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Während Catrin, alias Candrine Cook, erfolgreiche Autorin, sog. Nackenbeißer, an der Nordsee auf einer Tagung spricht, wird ihr Mann Felix im heimischen Dorf Schützenkönig. Durch ein Foto im Internet entdeckt Catrin allerdings noch eine Kleinigkeit: Ihr Mann betrügt sie mit der neuen Schützenkönigin! - Fassungslos nimmt sie den nächsten Zug nach Hause. Dort erfährt sie zu ihrem Entsetzen nicht nur, dass Felix ihre trächtige Hündin abgeschoben hat, sondern auch, dass diese seit einem Unfall vermisst wird. Könnte ihr Agent Norbert Schulte helfen? Oder Wolf Ränger, der im Zug neben ihr saß und sich so fürsorglich um sie kümmerte? Beide wohnen doch in der Nähe der Unfallstelle! - Als Catrin niemanden erreichen kann und sich zu allem Überfluss auch noch ein gewaltiger Sturm zusammenbraut, drängt die Zeit. In ihrer Panik postet sie einen Hilferuf im Internet und nimmt dabei in Kauf, dass sich auch der verhasste Tierschützer Rock Wood (den sie gar nicht kennt) in die Suche einschalten könnte. - Berührend und witzig zugleich - nicht nur für Leser, deren Herz für Hunde oder das Sauerland schlägt.
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Seitenzahl: 313
Für Dirk – natürlich
Andrea Reichart
Rock im Wald
Ein Norbert-Roman
MÖNNIG-VERLAG ISERLOHN
Andrea Reichart ist Buchhändlerin und Literaturwissenschaftlerin (MA). 2008 kam sie ins Sauerland, um das literarische Konzept des Literaturhotel Franzosenhohl umzusetzen, das sie bis heute betreut.
Ihr erster Roman „Nenn mich Norbert“ wurde 2012 für den DeLiA Literaturpreis nominiert – als schönster Liebesroman des Vorjahres. Seit 2012 hat sie mehrere Kurzgeschichten und Liebesromane veröffentlicht, unter einem Pseudonym schreibt sie Jugend-Fantasy. Außerdem arbeitet sie als Lektorin und unterrichtet Schreibwillige in sogenannten Blitz-Workshops. Sie ist seit 2013 DeLiA Vorstandsmitglied (Vereinigung deutschsprachiger Liebesromanautoren und -autorinnen).
„Rock im Wald“ ist ihr zweiter „Norbert-Roman“ – weitere sind geplant. Mehr Infos unter http://www.andrea-reichart.de und http://www.aubrey-cardigan.de
Andrea Reichart lebt mit Mann und Hund Norbert in Iserlohn.
Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
© Mönnig-Verlag, Iserlohn, 2015
Alle Rechte an Bild und Text, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotografischen Wiedergabe und der Vervielfältigung bleiben dem Verlag vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Mönnig-Verlag
Buchgestaltung, Textbearbeitung und Produktion: Mönnig-Verlag, Iserlohn. Das Foto ,Saukanzel’ auf der Titelseite wurde freundlicherweise durch die Firma Land- und Forstbetrieb Ernst Kugler in Ertingen-Erisdorf zur Verfügung gestellt.
Gedruckte Ausführung unter www.moennig.de
Print: ISBN 978-3-933519-69-6
E-Book: ISBN 978-3-933519-70-2 EPUB
E-Book: ISBN 978-3-933519-71-9 MOBI
„Und das hier ist der neue Schützenkönig. Erkennst du ihn?“ Catrin klickte auf Vergrößern und Felix erschien in Siegerpose auf dem Bildschirm.
„Meine Güte, hat der noch mehr zugenommen?“ Miriam lehnte sich zurück und trank einen Schluck Wein.
„Ich befürchte, ja.“ Catrin legte den Kopf schief und betrachtete stirnrunzelnd ihren Mann in seiner Schützenuniform, umgeben von den wichtigsten Schützenbrüdern ihres kleinen Dorfvereins.
„Solltest du nicht eigentlich neben ihm da oben auf der Bühne stehen, als seine Königin?“, frotzelte Miriam.
