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Dieses eBook: "Satyricon: Begebenheiten des Enkolp" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Satyricon oder Satyrikon ist ein nur in Teilen erhaltener, satirischer Roman von Titus Petronius Arbiter (um 14-66 n. Chr.), der zur Zeit Neros erschien. Die eigentliche satirische Intention des Petronius ist bis heute von Rätseln umgeben. Von manchen wird das Satyricon für ein "vollkommen amoralisches Sittenbild" gehalten. Andere konnten die für eine Satire typische Ermahnung nicht erkennen. Auch wurde das Satyricon aufgrund der teils recht eindeutigen Szenen und seiner sexualisierten Symbolik oft als Pornographie oder Päderastie fehlinterpretiert. Übergreifendes Thema ist tatsächlich das wiederkehrende sexuelle Scheitern der Hauptfigur Encolpius. Die Sexualität im Satyricon ist aber offenbar nur ein Bild für das generelle Scheitern der Protagonisten. Sicher ist jedenfalls, dass das Satyricon nicht identisch ist mit dem bei Tacitus erwähnten Petronius-Testament, in dem dieser die Missbräuche Neros unter Angabe der Namen und des jeweiligen Schändungsalters aufzeichnete. Petronius Arbiter (died AD 66 in Cumae), auch bekannt unter den wohl unzutreffenden Namen Gaius Petronius, Gaius Petronius Arbiter oder Publius Petronius Niger, deutsch mitunter auch Petron, war ein römischer Senator und der Autor des satirischen Romans Satyricon. Das Cognomen Arbiter wurde nicht auf ihn vererbt, sondern erwuchs aus seiner Bezeichnung als Neros Arbiter Elegantiae, "Schiedsrichter des feinen Geschmacks".
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Übersetzer: Wilhelm Heinse
Schon so lange hab' ich euch versprochen, meine Begebenheiten zu erzählen, daß ich es nicht länger verschieben kann. Wir wollen uns nicht allein, da wir glücklicher Weise heute beysammen sind, von gelehrten Sachen unterhalten, sondern auch durch Scherze und angenehme Erzählungen ergötzen.
Sehr scharfsinnig hat Fabricius Veiento die Vorurtheile, welche sich in die Religion eingeschlichen haben, angegriffen und entdeckt, mit welcher betrügerischen Wuth wahrzusagen, die Priester von Geheimnissen und Wundern plaudern, von welchen sie nicht ein Wörtchen wissen. Aber ergreift unsere Sprecher eine andere Art von Wuth, die da schreyen: Für die Freyheit des Vaterlandes empfieng ich diese Wunden! Dieses Auge habt ihr mir gekostet! Gebt mir einen Führer, der mich zu meinen Kindern bringe, denn meine in zwey gehauene Kniescheiben können mich nicht mehr aufrecht erhalten! –
Noch erträglich wäre das, wenn es jungen Anfängern den Weg zur Beredtsamkeit bahnte; so aber richten sie so viel mit diesem Schwulste von Worten und dem leeren Geräusche von Sentenzen aus, daß die Jünglinge glauben, wenn sie vor Gericht kommen, in einen ändern Erdenkreis versetzt zu seyn. Auf diese Art müssen sie in den Schulen zu Narren gemacht werden, weil sie nichts darinnen sehen und hören, was bey uns ändern Menschen im Gebrauch ist, sondern Seeräuber, die mit Ketten am Ufer stehen; Tyrannen, welche Befehle schreiben, in welchen sie den Söhnen gebieten, ihren Vätern die Köpfe herab zu schlagen; Orakel zu den Zeiten der Pestilenz gegeben, daß man drey oder vier Jungfrauen opfern solle – lauter Bündelchen von Honigwörterchen, lauter Perioden und Gedanken, die nach lieblichen Brühen und Gewürzen riechen.
