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Dies ist der erste Band der zwölf Afrika-Romane von Edgar Wallace. 1911 erschien dieser Roman, der sehr viel Aufmerksamkeit erhielt. Diesen Roman, wie auch die folgenden, sollte man in der damaligen rassistischen, kolonialistischen akzeptierten Grundstimmung lesen. Damals war diese Art schriftstellerischen Ausdrucks ganz normal. Daher findet man auch keine an die heutige politisch korrekte Veränderung. Die Geschichten, das Buch ist eher eine lose aufeinander aufbauende Kurzgeschichtensammlung, sind ereignisreich, wenngleich nicht der "modernen Action" zuzuordnen. Es gibt Streitigkeiten, kriegerische Auseinandersetzungen, Zauberdoktoren und weiße Glücksritter. Edgar Walle beschreibt in seinen Afrikaromanen den Zustand der Kolonialherren wie Väter zu Kindern, die die Eingeborenen darstellen. Seine Afrika-Romane sind ein Stück Zeitgeschichte und Kolonialgeschichte zugleich. Weit eindrucksvoller, als in den Geschichtsbüchern, beschreibt er die Zeit der kolonialen Inbesitznahme Afrikas aus Sicht der Kolonialmächte nachvollziehbar. Einen "politisch korrekten" Roman können Sie hier jedoch nicht erwarten. Es würde den Flair der Erzählung zerstören und ihn nicht mehr lesbar machen.
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Seitenzahl: 289
Edgar Wallace
Sanders vom Strom
Die Afrika-Romane 1. Band
Scratch Verlag
Klassik
e-book 113
Erscheinungstermin: 01.06.2022
© Scratch Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.scratch-verlag.de
Titelbild: Simon Faulhaber
Vertrieb: neobooks
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Die Erziehung des Häuptlings
Die Hüter des Steines
Bosombo aus Monrovia
Der Schläfrige
Der Sonderkommissar
Die Tanzsteine
Der Wald der seligen Träume
Die Akasavas
Der Teufelswald
Die Liebschaften M'Linos
Der Zauberdoktor
Der Einsame
Der Seher
Kriegshunde
Biographie
Vorwort
Dies ist der erste Band der zwölf Afrika-Romane von Edgar Wallace. 1911 erschien dieser Roman, der sehr viel Aufmerksamkeit erhielt.
Diesen Roman, wie auch die folgenden, sollte man in der damaligen rassistischen, kolonialistischen akzeptierten Grundstimmung lesen. Damals war diese Art schriftstellerischen Ausdrucks ganz normal. Daher findet man auch keine an die heutige politisch korrekte Veränderung.
Die Geschichten, das Buch ist eher eine lose aufeinander aufbauende Kurzgeschichtensammlung, sind ereignisreich, wenngleich nicht der „modernen Action“ zuzuordnen. Es gibt Streitigkeiten, kriegerische Auseinandersetzungen, Zauberdoktoren und weiße Glücksritter.
Edgar Walle beschreibt in seinen Afrikaromanen den Zustand der Kolonialherren wie Väter zu Kindern, die die Eingeborenen darstellen.
Seine Afrika-Romane sind ein Stück Zeitgeschichte und Kolonialgeschichte zugleich. Weit eindrucksvoller, als in den Geschichtsbüchern, beschreibt er die Zeit der kolonialen Inbesitznahme Afrikas aus Sicht der Kolonialmächte nachvollziehbar.
Einen „politisch korrekten“ Roman können Sie hier jedoch nicht erwarten. Es würde den Flair der Erzählung zerstören und ihn nicht mehr lesbar machen.
Die Erziehung des Häuptlings
Der Bezirksamtmann Sanders war in so leichten Etappen zu seiner Stellung in Zentral-Westafrika emporgeklommen, dass er sich nicht mehr gut vorstellen konnte, wann eigentlich seine Bekanntschaft mit dem Hinterland begonnen hatte. Das war lange vor dem Zeitpunkt gewesen, als die britische Regierung Sanders beauftragte, ein wachsames Auge auf ein etwa eine viertel Million starkes Kannibalenvolk zu haben, das noch zehn Jahre zuvor den Weißen ungefähr so angesehen hätte wie wir das Einhorn. Sanders war mit den Basutos, den Zulus, den Fingos, den M'Pondos, mit den Matabele, den Mashonas, den Barotse und mit den Hottentotten zusammengetroffen. Dann trieben ihn Neugier und wirkliches Interesse west- und nordwärts, wo er auf das Angolavolk stieß; später trieb es ihn zum Kongo, dann zu den Massai, und schließlich kam er auf dem Umwege über das Pygmäenvolk in seinen jetzigen Bezirk.
Zwischen allen diesen Stämmen gibt es feine Unterschiede, Unterschiede, die nur Leute vom Schlage Sanders kennen. Natürlich ist damit nicht der Unterschied in der Farbe gemeint, obwohl die einen braun und andere gelb sind und einige sehr wenige pechschwarz.
Der Unterschied, der hier gemeint ist, liegt im Charakter. Nach Sanders Überzeugung konnte man allen Eingeborenen – mit einigen wenigen bemerkenswerten Ausnahmen – bis zu demselben Punkt trauen, wie man Kindern traut. Die Zulus waren ganze Kerle, die Basutos ebenfalls, und dennoch waren sie kindergleich in ihrem ernsten Vertrauen. Die Schwarzen, die den Fez trugen, waren gerissen, jedoch zuverlässig. Aber die bräunlichen Schlingel von der Goldküste, die Englisch sprachen, europäische Kleider trugen und einander mit „Herr“ anredeten, waren Sanders ein Gräuel.
Man hätte von Sanders sagen können, er sei ein Staatsmann. Das soll heißen, dass er keine übertriebene Vorstellung vom Wert eines Menschenlebens hatte.
