Revanche - Kiko Amat - E-Book

Revanche E-Book

Kiko Amat

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Beschreibung

Der Nummer-3-Bestseller aus Spanien – eine Mischung aus »A Clockwork Orange« und »Trainspotting«

Kiko Amat hat einen schwindelerregenden Roman geschrieben, der von falscher Herkunft, Wut und Wiedergutmachung handelt, von Liebe und Rache. Ein ungezähmtes Buch voller Vulgarität und Schönheit, Schmerz und Humor, geschrieben mit einem Maximum an Adrenalin.

Amador ist die Nummer zwei der Lokos, einer kriminellen Hooligan-Ultragruppierung des FC Barcelona. Als sich ein Loko-Fußsoldat mit Firmengeld absetzt, bedrohen die Ultras dessen Freundin Paloma. Das ruft deren Bruder César auf den Plan, einen im Untergrund lebenden Auftragskiller, der einen Kleinkrieg mit den Lokos beginnt. Daraufhin soll Palomas Tochter Lucía entführt werden, um César aus der Deckung zu locken. Amador befolgt den Befehl, will die Teenagerin dann aber freilassen und mit den Lokos brechen, um ein neues Leben ohne Lügen zu beginnen. Denn er trägt ein Geheimnis mit sich, dass gleichzeitig sein Todesurteil wäre.

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Buch

Amador ist Vize-Capo der kriminellen Vereinigung Lokos, der gefürchteten Hooligan-Gruppierung des FC Barcelona. Die Vereinigung ist bekannt für Schutzgelderpressung, Gewaltdelikte und Drogenhandel. Sie räumen jeden aus dem Weg, der sich ihnen in den Weg stellt. Ihr Boss ist Alberto Cid, auch bekannt als El Cid, ein katalanischer Psychopath ohne jeden Skrupel. Amador und El Cid waren in den Achtziger- und Neunzigerjahren berüchtigte Skinheads, die unzertrennlich waren. Doch ihre Freundschaft zeigt schwere Risse, Amador denkt darüber nach auszusteigen. Er kommt aus verrütteten Familienverhältnissen und trägt ein Geheimnis mit sich herum, dass ihn das Leben kosten könnte.

César »Jabalí« Beltrán ist ein ehemaliger Rugbyspieler, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, Opfer von Kindesmissbrauch zu rächen oder Menschen, die Fahrerflucht begehen, aufzuspüren und zu bestrafen. Aufgrund seiner Arbeit lebt er zurückgezogen und lässt kaum Menschen an sich heran.

Eine Entführung, ein Überfall und eine verschwundene Beute führen César und Amador unerwartet zusammen. Ihr Leben beginnt außer Kontrolle zu geraten, mit dramatischen Folgen für die beiden Männer und ihr Umfeld.

Autor

KIKOAMAT, geboren 1971, stammt aus Sant Boi de Llobregat, einer Trabantenstadt in der Peripherie von Barcelona. Bisher hat er sechs Romane und drei Sachbücher veröffentlicht, die in seinem Heimatland Kultstatus besitzen und gesellschaftliche Randfiguren in urbanen Settings begleiten. Er schreibt regelmäßig für El País und El Periódico, ist Co-Direktor des Festivals Subsol in Barcelona und Co-Moderator des Podcasts Pop y Muerta für Radio Primavera Sound.

KIKO AMAT

RACHE

Roman

Aus dem Spanischen von Daniel Müller

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Revancha bei Anagrama, BarcelonaDie Arbeit des Übersetzers am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstveröffentlichung März 2024

Copyright © der Originalausgabe 2021 by Kiko Amat

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024 by btb Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Johannes Wiebel | punchdesign, München, unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

mn · Herstellung: sc

ISBN 978-3-641-28716-0V001

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/penguinbuecher

Für Eugènia, Boi und LlucIn Gedenken an meinen Patenonkel Pep Romeu

»Was every move I made designed to extract payment from the world for the hell I dwelt in?«

The Nothing Man,JIMTHOMPSON

»Bad’s quite good when it’s all you’ve ever had«»Hooligans Don’t Fall in Love«,

THEBEAUTIFULSOUTH

1

Der Gallego betritt das Foyer des Hotels. Ein Blick, und du weißt, dass es der Mann ist, den ihr sucht, und dass ihm etwas Schreckliches widerfahren wird. Denn Typen wie er bringen in Typen wie euch immer nur das Schlimmste hervor.

Das ist er, sagt El Cid. Der Gallego tritt aus dem Fahrstuhl mit den golden glänzenden Türen und geht in Richtung Rezeption. Beim Laufen setzt er nur die Fußspitzen auf, fast wie eine Ballerina. Du musterst ihn. Schwarzes Hemd, die oberen Knöpfe bis zur Brust geöffnet, die Ärmel bis kurz unter die Ellbogen hochgekrempelt. Schwarze Jeans, vielleicht Versace. Ein helles Sakko, über den Arm gelegt. Weiße Slipper, keine Socken. Halblange schwarze Haare, noch feucht von der Dusche. Zweiwochenbart, sorgfältig getrimmt.

Du schließt die Okulyten und stellst dir den Zitronenduft vor, den das Duschgel auf seinem Nacken hinterlassen hat. Eine verdammte Schande, sagst du dir, dass ein so attraktiver und wohlhabender Kerl Galicier ist, auf Zehenspitzen durch die Gegend tänzelt und auf die Idee kommt, ins gleiche Negoschi einzusteigen wie ihr. In einer anderen Welt, in einem anderen Leben hättest du etwas mit ihm anfangen können.

Der Gallego legt die Hände auf den Alabaster der Rezeption, setzt ein girlandenförmiges Lächeln auf und beginnt ein Gespräch mit dem Mann hinter dem Tresen. Mehrere Male nickt der Hotelmitarbeiter, wie ein Sklave. Wie Sie wünschen, Señor, natürlich, Señor, aber gern lutsche ich Ihnen den Schwanz, Señor, wenn Sie nur den Reißverschluss noch ein bisschen öffnen könnten, so ist es perfekt, Señor, danke.

Falls es für den Gallego je die Chance gab, mit heiler Haut davonzukommen, verpufft sie, als zwei Topolinen in der Lobby auftauchen und mit freudigen Hüftschwüngen zu ihm tippeln. Du vermutest, dass sie kichern und gackern, aber von dort, wo ihr geparkt habt, kannst du es nicht hören. Als er sich zu ihnen umdreht, wird sein Lächeln noch etwas breiter. Wenn er nicht aufpasst, umspannt es bald schon die Rückseite seines Kapotts.

Die Topolinen stellen sich neben ihn, eine links, eine rechts, und schlingen je einen Arm um seine Hüften. Er küsst erst eine von ihnen auf die Wange, dann die andere. Sie tragen leichte Kleider, beide weiß, obwohl es Oktober und schon relativ frisch ist. Sie sind so groß wie er, und das ohne Absätze. Schlank, aber mit Kurven, gebräunte Haut, Mitte zwanzig. Wespentaillen, wie man sie nur in Magazinen sieht. Langes, glattes Haar, pechschwarz, mit gekonnt dezenten Strähnchen. Sandalen aus weißem Leder, für die man locker den Monatslohn eines Peruaners hinlegt.

Vielleicht sind sie Schwestern. Für ihn nicht. Für ihn sind sie, was er will. Der Gallego ist verheiratet, seine Frau eine Blondine von asexueller Schönheit und mit ausdruckslosem Fadjia. Auf dem Foto, das du bei Facebook gesehen hast – sie vor einem Batschi in den Bergen, in Schweden, Norwegen, einem dieser Länder eben –, baumelte ein goldener Zopf über ihrer Schulter bis hinunter zur Brust.

Du hast die Seite der beiden durchforstet, so wie El Cid es dir befohlen hatte, und ihre zwei Barne entdeckt. »Unser Pärchen«, wie eine der Bildunterschriften lautete. Eins dunkelhaarig, eins blond. Visagen wie verhätschelte Hosenscheißer, bei deren Anblick du am liebsten in Facebook hineingekrochen wärst, um Schleppocken zu verteilen. So hast du es dem Capo gesagt, den Schocht nur einen Millimeter geöffnet, aber er hat nicht gelacht. Er lacht nie.

Deine Fingernägel gruben sich beim Scrollen immer tiefer in den Kunststoff der Maus. Eine Villa in den Bergen, eine am Meer. Ein Foxterrier mit frech-dreister Visage. Eine Jacht, Stand-up-Paddeln, Tennis. Freunde in hohen Positionen. Weingüter, Promiköche, Schauspieler. Anhängliche Großeltern mit schneeweißen Zahnprothesen. Der Werbespot für ein perfektes Leben, wie es jeder gern hätte.

Selbst wenn der Gallego sich nicht in das Negoschi mit dem weißen Pulver gedrängt und einen Bogen um Barcelona gemacht hätte, selbst wenn El Cid ihm keine Lektion hätte erteilen wollen – diese Facebook-Seite, das ist dir sofort klar gewesen, hatte sein Urteil besiegelt. Damit die Lokos einen massakrieren, ist es nicht notwendig, dass jemand reich und erfolgreich ist und liebende Eltern und eine stabile Familie hat. Ist man es jedoch und hat beides, genießen einige von ihnen das Massaker umso mehr, ganz besonders du.

