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Facebook ‒ kein anderes soziales Netzwerk hat die Welt so verändert. Aber neben der Vernetzung mit Freunden erweist sich Facebook unerwartet als ideale Plattform für Online-Protest-Aktionen. Der Hacktivismus via Facebook bietet für Protestaktionen völlig neue Möglichkeiten, innerhalb kürzester Zeit internationale Reichweite und Öffentlichkeit zu gewinnen, Beispiele wie die Jasminrevolution in Arabien zeugen davon. Dieses Buch widmet sich daher folgenden Fragen: Wie entsteht dort Zusammenhalt? Wie werden Protestaktionen ins Leben gerufen? Welche Chancen und Risiken liegen somit in sozialen Netzwerken? Aus dem Inhalt: Daten und Fakten zu Facebook, Definition von Netzaktivismus und Hacktivismus, elektronischer ziviler Widerstand, soziale Kohäsion.
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Seitenzahl: 203
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Impressum:
Copyright © 2013 ScienceFactory
Ein Imprint der GRIN Verlags GmbH
Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany
Coverbild: pixabay.com
Revolution per Facebook.
Das Social Network als Instrument des Netzaktivismus
Electronic Disturbance, Electronic Resistance und Netzaktivismus: Theorie und Praxis von Katharina Bergmaier
Einleitung
Definition des Netzaktivismus
Elektronischer ziviler Widerstand/Hackaktivismus
The Critical Art Ensemble (CAE)
The Electronic Disturbance Theater (EDT)
Beispiele für virtuelle Sit-Ins und FloodNet-Aktionen
Netzaktivismus: Freie Information, freier Zugang zu freier Information
Aktuelle Entwicklungen und Einschätzungen
Literaturverzeichnis
Facebook als Medium des Protests von Martin Sopko
Einleitung
„One Million Voices Against FARC“ – Macht sozialer Netzwerke im Internet
Ziel der vorliegenden Arbeit
Netzwerke
Facebook – Daten und Fakten
Macht
Fazit der bisherigen Theorien im Hinblick auf „One Million Voices Against FARC“
Erkenntnisse für die Soziale Arbeit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Facebook und die soziale Kohäsion von Carina Wegmann
Einleitung
Leben im Zeitalter des Internets
Soziale Netzwerke
Virtuelle Realität vs. Real Life
Soziale Kohäsion
Möglichkeiten und Grenzen von Facebook für den sozialen Zusammenhalt
Ausblick
Literaturverzeichnis
2010
Mit dem Aufkommen und der Verbreitung des Internets wurden auch große und neue Möglichkeiten der Gegeninformation und des Protests geboren – der Netzaktivismus. Was ist Netzaktivismus und was beinhaltet dieser Begriff?
Netzaktivismus trennt sich in mehrere Bereiche, es werden jedoch von verschiedenen Autoren unterschiedliche Teilbereiche des Netzaktivismus definiert:
Koch trennt Netzaktivismus in drei Bereiche:
1)herkömmlichen, unspektakulären Aktivismus durch Versenden von Informationen, Demoaufrufe, Petitionen etc.
2) Hackaktivismus/elektronischer ziviler Widerstand (setzt sich aus den Wörtern Hacking und Aktivismus zusammen): Seiten/Daten werden beim Hackaktivismus/elektronischen zivilen Widerstand blockiert (z. B. durch virtuelle Sit-ins) oder verändert (z. B. wird Jörg Haider ein Hitlerbärtchen aufgemalt), jedoch in Abgrenzung vom Cyberterrorismus wird bei Methoden des Hackaktivismus/elektronischen zivilen Widerstand nichts (keine Daten) zerstört.
3) Cyber-Terrorismus stellt schließlich jene Variante des Netzaktivismus dar, dessen Ziel darin besteht, möglichst viel Schaden auf einer Homepage/einem Server anzurichten. (Vgl. Koch, Holger (2008): Politik im Internet. Aktivismus, Hackaktivismus, Cyber-Terrorismus. In: URL: http://internettechnik-netzwerktechnik-suite101.de/article.cfm/politik_im_internet dl: 21.6.2010)
Inke Arns definiert hingegen zwei Stränge des Netzaktivismus:
1) Den blockierenden Ansatz des Hackaktivismus/elektronischen zivilen Widerstands und
2) den ermöglichenden Ansatz, welcher auf Vernetzung und die Schaffung von Kommunikationsbeziehungen abzielt. (Vgl. Arns, Inke: This is not a toy war. Politischer Aktivismus in Zeiten des Internet. In: http://www.projects.v2.nl/~arns/Texts/Media/notoywar.html dl: 21.06.2010 )[1].
