Sanders - Edgar Wallace - E-Book

Sanders E-Book

Edgar Wallace

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Beschreibung

Im elften Band der Reihe geht es hauptsächlich um Sanders, der als Bezirkshauptmann in Afrika im Namen der britischen Regierung Häuptlinge einsetz, oder hängt. Es ist eine Zeit, in der die großen Weltmächte um koloniale Ehren wetteifern, eine Zeit des Ju-Ju, der Medizinmänner und eines unruhigen Friedens mit Bosambo, dem beeindruckenden Häuptling der Ochori. Als Kommissar Sanders in Urlaub geht, übernimmt der vertrauenswürdige Leutnant Hamilton die Verwaltung der afrikanischen Territorien. Doch wieder einmal schafft es der störanfällige Francis Augustus Tibbetts, genannt "Bones", obwohl er eigentlich helfen will, nur seine eigene Art von unschuldigem und liebenswertem Unfug zu verbreiten.

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Seitenzahl: 308

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Edgar Wallace

Sanders

Die Afrika-Romane 11. Band

Scratch Verlag

Klassik

e-book 131

Originaltitel: Sanders. 1926

Erscheinungstermin: 01.10.2022

© Scratch Verlag

Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

[email protected]

www.scratch-verlag.de

Titelbild: Simon Faulhaber

Vertrieb: neobooks

Inhaltsverzeichnis

Die Magie der Furcht

Der Platzmacher

Der sehr gute Mann

Weiber wollen reden

Der Heilige

Der Mann, der Sheffield hasste

Die Freudensucher

Das Ballspiel

Der weisse Mann

Der süße Sänger

Biographie

Die Magie der Furcht

Alles dieses ereignete sich während des Amtswechsels zweier Gouverneure, sonst hätte es sich überhaupt nicht ereignen können.

Seine Exzellenz, der zurücktretende Gouverneur der „Reservierten Gebiete“, war unter dem Donner der Geschütze und unter den Klängen der Nationalhymne abgereist, die von einer kleinen Schar beinahe weißer Musiker gespielt wurde, und von denen besonders der Kornettbläser die Neigung hatte, einen halben Ton zu tief zu spielen. Die neue Exzellenz litt unterdessen in ihrem Hause in Budleigh Salterton in Devonshire an der Gicht, und ihre Abreise von England war auf unbestimmte Zeit verschoben worden.

Ein Wechsel in der Verwaltung machte wenig oder gar keinen Unterschied für das Volk vom Großen Fluss. Hauptmann Hamilton von den Königshaussas zum Beispiel war sich dieser Lücke kaum bewusst, als er wütend der Hütte zustrebte, die sein jugendlicher Leutnant bewohnte.

Sein Ärger war sehr gerechtfertigt, denn Leutnant Tibbetts hatte, eine Schwäche von ihm, das unsühnbare Verbrechen begangen, für Zeitungen zu schreiben. Hamilton triefte vor Wut, denn die Nachmittagssonne brannte die Welt zu Blasen, und als er die gelbe Ofenplatte querte, die man Exerzierplatz nannte, drang die Hitze durch seine Schuhsohlen und folterte ihn.

Die Baracken, die eine Seite des Vierecks bildeten, tanzten und zitterten in dem Flimmern der Hitze. Er sah die Kronen der Isisipalmen wie durch einen Nebel. Sogar die Webervögel waren still. Und wenn es den Webervögeln zu heiß zum Schwatzen wird, dann muss es in der Tat sehr heiß sein.

Hamilton stieß die Tür der Hütte seines Leutnants auf, trat ein und schnaubte sich seinen Verdruss von der Seele.

Mr. Tibbetts, der sonst Bones, also Knochen, hieß, weil er dünn und knochig aussah, lag, das Gesicht nach oben, auf seinem Bett; in einem unverzeihlichen Anzug, denn selbst Salomon in all seiner Pracht trug keine purpurroten Pyjamas mit abwechselnd grün- und ockergelben Streifen.

Hamilton schleuderte das Papier in seiner Hand auf den Tisch. Bones öffnete ein Auge.

„Morjen, Herr!“, sagte er, leicht benommen. „Regnet's noch?“

„Morgen!“ schnappte Hamilton. „Es ist eine Stunde vor dem Mittagessen, und ich habe Ihnen etwas zu sagen, Bones!“

Bones sank in seinen Schlaf zurück.

„Wachen Sie auf und verstecken Sie Ihre fürchterlichen Flossen!“

Die Augenlider des Schläfers zuckten; er murmelte etwas wie, er verstehe die Pointe nicht; schließlich hatte er die Zeitung bemerkt und die in gotischen Buchstaben gedruckte Überschrift erkannt.

„Die Pointe ist die, Bones“, sagte Hamilton erhaben, „niemand weiß besser als Sie, dass es für irgendeinen Offizier ein Vergehen ist, einen Artikel über irgendeinen Gegenstand für die Zeitung zu schreiben. Das hier,“ er klatschte die zusammengefaltete Zeitung auf den Tisch, „das ist eine Schmach.“

„Surrey Star und Middlesex Plain Dealer, Herr“, murmelte Bones, die Augen geschlossen, ein Bild der Geduld, Verzeihung und Ergebung, „mit dem der Sunbury Herald und Mosley Times vereinigt ist, Herr.“

Sein langer Leib lag wollüstig ausgestreckt, seine Hände waren unter seinem Kopf gefaltet, seine großen roten Füße hingen über das Bettende hinaus. Er hatte das Aussehen und Gebaren eines Menschen, dem größtes Unrecht angetan wurde, und der seinen Feinden vergab.

„Es handelt sich nicht darum, für welche Zeitung Sie schreiben ...“

„An welche Zeitung Sie schreiben, lieber, alter Offizier!“, murmelte Bones. „Lassen Sie uns hübsch bei der Grammatik bleiben, Herr und Vorgesetzter; und lassen Sie uns nicht unsere Muttersprache verschandeln ...“

„Auf! Sie widersetzlicher Teufel, und stellen Sie sich auf Ihre großen Füße!“ zischte der Haussahauptmann.

