Ruhrpottjunge - Neo Overstreet - E-Book

Ruhrpottjunge E-Book

Neo Overstreet

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Beschreibung

Neo wächst im Herzen des Ruhrpotts, zwischen Halden und Zechen, Schrebergärten und Industriebrachen auf. Im Rausch des Geistes der Nachwendezeit, durchlebt er seine Jugend inmitten der 90er Jahre. Er erlebt die erste große Liebe, den ersten großen Schmerz, unverhoffte Begegnungen und unerfüllte Träume. Er entdeckt seine Leidenschaft für die Kunst und versucht sich im Spagat zwischen gesellschaftlichen Konventionen und einer beginnenden Musikerkarriere. Immer wieder trifft er dabei auf sich selbst, kehrt ein und wächst an dem Erlebten. Manchmal droht er an sich selber zu zerbrechen, verliert jedoch nie den Blick nach vorne. Und immer wieder betrachtet er die wilde Schönheit des Ruhrgebiets aus dem ganz eigenen Blickwinkel seiner Generation X. Ein autobiographischer Roman, eine poetische Liebeserklärung an das Ruhrgebiet und ein liebevoller Gruß an ein Jahrzehnt des Wandels und des Aufbruchs.

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Inhaltsverzeichnis

Gehwegplatten und Rillen

Pottsommer

Janine

Musikliebe

Herzmenschen

Fußball und Kindheit

Bonnie & Clyde

Halde

Altstadt

Til

Augen in der Großstadt

Emscher und Kiosk

Party und Krise

Auf der Ruhr

Neue Band

Julia

Eskalation

Date, Pudel und die Bahn

Kniften und Co

Rock'n'Roll

Momente

Schatten und Philosophen

Südbahnhof

Sommerfest und Liebe

Zeche

Unsinn

Engelchen und Teufelchen

Mixtape

Pizza für die Königskinder

Heimspiel

Kokerei

Subkulturen am Ehrenmal

Narben

Platten und Piercing

Mauern

Die Schüchterne

Berlin

Daheim

Welt im Gleichtakt

Kicken im Park

Neues Album

Stadt der tausend Feuer

Die Macht des Augenblicks

Stempel und Flucht

Rastlos und müde

Kiefern im Herbst

1. Gehwegplatten und Rillen

Ich schließe die Haustür und trete auf die Straße. Die Sonne wärmt mich, ich spüre einen leichten Wind auf der Haut. Das Rauschen der Autos in der Ferne, ein paar Vögel zwitschern, es klingt mir so vertraut. Es klingt so, wie ich es kenne. Ein Blick in den Himmel verrät mir, dass dieser Tag schön werden wird.

Ich setze einen Fuß vor den anderen, gehe die Straße entlang, den Blick gesenkt. Ich verfolge, wie sich die Gehwegplatten unter mir fortbewegen, vermeide es, auf die Rillen zwischen den einzelnen Platten zu treten. Ich setze meine Füße sorgsam auf die einzelnen Gehwegplatten. Schritt für Schritt, Meter für Meter.

Manchmal hebe ich meinen Blick. Vertraut die Häuser, vertraut die Straße. Ich kenne jeden Baum und jeden Winkel.

Manchmal gelingt es mir nicht, die Rillen zwischen den Steinplatten zu vermeiden. Dann berührt mein Schuh den Übergang von einer Platte zur anderen. Mit einem kleinen Sprung versuche ich dies auszugleichen.

Mein Herz schlägt schnell, ich spüre eine innere Zufriedenheit.

Ich folge der Straßenbiegung, folge den Gehwegplatten und gehe in Richtung der großen Kreuzung. Vor mir das Gewirr aus Ampeln, Fahrspuren, vorbeirauschenden Autos, Straßenbahnschienen und immer wieder Martinshorn und Blaulicht. Ein alltägliches Geräusch.

Der Rettungswagen saust vorbei und zwingt mir meinen Physiklehrer vor Augen, der mit seinem weißen Bart vor mir steht und vom Dopplereffekt referiert. Ich fühle mich wohl hier in dieser Gegend. Ich habe hier meine Kindheit verbracht, die ersten Jahre meiner Jugend und ich lebe immer noch sehr gerne hier.

Rechts neben mir steht eine Reihe riesiger Pappeln, aneinandergereiht, gleich einer Armee stummer Soldaten. Zeitzeugen der Jahrzehnte. Eine Allee inmitten der Großstadt. Wie jedes Jahr stehen die Bäume in voller Blüte. Die Pappelblüten wehen um meine Füße. Mit jedem Schritt, mit jedem Tritt. Immer wieder sammeln sie sich, vom Wind zusammengetrieben gleich einer kleinen Schafherde an Bordsteinkanten, Baumwurzeln und allen anderen kleineren Vorsprüngen. Wie flauschig das Gefühl hineinzugreifen in diese weißen, kleinen Büschel. Samtweich, viel weicher als Watte, weicher als Schnee. An manchen Stellen sammeln sich beachtliche Mengen dieser feinen, weißen Fasern, sodass man meinen könnte, der Winter sei wieder ausgebrochen.

Doch dieser ist schon lange vorbei.

Auch dies ist mein Zuhause. Die hohen Bäume, der Wind rauscht in den Blättern, wie er es nur in Pappelblättern vermag. Ich versuche die Baumriesen zu zählen. Als Kind habe ich zwischen ihnen gespielt, bin mit dem Fahrrad daran vorbeigefahren. Ich kenne jede Wurzel, die Maserung der einzelnen Stämme, jeden Ast.

Vernarbt sind die Muster, die die Rinde bildet, alt sind die Muster der Pflasterung des Gehweges. Schritt für Schritt. Ich springe von Gehwegplatte zu Gehwegplatte.

Vor mir die nächste große Kreuzung, auch hier kenne ich jeden Laternenmast, jede Ampel und jeden Busch. Ich folge der großen Straße, beobachte die Menschen in ihren Autos, auf den Fahrrädern oder zu Fuß.

In meiner Hosentasche finde ich eine vereinsamte Münze, ziehe sie heraus, überlege kurz und entschließe mich dann, das Büdchen um die Ecke aufzusuchen.

Meine Schritte werden zielstrebiger, etwas schneller, ich folge der Straße bis zur Ecke, an der das Büdchen steht.

Ich kaufe mir ein Eis, reiße das Papier auf und werfe es in den bereitstehenden Papierkorb.

Ich beobachte einen Mann, der gegenüber am Zigarettenautomaten steht. Er wirft Münzen hinein, ich zähle nicht mit. Ich kann von hier aus auch gar nicht erkennen, wie viel er hineinwirft. Irgendwann zieht er die Schublade des Automaten auf und entnimmt eine Schachtel Zigaretten. Es ist ein älterer Herr. Ich habe ihn schon oft gesehen. Ein grauer Hut, ein Gehstock, sein Jackett irgendwo zwischen zu schick und zu alt. Er lächelt mich freundlich an und hebt grüßend den Stock.

Ich beobachte fasziniert, wie er sich eine Zigarette ansteckt. Er zieht an ihr. Leichte Rauchwölkchen entweichen seinen Mundwinkeln, die Glut glimmt auf, er stößt eine Rauchwolke aus. Dann setzt er seinen Weg fort.

Auch ich setze meinen Weg fort. Das Eis ist kalt auf meiner Zunge, die Sonne warm auf meiner Haut. Für eine kurze Zeit versäume ich es, auf die Gehwegplatten und die Rillen zu achten. Ich genieße die Erfrischung, genieße die Sonne, genieße die Zeit. Zu meiner Rechten liegt ein kleiner Park. Wie oft habe ich ihn mit dem Fahrrad durchquert? Wie oft dort mit meinen Freunden Fußball gespielt? Viele Erinnerungen verbinde ich mit dem Park.

Auf einer Wiese sitzen mehrere junge Leute und hören Musik, trinken Bier, genießen wie ich das Wetter. Sie haben bunte Haare, Lederjacke mit Nieten. Viele haben eine Bierflasche in der Hand. Eine Zeit lang schaue ich ihnen aus der Entfernung beim kollektiven Nichtstun zu.

Faszinierend. Ich beobachte, wie ein junger Mann seine leere Bierflasche hinter sich wirft. Einige der jungen Leute haben Hunde dabei. Ein Schäferhund, der unangeleint herumläuft und ein Hund, dessen Rasse ich nicht zu benennen vermag. Es ist ein großer Hund, er liegt zu Füßen des jungen Mannes, der gerade seine Bierflasche warf.

Die Gruppe ist laut, wirkt etwas ungehobelt, dennoch nicht bedrohlich. Auch sie ein Bild, welches hier niemandem mehr auffällt.

Ich folge dem Weg durch den Park, das Eis tropft auf meine linke Hand. Der Weg führt mich einmal um die Gruppe herum, welche dort auf der großen Wiese sitzt.

Dies gibt mir die Möglichkeit, die Menschen weiter zu beobachten. Es wirkt frei, es wirkt ungezwungen, es wirkt glücklich. Wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit oder einer kleinen, aber fest entschlossenen Demonstration für Freiheit. Dann verlasse ich den Park.

Vor mir wieder einige Pappeln, wieder die wattigen Pappelblüten. Im Rinnstein liegt eine zerknitterte Coladose. Ich kicke sie eine Zeit lang vor mir her. Das Scheppern, das Geräusch des scheuernden Bleches auf den Gehsteigplatten klingt unwirklich laut. Erst bin ich Yves Eigenrauch, spiele den Ball schnell nach vorne, wo Prus übernimmt. Und wäre ich wirklich Olaf Thon, so würde ich jetzt meine Arme zum Torjubel hochreißen. Mein letzter Tritt gegen die Dose ist jedoch zu unpräzise.