Deren Seelen damit genährt werden, können eben so wenig weise seyn, als diejenigen einen scharfen Geruch haben, welche in den Küchen wohnen. Mit eurer Erlaubnis sey es gesagt! wir haben zuerst unter allen die wahre Beredtsamkeit verlohren; denn indem wir mit leichten und leeren Schällen etwas Kindisches hervorbringen wollen, haben wir es dahin gebracht, daß das Ganze der Rede entnervt und schwächlich geworden ist.
Mit solchen Declamationen übte man die Jünglinge noch nicht, da Sophokles und Euripides Worte erfanden, mit welchen sie ihre großen Gedanken einkleiden wollten. Kein finstrer Pedant hatte das Genie ausgelöscht, da Pindar und die neun lyrischen Poeten mit Homerischen Versen donnern konnten. Und damit ich nicht allein die Poeten zum Zeugniß anführe, gewiß weder Plato noch Demosthenes bildeten sich auf diese Art. Eine erhabene und, wenn ich mich des Worts bedienen darf, eine keusche Rede ist nicht geschminkt und aufgeschwollen, sondern steigt durch ihre natürliche Schönheit empor.
Noch vor weniger Zeit wanderte diese aufgedunsene und regellose Geschwätzigkeit von Asien nach Athen und hauchte die in die Höhe steigenden Genieen der Jünglinge, wie eine Pestilenz, an; zugleich wurde die wahre Beredtsamkeit geschändet und überschrieen.
Wer gelangte nach dieser Zeit zur Höhe des Thucydides? wer zum Ruhme des Hyperides? Nicht einmahl ein Gedicht von einer gesunden Farbe kam zum Vorscheine, sondern alles, gleichsam von einerley Speise genährt, konnte nicht bis zum Alter reifen.
Eben denselben Weg mußte die Mahlerey gehen, da die Aegypter so verwegen waren, diese große Kunst ins Kleine zu bringen.
Dieses ohngefehr sprach auch ich einst, da Agamemnon zu uns kam und mit neugierigem Auge nachforschte, wem die Versammlung so fleißig zuhörte. Er litte nicht, daß ich länger unter der Gallerie redete, als er selbst in der Schule geschwitzt hatte, sondern sagte zu mir: »Jüngling, weil du eine Rede wider die gemeinen Vorurtheile hältst, und, welches man sehr selten antrifft, gesunden Menschenverstand hast, so will ich dir das Geheimnis der Kunst entdecken.
Unsere Lehrer fehlen nicht so sehr, als du glaubst, bey diesen Redeübungen; sie müssen mit den Wüthenden rasen. Wenn sie sich nicht nach dem Geschmacke der Jünglinge richteten, so würden sie endlich, wie Cicero weislich sagt, allein in ihren Schulen seyn. Wie Schmeichler, welche nach den Tafeln der Reichen gelüstig sind, auf nichts eher denken, als auf das, was sie ihren Zuhörern am gefälligsten zu seyn glauben. – Denn auf eine andere Art würden sie ihr Verlangen nicht stillen können, wenn sie den Ohren nicht einige hinterlistige Nachstellungen gemacht hätten. – Eben so auch ein Lehrer der Beredtsamkeit; wenn er nicht gleich einem Fischer denjenigen Köder in den Hamen gehängt hat, von welchem er weiß, daß die Fischchen darnach begierig sind, so wird er ohne Hoffnung der Beute auf den Felsen verweilen.