Leutnant Tibbetts öffnete nicht einmal seine Augen.

Hamilton packte ihn an dem seidenen Kragen seiner Pyjamajacke und riss ihn auf seine Füße.

„Tätlicher Angriff!“, sagte Bones ruhig. „Hauptmann, wütend vor Eifersucht, schlägt strebsamen und glänzenden jungen Offizier. Kriegsgericht spricht netten, ollen Hauptmann schuldig, dieser nimmt Gift!“

„Ein Zeitungsschreiber werden Sie niemals“, sagte Hamilton. Bones verbeugte sich feierlich, soweit es ihm in seiner Position möglich war. „Schon weil Sie nicht orthographisch schreiben können.“

„Das konnte der liebe, alte Napoleon ebenso wenig“, sagte Bones selbstsicher, „wie der schneidige, alte Washington. Richtig orthographisch schreiben ist Zeichen eines Schwachkopfs. Ich gebe zu, dass Sie richtig orthographisch schreiben können, lieber, alter Demosthenes ...“

„Die Pointe ist die – und ich meine es vollkommen ernst ...“ Hamilton schubste seinen Untergebenen aus dem Bett, und dieser fiel dort, dem Stoß nachgebend, zusammen.

„Sie dürfen wirklich keine politischen Artikel schreiben, in denen Sie auffordern, der Staatssekretär solle kommen und „mit seinen eigenen Augen“ ...“ Hamilton suchte nach der anstößigen Stelle und las sie vor – „die Arbeit ansehen, die von jungen, von niemand, außer von den sie verehrenden einheimischen Eingeborenen, gekannten und geehrten jungen Offizieren geleistet würde ...“ und dergleichen Stuss mehr!“

Bones zuckte seine schmalen Achseln. Sein Schweigen war beleidigend respektvoll.

„Sie werden also keine dieser für Sie selbst Propaganda machende Briefe mehr schreiben, Bones! Weder an den „Stern“ noch an den „Komet“, den „Mond“, die „Sonne“ oder an irgendein anderes Mitglied des Sonnensystems.“

„Bitte schalten wir Religion aus der Erörterung aus!“, sagte Bones mit gedämpfter Stimme.

Es ist zweifelhaft, ob Mr. Nickerson Haben überhaupt jemals von der Existenz dieses Organs des öffentlichen Gewissens, des „Sterns von Surrey und Middlesex Plain Dealer“ gehört hatte. Er war nicht der Schlag Mann, der einer Zeitung Beachtung schenkte, die weniger als eine halbe Million Abonnenten zählte.

Und doch, das Auftauchen von Bones erstem schriftstellerischem Versuch fiel zeitlich zusammen mit einem besonders kritischen Augenblick in Nickerson Habens Leben. Und die Folge entschuldigte beinahe den späteren Jubel des „Surrey Stern“ und trug wesentlich dazu bei, der Behauptung seines Schriftleiters: „Was der „Stern“ heute denkt, tut die Regierung morgen“, einen Boden zu geben.

Denn Nickerson Haben machte sich beinahe sofort daran, die Gebiete mit seinen eigenen Augen zu besichtigen. Er war Mitte der Dreißig und hatte den Erdball zu seinen Füßen. Wie das zuging, darüber gab sich niemand Rechenschaft.

Haben war ein engbrüstiger und bleicher Mann, mit rabenschwarzem Haar, von dem sich eine Locke in Augenblicken rednerischen Überschwanges über seine Stirn legte. Er hatte tiefliegende Augen, schmale Lippen, hageres Gesicht und lange, weiße Hände. Nickerson war durch einen rednerischen Wirbelwind in das Unterhaus gefegt worden, der eine Phalanx nüchterner Männer und konservativer Bürger niederwehte, die zwischen diesem und ihm gestanden hatten. Treuherzig oder aalglatt, je nach den politischen Vorurteilen, trug er die Macht seiner Überredungskunst und seiner Kritik in die keusche und bewegungslose Atmosphäre des Parlaments. Minister zuckten unruhig zusammen unter der Rasiermesserschärfe seines Spottes, und die Einpeitscher, die sich vorher im Foyer versammelten, wurden bei Erwähnung seines Namens nervös. Als Parteimann verfiel er nie in den Fehler, die Empfindlichkeit seiner eigenen Führer zu verwunden. Wenn er diese überhaupt kritisierte, wiederholte er lediglich in einem Ton von Bestimmtheit die von ihnen bereits halb eingestandenen Irrtümer.

Wenn eine Regierung stürzte, verließ Mr. Haben seinen sicheren Sitz, bekämpfte West Monrouth Grafschaft, warf das diese augenblicklich vertretende Mitglied heraus und kehrte im Triumph nach Westminster zurück.

Die neue Regierung machte ihn zum Unterstaatssekretär, zuerst der Landwirtschaft, dann des Auswärtigen. Er hatte die Witwe Cornelius Beits geheiratet, eine amerikanische Dame, die fünfzehn Jahre älter war als er; eine kluge Frau mit einem sprühenden Temperament und einer umfassenden Kenntnis der Männerwelt. Obwohl sie in Carlton House Terrace wohnten, war ihr Eheleben nicht glücklich. Ihn kannte sie nur zu gut. Sein Temperament war keins von den besten. Er besaß alle Anmaßung eines Self-made-man, an dem sich dieser Prozess nur etwas zu schnell vollzogen hatte. Einmal erzählte sie einem ihr nahestehenden Freunde, dass Nickerson einen Einschlag von Gemeinheit habe, den sie schwer zu ertragen fand, und es war sogar von Scheidung die Rede.

Das war gerade vor ihrer Blinddarmoperation. Der beste Chirurg ganz Englands führte diese aus; ihre Wiederherstellung ward niemals in Zweifel gezogen. Unter dem Eindrucke ihrer Wiedergenesung ging Nickerson ins Parlament und hielt eine seiner besten Reden über Belutschistan.

Drei Tage später war sie tot. Einer jener sonderbaren Rückfälle hatte sich ereignet, die für den Laien so unerklärlich und von den Ärzten so gefürchtet sind.

Haben war wie vor die Stirn geschlagen. Die, die ihn hassten – und ihrer waren viele – wunderten sich, was er nun, da die Hauptquelle seines Einkommens versiegt war, beginnen würde. Man hatte nur für eine Vermutung von sehr kurzer Dauer Gelegenheit, da die Angelegenheit bei der Testamentseröffnung dahin erledigt wurde, dass ihm alles vermacht war, außer einem Legat für eine Zofe.

Diese Tragödie ereignete sich zwischen jenem Amtswechsel der Gouverneure, also bei einer Gelegenheit, die von einem mitfühlenden Chef aufgegriffen wurde. Nickerson Haben ging mit dem ersten fälligen Afrikadampfer hinaus, um Geschäft mit Erholung zu vereinen; um Fehler zu finden, und Vergessen.

Leutnant Tibbetts von den Königshaussas war der Nachrichtenbringer des Gouvernements. Die schlanken Beine dieses schmächtigen Burschen hatten schon viele meist übertriebene Botschaften der Freude und des Unglücks übermittelt.

In diesem Augenblick flog er über den zitronenfarbigen Sand der Küste, einen Postbeutel in der Hand, seinen Tropenhelm im Genick, eine überraschende Neuigkeit auf den Lippen.

Er nahm die fünf Stufen der Treppe in einem einzigen Satz, flitzte in das große kühle Esszimmer, in dem Hamilton gerade beim Frühstück saß, und ließ den Beutel in dem Augenblick in Hamiltons Schoß fallen, als der Hauptmann seine Kaffeetasse zierlich auf seinen Fingerspitzen balancierte.

„Bones! Sie langbeiniger Strandköter!“ schnappte Hamilton bissig und tastete nach seinem Taschentuch, um den heißen Mokka von seinen weißen Drellbeinkleidern abzuwischen.

„Er kommt, Ham!“, rief Bones, nach Atem ringend. „Sah meinen Brief, lieber, oller Herr, packte seinen netten, ollen Koffer, nahm den ersten Zug ...!“

Hamilton forschte scharf nach Symptomen des Sonnenstichs bei seinem Untergebenen.

„Wer kommt, Sie linkshändiger Wechselbalg?“, fragte er zwischen Zorn und Neugier.

„Haben, alter Herr! ... Unterstaatssekretär, lieber, oller Ham!“ Bones redete ein wenig ohne Zusammenhang. „Sah meinen Brief in dem netten, ollen „Star“ ... Befindet sich eben beim Gouvernement. Das bedeutet eine Bezirksamtmannsstelle für mich, Ham, oller Knabe! Aber ich nehme nichts an, außer sie geben dem ollen Ham das Gleiche ...“

Hamilton deutete ernst auf einen Stuhl.

„Setzen Sie sich und beenden Sie Ihren Anfall von Hysterie! Wer hat Sie mit diesem Quatsch vollgestopft?“

„Der zweite Offizier der „Bassam“, der die Post an Land brachte. Haben war schon auf dem Wege zum Sitz des Gouvernements, da er mit demselben Schiff fuhr.“ Für einen Augenblick vergaß Hamilton seine kaffeebefleckten Beinkleider.

„Kommt mir verdammt ungelegen!“, sagte Hamilton unruhig. „Gerade, wo Sanders im Busch ist ... Was ist das für 'n Typ, dieser Haben?“

Bones, der sein eigenes Ziel damit verfolgte, wünschte ein schmeichelhaftes Bild von dem Besuch zu entwerfen; er empfand, dass ein Mann, der so unmittelbar der Aufforderung einer Zeitung folgte, unter der sein Name stand, für ihn nur Gutes bringen konnte. Bones selbst hatte dieselbe Frage an den zweiten Offizier des Dampfers gerichtet, und der zweite Offizier hatte mit seemännischer Offenheit in zwei Worten geantwortet, von denen das eine von Rabelais stammte und das andere in Druck nicht wiederzugeben ist. Denn Mr. Haben glänzte nicht in den Augen von Leuten, die gesellschaftlich unter ihm standen. Seine Diener hassten ihn, seine Privatsekretäre wechselten jeden Monat und ein Mitglied des Oberhauses, das Pferdeliebhaber war, fasste sein Urteil über ihn in den Worten zusammen: „Haben ist das Futter nicht wert.“

„Nicht so schlecht!“, log Bones.

Am nächsten Morgen, in der Frühe, brachte Sergeant Ahmet Mahmed eine graue Taube zu Hamilton, und der Haussahauptmann schrieb eine Botschaft auf Zigarettenpapier:

„Haben, Auswärtiger-Amts-Reisender, unterwegs. Befindet sich Gouverneurssitz. Kehrt Unterstes zu oberst. Halte für besser, Sie kommen sofort zurück und beschäftigen sich mit ihm.“

Hamilton war in einem Brandungsboot zum Dampfer gefahren und hatte mit dem Kapitän gesprochen. Mr. Nickerson Habens Charakter war danach kein Geheimnis mehr für ihn.

Er befestigte das Papier an dem roten Beinchen der Taube und warf sie in die heiße Luft.

„Hüte dich vor Habichten, kleiner Soldatenfreund!“, sagte er gewohnheitsmäßig.

*

Sehr innig verknüpft mit dem Leben und Schicksal des Unterstaatssekretärs Mr. Nickerson Haben war, obwohl er sich das nicht träumen ließ, das Leben und Schicksal Agasakas, des Chimbiriweibes. Mr. Haben war vom besten Schneider in Savile Row gekleidet; Agasaka war nackt, bis auf den Schurz aus getrocknetem Gras, der um ihre schöne Taille baumelte.

Sie war ein großes Mädel von sehr schmächtigem Körperbau mit sehr ernst dreinschauenden Augen. Männer existierten für sie nicht. Sie hatte eine große Leidenschaft für etwas Unwägbareres, als ein Mann ist; sie war schrecklich klug, was Geister und Dämonen anging; gerade gewachsen, mit kleinen Brüsten und von Kindern geliebt, war sie so stark und geschickt, dass sie einen Speer weiter werfen konnte als irgendein junger Mann. Das war Agasaka, das Chimbiriweib, Tochter des N'kma-n'kimi, des toten Waldmenschen.

Für eine Jungfrau war sie schon etwas ältlich, da sie siebzehn Lenze zählte; sie war auf alle Arten von den Männern umworben worden; sie war freundlich zu allen und erhörte keinen.

Sie lebte mit M'suru, ihrem Bruder, dem Jäger, zusammen; dessen Weiber hassten sie, weil sie niemals log und offen zu ihrem Bruder über deren zahlreiche Liebhaber sprach. Sie hätten sie gern verprügelt, aber sie fürchteten die Stärke ihres Speerarmes. Was die Fäuste nicht wagten, wagten die Zungen, aber keiner ihrer Anwürfe haftete. Wenige Männer waren so dumm, dass sie zugaben, andere hätten Erfolg gehabt, wo sie selbst abgewiesen worden waren.

Sie hatte viele Jahre lang mit ihrem Vater im dichtesten Urwald gelebt; in der Gegend, wo M'shimba M'shamba, der fürchterliche ungestüme Dämon, hauste, der die Bäume mit einer Hand herausreißt, während sein Maul von geschmolzenem Feuer trieft, und wo andere finstere Mächtige in der Nähe wohnten; N'guro, der kopflose Hund, zum Beispiel, und Chika-laka-m'bofunga, der den Mond auffrisst – tatsächlich alle, ausgenommen die Feuerechse, deren bloßer Blick tötet. Und N'kema hatte ihr die Mysterien des Lebens gelehrt und den Ursprung alles Lebens und den Boden, auf dem es gesät wird. Sie kannte die Männer in ihrer Roheit und in ihrer Stärke. N'kema lehrte sie die Art, in der sie schöner werden könne als irgendein anderes Weib: die Magie, die von Mund zu Mund gelehrt wurde – jene Magie, die schon uralt war, als man den ersten Grundstein zu den Pyramiden legte.

Die Männer fürchteten sie; sogar Oboro, der Zauberdoktor, mied sie.

Denn darin bestand ihr wirksamster Zauber, dass sie die Macht hatte, die Augen der Männer und Weiber Dinge sehen zu lassen, die jene am allerwenigsten zu sehen begehrten.

Einmal verfolgte sie ein kleiner Häuptling den Pfad am Fluss entlang, wo das Gras kinnhoch steht. Er hatte gewisse Absichten auf sie, und im rechten Augenblick schlich er, wo es recht einsam war, aus dem Versteck, ließ seine Sperre ins Gras fallen und packte sie so fest an ihren Armen, dass sie sich nicht bewegen konnte, obwohl sie sehr stark war.

„Agasaka“, sagte er, „ich habe eine Hütte in diesem Wald, die noch niemals die Stimme eines Weibes vernommen hat ...“

So weit war er in seiner Rede gekommen, und dann sah er, über ihre seidige Schulter hinweg, drei schwarze Leoparden Seite an Seite den engen Pfad entlang kommen; ihre Köpfe geduckt, und ihre goldbraunen Augen gierig nach Beute.

Sofort gab er sie frei und floh zu seinen Speeren.

Als er sich wieder umwandte, waren Weib und Leoparden fort.

Aliki war der Jäger ihres Dorfes, um dessen Bekanntschaft man nichts gab, denn er war mit allen Arten Zauber vertraut und ging oft des Nachts in den Urwald, um mit Dämonen zu verkehren. Eines Nachts sah er eine Erscheinung im Feuer, eine mächtige, rote Eidechse, die mit ihren großen, schweren Augenlidern blinzelte. Aliki sah sich in seiner Familie um, auf der kaltblütigen Suche nach einem Opfer. Denn Calichi, der Feuerdrachen, ist der gutmütigste der Dämonen und nimmt einen Stellvertreter für den Mann oder das Weib an, dem er mit seinen roten, zwinkernden Augen die Todesbotschaft gesandt hat.

In diesem Lichte betrachtete Aliki seine drei Weiber, seinen Vater und einen Onkel, der viele Tagereisen weit zu einem Jagdzug hergekommen war; und keiner von diesen schien ihm gut genug für sein Vorhaben, denn Calichi ist ein gefräßiger Dämon, nur das Schönste und Beste will ihm gefallen. Jenseits dieser Gruppe saßen andere Gruppen um das rote Feuer herum und aßen aus dem großen Topf, der in der heißen Asche stand. Die Dorfstraße von Chimbiri läuft vom Urwald zum Fluss als breiter Zugang, der mit Hütten umsäumt ist, und vor jeder Hütte brannte ein Feuer, und vor jedem Feuer hockten die Männer und Weiber des Hauses.

Die Nacht war gekommen. Über den riesigen Gummibäumen war der Himmel mit funkelnden Sternen besetzt, die wie Calichi, nur schneller, blinkten und winkten.

Aliki sah die Sterne und rieb die Flächen seiner Hand am Staub der Erde, damit er Glück hätte, und in diesem Augenblick kam ihm das zweite Weib seines Nachbars zu Gesicht, ein großes Weib von achtzehn Jahren, eine Nymphe, aus Mahagoni geschnitzt, schlank und schwipp, nackt bis zur Hüftenlinie ihres Graslendenschurzes. Und Aliki fand, dass er in ihr einen geeigneten Ersatz gefunden habe, und murmelte ihren Namen, als er in die Augen der Feuerechse sah. Darauf wurde die Erscheinung des Ungeheuers schwächer und verschwand, und Aliki wusste, dass der Feuerdämon seine Wahl gut hieß.

Später in der Nacht, als Loka, das Weib M'surus des Jägers, zum Flusse ging, um Wasser für den Bedarf des Hauptweibes zu holen, fing Aliki sie ab.

„Da ist niemand so schön wie du, Loka“, sagte er, „denn du hast die Beine eines Löwen und die Kehle einer jungen Antilope.“

Er zählte andere körperliche Vorzüge auf, und Loka hörte lachend zu. Sie hatte sich an diesem Tage mit dem ersten Weib ihres Gebieters in den Haaren gelegen, und M'suru hatte sie gezüchtigt. Sie war schrecklich empfänglich für Schmeicheleien und reif für solche Abenteuer, an denen Weiber Freude finden.

„Hast du keine Weiber, Aliki?“, fragte sie angenehm berührt. „Nun, ich will dir Agasaka, die Schwester meines Mannes, zuführen; die ist sehr schön und hat niemals die Schulter eines Mannes berührt.“

Das sagte sie aus Ärger, denn sie hasste Agasaka, und es ist die Gewohnheit des Weibes, Fremden gegenüber die Vorzüge jener Schwestern zu loben, die sie anwidern.

„Was Agasaka – und andere Weiber anlangt ...“ – er machte eine Gebärde der Verachtung – „so gibt es kein anderes Weib wie du; nicht einmal in der Hütte des alten Königs jenseits der Berge, die das Ende der Welt sind“, sagte Aliki, und Loka lachte von neuem.

„Nun weiß ich, dass du verrückt bist, wie M'suru sagt. Auch dass du fremde Gesichte siehst, die andere nicht sehen können“, sagte sie in ihrer tiefen, glucksenden Stimme. „Und nicht nur M'suru allein, nein, alle Männer behaupten, dass du die Krankheit „Mongo“ hast.“

Es war richtig, dass Aliki krank war und blitzartige Schmerzen im Kopf hatte. Er sah andere Dinge als Eidechsen.

„M'suru ist alt und ein Narr“, sagte er. „Ich habe ein Ju-ju, der meine Augen Wunder sehen macht. Komme mit mir in den Urwald, Loka, und ich will dich Magie lehren und dir solche Liebe schenken, wie sie ein alter Mann nicht zu vergeben hat.“

Sie setzte ihre Kalabasse (Gefäß aus Kürbisschale) nieder, verbarg sie an einem mit Elefantengras bestandenen Flecken nahe am Flussufer und ging hinter ihm in den Wald. Und dort tötete er sie. Er zündete ein Feuer an und sah die Eidechse darin; sie schien zufriedengestellt. Aliki reinigte sich im Fluss, ging in seine Hütte zurück und schlief.

Als er am Morgen aufwachte, tat es ihm leid, Loka ermordet zu haben, denn von allen Weibern der Welt war sie in seinen Augen die schönste gewesen. Das Dorf war halb leer, denn Lokas Kalabasse war gefunden worden, und Fährtenfinder waren ins Gehölz gegangen, um nach ihr zu suchen. Man fand sie, aber kein Mensch hatte sie in den Tod gehen sehen. Einige dachten, sie sei von Ochori-Fischerleuten geraubt worden, andere zogen es vor, an einen Dämon zu glauben, der für seine Bosheiten in Liebeshändeln berüchtigt war. Man brachte den Leichnam die Dorfstraße entlang zurück, und alle verheirateten Weiber machten sich Unterröcke aus grünen Blättern und tanzten den Tanz des Todes, wobei sie unheimliche Weisen sangen.

Aliki hockte an seinem Feuer und beobachtete neugierig den Zug. Es tat ihm leid, dieses Etwas, was man da auf den Schultern trug, getötet zu haben, und als er in das glimmende Feuer stierte, wurde es ihm noch mehr leid, denn der Feuerdrachen schielte ihn daraus an, und seine triefenden Augenlider blinzelten ihm mit fabelhafter Geschwindigkeit zu.

Also hatte er das falsche Opfer gebracht.

Als er seine Augen vom Feuer erhob, blieben sie an der schmächtigen Gestalt eines Weibes haften, die sich mit einer Hand am Türpfosten der Hütte ihres Bruders festhielt. Und damit überkam Aliki eine fürchterliche Gewissheit.

Der Feuerdämon war aus dem Innern des Feuers verschwunden, als Aliki hinunterstarrte.

Da war keine Zeit zu verlieren; er stand auf und ging auf das Mädchen von Chimbiri zu.

„Ich sehe, du bist hier, Agasaka“, sagte er. „Es ist schändlich, zu deines Bruders Haus zu kommen, denn die Leute sagen, dass dieses Weib, die Loka, einen Liebhaber besaß, der sie ermordet hat.“

Sie wandte ihm langsam ihre großen Augen zu; diese waren braun und erfüllt mit einem wundersamen Leuchten, das darin zu zittern schien, wenn sie jemand ansah.

„Loka starb, weil sie eine Närrin war. Aber der sie tötete, war ein noch größerer Narr. Ihre Pein ist vorüber, seine kommt erst. Bald wird Sandi Malaka, der braune Würgervogel, kommen und wird dem Manne, der das getan hat, die Augen aushacken.“

Aliki hasste sie, aber er war klug genug, zustimmend mit dem Kopf zu nicken.

„Ich bin weise, Agasaka“, sagte er. „Ich sehe Wunder, welche kein anderer sehen kann. Nun, ehe Sandi mit seinen Soldaten kommt, will ich dir einen Zauber zeigen, der diesen Bösewicht an deines Bruders Tür bringen wird, sobald der Mond so steht und der Fluss so hoch ist.“

Ihre grauen Augen ruhten aus den seinen; der Klang der singenden Weiber dröhnte vom Dorfende her; ein Hund winselte im Dunkeln einer Hütte, und alle Gesichter waren dem Flusse zugekehrt, wo der Leichnam in ein Kanu gelegt werden sollte, um ihn auf die kleine Insel inmitten des Flusses zu bringen, wo die Toten in ihren seichten Gräbern ruhen.

„Lass uns gehen!“, sagte sie und ging hinter ihm durch ein holpriges Maisfeld; sie erreichten das schützende Gebüsch hinter dem Dorfe und, auf unbequemen Wegen, die Vorposten des Waldes, wo es keinen Mais gab. Denn dieser Platz war zu traurig für die Webervögel und den Behausungen der Menschen zu nahe für die kleinen Affen, die weiße Bärte haben. Noch immer ging er vor ihr weiter, bis sie einen Flecken gelber Blumen erreichten, die in einer Lichtung wuchsen. Hier waren die Bäume sehr hoch, und zehn Männer hätten, einer aus dem Kopf des anderen, gegen die glatten Stämme gelehnt stehen können, und der oberste würde nur den untersten Ast erreicht haben.

Er blieb stehen und wandte sich um. In diesem Augenblick rauschte es unruhig in den Wipfeln; ein kalter Windstoß kam, und Donnergrollen ließ sich hören.

„Wir wollen uns setzen!“, sagte er. „Zuerst will ich zu dir von Weibern reden, die mich geliebt haben, und wie ich nicht vor ihnen her gehen wollte, weil ich immer an dich gedacht habe. Und dann wollen wir zwei zusammen eine Liebschaft haben ...“

„Darin liegt kein Zauber, Aliki!“, sagte sie; er sah, dass sie ihm abgeneigt war, und erhob seinen Speer.

„Du stirbst, wie Loka starb; der Feuerwurm hat mir den Befehl erteilt“, sagte er und nahm seine Schulter zurück zum Speerwurf.

„Ich bin Loka!“, sagte das Mädchen; er starrte sie an, seine Kinnlade sank herab. Denn es war wirklich Loka, das Weib, das er gemordet hatte. Loka mit ihren listigen Augen, Loka mit ihren schlanken Fingern. Und sie hatte Lokas Art, eine rote Blume hinter ihr Ohr zu stecken, und Lokas schlanke, wie Seide schimmernde Beine.

„Oh, Ko!“, sagte er voll Weh und ließ seinen Speer fallen.

Agasaka bückte sich und hob ihn auf und wurde in diesem Augenblick wieder sie selbst. Die Blume war fort, und ihre Finger waren auch kürzer, und wo das listige Lächeln gewohnt hatte, thronte jetzt der Ernst des Todes.

„Dieses ist mein Zauber. Nun gehe du vor mir her, Aliki, Mörder Lokas, denn ich bin nicht geschaffen für Liebe, sondern für eine dunkle Macht!“

Ohne ein Wort ging der verwirrte Mann den Weg zurück, den er gekommen war; und Agasaka folgte und fühlte währenddessen die Schneide des breiten Speerblattes. Obwohl sie es nur leicht berührte, zeigte sich ein Blutstreifen an der Stelle des Daumens, wo Speerblatt und Haut miteinander in Berührung gekommen waren. Es wurde finster im Walde, der Wind war abwechselnd ein Schrei oder ein Wimmern. In der Nähe des Sumpfes am Urwaldrand schwang sie den Speer rückwärts über ihre linke Schulter, wie ein Kavallerist seinen Säbel schwingt, und er drehte sich halb nach dem Geräusch um, das das verursachte ...

Das Hauptweib ihres Bruders kam an den Sumpf, um die Cassada zu holen, wo sie sie zum Wässern ins Wasser gelegt hatte. – Alikis Kopf fiel vor ihre Füße, als der erste Blitz durch die finsternisverhängte Welt zuckte.

*

Die Sonne war vier Stunden alt, als ein Flusskanonenboot, ein weißes und schimmerndes Ding, um den Schroffen bog, der seiner Gestalt halber „der Fisch“ genannt wurde. Die dunklen Wasser des Flusses stauten sich an seinem Bug zu einem an seinen Rändern rot gefärbten gläsernen Hügel, denn die „Zaire II“ lief gegen einen Sechsknoten-Strom an. Jeder Fluss von den Isisis bis zu den Mokalibis war ein Wirbel, und wo Tiefen gewesen waren, lagen jetzt Sandbänke, und an Stellen, wo die Krokodile, mit weit geöffnetem Rachen, geschlafen hatten, als Bezirksamtmann Sanders das letzte Mal hier herauskam, war jetzt tiefes Wasser.

Sanders stand neben dem Mann am Steuer, eine schmächtige, elastische Gestalt, in tadelloses Weiß gekleidet, seinen Tropenhelm nach hinten geschoben, denn eine Elefantenfliege hatte ihn in der letzten Nacht in die Stirn gestochen, und die dadurch verursachte Schwellung schmerzte bei der geringsten Berührung. Zwischen seinen regelmäßigen weißen Zähnen schaukelte ein langer schwarzer Nikotinstengel. Sanders hatte eben gefrühstückt, und eine Ordonnanz räumte gerade die silberne Kaffeekanne und den Fruchtteller weg. Der Himmel strahlte in leuchtendem Blau. Aber das Barometer fiel mit beunruhigender Schnelligkeit, und Sanders hätte gern den sicheren Ankerplatz unter einem hohen Ufer und den Schutz hoher Bäume erreicht, den ihm eine kleine Bucht südlich von Chimbiri versprach.

„Lo'ba, ko'lo ka! Ein Faden Wasser beim Erbarmen Gottes!“

Der mit schläfrigen Augen am Bug sitzende Schwarze zog seinen nassen Peilstock herauf.

Sanders Hand schoss nach dem Griff des Maschinentelegraphen und zog daran, und Yoka, der Maschinist, schickte rasselnd seine Bestätigung herauf.

„Ein halber Faden!“

Bums!

Das Fahrzeug stoppte von selbst, sein Heckrad schlug rückwärts, aber die Nase steckte im Sande, und eine seitliche Strömung warf das Heck herum, bis es breitseits zu einer Sandbank lag. Dann, als das Steuer herumgeworfen wurde, fing die „Zaire II“ an, sich nach dem rechten Ufer des Flusses zu zubewegen, und streifte die Untiefe, bis der Bug wieder tiefes Wasser fand.

„Herr!“, sagte der Mann am Steuer, mit würdevollem Unmut, „diese Sandbank ist aus der Hölle heraufgekommen, denn sie war nicht hier, solange ich nackt ging.“

„Pass nur auf den Fluss auf!“, erwiderte Sanders, der zum Schwatzen nicht aufgelegt war.

Und jetzt sah Sanders über den vorragenden Baumwipfeln den heranrollenden Dunst von Wolken, gelben Wolken, die sich überwarfen und stürzten und lohfarbene Banner vor dem herannahenden Wind entfalteten.

Das stille Gesicht des Flusses wurde in kleine weiße Fetzen zerrissen, die hochliefen und zu Gischt zerstoben. Sanders schob seine Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen, nahm sie aus dem Munde, betrachtete sie bedauernd und warf sie über Bord. Sein Diener stand hinter ihm und hielt ihm einladend den wasserdichten Mantel hin. Sanders fuhr hinein, reichte dem Jungen den Tropenhelm und nahm dafür den Südwester, den er unterm Kinn festband. Die Hitze war unerträglich. Der Sturm trieb einen Glutofenhauch heißer Luft vor sich her, um seine Wut anzukündigen. Sanders war nass bis auf die Haut, seine Kleider klebten an ihm.

Ein Band blendenden Lichtes lief quer über das Firmament und spaltete sich in ein Netz von Armen. Das Krachen des Donners war betäubend; es schien Sanders, als drücke ein schweres Gewicht auf seinen Kopf; wieder ein Blitz, und wieder und immer mehr. Bläulich fuhren die Blitze über beide Ufer hin, feurige, blaue Schreie von Licht, die, zackig zerrissen, vom Himmel zur Erde liefen. Die gelben Wolken waren schwarz geworden. Nächtliche Finsternis lag über der Welt; eine Finsternis, die noch verdichtet wurde durch den unheimlichen schrägen Schein, der von einem entfernten Horizont kam, an dem sich die Wolken teilten.

„Backbord!“, sagte Sanders kurz; „Steuerbord wieder – jetzt Backbord!“ Sie hatten den Schutz des Ufers erreicht, als der erste Regen fiel. Sanders schickte ein Dutzend Leute über Bord mit der Bug- und Sterntrosse und machte an den riesigen Gummibäumen fest, die unten am Flussufer wuchsen.

Innerhalb einer Sekunde war das Deck mit Wasser überflutet, und die weißen Schuhe des Bezirksamtmannes wurden erst taubengrau und dann schiefergrau. Er schickte nach Yoka, dem Maschinisten, der gleichzeitig sein Bootsmann war.

„Bringe noch eine andere Vertäutrosse raus und halte Volldampf auf!“ Sanders sprach Küstenarabisch, eine Sprache, in der man sich gewählt ausdrücken konnte.

„Herr, soll ich die Hupa-Hupa wie die Sirene bei den Eingeborenen genannt wurde, schreien lassen?“, fragte Yoka. „Ich sehe, dass diese diebischen Akasavaleute zu Bange sind, im Regen herauszukommen und Deine Lordschaft zu begrüßen.“

Sanders schüttelte den Kopf.

„Sie werden schon 'mal kommen – das Dorf ist eine halbe Meile entfernt, und sie werden deine Hupa-Hupa nicht hören“, antwortete er und ging in seine Kabine, um Atem zu schöpfen. Ein Orkan, Windstärke neunzig Knoten die Stunde, hatte ihm zehn Minuten lang durch die Zähne geblasen, und zehn Minuten ist eine lange Zeit, wenn man nicht Atem holen kann.

Die Kabine hatte zwei lange Fenster, an jeder Seite eins. Das zur Linken, über dem kleinen Sofa, auf das er sich fallen ließ, gestattete ihm eine Aussicht auf den Urwaldpfad, den entlang früher oder später schon ein Eingeborener kommen und todsicher dem Häuptling eine Meldung bringen würde.

Es blitzte noch immer unaufhörlich; der Regen kam in solchen Massen herunter, dass Sanders versucht war, zu glauben, er sei unter einem kleinen Wasserfall vor Anker gegangen. Aber die Beleuchtung hatte sich geändert, und die schwarzen Wolken vorn waren zu einem dichten Grau geworden.

Sanders riss die Türen auf, die er vorhin hinter sich geschlossen hatte. Der Wind wehte in Stößen, aber schwächer. Er langte nach einer anderen Zigarre, steckte sie sich an und fasste sich in Geduld.

Der Fluss hatte eine Stromgeschwindigkeit von acht Knoten die Stunde. Bis zum Dorfstrand würde man das Fahrzeug an Schleppleinen mit der Hand schleppen müssen. Er hoffte, dass man Holz für ihn aufgestapelt hatte. Das Chimbirivolk war faul, und das letzte Mal, als er hier oben war, hatte man ihm einen Stoß Holz gezeigt; grünes Zeug und wenig.

Yoka und seine Mannschaft hörten den Teufelsschrei der Hupa-Hupa gern, aber Sanders wusste ganz genau, wie viel Dampf darauf verschwendet wurde.

Seine Augen suchten den Pfad längs des Flussufers ab – und das in einem sehr wichtigen Augenblick. Denn er erblickte acht Männer, die paarweise nebeneinander gingen und auf ihren Schultern eine zusammengebündelte Gestalt trugen.

Ein elektrisches Chrysanthemum entfaltete sich zu blendender Blüte, als Sanders ans Ufer sprang; die sprühenden Staubfäden wandten sich nach jeder Richtung und gaben Helle genug, so dass Sanders die Last, die man da trug, deutlich erkennen konnte, lange, ehe er den Pfad erreichte und breitspurig im Wege der acht finsteren Männer und des Gesindels stand, das dem Sturm getrotzt hatte, um in einiger Entfernung zu folgen.

„O, Männer!“, sagte Sanders sanft – er zeigte gewöhnlich seine Zähne, wenn er in dieser Weise sprach –, „wer seid ihr, dass ihr das Geisterzeichen auf dieses Weibes Gesicht gesetzt habt?“

Denn das Gesicht ihrer Last war mit weißer Kreide beschmiert. Niemand antwortete. Er sah, wie ihre Zehen sich nervös hin- und herbewegten, mit Ausnahme eines Einzigen, und diesen redete er an.

„M'suru, Sohn des N'kema! Was ist das für ein Weib?“ M'suru räusperte sich.

„Herr, dieses Weib ist die Tochter meiner eigenen Mutter, und sie tötete Aliki; auch tötete sie zuvor mein Weib Loka.“

„Wer hat das gesehen?“

„Herr, mein erstes Weib, die mir eine treue Gefährtin ist, seitdem ihr Liebhaber ertrunken ist; sie sah Alikis Kopf fallen. Sie hörte auch Agasaka sagen: „Geh, Mann, wohin ich Loka gesandt habe, da du gesehen hast, wie ich sie erschlug, und du das am besten weißt““.

Sanders ließ sich dadurch nicht beeinflussen.

„Lass das Weib los, damit sie vor meinen Augen stehe!“

Man band die Frau los, und auf seinen Befehl wischten sie das Femezeichen von ihrem Gesicht.

„Erzähle!“, befahl Sanders.

Sie sprach sehr natürlich, und ihre Erzählung war glaubhaft, dennoch ...

„Holt mir das Weib, das die schlimmen Dinge reden hörte!“

Das Weib wurde unter den letzten des Zuges aufgestöbert und drängte sich, sehr wichtig tuend, durch; sie erschrak aber, denn die kalten Augen Sanders konnten nervös machen, und wurde sehr geschwätzig, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.

Der Mann im Ölzeug, an dem das Wasser niederrann, hörte mit geneigtem Kopfe zu. Agasaka, das schlanke Weib, stand ernst vor ihm. Scham kannte sie nicht – der Schurz von Gras war fort, und sie stand so da, wie ihre Mutter sie zuerst gesehen hatte. Bald darauf beendete M'surus Hauptweib ihre Erzählung.

„Sandi, das ist die Wahrheit, und wenn ich eine Lüge sage, dann sollen mich „die Langen“ zum Boden des Flusses holen und mich den Schlangen zum Fraße geben!“

Sanders beobachtete sie; er sah ihr braunes Fell stumpf und grau werden, sah ihren Mund offen in starrem Schrecken.

Was er nicht sah, war „der Lange“, das gelbe Krokodil, das durch das Gras auf die Meineidige zukroch; seine kleinen Augen funkelten, und sein nasser Rachen war offen, um die grausamen, weißen Spitzen der Zähne zu zeigen.

Nur das Hauptweib M'surus sah das und fiel schreiend und sich windend zu Füßen ihres Mannes nieder und umklammerte dessen Füße.

Sanders sagte nichts, aber er hörte viel, das im Widerspruch zu dem ersten Bericht stand.

„Komm mit mir, Agasaka! An Bord meines feinen Schiffes!“

Er wusste, dass Zwist entstehen konnte, wenn er das Mädchen bei ihren Leuten ließ. Schon um geringerer Ursachen willen waren Kriege entstanden.

Er nahm sie an Bord der „Zaire II“; sie folgte ihm langsam, aber demütig.

In dieser Nacht kam eine müde Taube aus dem Hauptquartier, und Sanders, der die Botschaft las, war weder erfreut noch ärgerlich.

*

Hohe Beamte, besonders die, die in einem Lehnstuhl saßen, beunruhigten ihn ein wenig, aber er hatte solche entzückende und verständige Gentlemen unter ihnen angetroffen, dass er allmählich etwas von seiner Furcht vor ihnen verlor. Weit mehr beunruhigten ihn die Berichte über die dunklen Kräfte Agasakas, die ihn aus zuverlässiger Quelle erreichten. Er hatte manche sonderbare Dinge erlebt auf dem Fluss; die Wunder des Lokolis, dieses ausgehöhlten Baumstumpfes, durch den Botschaften über einen Erdteil weitergesandt werden konnten, waren immer noch so etwas wie ein Rätsel für ihn. Unerklärbare Magie, manchmal von umwälzender Natur, war eine alltägliche Erscheinung. Manches darunter war nur roher Hypnotismus, aber es gab höhere Dinge, die jenseits seines Verständnisses lagen. Viele davon waren im Laufe der Jahrhunderte, von Ägypten und weiter her, auf uns gekommen. Abraham hatte Gebräuche aus den wüsten Ländereien um Babylon herum mitgebracht, die zu religiösen Gebräuchen wurden bei einem Volk, das noch keine Schriftsprache hatte.

Die „Zaire II“ dampfte am nächsten Tage nach Hause, als Sanders Abiboo, seine Ordonnanz, rufen ließ.

„Hol' mir mal dieses Chimbiriweib her!“, befahl er. Man holte sie aus dem kleinen Proviantraum, wo sie Gefangene und gleichzeitig Gast war.

„Man erzählt mir dies und jenes von dir, Agasaka“, sagte er und erzählte ihr das ihm Berichtete und nannte ihr die Quellen, aus denen er es hatte.

„Herr, es ist wahr“, sagte Agasaka, sobald er geendet hatte. „Mein Vater lehrte mich diese Dinge, wie sein Vater sie ihn gelehrt hat. Denn, Herr, er war der Sohn M'kufusus, des Sohnes Bongfongu-m'linis, des Sohnes M'sambis ...“

Sie zählte dreißig Generationen her, ehe er ihr Einhalt gebot – oberflächlich gerechnet sechshundert Jahre. Darob war sogar Sanders verblüfft, obwohl er einmal einen alten N'Gombimann getroffen hatte, der ihm die genauesten Einzelheiten über einen Mann erzählte, der in den Tagen Saladins gelebt hatte.

„Lass mich deinen Zauber sehen, Weib!“, befahl er; aber zu seinem Erstaunen schüttelte sie ihren Kopf.

„Herr, dieser Zauber kommt nur, wenn ich mich fürchte.“

Sanders ließ seine Hand zum Browning hingleiten und zog ihn halb aus dem Lederfutteral.

Er saß unter dem über die Brücke gespannten Sonnensegel. Der Steuermann war am Steuerrad, und am Bug befand sich der Kanujunge mit seinem langen Peilstock zum Tiefmessen. Absichtlich sah Sanders nicht auf das Weib, sondern richtete seinen Blick auf den Rücken des Mannes am Steuerrad.