Sie rutscht unter ein parkendes Auto und ist für mich damit unerreichbar. Blau-weiße Blechträume.

Ich wende mich wieder dem Geschehen um mich herum zu. Ein Bus rauscht vorbei, ich kann erkennen, mit welcher Nummer er ausgewiesen ist. Die meisten Linien kenne ich. Der Busbahnhof ist nicht weit, die Zahl der Busse, die mich passieren, nimmt zu. Ich komme an einem großen Rhododendrongebüsch vorbei, welches von den Obdachlosen und auch vielleicht von der Gruppe auf der Wiese im Park als Toilette missbraucht wird. Ein stechender Geruch. Es riecht nach Bier, es riecht nach Urin, es riecht nach Unterholz. Meine Schritte werden schneller. Ich möchte diesen Geruch, der so gar nicht in den schönen Tag passen will, schnellstmöglich hinter mir lassen.

Ich schaue nach links und rechts, die Straße ist frei.

Zügigen Schrittes überquere ich sie, erreiche den anderen Bordstein und springe hinauf. Wieder Gehwegplatten, wieder Rillen. Mit leicht tänzelndem Schritt laufe ich weiter. Ich drehe mich um und schaue zurück zu dem kleinen Park. Ich sehe die Statue, welche mit Grünspan bedeckt einsam auf einer kleinen Wiese steht und in meine Richtung blickt. Eine junge Frau, sie hockt dort auf ihrem Steinsockel schon seit vielen Jahren, vermutlich seit Jahrzehnten. Dass sich unter dem Grünspan wohl einmal Kupfer oder Bronze verborgen hat oder immer noch verbirgt, das kam mir noch nie in den Sinn. Auffallend nur, dass die Farbe der Statue mit der Farbe des Rathausdaches identisch ist. Ein metallisches Grün, ein helles Grün, welches immer leicht schmutzig wirkt. Schon von Weitem ist der markante Rathausturm mit seinem grünen Dach zu sehen und ist untrennbar mit meiner Heimatstadt verbunden.

Die Rathausturm-Uhr, welche ich von hier aus sehen kann, zeigt kurz vor zwei. Gleich neben dem Rathaus und dem kleinen Park eine große Straßenbahnhaltestelle.

Wie gerne habe ich beobachtet, wie die Straßenbahnen dort anhielten und dann die wenigen hundert Meter weiterfuhren, bis zu dem Punkt, an dem die Gleise enden. Nur ein alter Prellbock steht dort, als Kind habe ich oft gehofft, die Straßenbahn würde ihn einmal umfahren.

Manchmal stehen dort zwei, drei oder mehr Straßenbahnen, die dort Pause machen, um sich dann wieder in Bewegung zu setzen und Menschen durch die Stadt zu verteilen. Weiße Straßenbahnen, rote Streifen, rote Muster. Und auch hier die Linien, mit denen ich schon als kleines Kind gefahren bin.

Mir fällt wieder der alte Herr mit der Zigarettenschachtel auf, der nun auf der gegenüberliegenden Straßenseite an mir vorbeigeht.

Eine vierspurige Straße. In der Mitte zwei Straßenbahngleise.

Er nimmt mich nicht wahr. Zwei, drei Schritte weiter um die Ecke verschwindet er aus meinem Blickfeld. Schon zum zweiten Mal heute. Ich überquere die Fahrbahn und nehme dafür nicht den direkten Weg, sondern eine lange Diagonale. Es kommen keine Autos.

Ich vernehme das Geräusch von quietschenden Metallrädern auf Schienensträngen, welches erklingt, wenn die Straßenbahn um die Kurve kommt. Wie bei einem Auto setzt der Fahrer den Blinker. Die Bahn kommt kreischend um die Kurve gefahren, mit einem Knopfdruck lässt der Fahrer eine Klingel ertönen.

Passanten springen vor der Straßenbahn weg, welche nun mit Schrittgeschwindigkeit an die Haltestelle heranrollt. Zeitgleich kommt aus der entgegengesetzten Richtung die Straßenbahn, welche stadteinwärts fährt. In Höhe der Haltestelle begegnen sich beide, die Fahrer winken sich zu. Ein Gedränge vor den Türen, welche sich leicht ruckelnd und nicht ganz synchron öffnen.

Einsteigen, aussteigen, ich schaue eine Weile zu, um dann die Straßenbahn, die Haltestelle und auch das Rathaus hinter mir zu lassen.

Dort, wo die Straßenbahn quietschend um die Kurve fuhr, genau dort steht eine kleine Kneipe. Gaststätte wäre zu viel gesagt. Ein verkommenes, altes Gebäude, Neonschriftzüge, natürlich ohne Funktion. Eine alte Holztür verschließt den Zugang, ich kann nur vermuten, wie es drinnen aussieht. Alte Männer, große Gläser gefüllt mit Bier, dichter Zigarettenrauch und vielleicht ein Gastwirt, der selbst sein bester Kunde ist. Ich habe diesen Schuppen nie betreten und auch heute führen mich meine Schritte an ihm vorbei. Ich folge den Straßenbahnschienen, welche hier den Innenstadtbereich durchqueren und so zu einer gemeinsamen Fläche für Fußgänger, Fahrradfahrer, Straßenbahnen und Tauben werden.

Nicht immer gelingt es den Tauben, der herannahenden Straßenbahn auszuweichen. Schon oft habe ich verendete Tiere im Bereich der Gleise gesehen. Heute stehen alle aufrecht. Zum Fliegen lassen sich diese niedlichen, aber dummen Tiere nur verleiten, wenn es gar nicht anders geht. Allgegenwärtig das Bild, zwanzig oder dreißig Tauben laufen pickend und gurrend auf dem Asphalt entlang. Eine alte Dame wirft Haferflocken nach ihnen.

Ein gewohntes Bild an jeder Straßenecke, an jedem Häusergiebel und in den Bäumen diese Vögel zu sehen.

Ein kleiner Hund rennt kläffend in den Schwarm der Tauben, welche mit lautem Gezeter und Geflatter aufsteigen, nur um sich zehn Meter weiter wieder niederzulassen. Die Tauben haben wohl im Laufe der Jahre gelernt, dass von Hunden, Kindern oder vorbeieilenden Passanten keine Gefahr ausgeht. Nur das mit den Straßenbahnen scheinen sie nicht so recht verinnerlichen zu wollen.

Der Hundehalter läuft aufgeregt seinem Tier hinterher und fängt es wieder ein.

Auf der rechten Seite das Tabakwarengeschäft, die Auslagen voller Zeitungen, direkt daneben ein Drogeriemarkt. Ich kenne jedes Geschäft und jeden Hinterhof. Gegenüber der Drogerie ein neuer Dönerladen, der vor Kurzem erst eröffnet hat. Der Erste hier in der Stadt. Daneben ein McDonald’s. Ich überlege, ob die beiden Restaurants sich wohl gegenseitig Konkurrenz machen.

Ich lasse beide links liegen und wende mich einem alten Imbiss zu. Eine gläserne Schiebetür, ein oranger Schriftzug auf der weißen Werbetafel. Der Imbiss, der schon vor dem Dönerladen und vor McDonald’s da war, den eigentlich jeder in der Stadt kennt. Der Schriftzug sieht aus wie aus den 70ern, etwas oldschool, aber so vertraut, dass es eigentlich gar nicht mehr auffällt. Auch die Inneneinrichtung wirkt, als sei sie seit Jahrzehnten nicht mehr ausgetauscht worden. Es ist sauber und gepflegt, aber alt. Stehtische mit einer zweiten Ebene in Kniehöhe für die Kinder. Ich kenne beide Ebenen. Den Boden zieren rote Fliesen mit Blumenmustern. Die Preistafeln sind hinterleuchtet und braun umrahmt.

Eine junge Frau kauft sich eine Portion Pommes mit Currywurst. Pommes-Currywurst rot-weiß. So wie man es hier isst. Weiß, klar Mayonnaise. Und rot ist, nicht wie oft geglaubt, der Ketchup, sondern Currysoße, die hier schlicht nur Soße genannt wird. „Eine Pommes, Currywurst, Soße, Mayo“, sagt die junge Frau. Klar, was soll man hier auch sonst essen. Niemand käme auf die Idee, etwas anderes zu bestellen, außer vielleicht mal ein exotischer Rentner. Currywurst ist halt ein Nationalgericht hier im Pott. Unbeschreiblich der Geschmack von durchgeweichten Pommes mit einer kräftigen Currysoße nach Art des Hauses. Jeder Imbiss hat hier seine eigene Mischung und Würzung. Und nicht, wie man meinen könnte, die Qualität der Wurst rechtfertigt einen Besuch, sondern der Geschmack der Currysoße. Die durchweichten Kartoffelstäbchen werden traditionell mit einem kleinen Plastikpikser gegessen. Dieser eignet sich auch für die Stücke der Currywurst. Früher, ich erinnere mich, wurde die Currywurst mit einer Art Geflügelschere in Stücke geschnitten. Die neueren Restaurants oder die, welche sich für modern halten, haben eine Schneidemaschine.

Die Wurst wird oben eingelegt, ein Knopf wird gedrückt und in wenigen Sekunden kommt unten die geschnittene Currywurst heraus. Einen ordentlichen Schlag Soße drauf, mit einer schönen großen Kelle aus einem kleinen Edelstahlbehälter geschöpft. Die Fritten dazu. Fertig ist das Nationalgericht.