Sie sind zu entschuldigen. Die Aeltern aber verdienen die Peitsche der Satyre, welche ihren Kindern mit den strengsten Befehlen verbieten, zur ächten Kunst hinauf zu steigen. Ihre Hoffnungen beruhen auf einem närrischen Ehrgeize, und um ihre Wünsche so schnell, als möglich erfüllt zu sehen, treiben sie sie mit rohem Geiste vor's Gericht, und diese aufwachsenden Knaben sollen dann die wahre Beredtsamkeit haben, welche sie selbst für das allerhöchste halten. Wenn sie Grade in dem Studium derselben gestatteten, so, daß die Lehrlinge durch Lesung der besten Schrifften anfiengen, sich zu bilden, daß sie ihre Geister durch die Lehren der Weißheit in eine gute Verfassung brächten, Fehler ohne Barmherzigkeit ausstrichen, lange das studierten, was sie nachahmen wollten – kurz! wenn ihnen nichts schätzbar wäre, was den kindischen Leidenschafften der Jugend schmeichelt; so würde jene wahre, starke Beredtsamkeit das alte Gewicht ihrer Majestät haben. So aber spielen die Knaben in ihren Schulen und vor Gericht werden sie verspottet; und was schändlicher, als alles ist, keiner will im Alter gestehen, was er vergebens erlernt hat.
Damit du nicht glauben mögest, daß ich den leichtfertigen Lucilius wegen seiner Verse aus dem Stegreife verachte, so will ich selbst wie er dir dieses stärker in Versen zu sagen versuchen.
Der Jüngling, welchen hohe Kunst entzücket, Der selbst Homer und Demosthen will werden, Der lerne Mäßigkeit und die Palläste Und stolzen Schlösser zu verachten – Wollust Lock' ihn mit Phrynens Armen nicht zu Schmäussen. Falerner Schläuche dürfen nicht das Feuer Von seinem Geiste löschen bey Verführern. Sein Händeklatschen laß er nie erkaufen. Er mag Athen, die Lieblingsstadt Minervens,Tarent und der Syrenen Lust Neapel Zu bilden seinen Geist erwählet haben, So soll er hier zuerst den Musen opfern, Den Nektar des Homers begeistert trinken! Dann lern' er, was einst Sokrates gelehret! Und nun ergreif er Demosthenens Waffen! Aufmerksam wird das ganze Rom ihn hören, Wenn er wie Demosthen nun römisch redet, Wie Cicero erhaben, unbezwinglich – Aus seinen Lippen wird die Suada reden! Und wie Virgil wird dann er mit Entzücken Uns Krieg und grosse Heldenthaten singen. O darnach strebe Jüngling! Nektar wird dann Aus deinem Busen quellen! wie Apollo Wirst du in Rom vergöttert herum wandeln!«
Indem ich fleißig dieses mit anhöre, bemerkt' ich nicht, daß Ascylt sich aus dem Staube gemacht hatte; und indeß ich noch ganz erhitzt von diesem Gespräche auf und abgehe, kam ein Schwarm von jungen Gelehrten in die Gallerie, von einer Rede, wie es schien, welche ein Gewisser aus dem Stegreife den Vorschlägen des Agamemnon entgegen gesetzt hatte.
Während der Zeit, da diese Jünglinge über den Innhalt derselben spotten und den ganzen Vortrag davon lächerlich machen, schliech ich mich glücklich davon und lief dem Ascylt nach. Aber da ich weder genau auf den Weg Achtung gab, noch mich besinnen konnte, in welcher Gegend unsre Wohnung wäre, so kam ich immer wieder dahin, wo ich schon gewesen war. Endlich von Laufen ganz ermüdet und schon vom Schweise triefend, gieng ich zu einem alten Weibchen, welches grüne Waare verkaufte und fragt' es. »Liebes Mütterchen, ich bitte dich, weist du etwa, wo ich wohne?« Es lächelte über diese poßierliche Frage; »warum sollt' ich es nicht wissen?« sagte das Mütterchen, stand auf und fieng an, vor mir herzugehen. Ich hielt es für eine Wahrsagerin. Bald darauf, da wir in einen abgelegenen Ort gekommen waren, eröffnete das höfliche Weibchen eine verborgene Thür, und sagte: »Hier mußt du wohnen!«
Indem ich ihr sagte, daß ich das Haus in meinem Leben noch nicht gesehen hätte, sah ich einige unter Ueberschrifften und nackenden Buhlerinnen schüchtern herum spazieren. Endlich, aber leider zu spät! sah ich ein, daß man mich in V**nest gebracht habe. Ich verfluchte die Alte, welche mir diesen Streich gespielet hatte, verhüllte mein Gesicht, und flohe mitten durch den Saal in einen andern Theil des Haußes. Und siehe! da ich am Ende desselben war, lief mir Ascylt eben so abgemattet und halbtod in die Hände. Drauf schwören hätt' ich wollen, er sey von eben dieser Alten hieher gebracht worden. Ich mußte über ihn lachen und küssend fragt' ich ihn, was er an einem so saubern Orte thäte? Er wischte sich den Schweiß mit den Händen ab und, »wenn du wüßtest«, sagte er, »was mir begegnet wäre.« – »Nun? was neues?« fragt' ich ihn.