„Um Gottes willen, alles, nur das nicht. Ich habe ihm erlaubt“, Catrin vollführte mit der rechten Hand eine würdevolle Geste und neigte ihren Kopf in erhabener Großzügigkeit, „stattdessen seine Kollegin Sabrina zu adeln.“
„Ganz schön riskant, ihm gleich Körbchengröße D zu gestatten.“ Miriam starrte auf den Bildschirm. „Was hat er denn da am Kragen? Ist das eine Rose?“, fragte sie plötzlich.
„Wo?“ Catrin beugte sich vor. „Tatsächlich.“
„Schick!“
Catrin gähnte. „Wer weiß, wer ihm die ins Knopfloch gesteckt hat.“ Lustlos klickte sie sich durch die Onlinegalerie des Schützenvereins.
„Halt! Geh mal zurück – ja, genau. Was ist das?“ Miriam tippte ein Bild an und wies auf etwas Schwarzes vor einem der zahlreichen Rosensträucher, die den Park am See zierten.
Catrin runzelte die Stirn. Was hatte sich der Fotograf nur dabei gedacht, Abfall aufzunehmen? „Das ist sicher ein Müllsack“, sagte sie und wollte weiterklicken, aber Miriam legte die Hand auf ihre.
„Gib mir mal die Maus!“ Mit wenigen Klicks zoomte sie das Bild heran. Ein elegantes schwarzes Damenjäckchen, zusammengeknüllt und halb unter dem blühenden Rosenbusch verborgen, füllte den Bildschirm. Die benutzten und achtlos fortgeworfenen Papiertaschentücher daneben stachen grell ins Auge.
„Na!“, triumphierte Miriam. „Schützenfest-Quickie – da hatte es aber jemand eilig.“ Sie warf den Kopf zurück und lachte. „Nur blöd, wenn man zu besoffen ist, sich wieder richtig anzuziehen! Oder?“ Gut gelaunt klatschte ihre Hand auf Catrins nacktes Knie.
Catrin antwortete nicht, sondern starrte auf die Damenjacke. Das konnte doch nicht wahr sein! Rasch suchte sie das Foto mit Felix und zoomte ihn heran. Dann klickte sie sich zurück zu dem Bild mit der Jacke.
„Sprich mit mir, Catrin. Was ist los?“ Miriam stieß ihr mit dem Ellenbogen liebevoll in die Seite.
„Das ist los!“, schrie Catrin plötzlich auf und tippte wütend mit dem Zeigefinger auf einen kleinen gelben Punkt am Kragen des eleganten, im Dreck liegenden Boleros.
Miriam zuckte die Schultern. „Ich kann nicht erkennen, was das ist“, murmelte sie.
Wortlos stand Catrin auf und kam mit dem Jackett, das sie heute beim Vortrag getragen hatte, zurück. Es ähnelte dem anderen, war aber dunkelblau. Sie hielt ihrer Freundin den Kragen ihrer Jacke unter die Nase.
„Kannst du es jetzt besser erkennen?“, fragte sie bitter. Der kleine Pin, das Erkennungszeichen ihres Vereins, leuchtete wie eine winzige Sonne auf dem dunklen Blau des Stoffes.
„Ach du Scheiße“, flüsterte Miriam. „Der Quickie-Bolero auf eurem Schützenfest gehört einer von uns?“
„Das kannst du wohl laut sagen. Er gehört mir. Er hing in meinem Schrank, als ich fuhr. Und die Rose an Felix’ Revers stammt aus diesem Busch!“ Catrin schleuderte ihr Jackett gegen den Bildschirm. „Mein Mann hat was mit seiner Königin!“
Wie sie es schaffen sollte, noch drei Tage hierzubleiben, ohne den Verstand zu verlieren, war ihr ein Rätsel.
Wütend rollte sich Catrin auf die Seite und warf einen Blick auf den Wecker. Gerade ein Uhr durch. Miriam war vor einer Stunde gegangen, daheim kroch Felix vermutlich gerade mit Sabrina durchs Gebüsch, auf der Suche nach dem verlorenen Bolero. Und was war mit Diva? Wer kümmerte sich um ihre hochträchtige Hündin? Felix ja ganz offenbar nicht, so, wie es aussah.
Sie hätte sie doch zu Norbert und Claudia geben sollen! Warum hatte sie das eigentlich nicht getan? Immerhin hatte Nobbi Diva gedeckt. Weil sie, Claudia, zu blöd gewesen war, zu erkennen, dass die erste Hitze ihrer Hündin hohe Flammen schlug. Hoch genug, um den lebenslustigen Rüden in Brand zu setzen. Als wenn es nicht schon genug Welpen gäbe.