Sie krümmen sich förmlich vor Lachen. Du nimmst an, das Trio will später in Sitges oder Barcelona zu Abend essen. Auf keinen Fall hier, in Castelldefels, das nur noch ein vor sich hin rottender Kadaver ist, Hotel an Hotel, am äußeren Rand des Llobregat-Deltas. Anschließend soll es wahrscheinlich zurück in die Suite gehen, wo der Gallego den Topolinen ein paar dicke Lines auf der Glasplatte des Couchtisches zurechtlegen wird. Erst wird die eine ziehen, dann die andere, anschließend vögelt er die beiden, erst eine Möse, dann die zweite. Zwischendurch schmeißt er blaue Pillen ein und gönnt sich dazu noch ein Pülverchen, von dessen Existenz er noch nicht einmal wissen sollte. Die Topolinen werden ihn mit flinken Zungen bearbeiten, ihn ab und an sauber lecken, wie kleine Kätzchen einen Napf Milch.

In diesem Kackhotel hat sich mal ein amerikanischer Schauspieler aufgebammelt, sagst du zu den anderen im Karreto. Wie hieß der noch gleich? So ein alter Knacker.

Was?, fragt El Cid vom Beifahrersitz aus und dreht sich kurz zu dir um. Sein Fadjia ist nicht gut zu erkennen, die Beleuchtung im Wageninneren ausgeschaltet. Mit etwas mehr Licht könnte man seine tiefsitzenden Okulyten sehen, die von Mal zu Mal trockener und lebloser wirken. Als ihr Barne wart, sahen sie noch nicht so aus. Damals hatte er die schönsten vom Gol Sur, hell und klar, ein eigenartiges Blau, wie das eines Amethysten. Mit diesen von Willen durchfluteten Okus verführte er sie alle, und dich als Allerersten.

Ich sag, dass sich hier … ach, vergiss es.

El Cid dreht dir den Rücken zu und sieht wieder in Richtung Hotellobby.

Elías, die Mikrobe, hält das Lenkrad mit beiden Händen fest umklammert, obwohl ihr bereits eine Stunde lang parkt, und beginnt plötzlich zu lachen.

Dem Lackaffen reißen wir den Arsch auf. Und den Nutten da reißen wir auch den Arsch auf. Den Arsch tun wir denen aufreißen!, brüllt er. Dann lacht er wieder mit dieser ekelhaften Lache. Es klingt wie ein Husten: Chö, chö, chö, chö. Diese Lache geht dir mächtig auf den Keks. Wenn er den Schocht aufmacht, ist es allerdings noch schlimmer. Der Kerl erinnert an einen Hund, dem irgendjemand mehr schlecht als recht beigebracht hat, menschliche Laute zu bellen. Oftmals ist sein cholerisches Gekläffe nur mit Mühe zu verstehen, und dabei stammt ihr aus der gleichen Gegend.

Mikrobe zieht die Nappe hoch. Unfähig, seine Gedanken vom Lautapparat zu entkoppeln, bewegt er in einem fort die Labbren. Während du ihn beobachtest, verfestigt sich deine Vermutung, dass er, ganz ähnlich wie ein Tier, sich seiner selbst nicht bewusst ist. Elías ist nicht nur ein Subwesen, sondern, was noch viel schlimmer ist, er ahnt noch nicht einmal, dass er eins ist. Wie sollte er auch etwas anderes sein wollen, dieser Kretin, so ganz ohne Bewusstsein für seinen gegenwärtigen Zustand.

Solche Gedanken hast du oft. Aber du hältst den Schocht, schließlich bist du nicht lebensmüde.

Mikrobe ist einer der Welpen. Barne, die gerade erst eurer Organisation beigetreten sind, noch nicht von den Piggern registriert. Sie gelangen über die Tribünen zu euch, von ganz tief unten. Eurer Kaderschmiede. Wenn du ihnen zu nahe kommst, schlägt dir ein Gestank ins Fadjia, der sich nicht abwaschen lässt. La Mina, Baró de Viver und Sant Adrià. Es wundert dich nicht, dass sie zu allem bereit sind, um diesen Kloaken zu entkommen. Für ein Karreto wie das, in dem ihr gerade sitzt, würden sie töten. Es gehört El Cid. Alfa Romeo Giulia, customized. Kirschrot, wie der von Mussolini. Du fährst einen BMW M850i xDrive Coupé First Edition. Vor einem Jahr hast du ihn dir zugelegt, in einer Lackierung namens Frozen Barcelona Blue. Barna, für immer und ewig. FCB, der einzige Club der Stadt seit 1899. Wer’s nicht mag, soll sich verpissen. Automatikgetriebe mit acht Gängen. Von null auf zweihundert im Handumdrehen. Musst nicht mal ganz durchtreten. Eine verdammte Bestie. Hundertsiebzigtausend, Nen, mehr als so manches Eigentumsbatschi.

Diesen Mist hast du dir wie ein Mantra eingeprägt, gleich beim Händler, und wiederholst ihn seither immer, wenn jemand in dein Karreto steigt. Damit sie denken, du wärst wie sie, musst du so quatschen wie sie.

Jetzt kommen sie raus, sagt Diego. Diego Sáez. Er sitzt links neben dir. Ihr habt alle aus dem Fenster gestarrt und in Echtzeit mitgekriegt, wie der Gallego mit den Topolinen rauskam, aber offensichtlich will euch der gute Diego noch einmal explizit darauf hinweisen. Du musterst sein Fadjia. Er ist noch nicht lange bei den Lokos. Neulich ist er allein gegen drei Bukaneros angetreten, linke Ultras des Madrider Clubs Rayo Vallecano. Ihr, die Captains, wart an diesem Tag nicht dabei. Es gibt ein Negoschi, um das ihr euch kümmern müsst, ganze Familien sind auf euch angewiesen, wie El Cid immer sagt. Ihr habt an diesem Tag verloren, sowohl im Stadion als auch davor, aber der gute Diego hat drei Typen zerlegt. Nicht schlecht für einen Frischling, hat der Capo zu dir gesagt. Die Botschaft an die Madrilenen war klar und deutlich: drei geschundene Körper auf dem Asphalt von Vallecas und dazu ein Graffiti, das der Neuling auf einer Wand am Ort des Geschehens hinterließ. Ein Hakenkreuz, daneben die Worte LOKOSFCB.

Der Gallego steigt die Treppe des Hotels hinunter, die beiden Topolinen kleben förmlich an ihm und quasseln ohne Punkt und Komma. Er muss ihnen ein paar extradicke Lines spendiert haben. Komm nur, armer Teufel, komm nur. Bleibt zu hoffen, dass er sich selbst auch anständig was gegönnt hat.

Und so beginnt der Cancan, sagst du. Niemand im Karreto lacht.

Der Gallego läuft immer noch auf Zehenspitzen. Bei jedem seiner Schritte steigt deine Lust, ihm das Fadjia zu zermatschen.

Diego Sáez streckt die Hand nach dem Türgriff aus. El Cid zischt nur kurz, tssst, und der Hampelmann erstarrt zu Eis. Wie ein Hund. Der Kerl ist so versessen darauf, zu punkten, er wäre glatt imstande, seinen Barnen den Kapott abzubeißen.

Barne? Ihr wisst noch nicht mal, ob er überhaupt welche hat. Ihr wisst ohnehin nicht viel über ihn, so viel steht fest. Und das regt dich auf. Dieses Unwissen reißt eine Lücke in deine Routinen zur Selbsterhaltung. Wie kann es sein, dass dieser Kerl mit uns im Karreto hockt und wir nichts von ihm wissen? Jedes Detail seines beschissenen Lebens müssten wir kennen. Das hast du dem Capo vor ein paar Tagen erst gesagt. Und dann noch: Keine Ahnung, Cid, aber stell dir mal vor, der Typ ist ein scheiß Pigger oder ein Spitzel von Espanyol, ein Perico.

Aber dein bester Freund drückte dir an jenem Tag nur eine hohle Antwort auf. Wäre er ein Pigger, hätte ich das längst gerochen. Wäre er ein Perico, hätte ich ihn längst zerlegt, meinte er. Und du, wie erbärmlich, hast über seinen Kommentar gelacht. Ha, ha, ha, superlustig, Loko! Beschissene Pericos, allesamt Abschaum, hast du geantwortet und dich innerlich gegeißelt wegen deines Kleinmuts und deiner Kriecherei. Nachdem du wieder runtergekommen warst, hattest du dir vorgenommen, den Lebenslauf aller Neuen zu studieren und bei der Rekrutierung endlich wie ein richtiges Unternehmen vorzugehen. Genau das seid ihr schließlich auch, verdammte Scheiße.

Skimasken, raunt El Cid. Mikrobe zieht sich eine Balaklava über, Diego Sáez ebenfalls. Als du an der Reihe bist, greifst du die Maske mit spitzen Fingern und hältst sie in die Höhe. Muss ich mir echt diese Scheiße hier über den Kapott ziehen, Alberto?, fragst du El Cid. Dieser Clown da draußen wird uns wohl kaum anzeigen, Loko. Und überhaupt, wer weiß, welche Drecksfinken sich diesen Lappen hier schon alles übergestülpt haben.

Du führst die Skimaske an deine Nappe und verziehst übertrieben angewidert das Fadjia.

Außerdem stinkt das Ding nach Arsch, fügst du hinzu. Und zwar nicht nach meinem.

Jetzt lachen die anderen doch auf einmal los. Alle außer El Cid. Zieh dir die Maske über und mach den Schocht zu, Amador. Geh mir jetzt bitte nicht auf den Sack, sagt er zu dir. Und ihr zwei Spacken hört gefälligst mit dem Gegacker auf, oder es hagelt Schellen.