Noch keuchend erzählt' er mir darauf: »Da ich durch die ganze Stadt hin und wieder lief und nicht ausfindig machen konnte, an welchem Orte ich unser Quartier zurück gelassen, kam ein Haußvater zu mir und erbot sich auf das höflichste zu meinem Wegweiser. Durch dunkle und abgebrochene Wege bracht' er mich endlich hieher, drückte mir ein Stück Geld in die Hand und verlangte von mir, daß ich ein wenig sein Ganymed seyn möchte. Schon war ein Kämmerlein dazu gemiethet, schon hatt' er die Hände über mich geworfen und wenn ich nicht der stärkere gewesen wäre, so wäre leider! das Unglück geschehen.«
Während dieser Erzählung überraschte uns der nämliche Haußvater von einer artigen Dame begleitet. Zärtlich blickt' er den Ascylt an und bat ihn: er möchte doch nur wieder hereingehen, er versicherte ihn bey allem, was heilig sey, daß er nichts zu befürchten habe und wann er nichts mit sich wollte anfangen lassen, so sollte er wenigstens selbst was anfangen.
Die Dame machte sich an mich, und bat inständig, daß ich mit ihr gehen möchte. Das thaten wir dann endlich auch alle beyde. Wir kamen unter die Ueberschrifften und sahen viele von beyderley Geschlechte in den Zellen sich einander die Zeit vertreiben; allen schienen mir Satyrion
Kaum hatten sie uns erblickt, so lockten sie mit buhlerischer Frechheit uns zu sich und gleich ergriff ein halbnackender Faun den Ascylt, warf ihn auf ein Bett und fieng an zu arbeiten. Ich sprang ihm zu Hülfe, und da wir unsere Kräffte vereinigten, zwangen wir ihn, wieder abzuziehen. Ascylt gieng hinaus und flohe davon und ließ mich ihrer Geilheit zum Raube. Aber da ich stärker, als alle diese schwächlichen Geschöpfe war, kam ich noch unbeschädiget davon.
