gefahr neurologischer Erkrankungen bei den Duplikaten erhöhte –, und diese Klone wurden den Eltern zurückgegeben, die niemals erfuhren, dass ihre Söhne und Töchter Doppelgänger waren. In gewisser Weise war Dr. Halsey die einzige „Mutter“, die er je gekannt hatte.

Aber Dr. Halsey war nicht seine Mutter, ebenso wenig wie das blasse, halb durchsichtige Abbild von Cortana, das sie ersetzt hatte.

Der Traum änderte sich. Eine dunkle nebulöse Form lauerte hinter Mutter/Halsey/Cortana. Er wusste nicht, was es war, nur dass es eine Bedrohung darstellte. Dessen war er sich sicher.

Seine Kampfinstinkte meldeten sich, und Adrenalin flutete durch seinen Körper. Mit einem Blick kontrollierte er das Gelände. Es war eine Art Spielplatz mit hohen hölzernen Stangen, der ihm vertraut erschien. Dann entschied er sich für eine Vorgehensweise gegen den neuen Feind. Er entdeckte ein Gewehr, ein wuchtiges MA5B in der Nähe. Wenn er sich zwischen die Frauen und die Bedrohung stellte, würde seine Panzerung den Angriff abfangen, und er konnte das Feuer erwidern.

Er bewegte sich schnell, und der dunkle Schatten brüllte ihm seinen wilden und furchteinflößenden Kriegsschrei entgegen.

Die Bestie war unglaublich behände. Innerhalb von Sekunden war sie über ihm.

Er griff nach dem Gewehr und drehte sich, um das Feuer zu eröffnen, doch entsetzt bemerkte er, dass er die Waffe nicht heben konnte. Seine Arme waren klein und unterentwickelt. Seine Panzerung war verschwunden, und sein Körper war der eines sechsjährigen Kindes.

Er war machtlos im Angesicht der Bedrohung. Er schrie der Bestie seine Angst und Wut entgegen – Wut nicht nur über den Feind, sondern über seine eigene Hilflosigkeit.

Der Traum begann zu verschwimmen, und ein Licht erschien vor den Augen des Spartaners. Gase wirbelten empor und lösten sich auf. Er hörte eine weit entfernte Stimme. Sie war männlich und klang sachlich.

„Tut mir Leid, dass wir Sie so schnell wecken mussten, Master-Chief, aber die Lage ist hier etwas hektisch. Die Desorientierung sollte rasch vergehen.“

Eine zweite Stimme hieß ihn willkommen, und der Spartaner brauchte einen Moment, bis er sich daran erinnerte, wo er sich vor seinem Gang in die Kryoröhre befunden hatte. Da war eine Schlacht gewesen, eine furchtbare Schlacht, in der die meisten, wenn nicht sogar alle seiner Spartaner-Brüder und -Schwestern getötet worden waren. Das waren die Männer und Frauen, mit denen er seit seinem sechsten Jahr aufgewachsen war. Sie waren seine wahre Familie, nicht die kaum erkennbare Frau in seinen Träumen.

Mit der Erinnerung und durch leichte Veränderungen im Gasgemisch, das seine Lungen füllte, kehrte seine Stärke zurück. Er bewegte die steifen Glieder. Der Spartaner hörte, wie der Techniker etwas über „Gefrierbrand“ sagte, richtete sich auf und verließ die eisige Umarmung der Kryoröhre.

„Großer Gott“, flüsterte Sam.

Der Spartaner war riesig, mehr als zwei Meter groß. In seiner perlmuttartigen grünen Rüstung wirkte er wie eine Gestalt aus der Mythologie – fremd und furchteinflößend. Master-Chief SPARTANER-117 trat aus seiner Röhre und betrachtete die Kryokammer. Der verspiegelte Sichtschirm seines Helmes ließ ihn noch furchterregender aussehen. Er war ein gesichtsloser, gefühlloser Soldat, den man geschaffen hatte, um Tod und Zerstörung zu säen.

Sam war froh, dass er sich im Beobachtungsraum aufhielt und nicht mit dem Spartaner in Kryo Zwei.

Ihm fiel ein, dass Thom auf die Diagnosedaten wartete. Er überprüfte die Anzeigen – die Nervenbahnen waren frei, es gab keine Schwankungen im Herzschlag oder der Gehirnaktivität. Er öffnete einen Intercomkanal. „Ich stelle seine Zustandsüberwachung jetzt online.“

Sam sah zu, als Thom den Spartaner zu den unterschiedlichen Teststationen brachte und ihm half, wenn es nötig war. Die Ausrüstung des Soldaten konnten sie auf diese Weise in kürzester Zeit reaktivieren. Die Schildsysteme wurden aufgeladen, die Gesundheitskontrolle aktiviert, die Zielerfassung und die optischen Systeme lagen im grünen Bereich.

DerAnzug,derdenCodenamenMJOLNIR-Panzerungtrug,wareinWunderwerkderTechnik,dasmusstesichSameingestehen.LautderDaten,dieererhaltenhatte,bestanddieAußenhülledesAnzugsauseinervielschichtigenLegierungmitbemerkenswerterWiderstandskraft.DieOberflächestreuteeineganzeMengepunktgerichteterEnergieundesgabeinekristallineSpeichermatrix,dieeineKünstlicheIntelligenzaufnehmenkonnte,dienormalerweisenurRaumschiffenzurVerfügungstand.UnterderOberflächebefandsicheineSchichtauseinemGel,dassich der Haut des Trägers anpasste und die Temperatur regulierte.

Im Körper des Spartaners hatte man zusätzliche Speicherpakete und Nervenbahnen implantiert, und in seinem Schädel befanden sich zwei von außen zugängliche Eingabeslots. All diese kombinierten Systeme dienten dazu, seine Kraft zu verdoppeln, die ohnehin blitzschnellen Reflexe zu verbessern und ermöglichten ihm außerdem, sich auf einem extrem komplexen modernen Schlachtfeld zurechtzufinden.