Du schließt den Schocht und tust wie befohlen. Was willst du auch anderes machen? Er ist schließlich nicht umsonst der Capo. Nachdem El Cid seine Maske übergezogen hat, steigt ihr aus dem Karreto, alle vier auf einmal. Die Türen klappen. Pam, pam, pam, pam. Musik in deinen Ohren. Dieser Part kickt dich immer wieder. Sogar nach dreißig Jahren noch.

Ihr kommt vor dem Alfa Romeo zusammen und geht los. Ein paar Palmen stehen da, mehrere Zypressen, Pinien, einige Tannen. Ihr überquert den U-förmig angelegten Fußgängerweg vor dem Hotel, El Cid vorneweg. Wenn der Capo führt, das wisst ihr als Captains und Welpen genau, halten alle still, bis er loslegt. Jeder Schritt ein olympiareifer Satz, die Arme steif an die Seiten gepresst, Kapott nach unten geneigt und Okubrauen in einem V vereint. Alles bereit zum Angriff. An der Seite seines Halses kriecht aus dem Hemd der Schwanz des alten Skorpion-Tattoos hervor.

Dann sieht euch der Gallego. Sein Schocht, seine Okulyten, ja sogar seine Nappenflügel verziehen sich, kreieren eine neue Sprache. Es ist nicht schwer, ihn sich als Jugendlichen vorzustellen, wie er in Segelschuhen auf dem Vorderfuß tänzelnd über einen Boulevard in La Coruña schlendert, die Mähne mit Festiger geformt, eine Bomberjacke Marke Top Gun mit hochgestelltem Kragen, eine 501 mit orangefarbenem Levi’s-Tab. Sein Leben verläuft derart geradlinig, man könnte meinen, es rollt auf Schienen. Alles, was er tun muss, ist, aufs Gaspedal zu treten. Er wird nie in einer Sackgasse feststecken, wird nie mit zerschlagenem Fadjia im Straßengraben landen, wird nie alles verlieren, was ihm hoch und heilig ist, wird nie von denen verlassen, die ihn mal geliebt haben. Eltern, Affären, Vorgesetzte, Kollegen, Verwandte, Barne – sie alle vergöttern ihn. Sogar seine Untergebenen, sogar seine Schwiegermutter. Sie alle haben ihm seit seiner Geburt immer wieder gesagt, dass er alles sein kann, was er will. Die Welt wartet nur darauf, dass er sie sich nimmt, wie eine reife Aprikose vom Baum.

Und jetzt packt ihr das alles, diese perfekte Existenz, und macht Schluss damit. Ihr lasst sein gesamtes Leben entgleisen. Ihr werdet sein altes Ich auslöschen und ihn in etwas anderes verwandeln. In ein Lamm, ein Schwein, ein kriechendes Reptil. Ihr habt die Macht, das zu tun. Wie die Götter der Antike.

El Cid baut sich vor dem Trio auf. Das Fadjia des Gallego hat die Farbe einer Zuckermelone. Eine der Topolinen, die auf der linken Seite, weicht nach hinten zurück. Die andere fragt, was die Kostümierung denn soll, und bekommt von Mikrobe eine gepflegte Rückhand durchs Fadjia gezogen. Sie landet auf dem Hintern und versucht, mit einem Arm den Sturz abzufangen. Eine ihrer Sandalen fliegt durch die Luft, sie schürft sich den Handteller auf. Reflexartig starrt sie ihre Finger an, aber die sollten momentan ihre geringste Sorge sein. Da sind ein paar blutige Schrammen, Kieselsteinchen, die sich in die Haut gebohrt haben. Sie bleibt am Fuß der Treppe hocken, neben einer Aloepflanze. Einer ihrer sonnengebräunten Füße ist nackt, die Nappe blutig. Eben noch hatte sie einen großen Schocht voll perfekt ausgerichteter Zähne, jetzt ist sie ganz kleinlaut geworden.

Ihre Freundin presst merkwürdige Geräusche hervor, die wie die Vorstufe eines Wimmerns klingen. Dir wird klar, dass sie der anderen nicht helfen wird.

Sag doch bitte Hallo zur Konkurrenz, meint El Cid und dreht sich zu dir um. Seine Okus sind klein und matt. Obwohl du wegen der Skimaske seinen Schocht nicht sehen kannst, vermutest du, dass er zu einem verschlagenen Lächeln verzogen ist – ganz so wie damals, als ihr Skinheads wart. Du lächelst zurück. Aber der Capo kriegt es nicht mit, weil auch du eine Skimaske trägst.

Hallo, Herr Mitbewerber, sagst du zum Gallego. Du hast die Hände in den Hosentaschen, bewegst dich nicht vom Fleck. Du magst unser Koks, nicht wahr? Du magst es, dich an den Sachen anderer Leute zu vergreifen, stimmt’s? Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man nicht mit dem Spielzeug der ande…

El Cid wirbelt herum und verpasst dem Gallego mit der geschlossenen Faust eine Schleppocke. Boom! Direkt aufs Oku. Er hat sich nicht zurückgehalten, aber er hat auch nicht alles gegeben. Der Gallego stolpert, knallt mit dem Kapott gegen die noch stehende Topoline. Für einen Moment sieht es so aus, als würden die zwei zu Boden gehen, doch sie stützt ihn mit beiden Händen. Dann betastet sie die vom Zusammenprall schmerzende Stelle an ihrer Schulter und schaut ihn voller Verachtung an.

Dem Gallego hängt nun die gesamte Mähne im Fadjia, seine Okubrauen wölben sich, seine Labbren beginnen zu zittern. Es ärgert dich ein wenig, dass El Cid dir deinen Monolog des sarkastischen Gangsters kaputt gemacht hat, aber trotzdem würdest du jetzt am liebsten lauthals loslachen. Als Captains macht ihr euch kaum noch die Hände schmutzig, was verdammt schade ist, wie du findest. Der Capo sagt, es stünde zu viel auf dem Spiel, Grana und Territorium. Heute jedoch scheint sogar die Chefetage noch mal die Ärmel hochzukrempeln. Auf die alten Zeiten.

Der Gallego sitzt auf einem Stuhl mit aufgeplatztem Lederpolster, ist an Handgelenken und Knöcheln mit schwarzen Kabelbindern gefesselt. Sämtliche Oberflächen des kleinen Büroraums sind von Staub und Dreck überzogen. Es riecht nach Kalk, Ton und rostigem Metall. Die Zementfabrik ist schon seit Jahren stillgelegt.

Als Barn sahst du sie von der Landstraße aus, wenn ihr durch Molins de Rei fuhrt, du und der Alte, in irgendwelchen geklauten Lastern. Hell beleuchtet und leblos stand sie oben am Hang. Während du dir die Nappe am Seitenfenster platt drücktest, stelltest du dir vor, die Fabrik mit ihren vielen Lichtern wäre ein gigantisches Robotermonster, das gerade schlief, ein mechanisches Ungetüm, das jeden Moment aufwachen konnte.

Jetzt kommt das einzige Licht in der Fabrik von der Stehlampe, die dein Bruder hergebracht hat. Es muss gegen zehn, halb elf abends sein. Du schaust auf dein Handgelenk hinab, aber da siehst du nichts als Haut. Einmal ist dir die Hublot vom Arm geflogen, als du jemanden geschleppockt hast. Sie knallte auf den Boden und war sofort hinüber. El Cid quittierte es dir mit einer amtlichen Schelle, und das vor den Okus mehrerer Welpen. Damals hast du dir geschworen, das würde dir nicht noch einmal passieren.

Es hat zehn Minuten gedauert, um den Gallego mit Tritten und Schleppocken in den Alfa Romeo von El Cid zu verfrachten. Anschließend habt ihr weitere zehn für die Strecke von Castelldefels hierher gebraucht. Mit hundertsiebzig über die Landstraße von Sant Vicenç, ohne Zwischenfälle.

Und die Topolinen? An die denkt keiner mehr. Die werden die Schöchte halten und noch nicht mal die Pigger holen. Der Blick in Mikrobes Okus wird ihnen gereicht haben. Dort haben sie gesehen, was sie erwarten würde, ein Bild nach dem anderen, wie bei einem Diaprojektor: Gruppenvergewaltigung, klack-klack, Schleppocken ins Fadjia, klack-klack, Leichen im Röhricht des Llobregat, klack-klack, aufgedunsene Haut mit einem Teint wie gekochte Schweinshaxe.

Elías reißt sich die Skimaske runter. El Cid hat grünes Licht gegeben. Es ist doch egal, ob der Wichser uns sieht, was soll er denn schon machen? Uns anzeigen? Du allerdings, der seinen anfänglichen Ekel erst überwinden musste, lässt die Maske auf. Warum das Risiko eingehen? Du beobachtest Mikrobe. In dem dämmrigen Licht wirkt er noch eine ganze Ecke fieser. Sein Fadjia ist kantig und zerklüftet, ein schroffes Gebirge. Er ist der Einzige unter den Welpen, der sich den Kapott immer noch auf Stufe eins rasiert. Alte Schule. Er zieht sich das Polo von Stone Island über den Kapott und wirft es auf den total verdreckten Boden. Wie alt er ist? Zwanzig, höchstens. Ein Body wie der oberkörperfreie Kämpfer aus Street Fighter. Seine Bauchmuskeln erinnern an einen Maiskolben, seine Wangenknochen wirken wie geometrische Gebilde.

