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Rosa und Cheyenne - Eine Liebeskomödie Das Abi vor der Tür, Bauchkribbeln für einen Franzosen, wo sich noch klären muss, ob Blindgänger oder Jackpot, eine fantastisch quirlige und humorvolle Mutter und schließlich am Ende: DIE FRAGEN DES LEBENS. Bei Cheyenne ist schon der Name Programm, und zusammen mit Rosa beschreiten die beiden Heldinnen des Romans einen turbulenten, jedoch liebevollen Lebensweg. Mit leichtem, witzigem und warmherzigem Ton wird über Wutausbrüche, Alltagskatastrophen und Geheimnisse berichtet. Weitere Mitwirkende: Peer (duftet nach Puma), Jacques (Frankreich, Frankreich), eine Bordeauxdogge, Baum Nr. 11 auf dem Waldfriedhof und last but not least Frau Jägermeister. Ein Roman für die Freiheit! Für alle Mütter und die es werden wollen, natürlich auch für Väter!
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Seitenzahl: 176
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Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.
Über die Autorin:
Barbara Zimmermann am Niederrhein geboren und seit ihrer Heirat wohnhaft an der Ostsee schreibt gerne für Groß und Klein. Mit meinem Mann habe ich mehr als zwanzig Jahre eine Schäferei betrieben und unsere vielen Kinder großgezogen. Schreiben ist eine Leidenschaft und nun ist die Zeit dafür gekommen. Ich hoffe den Lesern und Leserinnen mit diesem Roman humorvollen Zeitvertreib zu bereiten. Über Feedback würde ich mich natürlich auch freuen.
Einen besonderen Dank an meine Lektorin Asta Hemmerlein, die mir professionell und engagiert zur Seite stand.
Ein weiterer Dank gilt der jungen Illustratorin Yana Walther, die für das Buch ein abstraktes Cover gestaltet hat.
Du bist es vielleicht
Frankreich, Frankreich
Augen zu und durch
Auf Spurensuche
Currywurscht
Das Geheimnis
Rosa und Cheyenne schlenderten durch Münchens Innenstadt. Rosa trug ihre Haare in der Farbe Rosa, passend zu ihrem Namen, wie sie fand. Ihre Schuhe hielt sie in der Hand. Mit ihrem kurzen Faltenrock, ihren mit schwarzem Kajal umrandeten Augen, ihren schlanken, langen Beinen und einem T-Shirt mit dem Aufdruck: DU BIST ES NICHT, erregte sie Aufmerksamkeit.
Cheyenne trug ihre hochtoupierten Haare in Azurblau, mit einem Sidecut, den sie mit einer auf dem Flohmarkt gekauften Hundeschermaschine regelmäßig selber schnitt. Sie trug eine blaue Hose, mit roten Hosenträgern und einem gebatikten T-Shirt darunter, dazu Plateauschuhe. An diesem Tag war sie ausnahmsweise mal ungeschminkt, ihre blauen Augen spiegelten ihre Haarfarbe wider. Aus der Auslage von Öztürks Obstladen nahm Rosa sich im Vorbeigehen einen Apfel und biss herzhaft hinein. Rosa nahm sich gerne Dinge, die ihr eigentlich nicht gehörten. Sie kaufte selbst oft bei Herrn Öztürk ein, ernährte sich gesundheitsbewusst, bis auf den Cola Korn, den sie abends im Punkkeller gerne mal trank. Herr Özturk gab ihr bei jedem Einkauf einen Apfel auf die Hand, so als Ermahnung: Ich weiß, du nimmst dir jedes Mal einen Apfel, wenn du bei mir vorbeigehst.
Rosa und Cheyenne befanden sich auf dem Weg zu einem Date. Per Internetchat hatte Rosa sich mit Attila, zweiunddreißig, intelligent, sportlich, gut aussehend, verabredet, um sich kostenlos zum Essen einladen zu lassen, bei Viva Italia einem angesagten Italiener Münchens. Kurz vor dem Lokal nahm Rosa eine blonde, langhaarige Lockenperücke aus ihrer Tasche und stülpte sich diese über den Kopf. Schließlich hatte sie sich mit einem Foto und eben dieser Perücke im Chat präsentiert.
Im Viva angekommen, erkannte sie Attila auf Anhieb, obwohl er so sportlich wie beschrieben nicht aussah, sondern eher untersetzt und kleiner als Rosa. Außerdem musste es sich bei seinem Alter um einen Zahlendreher handeln, er war höchstens dreiundzwanzig, fand sie. Rosa gab ihm mit ihrem schönsten Lächeln die Hand und hauchte ihm rechts und links ein Küsschen auf die Wange, wobei ihr sein billiges Rasierwasser in die Nase kroch und sie es als unangenehm empfand.
»Hey Attila, du hast doch hoffentlich nichts dagegen, dass meine Freundin Cheyenne mit uns zusammen isst oder stört dich das?«, fragte Rosa forsch.
Attila konnte seinen Unmut kaum verbergen. Er hatte sich von der Investition in ein Essen mit Rosa eine schnelle Nummer erhofft. Attila war verärgert, da sie mit ihrer Freundin in Azurblau erschienen war und selbst unverkennbar eine Perücke trug, wobei Attila auf blonde lange Haare stand, aber bitte natürlich.
Attilas Laune besserte sich, da es ihn wie ein Gedankenblitz durchfuhr, dass die Mädels vielleicht auf einen flotten Dreier standen. Warum sonst sollte sie ihre Freundin mitbringen?
Rosa und Cheyenne ließen beim Essen nichts aus, angefangen von einem Antipasti Teller als Vorspeise über Spaghetti con Scampi und zum Nachtisch Tiramisu samt Espresso. Er fürchtete, nicht genügend Bargeld bei sich zu haben, und auch seine EC-Karte würde nichts mehr hergeben. Rosa fragte ihn permanent aus.
Wo er wohne? Mit dem Stadtteil fiel er gleich durch.
Was seine Eltern machen würden? Vater unbekannt und er wohnt noch bei seiner Mutter samt seiner vier Geschwister.
Attila rutschte mittlerweile nervös auf seinem Stuhl hin und her. Die beiden waren keine Kuschelprinzessinnen, sondern Hardcoreweiber. Er überlegte, wie er darumkommen könnte, das Essen zu bezahlen. In dem Moment schnippte Cheyenne mit ihren Fingern und bat den Ober die Rechnung für den Herrn zu bringen. Wutschnaubend legte Attila den Betrag auf den Tisch, wobei ihm jetzt ganze zwanzig Euro blieben für den Rest des Monats.
»Falls du uns noch einmal einladen möchtest, immer gerne«, meinte Rosa beim Abschied.
Sie ließen Attila frustriert zurück. Auf der Straße zog Rosa sich ihre Perücke vom Kopf, stopfte diese in ihre Tasche und hakte Cheyenne prustend vor Lachen unter. »Wir haben zwar spitzenmäßig gegessen, aber ehrlich, es ist mir zu anstrengend nur wegen des Umsonst-essen-Gehen mit so einer Flachpfeife zu reden«, sagte Rosa.
»Einmal im Monat sollten wir das machen, spart uns Geld«, antwortete Cheyenne pragmatisch.
Cheyennes Handy gab ein Pling von sich.
Ihre Mutter Babette schrieb:
Hast du meinen roten Dior-Lippenstift genommen?
Cheyenne antwortete:
Du willst ja wohl in deinem Alter nicht mit roten Lippen auf die Straße gehen?
Babette schrieb zurück:
Doch will ich. Wiedersehen macht Freude.
An Herrn Öztürks Laden vorbeikommend, machte dieser sich einen Spaß und rannte mit einem Apfel in der Hand vor den Laden und rief Rosa zu: »Hey Rosa, du hast deinen Apfel vergessen!«
»Ich hatte heute schon einen«, antwortete Rosa und winkte ihm lächelnd zu.
Die beiden besuchten noch ihre Lieblings-T-Shirt-Druckerei, in der sie sich T-Shirts mit Sprüchen ihrer Wahl herstellen ließen. Für heute gaben sie noch in Auftrag in der Farbe Türkis und mit schwarzer Schrift: DU BIST ES VIELLEICHT. Für den Rest des Tages entspannten sie beim DVD-Sehen.
München – Bogenhausen. Babette tastete nach ihrem Handy auf ihrem Nachtisch, da sie dem Weckruf Einhalt gebieten wollte. Verschlafen blickte sie auf das Display und seufzte erleichtert, es gab keine neuen Nachrichten. Nachrichten von ihrer Tochter Cheyenne bedeuteten meist, dass sie in Nöten war, entweder situationsbedingt oder finanziell. Sie liebte ihr einziges Kind, befand sich aber in einer sehr speziellen Mutter-Tochter-Beziehung, was Babette oft zu schaffen machte. Sie hätte sich liebend gerne noch einmal umgedreht und eine Mütze Schlaf genommen, da ihre Bed-&-Breakfast-Gäste im Nachbarzimmer zu nachtaktiv gewesen waren und sie mehrmals weckten. Das waren die Schattenseiten ihrer Existenz. Ihr Blick auf den Friedensengel, als sie ihre Gardinen beiseite zog, entschädigte sie sogleich dafür. Sie wohnte gerne hier und fühlte sich wohl in dem Stadtviertel. Sie wusch sich am Waschbecken in ihrem Zimmer, schlüpfte in ihre Lieblingsmarkenjeans und in eine ihrer vielen geblümten Blusen, die sie selbst nähte.
Die meiste Zeit verwand sie wie jeden Morgen auf ihre Amy-Winehouse-Gedächtnisfrisur, wozu sie ihre Haare stark toupierte und sich ein Haarteil darunter feststeckte. Für ihre fast fünfzig Lenze sah sie noch sehr attraktiv aus, in ihr mittelblondes Haar mischten sich feine graue Fäden, aber ihre meerblauen Augen, umgeben von einem dichten Wimpernkranz, leuchteten so intensiv, dass sie schon des Öfteren gefragt wurde, ob sie farbige Kontaktlinsen tragen würde.
Sie schlüpfte in ihre Ballerinas und machte sich auf den Weg zum Bäcker, schließlich erwarteten ihre Gäste ihr Frühstück pünktlich auf den Tisch. Mit einer großen Tüte und nicht zu vergessen, ein paar Brezeln kehrte sie in ihre Wohnung zurück. Ihr Handy klingelte.
»Hey Mama, wenn ich nicht die Französischnachhilfereise bekomme, kann ich mein Abi vergessen!«, schrie Cheyenne ihrer Mutter ins Ohr.
»Du gehst jetzt fast dreizehn Jahre zur Schule, und dir fällt kurz vor dem Abi ein, dass du noch kein Französisch kannst?«, merkte Babette an.
»Du kannst mich mal«, und es wurde aufgelegt.
Das Wegdrücken war Mutter Babette schon gewohnt. Sie legte ihr Handy kopfschüttelnd zur Seite, bedeckte sich dich Schultern mit einem Poncho, ging auf ihren Balkon hinaus und steckte sich erst einmal eine Zigarette an. Kein normales Gespräch möglich, bis zum Abi noch nicht aus der Pubertät herausgekommen, dachte Babette und nahm einen tiefen Zug. Sie atmete noch einmal kräftig ein und aus, tippte auf Cheyennes Nummer und sagte: »Guten Morgen, Cheyenne, erzähle mir bitte in Ruhe, worum es geht, und leg nicht gleich auf.«
Es ging um einen vierzehntägigen Crashkurs in Französisch, um genau zu sein, in Bordeaux, der laut Cheyenne absolut notwendig sei, um ihr Abitur bestehen zu können, und es würden noch zwei Klassenkameraden mitfahren. Der Preis für Aufenthalt und Crashkurs übertraf Babettes Erwartungen. Sie überschlug im Geiste ihre Finanzen. Den Französischkurs für Cheyenne bezahlen hieß für sie Urlaub im Bayrischen Wald anstatt auf den Kanaren. Zu Cheyenne sagte sie: »Okay, ich zahle!«
Letztendlich wollte sie nicht ein ganzes Leben lang vorgeworfen bekommen, dass Cheyenne wegen ihr das Abitur nicht bestanden hätte. Babette wünschte sich, dass Cheyenne glücklich war, ob als Straßenmusikantin oder Künstlerin, war ihr egal. Eben einfach glücklich.
Es folgte noch eine SMS ihrer Tochter.
Cheyenne schrieb:
Ich brauche deinen Koffer!
Der letzte Koffer, den sie ihr ausgeliehen hatte, konnte nach der Reise entsorgt werden. Reißverschluss defekt. Babette seufzte, sie gab ihren neuen Koffer nur ungern her. Auf ihm stand: life is a journey.
Da Babette ein Bed&Breakfast in ihrer Wohnung in München betrieb und zur Hochsaison selbst Cheyennes Zimmer vermietete, zahlte sie ihr ein WG-Zimmer nah an ihrer Waldorfschule. Mittlerweile bemerkte Cheyenne nix mit Baumschulenabitur, das Abi auf der Waldorfschule wird nach Vorlage der Staatsschule durchgeführt und war in Nöten.
Cheyenne sprayte ihre erst gestern azurblau gefärbten Haare zur Punkfrisur, nicht ohne ein schlechtes Gewissen der Umwelt gegenüber zu haben, wegen des vielen Haarsprays, welches sie täglich benutzte. Sie lackierte sich ihre Nägel passend in Azurblau, zog sich ihren Lieblingsringelpulli an, einen roten Rock und ihre Springerstiefel. Vor zwei Jahren, als ihr Vater gestorben war, und dass im Bett seiner Geliebten, sozusagen beim Sex, Coitus interruptus in den Himmel oder vielleicht auch in die Hölle, entschied Cheyenne sich anders aussehen zu wollen als der Durchschnittsteenager.
Babette war durch den peinlichen Tod ihres Mannes außer sich, wütend, verletzt, todtraurig, enttäuscht und entschied sich, ihren Mann Rolf auf den vor den Toren Münchens gelegenen und angesagten Waldfriedhof zu entsorgen. Somit lag Rolf nun vor Baum Nummer Elf, und nur Cheyenne zuliebe ging sie dort mit ihr ab und zu hin, ansonsten würde sie seine letzte Ruhestätte gar nicht mehr besuchen.
Babette bekam eine Witwenrente: zu viel zum Sterben – zu wenig zum Leben, und vermietete seitdem in ihrer Münchner Wohnung Zimmer vorzugsweise an Rucksacktouristen. Sie sah sie als Familienanschluss, mit dem sie Bad und Frühstück teilte.
Dies war Cheyenne nun ganz zu viel und sie lebte in einer WG mit ihrer besten Freundin Rosa: Punk mit rosa Haaren, adoptiert als Baby und wir erziehen dich erzkatholisch zu einem guten Menschen, denen Rosa zum Dank beim Auszug den Stinkefinger zeigte. Sie bestimme selbst, wie sie leben wolle, hatte sie zum Abschied geschrien, obwohl sie ihre Adoptiveltern sehr liebhatte. Diese zahlten brav für Rosa weiterhin alles und nahmen Rosa schon lange so, wie sie war.
Cheyenne und Rosa durften in der Waldorfschule nicht nebeneinandersitzen, dies, so ihre Lehrer, täte ihnen nicht gut. Nun saß Cheyenne neben der grauen Maus Anna, die in gestochener Schrift und durch ihre Fünf-Dioptrien-Brille den Unterricht quasi in sich aufsaugte und als Ergebnis »Sehr gut!« in allen Fächern ausspuckte. Cheyenne hingegen war immer so gerade mit durchgerutscht und lernte nur das Nötigste. Rosa saß neben Johannes, der sich schwertat mit dem Lernpensum und glücklich war, hier und da von Rosa abschreiben zu können. Cheyenne fand insgesamt, dass man nicht alles wirklich brauchen würde, was man so lernen sollte, und wollte trotzdem das Abitur. Kunst zu studieren fand sie cooler, als eine Lehre zu machen. Sie war einfach künstlerisch begabt und malte mit Leidenschaft, was Babette schon früh bei ihr gefördert hatte. Nach der zehnten Klasse war nun mal Schluss mit der Erziehung zur Freiheit und es musste fix aller fehlender Lernstoff der Staatsschule nachgeholt werden. Dies brachte Cheyenne an ihre Grenzen und da half auch kein Dinkelkeks.
Rosa, hingegen hochintelligent, behielt alles wie von alleine aus dem Unterricht und fand, Cheyenne solle sich wegen des Abis nicht unnötig stressen.
Cheyenne war sich sicher, mit ihren Gemälden Geld verdienen zu können, und organisierte ihre erste Ausstellung, in der sie zwanzig Bilder mit in Öl gemalten Brüsten ausstellte, wie beispielsweise Minititten, Hängetitten, dicke Titten, Tütentitten, Bälletitten und Raketentitten. Ihre Ausstellung wurde ein voller Erfolg mit guter Kritik in der städtischen Zeitung und der Überschrift: Kunst extrem.
Das einzige nicht verkaufte Bild waren die Hängetitten, dies schenkte sie ihrer Mutter. Von dem Erlös der Bilder kaufte Cheyenne sich einen VW-Bus und schlief sogar einmal mit Peer, damit dieser, handwerklich begabt, ihren Bus mit Schlafecke und Regalen ausbaute. Peer sah sich schon mit Cheyenne in dem Bus durch Frankreich fahren, bis Cheyenne ihm lautstark und unmissverständlich zu verstehen gab, dass sie, wenn überhaupt, nur mit Rosa fahre und nicht durch Frankreich, sondern durch Italien. Basta, Pasta!
Babette ging nach dem Tod ihres Mannes zu einer Psychologin, um ihre Stinkwut auf ihn loszuwerden. Sie wollte nicht länger mit diesem emotionalen Sprengstoff abends schlafen gehen und morgens wieder damit aufwachen. Die Psychologin befragte sie nur andauernd nach ihrer Kindheit, wobei Babette immer beteuerte, ihre Kindheit sei so lange her, dass sie sich gar nicht mehr erinnern würde, und die Wut auf ihren Mann werde damit auch nicht verschwinden. Die Psychologin fragte mindestens ein Dutzend Mal nach dem Verhältnis Babettes zu ihrer Mutter, sodass Babette für sich beschloss, die Frau sei nur Psychologin geworden, weil sie ein gestörtes Verhältnis zu ihrer Mutter habe, und sich daraufhin einen Psychiater suchte.
Der Psychiater wollte gar nicht so viel von ihr wissen und schrieb sich nur auf: Wut auf verstorbenen Ehemann wegen Fremdgehens. Er verschrieb ihr Psychopharmaka mit den Worten, sie könne damit nicht arbeiten gehen, und man sei auch tagsüber müde, aber es schalte alles Denken einfach mal aus, die Wut sei auch weg und Babette dürfe auch kein Auto mehr fahren. Babette fand dies sei auch keine Lösung, schmiss das Rezept in den nächsten Mülleimer und überlegte sich, an einem Yoga Kurs teilzunehmen, um sich die Wut wegzuatmen. Auf dem Nachhauseweg vom Psychiater kaufte sie sich ihre erste Yoga-DVD. Namaste!
Für Cheyenne und Rosa stand die letzte Mathearbeit vor dem Abitur an. Cheyennes Spickzettel steckte im Rand eines ihrer Seitenstrümpfe, über denen sie einen Minirock trug. So konnte sie während der Arbeit kurz den Rock hochziehen und nachsehen. Kein Lehrer der Welt könnte von ihr verlangen, ihren Rock anzuheben.
Vor dem Unterricht schnappte Cheyenne sich Anna, zog sie um die Ecke, drückte sie an die Wand und flüsterte ihr ins Ohr, falls sie vorhabe, Cheyenne zu verpetzen, wie sie es schon einmal gemacht habe, würde sie ihre Fünf-Dioptrien-Brille zertrümmern, dann könne sie ohne Brille blind wie ein Maulwurf ihr Abitur vergessen.
Anna nickte nur und hätte soundso niemals im Leben noch einmal Cheyenne verpetzt. Das hatte ihr beim letzten Mal ein blaues Auge eingebracht und jede Menge Shitstorm auf Facebook, wo sie seitdem ihren Account gelöscht hatte. Allerdings besaß Anna eine Reservebrille.
Die Klassenarbeiten in den Nebenfächern waren kein Problem. Da selbst Lehrer keine Lust hatten, sich jedes Jahr neue Klassenarbeiten auszudenken, gab die jeweils höhere Klasse alle Arbeiten in Biologie, Erdkunde, Geschichte, Chemie an die unteren Klassen weiter. Jeder Schüler baute hier und da einen Fehler ein, damit es nicht auffiel und die komplette Klasse ein »Sehr gut!« bekam. Die Lehrer der Nebenfächer erwähnten auf den Elternabenden stolz, wie gut alle Schüler seien.
Babette, die davon wusste, hielt ihren Mund, froh darüber, dass Cheyenne mit ihren guten Vornoten in den Nebenfächern anderes ausgleichen konnte.
Babette war stocksauer. Herr Adolf Primel aus Berlin zahlte schon seit Tagen sein Zimmer bei ihr nicht. Er meinte, seine EC-Karte sei defekt, es käme da Karte nicht lesbar und die Auskunft seiner Bank laute, er bekomme eine neue Karte und Geheimzahl zugeschickt. Dreist fragte er Babette, ob diese ihm zweihundert Euro leihe, er würde umgehend, wenn er wieder in Berlin sei, alles an sie überweisen. Babette glaubte ihm kein Wort. Sie behielt seinen Designerkoffer und seine Herrenarmbanduhr, packte sein Hab und Gut in Plastiktüten und legte eine Quittung dazu: für vier Übernachtungen einen Koffer und eine Armbanduhr dankend erhalten.
Wutschnaubend bugsierte sie Herrn Primel samt seiner Aldi-Tüten vor ihre Tür und sprach ihm ein Hausverbot aus. Herr Primel, hochrot im Gesicht, beschimpfte Babette noch lauthals als »Frustrierte alte Kuh«, bevor er sich trollte.
Gott sei Dank waren alle anderen Gäste gerade unterwegs. Babette zündete sich erst einmal eine Zigarette an und fand, sie habe völlig korrekt gehandelt. Sie richtete das Gästezimmer sogleich neu her und stellte es, geschäftstüchtig wie sie war, fix als Last-Minute-Angebot online.
Ihre Zimmer besaßen einen eigenen Charme. Jedes Zimmer unterschied sich in der Farbgebung, was sich in der Bettwäsche, den Gardinen und der Deko widerspiegelte. Ihr Preis-Leistungs-Verhältnis war empfehlenswert und die Zimmer laufend ausgebucht, da ihre Gäste sie positiv bewertet hatten.
Herrn Primel hatte sie allerdings ein vorgefertigtes Schreiben mitgegeben, in dem stand: Falls er sich negativ im Internet über ihre Pension äußerte, würde sie ihn auf fünftausend Euro wegen übler Nachrede verklagen, mit Briefkopf ihres Rechtsanwalts und von ihm unterschrieben. Der Brief lag immer in Kopie in ihrer Schreibtischschublade, da kannte Babette mal nichts.
Rosa sprach mit Cheyenne, da sie nicht als Jungfrau mit Abitur dastehen wollte, ob Cheyenne etwas dagegen hätte, dass sie sich Peer dazu auserkoren habe. Cheyenne lachte und meinte, der Bringer wäre er nicht gewesen, und sie glaube, dass es sogar Peers erstes Mal bei ihr war, sie damit aber kein Problem habe, falls Rosa Peer verführen wolle.
Rosa war erleichtert und quatschte Peer in der Pause an, ob er ihr im Schrebergarten ihrer unechten Eltern (sie sagte immer unechte Eltern, weil sie eben adoptiert war) im Garten helfen könnte. Peer sagte, gutmütig wie er war, zu und Rosa besorgte sich lieber noch bei Cannabis-Carl in der Pause einen Joint. Cannabis-Carl betrieb einen florierenden Handel in der Raucherecke der Schule. Allerdings war das den Lehrern aufgefallen und er bekam die letzte Abmahnung vor Rausschmiss aus der Schule, sodass er höchste Vorsicht walten ließ, um es noch bis zum Abitur zu schaffen.
Rosa, die als dreijähriges Straßenkind in Rumänien gefunden worden war, wobei keiner wusste, wie man dies so klein überhaupt überleben konnte und was sie durchgemacht hatte, mied insgesamt körperliche Nähe. Außerdem trug sie den großen Schmerz in ihrer Seele, ihre leiblichen Eltern sehr wahrscheinlich niemals finden zu können. Ihr Geburtsdatum war geschätzt und den Namen Rosa hatten ihre Adoptiveltern ausgesucht, viele nannten sie aber auch Rosi.
Im Schrebergarten angekommen, bezog Rosa die Schlafcouch, stellte ein Sixpack Bier in den Kühlschrank, drapierte im Garten ein paar Gartengeräte und zog sich die Hälfte des Joints rein. Die andere Hälfte verteilte sie auf zwei selbst gedrehte Zigaretten.
Peer kam auf seinem Piaggio-Roller angefahren. Er roch gut, wie immer, weshalb Rosa ihn ausgesucht hatte, und fragte sie, was hier im Garten noch zu tun sei. Der Rasen war kurz, die Beete unkrautfrei. Rosa meinte, sie habe schon alles alleine geschafft, und ging mit ihm ins Gartenhäuschen, um ihm ein Bier anzubieten. Peer schien irritiert, aber ein Bier war selbst beim Rollerfahren erlaubt. Sie bot ihm eine ihrer selbst gedrehten Zigaretten an. Peer genehmigte sich einen tiefen Zug, obwohl er ansonsten eigentlich nie rauchte. Ihm wurde postwendend speiübel, sein Gesicht leichenblass. Rosa meinte, er solle sich auf die Couch legen, und drapierte ein Kissen unter seine Füße, damit die Beine höher lagen, wegen seines Kreislauf und so. Peer war kurz davor, sich zu übergeben und nicht einmal mehr in der Lage, ein Glas Wasser zu trinken, außerdem war ihm schwindelig und er sah alles doppelt. Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder aufrecht hinsetzen konnte, immer noch weiß um die Nase.
Peer fragte Rosa, ob sie mit ihm an diesem Abend zusammen in den Punkkeller gehe. Rosa erwiderte, sie habe keine Zeit wegen ihres Abis und so. Peer staunte, eigentlich musste Rosa nie lernen und machte auch keine Hausaufgaben. Es gab jahrelange Diskussionen mit ihren Lehrern deswegen und Nachsitzen oder Strafarbeiten, die sie auch nicht machte. Rosa vertrat stur die Ansicht, dass sie alles könne und nicht einsehe, Hausaufgaben zu machen. Da Rosas Klassenarbeiten ausnahmslos gut waren, gaben die Lehrer irgendwann auf. Rosa ging lieber laufend in ihren Punkkeller und ließ dort auf gut Deutsch die Sau raus. Nach dem dritten Cola Korn tanzte sie gerne mal auf dem Tisch.
Rosa war die Lust, Peer zu verführen, für diesen Tag und Abend gründlich vergangen. Er saß wie ein Häufchen Elend auf der Couch und rieb sich die Augen, da er Rosa doppelt sah. Sie bot Peer an, ihn auf seinem Roller nach Hause zu fahren, der dies dankend annahm.
Cheyenne kaufte ihr Bahnticket München–Bordeaux und setzte sich vor dem Bahnhof auf eine Bank, um Rosa eine SMS zu schicken.
Cheyenne schrieb: Hast du es getan?
Ein paar Meter weiter stritten sich lauthals zwei Obdachlose. Cheyenne stand auf und griff nach ihrer Tasche, die sie neben sich auf der Bank abgestellt hatte.