Wenn er ein abgestorbenes Blatt am Baume der Zivilisation bemerkte, dann riss er es ab; oder, wenn er ein Unkraut zwischen seinen „Blumen“ wuchern sah, dann riss er es aus, unbekümmert darum, dass auch das Unkraut ein Recht aufs Dasein hat.
Wenn ein Mann, gleichgültig ob Häuptling oder Sklave, durch sein schlechtes Beispiel den Frieden des Bezirks störte, dann kam Sanders über ihn. In jenen Tagen, die ihrer Wiedergeburt vorausgingen, nannten die Isisi Sanders den „kleinen Würgvogel“; und gewiss war Sanders zu jener Zeit schnell mit dem Aufhängen. Er regierte ein Volk dreihundert englische Meilen jenseits des Randes der Zivilisation. Zögern im Handeln, Aufschub von Bestrafung, jedes dieser beiden wäre irrtümlich für Schwäche gehalten worden von einem Volk, dem weder die Kraft, richtig zu urteilen, noch der Wille, zu verzeihen, noch irgendwelche Duldsamkeit innewohnte.
In dem Land, das sich an den Grenzen von Togo entlang schlängelt, versteht das Volk unter Bestrafung Schmerzen und Tod, etwas anderes zählt bei ihm nicht.
Da wirkte einst ein naiver Bezirksamtmann, der vom Humanitätsdusel besessen war; er ging nach Akasava – das ist der Name des Landes – und versuchte dort oben moralische Überredung.
Es handelte sich um einen Raubzug. Akasavaleute waren über den Fluss gewechselt und hatten den Ochoris Weiber und Ziegen gestohlen; ich glaube, ein Mann oder zwei waren auch getötet worden, doch das ist ohne Bedeutung. Aber die Ziegen und die Weiber waren am Leben und schrien laut nach Rache. Sie schrien so laut, dass es unten am Hauptsitz des Gouvernements gehört wurde, und Herr Hübschmann – das ist zwar nicht sein richtiger Name, aber er genügt – ging hinaus, um festzustellen, worüber man lärmte. Er fand das Ochorivolk sehr aufgebracht, aber noch mehr verängstigt.
„Wenn sie uns unsere Ziegen zurückgeben“, meinte ihr Sprecher, „mögen sie die Weiber behalten, denn die Ziegen sind sehr wertvoll.“
Der Bezirksamtmann Hübschmann hatte also ein langes, ein sehr langes Palaver mit dem Akasavahäuptling und dessen Ratgebern, das Tage und Tage dauerte, und in dem schließlich moralische Überredung triumphierte, denn der Häuptling versprach, an einem bestimmten Tage und zu einer bestimmten Stunde, wenn der Mond in einem bestimmten Viertel stände und die Flut eine gewisse Höhe erreicht hätte, die Weiber sowohl wie die Ziegen zurückzugeben.
Überströmend von Bewunderung für sich selbst, kehrte Herr Hübschmann zum Sitze des Gouvernements zurück und schrieb einen langen Bericht über sein Genie, seine Verwaltungsfähigkeiten und seine Kenntnis der Eingeborenenpsyche, einen Bericht, der später in einem Blaubuch (Afrika 7943-96) veröffentlicht wurde.
Unmittelbar danach ging Herr Hübschmann auf Urlaub nach England, so dass er die Klagen und das Wehgeheul des Ochorivolkes nicht hörte, als es seine Weiber und seine Ziegen nicht zurückerhielt.
Sanders, der mit zehn Haussasoldaten und einem Malaria-Anfall um den Isisifluss herum zu tun hatte, erhielt die Heliographenbotschaft:
„Gehen Sie nach Akasava und erledigen Sie das verdammte Weiberpalaver.“
Sanders gürtete also seine Hüften, nahm 25 Gran Chinin, verließ sein schönes Stück Arbeit – er war hinter M'Beli, dem Zauberdoktor, her, der seinen Freund vergiftet hatte – und zog quer durch den Busch nach Akasava.
Im Laufe der Zeit kam er dort an und wurde vom Häuptling empfangen.
„Nun, wie steht's mit den Weibern?“, fragte er diesen.
„Wir wollen ein Palaver halten“, antwortete der Häuptling. „Ich werde meine Ältesten und Räte zusammenrufen lassen.“
„Nichts rufen lassen!“ schnitt Sanders ab. „Schick' die Weiber und Ziegen zurück, die du den Ochori gestohlen hast!“
„Herr“, sagte der Häuptling, „bei Vollmond, wie es unsere Sitte ist, wenn die Flut diesen und diesen Stand hat und alle Zeichen der Götter und Dämonen günstig sind, werde ich tun, wie du befiehlst.“
„Häuptling!“ – Sanders tippte mit dem dünnen Ende seines Spazierstockes auf die Ebenholzbrust des anderen – „Mond und Flut, Götter oder Teufel, diese Weiber und Ziegen gehen bei Sonnenuntergang zu den Ochoris zurück, oder ich lass dich an einen Baum binden und dir Hiebe geben, bis du blutest.“
„Massa, die Weiber werden zurückgehen.“
„Und die Ziegen?“
„Was die Ziegen betrifft“, meinte der Häuptling heiter, „die sind tot, die wurden für ein Fest geschlachtet.“
„Dann wirst du sie wieder lebendig machen!“
„Herr, glaubst du, dass ich ein Zauberer bin?“
„Ich glaube, dass du ein Lügner bist“, meinte Sanders offen, und damit endete das Palaver.
In dieser Nacht gingen Ziegen und Weiber zu den Ochoris zurück, und Sanders machte sich fertig zum Abmarsch.
Er nahm den Häuptling beiseite, da er ihn nicht demütigen oder seine Autorität schwächen wollte: „Häuptling, es ist eine lange Reise nach Akasava, und meiner warten viele Aufgaben. Ich wünsche, dass du mir nicht Grund gibst, noch einmal hierher zu kommen.“
„Herr“, sagte der Häuptling der Wahrheit gemäß, „ich wünsche, dich nie wiederzusehen.“
Sanders verbarg sein Lächeln, sammelte seine zehn Haussas und ging zum Isisi zurück, um M'Beli aufzustöbern.
Das war aus vielen Gründen keine hübsche Streife, und es lag nahe, anzunehmen, dass der Häuptling von Isisi selber der Beschützer des Mörders sei. Eine Bestätigung dieser Ansicht kam eines Morgens, als Sanders am Fluss lagerte und sein Frühstück in Gestalt von Dosenmilch und Toast zu sich nahm. Sato Koto, der Bruder des Häuptlings, kam in trauriger Gemütsverfassung angelaufen, weil er des Häuptlings Zorn zu fürchten hatte. Er stammelte vielerlei Neuigkeiten, an denen Sanders kein Interesse hatte. Aber was er von dem Zauberdoktor sagte, der „im Schatten des Häuptlings lebe“, war in der Tat von Interesse, und Sanders sandte sofort einen Boten zum Gouvernement. Das Gouvernement schickte im Laufe der Zeit den inzwischen vom Urlaub zurückgekehrten Mister Hübschmann ab, um den Häuptling von Isisi „moralisch“ zu überreden.
Nach den Beweisen, die man auftreiben konnte, ist es augenscheinlich, dass der Häuptling sich nicht in weicher Gemütsverfassung befand, denn es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Mister Hübschmanns armer Kopf, auf einer Stange vor des Häuptlings Hütte aufgesteckt, dessen hochgehende Gemütswogen verkündete.
Seiner Majestät Schiff „St. George“, S.M.S. „Drossel“, S.M.S. „Nachtigall“, S.M.S. „Phöbe“ kamen von Simonstown, und S.M.S. „Zwerg“ nahte in fliegender Fahrt von Sierra Leone, und in weniger als einem Monat, nachdem der Häuptling seinen Gast ermordet hatte, wünschte er, er hätte es nicht getan.
Das Hauptquartier sandte Sanders hinauf, um die politische Seite dieses Schlamassels in Ordnung zu bringen.
Der Flaggleutnant von „St. George“ führte Sanders in den Trümmern herum, die von des Häuptlings Ortschaft übrig geblieben waren.
„Ich fürchte“, sagte dieser Herr entschuldigend, „ich fürchte, Sie werden einen neuen König auszugraben haben; den alten haben wir nämlich um die Ecke gebracht.“
Sanders nickte: „Ich werde deshalb nicht trauern.“
Kandidaten für den freien Posten waren nicht schwierig zu finden. Sato Koto, des toten Königs Bruder, drückte seine Bereitwilligkeit, die Sorgen des Amtes zu übernehmen, mit empfehlenswerter Schnelligkeit aus.
„Was sagen Sie dazu?“, fragte der Admiral, der die Expedition befehligte.
„Ich sage nein“, antwortete Sanders ohne Zögern. „Der Häuptling hat einen Sohn, einen neunjährigen Jungen; die Häuptlingschaft muss ihm gehören. Was Sato Koto anbetrifft, der mag meinetwegen Regent sein.“
Und so geschah es; Sato Koto gab mürrisch seine Zustimmung.
Man fand den neuen Häuptling im Busch verborgen bei den Weibern; er versuchte auszureißen, aber Sanders fing ihn und führte ihn an den Ohren nach der Ortschaft zurück.
„Mein Junge“, sagte er freundlich. „Wie heißt du?“
„Peter, Massa, nach der Manier der Weißen“, wimmerte der sich windende Bursche.
„Gut“, meinte Sanders. „Du sollst Häuptling sein, Peter, und sollst dein Land weise und gerecht regieren nach Gesetz und Sitte. Und du sollst keinem Wehe tun, über keinen Schande bringen, noch sollst du morden oder rauben, noch irgendeines von jenen Dingen tun, die das Leben nicht lebenswert machen, und wenn du nicht willst, dann gnade Dir Gott.“
So wurde Häuptling Peter eingesetzt als Herrscher über das Isisivolk, und Sanders marschierte zum Gouvernement zurück mit seiner kleinen Armee Blaujacken und Haussasoldaten.
Die Geschichte von der Einnahme der Isisiortschaft und von der Krönung des jungen „Königs“ wurde in den Londoner Zeitungen gebracht und verlor nichts an Romantik durch das Erzählen. Sie wurde so von den Berichterstattern, die die Expedition begleiteten, ausgeschlachtet, dass viele alte Damen von Bayswater weinten und viele junge Damen von Mayfair sagten: „Wie süß!“ Und das Endresultat der vielen Gemütsbewegungen, die diese Beschreibung entfesselte, war, dass man Fräulein Clinton Calbraith aus England herübersandte, die Künstlerin und unverantwortlich hübsch war.
Sie kam herüber, um den verwaisten Häuptling zu „bemuttern“, und um dessen Führer und Freund zu sein. Sie bezahlte ihre Überfahrt selbst, aber die Bücher, die sie mit herüberbrachte, und die Unterrichtsgegenstände, die zwei große Frachtkisten füllten, waren von den zarten Leserinnen des „Winzigen Schelmes“, einer Zeitschrift für kleine Kinder, gestiftet.
Sanders empfing sie an dem kleinen Landungssteg, neugierig, wie eine weiße Frau wohl aussah.
Er stellte ihr ein Eingeborenenhaus zur Verfügung und schickte das Weib seines schwarzen Strandwächters zu ihrer Bedienung.
„Und was gedenken Sie nun mit Peter anzufangen, Miss Calbraith?“, fragte er beim Abendessen.
Nachdenklich schob sie ihr hübsches Kinn vor.
„Wir werden mit den allereinfachsten Lektionen beginnen – dem richtigen Kindergarten – und nach und nach weitergehen. Ich werde ihm rhythmische Gymnastik beibringen, ein wenig Botanik – Sie lachen, Mr. Sanders?“
„Nein, ich lachte nicht“, versicherte er. „Ich mache immer so ein Gesicht – um die Abendzeit. Aber sagen Sie mir – sprechen Sie die Eingeborenensprache ... Suaheli, Bomongo, Fingi?“
„Das wird schwierig sein“, sagte sie nachdenklich.
„Wollen Sie meinen Rat annehmen?“
„Aber natürlich!“
„Nun, lernen Sie die Sprache!“
Sie nickte.
„Gehen Sie nach Hause und lernen Sie sie!“
Sie runzelte die Stirn.
„Es wird Sie ungefähr fünfundzwanzig Jahre in Anspruch nehmen.“
„Mr. Sanders“, sagte sie nicht ohne Würde. „Sie ... Sie treiben Scherze mit mir.“
„Der Himmel verhüte, dass ich etwas so Gottloses tue“, sagte Sanders fromm.
Das Ende der Geschichte war, so weit sie Miss Clinton Calbraith betraf, dass diese nach Isisi ging, sich dort drei Tage aufhielt und völlig aufgelöst zurückkam.
„Er ist kein Kind!“, rief sie heftig. „Er ist ein kleiner Satan.“
„Das gebe ich zu“, meinte Sanders mit philosophischer Ruhe.
„Ein König! Schändlich! Er lebt in einer Lehmhütte und trägt keine Kleider! Wenn ich das gewusst hätte!“
„Ein Naturkind“, sagte Sanders sanft. „Sie haben doch nicht etwa eine Art Ludwig den Fünfzehnten erwartet, oder doch?“
„Ich weiß nicht, was ich erwartete“, sagte sie verzweifelt. „Aber es war unmöglich zu bleiben – ganz unmöglich!“
„Augenscheinlich“, murmelte Sanders.
„Natürlich wusste ich, dass er schwarz sein würde“, fuhr sie fort. „Und ich wusste, dass ... Oh, es war zu grässlich!“
„Tatsache ist also, mein liebes junges Fräulein, Peter war nicht so malerisch, wie Sie sich ihn vorgestellt hatten; er war nicht das sanfte Kind mit flehenden Augen; und er lebt schmutzig – stimmt's?“
Das war nicht der einzige Versuch, Peter zu erziehen. Monate später, als Fräulein Calbraith nach Haus gezogen und eifrig dabei war, ihr berühmtes Buch: „Allein in Afrika, von einer englischen Dame“, zu schreiben, hörte Sanders von einem anderen erzieherischen Überfall. Zwei Mitglieder der äthiopischen Mission kamen nach Isisi durch die Hintertür. Die äthiopische Mission besteht aus christlichen Schwarzen, die, wie sich's gehört, ihren Glauben auf die Heilige Schrift stützend, das Evangelium der Gleichheit predigen. Ein schwarzer Mann ist so gut wie ein Weißer an irgendeinem Wochentage und unendlich besser am Sonntag, wenn er ein Glied der reformierten äthiopischen Kirche ist.
Sie kamen nach Isisi und erlangten augenblicklich Volkstümlichkeit, denn die Art Geschwätz war sehr nach dem Geschmack Sato Kotos und dem von des Häuptlings Ratgebern.
Sanders sandte nach den Missionaren. Der ersten Aufforderung, zu kommen, weigerten sie sich, zu gehorchen. Aber sie kamen auf die Zweite, denn die Botschaft, die Sanders ihnen schickte, war kurz und bestimmt und unheildrohend zugleich.
Sie kamen zum Gouvernement, zwei zivilisierte amerikanische Neger von gutem Benehmen und gewählter Sprache. Sie sprachen ein tadelloses Englisch und waren in jedem Sinne vollkommene Gentlemen.
„Wir verstehen den Tenor Ihres Befehles nicht“, sagte der eine. „Er riecht stark nach Beschneidung der persönlichen Freiheit.“
„Sie werden mich besser verstehen“, meinte Sanders, der seine Pappenheimer kannte, „wenn ich Ihnen sage, dass ich Ihnen nicht erlauben kann, in meinem Bezirk Aufruhr zu predigen.“
„Aufruhr, Mr. Sanders?“, antwortete der Neger in verletztem Tone. „Das ist eine schwere Anklage!“
Sanders nahm ein Papier aus dem Fach seines Pultes; das Gespräch fand in seinem Amtszimmer statt: „An diesem Tage sagten Sie Folgendes und dieses und jenes.“
Mit anderen Worten, er beschuldigte sie, ihr Glaubensbekenntnis von der Gleichheit überschritten und sich einen Einfall in das Grenzland politischer Wühlerei angemaßt zu haben.
„Lügen!“, sagte der Ältere der beiden ohne Zögern.
„Wahrheit oder Lüge, Sie gehen nicht mehr nach Isisi!“
„Wollen Sie, dass die Heiden in der Finsternis bleiben?“, fragte der Mann vorwurfsvoll. „Ist das Licht, das wir verbreiten, zu hell, Herr?“
„Nein, aber eine Kleinigkeit zu warm.“
So beging Sanders den schändlichen Übergriff, die Äthiopier von dem Schauplatz ihrer ernsten Arbeit zu entfernen, weshalb Fragen im Parlament gestellt wurden.
Dann nahm sich der Häuptling der Akasava – ein alter Freund – der Erziehung des Häuptlings Peter an. Akasava grenzte an Peters Land, und der Häuptling kam, um Winke in kriegerischen Angelegenheiten zu geben.
Er kam mit Trommellärm, mit Geschenken an Fischen, Bananen und Salz.
„Du bist ein großer König!“, sagte er zu dem schlafmützig aussehenden Jungen, der auf einem Prunkstuhl saß und ihn offenen Mundes betrachtete. „Wenn du gehst, dann zittert die Welt unter deinem Schritt. Der mächtige Strom, der hinunter zu dem Großen Wasser läuft, teilt sich auf dein Wort, die Bäume des Waldes zittern, und die wilden Tiere schleichen sich in ihre Höhlen, wenn deine Hoheit auf Reisen geht.“
„Oh, ko, ko!“, kicherte der junge Häuptling, angenehm gekitzelt.
„Die Weißen fürchten dich“, fuhr der Häuptling der Akasava fort. „Sie zittern und verbergen sich bei deinem Schlachtruf.“
Sato Koto, der an des Häuptlings Seite stand, war ein praktischer Mann.
„Was suchst Du, Häuptling?“, fragte er, indem er die Schmeicheleien abschnitt.
Da erzählte ihm der Häuptling von einem Lande, das, mit Feiglingen bevölkert, reich war an Schätzen der Erde, an Ziegen und Weibern.
„Warum holst du dir sie nicht selbst?“, fragte der Regent.
„Weil ich ein Sklave bin“, entgegnete der Häuptling. „Der Sklave dieses Sanders, der mich prügeln würde. Aber du, Herr, du gehörst zu den Großen! Da du des Königs Minister bist, würde Sandi es nicht wagen, dich zu schlagen, um deiner Größe willen.“
Darauf folgte ein Palaver, das zwei Tage dauerte.
„Ich werde mit Peter etwas tun müssen“, schrieb Sanders verzweifelt an den Gouverneur. „Der kleine Lümmel ist auf dem Kriegspfad gegen die unglücklichen Ochori begriffen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir hundert Soldaten schickten, ein Schnellfeuergeschütz und ein Bündel Rohrstöcke. Ich fürchte, ich muss Peters Erziehung selber in die Hand nehmen.“
*
„Herr, sprach ich nicht die Wahrheit?“, sagte der Akasavahäuptling triumphierend. „Sandi hat nichts unternommen! Siehe, wir haben die Hauptstadt der Ochori verwüstet und ihre Schätze geraubt, und der Weiße ist verstummt vor deiner Größe. Lass uns warten, bis der Mond wieder scheint, und ich will dir eine andere große Stadt zeigen.“
„Du bist ein großer Mann“, blökte der junge Häuptling, „und eines Tages sollst du dein Haus in dem Schatten meines Königshauses bauen.“
„An diesem Tage“, antwortete der Akasavahäuptling mit rührender Ergebung, „werde ich vor Freude sterben.“
Als der Mond zugenommen und abgenommen hatte und wiedergekommen war wie ein gezeichneter silberner Lichtreif am östlichen Himmel, hatten sich die Isisikrieger versammelt, bewehrt mit Speer und breitklingigem Schwert, mit Ingolafarbe die Leiber bemalt, und mit Lehm im Haar.
Sie tanzten ihren großen Tanz beim Scheine eines riesigen Feuers: Alle Weiber standen um sie herum und klatschten im Rhythmus mit den Händen.
Mitten dabei waren sie, als ein Bote in seinem Kanu ankam, sich vor dem jungen Häuptling auf die Erde warf und sagte:
„Herr, Sandi ist einen Tagemarsch von hier. Er hat fünfzig Soldaten mit sich und das Messinggewehr, das spricht: Ha, ha, ha, ha, ha!“
Schweigen regierte im höfischen Kreise, dass von der Stimme des Akasavahäuptlings unterbrochen wurde.
„Ich denke, ich mache, dass ich nach Hause komme. Ich habe so'n Gefühl von Krankheit; außerdem ist's auch die Zeit, wo meine Ziegen werfen.“
„Hab' doch keine Angst!“, sagte Sato Koto brutal. „Des Königs Schatten ist über dir, und er ist so mächtig, dass die Erde bei seinem Schritt zittert und die Wasser des Großen Stromes sich teilen, wenn sie seinen Tritt hören, und der Weiße fürchtet ihn auch.“
„Trotzdem“, sagte der Akasavahäuptling etwas aufgeregt. „Ich muss gehen, denn mein jüngster Sohn ist fieberkrank und ruft die ganze Zeit nach mir.“
„Hiergeblieben!“ Der Ton des Regenten erlaubte kein Missverstehen. Sanders kam weder am nächsten Tag noch am übernächsten. Er bewegte sich langsam, da er eine Gegend durchquerte, wo es viele Missverständnisse aufzuklären gab. Bei seiner Ankunft sandte er einen Boten voraus, der sein Eintreffen ankündigte; er fand den Ort in friedlicher Geschäftigkeit, die Weiber beim Kornmahlen, die Männer rauchend, während kleine Kinder auf der Straße spielten und sich herumwälzten.
Sanders machte an der äußeren Umfriedung der Stadt auf einem kleinem Hügel halt, von dem aus man die Hauptstraße übersah, und schickte nach dem Regenten.
„Warum muss ich nach dir schicken?“, fragte er. „Warum bleibt der Häuptling in der Stadt, wenn ich komme? Das ist eine Schande!“
„Herr“, meinte Sato Koto, „es gehört sich nicht, dass ein so großer König sich so demütigt.“
Sanders war es weder zum Lachen, noch war er ärgerlich. Er hatte es mit einem aufsässigen Volk zu tun, und sein eigenes feines Empfinden war belanglos, wo der Frieden des Landes in Frage kam.
„Mir scheint, der Häuptling hat schlechte Ratgeber gehabt“, sagte er laut vor sich hin, und Sato Koto wand sich vor Verlegenheit.
„Geh jetzt zum Häuptling und sage ihm, er soll kommen – denn ich sei sein Freund.“
Der Regent ging, kam aber ohne den Häuptling wieder.
„Herr, er will nicht kommen“, sagte er finster.
„Dann werde ich zu ihm gehen.“
„Wozu?“, fragte Sato Koto.
„Das wirst du sehen.“
König Peter saß vor seiner Hütte und grüßte den Bezirksamtmann mit niedergeschlagenen Augen.
Sanders Soldaten schlossen einen Halbkreis um die Hütte und hielten das Volk zurück.
„Häuptling“, sagte Sanders – er trug in seiner Hand einen Rohrstock von bekanntem Aussehen, und als er sprach, fuchtelte er damit in der Luft herum, dass es einen summenden Laut gab. – „Steh auf!“
Der Häuptling erhob sich widerwillig. Sanders packte ihn beim Kragen.
Sssst!
Der Rohrstock biss ihn höchst unwünschenswert, und er sprang mit einem gellenden Schrei in die Höhe.
Sssst, Sssst, Sssst!
Heulend und tanzend, wild seine Hände bald hier, bald dahin ausstreckend, um die Hiebe abzuwehren, stammelte König Peter um Erbarmen.
„Herr!“ Sato Koto, das Gesicht entstellt vor Wut, langte nach seinem Speer.
„Erschießt den Kerl, wenn er sich drein mischt!“, rief Sanders, ohne den Häuptling loszulassen.
Der Regent sah die schussfertigen Büchsen und trat hastig zurück.
„Nun“, sagte Sanders, indem er den Stock fortwarf, „wollen wir ein kleines Stück aufführen.“
„Wau, Wau, oh-ko!“, stotterte seine Majestät weinerlich.
„Ich gehe zum Busch zurück“, sagte Sanders. „Nach einer kleinen Weile wird ein Bote zu dir kommen und dir sagen, dass der Bezirksamtmann auf dem Wege zu dir ist. Hast du verstanden?“
„Yi-hi“, stotterte der Häuptling.
„Dann wirst du mit deinen Ratgebern und Ältesten vor die Stadt gehen und meine Ankunft erwarten, wie das Sitte ist. Ist dir das klar?“
„Ja-aa, Herr!“, wimmerte der Junge.
„Gut!“ Sanders zog seine Leute zurück.
Nach einer halben Stunde kam ein feierlich aussehender Bote zum Häuptling, und der ganze Hofstaat ging zu dem kleinen Hügel, um den Weißen zu bewillkommnen.
Dieses war der Anfang von König Peters Erziehung, denn so wurde ihm Gehorsam beigebracht.
Sanders schlug sein Lager in der Isisistadt auf und hielt Gericht.
„Sato Koto“, sagte er am zweiten Tag zu diesem, „kennst du das Dorf Ikan?“
„Ja, Herr, es liegt zwei Tagereisen entfernt im Busch.“
Sanders nickte. „Du wirst deine Weiber, deine Kinder, deine Diener und deine Habseligkeiten nach Ikan bringen und dort bleiben, bis ich dir Erlaubnis gebe, hierher zurückzukehren. Das Palaver ist aus.“
Am nächsten Tage kam der Akasavahäuptling an, sehr beunruhigt.
„Herr, wenn irgendeiner sagt, ich hätte dir Unrecht getan, dann lügt er.“
„Dann bin ich ein Lügner!“ entgegnete Sanders. „Denn ich sage, dass du ein Bösewicht bist, der voll von Schlechtigkeiten steckt.“
„Wenn es so sein sollte“, sagte der Häuptling, „dass du mir befiehlst, nach meinem Dorf zurückzugehen, wie du das Sato Koto befohlen hast, dann werde ich gehen, da der, der mein Vater ist, nicht zufrieden mit mir ist.“
„Das befehle ich“, entgegnete Sanders. „Außerdem zwanzig Hiebe für das Wohl deiner Seele. Überdies denke daran, dass unten am großen Fluss, bei Tembeli ein Ort ist, wo die Menschen in Ketten arbeiten, weil sie dem Gouvernement untreu waren und Gräuel begingen.“
So ging der Häuptling von Akasava seiner Strafe entgegen.
Da waren noch andere Angelegenheiten, die richtiggestellt werden mussten, aber diese hatten nur nebensächliche Bedeutung, und als alle diese zur Zufriedenheit Sanders, wenn auch durchaus nicht zur Zufriedenheit seiner Untertanen geregelt waren, wandte der Bezirksamtmann seine Aufmerksamkeit von neuem der Erziehung des Häuptlings zu.
„Peter“, sagte er, „morgen bei Sonnenaufgang werde ich nach meinem Ort zurückmarschieren und dich ohne Ratgeber lassen.“
„Herr, wie kann ich ohne Ratgeber auskommen, da ich doch nur ein Junge bin“, fragte der Häuptling niedergeschlagen und reuig.
„Indem du zu dir selber sagst, wenn ein Mann nach Gerechtigkeit schreit: ›Wenn ich dieser Mann wäre, wie würde ich wünschen, dass des Königs Gerechtigkeit aussieht?‹“
Der Junge sah unglücklich aus.
„Ich bin sehr jung“, wiederholte er, „und heute kommen von den umliegenden Dörfern viele, die Hilfe gegen ihre Widersacher suchen.“
„Nun gut“, sagte Sanders, „heute will ich zur Rechten des Häuptlings sitzen und von seiner Weisheit lernen.“
Der Junge stand vor Verlegenheit auf einem Bein und sah seitwärts nach Sanders hin.
Da ist ein kleiner Hügel hinter der Stadt. Ein ausgetretener Fußweg führt zu ihm hinauf, und oben befindet sich eine mit Strohdach gedeckte Hütte ohne Seitenwände. Von diesem Hügel sieht man den breiten Fluss mit seinen Sandbänken, wo die Krokodile mit offenem Rachen schlafen; man sieht, wie sich das Land nach Akasava zu erhebt, wie die Hügel einer über den anderen klettern, bedeckt mit einer Wirrnis von grellem Grün. In diesem Haus hält der Häuptling Gericht und fordert die Streitenden auf, vorzutreten. Sato Koto war gewöhnt, neben dem Häuptling zu stehen und mit dem Recht Schacher zu treiben.
Heute machte sich Sato Koto reisefertig, und Sanders saß an des Häuptlings Seite.
Da waren in der Tat viele Streitende.
Da war ein Mann, der ein Weib gekauft hatte; der hatte nicht weniger als tausend Messingstangen und zwei Säcke Salz für sie gegeben. Er hatte grade zwei Monate mit ihr gelebt, als sie sein Haus verließ.
„Weil sie einen Schatz hatte“, sagte der Mann mit philosophischer Ruhe. „Daher, mächtige Sonne der Weisheit, muss ich meine Messingstangen und mein Salz wiederhaben.“
„Was meinst du?“, fragte Sanders.
Der Häuptling kicherte verlegen.
„Was sagt der Vater?“, fragte er darauf zögernd, wozu Sanders nickte.
„Das ist eine weise Frage“, sagte er zustimmend und rief den Vater, einen geschwätzigen, hitzigen, alten Mann.
„Nun, König“, sagte dieser eifrig, „ich verkaufte dieses Weib, das meine Tochter ist. Wie soll ich ihre Absicht kennen? Sicher erfülle ich meinen Vertrag, wenn das Weib zu dem Manne geht. Wie soll der Vater beaufsichtigen, wo der eigene Mann versagt?“
Sanders sah den Häuptling an, und der Junge holte tief Atem.
„Es ist doch so“, begann er, „M'bleni, das Weib, deine Tochter, hat viele Jahre in deiner Hütte gelebt; und wenn du ihr Wesen nicht kennst, dann bist du entweder ein großer Narr, oder sie ist ein ränkevolles Geschöpf. Deshalb urteile ich, dass du dieses Weib verkauft hast, obwohl du ihre Fehler kanntest. Aber auch der Ehemann muss etwas auf sich nehmen. Du nimmst deine Tochter zurück, und gibst fünfhundert Messingstangen und einen Sack Salz zurück und sollte deine Tochter wieder heiraten, dann musst du die Hälfte ihrer Mitgift an diesen Mann bezahlen.“
Sehr, sehr langsam nur gab er sein Urteil ab, zögernd, ängstlich; und ab und zu flog sein Blick fragend zu dem Weißen hinüber, ob dieser sein Urteil billigte.
„Das war gut“, sagte Sanders und rief einen anderen Kläger auf.
„Herr und König“, begann der neue Kläger, „ein Mann hat mich und meine Familie unter seinen bösen Zauber gestellt, so dass sie alle kränkeln.“
Hier war eine Nuss zu knacken für den kleinen Häuptling, und da Sanders ihm nicht beisprang, entwirrte er den Knoten schweigend für sich.
„Auf welche Weise hat er Dich verflucht?“, fragte der Häuptling schließlich.
„Mit dem Bann des Todes“, sagte der Kläger mit gedämpfter Stimme.
„Dann sollst du ihn ebenso verfluchen“, antwortete der König, „und es wird darauf ankommen, wessen Bann der stärkere ist.“
Sanders verbarg ein Grinsen hinter seiner Hand, und der Häuptling, der es bemerkte, lächelte ebenfalls.
Von hier an machte Peter schnelle Fortschritte, und von Zeit zu Zeit drangen Geschichten zum Gouvernement von einem jungen Häuptling, der ein Salomon im urteilen war.
So weise war er – wer wüsste das Rezept, das er in allen Fällen anwandte? –, so wohltätig, so friedfertig, dass der Häuptling der Akasava, der in Zeitabständen Tribut zu zahlen hatte, dieses milde Regiment missbrauchte und weder Mais noch Fisch noch Korn sandte.
Er tat das nach einer Reise nach dem fernen Ikan, wo er mit des Häuptlings Onkel, Sato Koto, zusammentraf und mit diesen gemeinsames Handeln verabredete.
Da die Ernte gut war, ging Häuptling Peter über diese erste Unterlassung hinweg. Aber der zweite Tribut war fällig, und weder Akasava noch Ikan sandte welchen, und die Isisileute, ärgerlich über diese Unverschämtheit, murrten und der kleine Häuptling saß in der Einsamkeit seiner Hütte, um über ein Vorgehen nachzudenken, das gerecht und wirksam war.
*
„Ich bedaure wirklich, Ihnen ungelegen zu kommen“, schrieb Sanders an den Gouverneur, „aber ich werde mir Ihre Haussasoldaten ausbitten müssen für einen Zug nach Isisi. Da ist eine Tributstreitigkeit gewesen, und Peter ist nach Ikan gezogen und hat seinen Onkel aufgehoben. Seine müßige Zeit hat er damit ausgefüllt, den Akasavaleuten die schlimmsten Prügel zu versehen, die sie jemals erhalten hatten. Ich billige durchaus alles, was Peter getan hat, weil ich fühle, dass er nur vom strengsten Gerechtigkeitssinne angetrieben wird und dem Bestreben, das Richtige zu richtiger Zeit zu tun – und es war Zeit, dass Sato Koto erledigt wurde – dennoch werde ich Peter einen Verweis erteilen müssen, schon um des Scheines willen. Der Akasavahäuptling verbirgt sich im Busch.“
Peter kam nach seinem kurzen, aber tapferen Feldzug in seine Hauptstadt zurück. Er ließ zwei Gebiete hinter sich, denen sein Besuch sehr gut bekommen war, wenn sie sich auch etwas wund fühlten.
Der junge Häuptling versammelte seine Ältesten, seine Zauberdoktoren und andere Größen.
„Bei allen Gesetzen der Weißen“, sagte er, „ich habe Sanders gegenüber unrecht gehandelt, denn er hat mir befohlen, ich darf nicht Krieg führen, und siehe, ich habe meinen Onkel vernichtet, der ein Hund war; und ich habe die Akasava in den Busch gejagt. Aber Sandi sagte mir auch, dass ich tun solle, was recht ist, und das habe ich getan nach meinem Dafürhalten; denn ich habe einen Mann vernichtet, der Schande über meinen Stamm gebracht hat. Nun scheint es mir, dass es nur ein Ding zu tun gibt, das ist: Zu Sandi zu gehen, ihm die Wahrheit zu sagen und um sein Urteil zu bitten.“
„Herr und König“, bemerkte sein ältester Ratgeber, „was dann, wenn Sandi dich in Ketten wirft?“
„Das – steht in der Zukunft“, gab der Häuptling zurück und erteilte den Befehl zur Reisevorbereitung.
Auf halbem Wege zum Gouvernement trafen sich die beiden. Häuptling Peter, der zur Küste, und Sanders, der hinauf zu ihm zog.
Und hier trug sich das große Ereignis zu.
Kein Wort wurde vor Sonnenuntergang über Peters begangenen Fehler gesprochen; aber, als der blaue Rauch emporstieg von den Lagerfeuern der Haussasoldaten und Krieger und das kleine Lager in der Lichtung alles ein Leben war, nahm Sanders den Häuptling am Arm und führte ihn längs des Pfades, der in den Busch führte.
Peter erzählte seine Geschichte, und Sanders hörte zu.
„Und was wurde aus dem Akasavahäuptling?“
„Herr, er floh in den Busch und schickte mir seine Flüche nach, und mit ihm zog mancher Bösewicht.“
Wieder nickte Sanders ernst.
Sie sprachen über viele Dinge, bis die Sonne lange Schatten warf; und dann gingen sie auf ihren Spuren zurück.
Sie waren etwa noch eine halbe englische Meile vom Lager entfernt, und das entfernte Geräusch lachender Menschen und der schwache Geruch brennender Feuer drang schon zu ihnen, als der Akasavahäuptling hinter einem Baum hervortrat und gerade vor ihnen mitten auf dem schmalen Pfad stand. In seiner Begleitung waren etwa acht schwerbewaffnete Männer.
„Herr und König“, sagte der Akasavahäuptling zu Peter, „ich habe auf dich gewartet.“
Der Häuptling machte weder eine Bewegung, noch gab er eine Antwort; aber Sanders langte nach seinem Revolver.
Seine Hand umspannte den Kolben, als ihn etwas traf und er hinfiel wie ein Klotz.
„Nun wollen wir den Isisihäuptling abtun und den Weißen auch“, sagte der Akasavahäuptling; aber Sanders nahm kein besonderes Interesse mehr an der Unterhaltung, denn da war ein Haufen wilder Bienen in seinem Schädel und ein wirrer Schmerz; er fühlte sich zum Tode elend.
„Ob ihr mich umbringt, ist gleichgültig“, sagte Häuptling Peters Stimme, „denn da sind viele Männer, die mich ersetzen können; aber wenn ihr Sandi mordet, dann mordet ihr den Vater des Volkes, und keiner kann ihn ersetzen.“
„Er hat dich gepeitscht, kleiner König!“, spottete der Akasavahäuptling.
„Ich würde ihn in den Fluss werfen“, sagte eine fremde Stimme nach langer Pause. „Auf diese Weise wird keine Spur von ihm gefunden werden, und niemand wird uns seinen Tod zur Last legen.“
„Und was mit dem König?“, sagte ein anderer.
Dann hörte man ein Brechen von Zweigen und die Stimmen von Leuten.
„Sie suchen“, flüsterte jemand. „König, wenn du sprichst, bring' ich dich jetzt um.“
„Stoß zu!“, antwortete des jungen Häuptlings ruhige Stimme. Dann schrie er: „He, M'sabo, Beteli! Sandi ist hier!“
Das war alles, was Sandi hörte.
*
Zwei Tage später saß Sandi aufrecht im Bett und verlangte Aufklärung. Als er erwachte, war ein junger Doktor bei ihm, der, wie von der Vorsehung geschickt, vom Gouvernement heraufgekommen war.
„Der Häuptling ...?“, er zögerte.
„Der Häuptling ist erledigt, aber er rettete Ihr Leben. Ich denke, Sie wissen das?“
„Ja“, sagte Sanders hart.
„Schneidiger kleiner Bengel“, meinte der Doktor.
„Wahrlich!“ bestätigte Sanders. Dann: „Haben sie den Akasavahäuptling erwischt?“
„Ja; er war so scharf darauf, Sie zu erledigen, dass er sogar seine Flucht verzögerte. Der kleine Häuptling warf sich über Sie und deckte Sie mit seinem Leib.“
„Genug!“
Sanders Stimme war an sich barsch und sein Wesen brüsk in seinen besten Augenblicken, aber jetzt war seine Rauheit geradezu brutal.
„Machen Sie, dass Sie aus der Hütte kommen, Doktor! Ich will schlafen.“
Er hörte den Doktor gehen, hörte den Holzriegel an der Tür der Hütte niederfallen, dann wandte er sein Gesicht zur Wand und weinte.
Die Hüter des Steines
Bei Ochori im großen afrikanischen Urwald am Ikelifluss lebt ein Volk, das in der Eingeborenensprache „Die Hüter des Steines“ genannt wird.
Eine Sage ist dort im Umlauf, dass es Calacala – das heißt vor langer Zeit – einen sonderbaren Stein gegeben hätte, der „mit den Zeichen des Satans“ beschrieben sei, wie sich der würdige eingeborene Geschichtenerzähler ausdrückt. Der Stein wurde weit und breit verehrt, teils wegen seiner Zauberkräfte, teils wegen der beiden Geister, die ihn bewachten.
Es war ein Fetisch von ganz besonderem Wert für das gutherzige Volk, das in dem Großen Wald lebte. Aber die Akasavaleute, die weder gemütlich noch ehrfurchtsvoll waren, und die überdies gerade einen solchen Fetisch gebrauchen konnten, überfielen die Ochori an einem glühend heißen Morgen und nahmen diesen Wunderstein neben anderen beweglichen Gegenständen mit sich.
Vermutlich gingen auch die „Messinggespenster“ mit.
Es war eine schwere Aufgabe, sich des Steines zu bemächtigen, denn er war in einen großen grauen Felsen eingelassen, und manche Speerspitze wurde abgebrochen, ehe es gelang, den Stein von seinem Platz loszubrechen.
Aber am Ende gelang es, und mehrere Jahre lang brüsteten sich die Akasavaleute, dass ihnen viele Wohltaten aus diesem heiligen Besitz zuflössen.