Der Begriff Hackaktivismus/elektronischer ziviler Widerstand umfasst Onlineproteste, welche eine Störung hervorrufen, wie z. B. virtuelle Sit-ins (Vgl. Arns, Inke: This is not a toy war. Politischer Aktivismus in Zeiten des Internet. In: http://www.projects.v2.nl/~arns/Texts/Media/notoywar.html dl: 21.06.2010).
Da Hackaktivismus/elektronischer ziviler Widerstand meistens darauf abzielt, den ausgemachten Gegner zu stören und dessen Kommunikationsfähigkeit zu unterbrechen indem z. B. dessen Homepage durch Überflutung lahmgelegt wird, steht laut Arns diese Protestform „in eklatanten Widerspruch zum „Hacker-Primat“ des „möglichst optimalen, ungehinderten Datenflusses“. (siehe Arns, Inke: This is not a toy war. Politischer Aktivismus in Zeiten des Internet. In: http://www.projects.v2.nl/~arns/Texts/Media/notoywar.htmldl:21.06.2010).
Aus diesem Grund werden Hackaktivisten wie das Electronic Disturbance Theater auch von Hackern kritisiert. Ein weiterer Kritikpunkt von Seiten der Hacker an den Hackaktivisten ist, dass durch deren verwendete Methoden des virtuellen Sit-ins nicht nur die intendierten, feindlichen Server lahmgelegt werden, „sondern auch die Router, also die Computer, die zwischen Angreifer und Angriffsobjekt liegen.“ (siehe Arns, Inke: This is not a toy war. Politischer Aktivismus in Zeiten des Internet. In: http://www.projects.v2.nl/~arns/Texts/Media/notoywar.html dl: 21.06.2010)
In diesem Text werden wir uns hauptsächlich mit Hackaktivismus/elektronischem zivilen Widerstand beschäftigen.
Hackaktivismus/elektronischer ziviler Widerstand setzt sich aus den Wörtern Hacking und Aktivismus zusammen.
Hackaktivismus/elektronischer ziviler Widerstand ist als elektronisches/virtuelles Pendant zum physischen zivilen, friedlichen Widerstand definiert. Diese Widerstandsform verwendet als häufigste Methode virtuelle Sit-ins, die wie eine reale physische Blockade für die Seite wirken. Es werden also Seiten/Daten beim elektronischen zivilen Widerstand/Hackaktivismus blockiert oder verändert, jedoch in Abgrenzung vom Cyberterrorismus werden im Rahmen von Maßnahmen des elektronischen Widerstandes/Hackaktivismus Daten oder Systeme nicht zerstört.
Die Gewaltfreiheit ist beim elektronischen zivilen Widerstand analog zum traditionellen passiven zivilen Widerstand ein zentrales Merkmal.
Der erste globale virtuelle Sit-in fand 1998 statt, als Solidaritätsaktion für die Ermordung zahlreicher Indigener in Chiapas. Die zu dieser Aktion mobilisierende italienische Aktivistengruppe The Anonymous Digital Coalition rief auf, mexikanische Homepages von Finanzinstitutionen zu besuchen und alle paar Sekunden den Reload-Button (Aktualisierungsbefehl) zu betätigen und dadurch eine Überforderung der Seite hervorzurufen und sie somit lahmzulegen, zu blockieren, sodass die Seite nicht mehr erreichbar ist.
Heute sind in der Öffentlichkeit „angekündigte und zeitlich begrenzte virtuelle Sit-ins die meistverwendete Methode des politischen Aktivismus im Internet.“ (Vgl. Koch, Holger (2008): Politik im Internet. Aktivismus, Hackaktivismus, Cyber-Terrorismus. In: URL: http://internettechnik-netzwerktechnik-suite101.de/article.cfm/politik_im_internet dl: 21.6.2010).
Gleichzeitig entwickeln Staaten und Firmen Gegenprogramme zu diesen FloodNet-Programmen.
Mehrere Aktivisten und Aktivistengruppen griffen nun dieses Konzept auf und entwickelten es weiter.
Aktivistenkollektive wie CAE (Critical Art Ensemble) und EDT (Electronic Disturbance Theater) haben einerseits die Theorie des elektronischen Widerstandes, andererseits aber auch Methoden zu dessen Umsetzung entwickelt. (Vgl. Spörr, Bettina: Elektrohippies und andere Störer im Cyberspace.
Vom zivilen Ungehorsam zum elektronischen Widerstand.
In: http://www.igbildendekunst.at/bildpunkt/2008/nichtallestun/spoerr.htm dl: 21.06.2010).