Es gab zahlreiche medizinische Systeme in der MJOLNIR-Ausrüstung. Die meisten Soldaten betraten die Kryoröhre nackt, da bedeckte Haut normalerweise schlecht auf den Kühlungsprozess reagierte. Sam hatte einmal einen Verband getragen, als er in die Kühltruhe stieg. Als er wieder erwachte, hatte sich die betroffene Hautpartie entzündet gehabt und war voller Blasen.

Die Haut des Spartaners musste extrem weh getan haben, das erkannte er jetzt. Trotzdem schwieg der Soldat, nickte, wenn man ihm eine Frage stellte oder folgte ruhig den Aufforderungen, die Thom an ihn richtete. Es war unheimlich – wie ein Roboter bewegte er sich mit mechanischer Effizienz von einem Test zum nächsten.

Cortanas Stimme erklang über die schiffsweite Kommunikationsanlage. „Die Sensoren melden ein Kaperschiff der Allianz auf Kollisionskurs. Machen Sie sich zur Verteidigung gegen Streitkräfte bereit.“

Sam spürte, wie die Furcht in seinen Körper stach – und dann fühlte er Mitleid für die Allianztruppen, die dem Spartaner im Kampf begegnen würden.

Das neurale Interface, das den Master-Chief mit seiner MJOLNIR-Panzerung verband, funktionierte problemlos und übermittelte sofort Daten an das Display im Helminnern.

Die Bewegung tat dem Master-Chief gut, und er ballte langsam die Hände zu Fäusten. Seine Haut juckte und stach – eine Nebenwirkung der Kryogase, aber er verbannte den Schmerz rasch aus seinem Bewusstsein. Er hatte vor langer Zeit gelernt, sich von körperlichem Unbehagen zu lösen.

Er hörte Cortanas Ansage. Die Allianz war auf dem Weg. Gut. Er suchte den Raum nach Waffen ab, fand jedoch keine. Die fehlenden Waffen bereiteten ihm jedoch keine Sorgen. Er hatte Gegnern schon früher ihre Waffen abgenommen.

Das Intercom meldete sich erneut: „Brücke an Kryo Zwei, hier spricht Captain Keyes. Schicken Sie den Master-Chief sofort auf die Brücke.“

Einer der Techniker wollte widersprechen und wies darauf hin, dass weitere Tests notwendig seien, aber Captain Keyes unterbrach ihn. „Sofort, Soldat!“ Und der Techniker gab die einzige Antwort, die er geben konnte: „Aye, Sir!“

Dann drehte er sich um und sah den Master-Chief an. „Wir werden uns später um Waffen kümmern.“

Der Spartaner nickte und wollte gerade zur Tür gehen, als eine Explosion durch den Kryoraum dröhnte.

Die ersten Schüsse schlugen in die Tür des Beobachtungsraumes. Der Lärm ließ Sam aufspringen. Mit klopfendem Herzen aktivierte er die Notverriegelung. Krachend fuhr eine schwere Metallplatte aus und begann rot zu glühen, als sich die Energiewaffen der Allianz hindurchfraßen.

„Sie versuchen, durch das Schott zu kommen!“, schrie er, bevor er in den Raum hinunterblickte und Thoms entsetzte Miene sah. Im verspiegelten Sichtschirm des Spartaners sah er sein eigenes überraschtes Gesicht.

Sam machte einen Sprung zur Seite und aktivierte den Alarm. Im gleichen Moment explodierte die Sicherheitstür in einem Regen aus Feuer und geschmolzenem Stahl.

Er hörte das Jaulen eines Plasmagewehrs und spürte, wie etwas in seine Brust einschlug. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen, und er tastete nach der Wunde. Seine Hände waren voller Blut. Es tut nicht weh, dachte er. Es sollte doch weh tun, oder?

Er fühlte sich orientierungslos und verwirrt. Er erahnte die Bewegungen gepanzerter Gestalten, die in den Beobachtungsraum stürmten und ignorierte sie, konzentrierte sich stattdessen auf das Bild seiner Frau, das mit seinem Blut besudelt irgendwie auf dem Boden gelandet war. Er fiel auf die Knie und tastete nach dem Foto. Seine Hände zitterten.

SeinGesichtsfeldverengtesich,alsersichnachdemFotoausstreckte.EslagnurwenigeZentimeterentfernt,aberesschien kilometerweit weg zu sein. Er war noch nie so müde gewesen. Der Name seiner Frau hallte durch seine Gedanken.

Sams Finger berührten gerade den Rand des Fotos, als ein gepanzerter Stiefel seinen Arm zu Boden drückte. Lange Klauen hoben das Bild vom Boden auf.

Sam fluchte schwach und sah mühsam zu seinem Angreifer empor. Der Außerirdische – einer der Elite – betrachtete das Bild mit schräg gelegtem Kopf. Dann sah er nach unten, als hätte er Sam vorher nicht bemerkt. Der Mann griff nach dem Bild.

Weit entfernt hörte er Thom schreien. „Sam!“

Der Elitekämpfer richtete sein Plasmagewehr auf Sams Kopf und drückte ab.

DerMaster-Chiefwarbeunruhigt.Allianzkämpferbefandensich in unmittelbarer Nähe, und ein Kamerad war gerade gestorben. Er sehnte sich danach, dem Feind im Beobachtungsraum entgegenzutreten, aber Befehl war Befehl. Er musste sich auf der Brücke melden.

Der Kryotechniker öffnete ein Schott. „Komm schon!“, schrie er. „Wir müssen sofort hier raus!“

Der Master-Chief folgte dem Soldaten durch das Schott in einen Gang. Eine plötzliche Explosion riss die nächst gelegene Tür auseinander und verteilte die Überreste des Technikers über den Korridor. Die Schilde des Chiefs leuchteten auf.