Bey nahe war ich die ganze Stadt durchstrichen, als ich wie durch einen Nebel den Giton in dem Winkel eines Gäßchens an der Thürschwelle unserer Herberge gewahr wurde; in einem Augenblicke war ich bei ihm. Wir giengen mit einander auf unser Zimmer, und da ich ihn fragte, ob der Bruder die Mittagsmahlzeit für uns bestellt habe, so setzte sich mein Liebling aufs Bett und fieng an zu weinen, daß ihm die Thränen über die Bäckchen herabrollten. Ich wurde ganz bestürzt darüber und fragte, was ihm widerfahren sey? Endlich und endlich, wie wohl ungern, nachdem ich Bitten mit Drohungen vermischt hatte, sagte er: »Dort dein Bruder oder Camerad oder wer er sonst ist, kam, erst vorhin, hieher gelaufen, und wollte – und wollte mich mit aller Gewalt entblössen. Und da ich aus Leibeskräften schrye, so zog er den Degen und sagte, wenn du Lucretia bist, so hast du einen Tarquin gefunden!«
Nach dieser Nachricht hielt ich dem Ascylt die Faust vor die Augen und sprach zu ihm: »Was antwortest du? du Hure wie ein Weib? was sagst du dazu? du! aus dem kein reiner Athem geht?«
Ascylt stellte sich, als wenn er sich darüber entsetzte; gleich darauf aber streckte er wüthend die Hände nach mir aus und schrye weit hefftiger, als ich: »Willst du nicht schweigen verruchter Klopfechter, der du mit genauer Noth, weil du ein Mörder deines Wirthes warest, der Strafe des Amphitheaters entgangen bist? Nächtlicher Strassenräuber, der du nicht einmahl damals, als du noch nicht so ausgemergelt warest, mit einem reinen Frauenzimmer zu thun gehabt hast? du der du mich in jenem Garten zu eben so schändlichen Dingen gebrauchtest, zu welchen dir ietzt dieser arme Junge dienen muß?«
»Also deswegen hast du dich aus der Gallerie heimlich davon gemacht?«
»Was sollt' ich da thun Erznarr«, sagte er darauf, »da ich beynahe für Hunger sterben wollte? Es wäre wohl der Mühe werth gewesen, dieses Gewäsche mit anzuhören! Traumausdeutungen und dergleichen Possen! Bey allen Göttern du bist ein Schurke! du lobest so gar einen hungrigen Poeten, um ihn um eine Mahlzeit zu bringen!«
Darauf brach ich aus einem nicht allzu feinem Zank in ein lautes Gelächter aus und unsere aufgebrachte Galle wurd' ein wenig ruhiger.
Da mir aber dieser Streich doch nicht aus dem Sinne kommen wollte, so sagt' ich zu ihm: »Lieber Ascylt ich sehe wohl, daß wir uns nicht zusammen schicken, es ist am besten, wir theilen, was wir haben, und ieder sucht sich so gut fortzubringen, als er kann. Du bist in den Wissenschafften erfahren, und ich, damit ich deinem Glücke nicht hinderlich sey, will etwas anders ergreifen. Ausserdem würden uns hunderterley Dinge täglich veruneinigen und uns in der ganzen Stadt berüchtigt machen.«
Ascylt war nicht dawider. »Aber heute«, sagte er, »weil wir versprochen haben, als Gelehrten bey einem Schmauße zu erscheinen, wollen wir deswegen nicht diese Nacht verliehren. Morgen aber, weil du es doch so haben willst, will ich mich nach einem andern Quartiere und einem Freunde für mich umsehen.«
»Thu es nur fein bald«, sagt' ich zu ihm, »denn das Zaudern ist allezeit bey Dingen, die man verlangt, verdrüßlich.«
Diese plötzliche Trennung verursachte die Liebe; schon längst hatt' ich mir diesen beschwerlichen Wächter vom Halse gewünscht, damit ich mit meinem lieben Giton wieder auf den alten Fuß umgehen könnte.
Dem Ascylt gieng die Sache im Kopfe herum; er redte kein Wort und hastig gieng er zur Thür hinaus. Diese plötzliche Entfernung ließ mich nichts gutes vermuthen, denn seine ungestümme Hitze war mir bekannt, wie seine wüthende Liebe. Ich gieng ihm also auf dem Fuße nach, um seine Anschläge auszuforschen und ihnen zu widerstehen, aber er verschwand vor meinen Augen und vergebens suchte ich ihn lange auf.