Soll ich weitermachen, Capo?, fragt Diego Sáez.

Nein, lass ihn, antwortet El Cid.

Der Gallego sagt nichts mehr. Beim letzten Stromschlag ist er ohnmächtig geworden.

Diego Sáez hält zwei abgemantelte Kabel in den mit Elektrikerhandschuhen geschützten Händen und sieht damit ein bisschen aus wie der irre Wissenschaftler aus Zurück in die Zukunft. Die Kabel sind an eine Karretobatterie angeschlossen, die auf einem alten Tisch steht. Diego Sáez sieht lächelnd zu dir. Er möchte dein Freund sein, denn er weiß, dass der Capo auf seinen Consigliere hört. Aber keine Chance, du hast keine Freunde, schon gar nicht solche, deren Background du nicht kennst.

Dem Gallego hängt die Pantaloni in Knöchelhöhe. Du wirfst einen Blick auf den Knopf über dem Reißverschluss. Tatsächlich, Versace. Hauptgewinn. Ein Chichi für fünfhundert Euro. Wie es aussieht, sogar neu. Du gehst zu ihm, hockst dich hin, ziehst ihm erst einen Slipper aus, dann den anderen. Die Zehennägel sind kurz, die Füße gebräunt, gepflegt und schön. Du spürst das Verlangen, den Spann seines Fußes abzulecken. Jetzt nicht, Amador. Du ziehst am Stoff, ziehst ihm die Pantaloni aus. Dann richtest du dich auf und hältst sie dir vor die Nappe. Frisch aus dem Laden, als hättest du gerade ein Geschenk ausgewickelt. Ein Geruch nach Textilreinigung und Färbemittel. Du betrachtest sie genauer; sie ist an der Hüfte etwas hoch geschnitten. Macht nichts. Du legst sie zusammen, faltest sie einmal, zweimal, hältst sie dann in einer Hand.

Kriegsbeute, sagst du. Niemand protestiert. El Cid ist es egal, den anderen fehlen die Eier, um etwas zu sagen. Du schaust zum Gallego. Ihr habt ihn fertiggemacht. Sein Fadjia sieht aus wie ein Klumpen Hackfleisch, seine Eier sind von Stromstößen versengt. Ein beißender Geruch nach menschlichen Exkrementen macht sich im Raum breit.

Ich glaube, er hat sich gerade die Hacken runtergeschissen, sagst du zu den anderen. Ekelhaft, fügst du hinzu und kwasimodest das Fadjia. Moment. Noch einmal riechst du an der Pantaloni. Nein, alles gut. Können wir jetzt endlich abhauen? Ich will heute noch Eisen beißen im Metropolitan, Loko.

Übertreib’s nicht mit der Fitnessbude, Amador. Da ist schon manch einer zur Schwulette geworden, kommentiert El Cid und lächelt.

Was für ein verlogener Wichser, denkst du.

Ganz genau, Amador, sagt Isma, dein Bruder. Er hat in der Fabrik auf euch gewartet, während ihr den Gallego geholt habt. Ein Welpe hat ihn hergebracht und ist dann mit dem Karreto wieder gefahren. Isma hat diesen Ort hier entdeckt. Er hat auch die Batterie mitgebracht, mit der ihr dem Gallego die Eier unter Strom gesetzt habt. Deinen Bruder beauftragt ihr nur mit Jobs, die er nicht vergeigen kann: konspirative Batschis suchen, Besorgungen machen, Pizzas holen, Prepaid-Wolkis organisieren, solche Sachen. Bist doch schon ein Hüne, Amador, fügt er hinzu. Siehst aus wie Bick Jin. Irgendwann reißte noch mal an der Seite auf.

Was ich gleich aufreiße, ist dein verdammter Arsch, du Mongo, antwortest du und hebst drohend die geöffnete Hand. Außerdem heißen die Figuren Big Jim, du Niete, BiG JiM! Mit G und mit M, sagst du. Verkackter Analphabet. Dann lässt du es gut sein. Du willst es nicht übertreiben.

Isma kwasimodet. Das mit dem Mongo hat ihm nicht gefallen. Er macht ein paar Schritte nach vorn ins Büro und verpasst dem Gallego eine amtliche Schleppocke aufs Oku. Der Gefesselte mag es in seiner Ohnmacht nicht spüren, aber spätestens beim Aufwachen wird sein Körper ihm auch diesen Treffer melden. Tja, in diesem Negoschi bleibt kein Okulyt trocken.

Du trittst an ein Fenster. Unter deinen Füßen knacken die Reste zerschnittener Kabelbinder. Mit den Fingerspitzen wischst du die Schicht aus Zementstaub, Kalk und Ton von der dünnen Glasscheibe, schiebst das Fadjia ein Stück vor und schaust nach unten auf die Fabrik. Im Licht des Mondes kannst du inmitten der Hügel des Baix ihre Formen ausmachen. Sie liegt da wie die in der Sonne trocknenden Knochen einer Katze. Der Wind zerrt an einer Wellasbestplatte, die immer wieder gegen eine Metallstrebe knallt. Bäm, bäm, bäm, bäm. Ein Absperrband flattert lose in der Luft. Leere Förderbänder, von Kalk und Zement paniert. Im Zentrum des Geländes liegt ein Stahltank, auf die Seite gekippt, groß und breit wie ein Schiff. Er wirkt wie aus dem Land der Riesen, aus Gullivers Reisen.

Du liebtest dieses Buch. Hast es dir dreimal hintereinander aus der Bibliothek der Haftanstalt ausgeliehen. Die sprechenden Pferde, die fliegende Insel, die Riesen, die Zwerge. In deiner Zelle stelltest du dir vor, im Puppenbatschi der Riesen aus Gullivers Reisen zu leben, beschützt von einer zwanzig Meter großen Topoline, und diese Vorstellung hat dich beruhigt, sodass du inmitten des Lärms – der Schreie, des Stöhnens, der Flüche der anderen Gefangenen – ein paar Stunden schlafen konntest.

Acht Jahre Knast. In deiner Welt sind Bücher unnütz, aber im Vollzug in Meco gab es keinen besseren Zeitvertreib, und so hast du diesem Buch deine geistige Gesundheit zu verdanken. Kurz nachdem du es das dritte Mal gelesen hattest, riss es ein Typ aus deinem Trakt in Stücke, um sich aus den Seiten Joints zu rollen und den Einband für Filtertips zu verwenden. Du musstest ihn zusammenfalten. Ein paar Welpen stellten sich im Hof als Sichtschutz vor dich, während du dem Kerl an der Kante der Tischtennisplatte die Zähne in den Hals rammtest.

Gulliver? Was faselst du da?, fragt El Cid. Hast du dir ’ne Extradicke gegönnt, oder was?

Wie es aussieht, hast du laut gedacht. Das passiert dir dauernd in letzter Zeit. Wie bei deinem Alten. Den Einfluss der Gene zu spüren, bereitet dir schlechte Laune.

Nichts, murmelst du und drehst dich zu ihm um. Ist noch was, Capo?

Na ja, wenn du nicht allzu erschöpft bist, dann bring die Sache doch bitte zu Ende, Gullivär-Pimmelbär, sagt er. Danach kannst du meinetwegen abzischen und pumpen, bis der Arzt kommt, du Knallkopf. Er reicht dir eine Bügelsäge.

Du bewegst dich nicht. Blickst zur Säge, blickst zu El Cid. Ohne ein Wort trittst du einen Schritt nach vorn und greifst das Werkzeug. Was sollst du auch sagen? Es gibt nur einen Capo, eure Organisation hat eine pyramidale Struktur.

Erst als du die Säge in der Hand hast, fragst du nach. Und was zum Henker soll ich mit dem Ding machen, Loko? Dabei kennst du tief in deinem Kapott bereits die Antwort.

Verpass ihm ein Andenken, sagt El Cid.

Du stehst nackt vor dem Badezimmerspiegel. Du hättest auch in dein Batschi anstatt in das Stundenhotel in der Nähe des Metro Clubs gehen können, doch irgendwie fühlst du dich mit Besuchern zu Hause nie so richtig wohl. Sie sauen alles ein. Wenn deine Fickgeschichten abziehen, verbringst du Stunden mit Reinigungsspray und Küchenrolle, schrubbst das Batschi von unten bis oben, suchst Fußspuren, Fingerabdrücke, Schamhaare, Samenspritzer, tote Haut.

Du betastest deine Brust, fährst dir mit einem Finger über das Sternum. Keine Haare, keine Falten. Auch keine normale Haut. Du verziehst die Nappe. Es ist wie zerlaufenes und wieder getrocknetes Wachs. Wie durch ein Wunder haben es die Brustwarzen überlebt. Du bist an den Anblick gewöhnt, auch wenn er dir nicht gefällt, aber hin und wieder hast du einen Fatzken auf der Bettkante, der gern das Beschwerdebuch verlangen würde. Ins Fadjia sagen sie es dir trotzdem nie, sondern schieben immer andere Gründe vor. Eine feste Beziehung, Unpässlichkeit, Erschöpfung, eine Verabredung. Keiner hat den Mumm, dir zu sagen: Ey, Kumpel, auf der Tanzfläche hast du aber nicht erwähnt, dass du in Wirklichkeit das Phantom der Oper bist.