Diese Gruppe hat maßgeblich zur Entwicklung der Theorie des elektronischen zivilen Widerstands beigetragen. Der Begriff Electronic Disturbance stammt von ihr. Schlüsselwerk ist die vom Kollektiv 1994 publizierte Theoriearbeit „Der elektronische Widerstand“, in welcher CAE postuliert, dass elektronischer ziviler Widerstand die gleichen Merkmale und Attribute beinhalten muss wie nicht-digitaler ziviler Widerstand. Anstatt also einen Gebäudeeingang durch eine Demonstration zu blockieren oder ein Büro zu besetzen, müssen diese Dinge virtuell geschehen. Straßenproteste erhielten in den 90ern immer weniger die Aufmerksamkeit der Medien, so wurde im elektronischen Widerstand auch eine Möglichkeit gesehen, aus dieser zunehmenden Isolation der Protestbewegung herauszukommen und dieser entgegenzuwirken.
Darüber hinaus bezieht sich das CAE in seiner Theorie auf Hakim Bays Konzept der temporären und nomadischen autonomen Zonen:
Das CAE nimmt an, dass Macht im digitalen Zeitalter nicht mehr lokalisierbar und ortsgebunden, sondern überall und nirgends ist. Der Sitz der Unternehmens liegt im Cyberspace, dorthin hat sich die Machtelite zurückgezogen und deshalb muss der Widerstand dorthin verlegt werden, so das CAE. So hat die Straße keine Bedeutung mehr für den Protest, denn Großkonzerne können laut dem CAE durch körperlichen Widerstand und körperliche Blockaden nicht mehr behindert und gestört werden, sondern es muss nun beim elektronischen Widerstand darum gehen „nicht wie bisher Arbeitskraft sondern Informationen zu unterbinden“. (Vgl. Arns, Inke: This is not a toy war. Politischer Aktivismus in Zeiten des Internet. In: http://www.projects.v2.nl/~arns/Texts/Media/notoywar.htmldl: 21.06.2010).
Der nomadische Informationsfluss, der die neue Macht darstellt, muss gehemmt werden, mit demselben Mittel: einer nomadischen Blockade. “To fight a decentralilized power you have to use decentralized means.[2]“ (Vgl. Critical Art Ensemble (1996): Electronic Civil Disobedience and other Unpopular Ideas, New York; S. 23)
Das CAE ging ursprünglich davon aus, dass digitale Protestformen die realen Straßenprotestformen total ersetzen würden und die althergebrachte Methode des physischen Protestes im digitalen Zeitalter sinnlos, nicht mehr effektiv und anachronistisch sei. „What CD [Civil Disobedience] was, ECD [Electronic Civil Disobedience] is now.“[3](Vgl. Critical Art Ensemble (1996): Electronic Civil Disobedience and other Unpopular Ideas, New York; S. 18)
Mittlerweile sehen auch führende Netzaktivisten (so auch das CAE und das EDT) elektronischen Widerstand nicht mehr als die einzige legitime Form an; die Euphorie der Anfangszeit bezüglich der Wirksamkeit des elektronischen Widerstandes ist verflogen. Die dominierende Sichtweise besteht jetzt darin, dass elektronischer Widerstand lediglich eine Widerstandsform unter mehreren darstellt, und dass eine gleichzeitige Ausführung von elektronischen und traditionellen realen Protestformen, (also z. B. Onlinedemos/virtuelle Sit-ins, bei gleichzeitigem realem Straßenprotest) die angemessene und sinnvolle Protestform darstellt.
Das EDT stellt eine Künstlergruppe und ein Aktivistenkollektiv dar, dass generell Methoden für Demokratie im Netz und die Theorie und Praxis von elektronischem zivilen Widerstand weiterentwickeln will. Gegründet wurde das EDT 1998 von Stalbaum/Wray/Karascis/Dominguez. (Vgl. Stefan Krempl: Netzaktivismus: Das Netz schlägt zurück. In: http://archives.openflows.org/hacktivism/hacktivism00945.html dl: 21.06.2010). Dominguez ist gleichzeitig und ebenfalls Mitglied beim CAE (Critical Art Ensemble).
Die Methoden des digitalen Widerstands sollen die physischen Protestformen ergänzen; somit wird das Internet vom EDT nicht nur als Kommunikations- und Informationsmedium verstanden, sondern ebenso als Medium des Protestes und der direkten Aktion. Das EDT entwickelte das FloodNet-Programm, die erste Version dieser Software stellt der Zapatista-FloodNet dar.
Die Hauptfunktion des vom EDT entwickelten FloodNet-Programms besteht darin, die virtuellen Sit-ins mittels einer vom Programm selbst automatisch durchgeführten permanenten Wiederbetätigung des Reload-Befehls wesentlich in ihrer Effektivität zu steigern, da es ohne diese, durch das Programm betriebene, automatisierte Anfragefunktion ja eine unvorstellbar große Menge virtueller Teilnehmer bedarf, um eine Seite zu überlasten. FloodNet potenziert also die Kraft der virtuellen Sit-ins, Server zu überlasten, indem diese mit Anfragen überflutet werden. FloodNet wird jedoch von vielen Netzaktivisten als kurzsichtige Strategie kritisiert.