Verdammt! Wie sie die sanfte Hündin vermisste! Felix hatte so versprochen, gut auf sie achtzugeben. Und jetzt? Jetzt trieb er es hinter ihrem Rücken vermutlich schon seit zwei Tagen mit seiner Kollegin und hatte sicher alles im Kopf, nur nicht Divas Wohl.
Nein, sie musste zurück. Sie war zwar erst heute Morgen angekommen, aber wie man sehen konnte, war sie bereits viel zu lange fort.
Die Tagung würde ohne sie weitergehen müssen. Ganz ausgeschlossen, sich hier mit Autorenkolleginnen zu amüsieren, während Felix ihren Hund vernachlässigte, weil ihm das Hirn im Vollrausch vollends in die Hose gerutscht war.
Entschlossen wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und stand auf. Eilig riss sie die Schränke auf und nahm ihre Kleidung von den wenigen Bügeln darin. Dann hievte sie den Rollkoffer aufs Bett und begann zu packen.
Wo würde sie nur hingehen? Auf keinen Fall konnte sie mit Felix zusammenbleiben. Nicht nach diesem letzten endgültigen Beweis, dass er ein Schwein war.
Sie griff nach einem Informationsflyer auf dem Schränkchen unter der Garderobe und suchte die Nummer eines Taxiunternehmens. Sie würde sich direkt bis zum Hamburger Hauptbahnhof fahren lassen und einfach hoffen, dass es eine schnelle Verbindung nach NRW gab und sie nicht bis zum Morgen warten musste. Notfalls war aber auch das egal. Hauptsache weg von hier.
Als sie ins Bad ging und ihre wenigen Kosmetikartikel zusammenraffte, hielt sie für einen Moment inne. Die vom Weinen rotunterlaufenen Augen würden sich sicher bald beruhigen, es sei denn, sie brach immer wieder in Tränen aus. Sie würde sich zusammenreißen müssen, denn sie wollte verflucht sein, wenn sie wie das buchstäbliche heulende Elend vor Felix’ Tür erschien.
Mit einigen routinierten Handgriffen steckte sie ihre schulterlangen braunen Haare hoch, dann zog sie sich trotz zitternder Hand halbwegs gerade Lidstriche, tuschte die Wimpern und legte sogar noch ein paar Tropfen Parfüm auf. Ja, das reichte, so konnte sie sich sehen lassen. Und so fühlte sie sich auch wieder etwas selbstbewusster. Selbstbewusst genug, der Nachtwelt von Hamburg zu begegnen.
Wenigstens reise ich erster Klasse, dachte sie erleichtert. Die Lounge am Bahnhof war vielleicht nicht das Hilton, aber allemal besser als eine Bahnhofshalle.
Mit einem letzten Blick überprüfte sie ihre Kleidung. Es war draußen noch immer sommerlich warm, tagsüber waren es immerhin fast dreißig Grad gewesen. Sie hatte sich für ein weißes T-Shirt entschieden, für Jeans und ein paar bequeme Sportschuhe, die sie notfalls bis ans Ende der Welt tragen würden. Den flauschigen, blaugemusterten Reise-Pullover, den ihre Großmutter ihr vor so vielen Jahren als Unterwegs-Talisman gestrickt hatte, band sie um ihre Hüften.
Als sie endlich im Taxi saß, schrieb sie Miriam eine SMS und erklärte ihren überstürzten Aufbruch so gut es ging. Dann schaltete sie das Handy aus. Es war besser, wenn niemand sie erreichen konnte.
Erschöpft schloss sie die Augen und lehnte den Kopf zurück. Sie spürte, wie der Taxifahrer einen skeptischen Seitenblick riskierte, und war froh, dass er ihre verweinten Augen richtig deutete. Sie wollte nicht unterhalten werden.
Kommentarlos schaltete er das musikalische Nachtprogramm des örtlichen Radiosenders ein und trat aufs Gas.
Wie vermutet fuhr um diese Zeit noch kein ICE oder EC Richtung Dortmund und so stellte Catrin ihr Gepäck neben einen der gemütlichen Lounge-Sessel und ging zur Servicestation, um sich einen Espresso zu holen.