Was sie dir sehr wohl sagen: Verdammt mutig von dir, Kollege. Meistens am nächsten Morgen, wenn du dich am wehrlosesten fühlst, ohne Schutz. In diesen Momenten würdest du dein Elend jedem Fremden erzählen, der dich nach dem Ficken mit diesem Blick ansieht. Ihre Okulyten verraten dir immer schon vorab, was sie fragen werden. Sie wandern über deinen Oberkörper, deine Beine, deinen Rücken, diese Areale mit verbrannter und vernarbter Haut, diese Landschaft aus aneinandergefügten Glattlederfetzen. Später dann, nach einigem Rumgedruckse, fragen sie dich, was passiert ist. Und du erzählst es ihnen in groben Zügen. Und sie, mit feuchten Okus, sagen dir dann, wie mu-mu-mutig du doch warst.

Keine Ahnung, antwortest du jedes Mal. Keine Ahnung, ob es Mut oder Instinkt oder noch was ganz anderes war. Und dann fickst du sie noch einmal, einfach damit sie den Schocht zumachen und du nicht das Ende erzählen musst.

Du merkst, wie dein Schwanz erschlafft. Du schaust ihn an. Verpasst dem Idioten zwei kleine Stupser. Dann drehst du am Waschbecken das Wasser auf, erst den roten Hahn, dann den blauen, bis es lauwarm ist, und drückst dir etwas Seife auf die Hände. Du nimmst dir Zeit, reinigst jeden Finger einzeln, erst Nagel und Nagelbett, dann die Knöchel, hoch und wieder runter. Während des Händewaschens wirfst du im Spiegel einen Blick auf das Bündel im Bett hinter dir. Er hat ein paar imposante blaue Flecke abbekommen. Wenn du ehrlich bist, hast du ihn sogar ein bisschen gewürgt, beim zweiten Durchgang. Aber nicht schlimm. Wie jung er ist. Höchstens fünfundzwanzig. Seinen Namen weißt du nicht, weil du keinen Bock hattest, ihn dir zu merken, und was man nicht abspeichert, kann man später auch nicht abrufen.

Er bewegt sich, aber er schläft noch. Heute war Día del Currante im Metro, ein Mottoabend, bei dem es den zweiten Drink gratis gab. Er muss schon früh dagewesen sein, denn er hatte einiges intus. Jetzt liegt er nackt im Bett hinter dir, sonnengebräunt, epiliert, eine antike Säule auf den Bizeps tätowiert. Er dreht sich in eine andere Position, winkelt das Knie an und streckt den Hintern in die Höhe. Die Pobacken zeigen zur Decke und sehen aus wie eine Melone, aus der man einen schmalen Streifen herausgeschnitten hat.

Oh, hallo. Du siehst nach unten. Da ist jemand wieder aufgewacht. Du greifst zu, überprüfst, ob du bereit bist. Und du bist bereit. Glückwunsch, Kumpel.

Kumpel?, sagt der im Bett. Er hebt den Kapott und linst zu dir rüber. Kleine Nappe, breite Stirn, vorstehender Kiefer, prominente Wangenknochen, tiefsitzende Okus. Die Erkenntnis, dass die Kerle, die du vögelst, sich alle ähnlich sehen, beschämt dich stets ein wenig. Es ist demütigend, dass dein Schönheitsideal, dein Kriterienkatalog der Attraktivität, immer noch auf der Physiognomie von Alberto basiert, dem ersten Mann, der dich in Erregung versetzt hat (Paco Clos, der Fußballer auf dem Poster in deinem Kinderzimmer, einmal ausgenommen).

Anscheinend hast du beim Denken wieder laut gesprochen. Das zweite Mal schon an diesem Tag. Es häuft sich. Und es bereitet dir Sorgen. Dein Alter ist siebzig und führt sich auf wie ein Theaterschauspieler; er spricht all seine Gedanken laut aus. Du trittst aus dem Bad und gehst zum Bett.

In der Zementfabrik hast du die Bügelsäge genommen und bist mit einem Schulterzucken zum Gallego rübergegangen. Du hast seine linke Hand gepackt und sie fest auf die Armlehne gedrückt, sodass der Daumen vorn überstand. Dann hast du die Säge angesetzt, und los ging’s, ritsch ratsch, ritsch ratsch. So wird gesägt, jawohl, so wird’s gemacht. Der Gallego wachte auf.

Beim Anblick seines Fadjias musstest du laut loslachen, der Typ kwasimodete wie in einem schlechten Horrorfilm. Und er hat geschrien. Ihr hättet ihm ruhig was in den Schocht stopfen können, ihr Wichser, hast du Mikrobe zugerufen. Doch der lachte nur, die Arme vor dem nackten Oberkörper verschränkt. So schockt’s aber mehr, Loko, antwortete er mit einem Nicken.

Dann traf der Stahl auf den Knochen. Aber du hast weitergesägt, während der Gallego jedes Mal lauter schrie. Ich mein’s ernst, ihr Idioten, hast du gebrüllt und dich zu den Jungs umgedreht, stopft diesem Homo endlich den Schocht. Die anderen drei glotzten dich nur an, taten aber nichts. Doch, etwas taten sie. Sie lachten.

Mal sehen, ob du jetzt kapierst, dass man die Finger vom Spielzeug anderer Leute lässt, hast du zu dem Gefesselten vor dir gesagt. Er zitterte am ganzen Körper und heulte, starrte auf seine Hand, scheinbar unfähig zu begreifen, was gerade geschah. Als du mit dem Knochen durch warst, verlor er wieder das Bewusstsein. Der Daumen kippte ab, blieb aber an einem Hautfetzen der Hand hängen. Ein Blutstrahl schoss aus der Wunde und landete auf dem einzigen hellen Streifen deines neuen Burberry-Polos. Toll, dreihundert Euro im Klo, hast du gedacht. Blut kriegt man nie wieder ganz raus. Höchstens bei neunzig Grad und mit besonders starker Bleiche, aber dabei geht der Stoff drauf. Du hast mit den Fingern am Ärmel gezogen und dir den Fleck angesehen. Dann hast du den Kapott geschüttelt und mit der Zunge geschnalzt. Nach dem Geräusch versank der Raum in Stille. Lediglich das dumpfe Wummern der Wellasbestplatte, die irgendwo draußen gegen einen Balken schlug, war zu hören.

Jetzt bring den Scheiß endlich zu Ende, Amador, sagte El Cid. Seine Okus lila und trocken, sein Fadjia ohne Ausdruck. Er zog sein Wolki hervor, um etwas nachzusehen, wischte mit den Fingern über den Bildschirm.

Du hast dir den herabhängenden Daumen des Gallego gegriffen und einmal die Säge über den verbindenden Hautfetzen gezogen. Zum Mitnehmen, der Herr?, hast du gesagt.

Ja, antwortete El Cid, ohne vom Wolki aufzuschauen. Er hatte den Witz nicht kapiert.

Auf geht’s, hast du gesagt.

Plötzlich kam dir eine Idee. Zwei Schritte, dann standest du vor Mikrobe.

Hier, nimm, hast du gesagt und ihm den Daumen hingehalten.

Boah, Loko! Geh mir weg mit dem Scheiß, Mann, hat Mikrobe gebrummt und danach nervös gelacht. Chö, chö, chö.

Der verschmierte Daumen tropfte immer noch. Du hast ihn mit ausgestrecktem Arm von dir weggehalten, wolltest nicht noch mehr Klodage einsauen. Dann hast du die Säge fallen lassen und Mikrobe eine Schleppocke verpasst, olympiareife Ausführung mit flacher Hand, die ihm fast den Kapott vom Stamm gerissen hätte. Er flog ein paar Schritte nach hinten. Kein Wunder, wiegt er doch trotz der Muskeln nur siebzig Kilo. Verglichen mit deinen neunzig ist er ein Hänfling.

Bevor er sich erholen oder gar begreifen konnte, hast du noch einmal zugelangt, dieses Mal mit der Faust auf die Schläfe. Wieder hob er ab, drei Schritte nach hinten. Um sich auf den Beinen zu halten, griff er nach dem Rahmen einer Fensterwand, die das Büro von einer verdreckten Fabrikhalle trennte.

Und jetzt schiebst du dir das Ding in den Schocht, du Klugscheißer, hast du zu ihm gesagt und ihm den Daumen vors Fadjia gehalten. Auf seiner Stirn trat eine Vene hervor.

Er glotzte dich an, versuchte, deine Worte zu übersetzen. Witz, kein Witz? Probe, keine Probe? Falls Probe, was für eine? Gehorsam oder Mut? Dann drehte er sich auf der Suche nach einem Hinweis zu El Cid um. Im Fadjia des Capos regte sich nichts. Aber du, der den Chef schon mehr als dreißig Jahre lang kennt, hast in seinen Okus einen eindeutigen Befehl gelesen. Weitermachen!

Du hast die Hand noch etwas weiter ausgestreckt, sodass der Daumen fast Mikrobes Nappe berührte. Mach schon, zier dich nicht so, Süße, hast du gesagt, nur die Spitze.

Mikrobe musste schlucken. Er griff den Daumen mit den Fingern, schaute ein letztes Mal zu El Cid. Doch das Fadjia des Capos war immer noch ohne Ausdruck, neutral wie ein Emoji ohne Schocht. Also steckte Mikrobe sich den Daumen zwischen die Labbren, Nagel drinnen, blutiger Stumpf draußen. Es tropfte weniger, aber es tropfte noch.