Die Frau tritt auf die Straße, in der rechten Hand das Pappschälchen mit der traditionellen Nahrung. Sie geht die wenigen Schritte zur Straßenbahnhaltestelle, rückt kurz ihre Handtasche zurecht und verschwindet in der Straßenbahn. Die Bahn fährt klingelnd los, die Tauben fliegen erneut auf, der Zug rattert an mir vorbei. Ich sehe die roten Rücklichter, welche sich durch die enge Straße drängeln, um dann hinter der nächsten Biegung zwischen Autos, Häuserfronten und Passanten zu verschwinden. Ich beschließe, die Fußgängerzone entlangzugehen. Ich höre hinter mir die Rathausturm-Uhr schlagen. Viermal zur vollen Stunde und zweimal, um die Uhrzeit anzuzeigen. Ich zähle in Gedanken mit. Eigentlich ein schönes und harmonisches Geräusch. Kurz muss ich an die Bergmannskapelle denken, die immer zu Weihnachten auf dem Turm steht und von oben die traditionellen Weihnachtslieder spielt. Die Pflasterung der Straße unterscheidet sich hier von den so vertrauten Gehwegplatten. Kleine backsteinrote Pflastersteine. Es ist mir nicht möglich, den Rillen auszuweichen, da die Pflastersteine kleiner sind als meine Füße. So mache ich mir nicht die Mühe, mich springend fortzubewegen, sondern entschließe mich zügigen Schrittes, die Straße entlangzulaufen.

Es ist eine kleine, zweckmäßige Innenstadt. Nicht besonders schön, Preise für Architektur, Design oder Kreativität würden hier sicher nicht vergeben. Linker Hand ein Elektronikgeschäft, rechte Hand ein Kaffeeanbieter. Hinter der nächsten Biegung erscheint der große Dom. Jemand, der hier nicht zu Hause ist, mag überrascht sein, inmitten der Stadt so ein doch recht imposantes Bauwerk vorzufinden.

Die Turmspitze fehlt, sie ist dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen. Ein für mich völlig normaler Anblick. Erst in den letzten paar Jahren habe ich begonnen, mir darüber Gedanken zu machen. Nie ist mir aufgefallen, dass die Spitze fehlt. Nur der Vergleich mit anderen Kirchen zeigt, dass auf diesen Turm eigentlich eine Spitze gehörte. Klar, auch alte Bilder beweisen dies. Ein Mahnmal als Zeichen gegen Krieg? Ein Versäumnis? Ein Mangel an Rohstoffen beim Wiederaufbau? Alles möglich. Für mich aber einfach nur eine Kirche, an der ich schon viele Male vorbeigegangen bin.

Die Menschen um mich herum hasten in Kaufhäuser, schauen zu Boden oder befinden sich im Zwiegespräch mit ihren Mitmenschen. Es ist viel Bewegung an diesem Sommertag, dennoch keine Unruhe. Kurz überlege ich, ob ich den Heimweg zu Fuß zurücklege oder in eine der Buslinien steigen soll. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass der nächste Bus in zehn Minuten da sein wird. Ich beschließe dem Bus entgegenzulaufen, die Bushaltestellen liegen nicht weit voneinander entfernt.

In aller Regel kann man die nächste Bushaltestelle in wenigen Minuten erreichen. Ich rechne mir aus, an der nächsten Bushaltestelle so ziemlich zeitgleich mit dem Bus einzutreffen. Meine Schritte werden schneller, die Gehwegplatten werden größer, Schritt für Schritt. Meine Füße treffen die Platten, weil ich den Rillen ausweiche.

Auf meiner Haut der warme Sommerwind. Das Orangeneis ist schon lange aufgegessen.

2. Pottsommer

Auf den ersten Blick wirken die Fassaden trostlos. Egal in welche der zahlreichen Seiten- oder Querstraßen man abbiegt, irgendwie ähneln sich die Straßenzüge, die Häuserreihen, die Vorgärten, ja sogar die davor geparkten Autos.

Große Villen, schmucke Gärten, Reichtum und Luxus sucht man hier vergebens. Dennoch wirkt der Anblick weder ärmlich noch heruntergekommen. Auch wenn der Putz an den Wänden teilweise abbröckelt und größtenteils schwarz von Ruß ist, so sind die kleinen Vorgärten doch gepflegt, der Rasen getrimmt, die Hecken geschnitten und die Autos gewaschen.

Hinter den Häuserreihen erheben sich die beeindruckenden und immer wiederkehrenden Silhouetten von Fördertürmen, Industrieschornsteinen, rauchenden Kühltürmen und brennenden Schloten. Ich muss an die geschickten Künstler denken, die mithilfe einer Schere jedes Profil aus einem Stück Papier oder Pappe befreien können. Mit geschärftem Blick und im Kopf immer schon einen Schritt weiter, wird das Papier so lange gedreht und bearbeitet, bis wie aus dem Nichts die Konturen zu erkennen sind. Konturen, welche sich gegen den Himmel oder eine Lichtquelle zauberhaft präzise abzeichnen. Wie jene Künstler dem Papier Leben einhauchen, so hauchen die brennenden Schlote, die ziehenden Rauchsäulen und die Neonlichter dem Profil des Potts Bewegung und Leben ein.

Manch ein Vorgarten wird von einer kleinen Mauer umrahmt, manchmal ein altes Eisentor. Hofeinfahrten, die auf geteerte Hinterhöfe führen, wo Kinder Fußball spielen. Ein alter Kohlegrill, der vor sich hin raucht, eine Dame, die auf einem Holzbänkchen sitzt und Kartoffeln schält, ein kläffender Hund, der umherläuft, oder ein Moped, das dort geparkt steht.

Erstaunlich gepflegt wirken die Gärten hinter den Häusern. In jeder Ecke wird Gemüse angebaut, Tomaten, Salat, Gurken … Ein Idyll inmitten der sonst so trist wirkenden Betonwüste. Dies bleibt dem Beobachter jedoch verborgen, wenn er sich nicht die Mühe macht, den Gehsteig zu verlassen und hinter die Fassaden zu blicken.

Auf der Straße die mattgrünen Laternenpfähle, an deren oberen Enden ein Leuchtmittel hinter gesprungenem Glas des Abends glimmt. Alle paar Meter steht ein Baum am Straßenrand und wirft beizeiten Laub, Blütenblätter und heute auch Schatten auf die darunter geparkten Autos.

Die nächste Ecke, die nächste Straße, das gleiche Bild. Es wirkt friedlich, ruhig und irgendwie scheint es, als läge eine gewisse Zufriedenheit über dem Ort. Kein Streben nach dem großen Geld, kein Neid auf den Rest des Landes, auf andere Städte, auf Reichtum, Prunk und schillerndes Leben. Eine einfache Arbeitergegend, in der Menschen leben, die für ihren Unterhalt hart arbeiten müssen. Sie sind es gewohnt, morgens aufzustehen, dem täglich gleichen Trott der Arbeit nachzugehen und abends heimzukehren in die immer gleichen Straßen, die immer gleichen Hofeinfahrten und die immer gleichen Häuser.

Mich hat es nie gestört, in so einer Gegend aufzuwachsen, wenngleich ich auch wenig Alternativen kennengelernt habe. Klar, hier und da begegnet man einem Einfamilienhaus, einem teureren Auto und vielleicht auch Menschen, welche ihrem äußeren Anschein nach nicht der Arbeiterklasse angehören, doch war und ist dies nie ein Thema. Es war alles so, wie es war und es ist alles so, wie es ist.

Ich biege um die nächste Ecke, am Straßenrand parkt ein Opel Kadett, der braune Lack durch Blütenstaub und Vogeldreck abgestumpft, zwei Reifen auf dem Gehsteig und zwei auf der Straße geparkt. Natürlich weiß ich, wem er gehört. Ich kenne die meisten der Nachbarn und die meisten der hier parkenden Autos. Wenn wie heute die Sonne brennt, ist es ein surreales Bild. Ein starker Kontrast zwischen den rußgeschwärzten Häuserfronten, den asphaltierten Straßen und Hinterhöfen und den grün blühenden Bäumen, den gepflegten Vorgärten und dem Leben, welches im Sommer viel deutlicher zu sehen ist als in den kalten Monaten, wenn sich das meiste hinter verschlossenen Gardinen abspielt.

Alle paar Meter liegt ein Zigarettenstummel im Rinnstein, hier und da auch eine Zigarettenschachtel, eine Coladose … Dennoch wirkt es nicht schmutzig.

Ich schaue mir eines der Häuser genauer an. Eine hohe, schlanke Fassade, eckige Fenster mit kleinen Vorsprüngen, auf denen Blumenkübel stehen, drei kleine Stufen, die hoch zur Tür führen, zwei Klingeln, auf deren Schildern Namen geschrieben stehen, ein Zeitungsschlitz in der Holztür, alles schlicht und funktional. Rechts neben dem Haus eine flache Garage mit zwei Toren. Diese sind verschlossen, wirken aber brüchig und morsch. Das Holz der Türen ist in langen Lamellen aneinandergereiht, eine rostbraune Türklinke und ein großes Schloss suggerieren nur auf den ersten Blick Sicherheit. Ich schaue gen Himmel. Hinter der Garage erhebt sich eine lange, schlanke Birke. Sie reckt sich bestimmt zehn Meter in die Höhe. Der weißschwarze Stamm hebt sich irgendwie exotisch von den Platanen und Pappeln ab, die ansonsten die Straßenränder säumen.