Das EDT setzt viele Aktionen, welche unter dem Begriff „Digital Zapatismo“ subsumiert werden. Digital Zapatismo meint die Zapatista-Bewegung unterstützende Aktionen, sei es nun durch virtuelle Sit-in-Blockaden von z. B. Regierungsseiten oder durch Gewährung einer Kommunikationsplattform für die Zapatistas via basis- bzw. gegenmedialer Strukturen im Internet.
Der erste virtuelle Sit-in (ohne FloodNet, da dies damals noch nicht entwickelt war) fand 1995 auf Seiten der französischen Regierung als Protestreaktion auf die von Frankreich durchgeführten Atomtests statt. (Vgl. Spörr, Bettina: Elektrohippies und andere Störer im Cyberspace. Vom zivilen Ungehorsam zum elektronischen Widerstand. In: http://www.igbildendekunst.at/bildpunkt/2008/nichtallestun/spoerr.htm dl: 21.06.2010).
Die ersten digitalen Demos/virtuellen Sit-ins mit FloodNet waren ein voller Erfolg: Die vom EDT verwendete FloodNet-Software schaffte es durch die gleichzeitige Beteiligung von 8.000 Menschen, die Homepage des damaligen mexikanischen Präsidenten lahmzulegen. (Vgl. Spörr, Bettina: Elektrohippies und andere Störer im Cyberspace. Vom zivilen Ungehorsam zum elekronischen Widerstand. In: http://www.igbildendekunst.at/bildpunkt/2008/nichtallestun/spoerr.htm dl: 21.6.2010)
Jedoch einen Monat später, bei einem von EDT initiierten FloodNet-Angriff auf die Homepage des Weißen Hauses, konnte der Server nicht erfolgreich überflutet und überlastet und dadurch blockiert werden, da diese Homepage eine enorme Anfragemenge verkraften und verarbeiten konnte.
Als dann wiederum einen Monat später (die Aktion wurde wieder vom EDT ins Leben gerufen) die Seite einer mexikanischen Regierungseinrichtung mit FloodNet angegriffen wurde, hatte die Regierungsseite ein Gegenprogramm zu FloodNet installiert, welches den Zusammenbruch der angreifenden Flood-Net-Browser hervorrief. (Vgl. Spörr, Bettina: Elektrohippies und andere Störer im Cyberspace. Vom zivilen Ungehorsam zum elekronischen Widerstand. In: http://www.igbildenekunst.at/bildpunkt/2008/nichtallestun/spoerr/htm dl: 21.6.2010)
Als Protest auf das aufgrund der Klage der Internetspielzeugfirma etoy gegenüber einer Aktivistengruppe durchgeführte Deaktivieren der Homepage dieser verklagten Aktivistengruppe, entwickelte sich eine virtuelle Solidaritäts- und Protestbewegung mit dem Ziel, das Unternehmen etoy zu zerstören. (vgl. Arns, Inke: This is not a toy war. Politischer Aktivismus in Zeiten des Internet. In: http://www.projects.v2.nl/~arns/Texts/Media/notoywar.html dl: 21.06.2010 )
Bei den hierfür durchgeführten Sit-ins wurde eine neue vom Kollektiv EDT entwickelte FloodNet-Version verwendet, welche die Internetwarenkörbe der Onlinespielzeugfirma etoy unablässig füllte; was den etoy-Server überlastete. Auch wenn diese Sit-ins nur kurz dauerten, der Server also nur kurzzeitig lahmgelegt wurde (6mal 15 Minuten an 10 Tagen), hatten die Proteste Erfolg und die Firma etoy zog ihre Klage gegenüber den Aktivisten im Jahr 2000 zurück. Dieser Fall etoy zeigt, dass virtuelle Sit-ins und elektronischer ziviler Widerstand wirksam sein können. Im Falle etoys waren die Protestmaßnahmen vor allem deshalb erfolgreich, da das Unternehmen ausschließlich online präsent war und so unbedingt von der Aufrufbarkeit und Erreichbarkeit im Internet abhängig war. Deshalb versetzte die Überflutung und der damit verbundene Ausfall des Firmenservers dem Unternehmen etoy tatsächlich einen harten Schlag.