Er rief die Risszeichnungen der Kriegschiffe der Halcyon-Klasse vor seinem geistigen Auge auf und ging den Weg zurück. Er sprang über zwei Energieleitungen und landete in einem schlecht beleuchteten Wartungstunnel, der dahinter lag. Alarmlichter blinkten, Sirenen heulten. Das Donnern einer zweiten Explosion hallte durch den Gang.

Er eilte an einem toten Soldaten vorbei zur nächsten Sektion des Korridors.

Der Master-Chief sah ein Schott, dessen Sicherheitsanzeige grün leuchtete, und lief weiter. Es gab eine dritte Explosion, aber seine Panzerung fing die Wirkung der Sprengkraft ab.

Gewaltsam öffnete der Spartaner eine teilweise geschmolzene Tür, sah eine Öffnung zu seiner Linken und hörte jemanden schreien. Ein Soldat feuerte seine Handwaffe auf ein Ziel ab, das der Master-Chief nicht sehen konnte. Das Deck erbebte, als eine Rakete die Außenwand der Autumn traf.

DerMaster-ChiefducktesichuntereinerhalboffenenTürhindurchundsahgeradenoch,wiederSoldatvoneinemEnergiestoßindieBrustgetroffenwurde.DannerwidertendiemenschlichenVerteidigerdasFeuer.Allianzkämpferwichenzurückundwurdengezwungen,sichindienächsteSektionzurückzuziehen.

Das Chaos regierte, während die Crew ihr Bestes gab, um die Angreifer zu den Luftschleusen zurückzutreiben oder in Sektionen festzunageln, wo man sie später vernichten konnte.

Da er unbewaffnet war und von Captain Keyes dringend auf der Brücke erwartet wurde, blieb dem Master-Chief nichts anderes übrig, als den Markierungen zu folgen und den Schusswechseln, die um ihn herum tobten, aus dem Weg zu gehen. Er schritt einen dunklen Gang entlang – die Allianz hatte wohl die Energieversorgung in diesem Bereich gekappt – und wäre beinahe mit einem Elitekämpfer zusammengestoßen.

Die Schilde des Außerirdischen sprühten Funken, und er schrie überrascht und wütend auf. Der Spartaner wollte den Angriff des Kämpfers abwehren, duckte sich dann jedoch, als Marines den Elitekämpfer mit ihren Feuerstößen eindeckten. Violette Eingeweide klatschte gegen die Wände, dann brach der Außerirdische zusammen.

Die Marines bewegten sich voran, um das Gebiet zu sichern und der Chief nickte dem befehlshabenden Offizier dankend zu. Dann drehte er sich um, lief durch den Gang und erreichte ohne weiteren Zwischenfall die Brücke.

Auf dem Hauptbildschirm sah er die merkwürdige Konstruktion, die vor dem Kreuzer schwebte, und fragte sich für einen Moment neugierig, was das wohl sein könnte. Zweifellos würde der Captain mit ihm darüber sprechen. Er ging zur Kommandostation, die sich in der Mitte der Brücke befand.

MehrereSoldatenbeugtensichüberihreKonsolenundversuchtendasbeschädigteSchiffzuretten.Einigekämpftengegen eine neue Welle von Seraph-Fightern, andere betrieben Schadensbegrenzung, und ein weiblicher Lieutenant kontrollierte die Lebenserhaltungssysteme des Schiffs, um die Atmosphäre aus den Sektionen abzuziehen, die von Allianzkämpfern besetzt wurden. Manche Gegner verfügten über ihre eigene Atemluft, aber andere standen dieser Taktik hilflos gegenüber. In all diesen Sektionen hielten sich Menschen auf, vielleicht sogar welche, die sie kannte, aber sie waren nicht mehr zu retten. Entweder wurden sie von der Frau oder vom Feind umgebracht.

Der Chief verstand die Lage nur zu gut. Besser ein schneller Tod im Vakuum als einer in den Fängen der Allianz.

Er fand Keyes neben der taktischen Station. Der Captain beobachtete die Schirme konzentriert, vor allem eine große Darstellung des seltsamen Ringes.

Der Spartaner nahm Haltung an. „Captain Keyes.“

Captain Keyes drehte sich um und sah ihn an. „Schön, Sie wiederzusehen, Master-Chief. Die Dinge laufen nicht gut. Cortana hat ihr Möglichstes getan, aber wir hatten nie eine wirkliche Chance.“

Die KI hob eine holografische Augenbraue. „Ein Dutzend Allianz-Kriegsschiffe gegen einen einzelnen Kreuzer der Halcyon-Klasse … Trotz dieses starken Widerstands haben wir drei …“ Sie unterbrach sich, wurde von etwas abgelenkt und korrigierte sich dann. „… Verzeihung, vier Abschüsse.“

Cortana sah den Chief an. „Gut geschlafen?“

„Ja“, antwortete er. „Trotz deiner Navigationskünste.“

Cortana lächelte. „Also hast du mich doch vermisst.“

Bevor er antworten konnte, erschütterte ein weiterer Treffer das gesamte Schiff. Der Spartaner hielt sich mühsam an einer Metallstange fest, während andere Soldaten um ihn herum zu Boden gingen.