Irgendwie wirkt sie viel zu groß für den kleinen Garten, viel zu hoch für die zweistöckigen Häuser und viel zu mächtig für diese Gegend. Ich betrachte sie eine Zeit lang, beobachte, wie der Wind in den Zweigen spielt, vernehme das leise Rauschen und ertappe mich bei dem Gedanken daran, dass dieser Stamm nicht zum Klettern taugen mag. Lang, glatt, wenig Verzweigungen und hoch stehende Äste. Noch vor wenigen Jahren kletterte ich oft und gerne auf die Bäume in unserer Straße.

Die Vögel aus dem heimischen Garten konnte ich schon als Kind benennen. Blaumeisen, Spatzen und auch eine Amsel. Diese landet flatternd auf dem Hof vor der Garage und pickt auf dem Asphalt, welcher nicht danach aussieht, als würde er ihr wirklich Nahrung bieten. Meine Schritte führen mich weiter.

Immer wieder blitzen die hohen Schornsteine zwischen den Häuserfronten hervor. Jede Lücke, die sich zwischen den Häusern bietet, gibt den Blick auf eine Gegend frei, die von Schwerindustrie, Stahl, Beton und Kohle lebt.

Keiner der kleinen Gärten kann dies gänzlich vergessen machen und wenn man doch einmal den Blick auf die Fördertürme und Schornsteine verliert, so erinnern einen doch die rußgeschwärzten Häuserwände daran.

Keiner der Schornsteine wirkt störend, es ist wie mit den Kondensstreifen der Flugzeuge am Himmel. Egal, wo man seinen Blick in den Himmel richtet, wird man auf die niemals endenden, sich in Richtung Flugzeug verdichtenden und ausschärfenden Kondensstreifen treffen. Er ist ein Zeugnis industriellen Schaffens, ein Zeugnis des Menschen und dennoch gehört er dazu. Er verschmilzt mit den Wolken, so wie die Schornsteine und Fördertürme mit der Kulisse der kleinen Häuser, der Gärten, der Hecken und der Straße verschmelzen.

Nur zu gut kenne ich die großen Industrieanlagen der örtlichen Kokerei. Oft habe ich auf der Eisenbahnbrücke gestanden und den Zügen zugesehen, die in Hunderten Waggons den Koks transportierten und diesen unter riesigen Dampfschwaden in den Kühltürmen ablöschen ließen. Oft habe ich beobachtet, wie Gase in riesigen Schlotten abgefackelt wurden, gleich einem Feuer speienden Drachen aus einem Märchen. Oft habe ich am Kanalufer gestanden und den riesigen Frachtschiffen zugesehen. Manche beladen, sodass ihre Reling nahezu auf einer Linie mit der Wasseroberfläche lag, andere hoch herausragend und dadurch noch viel größer wirkend.

Nie jedoch hat sich mir die Frage gestellt, ob diese Schwerindustrie, diese Züge, der Qualm, der Ruß, der Dreck und all die Geräusche in diese Landschaft gehören. Es ist eine Symbiose, es ist ein Teil der Landschaft, ein Teil der Menschen geworden und auch ein Teil von mir.

3. Janine

Ich verlasse das Schulgebäude und trete auf den rot gepflasterten Pausenhof. Der heutige Schultag war kurz, es ist erst 13:00 Uhr und ich freue mich auf einen freien Nachmittag. Warm scheint die Sonne vom Himmel, hier und da ein paar kleine Wölkchen, die Vögel singen, der Tag könnte nicht schöner sein. Die letzten beiden Stunden durfte ich mich mit Deutsch befassen. Ein Fach, welches mir eigentlich sehr gut liegt. Selten muss ich über die Maßen dafür lernen, vieles fällt mir so zu. Auch wenn nicht jedes Thema mein ganz großes Interesse weckt, so kann ich dem Spiel mit Worten, dem Schreiben und den Interpretationen von Gedichten doch einiges abgewinnen. Die heutige Stunde hatte sich länger gezogen als üblich. Nun ist es aber soweit, die Stunde ist zu Ende. Beim Verlassen des Pausenhofes gehe ich nicht wie sonst üblich zum Schulbus, welcher bereits wartet, sondern lasse die Bushaltestelle rechts liegen, um der großen Hauptstraße zu folgen.

Die Autos rauschen an mir vorbei, ich nehme sie nur aus dem Augenwinkel wahr. In Gedanken bin ich schon bei Janine und freue mich darauf sie in die Arme zu schließen. Seit etwas über einem Jahr sind wir zusammen. Janine ist meine erste wirklich feste Freundin, meine erste große Liebe. Seit jenem Tag dreht sich meine Welt nur noch um sie. Immer wieder sind wir uns in der gemeinsamen Clique begegnet. Nach und nach haben wir Freundschaft geschlossen, die Freundschaft wurde enger und es entwickelten sich Gefühle, die ich zuvor nur vom Hörensagen her kannte, oder aus der „Bravo“, welche ich mir in jüngeren Jahren regelmäßig kaufte und die für einen Großteil meiner Aufklärung verantwortlich war. Da ging es mir wohl nicht anders, als vielen Jugendlichen meiner Generation.

Janine wohnt unweit meiner Schule, dies ist sicherlich nicht zu unserem Nachteil. Ich habe einen kleinen Fußmarsch von ca. zwanzig Minuten vor mir. Mich überholt einer der Schulbusse. Aus dem Fenster winkt mir einer meiner Klassenkameraden zu, der Bus biegt ab und entschwindet meinem Blickfeld.

Meine Schule liegt direkt an der großen Hauptstraße.

Irgendwie sieht hier jedes Haus aus wie das andere, die Straßen ähneln sich. Linker Hand lasse ich den großen Supermarkt liegen, welcher seit einiger Zeit seine Türen für Heerscharen von Schulkindern öffnet. Ich frage mich, ob hier wohl mehr gekauft oder mehr geklaut wird. Von vielen meiner Mitschüler weiß ich, dass Schokoriegel, Überraschungseier oder auch mal die ein oder andere Dose Cola in den Schultaschen verschwinden. Auch ich selbst habe mich schon dazu hinreißen lassen, in aller Regel bezahle ich aber meine Einkäufe. Egal, nicht mein Problem, denke ich. Generell nicht und schon gar nicht heute und jetzt.

Ich verliere mich ein wenig in sprunghaften Gedanken und frage mich, ob Janine mich schon erwartet. Ist sie schon zu Hause? Sie ist auch noch Schülerin. Meine Schritte werden schneller, ich hake meine Daumen an den Riemen meines Schulranzens ein und schlendere vor mich hin. Gleich komme ich zu der großen Autobahnbrücke, hinter welcher sich auf der rechten Seite ein kleiner Bäcker befindet. Ich kann die Brücke schon sehen und das Rauschen der Autos auf ihr hören.

Sehen kann ich die Autobahn nicht. Wie üblich versperren hohe, mattgrüne Lärmschutzwände die Sicht.

Der Bäcker liegt unmittelbar an dieser Brücke. Immer wieder kehre ich hier ein, um ein Tütchen der handgemachten Haselnussschokolade zu kaufen, welche dort in großen Bruchstücken in 100-Gramm-Tüten verkauft wird. Janine liebt diese Schokolade. Ich freue mich immer, ihr etwas mitbringen zu können. Ich öffne die Tür zur Bäckerei, eine kleine messingfarbene Glocke läutet, welche so angebracht ist, dass der Schlägel die aufgehende Tür berührt und sie zum Klingen bringt.

Ich kaufe 100 Gramm der Vollmilch Schokolade, verpackt in einem hübschen Plastiktütchen mit einer goldglänzenden Schleife. Ich stecke das Tütchen in meine Tasche, bezahle und trete wieder auf die Straße.

Erst jetzt wird mir bewusst, dass die Idee Schokolade zu kaufen, an einem so warmen Sommertag vielleicht nicht die Beste ist. Egal, es ist nicht mehr so weit.

Wieder überholt mich ein Bus, dieses Mal ist es der örtliche Linienbus, welcher die nahezu identische Strecke fährt, die ich nun laufe. Oft fahre ich diese Strecke mit dem Bus. Bei dem schönen Wetter heute habe ich mich entschlossen zu laufen. An der nächsten Kreuzung biege ich rechts ab, es ist nicht mehr weit, nur noch zwei Straßenecken. Mein Scall klingelt. Auf dem Display erscheint die Nummer 1100101. Mein Herz macht einen Sprung, ich weiß, diese Nachricht ist von Janine.

Ein Scall, ein kleines Gerät in Größe einer Zigarettenschachtel, welches mit einem Clip am Gürtel zu befestigen ist. Ein kleines digitales Display zeigt Zahlen an, mit einem Knöpfchen kann man diese löschen oder zur nächsten Ansicht weiter springen.

Immer wenn eine neue Nachricht in Form einer Zahl eingeht, vibriert und klingelt das Gerät. Je nach Einstellung. Viel mehr Funktionen hat es nicht. Lediglich eine Mailbox gibt es, welche die Funktion eines Anrufbeantworters erfüllt. Erscheint die eigene Nummer, so kann man an der nächsten Telefonzelle seine Mailbox abhören. Und nun klingelt und vibriert es, 1100101. Das ist der Zahlencode, mit dem Janine mir eines mitteilen will: „1100101, das heißt ich liebe dich, ich möchte bei dir sein“. Eine Textzeile aus einem aktuellen Chart-Hit. Das Lied fand ich schon immer ziemlich dämlich, aber irgendwie ist es unser geheimes Codewort geworden, einer unserer Insider, mit dem wir uns sagen, dass wir aneinander denken.

Ich freue mich, dass Janine sich die Mühe gemacht hat, meinen Scall anzupiepsen, obwohl wir uns doch gleich sehen. Ich mag ihre aufmerksame Art sehr, mit der sie nicht nur mir, sondern allen Menschen begegnet.

Nächste Straßenecke, nächste Abbiegung. Ich biege in die Straße ein, in der sich Janines Wohnhaus befindet.

Noch zweihundert Meter die Straße entlang, dann wird mein Finger auf den Knopf drücken, es wird klingeln, der Türsummer … Ich verliere mich schon wieder in Gedanken. In diesem Moment erblicke ich Janine, einige Meter vor mir läuft sie mir freudestrahlend entgegen.

Mein Herz macht einen riesigen Sprung. Noch zwei Sprünge und ich muss reanimiert werden. Unsinn. Ich freue mich und laufe ihr mit offenen Armen entgegen.

Janine ist ein kleines Persönchen, zierlich, mit einem hübschen Gesicht, einem strahlenden Lachen, langen braunen Haaren und dunklen Augen. Sie springt mir entgegen, trägt heute ein weißes Sommerkleid mit dunkelblauen Punkten, welches ihr wunderbar steht. Es betont ihre Taille, hat kurze Ärmel und gibt den Blick auf zwei hübsche Beine frei. Um ehrlich zu sein, sie hätte vermutlich auch einen Kartoffelsack tragen können, ich hätte mich nicht weniger gefreut.

Ich schließe sie in die Arme, unsere Lippen treffen sich, was für ein schöner Tag! Zusammen gehen wir die letzten Meter zum Haus. Was steht heute an? Natürlich reden wir viel über den heutigen Tag, wer hat was erlebt, wie war die Schule, womit wollen wir den Nachmittag verbringen.

Als Janine mir erzählt, dass sie heute ihrem Nebenjob noch nachgehen muss, dem Austragen von Zeitungen, bin ich kurz enttäuscht. Letztlich nehme ich es aber nicht so tragisch, möchte ich doch einfach nur bei ihr sein. Ein Spaziergang durch die Straßen der Nachbarschaft soll nicht die Macht haben, meine Freude und mein Glück zu trüben.

Und so laufen wir den ganzen Nachmittag durch die Straßen ihres Wohnviertels und tragen das wöchentliche Schmierblatt aus. Sie die linke Straßenseite, ich die Rechte oder mal andersherum, je nachdem, wie es sich ergibt. Jedes Mal, wenn sich unsere Wege kreuzen, ein Küsschen, ein strahlendes Lächeln, eine Umarmung und jedes Mal, wenn sie sich mit einer Zeitung in der Hand einem Haus nähert und die Treppen hochspringt, schaue ich ihr hinterher und fühle mein Herz klopfen.

Ich bin verliebt, ich liebe, ich bin glücklich. Es ist, als gäbe es nur sie und mich und unsere gemeinsame Zeit.

Wenig andere Dinge spielen im Moment eine Rolle, die Zeitungen sind egal, die Schule ist egal, Hausaufgaben sind egal und es gibt wenig, was mich davon abhält, meine Zeit mit ihr zu verbringen. Ich denke, Janine geht es ähnlich, denn wir verbringen nahezu jede freie Minute miteinander. Wir teilen viele Interessen, einen ähnlichen Musikgeschmack und auch im Freundeskreis gibt es Überschneidungen.

Wieder ein Hauseingang, Zeitungsschlitz auf, Zeitungen rein und zurück zum kleinen, klapprigen Handwagen, in welchem die Zeitungen liegen. Janine kommt mir entgegengesprungen, ich halte sie ganz fest, drücke sie an mich und küsse ihre Stirn. Ich spüre, wie sie sich an mich klammert und genieße, wie sie ihr Köpfchen an meine Brust schmiegt. Zärtlich streichle ich ihr über den Kopf. Ich kann mein Glück immer noch nicht fassen. Es ist nicht so, als seien wir erst seit gestern zusammen.

Dennoch ist für mich jeder Augenblick neu, wertvoll und unbeschreiblich schön. Im heutigen Deutschunterricht habe ich versucht, ihr ein Gedicht zu schreiben. Ob sie es mag? Keine Ahnung, wir werden sehen. Die letzten Meter der Tour laufen wir Hand in Hand, bleiben alle paar Meter stehen, um uns zu küssen.

Es ist eine völlig unbeschwerte Liebe. Ich lebe im Hier und Jetzt, vergangene Tage spielen keine Rolle, was morgen kommt, ist egal. Was zählt, ist nur der Augenblick. Und den genieße ich in vollen Zügen. Wir lachen, albern herum und fantasieren, was die Zukunft uns bringen mag. Unsere Tochter soll einmal Anna-Tasmina heißen. Da sind wir uns einig. Ob wir überhaupt jemals heiraten und Kinder bekommen werden, ob dies ein realistischer Plan ist, ob wir das alles wirklich so meinen, danach fragt sie nicht und danach frage ich nicht. Für uns ist nur klar, unsere Liebe ist unendlich, niemals kann irgendetwas das zerstören, was wir haben.

Janine schließt das Haus auf, wir betreten die Wohnung ihrer Großmutter. Dort hat Janine ihr eigenes kleines Zimmer, welches mir mittlerweile schon so vertraut ist.

An der Wand ein Poster des FC Schalke 04, der Verein, für den unser Herz schlägt. Ich lasse mich aufs Bett fallen, Janine geht zur Stereoanlage und drückt auf „Play“. Nun kann ich ihr die Schokolade und auch das Gedicht, welches ich für sie mitgebracht habe, übergeben. Ein Strahlen in ihrem Gesicht verrät mir, dass ich mit beiden Dingen nicht ganz falschlag.

Verträumt sinkt sie in meinen Arm, kuschelt sich an mich und wir genießen die Musik, die Schokolade und vor allem unsere Zweisamkeit.

Unsere kleine Welt ist heile, keiner stört uns hier und irgendwie scheint es so, als könne nichts und niemand unser Glück, unsere Welt und diesen Sommer verhageln.

So träumen wir vor uns hin, bis dann irgendwann doch die Pflicht ruft, der wir uns nicht für immer entziehen können.

Janine setzt sich an den Schreibtisch und kümmert sich um Ihre Hausaufgaben. Ich habe mich entschieden, die meinen erst morgen zu machen. Das Risiko, erwischt zu werden, gehe ich gerne ein. Immer wieder stehe ich auf, gehe die wenigen Schritte zum Schreibtisch, nehme sie in den Arm, küsse ihren Nacken oder streichle über ihre Wange.

Ich bemerke, dass sie mit sich selbst uneins ist, ob sie mich dafür lieben soll oder genervt sein soll, weil ich sie permanent unterbreche. Letztlich quittiert sie meine Zeichen der Zuneigung mit einem aufreizenden Schmollmund, einem sehr versteckten Grinsen und einer ganzen Menge Geduld.

Wieder klingelt mein Scall. Der kleine pinke Plastikkasten vibriert und zeigt die Nummer meines besten Freundes Til an. Eigentlich sollte ich ihn nun anrufen, kann mich aber nicht losreißen. Ich beschließe dieses Telefonat später zu führen oder ihn einfach morgen in der Schule zu fragen, was er denn wollte. Die Zeit wird es sicherlich haben.

Mittlerweile ist Janine mit ihren Hausaufgaben fertig und wir landen wieder auf dem Sofa, Arm in Arm und nur Augen füreinander habend. Ich liebe es, so dazuliegen, ihren Körper zu spüren, ihren Duft zu riechen und auf meinen eigenen Herzschlag zu hören, welcher sicherlich um ein Vielfaches höher als für gewöhnlich ist. Ich liebe dieses kleine weiße Kleidchen mit den dunkelblauen Punkten, ich liebe es, die Linie des Nackenausschnittes mit dem Zeigefinger nachzuzeichnen, liebe es, wie es ihre Figur betont, liebe es, sie anzuschauen.

Früher war sie mir weniger aufgefallen. Irgendwann haben wir angefangen, öfter zu telefonieren, es entwickelte sich eine Freundschaft. Lange Zeit hatte ich den naiven Glauben, dass wir beide ja nur befreundet sein könnten. Dass sich zwischen uns schon lange mehr entwickelt hatte, wollte ich mir lange nicht eingestehen.

Dass unsere häufigen Telefonate, die immer regelmäßiger stattfindenden Treffen, die tiefen Gespräche, das gemeinsame Lachen, Weinen, füreinander da sein und der enge Austausch letztlich nur in eine Beziehung münden konnten, war mir nie bewusst. Oder ich wollte es nicht wahrhaben.

Schlussendlich überraschte mich der erste Kuss vermutlich genauso sehr wie sie. Aber ab diesem Moment war für uns alles anders und für uns beide klar: Es ist richtig, es muss genau so sein.

So ist es nun auch heute, als seien wir schon ewig zusammen. Dass dies erst ein recht überschaubarer Zeitraum ist, ist für einen Außenstehenden nicht zu erahnen. Zu tief die Verbindung, zu viele Insider, zu vertraut sind wir, zu oft tauchen wir nur noch gemeinsam irgendwo auf.

Wie sehr liebe ich ihren frechen Blick, ihr verschmitztes Lächeln, die strahlenden Augen, die Stupsnase. All das, was diese Person so niedlich macht. Gleichzeitig wirkt sie sehr weiblich und trotz des jugendlichen Alters sehr fraulich und begehrenswert.

Irgendwie hatte ich mir nie konkrete Gedanken darüber gemacht, wie meine Traumfrau aussehen sollte. Ob sie nun lange Haare, blaue Augen, eine schmale Taille, große Brüste oder lange Beine haben soll. All dies sind natürlich Dinge, über welche man mit dem besten Freund schon mal geredet hat, aber in eine konkrete Vorstellung oder eine konkrete Personifizierung sind diese Gedankenspiele nie geflossen.

Umso erstaunlicher, dass scheinbar Janine genau diese Traumfrau ist, von der ich nie geträumt habe. Alles ist so perfekt, alles ist gut, wie es ist und so wie es sein soll.

Janine ist einfach ein echtes Ruhrpottmädel, so wie es im Buche steht und ich habe sie gefunden, ohne je nach ihr gesucht zu haben. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, was andere Menschen über sie denken oder wie andere Menschen sie wahrnehmen. Sie ist meine Traumfrau und mein Glück scheint vollkommen.

Der Tag plätschert vor sich hin, Stunde um Stunde vergeht und selbst Langeweile ist mit Janine zusammen nicht langweilig.

Den Rest des Tages verbringen wir Hand in Hand, schlendernd durch die Straßen der Nachbarschaft, auf einer kleinen Mauer sitzend, Eis essend, redend und lachend. Immer wieder geht mein Blick auf meine Armbanduhr. Den Fahrplan des Busses habe ich im Kopf. Heute will ich versuchen, den letzten Bus des Tages zu nehmen. Es dämmert bereits, die Luft ist immer noch warm und angenehm. Gemeinsam schlendern wir die Straße entlang, die Finger ineinander verhakt.

Auch dieses Mal dauert der Weg länger als sonst, bleiben wir doch alle paar Meter stehen, die Blicke tief ineinander versenkt, küssend und lachend. Janine bringt mich zur Bushaltestelle, ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass wir noch fünf Minuten Zeit haben. Vielleicht auch sechs oder sieben, die Busse sind hier nicht immer pünktlich.

Janine stellt sich auf den gitternen Metallsitz der Bushaltestelle, ist nun zwei Köpfe größer als ich und lacht von oben auf mich herab. Ich umfasse ihre Taille, lege den Kopf in den Nacken und schaue zu ihr hoch.

Sie küsst mich mit ihren wunderbaren weichen Lippen, ich schließe die Augen und wünschte, dass der Bus nicht nur wenige Minuten, sondern gerne mehrere Stunden Verspätung hätte. In meiner linken Hosentasche habe ich einen alten Filzstift, den ich für allerlei Unsinn mit mir herumtrage. Ich zücke ihn und drehe die Kappe ab, es riecht nach Lösungsmittel und Tinte. Fragend schaut Janine mich an. Ich kritzle unsere Anfangsbuchstaben auf den metallenen Rahmen der Bushaltestelle und umrande sie mit einem großen Herz. Ich verleihe unserer Liebe Ausdruck, es ist irgendwie das in die Baumrinde ritzen eines Stadtkindes. Viele kleine und größere Schmierereien zieren die Bushaltestelle. Seit heute in Augenhöhe eine mehr. Ein Zeichen unserer Zusammengehörigkeit.

Wir lachen beide, unser Blick wandert die Straße herab, wo die leuchtende Anzeige und die Silhouette des herannahenden Busses zu sehen sind. Um diese Zeit fahren nicht mehr viele Busse, ich weiß auch schon bevor ich die Inschrift entziffern kann, dass es sich um den Bus handelt, welcher mich nach Hause bringt, weg von Janine, weg aus dem heutigen wunderbaren Tag, hinein in eine laue Sommernacht.

Eine letzte Umarmung, es scheint, als würden wir uns für Ewigkeiten verabschieden. Obwohl wir wissen, dass wir uns gleich morgen wieder sehen werden, können wir uns nicht losreißen, bis dass der Bus zischend vor uns die Türen öffnet. Ich springe hinein, tänzle in dem anfahrenden Bus auf einen freien Platz und winke Janine zu.

Verträumt wandert mein Blick von Haus zu Haus, von Laterne zu Laterne, von Auto zu Auto. Meine Gedanken schweifen ab, ich kann es kaum erwarten, sie wiederzusehen. Ich krame aus meiner Schultasche den Walkman hervor, drehe die Kassette um und drücke auf „Play“. Durch die Kopfhörer dröhnt überlaut ein Lied von Clawfinger, ich drehe noch etwas lauter und stopfe mir die Kopfhörer in die Ohren. Ich schließe die Augen und schalte ab. Ich fühle mich frei, fühle mich geliebt, liebe gleichzeitig die Musik, liebe die Minuten im Bus, liebe das Gefühl, wenn der Bus eines der zahlreichen Schlaglöcher erwischt, liebe es in dieser lauen Sommernacht die Menschen zu beobachten, die noch auf den Straßen sind, genieße die verzerrten Klänge der Gitarre, das Geschrei von Zak Tell in meinen Ohren, genieße mein Leben.

Keinen Gedanken verschwende ich daran, wann dies alles endet, ob dies alles endet, was mal sein wird. Die Zeit steht still, zieht dennoch vorüber und beschenkt mich reichlich mit vielen Kleinigkeiten, die mein Leben bereichern, die diesen Moment wertvoll, die mich glücklich machen. Die Fahrt geht am örtlichen kleinen Busbahnhof vorbei, zwei Busse stehen geparkt am Fahrbahnrand, die Busfahrer machen Pause.

Der Bus, in dem ich sitze, hält nur selten an. An den meisten Bushaltestellen möchte niemand zusteigen. Um diese Uhrzeit bin ich der einzige Fahrgast. Ich kenne die Strecke durch unzählige Fahrten schon lange auswendig, ich genieße das Gefühl, ein freier Mensch zu sein und einen Traum zu leben, den ich zuvor nie geträumt habe.

In Gedanken gehe ich den morgigen Tag durch, überprüfe, ob ich mich auf den Schultag freuen soll oder ob Fächer anstehen, die ich nicht leiden mag.

Der Bus passiert die Stadtgrenze. Im Ruhrgebiet geht eine Stadt nahtlos in die andere über und nur ein gelbes Schild verrät, wann man die Grenze passiert hat. Der Bus hält an einer Bushaltestelle an, niemand steigt ein, niemand steigt aus. Dennoch wartet der Bus. Mir ist bewusst, dass er dies tut, um den straffen Zeitplan einzuhalten und sich nicht selbst zu überholen. Mein Blick wandert auf die Häuserzeilen hinter der Bushaltestelle, wandert von Fenster zu Fenster, manche beleuchtet, bei manchen sind die Jalousien heruntergelassen. Ich schaue auf die Uhr. Der Bus fährt wieder an, ein leichtes Ruckeln, das sanfte Wippen der Federung. Ich weiß, dass es nicht nötig ist, auf das kleine eckige Stoppsymbol zu drücken, denn der Bus wird sowieso anhalten. Es ist die Endstation, ich muss aussteigen, gleich bin ich zu Hause.

Mein Scall vibriert, ich krame ihn aus meiner Hosentasche hervor und drücke das Knöpfchen, welches die Beleuchtung einschaltet. 1100101. Mir wird es warm ums Herz.

Kurt Cobain schreit mir mit seiner heiseren Stimme sein „Smells Like Teen Spirit“ ins Ohr, ich werfe einen Blick hinüber zum Stadtpark, sehe dort die Silhouette der Bronzestatue. Der Rest des Parks liegt im Dunkeln.

Schnellen Schrittes überquere ich die Hauptstraße, eine Straßenbahn brauche ich um diese Uhrzeit nicht mehr zu fürchten. 1100101 denke ich bei mir, morgen werden wir uns wieder sehen.

4. Musikliebe

Wütend schlage ich nach dem Wecker. Er klingelt nun schon zum dritten Mal. Die Snooze-Funktion ist von mir wahrscheinlich genauso genervt wie ich von ihr.

Als meine blind tastende Hand endlich den Ausknopf erreicht hat, bin ich dann auch wach. So früh ist es gar nicht, dennoch bin ich kein Freund des Aufstehens. Die Möglichkeit, lange im Bett liegen zu bleiben und gerne auch bis nachmittags zu schlafen, bietet sich leider viel zu selten. Heute wäre einer dieser Tage gewesen, es ist Samstag.

Der Wecker zeigt 10:27 Uhr. Ich quäle mich hoch und setze mich auf die Bettkante. Um 12:00 Uhr ist Treffen am Proberaum, so ist es mit den Jungs verabredet.

Schlaftrunken quäle ich mich zum Kleiderschrank und schiebe die Tür auf. Blick nach links, Blick nach rechts, unentschlossen schließe ich den Schrank wieder. Was ich heute Abend trage, muss ich jetzt noch nicht entscheiden. Es wird vermutlich eh auf das Gleiche hinaus laufen: schwarze Jeans, Chucks, und irgendein Band-Shirt. Vielleicht Queen, eine Band, die ich seit vielen Jahren zutiefst verehre, leider nie live erleben durfte. Oder ich entscheide mich für Aerosmith, Type O Negativ, oder Metallica.

Egal, das Badezimmer ruft, das ist nun wichtiger.

Das Frühstück besteht heute nur aus einer Scheibe Toast mit Wurst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass einer von den Jungs gleich sowieso noch zum Dönerladen will. Ich habe wenig Lust darauf, mein Schlagzeug und all den Kram, der zu so einer Band gehört, zusammenzutragen, aus dem dunklen Proberaum ins Tageslicht zu schleppen und in die Autos zu verstauen. Aber danach fragt heute keiner. Heute Abend haben wir einen Gig. Dieses Mal soll es ein etwas größerer werden, man sprach von mehreren Hundert Zuschauern. Nicht dass mich diese Tatsache beunruhige oder nervös macht, aber eine penible Vorbereitung sollte da schon sein.

Ein Veranstalter, der viel Geld für eine Band ausgibt, der ein großes Publikum hat, der ein Catering bestellt, Backstage Räumlichkeiten zur Verfügung stellt und gute Beziehung zur regionalen und überregionalen Presse hat, erwartet völlig zu Recht einfach mehr als das kleine lokale Jugendzentrum im Ort, wo das Publikum größtenteils aus Freunden und Verwandten besteht, der Veranstalter gleichzeitig Zivi und Sozialarbeiter ist, das Catering aus einem Pizzakarton kommt und es am Ende sowieso egal ist, ob Geld reinkommt oder nicht.

Von diesen kleinen Konzerten in kleinen Clubs, Jugendzentren, Open-Air-Veranstaltungen und kleineren Privatpartys haben wir in den letzten Jahren unzählige gespielt. Ich will gar nicht sagen, dass so ein kleiner Gig mit nur fünfzig oder hundert Zuschauern weniger Spaß macht als die großen Auftritte, dennoch ist es etwas anderes. Wenn ich so in mich hineinhorche, stelle ich fest, dass eigentlich die schönsten Auftritte mit der besten Stimmung, dem tollsten Publikum und dem geilsten Feeling auf der Bühne immer die kleinen Auftritte waren. Und ich kann wohl sagen, dass es mich sicherlich nervöser macht, wenn mir zehn Leute vom Bühnenrand aus zwei Metern Entfernung direkt in die Augen und auf die Finger schauen können, als wenn 5000 Augen aus zehn Metern Entfernung wie eine undefinierte Masse in meine Richtung blicken und die Wand aus Licht, die durch die Scheinwerfer produziert wird, mir sowieso jeden Eindruck nimmt, was im Publikum vor sich geht.

Lediglich der Applaus am Ende der Lieder ist dann ein Gradmesser, wie voll es ist, wie sich das Publikum zusammensetzt und ob man selbst der Headliner ist oder im Vorprogramm für einen anderen Act spielt.

So lange gibt es unsere Band noch nicht, als dass wir uns eine große Fanbase hätten erspielen können. Dennoch hat sich die Zahl derer, die unsere Konzerte besuchen, in den letzten Wochen und Monaten vervielfacht. Auch in der Presse ist immer öfter von uns zu lesen, die Konzerte werden regelmäßig angekündigt und Konzertberichte fallen durchaus positiv aus. Ich genieße die dadurch entstehende Aufmerksamkeit, den kleinen bescheidenen Ruhm, aber vor allem genieße ich es auf der Bühne die Sau rauslassen zu können, ein Stück wildlife leben zu können und mit den Jungs zusammen dem Publikum so richtig einzuheizen. Doch nicht nur die Zeit auf der Bühne oder die Momente, in denen man auf Zeitungsartikel angesprochen wird, machen den Reiz aus, sondern das ganze Drumherum ist ein Traum, den ich seither immer wieder leben will und auch lebe.

Natürlich ist dies nicht zu vergleichen mit wirklich großen und berühmten Bands, nicht zu vergleichen mit Größen wie Metallica, Nirvana, nicht einmal mit kleineren bekannten Bands. Wir sind nicht berühmt, keine Stars, aber in unserem Dunstkreis bis an die Grenzen des Ruhrgebiets und ein Stück darüber hinaus kennt man uns. Zu unseren Fans zählen in aller Regel die alten Punkrocker der Achtzigerjahre, Metaller, Alternative und erstaunlicherweise auch immer wieder einige ältere Zuschauer.

Ich werde nie vergessen, wie es sich anfühlte, als ich das erste Mal eine wildfremde Person mit einem T-Shirt meiner Band auf einem Konzert sah. Irgendwie surreal, es erfüllt mich mit Stolz, aber auch mit einer gewissen Verwunderung. Nie hatte ich mich, die Jungs oder unsere Musik als etwas so Großes angesehen, als dass man davon ein T-Shirt tragen wollte.

Heute Abend soll es also an den Rand des Ruhrgebiets gehen, die Vorfreude steigt in mir auf und irgendwie ist es nun auch egal, dass zuerst einmal alles in die Autos und Bullys verladen werden muss, mit denen wir in Richtung Konzerthalle aufbrechen.

Am Proberaum angekommen geht es auch gleich los.

Meine Aufgabe besteht wie immer darin, mein Schlagzeug zu zerlegen und transportsicher zu verpacken. Allein diese Tätigkeit nimmt eine gute halbe Stunde in Anspruch. Etwas neidisch schaue ich auf Tim, der lediglich sein Mikrofon vom Ständer nimmt und in eine kleine Plastikkiste packt. In meinem nächsten Leben werde ich auch Sänger, denke ich bei mir, weiß aber gleichzeitig ob meines völlig fehlenden Gesangstalentes.

Beim Tragen aus dem Proberaum helfen meine Jungs aber immer mit. Der Proberaum befindet sich im Keller der örtlichen Kirchengemeinde, er ist wie die meisten Proberäume ein kleines Stück zu eng, das Schlagzeug nimmt einen großen Teil des Platzes ein.

Daneben mehrere Türme aus Verstärkern und Boxen, in einer Ecke ein kleines Regal, vollgestellt mit Krempel, Gitarrensaiten, Schrauben, Schraubenschlüsseln, Schlagzeugsticks, Beleuchtungselementen, Bierdosen und allem anderen unmöglichen Kram, von dem man sich fragt, was er in einem Proberaum zu suchen hat. Ich glaube, jede Band hat so ein Regal in ihrem Proberaum und ich glaube auch, dass jede Band zu undiszipliniert ist, dieses Regal einmal ordentlich aufzuräumen.

Hinter dem Regal steht ein altes Ledersofa, welches auch ein Stück zu groß für den Proberaum zu sein scheint.

Irgendwer hat es einmal entsorgt und irgendwer meinte, es wäre gut für unsere Band. So steht es nun hier und bietet nicht nur Platz für uns fünf, wenn wir uns zwischen den Stücken unterhalten und streiten, wie es besser zu arrangieren wäre, sondern auch für diverse Gestalten, die sich Freunde der Band, Groupies oder Freundinnen nennen oder aus anderen, mir oft nicht erklärlichen Gründen mit der Band abhängen.

Noch nie habe ich den Reiz verstanden, mit einer fremden Band, in der ich keinen Auftrag habe, herumzulungern. In aller Regel herrscht im Proberaum ein Höllenlärm, es stinkt nach Bier und Schweiß. Frische Luft ist ein Fremdwort und zu gewinnen gibt es auch nichts.

Auch Janine und die Freundinnen der anderen lungern oft genug auf diesem Sofa herum, warten auf das Ende der Probe, kichern und versuchen, die Lautstärke ihrer Unterhaltung dem Lärm im Proberaum anzupassen, um nicht übertönt zu werden.

Oft endete dies, man mag es kaum glauben, in einer Standpauke unseres Sängers über Mikrofon, dass auf dem Sofa doch bitte Ruhe zu herrschen habe, da es unsere Musik störe. Ich konnte mir dann ein Lachen selten verkneifen, denn man mag sich vorstellen, welch einen Lärm mit zwei Gitarren, einem Bass, einem Schlagzeug und einer überforderten Gesangsanlage in einem kleinen Raum möglich ist. Ich weiß gar nicht, was ich lustiger finde, die Tatsache, dass unser Sänger meinte, die Stimmen der Frauen würden unseren Lärm stören, oder die Tatsache, dass die Mädels es schafften, mit ihren Stimmen gegen diesen Lärm anzutreten und ihn zu übertönen.

Ich genieße immer die Aufmerksamkeit, die der Band von diesen seltsamen Proberaumzuschauern zuteilwird, denn ist sie doch auch immer ein Gradmesser für die Qualität unserer Musik. Wer könnte uns besser beurteilen als die Leute, die bei jeder zweiten Probe dabei sind und unsere Lieder irgendwann auswendig kennen. Natürlich entwickelten sich hier auch Freundschaften, nicht nur von den Mädels untereinander, sondern auch zwischen der Band, den Freundinnen und Freunden der anderen. Bei manch einer Probe müssen wir die Anzahl der Zuschauer reduzieren, damit es nicht überhandnimmt. Hier haben natürlich die Freundinnen der Bandmitglieder Vorrang.

Mittlerweile sind alle Instrumente und Verstärker in die Fahrzeuge verladen. Gemeinsam überlegen wir, ob wir noch einmal die wenigen Schritte in die Stadt gehen, um etwas zu essen, oder ob wir darauf bauen, dass der Veranstalter ordentlich auftischt. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, kämen wir vorm frühen Abend nicht zum Essen. Diese Meinung setzt sich schließlich durch und wir gehen gemeinsam in Richtung Dönermann. Der Dönermann ist ein geflügelter Begriff bei uns. Der Laden hat erst vor Kurzem eröffnet und bietet eine überschaubare Kombination aus Döner- und Currywurstgerichten an. Die Pizza, die man dort ebenfalls bekommt, ist zum Weglaufen. Der Besitzer ist ein Türke mittleren Alters, der immer mit uns lacht, aber eigentlich selten unseren Gesprächen folgen kann.

Irgendwie stört uns dies wohl genauso wenig wie ihn.

Wir verstehen uns. Regelmäßig kehren wir nach Proben oder auch mal während der Proben dort ein, um uns zu stärken. Man möchte es kaum glauben, aber das beliebteste Gericht in unserer Band ist kein Döner, sondern der sogenannte Pommdöner. Ein mit Pommes gefülltes Fladenbrot, ein ordentlicher Schlag Zaziki und sonst nichts. Auch heute bestellen wir unseren geliebten Pommdöner.

Die Fahrt dauert ungefähr vierzig Minuten. Mittlerweile ist es 16:00 Uhr und bei uns allen ist die Vorfreude auf das anstehende Konzert groß. Am heutigen Abend haben wir eine Vorband, die wir tatsächlich noch gar nicht kennen. Hier im Ort soll es eine bekannte Truppe sein. Wir sind gespannt, was die Jungs abliefern.

Zunächst geht es ans Ausladen der Instrumente.

Irgendwie finde ich es schade, dass das Publikum in der Regel nicht mitbekommt, welch ein Aufwand so ein Konzert bedeutet. Wenn jeder wüsste, wie viel Arbeit dahintersteckt und wie viel Zeit es kostet, würde sich auch niemand über die 15 oder 20 DM Eintritt beschweren. Die heutige Bühne ist ein Genuss. Das Schlagzeugpodest ist so groß wie sonst unsere gesamte Bühne. Der Zuschauerraum riesig, die Backstage-Räume sind sauber, ordentlich und mit mehreren Kisten Bier, Cola und einem kleinen Buffet ausgestattet.

Die Mädels beschließen dem Aufbau und Soundcheck nicht zu folgen, sondern eine kleine Shoppingtour durch die örtlichen Einkaufsstraßen zu starten. Nicht schlimm, wir haben sowieso anderes zu tun. Die Instrumente sind schnell aufgebaut, der Soundcheck kann starten. Immer ein spannender Moment, in dem sich schnell zeigt, wie das Gefühl auf der Bühne ist.

Wie ist der Klang, wie ist die Sicht, alles Dinge, die einen vorher erahnen lassen, wie man sich den Abend über auf der Bühne fühlt. Es ist erstaunlich, welchen Einfluss der Klang und das Klangbild, welches man von den Mitmusikern und sich selbst hat, auf das eigene Spiel, die eigene Dynamik und somit auf die gesamte Musik hat. Ich glaube, dass dies immer wieder unterschätzt wird. Ich selbst bin jedes Mal dankbar, einen Toningenieur zu haben, der diese Kunst beherrscht und für die Musiker auf der Bühne einen Klang zaubert, der Spaß macht.

Heute ist so ein Tag. Der Mischer ist spitze, er weiß an den richtigen Knöpfen zu drehen, um mir das Gefühl zu geben, richtig Gas geben zu können. Nach dem ersten Lied im Soundcheck juckt es mir in den Fingern, ich kann es kaum erwarten, bis es voll ist und wir mächtig Zunder geben können. Den anderen scheint es ähnlich zu gehen. Mit einem tiefen, zufriedenen Lächeln schaue ich zu Jens herüber. Jens schlägt die ersten Akkorde des nächsten Songs an, Niki kommt mit einem Basslauf hinzu und los gehts. Eine leichte Gänsehaut läuft meinen Rücken herunter, als ich höre, wie Tim ins Mikro schreit und die Textzeilen nur so rausrotzt. Drei, zwei, eins – Einsatz. Niki dreht sich in dem Moment um, in dem er die Bassdrum spürt, die alles zum Vibrieren bringt.

Spätestens jetzt sind wir hellwach, voll mit Adrenalin und heiß wie Frittenfett.

Auch der Veranstalter scheint zufrieden, er steht am Ende des Raumes an der Eingangstür und nickt zustimmend mit dem Kopf. Ein bisschen Feintuning muss noch sein, Niki will meine Snaredrum lauter hören, Tim braucht mehr Gitarre und auch Jens hat noch das ein oder andere zu korrigieren. Letztlich spielen wir noch einen Song und sind uns dann einig: Der Sound passt. Zufrieden gehen wir von der Bühne und verkriechen uns in den Backstage-Bereich. Ich bin wohl der einzige Schlagzeuger, den ich kenne, der keinen Alkohol trinkt. Ich greife nach einer Flasche Cola, die Jungs machen sich ein Bier auf. Wir tauschen uns noch einmal kurz über die Setlist aus, die Reihenfolge der Songs für heute Abend. Lied für Lied gehen wir sie durch, überprüfen sie noch einmal auf eventuelle Fehler, sind uns dann aber schnell einig, dass alles so passt.

Ein lautes Kichern und Quasseln vor der Tür verrät uns, dass die Mädels von ihrer Shoppingtour zurück sind.

Auch sie kommen nun in den Backstage-Bereich.

Janine lümmelt sich zu mir aufs Sofa, Kathi setzt sich auf dem Schoß von Jens. Ich genieße den Moment, genieße den Schein von Ruhm und freue mich auf den Rest des Abends.

Die Mädels sind aufgekratzt, ich glaube, mittlerweile mögen sie sogar unsere Musik und das nicht nur, weil sie unsere Freundinnen sind.

Ausverkauft, sagt der Veranstalter, die Hütte ist also voll. Ich verlasse den Backstage-Bereich und mische mich unter das Publikum. Hier und da ein paar Leute, die ich aus meiner Heimatstadt kenne, scheinbar haben sie den Weg auf sich genommen, um uns zu sehen. Ich begrüße ein paar Jungs, die ich schon länger kenne, wieder nehme ich mehrere Personen wahr, die unsere Band T-Shirts tragen. Ein bisschen Stolz, ein bisschen Verlegenheit, ich weiß gar nicht genau, was es in mir auslöst.

Noch eine halbe Stunde, dann soll die Vorband starten.

Ich habe sie vorhin im Soundcheck gehört, das geht wohl in Ordnung. Ich würde es irgendwo im Bereich zwischen Punkrock und Metal einordnen, so richtig bin ich mir da selbst nicht sicher.

Ich schaue mich in den Räumlichkeiten genauer um.

Scheinbar war es mal ein industrielles Gebäude, was genau, kann ich auf den ersten Blick nicht festmachen.

Eine Zeche war es wohl nicht, die üblichen Räumlichkeiten oder Hinweise wie zum Beispiel eine Kaue, eine alte, mit Kohle gefüllte Lore am Eingang oder einen alten Förderturm sucht man vergeblich. Dennoch spiegeln sich überall Elemente aus vergangenen Tagen wider. Große Rohrleitungen, Ketten, Eisenstreben und alte Backsteinwände. Vielleicht mal eine Stahlhütte. Ein findiger Architekt hat dies wohl kombiniert mit einem offenen Neubau, welcher Elemente der alten Industrieanlage einschließt. Im Neubau, welcher weit auf das Gelände hinausragt, befinden sich die Bühne, die Backstage-Räume und auch die Galerie, auf welcher ebenfalls Publikum Platz findet.

Mehrere geschmackvoll platzierte und schön beleuchtete Bars sind über das Gebäude verteilt. Vor dem Gebäude Kopfsteinpflaster, der große Vorplatz und die Wege zwischen den Gebäudeteilen werden als Parkplatz genutzt. Die zahllosen Autos parken sauber nebeneinander, immer wieder unterbrochen durch rostfarbene Rohrleitungen, welche in mehreren Metern Höhe die Straße überqueren, an allen möglichen Stellen aus dem Boden ragen, parallel zur Straße verlaufen und immer wieder in den roten Backsteinwänden des Hauses verschwinden.

Außen wunderbar beleuchtet, geschickt in Szene gesetzt, ein Denkmal aus Zeiten, in denen die Schwerindustrie ihren Höhepunkt im Ruhrgebiet hatte.

Ich setze mich auf eine schmale Bank, welche vor dem Parkplatz mit Blickrichtung zum Gebäude platziert steht. Eine Zeit lang lasse ich mir den warmen Sommerwind um die Nase wehen. Von drinnen höre ich erste Gitarrenklänge, ich sehe, wie die Menschen vor dem Gebäude sich in Richtung Eingang orientieren, der Parkplatz leert sich. Die Vorband gibt Gas, das Publikum geht mit und ich kann es kaum noch erwarten, in Kürze selbst die Bühne zu betreten.

Dieses Kribbeln, diese Vorfreude, dieser Adrenalinschub, niemals werde ich davon genug bekommen. Und es ist vollkommen egal, ob es sich um eine so tolle Location wie heute handelt, vollgestopft mit weit über tausend Menschen, oder ob es der kleine Laden nebenan ist, in dem wir spielen. Die Vorfreude, das Adrenalin und das Kribbeln im Bauch bleibt das Gleiche.

Ich will auf die Uhr schauen, merke aber, dass ich diese, wie immer beim Schlagzeugspielen, bereits abgelegt habe. Ich weiß, dass die Vorband eine halbe Stunde spielen soll. Ich beginne die Lieder zu zählen. Nach sechs Liedern stehe ich auf und gehe in Richtung Eingang. Ob es unhöflich ist, der Vorband nicht die ihr zustehende Aufmerksamkeit zu schenken? Möglich.

Doch bin ich sicher, dass garantiert niemand mein Fehlen bemerkt hat und es den Jungs auf der Bühne vermutlich auch ziemlich egal ist, ob ich dabei bin oder nicht.

Im Backstage-Bereich treffe ich auf Jens, Niki und Michi.