Außer ihr nutzten nur wenige Passagiere die Lounge: ein älteres Ehepaar, das sich am Fenster in einen großformatigen Prospekt vertiefte, ein junger Inder, der zu schlafen schien, und ein Typ im Hugo Boss Anzug, der sich gerade erhob und den Raum verließ. Catrin nahm ihren Espresso und begab sich zurück zu ihrem Platz.
Die ältere Dame blickte auf und warf ihr einen freundlichen Blick zu. Catrin lächelte ihr Ich-bin-erfolgreich-Lächeln, auch wenn sie sich gerade fühlte wie jemand, der heimatlos geworden war. Ganz verkehrt war das schließlich nicht. Sie durfte nun keinen Fehler machen, was die Planung ihres zukünftigen Lebens betraf. Des Lebens, das sie sich neu aufbauen musste. Für sich, für Diva und für deren Babys, die irgendwann Ende der Woche geboren werden würden.
Diva und sie hatten einander gesucht und gefunden. Beide waren sie so einsam gewesen, als sie einander begegneten. Die junge Hündin, der traurigste Welpe, der ihr je unter die Augen gekommen war, und sie selbst noch unter ihrer Fehlgeburt leidend. Sie hatte es genau gesehen, das irritierte Aufmerken im Blick des jungen Tieres, als ihre Freundin Linda ihr den Welpen in den Arm drückte.
„Die anderen sind alle weg, diese hier wollte niemand haben“, sagte Linda und klang entsetzlich erschöpft.
„Warum nicht?“, fragte Catrin fassungslos und drückte das braunschwarze Fellknäuel an ihre Brust.
„Keine Ahnung“, meinte Linda. „Vielleicht, weil sie so zurückhaltend und still ist? Die Leute sagten, sie wirkt apathisch.“ Linda schüttelte den Kopf. „So ein Unsinn. Sie ist nur etwas vorsichtiger, wenn du mich fragst.“
Catrin verkniff sich ihren Kommentar. Traurig traf es sicher eher. Oder resigniert. Der Mutter entrissen, weit vor der Zeit, weil Linda einfach nicht mehr konnte. Weil das Aufziehen der Welpen mehr Kraft forderte, als ihr anstrengender Vollzeitjob ihr ließ.
Catrin führte den Espresso an ihren Mund und verbrannte sich die Lippen, was sie zurück ins Hier und Jetzt riss. Verdammt! Sie blies so lange in die kleine Tasse, bis das dunkle Gebräu Trinktemperatur erreichte, dann trank sie es in einem Zug aus. Das sollte reichen, sie noch ein wenig wachzuhalten, bis der Zug ging.
Die Tür öffnete sich und der Anzugträger kam zurück.
Männer wie er ließen Catrins Fantasie Kapriolen schlagen. In Sekundenschnelle füllte sich der Raum mit imaginären Romanfiguren, eine verwegener als die andere. Sie konnte ihren Blick kaum von dem großen, kräftig gebauten Fremden mit dem dichten dunklen Haar und dem attraktiven und gut gepflegten Dreitagebart reißen. Playboy, tippte sie. Verwegen. Herzensbrecher. Sicher steinreich.
Langsam schlenderte der mutmaßliche Multimillionär zu einem Platz ihr genau gegenüber und setzte sich.
Ein unauffälliger Rucksack neben seinem Sessel ließ sie die Stirn runzeln. Seit wann reisten Männer wie dieser mit Rucksäcken?
Sie setzte sich ein wenig auf und sah genauer hin, als er eine Zeitung ergriff und sich dahinter verbarg. Seine Hände waren gewaltig und wirkten, wenn sie sich nicht mächtig täuschte, als könnten sie nicht nur Bäume ausreißen, sondern als würden sie das auch gelegentlich tun. Die Nägel waren sauber, aber seine Finger waren rau, als wären sie Anpacken gewohnt.
In dem Moment, als er die Zeitung ein wenig sinken ließ, um umzublättern, schaute Catrin schnell in eine andere Richtung, aber nicht schnell genug. Der Blick aus leuchtend blauen Augen, der sie für einen winzigen Moment traf, fuhr ihr durch Mark und Bein. Himmel! Alleine für seine Augen benötigte dieser Typ einen Waffenschein.
Reiß dich bloß zusammen, du bist schließlich verheiratet, rief sie sich selbst zur Räson, aber schlau war das nicht, weil mit dem Gedanken an Felix ihre Wut zurückkehrte und ihre Galle drohte, überzulaufen. Na, wenigstens heule ich nicht direkt los, dachte sie erleichtert.