Auch die Straßenproteste während des WTO-Gipfels in Seattle wurden virtuell durch einen Sit-in begleitet, „an dem sich 500.000 Menschen beteiligten. 2001 gab es die erste Onlinedemo in Deutschland gegen das Abschiebegeschäft der Lufthansa“ (Vgl. Spörr, Bettina: Elektrohippies und andere Störer im Cyberspace. Vom zivilen Ungehorsam zum elektronischen Widerstand. In: http://www.igbildendekunst.at/bildpunkt/2008/nichtallestun/spoerr.htm dl: 21.06.2010).
Hier klagte Lufthansa gegen die Onlineaktivisten wegen Nötigung; diese wurden in zweiter Instanz freigesprochen.
Des Weiteren gibt es jene Formen von Netzaktivismus, der nichts mit Hackaktivismus/zivilem elektronischen Widerstand zu tun hat, sondern der unter die Kategorie ermöglichender, also Kommunikationsbeziehungen herstellenden Aktivismus fällt.
Sein Ziel ist es, zur Demokratisierung des Internets beizutragen und dessen ungehinderten Informationsfluss sicherzustellen bzw. diesen freien Informationsfluss auszubauen.
Beispiele für diese Form von Netzaktivismus sind Projekte, wie z. B. das Infrastruktur-Projekt Name.Space aus dem Jahr 2000.
Das Projekt wandte sich gegen die damals betriebene, künstliche Klapphaltung bzw. Verknappung an verfügbaren Domainnamen, was eine Beschneidung des freien Informationsflusses im Internet darstellte und zeigte, dass technisch eine unbegrenzte Anzahl an Domainnamen möglich ist. (Vgl. Arns, Inke: This is not a toy war. Politischer Aktivismus in Zeiten des Internet. In: http://www.projects.v2.nl/~arns/Texts/Media/notoywar.html dl: 21.06.2010 )
Eine weitere Aufgabe des elektronischen zivilen Widerstands war/ist es, die durch das Internet entstandenen Möglichkeiten der Gegeninformation und Gegenspionage optimal zu nutzen und Methoden hierfür zu entwickeln. Diese Projekte der Gegeninformation und Gegenspionage zielen ebenso darauf ab, freie Kommunikationsbeziehungen herzustellen und einen unabhängigen Informationsfluss im Internet aufzubauen.
Es wurden unabhängige, kleine Basis(-medien)netzwerke aufgebaut. Mit diesen kleinen, unabhängigen Medien kann Information von unten betrieben werden: Der Grundsatz ist, dass alle Informationen senden und auf die Seite stellen können, während hingegen dies bei herkömmlichen, hierarchischen Medien nicht möglich ist, da diese hochselektiv bei der Verbreitung von Informationen sind.
In diesem Sinne entstanden die (meist lokalen) freien und unabhängigen Medien (Radio, Fernsehen, Presse), Kultur-, Kommunikations- und Vernetzungsnetzwerke. In Linz existiert als Beispiel für diese Projekte z. B. das freie Radio FRO, dann existiert im deutschsprachigen Raum das unabhängige Basisinformationsnetzwerk Kanal B, wo jedermann Videos veröffentlichen kann und welches sich als Gegenfernsehen versteht.
Indymedia, als weiteres Beispiel, stellt das wohl größte und auch überregional am verbreitetsten, unabhängige (Gegen-)Mediennetzwerk dar, welches frei zugängliche und alternative Informationen (z. B: Berichte über soziale Proteste, Termine politischer Aktionen) bietet und wo wiederum jeder als Journalist akzeptiert wird, d.h. jeder Artikel und Informationen publizieren/hochladen kann.
Youtube, wo jedermann Videos (z. B. mitgefilmte Demoausschnitte) veröffentlichen kann, bzw. Livestreaming stellen ebenso Projekte für den unabhängigen, freien Informationsfluss im Internet dar.
All diese freien und unabhängigen Informations- und Kommunikationsnetzwerke stellen heute eine wesentliche Informationsquelle und Koordinierungsstelle für politische Aktivisten dar.
Die Bedeutung des Internets für soziale Proteste wurde auch während der Studentenproteste 2009 in Österreich (wo über Facebook Termine für Besetzungen vereinbart wurden), sichtbar. Generell gibt es eine steigende Anzahl an Demonstrationen, die ausschließlich über Facebook mobilisieren (so zum Beispiel Demos gegen das österreichische Asylgesetz). Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung des Internets als Koordinierungsstelle und Informationsquelle für politischen Widerstand stellen die Proteste im Iran dar, wo durch die Zensur des Regimes die einzige Informationsmöglichkeit freie Onlineportale wie Youtube, Twitter etc. darstellen. Deshalb sind diese Seiten auch oft der Zensur ausgesetzt und werden vom Staat gesperrt. Dies passiert natürlich auch in anderen Ländern. So zum Beispiel in Griechenland, wo während der großen Massendemonstrationen 2009/10 der Staat mehrmals indymedia (wo in Minutenabständen wichtige Informationen live aus den Demos hochgestellt wurden) vom Netz genommen hat und ebenso die Handynetze ausgeschaltete, damit sich die Demonstranten nicht mehr via Handy koordinieren konnten. Diese Beispiele zeigen die Wichtigkeit von gleichzeitigen, begleitenden elektronischen Kampfmaßnahmen zu physischen Straßenprotest auf.