Keyes bewahrte ebenfalls sein Gleichgewicht. „Bericht!“

Cortana schimmerte bläulich. „Das müssen die Angreifer an Bord gewesen sein. Ich tippe auf eine Antimateriebombe.“

Der Waffenoffizier drehte sich in seinem Sitz. „Ma’am, wir haben keine Kontrolle mehr über das Hauptgeschütz!“

Cortana sah Keyes an. Der Verlust der magnetischen Beschleunigungskanone, der Hauptwaffe des Schiffes, war ein schwerer Schlag für ihre Verteidigung. „Captain, die Kanone war die letzte Trumpfkarte, die wir ausspielen konnten.“

„Ich weiß“, sagte Keyes rau. „Ich leite das Cole-Protokoll, Artikel Zwei ein. Wir verlassen die Autumn. Das betrifft auch dich, Cortana.“

„Während Sie was tun?“, gab sie zurück. „Mit dem Schiff untergehen?“

„In gewisser Weise“, antwortete Keyes. „Ich werde versuchen, die Autumn auf dem fremden Objekt zu landen.“

Cortana schüttelte den Kopf. „Bei allem Respekt … in diesem Krieg gibt es schon genügend tote Helden.“

Der Blick des Captains traf ihren. „Ich danke dir für deine Sorge, Cortana, aber ich habe keine andere Wahl. Das Protokoll ist hier eindeutig: Eine Gefangennahme oder Zerstörung der schiffseigenen KI ist inakzeptabel. Das bedeutet, dass du das Schiff verlassen wirst. Überspiele eine Reihe von möglichen Landegebieten in meine Datenstation.“

Die KI zögerte und nickte dann. „Aye, Sir.“

„Jetzt kommen wir zu Ihrem Beitrag“, fuhr Keyes fort und sah den Spartaner an. „Schaffen Sie Cortana vom Schiff. Schützen Sie sie vor dem Feind. Wenn sie gefasst wird, werden unsere Feinde alles erfahren. Truppenstärken, Waffenforschung.“ Er machte eine kurze Pause. „Die Position der Erde.“

Der Spartaner nickte. „Ich verstehe.“

Keyes sah Cortana an. „Bist du bereit?“

Die KI sah sich ein letztes Mal um. In gewisser Weise war das Schiff wie ein Körper für sie, und es fiel ihr schwer, es zu verlassen. „Raus hier.“

Keyes drehte sich zu einer Konsole, berührte einige Tasten und wandte sich wieder ihnen zu.

Das Hologramm zitterte, dann fiel Cortana in sich zusammen und verschwand. Keyes wartete, bis sich die letzten Reste aufgelöst hatten, bevor er den Datenchip aus dem Sockel entfernte und ihn dem Spartaner zusammen mit seiner Pistole überreichte. „Viel Glück, Master-Chief.“

SPARTANER-117 nahm den Chip entgegen und schob ihn in das neurale Interface in seinem Schädel. Es klickte, dann übermannten ihn die Eindrücke beinahe, als die KI mit dem neuralen Netzwerk seiner Panzerung verschmolz. Im ersten Moment fühlte es sich an, als habe jemand ein Glas Eiswasser in sein Gehirn gegossen. Darauf folgte Schmerz und dann eine vertraute Gegenwart. Kurz vor der Katastrophe auf Reach hatte er schon einmal mit Cortana gearbeitet.

Die Verbindung zwischen Mensch und KI war auf der einen Seite unangenehm, auf der anderen jedoch beruhigend, weil er wusste, zu was Cortana in der Lage war. In den Stunden und Tagen, die vor ihm lagen, würde er sich auf sie verlassen müssen und sie sich auf ihn. Er war wieder Teil eines Teams.

Der Master-Chief salutierte und verließ die Brücke. Die Kampfgeräusche waren lauter geworden und wiesen darauf hin, dass die Kämpfer der Allianz trotz der Bemühungen der Mannschaft weiter vorgedrungen waren. Sie hatten die Luftschleusen hinter sich gelassen und waren bis zum Kommandodeck vorgestoßen.

Rund fünfzig Meter von der Brücke entfernt lagen Körper am Boden. Die menschlichen Verteidiger hatten sie zurückgeworfen, aber dem Chief war klar, dass der letzte Angriff kurz bevorstand. Zu kurz.

Der Master-Chief ging neben einem toten Fähnrich in die Knie, schloss die Augen der Frau und nahm die Munition an sich. Der Captain hatte ihm eine normale Pistole gegeben. Sie feuerte zwölf panzerbrechende 12,7 mm-Geschosse ab, die hochexplosiv waren. Einem Elitekämpfer würde er sich damit nicht entgegenstellen, für einen Grunt würde es jedoch reichen.

Es klickte metallisch, als er die Munition in die Pistole schob. Gleichzeitig tauchte ein blauer Kreis in seinem Helmdisplay auf – die Zielerfassung. Seine Panzerung hatte elektronischen Kontakt mit der Waffe in seiner Hand hergestellt.

Er wusste, dass er mit Cortana das Schiff verlassen musste und lief den Gang entlang. Er hörte seltsame hohe Quieklaute und Gebell, dann erst sah er die Grunts der Allianz. Der erste Außerirdische, der um die Ecke bog, war ein Veteran, was man an der rot abgesetzten Panzerung erkennen konnte. Er trug einen Methantank und den Pistolengurt eines Marines, der über den Boden schleifte. Zwei seiner Kameraden gingen hinter ihm her. Der Master-Chief verbarg sich im Korridor und wartete, bis die affenähnlichen Wesen näher herangekommen waren. Dann eröffnete er das Feuer. Die Kompensatoren in seiner Rüstung dämpften den Rückschlag, trotzdem spürte er, wie die Pistole gegen seine Handfläche schlug. Die drei Grunts brachen durch Kopfschüsse getötet zusammen. Phosphoreszierende blaue Flüssigkeit spritzte über den Boden.

Das war nicht viel, aber es war ein Anfang.

Der Master-Chief stieg über ihre Leichen hinweg und ging weiter. Sein Ziel war ein Rettungsboot, und er war entschlossen, alles zu tun, um auch eines zu finden.

Die Würdelosigkeit betrübte den Elitekrieger namens Isna ’Nosolee, aber da sie zu seinen Befehlen gehörte, wartete er ab, bis die Grunts, Jackals und zwei Mitglieder seines eigenen Volkes durch die Luftschleuse der Menschen gestürmt waren. Erst dann verließ er das Schiff selbst. Obwohl mit einer Plasmapistole und einem halben Dutzend Granaten bewaffnet, war er hier, um zu beobachten und nicht, um zu kämpfen. Das bedeutete, dass der Elitekämpfer gezwungen war, sich auf seine Energieschilde und seine aktive Tarnung zu verlassen. Beides würde ihn am Leben erhalten.