Genervt erhob sie sich und ging zu einer Tür, die auf eine kleine Terrasse führte. Naja, Terrasse war vielleicht zu viel gesagt, eher ein Balkon oder Teil des Fluchtweges. Egal, ein Weg raus aus diesem Raum.
Sie drückte gegen die Glastür, aber der Ausgang schien verschlossen. Mist. Alleine in den Bahnhof hinauszugehen, das erschien ihr doch ein wenig riskant. Frustriert rappelte sie an dem Türgriff.
„Darf ich?“ Die tiefe Stimme hinter ihr fuhr ihr so unter die Haut, dass ihre Hände begannen zu zittern, als sie sie von der eisernen Verriegelung zurückzog.
Mit einem kräftigen Ruck öffnete der Fremde die Tür und hielt sie auf. Wortlos und nur mit einer leichten Kopfbewegung forderte er sie auf, hinauszugehen.
„Komme ich denn nachher wieder rein?“, fragte Catrin unsicher.
„Natürlich.“
Lachte er sie aus oder an?
„Notfalls können uns die beiden dort drüben wieder hereinlassen.“ Er nickte dem älteren Ehepaar zu, das sie aufmerksam beobachtete, und lächelte die beiden an. Die Frau erwiderte sein Lächeln sofort, über das ganze alte Gesicht strahlend, was Catrin nicht im Geringsten überraschte.
Sie schmunzelte. Wahrscheinlich überlegte der konsterniert dreinblickende Ehemann gerade, wann er diese Wirkung auf seine Frau verloren hatte.
„Na gut, dann will ich Ihnen mal vertrauen“, sagte Catrin und ging hinaus. „Danke.“
„Gerne. Rauchen Sie?“
Sie sah, wie sein Blick sie aufmerksam streifte, wie er sie blitzschnell von oben bis unten taxierte.
„Nicht mehr.“ Dass sie während ihrer Schwangerschaft aufgehört und nie wieder mit dem Rauchen begonnen hatte, ging ihn nichts an.
Flackerte etwas wie ein Schatten des Bedauerns über seine Züge? Galt er der Tatsache, dass er nun alleine rauchen musste? Oder, dass sie einen Ehering trug? Schweigend steckte er sich eine Zigarette an.
„Wohin geht die Reise?“, fragte er plötzlich und Catrin erschrak, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass das Gespräch weitergehen könnte.
„Ins Sauerland. Und selbst?“
„Auch.“
Sie legte normalerweise Wert darauf, zu betonen, dass der Ort, in dem sie lebte, streng genommen nicht im Sauerland lag, sondern eher kurz davor. Wenn die Leute Sauerland hörten, dachten die meisten nämlich sofort an Wälder, Wiesen und „Woll?“ Manchmal war ihr das peinlich. Manchmal nicht.
Ihr Gesprächspartner blies gedankenverloren filigrane Rauchkringel in die Nacht. „Ich könnte nicht mehr in der Stadt leben.“
Ach du je, noch so einer, dachte Catrin und seufzte.
Felix und sie hatten jahrelang im Ruhrgebiet gelebt, er arbeitete dort bei einem großen Energiekonzern. Und dann legte einer ihrer Sauerlandurlaube plötzlich einen Hebel in seinem Kopf um. Fortan redete er nur noch davon, aufs Land zu ziehen. Er entwickelte einen regelrechten Hass auf die Großstadt und trug ihn bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zur Schau. Bis er schließlich kündigte und sich einen neuen Job suchte, hinter ihrem Rücken.
„Nichts kann man dir recht machen!“, sagte er wütend. „Jede Überraschung machst du einem kaputt.“ Er packte seine Jacke und wollte hinausgehen, an der Tür drehte er sich dann aber noch einmal zu ihr um. „Du kannst deine blöden Schnulzen überall schreiben“, sagte er. „Stell dich also nicht so an!“
Mein Gott, war ich naiv, dachte Catrin bitter.
Hatte sie Felix eigentlich jemals wirklich geliebt? Vermutlich. Nur wann war ihnen die Liebe abhandengekommen? Als sie das Kind verlor und er sie anherrschte, sie solle sich nicht so anstellen?