Critical Art Ensemble (1996): Electronic Civil Disobedience and other Unpopular Ideas, New York.
Arns, Inke: This is not a toy war. Politischer Aktivismus in Zeiten des Internet. In: http://www.projects.v2.nl/~arns/Texts/Media/notoywar.html , dl: 21.06.2010.
Dieser Text wurde auch publiziert in: Stefan Münker,/Roesler, Alexander (Hrsg.) (2002): Praxis Internet, Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 37-60
Koch, Holger (2008): Politik im Internet. Aktivismus, Hackaktivismus, Cyber-Terrorismus. In: http://internettechnik-netzwerktechnik.suite101.de/article.cfm/politik_im_internet, dl: 21.06.2010
Krempl, Stefan: Netzaktivismus: Das Netz schlägt zurück.
In: http://archives.openflows.org/hacktivism/hacktivism00945.html, dl: 21.06.2010
Spörr, Bettina: Elektrohippies und andere Störer im Cyberspace. Vom zivilen Ungehorsam zum elekronischen Widerstand.
In: http://www.igbildendekunst.at/bildpunkt/2008/nichtallestun/spoerr.htm, dl: 21.06.2010
Soziale Online-Netzwerke wie Facebook sind häufiges Thema in den Medien. Besonders zum aktuellen Zeitpunkt erregen groß angelegte Facebook-Aktionen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Ob das Nutzen der Seite als öffentliche Plattform zur Mobilmachung gegen Menschenrechtsverletzungen („Kony2012“), oder den Protesten von Tierschützern gegen die anstehende Europameisterschaft 2012 in der Ukraine und Polen – verschiedene Interessengruppen versuchen mithilfe des sozialen Netzwerkes im Internet, gesellschaftliche und politische Veränderungen herbeizuführen.
Ein US-Admiral bemerkte unlängst, dass es „[v]ier große Mächte […] derzeit auf der Welt [gebe]: China, Indien, die USA – und Facebook“ (Wefing, 2012. S. 1). Das soziale Online-Netzwerk ist „zum Zentralnervensystem der globalen Kommunikation geworden“ (ebd.).
In der wissenschaftlichen Fachliteratur wird das Thema Facebook einerseits mit der Fragestellung der Veränderungen von Beziehungen bearbeitet, andererseits liegt ein weiterer Hauptaugenmerk auf dem bewussten und sicheren Umgang von Kindern und Jugendlichen mit sozialen Online-Netzwerken.
Diese Arbeit ist phänomenologisch aufgebaut und beginnt mit dem Beispiel einer Facebook-Gruppe (Kapitel 2), die sich mit dem Ziel gegründet hat, Widerstand gegen die Guerilla-Organisation FARC zu leisten. Diese Gruppe hat sich innerhalb kurzer Zeit zu einer weltweiten Protestbewegung ausgeweitet.
Im dritten Kapitel wird die zentrale Fragestellung dieser Arbeit erörtert und die These aufgestellt, dass Facebook einen öffentlichen Raum darstellt, in dem Politik stattfindet.
Der Hauptteil der vorliegenden Arbeit gliedert sich in drei große Themenblöcke: soziale Netzwerke, Facebook und Macht.
Im Themenblock der sozialen Netzwerke (Kapitel 4) wird zunächst eine Definition von sozialen Netzwerken gegeben, bei der auch auf das „Small World“-Phänomen sowie die Stärke schwacher Bindungen und das durch Netzwerkarbeit entstehende Sozialkapital behandelt wird.
Im Folgenden wird näher auf die virtuellen Communities sowie auf Social Network Sites eingegangen, von denen Facebook das bekannteste Beispiel darstellt.
Der nächste große Themenblock ist Facebook gewidmet (Kapitel 5), wobei zunächst auf Daten und Fakten eingegangen wird und darauffolgend die Nutzerstruktur sowie die Funktionen dargestellt werden. Abschließend stellt das Kapitel Facebook und Macht (Kapitel 5.3) eine Überleitung zum letzten großen Themenblock der Macht dar (Kapitel 6).