Seine Rolle, mit der er leider nicht sehr vertraut war, bestand darin, als „Ossoona“, als Auge des Propheten zu dienen. Sein Vorgesetzter hatte ’Nosolee erklärt, man müsse erfahrene Offiziere in Situationen bringen, in denen sie Informationen sammeln konnten. Das musste allerdings so früh erfolgen, dass es noch qualitativ hochwertige Informationen zu gewinnen gab.

Die Elite war zwar intelligent und mutig, aber die Propheten hatten den Eindruck, dass ihre Mitglieder dazu neigten, alles in ihrem Weg zu zerstören, sodass ihren Analysten nach der Schlacht kaum Gegenstände zur Auswertung verblieben.

Die Propheten hofften, dass sie durch einen Ossoona unter den Kämpfern mehr über die Menschen erfahren würden. Dazu gehörten Informationen über ihre Waffen und Truppenstärken ebenso wie die Aussicht auf den höchsten Preis, den es zu erringen gab: die Koordinaten ihres Heimatplaneten, der „Erde“.

’Nosolee hatte drei Aufgaben. Er sollte die KI des Schiffes entwenden, hohe Offiziere gefangen nehmen und alles, was er sah mit den Helmkameras aufzeichnen. Die ersten beiden Aufträge würden wohl schwierig zu erfüllen sein, aber zumindest die Videoausrüstung funktionierte reibungslos, womit er seinem dritten Befehl bereits Genüge getan hatte.

Obwohl seine Mission keine Aussicht auf Ruhm barg, verstand ’Nosolee ihren Sinn und wollte den Erfolg. Dann konnte er zumindest zu der regulären Infanterie zurückkehren, bei der er sich zuhause fühlte.

Der Elitekämpfer hörte das rhythmische Knattern menschlicher Waffen, als eine Gruppe ihrer Marines um die Ecke bogen. Sie wurden von Grunts und Jackals verfolgt. Der Ossoona dachte darüber nach, die Menschen zu töten, entschied sich dagegen und presste seinen Körper gegen eine Wand. Keiner der Kämpfer bemerkte die Stelle, an der das Metall leicht verzerrt wirkte und so schlich sich der Spion einige Sekunden später davon.

Die Autumn war voller chromüberzogener Dämonen, die Plasmafeuer ausstießen. Der Master-Chief verfügte jetzt über ein MA5B-Sturmgewehr und rund vierhundert Kugeln einer panzerungsbrechenden 7,62 mm-Munition. In dieser Situation, da jede Menge Munition herumlag, lud er bereits nach, wenn die Anzeige auf unter 10 sank. Jedes andere Verhalten konnte bei ernsthaften Schwierigkeiten zur Katastrophe führen. Daran dachte der Chief, als er das fast leere Magazin wegwarf und ein neues einrasten ließ. Der digitale Munitionszähler seiner Waffe schaltete um, ebenso wie die Anzeige in seinem Helm.

„Wir kommen näher heran“, sagte Cortana irgendwo in seinem Kopf. „Klettere durch das Schott auf die nächste Ebene.“

Der Master-Chief stand plötzlich einem schwarz gekleideten Elitekämpfer gegenüber und eröffnete das Feuer. In dem Gang sah er auch Grunts, aber er wusste, dass die Elite die wahre Gefahr darstellte. Routiniert schickte er dem Außerirdischen drei Feuerstöße entgegen.

Der Elitekämpfer brüllte wütend und erwiderte das Feuer, aber seine Schilde verkrafteten die speziell gehärteten 7,62mm-Projektile nicht, sondern flackerten auf und fielen in sich zusammen. Der kräftige Außerirdische fiel auf die Knie, beugte sich vor und brach zusammen. Die Grunts bellten ängstlich, als sie das Schicksal ihres Anführers sahen, drehten sich um und flohen.

Allein waren die Grunts Feiglinge, aber der Spartaner wusste, was ein Rudel dieser Wesen anrichten konnte. Er eröffnete erneut das Feuer. Außerirdische Körper strauchelten und fielen.

Er ging durch ein weiteres Schott, hörte Gewehrfeuer und wandte sich in diese Richtung. Cortana rief: „Allianz! Auf der Plattform über uns!“

Er lief einige Metallstufen empor und direkt auf die Plattform zu.

Seine Stiefel schlugen auf das Metall, während er ein frisches Magazin in seine Waffe schob und an einem verwundeten Marine vorbeirannte. Der Spartaner erinnerte sich an den Soldaten. Er hatte ihn bei seinem letzten Kampf auf einer der Verteidigungsstationen rund um Reach gesehen. Der Marine presste einen Verband gegen eine Plasmabrandwunde, trotzdem gelang ihm ein Lächeln. „Schön, dass Sie es geschafft haben, Chief. Wir haben ihnen ein paar übrig gelassen.“

Der Spartaner nickte, betrat die Plattform und zielte auf einen Jackal. Die vogelähnlichen Außerirdischen trugen Energieschilde, die nicht den ganzen Körper abdeckten, sondern hochgehalten werden mussten. Der Jackal drehte sich, um auf den verwundeten Marine zu schießen, und der Chief sah seine Chance. Er feuerte auf die ungedeckte Flanke des Außerirdischen. Der Jackal brach tot auf dem Deck zusammen.

Er stieg weitere Stufen empor und stand erneut vor einem Elitekämpfer. Der Außerirdische schrie, lief auf ihn zu und versuchte sein Plasmagewehr wie eine Keule zu schwingen. Der Master-Chief wich dem Schlag aus – er war bereits gegen Elitekämpfer angetreten und wusste, dass sie gefährlich stark waren – und wich zurück. Er richtete das Sturmgewehr auf den Bauch des Außerirdischen und drückte ab.