Catrin fand einen Weg, ihren Schmerz zu überwinden. Sie stürzte sich in die Arbeit, schrieb einen Roman nach dem anderen. Wer glaubte, das Leben halte Liebe pur für einen bereit, der musste sich auf eine Überraschung gefasst machen. Der musste dringend begreifen, dass es die nur in der Fiktion gab. Das richtige Leben war nicht farbenfroh und voller Leidenschaft, es war grau.
Und grausam. Wer eine heile Welt suchte, der musste sie sich erträumen. Dem blieb nichts anderes übrig, als sich die Mühe zu machen, ein Buch aufzuschlagen.
Felix lebte sich im Gegensatz zu ihr schnell in der Dorfgemeinschaft ein. Dort fand er alles, was sein Herz begehrte: seinen heißgeliebten Schützenverein und eine Aufgabe, nämlich die vergammelte feuchte Schützenhalle am See mit seinen Schützenbrüdern zu renovieren, in jeder freien Minute. Und unbeobachtet Sabrina zu bespringen, wann immer ihm danach war.
Für sie, Catrin, war es nicht so einfach gewesen. Heimat war eben mehr als eine Ansammlung von Häusern, die idyllisch lagen.
Nun war es zu spät. Wie sollte sie je wieder diesen Menschen vertrauen, unter denen sie und ihr Mann lebten? Die Felix’ schäbige Affäre mit Sabrina stillschweigend hinnahmen und vermutlich auch deckten?
Catrin spürte, wie ihr nun doch wieder die Tränen in die Augen schossen.
„Ist Ihnen nicht gut?“
Sie fuhr erschrocken zusammen, als sie angesprochen wurde. Mein Gott, sie war so in Gedanken gewesen!
„Geht schon.“ Sie wandte sich um, um wieder in die Lounge zu gehen.
„Bis Dortmund fahren wir offenbar zusammen.“ Der Fremde öffnete ihr die Tür.
„Ja, kann sein“, sagte Catrin leise und wollte hineingehen, als er sie unvermutet am Arm berührte.
„Verstehen Sie mich nicht falsch, aber wenn Sie mögen, dann suchen wir uns gleich Plätze, die nebeneinanderliegen. Ich habe das Gefühl, ich sollte ein wenig auf Sie aufpassen.“
Erstaunt blickte Catrin ihn an.
Sie standen so nah beieinander, dass sie den Kopf ein wenig in den Nacken legen musste, was ein ungewohntes Gefühl war. Felix war nur wenige Zentimeter größer als sie, also ziemlich genau eins achtzig. Der Unbekannte, der sich ihr gerade als Reisebegleiter anbot, war sicher gut eins neunzig.
„Ich weiß nicht …“, stammelte sie.
„Wir Sauerländer müssen zusammenhalten, woll?“, sagte er und betonte das woll? so übertrieben, dass sie lachen musste.
Er blickte auf seine Armbanduhr. „Wir sollten zum Gleis gehen, der Zug müsste gleich einfahren.“
Catrin nickte langsam. Warum eigentlich nicht, dachte sie.
„Sieht aus, als wäre dir die Fahrt nach Hamburg richtig gut bekommen“, sagte Ben und sah seinen Bruder aufmerksam von der Seite an, als sie zum Parkplatz gingen.
„Die Rückfahrt vielleicht, der Rest war genauso ätzend, wie erwartet.“
„Na gut, aber jetzt bist du wieder ein freier Mann. Etwas ärmer vielleicht, aber zurück auf dem Junggesellenmarkt. Wir nehmen bereits Wetten an, für wie lange.“
Ben musste sich bemühen, Schritt zu halten mit Wolf. Wie immer. Die zehn Zentimeter, die sein jüngerer Bruder größer war als er, lagen eindeutig in dessen Beinen.
„Müssen wir uns so beeilen?“ Er war schon richtig außer Puste, aber Wolf ließ sich nicht beirren und hielt die Hand auf.
„Ich fahre.“
„Meinetwegen.“ Ben warf ihm den Schlüssel zu.
Mit einem Piepen sprang der Audi R8 ins Leben und der Motor lief bereits, als sich Ben schwer atmend auf den Beifahrersitz gleiten ließ. Wenige Augenblicke später flogen sie über die Landstraße.
„Nun erzähl schon“, forderte er seinen Bruder auf.
