Rosenduft und Todesgruft - Karin Kehrer - E-Book

Rosenduft und Todesgruft E-Book

Karin Kehrer

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Beschreibung

Ein neuer spannender Fall für Bee Merryweather Evelyn Chambers zieht nach einer langen Haftstrafe zu ihrer Schwester Mary nach South Pendrick. Ihr Mann Walter will sich von ihr scheiden lassen und auch ihre Kinder warten schon lange nicht mehr auf sie. Doch der ersehnte Neubeginn soll Evelyn einfach nicht gelingen: Sie fühlt sich verfolgt und erhält Geschenke von einem heimlichen Verehrer. Als Evelyn verschwindet und Walter tot in ihrem Keller aufgefunden wird, beginnt Bee, eigene Ermittlungen durchzuführen und stößt auf eine furchterregende Wahrheit über Evelyns Leben...  Lust auf mehr Krimis mit englischem Charme?  - Band 1: Todesklang und Chorgesang - Band 2: Leichenschmaus im Herrenhaus  - Band 3: Mordversuch und Häkeltuch - Band 4: Todesschrecken hinter Gartenhecken

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Rosenduft und Todesgruft

Karin Kehrer lässt sich für ihre Romane von ihrer Heimat und ihren unzähligen Reisen auf die Britischen Inseln inspirieren. Die gebürtige Österreicherin liebt das Lesen und Schreiben und verbringt als Ausgleich zum Schreibtisch viel Zeit in der Natur. 

In unserem Hause sind von der Autorin außerdem erschienen:

Todesklang und Chorgesang (Bee Merryweather ermittelt 1)Leichenschmaus im Herrenhaus (Bee Merryweather ermittelt 2)Mordversuch und Häkeltuch (Bee Merryweather ermittelt 3)Todesschrecken hinter Gartenhecken (Bee Merryweather ermittelt 4)

Ein neuer spannender Fall für Bee Merryweather

Evelyn Chambers zieht nach einer langen Haftstrafe zu ihrer Schwester Mary nach South Pendrick. Ihr Mann Walter will sich von ihr scheiden lassen und auch ihre Kinder warten schon lange nicht mehr auf sie. Doch der ersehnte Neubeginn soll Evelyn einfach nicht gelingen: Sie fühlt sich verfolgt und erhält Geschenke von einem heimlichen Verehrer. Als Evelyn verschwindet und Walter tot in ihrem Keller aufgefunden wird, beginnt Bee, eigene Ermittlungen durchzuführen und stößt auf eine furchterregende Wahrheit über Evelyns Leben... 

Karin Kehrer

Rosenduft und Todesgruft

Ein Cornwall-Krimi

Ullstein

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Originalausgabe bei UllsteinUllstein ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH,Berlin April 2024 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic®Autorinnenfoto: © privatE-Book powered by pepyrusISBN 978-3-8437-3102-7

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

Danksagung

Leseprobe: Todesschrecken hinter Gartenhecken

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1. Kapitel

Widmung

Für meine Schwestern

1. Kapitel

Nachmittägliche Stille lag über der Siedlung, die ein betuchter Londoner Fabrikant – ein Freund des damaligen Earl von Waterford – Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts als diskreten Rückzugsort für sich und seine Freunde hatte errichten lassen. Sie lag etwa eine Dreiviertelmeile außerhalb des Dorfes South Pendrick und bestand aus zehn Cottages aus Schiefersteinen, die links und rechts entlang einer schmalen Straße angeordnet waren.

Die Luft flirrte leicht in der für Anfang September ungewöhnlichen Hitze. Der Anblick erinnerte an eines der Gemälde von Bob Ross: Landidylle pur.

Evelyn Chambers warf einen vorsichtigen Seitenblick auf John Tremayne, der seinen Jeep konzentriert durch die Straße manövrierte, die immer enger wurde. Sein Schweigen während der Fahrt hatte etwas Trotziges, und so dicht neben ihm zu sitzen, empfand sie als unangenehm. Dazu kam noch die Tatsache, dass sie ihm offensichtlich zur Last fiel und er im Grunde nichts mit ihr zu tun haben wollte. Sie hatte seine und Marys Hilfe auch nur angenommen, weil es für sie keine Wahl gab, nachdem Walter ihr unmissverständlich eine harte Abfuhr erteilt hatte.

Für einen Moment bekam sie das Gefühl, die Steinmauern zu beiden Seiten der Straße würden sich auf sie zubewegen, und versuchen, die unerwünschten Eindringlinge zu zerquetschen. Sie holte tief Luft, um die Beklemmung zu vertreiben, aber es half nicht. Sie schwitzte trotz der offenen Fenster.

Bei dem Versuch, sich abzulenken, betrachtete sie die Umgebung genauer. Es brachte ihr keine Erleichterung – im Gegenteil. In ihr entstand umso mehr der Eindruck, in einem seltsamen Traum gelandet oder aus der Zeit gefallen zu sein.

FLOWER COTTAGES stand auf dem weißen Schild, das an einer gusseisernen Säule angebracht war. Dass es mit seiner verschnörkelten Umrandung aus viktorianischer Zeit stammte, war nicht zu übersehen. Die ohnehin schmale Straße verengte sich nach dem Schild noch mehr, die Gartenmauern aus Schiefersteinen zu beiden Seiten ließen kein Ausweichen mehr zu. Die leichte Biegung der Straße bot nur Blick auf die Gartentore der ersten beiden Häuser links und rechts der Straße. Jedes Cottage trug hier einen Blumennamen.

Zum Glück stoppte John bereits beim zweiten Haus. Die Bezeichnung auf dem Briefkasten lautete Ivy Cottage. Über dem Gartentor wölbte sich ein Bogen, der unter der üppigen Blütenpracht einer hellrosa Kletterrose beinahe gänzlich verschwand.

»Wir sind da«, meinte John überflüssigerweise.

Er stieg aus, und sie beeilte sich, es ihm gleichzutun. Die Hitze legte sich wie eine Glocke über sie, betäubender Rosenduft hüllte sie ein. Ihr wurde schwindelig, und ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Evelyn versuchte durchzuatmen, aber sie bekam kaum Luft.

»Ich dachte, Rosen blühen im Juni«, sagte sie schwach.

»Wenn man sie schneidet, blühen sie ein zweites Mal«. Johns Stimme klang harsch und leicht verächtlich.

Woher hätte sie das wissen sollen? Sie hatte nie einen Garten besessen und sich auch nicht sonderlich dafür interessiert.

John öffnete den Kofferraum des Jeeps und holte ihre Reisetasche heraus. Sie legte sich den Riemen ihrer Handtasche quer über die Schulter, um die Hände frei zu haben, und nahm die beiden Einkaufstüten heraus.

Er öffnete das Gartentor und ging bereits mit langen Schritten den gepflasterten Zugang hinauf, bis vor die Haustür. Evelyn folgte ihm. Der Rosenduft verstärkte sich. Ein flüchtiger Blick in den kleinen Garten sagte ihr, dass die vorherige Besitzerin des Cottage wohl ein Faible für die dornigen Blumen gehabt haben musste. Es gab alle möglichen Sorten in vielen verschiedenen Farben.

Sie betrachtete kurz Johns breiten Rücken, während er die Haustür aufschloss. »Ein Ersatzschlüssel liegt da drunter.« Er wies auf eine hässliche, verwitterte Steinfigur neben der Haustür, die wohl eine Elfe mit einem Blumenkorb darstellen sollte. »Das ist hier überall so.«

Sie nickte. In London wäre das undenkbar gewesen.

Evelyn folgte ihm in einen engen Flur, warme, stickige Luft schlug ihr entgegen.

John stellte die Reisetasche nieder, drehte sich zu ihr um und hielt ihr den Schlüssel hin, der an einem leuchtend roten Band hing. Sie nahm ihn entgegen, bemüht, seine Hand nicht zu berühren. Er sah sie flüchtig an. »Wenn du in das Dorf willst, kannst du Miss Turners Fahrrad nehmen. Es steht hinter dem Haus und müsste in Ordnung sein. Um den Garten brauchst du dich nicht kümmern, das macht Joseph Bennington, dein Nachbar. Er wohnt in Holly Cottage, gleich das erste Haus an der Straße. Brauchst du noch etwas?« Es klang so, als würde er nicht erpicht darauf sein, ihr noch einen weiteren Gefallen zu tun, also schüttelte sie den Kopf.

Er nickte ihr kurz mit unbewegter Miene zu und quetschte sich an ihr vorbei durch den Flur. Sie sah ihm nach, wie er schnellen Schrittes den schmalen Zugang hinunter durch das Gartentor ging und es hinter sich schloss. Er stieg in den Jeep und fuhr weg.

Evelyn blieb bewegungslos an der Haustür stehen, überwältigt von einem tiefen Gefühl von Einsamkeit. Der Jeep fuhr noch einmal vorbei, John musste am Ende der Siedlung gewendet haben, aber er sah stur geradeaus und würdigte sie keines Blickes mehr.

Sie zuckte zusammen, als ein Mann vor dem Gartentor auftauchte. »Guten Tag, Mrs Chambers.« Er tippte mit dem Zeigefinger an seinen Strohhut und lächelte ihr zu.

»Guten Tag«, erwiderte sie automatisch seinen Gruß. Hatte sich ihre Anwesenheit so schnell herumgesprochen? Sie hatte absolut keinen Bedarf an Besuchen von aufdringlichen Nachbarn.

Der Mann öffnete das Gartentor und kam langsam auf sie zu. Er war groß, hager und ging gebeugt. Aus der Nähe erkannte sie, dass er die achtzig wohl schon überschritten haben musste. Er musterte sie aus strahlend blauen Augen. »Joseph Bennington.« Er streckte ihr seine Hand entgegen. Sie nahm sie. Seine Haut war rau und trocken.

»Sie sind wohl mein Nachbar«, sagte sie, weil ihr sonst nichts einfiel.

»Ja, das ist so«, meinte er in breitem cornischem Akzent und beendete seine Musterung mit einem leichten Lächeln. »Ich kümmere mich um das Cottage, seit Agnes – ich meine Miss Turner – gestorben ist.« Ein leichter Schatten huschte über seine markanten Züge.

Evelyn unterdrückte den Impuls, nachzufragen, woran Miss Turner gestorben war, es ging sie schließlich nichts an. Außerdem hatte sie wenig Lust, sich irgendeine traurige Geschichte anzuhören. Sie hatte mit ihrer eigenen genug zu tun.

»Ich werde Sie nicht groß belästigen. Aber ich schaue ab und zu nach dem Garten, das stört Sie hoffentlich nicht?«

Sie schüttelte den Kopf. »John hat so was gesagt. Ist schon okay.«

»Also gut. Dann … ich hoffe, Sie leben sich gut ein.« Er tippte wieder an seine Hutkrempe und wandte sich ab. Sie sah auch ihm nach, als er den Garten durch das Tor verließ. Er drehte sich noch einmal um, lächelte ihr zu und war dann verschwunden.

Evelyn stieß heftig die Luft aus. Das deutliche Gefühl, unerwünscht zu sein, überwältigte sie nun vollends. Ihre Schwester war wenig begeistert gewesen, sie zu sehen. Und ihr Schwager John ebenfalls. Was sie nicht wunderte, nach all dem, was geschehen war. Mutlosigkeit breitete sich in ihr aus.

Sie atmete tief durch und schob die Gedanken beiseite. Es änderte nichts, sie musste sich damit abfinden. Dies war ihre Chance für einen Neuanfang – allerdings unter keinen besonders guten Bedingungen.

Sie nahm die Einkaufstüten, die sie neben der Haustür abgestellt hatte, und trug sie in den Flur. Die Küche befand sich auf der rechten Seite. In dem kleinen Raum roch es undefinierbar, aber entschieden unangenehm. Die beiden Fenster, eines mit Blick auf den Zugang, das andere in den Garten, waren klein und ließen trotz der Tatsache, dass es keine Vorhänge gab, kaum Licht herein.

Die altmodische Einrichtung verschaffte ihr zum einen den Eindruck, sich in einem Museum zu befinden, und zum anderen, dass die eigentliche Bewohnerin nur kurz weggegangen und sie selbst ein ungebetener Gast sei. Auf dem Tisch lag eine gehäkelte weiße Decke, auf einem Regal standen Tassen und eine Kanne mit Rosenmuster und Goldrand, darunter eine Reihe Teedosen. Evelyn stellte die Einkaufstüten auf die Anrichte und öffnete beide Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Es half nicht viel.

Sie schaltete probeweise den Gasherd ein. Das leise Fauchen sagte ihr, dass er funktionierte.

Mit automatischen Bewegungen räumte sie den eingeschalteten Kühlschrank ein. Milch, Eier, Käse, ein Bund Karotten, Stangensellerie, etwas aufgeschnittenes Roastbeef und Schinken. Im Küchenkasten fand sie eine Schale, in die sie die Äpfel und Weintrauben legte.

Auch einen Brotkasten gab es. Sie schnupperte misstrauisch an ihm, aber er schien gut gereinigt worden zu sein. Die Teedosen waren leer, aber sie hatte auch eine Packung Breakfast Tea in dem kleinen Laden im Dorf gekauft. Dazu Kekse aus dem angrenzenden Tearoom, alles unter der scharfen Beobachtung der Inhaberin, einer hageren, farblosen Mittfünfzigerin mit verkniffenem Gesichtsausdruck, die ihr als Gladys Trotter vorgestellt worden war. Evelyn hatte unter den bohrenden Blicken ihre Einkäufe so rasch wie möglich getätigt, auch deshalb, weil John schon auf sie gewartet hatte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie keine Tomaten mitgenommen hatte.

An Fertiggerichten hatte der Laden außer drei Sorten Dosensuppen nicht viel geboten. Sie hatte von jeder eine genommen, stellte sie nun ebenfalls auf die Anrichte und rückte sie ordentlich zurecht. Champignoncreme, Spargelcreme und Tomatencreme.

Das flaue Gefühl, das sie noch immer beherrschte, besserte sich nicht. Sie hatte zu viel von Johns Stew gegessen. Solche Portionen war sie nicht mehr gewohnt, aber es hatte ausgezeichnet geschmeckt und ihr wieder bewusst gemacht, wie gut er kochen konnte. Wenigstens das hatte sich nicht geändert.

Sie ging in den Flur zurück. Eigentlich verspürte sie wenig Lust, den Rest dieses Museums, in dem sie nun wohnen sollte, zu besichtigen, geschweige denn, sich hier häuslich einzurichten. Es war, als würde die frühere Bewohnerin missbilligend die Entweihung ihrer Räumlichkeiten beobachten.

Evelyn schüttelte das merkwürdige Gefühl ab, öffnete die Tür zum Wohnzimmer und warf einen Blick hinein. Eine beige Couch mit rosa Rosen, dazu passende Polsterstühle, die Tapeten ebenfalls mit Röschen verziert. Ein Bücherregal, eine Kommode. Das Bild über der Couch zeigte eine mediterrane Landschaft und stellte damit beinahe einen Stilbruch zur übrigen Einrichtung dar, die im britischen Landhausstil gehalten war. Die Stille wurde durch das laute Ticken einer großen Standuhr unterbrochen. Auf dem Zifferblatt waren Vögel abgebildet, also konnte sie davon ausgehen, dass zu jeder vollen Stunde lautes Gezwitscher erklingen würde. Sie erinnerte sich, dass ihre Großmutter eine solche Uhr besessen hatte. Hinter hohen Glastüren erstreckte sich eine kleine Veranda, die das Zimmer heller und freundlicher machte. Es gab auch hier keine Vorhänge, und obwohl die hohe Gartenmauer bestimmt niemandem Einsicht gewährte, fühlte sie sich beobachtet.

Schnell schloss sie die Tür wieder und stieg mit der Reisetasche in der Hand über die schmale Treppe in das Obergeschoss.

Das Badezimmer war winzig und altmodisch, aber immerhin sauber. Durch das kleine Dachfenster fiel ein Sonnenstrahl und erhellte den Raum mit freundlichem Licht. Sie bildete sich ein, leichten Rosenduft wahrzunehmen, der aber die stickige Luft nicht besser machte. Es war hier noch wärmer als im unteren Geschoss. Ein Stapel Handtücher lag auf einem Messingregal. Sie schienen frisch gewaschen zu sein.

Eine weitere Tür führte in das WC, in dem es leicht nach Desinfektionsmittel roch.

Aus einer merkwürdigen Scheu heraus sparte sie sich das Schlafzimmer bis zuletzt auf. Es erschien ihr als der intimste Raum, und dort würde sie bestimmt die Anwesenheit von Agnes Turner am stärksten spüren.

Als sie das Zimmer betrat, prallte sie zurück. Hier war die Luft zum Schneiden. Sie hielt den Atem an und eilte auf die beiden Dachfenster zu. Eine dicke Kordel war zum Öffnen an ihnen befestigt. Sie zog daran und stellte sich unter die Öffnung, um tief durchzuatmen. Erst dann sah sie sich um. Ein Einzelbett aus dunklem Holz mit geschnitztem Kopfteil, darauf eine Tagesdecke mit winzigen rosa Rosen. Die Bettwäsche trug dasselbe Muster. Auch sie roch frisch gewaschen. Hatte das alles dieser Mr Bennington erledigt? Falls ja, schien er sehr umsichtig zu sein. Oder vielleicht hatte Mary dafür gesorgt. Sie würde nachfragen müssen, um sich bedanken zu können.

Auf dem Nachttisch stand eine Lampe mit einem rosa Porzellanschirm. Auf der anderen Seite, dem Bett gegenüber, eine Kommode. Ein schmaler Schrank stellte die restliche Einrichtung dar. Als sie ihn öffnete, quietschte die Tür. Beinahe erwartete sie, die Kleider von Miss Turner darin vorzufinden, aber er war leer. Ein leichter Lavendelduft wehte ihr entgegen.

Nachdem sie ihre wenigen Kleidungsstücke eingeräumt und die Unterwäsche in der Kommode verstaut hatte, blieb nichts mehr zu tun.

Also stieg sie die Treppe hinunter, ging in die Küche und füllte den Wasserkocher. Sie nahm eine der Tassen vom Regal und hängte einen Teebeutel hinein. Sie goss mit Wasser auf, betrat das Wohnzimmer, öffnete die Glastüren weit und setzte sich auf die Couch. Nach Rosen duftende Luft breitete sich in dem kleinen Raum aus. Es war noch immer warm, obwohl die Sonne schon tief stand.

Mutlos sah sie sich um. Es gab nur einen alten Fernseher, mit dem sie sich zerstreuen konnte. Sie schaltete ihn ein, ohne jedoch an irgendetwas interessiert zu sein. Mit einem Mal wollte sie nicht mehr allein sein. Sie brauchte dringend jemanden zum Reden. Sie holte das Handy aus der Handtasche, starrte es an, ließ es sinken. Denn es gab niemanden, den sie anrufen konnte.

2. Kapitel

Bee Merryweather schloss mit einem letzten Stich die Naht, mit der sie den Ärmel aus dunkelblauer Wolle am Pullover fixierte. Sie legte ihn auf den Terrassentisch. Auf das Vorderteil würde sie noch einen kleinen Polizisten sticken.

Das Dunkelblau passte gut zu den roten Haaren, die der kleine Noah von seinem Vater David geerbt hatte. Der Kleine würde das hübsche Kleidungsstück zwar noch nicht zu würdigen wissen, aber Dorothy und David würde es bestimmt gefallen. Auch wenn Dorothy wahrscheinlich ein wenig schimpfen würde, dass sie nicht so viel Arbeit investieren sollte, da Babys viel zu schnell wuchsen. Dies war der fünfte Pullover, den sie für Noah strickte, neben unzähligen Jäckchen, Häubchen und Söckchen. Der kleine Junge sah im wahrsten Sinne des Wortes die meiste Zeit bestrickend aus.

Bee nahm einen Schluck Tee. Er war inzwischen kalt geworden, aber das machte nichts. Es war trotz des späten Nachmittags noch immer ungewöhnlich warm, auch wenn die Terrasse im Schatten lag.

Sie zählte die Schläge der Kirchturmuhr. Eins, zwei, drei, vier. Heute waren sie besonders gut zu hören, ein Zeichen dafür, dass der Wind gedreht hatte. Vielleicht würde im Lauf der Nacht ein Gewitter kommen, schwül genug war es ja. Sie packte die Stricksachen in den Korb, der auf dem Tisch stand. Es war Zeit, für das Abendessen einzukaufen. Sie hatte bewusst so lange gewartet, um der Hitze zu entgehen.

Im Haus war es angenehm kühl. Sie ging ins Schlafzimmer, um ihre Shorts und das T-Shirt gegen eine leichte lange Sommerhose und eine luftige Bluse zu tauschen, fuhr mit der Bürste rasch durch ihren blonden Pagenkopf und schlüpfte in bequeme Sandalen. Marcus würde erst gegen sieben aus seiner Arztpraxis in Bodmin kommen, also blieb ihr noch genug Zeit. Sie hatte vor, nur einen Salat aus Zutaten zuzubereiten, die sich jetzt im Garten fanden, aber das Brot war ihnen ausgegangen.

Als sie in die Küche kam, sahen sie fünf erwartungsvolle Augenpaare an, und dann erklang ein vielstimmiges Miauen. Dessy, die langhaarige weiße Katzendame, startete wie immer als Erste eine Charmeoffensive, indem sie Bee um die Beine strich. »Ach je. Ihr müsst schon noch ein wenig warten. Ihr bekommt später etwas.« Sie streichelte die Katzen der Reihe nach, darauf bedacht, dass keine zu kurz kam. Als die Tiere merkten, dass noch nichts zu holen war, verschwanden sie wieder ins Wohnzimmer, wo sie sich die meiste Zeit aufhielten. Nur Othello, der große schwarze Kater, schlüpfte durch die Katzenklappe ins Freie. Wahrscheinlich würde er sich vor dem Abendessen noch einen kleinen Imbiss in Form einer Maus gönnen. Er war der einzige Jäger in der Gruppe. Der schüchterne grau getigerte Jago wagte sich genau wie Dessy fast nie ins Freie. Die beiden Kartäuserkatzen Blue und Bella, die Marcus gehörten, waren ebenfalls nicht an ein Leben draußen gewöhnt. Allerdings unternahm Blue inzwischen manchmal kleine Ausflüge in den Garten. Es hatte lange gedauert, bis die beiden ihre neue Umgebung akzeptierten, aber jetzt verstanden sich die fünf gut.

Bee warf noch einen prüfenden Blick in den Kühlschrank. Die Butter ging zur Neige, und Milch musste sie auch mitnehmen. Außerdem würde sie bei Gladys etwas Süßes kaufen. Sie hatte das letzte Stück Brombeerkuchen nachmittags zum Tee verputzt, und Marcus liebte Mehlspeisen.

Sie steckte Handy und Geldbörse in ihre Einkaufstasche, verließ das Haus und schob ihr Rad, das neben der Eingangstür gelehnt hatte, den gepflasterten Zugang hinunter. Dann radelte sie auf dem Fußweg, der an Waterford Manor vorbeiführte, in Richtung Dorf. Er war im letzten Jahr vor der Jubiläumsfeier saniert worden, genau wie das Witwenhaus auch. Als sie daran vorbeikam, bemerkte sie das Auto von Jasper Miller vor dem Gebäude. Er und Petula waren also wieder zurück. Die beiden reisten viel, um ihren etwas merkwürdigen Beruf als Forscher des Paranormalen auszuüben. Den saloppen Begriff Geisterjäger hörten sie nicht gerne. Bee stoppte das Rad, als sie Petula entdeckte, die gerade aus dem Haus kam. Die junge Frau trug ein leuchtend blaues Kleid mit Batikmuster und winkte ihr zu.

»Hallo, Bee! Wie geht’s dir?« Petula umarmte sie herzlich.

Bee lächelte. »Danke, alles bestens. Und dir, oder besser gesagt, euch?«

»Alles wunderbar. Der letzte Auftrag hat sich zwar wieder als Niete herausgestellt, aber die Umgebung war schön. Ein altes Haus in der Bretagne, direkt am Meer. Geister gab’s nur leider keine.«

Bee nickte. Sie wusste von Petula, dass die meisten angeblich paranormalen Ereignisse natürliche Ursachen hatten. Allerdings gab es immer wieder einmal merkwürdige Vorkommnisse, die nicht so leicht erklärt werden konnten. Auch im Witwenhaus war Seltsames geschehen, wie Bee selbst erlebt hatte. Petula und Jasper hatten es nach der Renovierung gemietet, weil in Petulas Wohnung im Dachgeschoss ihres Ladens für das Paar zu wenig Platz war. Da sich herausgestellt hatte, dass sie mit der Familie Waterford auf besondere Weise verbunden war, hatte Lady Amaryllis selbst, die letzte legitime Nachfahrin und derzeitige Besitzerin des Herrenhauses, Petula diesen Vorschlag gemacht. Wenn Petula mit Jasper unterwegs war, hütete ihre Großmutter Mellie Fletcher das Cats and Cards. Bee hatte dort schon manchen Nachmittag mit ihr bei Tee und Tratsch verbracht.

»Oh, schön, dich zu sehen, Bee.« Jasper trat aus dem Haus. Der hochgewachsene blonde Mann schüttelte ihr die Hand. »Ich hol schon mal das restliche Gepäck aus dem Wagen.« Damit schnappte er sich die beiden großen Koffer und trug sie ins Haus.

Petula sah ihm nach und seufzte leicht.

»Alles okay?« Bee sah sie forschend an.

Die junge Frau schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. »Aber ja. Alles bestens. Ich war noch nie so glücklich.«

»Du hast also tatsächlich deinen Seelenpartner gefunden.« Bee bemühte sich um einen neutralen Ton. Sie hielt nichts von Schwingungen, Gleichklang der Seelen, Wünsche ans Universum und dergleichen. Nur auf ihr Bauchgefühl verließ sie sich ebenfalls gern.

»Ja. Auch wenn du dir das nicht vorstellen kannst. Aber eigentlich ist es doch bei Marcus und dir auch so.« Petula lachte.

»Da hast du recht«, musste Bee zugeben. Es stimmte tatsächlich. Sie war mit Marcus glücklich. Er war ein einfühlsamer, gutmütiger Mann, der aber auch Schlimmes durchgemacht hatte, und sie war dankbar für jeden Tag mit ihm.

»Also gut. Ich fürchte, ich muss weiter«, sagte sie schließlich. Der Gedanke an Marcus hatte sie daran erinnert, dass sie ja eigentlich unterwegs war, um einzukaufen.

»Klar. Ich habe auch noch jede Menge zu tun.« Petula umarmte sie noch einmal und lief dann ins Haus.

Bee setzte ihren Weg fort. Sie überquerte die North Road, fuhr an der Rückseite des Tin Bell, des einzigen Pubs von South Pendrick, vorbei und bog zuerst in die Main Street und dann in den Vicar’s Close ein. Als sie am Pfarrhaus vorbeikam, winkte ihr Jennifer Hawthorne, die Frau des Vicars zu. Sie war gerade dabei, Unkraut zwischen den Blumenbeeten zu jäten. Der Pfarrgarten erstrahlte dank ihrer Initiative wieder in seiner alten Pracht. Bee hielt nicht an, um mit Jennifer zu plaudern, die junge Frau schien ihr sehr beschäftigt.

Endlich hielt sie vor dem Gemischtwarenladen der Trotters. Sie stellte das Rad in den Fahrradständer und betrat den Laden unter dem heftigen Gebimmel der Glöckchen an der Tür. Gladys stand hinter dem Paketschalter und tippte gerade in die Kasse. Vor ihr wartete ein großer, dunkelhaariger Mann mit athletischem Körperbau. Ein wahrer Adonis, zumindest von hinten. Selbst Bee konnte nicht umhin, einen vorsichtigen Blick auf seine wohlgeformten Waden und sein knackiges Hinterteil in engen Jeansshorts zu werfen. Sie war nicht sicher, ob sie ihn schon einmal gesehen hatte. Als er den Laden mit einem kurzen Gruß und etlichen Päckchen unter dem Arm verlassen hatte, wandte Gladys sich mit einem Schnauben zu ihr. »Eingebildeter Schnösel! Stadtmensch! Wollte Kaviar haben! Kannst du dir das vorstellen?«

Nein, das konnte Bee nicht. »Wer ist das? Kennst du ihn?«

Gladys schnaubte wieder. »Klar. Heißt Boulder. Colin Boulder. Wohnt in den Flower Cottages. Kommt normalerweise nicht zum Einkaufen, außer es geht nicht anders. Lässt sich all sein Zeug schicken. Haufenweise Pakete aus China und Amerika.«

»Na ja, manche Leute brauchen eben …«

»Weißt du, was er gerade wollte? Haben Sie frische Erdbeeren?« äffte Gladys den Londoner Akzent nach. »Spinnt der? Erdbeeren im September? Soll er sich die doch in China bestellen.«

Bee lachte. »Klar, ich verstehe, dass dich das ärgert.«

»Ein komischer Kerl. Sehr verdächtig.« Gladys hatte offensichtlich noch mehr Informationen – oder ihrer Fantasie Entsprungenes – auf Lager. Bee war nicht sicher, ob sie die hören wollte. Aber Gladys wäre ohnehin nicht zu bremsen gewesen, also stellte sie die Frage, auf die diese wartete: »Warum?«

»Bekommt haufenweise Pakete ohne Absender«, meinte Gladys vielsagend.

»Ich verstehe nicht …«

»Du weißt nicht, was das bedeutet? Erotikversand! Das ist doch klar.«

Bee musste ein Schmunzeln unterdrücken. »Nein, das wusste ich nicht. Ich habe noch nie so etwas bestellt.«

»Ich sag dir, der feiert Sexorgien in seinem Cottage. Erdbeeren und Kaviar. Ganz wie damals.«

»Damals?«

»Na ja, was glaubst du, warum die Häuser so gebaut sind, dass keiner reinsehen kann? Die feinen Londoner Herren brachten damals ihre Geliebten da drin unter. Da muss sich ordentlich was abgespielt haben. Und heute ist es nicht anders!«, sagte Gladys triumphierend.

»Hm. Also ich weiß nicht so genau, wer dort wohnt. Ich glaube nicht, dass Joseph und Agnes …«

»Quatsch! Natürlich nicht! Das ist auch noch nicht lange so. Erst seitdem einige davon verkauft wurden.«

»Ich habe keine Ahnung …«

»Na ja, von den zehn waren nur drei ständig bewohnt. Poppy, Myrtle und Heather wurden kürzlich verkauft. Rose ist seit ungefähr zwei Monaten vermietet, Daisy auch, aber ich weiß nicht genau, seit wann. Elderflower und Violet werden nur den Sommer über genutzt.«

»Du weißt aber gut Bescheid.« Bee grinste.

»Klar, muss ich doch«, sagte Gladys stolz.

»Und der Adonis? Seit wann wohnt der hier?«

»Seit ungefähr einem Monat. Er hat Poppy gekauft, schräg gegenüber von Ivy. Ist aber nicht der einzige merkwürdige Zugezogene.« Sie beugte sich vertraulich zu Bee. »Heute ist Mary Tremaynes Schwester angekommen.«

»Marys Schwester?«

»Hab ich dir doch erzählt. Sie kommt auch aus London und wohnt vorübergehend in Ivy Cottage.«

»Und Joseph hat eingewilligt? Für ihn ist Ivy Cottage doch so etwas wie ein Heiligtum.«

Der alte Gärtner hatte die frühere Besitzerin Miss Turner heimlich geliebt und hielt ihr Andenken trotz der schlimmen Vorkommnisse in Ehren.

Gladys zuckte mit den Schultern. »Na ja, sie konnten sie bei sich nicht unterbringen. Die Wohnung im Pub hat gerade Platz für die beiden Tremaynes, und die Zimmer sind alle ausgebucht. Also hat Mary ihn wohl gefragt. Das Haus steht ja sonst leer. Und ich kann mir vorstellen, dass Mary froh darüber ist, sie nicht bei sich im Haus zu haben. So unbedingt gut scheinen sich die beiden nicht zu verstehen. Und John ist echt angesäuert, hat Bernard erzählt. Er war komplett dagegen, dass diese Evelyn nach South Pendrick kommt. Aber sie hat wohl keine andere Möglichkeit.«

»Wirklich? Warum das?«

»Keine Ahnung. Die Tremaynes wollen dazu nichts sagen. Aber das werde ich noch rauskriegen.«

Bee war sicher, dass Gladys das auf jeden Fall gelingen würde.

»Diese Evelyn scheint so etwas wie das schwarze Schaf der Familie zu sein«. Gladys’ Augen glitzerten. »Ich sag dir, irgendetwas stimmt mit der nicht.«

Das war Gladys’ Standardsatz, was Fremde betraf, also lächelte Bee nur. »Ach was. Vielleicht braucht sie nur ein wenig Ruhe und Abstand. Wovon auch immer.«

»Das sagst du so. Du bist viel zu gutgläubig. Ich hab’s ihr angesehen, die brütet etwas aus. Und bestimmt nichts Gutes!«

3. Kapitel

Als Antonia Sanders an diesem Morgen aufwachte, ahnte sie nicht, dass sie den Abend nicht mehr erleben würde.

Jonathan Sinclair starrte auf den Bildschirm seines Laptops. Antonia Sanders. Nein, der Name passte nicht. Charlotte? Zu bieder. Aber eigentlich spielte der Name keine besondere Rolle. Nur eine Nebenfigur, die wie angekündigt bald ihr Leben aushauchen würde.

Trotzdem. Der Name fühlte sich nicht richtig an.

Aber eigentlich ging es gar nicht darum. Er wusste nicht weiter. Frustriert seufzte er. Eine Schreibblockade. Etwas, das er nicht kannte und das er belächelt hatte, wenn Kolleginnen oder Kollegen davon sprachen. Manche davon Wichtigtuer, die betonen wollten, wie außerordentlich schwierig es sein konnte, Romane zu schreiben. Er selbst hatte noch nie Probleme gehabt, seine Ideen in Geschichten umzusetzen. Warum fiel ihm diesmal alles so schwer? Die Story war zum Greifen nah, aber sie ließ sich nicht einfangen.

Sein Blick schweifte aus dem Fenster des Arbeitszimmers. Die Sonne überstrahlte die niedrige Abgrenzungsmauer zum Friedhof und brachte den grauen Stein zum Leuchten. Dahinter die grüne Rasenfläche und die Grabsteine. Abbilder mehr oder weniger trauriger Schicksale, friedlich vereint. Der einfache, schmucklose Stein einer Farmersfamilie, überwuchert von Flechten und Moos, ebenso wie die prunkvolle Gruft der Familie Waterford, die von einem riesigen Engel mit kummervoll geneigtem Kopf geziert wurde.

Mit einer automatischen Bewegung griff er auf den Teller neben dem Laptop. Nur um festzustellen, dass sämtliche Kekse, die er gerade vor einer halben Stunde im Tearoom bei Gladys Trotter gekauft hatte, bereits aufgefuttert waren.

Evelyn.

Er runzelte die Stirn. Wie kam er darauf?

Ach ja. Die Frau, die er im Laden getroffen hatte. Die hieß Evelyn. Zierlich, etwas verhärmt, aber durchaus hübsch, mit großen braunen Augen. Solche Frauen wirkten oft hilflos, aber das täuschte. In Wirklichkeit waren sie viel stärker, als sie aussahen.

War Evelyn ein guter Name für seine Nebenfigur?

Keine Ahnung. Er war wahrscheinlich so gut wie jeder andere und half ihm momentan auch nicht weiter.

Er wuchtete sich mit einem Ächzen aus dem Stuhl. Er aß entschieden zu viel Süßes, aber er konnte nicht anders. Daran war die Einsamkeit schuld. Er war verlassen worden und saß nun hier in diesem Dorf fest. Eigentlich hatte er sich darauf gefreut, nach South Pendrick zu ziehen. Das Cottage war ein idealer Schreibort. Der angrenzende Friedhof die perfekte Inspirationsquelle. Dass in diesem Haus der ehemalige Chorleiter Peter Bartholomew gestorben war, sollte seine Fantasie zusätzlich befeuern. Stattdessen hing er buchstäblich fest, seine Gedanken drehten sich im Kreis, und der neue Roman ließ sich einfach nicht schreiben. Die Deadline des Verlags rückte bereits in bedrohliche Nähe, allein der Gedanke daran bereitete ihm Atemnot.

Jonathan stapfte zum Fenster und starrte wieder auf den Friedhof. Es lag auch an diesem verdammt schönen Wetter. Er brauchte das Heulen des Sturms, das Tropfen des Regens. Unsinn. Er brauchte – keine Ahnung, was er brauchte. Vielleicht einen Abstecher in das Cats and Cards.

Er wandte sich vom Fenster ab, klappte den Laptop zu und verließ das Haus. Für einen Moment musste er innehalten. Nachdem er in der Düsternis, die im Cottage herrschte, gesessen hatte, blendete der helle Sonnenschein ihn nun. Er stieß einen Seufzer aus. Diese Hitze war schier unerträglich! Und das im September.

Zum Glück war der Weg nicht weit. Er bog in die Main Street ein, ging an der Schule vorbei. Aus den geöffneten Fenstern drang das Lachen der Kinder. Was mochte sie so erheitern? Er würde nie Kinder haben, aber das spielte keine Rolle. Kinder stellten ein Leben völlig auf den Kopf, bedeuteten Verzicht auf das Gewohnte. Sie waren mit seinem Leben nicht kompatibel.

Jonathan blieb vor dem Cats and Cards stehen. Er liebte den kleinen Esoterik-Laden, der ein kunterbuntes Sammelsurium aller möglichen Artikel anbot. Die Schaufenster waren durch Jalousien abgedunkelt, aber vor dem Geschäft gab es Ständer mit bunten Tüchern, Schmuck aus Halbedelsteinen und Postkarten mit verschiedenen Sprüchen. Das alles interessierte ihn allerdings weniger.

Die Tür stand offen, wahrscheinlich wegen der Hitze. Er vermisste das fröhliche Gebimmel der unzähligen Glöckchen, als er eintrat.

Er blieb kurz stehen, um seine Augen an das hier herrschende Dämmerlicht zu gewöhnen.

»Hallo, Jonathan, schön, dich zu sehen!« Petula Flowers, die Inhaberin des Ladens, kam auf ihn zu. Für einen Moment durchflutete ihn ein Gefühl der Freude. Nicht, dass er unziemliche Gefühle für die junge Frau gehegt hätte, aber sie bot einen unerschöpflichen Quell an Inspiration. Bestimmt hatte sie auch heute ein paar gute Geschichten auf Lager.

»Hallo, Petula.« Er winkte ihr zu.

»Na? Wie geht’s dir?« Ihr forschender Blick ruhte auf ihm. Er konnte seiner Intensität wie üblich nicht lange standhalten. Petula kompensierte ihr eigentlich unscheinbares Wesen mit leuchtend bunter Kleidung. Auch jetzt trug sie einen langen gemusterten Rock mit einem Gürtel, an dem unzählige kleine Glöckchen hingen. Bei jeder ihrer Bewegungen klingelten sie leise. Dazu trug sie ein ärmelloses Top in leuchtendem Grün. Ihr schulterlanges braunes Haar hielten zwei Spangen aus Perlmutt aus dem Gesicht.

Er stieß einen leichten Seufzer aus. »Es geht so«, sagte er lahm.

Sie hob die Augenbrauen. »Das heißt, du bist immer noch nicht weiter?«

Er nickte und starrte auf die rote Katze, die auf einem gepolsterten Lehnstuhl zwischen Ständern mit Schmuck lag. Thor. Automatisch sah er sich um und entdeckte die schwarze Banshee im Schaufenster.

»Hm.« Petula drehte sich um, und die Glöckchen an ihrem Gürtel tanzten. »Ich habe dir bereits Kräuter zum Räuchern gegeben, die gut für die Inspiration sind. Du verwendest sie doch regelmäßig?«

»Ja, ja klar.« Das stimmte nicht ganz. Er vergaß es oft.

»Jonathan!« Sie drehte sich wieder um, sah ihn streng an, und er seufzte wieder. Diese Frau durchschaute ihn mühelos.

»Pfefferminzöl. Steigert die Konzentration«, murmelte sie.

Sie ging auf ein Regal zu und reichte ihm ein Fläschchen. »Wenn du ein paar Tropfen auf der Schläfe einreibst, erfrischt das bei Hitze und vertreibt auch Kopfschmerzen. Du solltest im Übrigen nicht so viel Süßes essen. Zucker bringt zwar Energie, aber nach kurzer Zeit ermüdest du umso rascher. Nüsse wären viel besser.«

»Ja, ich weiß«, sagte er zerknirscht. »Aber das ist wie … Sobald ich am Schreibtisch sitze, brauche ich sofort meine Kekse.«

»Gewohnheiten sind schwer abzulegen.« Petula nickte wissend. »Vielleicht solltest du spazieren gehen, anstatt auf den Laptop zu starren? Bewegung setzt auch den Geist in Gang.«

»Aber nicht bei dieser Hitze, das ist unmöglich«, jammerte Jonathan.

»Natürlich nicht tagsüber. Am Abend, wenn es erträglicher ist.« Petula lächelte, ein wenig spöttisch, wie ihm schien.

»Schon klar. Aber bis dahin … hast du nicht eine gute Geschichte für mich? Vielleicht inspiriert sie mich ja. Du warst zuletzt in Schottland, oder?«

»Nein, das war davor. Wir waren in der Bretagne. Ein wunderschönes Haus direkt am Meer. Aber Geister gab es leider keine. Allerdings eine tragische Familiengeschichte.«

»Ja? Dann erzähl doch, bitte!«

»Also gut. Möchtest du eine Tasse Tee? Pfefferminze? Aber diesmal ohne Kekse.«

»Klar.« Er folgte Petula in den hinteren Teil des Ladens. Dort stand ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen vor einem Bücherregal. Durch das kleine Fenster fiel ein Lichtstrahl, in dem Staubkörner tanzten. Die Atmosphäre in diesem Winkel wirkte verwunschen, und Jonathan hatte mit einem Mal das Gefühl, als wartete hinter diesem Regal eine andere Welt auf ihn. Eine Welt, in der es von Geschichten nur so wimmelte und er sich nur die richtige aussuchen musste. Vielleicht sollte er hier seinen Schreibplatz wählen? Petula wäre allerdings nicht erbaut darüber, denn er schrieb meistens nachts.

Der filigrane Stuhl ächzte bedrohlich unter seinem Gewicht, als er sich niederließ. Automatisch studierte er den Inhalt des Regals, obwohl er das Angebot bereits in- und auswendig kannte. Ein Sammelsurium an neuen und gebrauchten Büchern, hauptsächlich zu esoterischen Themen. Aber vielleicht war ein neuer Schatz hinzugekommen. Doch auf den ersten Blick entdeckte er nichts.

Er schrak auf, als Petula mit zwei Tassen zurückkam. Tief atmete er das frische Aroma der Pfefferminze ein, und sofort ging es ihm besser.

»Die Araber trinken Pfefferminztee auch im Sommer«, meinte Petula, als sie sich ihm gegenüber niederließ.

Jonathan grinste. »Ganz nach dem Motto ›Was gegen Kälte gut ist, hilft auch bei Hitze‘?«

»Ja, vielleicht.« Petula lachte. »Aber sie haben nicht unrecht.«

Er nippte vorsichtig an der Tasse und war überrascht. »Schmeckt mild, aber trotzdem erfrischend«, stellte er fest.

»Marokkanische Minze. Möchtest du ein Päckchen mitnehmen? Ich habe auch Teebeutel, falls dir die lieber sind.«

»Ja bitte. Aber jetzt erzähl. Wie war das mit dieser Familiengeschichte?«

Petula lehnte sich zurück. Der Stuhl knarzte unter ihrer Bewegung. »Ja, wie gesagt, das war sehr tragisch …«

4. Kapitel

Die Decke fiel ihr auf den Kopf. Nachdem sie ein leichtes Abendessen mit ein wenig Toast und Schinken zu sich genommen hatte, saß Evelyn auf der Couch im Wohnzimmer und starrte auf die Umrisse der Möbel, die sich in der Dämmerung abzeichneten. Was soll ich nur tun? Der Gedanke kreiste in ihrem Kopf, ließ keinen Raum für etwas anderes zu. Sie hätte das Licht einschalten können, aber sie brachte es nicht fertig, aufzustehen, war wie gelähmt. Ihr Leben war zu einer einzigen Katastrophe geworden, seit … Nein, sie musste mit diesen Vorwürfen aufhören! Seit zehn Jahren tat sie nichts anderes. Ein unbedachter Moment voller Wut hatte alles zerstört, was ihr wichtig war. Warum hatte sie sich dermaßen gehen lassen? Warum …?

Sie rappelte sich schwerfällig auf, um jetzt doch auf den Schalter der Stehlampe zu drücken. Mattgelber Schein leuchtete den Raum ungenügend aus, vertiefte nur die Schatten. Also knipste sie auch die Deckenlampe an, ein kitschiges Monstrum aus rosa Porzellan mit Schirmen in Form von Blüten. Alles hier war Kitsch pur. Rosafarbene Rosen, altjüngferliches, biederes Design. Vorgaukeln einer heilen Welt, die es nicht gab. Lange würde sie es hier nicht aushalten. Nur ein vorübergehender Unterschlupf, bis sie ihr Leben neu sortiert hatte. Aber wie sollte sie das anstellen? Ihr Traum war geplatzt. Jetzt hing sie in der Luft.