Der Allianz-Soldat nahm die Kugeln wie ein Schwamm in sich auf. Er lief weiter und holte gerade zu einem weiteren Schlag aus, als die letzte Kugel seine Wirbelsäule durchschlug. Der außerirdische Soldat schlug auf das Deck auf, zuckte einmal und starb.

SPARTANER-117 griff nach einem neuen Magazin. Ein anderer Elitekämpfer brüllte, dann noch einer. Der Master-Chief hatte nicht mehr genügend Zeit, um nachzuladen, also drehte er sich ihnen zu. Er warf das Sturmgewehr zur Seite und zog seine Pistole. Zwei tote Marines lagen neben den Außerirdischen, ungefähr 25 Meter entfernt. Noch in Reichweite, dachte er und eröffnete das Feuer.

Der Anführer der beiden Elitekämpfer zischte, als sich die Kugeln in die Panzerung rund um seinen Kopf gruben. Die Außerirdischen spürten die Bedrohung, die der Spartaner darstellte und feuerten in seine Richtung. Aber das Plasma verdampfte, als es seine Panzerung traf.

Jetzt hatten die Marines endlich die Chance, sich zu sammeln und einen Gegenangriff zu starten. Eine Splittergranate zerriss einen Elitekämpfer und den Jackal, der so dumm war, direkt neben ihm zu stehen. Splitter sirrten über die Stufen und bohrten sich in die Wände.

Der andere Elitekämpfer fiel im Kugelhagel. Er schien förmlich in sich zusammenzufallen. „Genau so soll’s sein!“, brüllte ein Marine und versetzte dem Außerirdischen einen bereits unnötigen Kopfschuss.

DerMaster-Chiefgingweiter,verließdashalbwegskontrollierteGebiet.HintereinemSchotthalferzweiMarinesgegeneineGruppevonGruntsundsetzteseinenWegfort.ErwarmitBlutbesudelt.EswardasBlutvonAußerirdischenundMenschen.DasDeckerbebte,alsdieAutumneinweiteresMalvonderRaketeeinesanderenSchiffesgetroffenwurde.EingedämpftesKlirrenertönte,dannleuchteteeinLichthintereinemFensterauf.

„Die Rettungsboote starten“, meldete Cortana. „Wir sollten uns beeilen!“

„Ich beeile mich ja“, antwortete der Master-Chief. „Ich werde dort sein, so schnell es geht.“

Cortanawollteetwasentgegnen,schwiegdannjedochundhobentschuldigenddievirtuellenSchultern.ObwohldieMenschen voller Fehler waren, hatten sie mitunter auch einmal Recht.

Flight Officer Captain Carol Rawley, die die Marines des Schiffes besser unter ihrem Spitznamen „Foehammer“ kannten, wartete, bis der Grunt um die Ecke gebogen war. Sie schoss ihm in den Kopf, und das kleine, Methan atmende Ungeheuer fiel wie ein Stein zu Boden. Die Pilotin warf einen kurzen Blick in den nächsten Gang, um sicherzustellen, dass er leer war, dann nickte sie den Soldaten hinter ihr zu. „Kommt schon. Weg hier, so lange wir noch können.“

Drei Piloten und ebenso viele Mitglieder des Bodenpersonals folgten Rawley durch den Korridor. Sie war eine große, breitschultrige Frau, und sie bewegte sich entschlossen, aber nicht schnell. Der Plan – wenn man die irre Idee, die sie gehabt hatte, so nennen wollte – bestand darin, sich bis zum Schiffshangar durchzuschlagen, in die als „Pelican“ bezeichneten D77-TC-Landungsboote zu springen und die Autumn zu verlassen, bevor sie in die Konstruktion unter ihnen einschlug. Es würde ein schwieriger Start und eine noch schwierigere Landung werden, aber sie starb lieber am Steuerknüppel ihres Vogels, als ihr Schicksal in die Hände eines der Rettungsboot-Jockeys zu legen. Außerdem konnten sich weitere Transportmöglichkeiten als nützlich erweisen, sollte es jemandem gelingen, das Schiff lebendig zu verlassen.

Das wurde jedoch immer unwahrscheinlicher.

„Sie sind hinter uns!“, schrie jemand. „Lauft schneller!“

Rawley war keine Läuferin, sie war Pilotin. Sie drehte sich um und wollte auf ihre Verfolger schießen, aber im gleichen Moment zischte ein grün leuchtender Plasmastrahl an ihrem Ohr vorbei.

„Scheiß drauf!“, rief sie und stürmte mit neuem Elan weiter.

Die Schlacht tobte immer noch, als ein Grunt namens Yayap eine kleine Gruppe seiner Rasse durch ein halb geschmolzenes Schott führte und ein Massaker entdeckte. Die nächstgelegene Wand war bedeckt von blauem Blut. Patronenhülsen lagen überall herum, und der Berg von Grunt-Leichen zeichnete ein klares Bild ihrer Niederlage. Yayap winselte voller Trauer über seine gefallenen Kameraden.

Dass die meisten Toten Grunts wie er selbst waren, überraschte ihn nicht. Die Propheten benutzten sein Volk seit langer Zeit als Kanonenfutter. Er hoffte, dass sie in ein methanreiches Paradies eingegangen waren und wollte gerade an dem furchteinflößenden Berg vorbeigehen, als einer der Körper stöhnte.

Yayapzögerte,dannwateteergemeinsammiteinemGruntnamensGagawdurchdieblutigenÜberreste.DasGeräuschstammte nicht etwa von einem Grunt, sondern von einem schwarz gepanzerten Mitglied der Elite, einem dieser „von den Propheten gesegneten“ Typen, die diesen schlecht geplanten Überfall leiteten. Gesetz und Tradition verlangten es, dass Yayaps Rasse die Elite als fast gottähnliche Botschafter der Propheten betrachtete, aber die Umsetzung von Gesetz und Tradition wurde auf dem Schlachtfeld flexibel gehandhabt.