„Da gibt es nichts zu erzählen. Karolin behält die Hamburger Wohnung, ich behalte meine Hütte. Die Abfindung dafür, dass sie ohne weitere Ansprüche geht, war wie erwartet. Schmerzhaft. Aber Geld ist eben nicht alles. Ach so, ich bin natürlich aus der Kanzlei ihres Vaters raus. Zwei Partnerschaften an einem Tag beendet, kein schlechter Schnitt, oder?“
„Ganz sicher nicht“, murmelte Ben. So, wie er Karolin einschätzte, hatte er eigentlich damit gerechnet, dass sie Wolf trotz gegenteiliger Absprache am Ende doch das nehmen würde, woran ihm am meisten lag: die Blockhütte im Wald. Sie hatte nie gerne einen Fuß hineingesetzt. Hatte immer die Nase gerümpft und gemeint, sie wäre doch keine Höhlenbewohnerin. Aber wenn sie ihn damit treffen konnte?
Ben seufzte. Endlich war Wolf sie los. Sie hatte eh nie in die Familie gepasst, die feine Anwältin mit der scharfen Zunge und dem Modetick. Warum Wolf ausgerechnet sie vor zehn Jahren vor den Traualtar geführt hatte, war ihm immer ein Rätsel geblieben. Vermutlich lag es am Stress während des Jura-Studiums, der machte offenbar blind. Dass es Liebe gewesen war, die sein Bruder für Karolin empfand, hatte Ben immer bezweifelt.
Er lächelte. Am liebsten hätte er Karolins neuem Liebhaber eine Karte geschickt und „Viel Spaß in der Hölle“ draufgeschrieben, aber dann wiederum hatte er dem Typ und seiner Nachlässigkeit zu verdanken, dass Wolf aufgewacht war. Ließ einfach seine Uhr auf Karolins Nachttisch liegen. So blöd musste man erst einmal sein.
„Wir haben dir im Haus das alte Büro von Vater freigemacht“, sagte er vorsichtig und vermied es, zu Wolf hinüberzusehen.
„Fängst du schon wieder damit an? Ich hab doch gesagt, dass ich mich nicht im Dorf niederlasse.“
„Von irgendwas musst auch du leben und ewig werden deine Reserven nicht reichen. Außerdem können wir einen guten Anwalt gebrauchen, das weißt du genau.“
Wolf schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf die kurvenreiche Straße. „Vergiss es.“
„Ganz sicher nicht.“
Sie schwiegen für eine Weile, dann setzte Ben zu einem neuen Versuch an.
„Die Rückfahrt war also toll? Wie heißt sie?“ Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er sah, wie sich Wolfs Miene entspannte und seine Mundwinkel ein wenig nach oben wanderten. Wortlos griff sein Bruder in seine Anzugsjacke, fummelte ein Visitenkärtchen hervor und reichte es ihm.
„Ah, eine Autorin. Na, das ist ja mal eine angenehme Abwechslung.“
„Glücklich verheiratet“, sagte Wolf, aber das Grinsen verschwand nicht.
„Ehrlich?“ Mist. Wenn sein Bruder alles war, aber kein Ehebrecher.
„Catrin Stechler – hab noch nie von der gehört.“
„Dreh mal die Karte um.“
„Candrine Cook? Moment mal! Schreibt die nicht diese Liebesschnulzen?“
Wolf sah ihn an und sein Grinsen wurde breiter. „Wenn ich mich recht erinnere, dann liest Laura die doch, oder?“
Ben räusperte sich. Allerdings. Nacht für Nacht lag seine Holde neben ihm und schmachtete die muskulösen halbnackten Wilden auf den Covern dieser Schmonzetten an. Und gab ihm damit immer wieder wortlos zu verstehen, dass er ruhig mal ins Fitness-Studio gehen durfte.
„Lade die bloß nicht zu uns ein“, sagte Ben und ließ die Visitenkarte zurückgleiten ins Wolfs Jacke.
„Wie ich bereits sagte, glücklich verheiratet. Also beruhige dich.“ Wolf riss das Lenkrad herum und kam mit quietschenden Reifen in der Einfahrt zum Stehen, direkt neben seinem Landrover, den er hier geparkt hatte, ehe er nach Hamburg fuhr.
„Diva?“ Catrin zog den Schlüssel aus dem Schloss, schob ihren Koffer in den Flur und drückte die schwere Haustür zu. „Diva?“
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