So nicht, schieb ihn dir ganz rein, hast du gesagt. Wegen der Skimaske auf deinem Kapott konnte Mikrobe nichts in deinem Fadjia lesen. Mit dem Zeigefinger drückte er sich den Daumen in den Schocht.

So, sind wir hier fertig?, hast du dann gesagt und dich zu El Cid umgedreht.

Sind wir, Loko, antwortete der Capo und blickte vom Wolki auf. Eine Seite seines Fadjias verzog sich nach oben. Er schob beide Hände in die Taschen seines Trainingsanzugs, ein diskretes Gucci-Modell in Hellblau mit der portugiesischen Flagge auf dem Oberschenkel.

Und du, du Würstchen, du zahlst mir das Polo, hast du zu Mikrobe gesagt und am Ärmelbündchen deines Hemds gezogen. Schau dir doch nur mal diese Scheiße hier an, Mann. Zum Kotzen. Direkt wegschmeißen kann ich das Teil.

Elías nickte, die Wange ausgebeult.

Und spuck endlich das Ding aus, Mensch. Sieht ja aus, als würdest du gerade einen Schwanz lutschen, hast du ihn angefahren. Diego Sáez wieherte los. Die Lokos machen keinen Schwulenscheiß, hast du hinzugefügt. Bist du behindert, oder was?

Mikrobe spuckte den Daumen auf den Boden. Dann stützte er beide Hände auf den Knien ab und würgte eine ganze Weile. Es klang so, als würde ihn jemand erdrosseln. Aber er kotzte nicht. Irgendwann richtete er sich wieder auf, wischte sich mit dem Handrücken übers Fadjia und sah dich mit einem derart hasserfüllten Blick an, dass du ihn dir am liebsten eingerahmt hättest.

Für diesen Abend wart ihr fertig. Ihr seid aus der Fabrik gegangen, habt den Gallego aber dagelassen, im Stuhl sitzend, die Unterhose vollgeschissen, den Daumen abgeschnitten. Die Securityleute werden ihn morgen finden, hast du zu den anderen gesagt, aber von dem Daumen kann er sich natürlich verabschieden. Wir hätten eine Kühlbox mitbringen sollen.

Von mir aus kann der Wichser verbluten, bellte Mikrobe.

Anschließend seid ihr über den gegen den Boden gedrückten Zaun gestiegen und habt das Fabrikgelände verlassen. Isma, der gegangen war, nachdem er dem Gallego das Fadjia vollends zermatscht hatte, wartete am Feldweg im Karreto des Capo. Als er euch sah, wie ihr im Mondlicht einer Gruppe Werwölfe gleich auf ihn zukamt, reckte er den Kapott in die Höhe. Die Innenbeleuchtung war eingeschaltet, ihr konntet das Grinsen auf seinen versteinerten Labbren erkennen. Ganz offensichtlich hatte er sich gerade eine Extradicke gegönnt. Du kennst deinen Bruder nur zu gut. Später wird er wieder rumheulen, dass er nicht aufsteigt und von Mikrobe zum Einkaufen losgeschickt wird.

Ihr seid ins Karreto gestiegen. Pam, pam, pam, klappten die Türen. Isma sagte nichts, starrte nur geradeaus und drehte den Zündschlüssel um. Der Alfa Romeo erwachte zum Leben. El Cid saß auf dem Beifahrersitz. Hinten: Diego Sáez, Mikrobe und du. Der Gallego dürfte kein Problem mehr sein, sagte der Capo, während sich das Karreto von der Fabrik entfernte und auf das leere Wärterhäuschen zusteuerte. Niemand widersprach.

Eine Dreiviertelstunde später haben sie dich beim Metropolitan Gym an der Sagrada Familia rausgelassen. El Cid sagte noch: Mach easy, Amador. Du hast dich mit einem Kopfnicken verabschiedet und dann gewartet, dass sie endlich verschwinden. Bevor sie um die Kurve bogen, rasten sie noch bei Gelb über eine Ampelkreuzung und walzten dabei fast eine Gruppe Touris platt. Schade, hast du gedacht. Da hätten deine Partner um ein Haar tatsächlich mal etwas Positives für die Stadt getan …

Du hast die Nachtluft eingesogen. Hast den Trenchcoat zugeknöpft, ohne die Versace fallen zu lassen. Deine Laune war wieder besser. Das versaute Polohemd hattest du ausgezogen und deinem Bruder mit der Anweisung mitgegeben, es zu verbrennen. Anschließend bist du in ein Hemd von Hermès geschlüpft, das du als Ersatz im Karreto hattest.

Als die Diagonal den Alfa Romeo samt deiner Kompagnons verschluckt hatte, bist du nicht ins Metropolitan Gym gegangen. Du hattest keine Lust auf Eisenbeißen, und außerdem: Das Metropolitan an der Sagrada Familia ist gar nicht deine Stammfitte. Jemand mit deiner Veranlagung kann in einer Organisation wie der euren gar nicht vorsichtig genug sein. Du gibst vor, in einem Viertel an der gelben Metrolinie zu wohnen, lebst aber in Wirklichkeit ganz woanders. Dein Batschi, dein Fitnessstudio, dein Bonpreu-Supermarkt, in dem dich die Topolinen an der Kasse grüßen, befinden sich am anderen Ende von Barcelona. Wenn die Jungs dich am gewohnten Ort absetzen, wartest du, bis sie verschwunden sind, nimmst dir ein Taxi und lässt dich zu deinem Batschi fahren.

An diesem Abend jedoch nicht, denn der Sinn stand dir nach etwas anderem.

Auf dem Weg zum Bett bleibst du am Tisch stehen und nimmst dein Wolki zur Hand. Per Bluetooth verbindet sich das Gerät mit den Lautsprechern der Musikanlage. Das Hi-Fi-Equipment der Hotelzimmer ist wirklich deluxe und einer der Gründe, warum du immer wieder hier buchst. Du rufst eine deiner privaten Spotify-Playlisten auf, suchst einen bestimmten Song, findest ihn und drückst auf Wiedergabe.

Die ersten Takte erklingen. »Cherish« von Madonna. Du drehst die Lautstärke auf. Es reichen drei Akkorde, und die Welt erstrahlt, alles erwacht zum Leben. Du tänzelst drei, vier Schritte, dein halb erigierter Schwanz schwingt von links nach rechts, klatscht gegen einen Oberschenkel, dann gegen den anderen. Du hebst die Arme in die Luft, streckst sie seitlich in Brusthöhe ab wie ein W. Du schnippst mit den Fingern und spürst, wie sich die Haare auf Unterarmen und Rücken aufstellen, den nicht verbrannten Hautarealen.

Du nimmst das Kondom, das auf dem Nachttisch liegt, reißt die Verpackung auf, setzt den Gummi auf die Spitze, ziehst ihn über den Schaft. Auf geht’s. Die Knie auf die Matratze, die linke Hand an die Hüfte des anderen, die rechte an deinen Schwanz. Der Bursche schaut dich an, lässt den Unterkiefer sinken und drückt sich den Riemen rein. Sie sehen sich wirklich ähnlich. Du schließt die Okus, schiebst dein Becken vor und zurück, rein, raus, rein, raus. Der andere stöhnt von Mal zu Mal lauter. Dann presst er ein paar Flüche hervor. Du streckst den Arm aus und hältst ihm den Schocht zu. Besser so. Fast hätte er dir deine Fantasie kaputt gemacht.

»Cherish« strebt deinem Lieblingspart entgegen, dieser kurzen Sequenz, in der die Synthiespitzen dem Gesang zu antworten scheinen. Und dann, urplötzlich und einfach so, im Zimmer eines Stundenhotels, werden deine Okulyten feucht. Das hättest du dir wirklich nicht träumen lassen. Du hast jahrhundertelang nicht geheult. Perplex trocknest du dir die Okus mit den Fingern, erst das eine, dann das andere. Du kniest immer noch auf dem Bett. Der Bursche dreht sich um, einen zweifelnden Ausdruck im Fadjia. Du versuchst, nicht nach unten zu schauen, aber du weißt genau, was dort passiert: Du erschlaffst. Ein Anblick, den du dir ersparen willst. Dieses Gefühl, wie du in dem anderen verschrumpelst, vom Schlachtfeld flüchtest, macht dir nicht übel Lust, das leblose Organ zwischen deinen Beinen abzureißen und ganz weit von dir wegzuschleudern.

Irgendwann wirst du dir eingestehen müssen, dass diese Sache, die dir sonst nur sehr selten passiert, sich immer öfter wiederholt. Genauso wie das laute Denken. Und als wäre das nicht schon genug, kommen wohl auch noch Heulattacken dazu.

Aber nicht jetzt. Jetzt willst du nicht an diese Dinge denken, und auch nicht an das, was sie bedeuten könnten.

Du rückst vom anderen weg, setzt dich auf die Bettkante, Ellbogen auf den Oberschenkeln, Füße auf dem Boden. Das Kondom ähnelt einer leeren Socke und hält nur noch wegen des Gummis. Dein Schwanz, schlapp und schlaff auf der Matratze, sieht aus wie ein toter Schlumpf.

Die Hand des anderen greift nach deinem rechten Arm, packt ihn regelrecht, führt ihn zu sich und drückt ihn zwischen seine Beine. Du drehst dich um, nur den Kapott. Der andere liegt jetzt auf dem Rücken. Sein Schwanz ist hart, lang, ruht krumm auf seinem Bauch. Er beißt sich auf die Unterlabbre. Du krümmst die Finger zur hohlen Hand, packst seinen Schwanz, weil du vermutest, dass er es so will. Er greift deinen Arm mit beiden Händen und beginnt, ihn mechanisch auf und ab zu bewegen, wie einen amputierten Körperteil. Als Alberto dir zum ersten Mal einen runterholte, hattest du das Gefühl, endlich zu existieren. Jetzt ist es genau andersherum. Es ist, als würde dein Arm nicht zu deinem Körper gehören, als wärst du gar nicht da.