„Lass ihn liegen“, riet Gagaw. „Das würde er auch tun, wenn einer von uns verwundet würde.“

„Das stimmt“, sagte Yayap nachdenklich, „aber er ist so schwer, dass wir fünf ihn gemeinsam zum Schiff zurücktragen müssten.“

Gagaw brauchte zehn volle Herzschläge, bis die Genialität der Idee zu ihm durchgedrungen war. „Wir müssten nicht kämpfen!“

„Genau“, sagte Yayap, während um ihn herum die Schlachtgeräusche zunahmen. „Wir verbinden seine Wunden notdürftig, schnappen uns seine Arme und Beine und retten seinen Arsch.“

Eine kurze Untersuchung ergab, dass die Wunden des Elitekämpfers nicht tödlich waren. Ein menschliches Projektil hatte den Gesichtsschutz durchschlagen, war am Kopf vorbeigeschrammt und schließlich gegen die Innenseite des Helmes geprallt. Der heftige Schlag hatte ihm das Bewusstsein geraubt. Abgesehen davon und von einigen kleineren Schnitten und Prellungen, die er sich beim Sturz zugezogen hatte, war er unverletzt. Er würde überleben.

Schade, dachte Yayap.

Zumindest hieß das aber auch, dass er als Fahrkarte zurück auf das Schiff dienen konnte. Zufrieden griffen die Grunts nach den Gliedmaßen des Kriegers und watschelten mit ihrer Last durch den Gang. Ihre Schlacht war geschlagen.

Die Orbital Drop Shock Troopers – die man auch ODST oder „Helljumper“ titulierte – waren dem experimentellen Kraftwerk der Autumn zugeteilt, das aus einer einzigartigen Kette von Fusionsreaktoren bestand.

Es gab zwei Zugänge zum Kraftwerksraum, die beide von einem Titanium-A-Schott geschützt wurden. Sie waren durch einen Steg verbunden und standen noch unter Kontrolle der Besatzung. Die Tatsache, dass Major Antonio Silvas Marines die Körper ihrer Feinde mittlerweile wie Feuerholz stapeln mussten, um freies Schussfeld zu behalten, bezeugte die Effizienz der Männer und Frauen unter seinem Kommando.

Es hatte auch menschliche Opfer gegeben, eine ganze Menge sogar. Dazu gehörte Lieutenant Melissa McKay, die ungeduldig wartete, während der Platoon-Sanitäter „Doc“ Valdez ihren Arm verband. Es gab viel zu tun – und McKay wollte losziehen und damit beginnen.

„Ich habe schlechte Nachrichten für Sie, Lieutenant“, sagte der Sanitäter. „Das Tatoo auf ihrem Bizeps, das mit dem Totenkopf und den Buchstaben ODST, hat es ziemlich schwer erwischt. Sie können sich natürlich ein Neues stechen lassen, aber das vernarbte Gewebe wird die Farbe nicht mehr so gut annehmen.“

McKay wusste, dass der Doc mit seiner lockeren Art versuchte sie von Fawkins, Al-Thani und Suzuki abzulenken. Der Sanitäter zog den Verband fest, und die Offizierin schob ihren Jackenärmel darüber. „Wissen Sie was, Valdez? Sie sind ganz schön bescheuert. Und das meine ich als Kompliment.“

Doc wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Al-Thanis Blut klebte daran. „Danke, Lieutenant. Kompliment angenommen.“

„Okay.“ Major Silva überragte sie, als er in die Mitte des Stegs trat. „Hört mir zu! Der Spaß ist vorbei. Captain Keyes hat keine Lust mehr auf uns und möchte, dass wir das Schiff verlassen. Da unten gibt es eine Konstruktion, die über eine Atmosphäre, Schwerkraft und die eine Sache verfügt, die Marines genauso wie Bier lieben – und damit meine ich den Schmutz unter unseren Füßen.“

Der ODST-Offizier machte eine Pause und ließ den Blick seiner hellen, schmalen Augen über die Gesichter ringsum gleiten. Sein Mund war so gerade wie ein Strich. „Fast die gesamte Crew und eure Kameraden werden das Schiff in Rettungsbooten verlassen. Sie fliegen bequem, haben eine Klimaanlage, trinken ein Glas Wein und knabbern am Buffet. Ihr werdet das nicht tun. O nein, ihr werdet die Pillar of Autumn auf einem anderem Weg verlassen. Sagt mir, Freunde …wie werdet ihr sie verlassen?“

Es war ein altbekanntes Ritual und die ODST-Marines brüllten die Antwort einhellig: „MIT DEN FÜßEN VORAN, SIR!“

„Verdammtrichtig!“,bellteSilva.„AlsoaufzudenAbsprungkapseln.DieAllianzveranstalteteinPicknickanderOberfläche, und jeder Einzelne von uns ist eingeladen. Ihr habt fünf Minuten Zeit, um die Fallschirme anzulegen, abzusichern und den Korken in euren Arsch zu schieben.“

Es war ein alter Witz, einer ihrer Lieblingsscherze, und die Marines lachten, als hätten sie ihn zum ersten Mal gehört. Dann bildeten sie kleine Einheiten und folgten ihren Anführern in den Gang, der auf der Backbordseite des Schiffes verlief.

McKay führte ihre Einheit an den Truppen vorbei, die eine Kreuzung bewachten, und durch einen Gang, in dem eine Schlacht getobt haben musste. Körper lagen am Boden verstreut. Eine lange Reihe von 7,62-mm-Einschüssen markierte den letzten Feuerstoß eines toten Soldaten.