Das sechste Kapitel nähert sich zunächst dem amorphen Begriff der Macht. Darauf aufbauend werden die zwei Sichtweisen von Macht beschrieben, nämlich power to und power over, woran sich im folgenden Punkt der Begriff des Empowerment anschließt. Die anthropologischen Grundlagen der Macht nach Popitz sind Thema des nächsten Kapitels. Nachfolgend wird die Organisationsmacht dargestellt. Arendts Begriff der Macht ist der letzte Teil dieses Themenkomplexes.
Das siebte Kapitel bildet eine Zusammenfassung der genannten Theorien in Bezug auf das eingangs beschriebene Beispiel der Facebook-Gruppe.
Das abschließende Kapitel 8 beschäftigt sich mit den Erkenntnissen und möglichen Folgen für die Soziale Arbeit.
„NO MAS SECUESTROS, NO MAS MENTIRAS, NO MAS MUERTES, NO MAS FARC” (www.facebook.com/onemillionvoices?sk=info)
„Keine Entführungen mehr, keine Lügen mehr, keine Morde[4] mehr, keine FARC mehr“ – diese Formulierung prangt auf der kolumbianischen Flagge, die als Logo auf der Startseite der Facebook-Gruppe „One Million Voices Against FARC“ abgebildet ist. Oscar Morales, ein Bauingenieur aus der kolumbianischen Stadt Barranquilla, gründete am 04. Januar 2008 diese Gruppe auf Facebook (www.facebook.com/onemillionvoices?sk=info).
Die FARC-EP („Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo“), ist eine Guerilla-Organisation, deren Geschichte bis in die 1950er Jahre reicht (vgl. Zelik, 2000, S. 176). Anfangs war sie „vor allem als Selbstschutzorganisation gedacht, die Gewerkschaftler und Aktivisten der Bauernorganisation für den Fall einer Repressionswelle den Rückzug sichern sollte“ (ebd., S. 58). Mittlerweile hat sich die FARC „radikalisiert [und ist] eine kleine Armee, die auf dem Land […] als Autorität anerkannt ist“ (ebd., S. 180). Aktuell besitzt „die FARC […] etwa 8.000 bis 10.000 Kämpfer, Frauen und vielfach zwangsrekrutierte Kinder eingeschlossen“ (Jost, 2011, S. 4). Aus „einer Bewegung mit durchaus sozialem und politischem Anliegen in den 1960er Jahren“ (Wieland, 2008, S. 4) ist die FARC durch „Drogenhandel, Erpressung und Entführungen“ zu einer terroristischen Organisation verkommen (ebd.). Der Rückhalt in der Bevölkerung ist weitgehend verloren gegangen; „laut Umfragen haben nur ein Prozent der Kolumbianer ein positives Bild der FARC“ (ebd.).
Im Jahr 2008 hielt die FARC „insgesamt 700 Geiseln, darunter die kolumbianische Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, die 2002 […] zusammen mit Clara Rojas gekidnappt wurde“ (Kirkpatrick, 2011, S. 1), fest. Während ihrer Zeit als Geisel bekam Clara Rojas einen Sohn namens Emanuel (ebd.). Dieser verbrachte seine ersten vier Lebensjahre bis zur Gründung der Facebook Gruppe in der Gefangenschaft der FARC.
Kurz vor Weihnachten kündigten die Rebellen überraschend an, einige Geiseln freizulassen. Darunter sollten sich auch Clara Rojas und ihr Sohn Emanuel befinden. Diese Nachricht löste in der Bevölkerung große Begeisterung und Hoffnung aus, „die Leute sehnten sich nach einem Geschenk, einem Wunder“ (ebd., S. 1f.). Die Freilassung ließ jedoch auf sich warten, bis Anfang Januar 2009 der kolumbianische Präsident Alvaro Uribe bekannt gab, dass sich Emanuel scheinbar gar nicht mehr in der Gewalt der FARC befand (ebd., S. 2). Emanuel war einige Zeit vorher, nachdem er schwer erkrankt war, von seiner Mutter getrennt und einem Landarbeiter und seiner Familie übergeben worden und befand sich demnach bereits in staatlicher Obhut (ebd.).
Zu diesem Zeitpunkt war für Oskar Morales der Moment gekommen, an dem er nicht mehr nur zusehen wollte. Die Bevölkerung fühlte sich „von der FARC angegriffen, […] sie waren stinkwütend“ (ebd.) und konnten es nicht fassen, dass die FARC „um das Leben eines Kindes verhandelt, das sie gar nicht hatten“ (ebd.). Morales besaß bereits einen Account auf der damals nur in englischer Sprache existierenden Facebook Homepage.