2

César umwickelt sich den linken Arm mit Neoprenstreifen. In den Anfangszeiten benutzte er alte T-Shirts, wie in den TV-Filmen, aber diese Methode erwies sich als sehr unpraktisch. Manchmal lösten sich die Knoten, was die Armbewegungen behinderte, manchmal verfing sich der Stoff im Maul des Hundes. Damals war er noch etwas nachlässiger.

Nicht mehr lange, dann geht es los. Er umwickelt seinen Arm ein letztes Mal, hält das Ende des Streifens mit zwei Fingern fest, drückt es gegen seinen Bauch, nimmt eine Rolle Panzerband und fixiert das Neopren mit ein paar Runden des Tapes. Mit den Zähnen reißt er das Klebeband durch und wirft es auf den Beifahrersitz, wo neben einer leeren Dose Dr Pepper Kirsch, einer ebenfalls leeren Tube Kondensmilch und einer Karte von Empordà mit eingerissenen Falzlinien auch ein paar alte Kassetten seiner Schwester liegen (Heavy-Balladen #2, Kracher 91). Draußen wird es langsam dunkel, der Himmel nimmt die Farbe gekochter Hühnerleber an. Ein paar zerfetzte graue Wolken durchkreuzen ihn wie Bildstörungen. In weniger als einer halben Stunde wird es Nacht sein.

Er war schon am frühen Nachmittag gekommen, um sich noch einmal in der Gegend umzusehen, ein viertes Mal. Er überließ nichts gern dem Zufall. Ein einsames Fleckchen auf dem Land konnte sich von einem Tag auf den anderen in einen belebten Ort verwandeln; durch einen Jahrmarkt, eine Mahd, das Fundament eines neuen Hauses. Straßensperrung wegen Bauarbeiten, Stromausfall auf einem benachbarten Anwesen. Der Einfluss des Unvorhersehbaren ließ sich nicht vollkommen ausschalten, sehr wohl aber auf einige Nachkommastellen reduzieren, auf ein paar im Endeffekt unbedeutende Variablen.

Er hatte eine schmale Landstraße genommen, die fünf oder sechs kleine Ortschaften verband, Satelliten von Figueres. Die Fahrzeuge, die ihm begegneten und ihn überholten, waren alle sehr groß, neu und mit hoher Geschwindigkeit unterwegs. In diesem Teil des Landes fuhren die Leute ständig so, als ginge es um eine Angelegenheit von Leben und Tod. Bei dem Mann, den er an diesem Abend besuchen würde, war das tatsächlich der Fall.

Er blickte zum Himmel hinauf. Die Sonne schien, störte aber nicht, sodass er die Schutzblende nicht herunterklappen musste. In der Ferne sah man die Berge des Canigou mit ihren gezuckerten Spitzen. Dorniges Gestrüpp bedeckte die Leitplanken der Landstraße und kroch an einigen Stellen auf den Asphalt. Etwas abseits entdeckte er Pinienwälder und verstreut stehende Olivenbäume, die teilweise so verdreht und abgeknickt aussahen, als hätte ihnen jemand einen Faustschlag in die Magengegend versetzt. Herbstliche Gelb- und Ockertöne, Senffarben und Kaugummigrün. Felder mit halbmeterhohen Trockenmauern.

Er hatte das Fenster offen und den Ellbogen auf dem Dichtungsstreifen abgelegt, die Finger trommelten auf dem Blech. Es lief eine der Kassetten seiner Schwester: Vértigo 90. Die Tapes hatten im Handschuhfach gelegen, als er das Auto übernahm. Er mochte sie nicht besonders, aber manchmal, wenn er sich langweilte, legte er eins ein. Hin und wieder summte er sogar mit: Oh-oh-livin on a prayer.

Er musste daran denken, wie seine Schwester einmal das Lied aus voller Kehle mitgesungen hatte, bei hundert Sachen auf der Schnellstraße von Castelldefels zur Diskothek Vértigo. Es war eines der ersten Male gewesen, dass sie ihn mitgenommen hatte. Er war gerade fünfzehn geworden, sie achtzehn. Die Sache mit Palomas Anfällen lief damals schon seit mehreren Jahren, sie verschwand und tauchte wieder auf, aber noch hatte die extreme Phase nicht begonnen. Er sah sie vor sich: vom Wind zerzauste Mähne, ein Ellbogen aus dem Fenster, so wie er gerade. Dann schaut sie ihn an, achtet nicht mehr auf die Straße und lacht laut beim Anblick seines erschrockenen Gesichts. Take my hand, schreit sie den Song mit und fügt wegen mangelnder Englischkenntnisse ein paar Fantasiewörter hinzu. Und dann, noch etwas lauter: Living on a PRA-A-A-YER.

Mit einer abrupten Bewegung fuhr er den Arm aus und drückte die Stopptaste. Er wollte nicht an diese Sachen denken. Nur der Motor des Wagens und der ihn einhüllende Wind waren noch zu hören. Am Anstieg einer Straßenkuppe schaltete er in den dritten Gang und konnte auf der abschüssigen Seite bereits die Markierung für den Abzweig in den nicht asphaltierten Weg ausmachen: ein von Flechten überzogenes Steinkreuz, gut zwei Meter hoch, im Gedenken an den Bürgerkrieg. Er versicherte sich im Rückspiegel, dass niemand hinter ihm war, bremste, blinkte und bog ab. Ein neues Geräusch dominierte nun, das Knirschen der Kieselsteine unter den Rädern des Ibiza.

Weit und breit war kein Lebewesen zu sehen, weder Menschen noch Kühe, noch nicht einmal Vögel. In der Ferne waren eine Handvoll vereinzelte Masias auszumachen, wie mit dem Salzstreuer in der Landschaft verteilt. Auf den vor Kurzem gemähten Luzernefeldern lagen hier und da große Ballen herum, die wie dicke Scheiben einer gigantischen Biskuitrolle wirkten. Etwas weiter weg waren Futtertanks zu sehen, große Trichter aus rostigem Metall, die sich über den flachen Ställen der Schweinefarmen erhoben.

Er parkte an einem Abhang neben einem ausgetrockneten Bach, dessen Röhricht den Wagen verdeckte. Dann zog er die Handbremse und stieg aus, wobei er wie immer seinen Körper verdrehen musste, um sich nicht den Kopf am Dach zu stoßen. Er betastete sein rechtes Ohr, das vom Rugby zerdrückt war. In einer feuchten Umgebung meldete es sich und juckte. Die Luft roch nach Abwasser und Düngemittel, aber auch nach Thymian, getrockneter Luzerne und Pinien. Ein Hund bellte. Vielleicht der des Mannes, den er besuchen wollte.

Eine plötzliche Bewegung, nur im Augenwinkel wahrnehmbar, versetzte ihn in Alarmbereitschaft. Aber es war nur eine Elster, die über den Weg hüpfte. Der Wind ließ die Blätter der Buchen rauschen, was wie ein sich näherndes Fahrzeug klang. César achtete nicht darauf. Er stieg wieder in den Wagen und schloss leise die Tür. Die Geräusche der Umgebung waren nur noch dumpf zu hören. Er wartete auf die Nacht.

César steht neben dem Haus, reglos. Er trägt einen grauen Arbeitsanzug mit Reflektorstreifen an Hosenbeinen und Unterarmen. In der rechten Hand hält er eine schlauchförmige Sporttasche. Wer nicht weiß, dass er kein Angestellter einer Telefongesellschaft oder eines Energieversorgers ist, den wird seine Anwesenheit an diesem Ort – selbst zu dieser Uhrzeit, mitten auf dem Land – nicht überraschen. Er steht vor einer Metalltür, die mit dicker Kette und robustem Schloss gesichert ist. Hinter der Betonmauer befindet sich das Haus. Ein Stockwerk, Zeltdach, Garage mit elektrischem Tor von drei mal zwei Metern, ein Basketballkorb zur Dekoration, viele Alarmanlagen, die er aber alle bereits abgeschaltet hat.

Dank des zunehmenden Mondes braucht er keine Lampe. Er öffnet die Tasche, holt eine Dose Kältespray heraus und sprüht das Schloss damit ein. Das zischende Geräusch fällt nicht auf, könnte problemlos von einem Bach stammen. Das Spray tut seine Wirkung. Fast kann er fühlen, wie sich die Moleküle umarmen. César greift sich einen Hammer, schließt die Finger fest um dessen Stiel. Ihm bleibt nur ein Schlag. Er muss präzise sein und direkt das Schloss treffen, denn die Kette wird nicht nachgeben, nicht mal mit Kältespray. Er spannt die Muskeln an, schlägt zu. Das Schloss bricht. Er greift es, damit es nicht auf den Boden fällt. Mit derselben Hand hält er die Kette, die andernfalls gegen das Tor schlagen würde. Er verstaut Schloss und Hammer in der Tasche. Dann ein Knurren, auf der anderen Seite der Mauer. Er hat schon darauf gewartet. Es wird lauter und nähert sich. Langsam, aber stetig. Krallen kratzen auf Zement.

Als er das Tor öffnet, steht der Pitbull vor ihm. Dass ein Hund dieses Haus bewacht – und zwar nicht irgendein Hund, sondern genau solch einer –, ist so vorhersehbar, dass César nicht anders kann, als missbilligend die Stirn zu runzeln. Der Hund fletscht die Zähne. Man sieht das Rot des Zahnfleischs, der Speichel tropft. Sein Gesicht ist verzerrt, seine Ohren zeigen steil nach oben. Er hat keine Angst, und er bellt nicht. Pitbulls bellen wenig, knurren viel und beißen noch mehr. Schon im Vorfeld hatte César keinerlei Zweifel daran gehabt, mit welcher Art Mensch er es zu tun hatte. Er war die Berichte wieder und wieder durchgegangen, hatte nicht rückverfolgbare Nachforschungen an Orten und Stellen angestellt, an denen diese in solchen Fällen anzustellen waren, aber die Präsenz des Pitbulls war wie der letzte noch fehlende Stempel auf dem Dokument. Nicht alle Pitbull-Halter sind schuldig, aber alle Schuldigen halten Pitbulls.

César beugt sich nach vorn und hält dem Hund den gebeugten linken Arm entgegen, als würde er ihn zu einem Tanz bitten. Der Pitbull stürzt los und treibt seine Zähne in Césars Unterarm. Er knurrt weiter, seine Eckzähne verfangen sich in Césars Kleidung, ohne das Neopren zu durchdringen. Der Biss schmerzt nicht, doch den Druck der Kiefermuskeln und die Kraft der an seinem Arm hängenden Bestie fühlt César sehr wohl.

Er behält das Gleichgewicht. Ein alter israelischer Kampfkunstlehrer hatte ihm einmal gesagt, dass man jeden Schlag mindestens zehntausend Mal üben müsse, um ihn wirklich zu beherrschen. César rammt seine Faust in die Schnauze des Pitbulls. Er spürt das Knacken, aber der Hund lässt nicht locker. Wiederhole die Aktion so oft wie nötig, hatte ihm der Ausbilder damals gesagt. César schlägt weiter auf die feuchte Nase des Pitbulls, ein-, zwei-, dreimal. Als der Hund schließlich loslässt, springt César nach rechts und tritt dem Tier zweimal in die Rippen. Einmal mit der Spitze seiner Stahlkappenschuhe, dann mit dem Hacken.

Etwas bricht in dem Hund. Er stöhnt und krümmt sich, zieht die großen Pranken ein, richtet sie nach oben. César muss an ein Video von Stevie Wonder denken. Die jämmerlichen Laute aus der zerquetschten Lunge passen nicht zu dem blutrünstigen Tier, das sie produziert.

Im Haus wird eine Tür geöffnet und gleich darauf wieder geschlossen. Jemand dreht den Schlüssel eines Querriegelschlosses, die Stahlbalken rasten in der Zarge ein. César holt einen Damenstrumpf aus der Hosentasche und zieht ihn sich mit beiden Händen über den Kopf. Dann wendet er sich von dem Tier ab und geht mit schnellen, großen Schritten zum Haus.

Seine Arme sind mit Panzerband an die Rückenlehne des Stuhls gefesselt. Er hat aufgehört, dagegen anzukämpfen, und starrt César an. Die Augen unter den geschwollenen Brauen sind weit aufgerissen und voller Adrenalin, sein Kopf aufrecht. Aus seiner Nase läuft ein Tropfen Blut über das graue Klebeband auf seinem Mund und bleibt auf seinem Kinn hängen. Er hat einen langen grauen Pony, der zur Seite gekämmt ist und deshalb seine linke Braue verdeckt – ein unpassender Haarschnitt für einen massigen Kerl mit einem Schweinegesicht wie dem seinen. Er ist schlecht rasiert, Brillenträger, Nägelkauer. Seine Haut hat die Oberflächenbeschaffenheit von Eintopffleisch.

César, der immer noch die Strumpfmaske trägt, wendet sich von ihm ab und wühlt in seiner Tasche herum, die er auf dem runden Esszimmertisch abgestellt hat. Er hat dem Mann gerade die Anklagepunkte vorgelesen und die Folgen seiner Handlungen erläutert. Wie viel Schmerz und Leid die Familie des Mädchens ertragen musste. Dass seine Tat die Welt dieser Menschen für immer zerstört hat. Dass ihre Augen nichts Liebenswertes mehr sehen. Im Gesicht des Mannes mischen sich immer noch Empörung und Verwirrung über das Vorgetragene. César zieht einen Zimmermannshammer mit Glasfaserstiel aus der Tasche. Er hält ihn in der latexbehandschuhten Hand, umschließt ihn fest mit seinen Fingern, führt ein paar Probeschläge in der Luft durch. Dann dreht er sich um und sieht den Mann an, der nun wie wild mit dem Kopf schüttelt.

Er geht auf ihn zu, baut sich breitbeinig vor ihm auf. Er hebt den Hammer über den Kopf, während sich der Mann vor ihm windet und in das Panzerband schreit. Dann schlägt César zu. Aufs Knie. Ein feuchtes Knacken. Der Dicke schreit, seine Augen werden feucht, das Wehklagen dringt nicht durch den Knebel. Der obszöne Seitenpony fliegt in die Höhe wie ein Rock, fällt wieder runter und bedeckt einen Teil seines Gesichts. César muss an Scheitelträger denken, die sich die Strähnen aus dem Gesicht blasen und damit ihre Gesprächspartner nerven.

Er lässt den Hammer neben sich herunterbaumeln. Und sagt weiterhin kein Wort. Das bringt sie alle um den Verstand. Der Mann schüttelt erneut mit dem Kopf, dieses Mal allerdings vor und zurück, als stünde er betend vor der Klagemauer. Er stöhnt. Seine Füße, ebenfalls mit Panzerband an den Stuhlbeinen festgebunden, sind nach außen geöffnet. Ein Schuh ist ihm verloren gegangen, er trägt schwarze Businesssocken. Seine Zehennägel sind so lang, dass sie durch den Stoff drücken.

César hebt den Kopf und sieht sich in der Wohnung um. Ein riesiger Plasmafernseher in der Größe einer kleinen Kinoleinwand steht auf einem Tisch aus transparentem Methacrylat. Ein Blumentopf mit vertrockneter Japan-Gold-Segge. Unpersönliche Baumarktbilder: Arbeiter bei der Mittagspause auf dem Stahlträger eines Wolkenkratzers, ein küssendes Liebespaar in Paris, ein menschenleerer Strand am Pazifik. Weder Bücher noch DVDs. Auch keine Fotos von Familienangehörigen oder anderen Personen. Elektrische Rollläden. Nintendo-Controller. Eine große Coca-Cola Zero, halb leer. Eine Schachtel mit Papiertaschentüchern, von denen mehrere feucht und zerknüllt auf dem vergoldeten Tisch in der Mitte des Zimmers liegen.

César nimmt die Fernbedienung und schaltet den Bildschirm ein. Ein Internetvideo: Eine thailändische Teenagerin mit vielleicht vierzig Kilogramm Körpergewicht wird von einem viel größeren, weißen Kerl mit Wampe und üppiger Körperbehaarung aufgespießt. Sie hockt auf ihm, die winzigen und leicht schmutzigen Füße auf den breiten Oberschenkeln des Kerls, und starrt aus eingesunkenen Augen ins Leere. Es scheint unmöglich, dass dieser Schwanz in sie eindringen kann. Der Titel des Videos: »Daddy punishes Thai stepdaughter for bad grades«. César zieht eine Augenbraue hoch, schnalzt mit der Zunge und schaltet den Bildschirm aus. Er legt die Fernbedienung auf dem Tisch ab und dreht sich wieder zu dem Dicken um. Der Mann sieht ihn an, ein Auge im Wahn verdreht, das andere von seinem Pony verdeckt, während sich zwischen seinen Füßen eine Pfütze bildet und seine Anzughose nach und nach dunkler wird.

César hebt den Hammer und schlägt erneut zu. Das andere Knie. Ein fleischig-schmatzendes Geräusch. Ein gedämpfter Schrei, Stöhnen, Krämpfe. Dann kippt der Stuhl zur Seite, und der Dicke fällt auf den Boden. Dort liegt er nun, auf der Seite, zitternd und wimmernd, ohne den Blick von César abzuwenden.

César hockt sich hin, greift die Arme des Dicken und hievt ihn zurück in die Vertikale. Er schiebt sich die Strumpfmaske bis zur Nasenspitze hoch und wischt sich mit zwei zum V ausgestreckten Fingern den Speichel aus den Mundwinkeln. Dann dreht er sich um, kehrt zum großen Tisch zurück, säubert den Hammer und schiebt ihn in einen Plastikbeutel mit Druckverschluss. Erneut wühlt er in der Tasche. Als er sich wieder dem Mann zuwendet, zeigt er mit einem batteriebetriebenen Elektromesser auf ihn, ein Modell mit zweiseitiger Sägezahnklinge zum Tranchieren von Braten.

Und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken, sagt er.

Das ratternde Geräusch des Elektromessers erfüllt den Raum. César geht auf den Mann zu und reißt ihm das Panzerband vom Mund. Der Schrei des Dicken mischt sich mit den Motorgeräuschen. Sein Scheitel tanzt. Er sieht aus wie ein englischer Musiker aus den Achtzigern.

Schrei ruhig, wenn du willst, sagt César.