Sie liefen um eine Kurve und in etwas hinein, was die Marines als „Vorhof zur Hölle“ bezeichneten. Die Soldaten verteilten sich in einem langen schmalen Raum, in dem es zwei Reihen mit Absprungkapseln gab. Jede Kapsel war mit dem Namen des entsprechenden Soldaten markiert und hing über einer Röhre, die durch den gesamten Bauch des Schiffs verlief.

Die meisten Kampfabsprünge wurden in gepanzerten Sturmbooten durchgeführt, aber diese Boote waren langsam und wurden leicht von Flugabwehrgeschossen getroffen. Aus diesem Grund hatte die UNSC eine zweite Methode entwickelt, um Truppen durch eine Atmosphäre nach unten zu bringen: das HEV, Human Entry Vehicle, eine Kapsel, die einzelne Soldaten transportierte.

Computer gesteuerte Flugabwehrgeschosse konnten zwar einige der Kapseln abfangen, aber sie bildeten kleine Ziele, und ein Treffer bedeutete nur einen Toten, nicht gleich ein ganzes Dutzend.

Es gab nur ein Problem. Wenn die Keramikkacheln, die die HEVs bedeckten, weg brannten, wurde die Luft im Inneren der Kapseln unerträglich heiß, manchmal sogar tödlich. Aus diesem Grund nannte man ODST-Soldaten „Helljumper“. Die Einheiten setzten sich komplett aus Freiwilligen zusammen, und man musste schon besonders verrückt sein, um sich dafür zu melden.

McKay blieb in der Mitte des Ganges zurück, bis jeder ihrer Männer seine Kapsel bestiegen hatte. Sie wusste, dass ihr deshalb sechzig Sekunden weniger blieben, um ihre eigenen Vorbereitungen zu treffen. Also beeilte sie sich, nachdem sich das letzte Schott geschlossen hatte.

Im Innern ihres eigenen HEV bewegten sich McKays Hände rasend schnell. Sie überprüfte die Systeme, entfernte ein paar Sicherheitsvorrichtungen, aktivierte die Ausstiegsröhre und betrachtetedenkleinenMonitor,dersichvorihrbefand.DieComputer der Autumn hatten bereits berechnet, mit welchem Druck die Kapseln abgeschossen werden mussten, um sie in den korrekten Einflugwinkel zu bringen. Sie konnte sich nur noch festhalten, beten, dass die Keramikkacheln so lange hielten, bis sich der Fallschirm geöffnet hatte und den Gedanken an die Zerbrechlichkeit der kleinen Kapsel verdrängen.

Die Offizierin hatte gerade noch genügend Zeit, um ihre Stiefel gegen den Boden zu stemmen, dann wechselte die digitale Countdown-Anzeige auch schon auf Null.

Die Kapsel fiel nach unten, beschleunigte durch die Röhre und stürzte der ringförmigen Welt entgegen. McKays Magen hob sich, und ihr Herzschlag beschleunigte.

Irgendjemand schob eine kleine Scheibe in den Datenspieler, berührte einen Knopf und übertrug die aufmunternden Klänge der Helljumper-Hymne auf die Teamfrequenz. Die Vorschriften besagten eindeutig, dass eine nicht autorisierte Nutzung der UNSC-Kommunikationsanlagen verboten war, aber in diesem besonderen Moment wusste McKay, dass es dennoch richtig war.SilvaschiendergleichenMeinungzusein,dennesherrschte Schweigen auf der Kommandofrequenz. Die Musik dröhnte in ihren Ohren, und das HEV erbebte, als es in die oberen Atmosphärenschichten eindrang. Die Marines fielen dem Ring mit ihren Füßen voraus entgegen.

Es krachte, als die Pillar of Autumn einen weiteren Treffer einstecken musste. An Bord ging die Schlacht unvermindert weiter. Der Master-Chief war nahe an die Rettungsboote herangekommenundsetztezumSprintan.IndiesemMomentsagteCortana: „Hinter dir!“ – und dann spürte der Master-Chief auch schon, wie er von einem Plasmastrahl zwischen die Schulterblätter getroffen wurde.

Er stürzte, rollte sich ab und kam wieder auf die Beine. Er fuhr herum, um sich seinem Angreifer zu stellen und sah, dass ein Grunt durch einen Wartungstunnel an der Decke eingedrungen war. Der kleine Außerirdische stand jetzt breitbeinig am Boden. Die Plasmapistole in seinen Händen lud sich auf. Der Master-Chief machte drei Schritte vorwärts und benutzte sein Sturmgewehr, um das Wesen von den Füßen zu holen. Die Pistole des Grunts entlud ihre aufgestaute Energie in die Decke. Tropfen geschmolzenen Metalls prasselten gegen die Schilde des Master-Chiefs.

Die panzerbrechenden Kugeln durchschlugen den Atmungstank des Außerirdischen. Methandampf schoss heraus, und der Körper begann sich wie ein Kreisel zu drehen.

Drei weitere Grunts landeten auf den Schultern des Master-Chiefs und hielten sich fest. Es war fast schon lächerlich, bis der Spartanererkannte,dasseinervonihnenversuchte,seinenHelm zu öffnen. Ein zweiter Außerirdischer hielt eine entsicherte Plasmagranate in der Hand – die kleinen Bastarde wollten den Sprengsatz in seine Rüstung stopfen.

Er spannte die Schultern an und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Die Grunts flogen zu Boden und der Master-Chief tötete sie mit kurzen Feuerstößen. Er wandte sich den Rettungsbooten zu.

„Jetzt!“, schrie Cortana. „Lauf!“

Der Spartaner rannte los, als sich die Türen zu schließen begannen. Ein Marine, der in seiner Nähe lief, stolperte und fiel. Der Master-Chief half ihm auf und warf ihn ins Boot.

Im Innern angekommen gesellten sie sich zu einer Gruppe von Besatzungsmitgliedern, die bereits vor ihnen an Bord gegangen waren. „Wir wären dann so weit“, sagte Cortana trocken, als irgendwo etwas explodierte und der Kreuzer erbebte.