Die Suche nach dem Begriff „FARC“ ergab zum damaligen Zeitpunkt keine Ergebnisse. So entschloss Morales sich, eine eigene Gruppe zu gründen. Sein Ziel war der Aufbau einer „engagierte[n] Gemeinschaft, die sich für unsere Ziele einsetzt“ (ebd., S. 3). Die Resonanz, die er auf die Gruppe erhielt, konnte er selbst kaum glauben: „We expected the idea to resound with a lot of people but not so much and so quickly“ (Rheingold, 2008, o. S.). Der Gruppe waren innerhalb der ersten sechs Stunden bereits 1.500 Menschen beigetreten (vgl. Kirkpatrick, 2011, S. 3). Nach 24 Stunden hatte die Gruppe schon „3.000 supporters“ (Neumayer & Raffl, 2008, S. 3). Derzeit besitzt die Seite auf Facebook 630.940 Unterstützer (www.facebook.com/onemillionvoices?sk=info, Stand 22.01.12).
Anfangs wurde die Gruppe von Morales nur dazu genutzt, um seine Empörung über die FARC (auf der Pinnwand) zum Ausdruck zu bringen. Zwei Tage nach Gründung rief er zu einer Kundgebung auf (vgl. Kirkpatrick, 2011, S. 4). Zu den Unterstützern der Gruppe zählten von Anfang an nicht nur in Kolumbien lebende Menschen. Es waren viele Menschen aus unterschiedlichen Ländern Mitglied, die auf den Vorschlag einer Kundgebung in Kolumbien begeistert reagierten und am gleichen Tag Solidaritätsproteste organisierten. Der Tag der Kundgebungen sollte der 04. Februar 2008 werden, genau einen Monat nach Gründung der Gruppe (ebd., S. 4). An diesem Tag nahmen „über vier Millionen Kolumbianerinnen und Kolumbianer an Demonstrationen gegen […] FARC“ (Huhle, 2008, S. 2) teil. In rund 165 Städten weltweit fanden am gleichen Tag Protestkundgebungen statt, welche sich solidarisch mit den kolumbianischen Protestierenden zeigten. Verschiedenen Medienberichten zufolge nahmen außerhalb Kolumbiens zwischen 500.000 und 2.000.000 Menschen daran teil (vgl. Neumayer & Raffl, 2008, S. 1).
Aus Angst wagten es bis dahin nur wenige, sich offen gegen die FARC auszusprechen. Sie waren zwar alle wütend, aber auch gleichzeitig eingeschüchtert (Kirkpatrick, 2011, S. 2). Durch Facebook wurde den „jungen Leuten Kolumbiens eine einfache, digitale Möglichkeit [gegeben], im Schutz der Masse ihre Empörung zu äußern“ (ebd., S. 5).
Facebook spielte für die Organisatoren von Anfang an eine sehr wichtige Rolle. Laut dem Gruppengründer Morales war „Facebook […] unser Hauptquartier. Es war unsere Zeitung, unsere Kommandozentrale, unser Labor – einfach alles. Facebook war all das für uns, vom ersten bis zum letzten Tag“ (ebd.).
Der oben beschriebene Fall der Facebook-Gruppe „One Million Voices Against FARC“ zeigt, wie schnell und einfach es möglich sein kann, viele Menschen zusammen zu schließen und gemeinsam zu handeln. Das gemeinsame Interesse der Menschen waren die Wut und der Missmut gegenüber dem Auftreten und den Handlungsweisen der FARC sowie die Machtlosigkeit der Regierung gegenüber den Rebellen. Das Ziel des Gruppengründers Morales war die Gründung einer engagierten Gemeinschaft, die sich gemeinsam gegen die FARC einsetzt. Facebook war ihr Medium, mittels dem sie sich organisierten, gemeinsame Aktionen durchführten und Druck auf die FARC und die kolumbianische Regierung ausübten. Facebook ermächtigte die Menschen, sich für ihre Interessen einzusetzen.
In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie die Ereignisse in Kolumbien erklärt werden können und welchen Nutzen die Soziale Arbeit aus den Erkenntnissen ziehen kann?
Im Sinne einer sehr umfassenden Definition bezeichnet Politik „jegliche Art der Einflussnahme und Gestaltung sowie der Durchsetzung von Forderungen und Zielen, sei es im privaten oder öffentlichen Bereichen“ (Frantz & Schubert, 2005, S. 7). Ausgehend von diesem Verständnis von Politik wird folgende These aufgestellt: Wenn Facebook ein Ort ist, der es Usern ermöglicht, sich im öffentlichen Raum zusammenzuschließen, um gemeinsame Gedanken auszutauschen, im Sinne von Arendt gemeinsam zu handeln – dann ist Facebook ein öffentlicher Raum, in dem Politik stattfindet.
Der deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit e. V. (DBSH) definiert Soziale Arbeit in Anlehnung an die International Federation of Social Workers (IFSW) folgendermaßen: