Roségold war gestern - Gamze Öz - E-Book

Roségold war gestern E-Book

Gamze Öz

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Beschreibung

Sanna scheint alles zu haben, was man sich wünschen kann: eine erfolgreiche Karriere als Schmuckdesignerin in ihrem Familienunternehmen, einen ehrgeizigen Verlobten und einen besten Freund, auf den sie sich immer verlassen kann. Doch als ihre Familie sie vor ultimative Entscheidungen stellt und sich auch ihr Verlobter von ihr abwendet, bricht ihre Welt zusammen. Auf der Suche nach sich selbst und ihrem Platz im Leben trifft sie Finn, ihre vergangene Sommerromanze, und Marietta, eine passionierte Goldschmiedin. Werden sie ihr helfen, ihre negativen Glaubenssätze zu überwinden und ihren eigenen Weg zu finden? Tauche ein in eine mitreißende Geschichte über Selbstfindung, Familie, Liebe und den Mut, für das eigene Glück einzustehen.

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Für meine Kinder, jeder Traum soll für sie erreichbar sein.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 1

Die Regentropfen prasseln an diesem Mittwochnachmittag so fest auf die Fensterscheiben, dass es sich anhört, als würde jemand Kieselsteine darauf werfen. Ich schleife mich in meinen Hausschuhen vom Schreibtisch zur Küche und greife nach dem halbvertrockneten Vollkornbrötchen von heute Morgen. Seitdem gab es nur Kaffee, Kaffee und nochmals Kaffee. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es nicht mehr lange hin ist, bis ich mein Notebook zuklappen und mit Josua den Abend auf der Couch ausklingen lassen kann, auch wenn mir gerade eher nach einer heißen Badewanne und einem guten Podcast ist.

Der schrille Ton der Türklingel ertönt. »Wollte er nicht nach 18 Uhr kommen?«, frage ich mich laut, während ich das trockene Stück herunterschlucke und Josua die Tür öffne. »Hey! So früh habe ich gar nicht mit dir gerechnet.«

»Was geht ab, beste Freundin?« Sein Gesicht ist gerötet und etwas Kaffee läuft aus einem der Becher herunter, die er in der Hand hält.

»Du weißt schon, dass ich eine Kaffeemaschine besitze?« Die Ironie in meiner Stimmlage ist nicht zu überhören. »Einen Vollautomaten«, füge ich provokant hinzu.

Während er mir ins Wohnzimmer folgt, frage ich mich, warum er nie den Aufzug benutzt. Seit ich ihn kenne, läuft er die sechs Etagen. Ich nehme ihm einen Becher ab und nippe daran. »Igitt, der ist ja kalt.«

»Gern geschehen«, antwortet er und verdreht die Augen.

Josua ist mein engster Freund. Wir haben uns auf einer Party kennengelernt und nach seinem fehlgeschlagenen Flirtversuch festgestellt, dass wir dennoch auf einer Wellenlänge sind und denselben Humor teilen. Als ich nach Hamburg gezogen bin, kannte ich hier niemanden. Mein Nachbar hat mich zu dieser Party der Reichen und Schönen, wie er es nannte, geschleppt. Auf das Dach einer alten, wunderschönen Stadtvilla, inklusive Fernblick auf ganz Hamburg. Die wohlhabenden Menschen hier in Hamburg waren eine Klasse für sich.

Josua steht vor dem Fenster und nippt an seinem kalten Kaffee.

»Stell den Becher weg, ich mache uns einen frischen. Und zieh dir bitte etwas Trockenes an. Du versaust mir das Parkett«, sage ich mit einem Lachen.

Er steht vor der großen Fensterfront und blickt nach draußen in die Weite, dann runter aufs Wasser. »Was für ein Dreckswetter.«

»Uh, da hat aber jemand schlechte Laune. Was ist los? Du bist früh dran, ich habe etwas später mit dir gerechnet. Offiziell arbeite ich noch.«

Er lacht. »Arbeiten?«

»Ja, arbeiten.«

»Eigentlich hast du es doch gar nicht nötig. Wenn ich du wäre, Sanna, dann würde ich den ganzen Tag einfach nur chillen.«

»Das machst du doch auch so, ohne ich zu sein«, gluckse ich. »Es gibt Dinge, die müssen getan werden. Auch ich habe Aufgaben.«

»Und einen Boss mit Kontrollzwang.«

Ich lache auf. »Einfach ist meine Mutter nicht. Das stimmt.«

Er dreht sich zu mir um, stellt seinen Becher ab und verzieht dabei die Miene. »Wenn du erlaubst, würde ich mich kurz mal am Kleiderschrank deines Gatten bedienen. Ich bräuchte sowieso mal ein neues Hemd.«

»Josua! Wie war eigentlich dein Date? Erzähl doch mal.« Und während ich ihm diese Frage stelle, die Regentropfen auf den Scheiben sanfter werden, male ich mir bereits die Antwort aus, die ich aufgrund seiner Stimmung erahnen kann.

Er steigt die Treppen nach oben ins Schlafzimmer, öffnet den Kleiderschrank und blickt übers Geländer nach unten zu mir. »Welches Date, Sanna?« Er zieht sich sein beiges, nasses Shirt über den Kopf und steht oben ohne im Raum. Das Bild ist herrlich. Ich grinse. Er erwidert es nicht.

»Wohl nicht so gut?«, kommentiere ich.

»Es gab kein Date! Ich wurde versetzt. Sie hat mich einfach wieder versetzt!« Verzweifelt schüttelt er den Kopf. »Ich meine, könntest du diesen Muskeln hier widerstehen? Willst du mal anfassen?«

Ich lache laut los. Er greift nach einem weißen Hemd von Chris und zieht es an.

»Ich frage mich ernsthaft, und nicht nur heute, wieso ich immer so viel Pech habe.«

Mein Schmunzeln bleibt nicht unbemerkt.

»Hä, was denn? Ich meine das ernst«, reagiert er empört.

»Na ja …«, taste ich mich vor und wende mich zur Küchentheke am Ende des Raumes, um mein Gesicht zu verbergen.

»Willst du mich aufziehen?«

Ich schüttele den Kopf.

»Ja gut, flirten kann ich nicht. Und ja, hätte ich dich damals anders angesprochen, wärst du jetzt vielleicht meine feste Freundin«, antwortet er und vergräbt sein Gesicht theatralisch in seinen Händen.

»Und wir wären so verliebt …«, albere ich herum und werfe ihm einen Luftkuss zu.

»Oh Shit, Sanna, war nicht heute das große Interview? Wie ist es gelaufen?« Im selben Moment vibriert mein Handy auf dem Küchentresen. Ich eile hin und werfe einen Blick darauf, während sich Josua ein Bier aus dem Kühlschrank nimmt und mir zuprostet: »Cheers, auf den Abend.«

Mein Handy vibriert erneut. Ich habe mich bereits gefragt, ob und wann dieser Anruf kommen würde. Der Anruf meiner Mutter. Ich habe sie auf heißen Kohlen sitzen lassen. Gedanklich gehe ich ihre Fragen durch: Sanna, du hast nichts erwähnt, was nicht in die Presse soll, oder? Nichts, was die Öffentlichkeit nichts angeht?

Wir haben die letzten Tage nichts voneinander gehört. Wenn ich sie nicht regelmäßig anrufen würde, würde sie sich wohl gar nicht melden. Es kommt mir sogar vor, als würden ihr unsere Geschäftsmeetings online genügen. Ich drücke sie weg und nehme mir vor, sie später zurückzurufen. Dann ertönt ein Signal und ihre Nachricht geht ein.

»Deine Mum kann es aber auch nicht lassen.«

»Kennst sie doch.« Ich blicke auf ihre Nachricht: Wir müssen unbedingt telefonieren, ruf mich bitte zurück, wenn du Zeit hast!

Nicht jetzt, Mutter. Die Berichterstattung über das Interview, das ich heute Morgen gegeben habe, wird sie morgen erhalten. Ich hoffe, sie nimmt es mir nicht übel.

»Ja, Mama, du wirst früh genug erfahren, wie es gelaufen ist. Und nein, kein Imageschaden«, murmele ich leise vor mich hin und verdrehe die Augen.

Kapitel 2

Nachdem Josua jedes kleinste Detail des Gesprächs und jede Frage der Lilique erfahren hat, zweifle ich, ob ich manche Antworten vielleicht ein wenig unpassend oder zweideutig formuliert haben könnte.

»Stell dir mal vor, die Redaktion verdreht deine Antworten und zieht dich und dein Unternehmen in den Dreck«, zischt er mit scharfer Zunge.

»Das wird sie nicht tun.« Ich lache und denke im nächsten Moment über seine Aussage nach. »Ich meine, ohne meine Freigabe darf sie es doch gar nicht veröffentlichen, oder?«

»Das glaubst du. Sie hat dich interviewt. Du bist ein Promi.«

»Ich bin kein Promi«, antworte ich und muss schlucken. »Die Anzeigen wurden auch nur mit meiner Freigabe veröffentlicht.«

»Sanna, die Anzeigen wurden auch bezahlt. Dieses Mal wurdest du interviewt. Sie kann mit deinen Aussagen machen, was sie will.«

In diesem Moment wird mir klar, auf was ich mich da eingelassen habe. Und so sehr ich versuche, positiv zu denken, hoffe ich, dass sie nichts tun wird, was unserer Firma schaden könnte. Das würden meine Eltern mir niemals verzeihen.

»Willst du schon wieder los?«, frage ich Josua überrascht, als er die Hälfte seines Biers in die Spüle kippt und sich mit einer flüchtigen Handbewegung verabschiedet. »Josua, Moment. Bleib doch noch ein wenig. Komm schon, setz dich und hör auf, Trübsal zu blasen. Ich will dir etwas zeigen und bin gespannt, was du zu meinen neuen Skizzen sagst.«

»Okay.« Er setzt sich neben mich.

»Gut riechst du.«

»Wollen wir rummachen?«

Ich haue ihm auf die Schulter. »Du Witzbold. Wenn Chris wüsste, dass sein Freund mich anmacht.« Ich lache.

»Ach, Sanna, ich bin so deprimiert.« Er schlägt sich die Hände vors Gesicht. »Ich hasse mein Leben.«

»Jetzt rede keinen Unsinn. Du findest nur immer die falschen Frauen.«

»Wann kommt Chris eigentlich? Wohnt er hier überhaupt noch?«

Gegen 20 Uhr verlässt mich Josua, nachdem er sich im Bad aufgefrischt hat, um sich für sein Ersatzdate fertig zu machen. Sein verletztes Ego muss aufpoliert werden.

Er drückt mich fest, bevor er meine Wohnung verlässt. »Sag Chris, dass er froh sein kann, dass du ihn nicht schon verlassen hast. Er geht dir mit seinem Job fremd, ich sag’s dir.«

Ich verdrehe die Augen, mache eine verabschiedende Geste und schließe die Tür. Als ich wieder im Wohnzimmer bin, bleibe ich einen Moment vor der großen Fensterfront stehen, halte inne und schaue nach draußen in die Abenddämmerung.

»Hallo Mama.«

»Wundert mich, dass du zurückrufst. Wie kommt’s?«

Ich überlege, was sie damit bezwecken will, komme jedoch gar nicht dazu, darauf einzugehen.

»Und, wie war das Interview? Hat alles geklappt?«

Ich seufze. »Ja, hat es. Es war okay, denke ich.«

»Nur okay? Sanna, das klingt nicht so, als ob es gut gelaufen wäre.«

Sollte ich ihr von meinen Bedenken erzählen? Sie nutzt mein Zögern und legt los: »Weißt du eigentlich, wie wichtig das alles ist? Ist dir das bewusst? Du musst aufpassen, was du sagst. Jedes Wort kann gegen dich verwendet werden. Und gegen uns, Sanna.«

»Ich weiß, Mama. Ich habe nichts Falsches gesagt.«

»Sicher?«, fragt sie skeptisch.

»Ja, Mama. Wirklich.«

»Gut, dann ist ja alles in Ordnung.«

Ich spüre, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildet. Warum ist sie immer so streng und kontrollierend? Warum kann sie nicht einfach stolz auf mich sein? »Danke, Mama«, sage ich tonlos. »Ich muss jetzt Schluss machen. Ich melde mich morgen wieder.«

Ich lege auf, fühle mich leer und traurig. Warum ist es so schwer für meine Mutter, mir einfach zu sagen, dass sie stolz auf mich ist? Warum sieht sie nie, dass ich mein Bestes gebe? Ich schließe die Augen und atme tief ein und aus. Ich werde nicht zulassen, dass ihre Worte mich runterziehen. Ich bin stolz auf mich und das, was ich erreicht habe. Das ist alles, was zählt.

Die Tür in der oberen Etage fliegt auf und ich schrecke zusammen. »Hey, was soll das, willst du mir Todesangst einjagen?«, rufe ich nach oben, als ich Chris aus der Tür kommen sehe.

»Ich hab mich um eine Etage vertippt und der Aufzug hat mich direkt ins Schlafzimmer gebracht«, sagt er und lächelt schelmisch.

Ich höre, wie er seine Tasche auf den Boden stellt. Er kommt die Treppe herunter, bleibt vor dem großen Wandspiegel stehen und streicht sich über seine Haare.

Nachdem er es sich auf dem Barhocker bequem gemacht hat, winkt er mich zu sich herüber und zieht mich dicht an sich. »Willst du mich eigentlich immer noch heiraten? So zerzaust und ungepflegt?«

Ich streichele über sein Haar und gebe ihm einen zarten Kuss auf die Schläfe, während er seine Arme um mich schlingt. »Mein Tag war verdammt hart«.

Sein Blick wandert zu der leeren Bierflasche neben der Spüle. »Hattest du Besuch?«

»Josua war hier. Ich habe ihm einige meiner Skizzen gezeigt, du weißt schon, die, die du …« Sobald ich seinen fragenden Blick sehe, fällt mir wieder ein, dass er eingeschlafen ist, als ich ihm von meinem neuen geheimen Projekt erzählt habe.

»Ich hoffe, er konnte dir helfen.«

Er war interessiert im Gegensatz zu dir, denke ich und beende das Thema, bevor die innere Enttäuschung zu groß wird.

»Ich habe dich vermisst. Wollen wir auf die Couch?«, frage ich ihn.

»Mein Vater macht es mir aktuell nicht leicht … Wie lief denn dein Tag?«, fragt er mich, als wir zusammen auf dem Sofa liegen.

Ich weiß es zu schätzen, dass er ernsthaft interessiert an diesem Gespräch ist, da er sein Handy zur Seite legt und mich mit seinen tiefbraunen Augen anschaut. Das Interview spricht er nicht an. »Ganz gut. Meine Mutter hat vorhin angerufen.«

»Okay.«

»Ich werde ein paar Tage rüberfahren. Hast du vielleicht Lust, mich zu begleiten?«

Er legt seinen Kopf an die Lehne und denkt nach. »Hör mal, du weißt doch, dass ich aktuell viel um die Ohren habe. Ich schaffe es kaum aus dem Büro raus, mein Vater kann es nicht lassen, mir eine Aufgabe nach der anderen zu geben. Fahr doch allein. Nächstes Mal komme ich mit.«

Das hat er einige Male gesagt. Versprochen. Und trotzdem war ich auch an Weihnachten allein bei meiner Familie.

»Außerdem, fällt dir nicht langsam die Decke auf den Kopf?«

»Wie kommst du denn darauf?«, reagiere ich mit einem zickigen Unterton.

»Du könntest Josua mitnehmen, der hat doch sicherlich nichts zu tun.«

»Wow«, antworte ich, nicke sichtlich verärgert und klatsche in die Hände. »Wieso wundert mich diese Antwort überhaupt?« Es war ja nicht das erste Mal. »Wie du meinst. Ich fahre allein«, sage ich, stehe auf und verziehe mich ins Schlafzimmer.

»Ach, komm schon. Wie geht’s Josua eigentlich? Hab ihn lange nicht mehr gesehen«, höre ich ihn hinterherrufen und bereue in diesem Moment, dass das Schlafzimmer keine Tür hat, die ich zuschlagen kann.

Ich finde nach seinen verletzenden Worten nur schwer in den Schlaf. Es stimmt, dass er viel zu tun hat, es stimmt, dass sein Vater viel von ihm verlangt. Das ist das Schicksal der Unternehmerkinder. Manche gehen ihren eigenen Weg. Andere, wie er, wie ich, folgen den Anweisungen, den Traditionen, steigen in das Familienunternehmen ein, obwohl wir als Kinder eigene Pläne hatten. Aber was sagt denn schon die Kindheit über den zukünftigen Lebensweg aus? Sie ist bloß ein Meilenstein von so vielen.

Unsere Eltern sind auf Augenhöhe. Sind sich sympathisch, auch wenn sie sich nur ein einziges Mal getroffen haben. Chris wiederum gibt sich Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen, dass er meine Familie nicht mag. Er meidet sie, so gut und oft es geht. Jegliche Versuche, mit ihm darüber zu sprechen, enden in einer Diskussion. Ich muss es akzeptieren. Auch wenn er es nie ausgesprochen hat, weiß ich, dass er sie nicht ausstehen kann. Seit dem ersten Treffen, dem Kennenlernen, herrscht zwischen beiden Parteien eine gewisse Spannung. Auch wenn keine der beiden Seiten es zugeben will.

»Josua ist etwas länger geblieben, um dich zu sehen«, nuschele ich in mein Kissen, als sich Chris zu mir legt.

»Ich dachte, du schläfst schon. Ehrlich? Wieso hast du denn nichts gesagt?«

»Tue ich doch. Jetzt.«

»Ich wollte früher kommen, doch …«

»Sein Date hat ihn versetzt und, um sich den Abend zu versüßen, hat er sich dann mit der Blondine aus dem Jakes getroffen«, unterbreche ich ihn.

»Ah, die Freundschaft plus?«, antwortet er und lacht. »Ach ja, der gute alte Josua.«

Chris zieht mich an sich, und auch wenn mir gerade nicht nach Nähe ist, genieße ich seine Zuwendung.

Josua und Chris kennen sich aus Sandkastenzeiten. An dem Tag, als mich mein netter Nachbar zur Party mitnahm, lernte ich sie beide kennen. Josua, der mich direkt anbaggerte und von mir eine nette Abfuhr bekam, um mir im Nachgang Chris vorzustellen, den ich von Anfang an attraktiv fand. Erst waren es nur tiefe Blicke, die wir austauschten, während Josua betrunken Geschichten über ihn und sich erzählte. Doch es blieb mir nicht verborgen, dass er bei jedem Satz auf meine Lippen schaute. Von meinen Lippen zurück in meine Augen. Wenige Worte und einige Drinks später küssten wir uns endlich, und diese Küsse fühlten sich so innig und schön an, wie ich es lange nicht mehr empfunden hatte. Ich spürte, dass er anders war und dass dieser Kuss nicht der letzte bleiben würde. Aus dem guten Gefühl entwickelten sich Schmetterlinge, die in meinem Bauch herumflatterten, die lange in ihrem Kokon darauf gewartet hatten. Für mich war es Liebe auf den ersten Blick. Doch auch diese Liebe schien abzuflauen. Wie jede.

»Heute war übrigens das große Interview«, sage ich, doch statt einer Antwort höre ich leise, gleichmäßige Atemzüge.

Kapitel 3