Nachdem ich ihn in der ganzen Stadt aufgespürt hatte und nicht fand, kam ich wieder zurück zu meinem Giton. Ich hieng an dem Knaben mit den feurigsten Umarmungen und genoß der Wollust meiner Wünsche bis zum Neide. Ganz in Entzückung noch verlohren war ich, als Ascylt mit aller Stärke die Thüren von einander riß und mich in den Umarmungen meines Lieblings überraschte. Von seinem Gelächter und Händeklatschen wurde das ganze Zimmer erschüttert; er nahm uns die Decke und sagte: »O du frommes, heiliges Brüderchen! was machst du denn da? Ich glaube gar, du bist in dem Dienste der Vesta begriffen?« Bey den Worten blieb er nicht allein, sondern machte seinen Riemen los und prügelte mich kein klein wenig herum, mit vielen Stichelreden. »Nein!« sagte er, »liebes Brüderchen! so wollen wir nicht theilen! – «
Diese unvermuthete Sache zwang mich, die Beleidigung und die Schläge zu verschmerzen. Ich spottete also über den Vorfall und sehr klüglich; denn sonst hätte ich mit einem streiten müssen, der eben so stark war, und in meiner damahligen Verfassung weit stärker, als ich. Mit einem verstellten Lächeln stillte ich seinen Zorn. Er mußte selbst darüber lachen. »Und du Enkolp«, sagte er, »in Wollüsten ersoffen denkst nicht daran, daß wir kein Geld mehr haben und daß unsere Habseeligkeiten keine Bohne werth sind? Im Sommer ist in den Städten nichts zu schaffen! das Land wird uns besser bekommen. Weist du was, wir wollen unsere guten Freunde daselbst heimsuchen!«
Die Noth zwang mich den Vorschlag gut zu heißen und den Schmerz zu verbeißen. Wir bürdeten also dem Giton ein Paar Säckchen auf, giengen zu der Stadt hinaus und wanderten nach dem Schlosse des Lykurg, eines römischen Ritters.
Da Ascylt ehedem ein Brüderchen von ihm gewesen war, so wurden wir gnädig aufgenommen, und die daselbst versammelte Gesellschaft wurde in ihren Vergnügungen lebhaffter.
Wir fanden daselbst ein reizendes Mädchen, Tryphäna, welches mit einem Schiffshauptmann, Lykas, gekommen war, der ohnweit des Meeres liegende Güter besaß.
Was wir an diesem angenehmen Orte für Vergnügen genossen haben, ist unbeschreiblich, obgleich der Tisch des Lykurg sehr mäßig eingerichtet war. Sagen muß ich euch, daß wir gleich anfänglich uns alle in einander verliebten. Die schöne Tryphäna bezauberte mich, und ohne langen Widerstand gewährte sie mir meine Wünsche. Allein kaum konnt' ich an ihren Lippen hangen, als Lykas mißvergnügt, daß ich ihm seine Wollust raubte, eine Entschädigung dafür von mir verlangte; denn sie war seine alte Liebe. Er fieng also an, mich anzugreifen und verfolgte mich mit einer unbändigen Leidenschafft. Da aber Tryphäna mein ganzes Herz allein besaß, so schlug ich dem Lykas alle Hoffnung ab. Er wurde dadurch hitziger und verfolgte mich hefftiger, schlich sich zur Mitternacht in mein Schlafzimmer und, da ich seine Bitten verschmähte, wollte er Gewalt brauchen. Ich schrye, so sehr ich konnte; das ganze Hauß wurde davon aufgeweckt, Lykurg stand mir bey und ich wurde von dem beschwerlichen Ueberfalle befreyet.
Wie ihm endlich das Hauß des Lykurg zur Erfüllung seiner Wünsche nicht bequem schien, so versucht' er mich zu bereden, daß ich bey ihm meine Wohnung nehmen möchte; und da ich ihm dieses gerade abschlug, so bedient' er sich, dieses zu erhalten, der Tryphäna. Diese bat mich desto lieber darum, je freyer sie daselbst zu leben hoffte. Ich folgte also der Liebe.
Aber Lykurg, welcher die alte Bekanntschaft mit dem Ascylt wieder erneuert hatte, ließ ihn nicht von sich gehen. Deswegen wurden wir einig, daß er immer beym Lykurg bleiben möchte, wir aber dem Lykas folgen. Bey diesem wurde beschlossen, daß ein ieder nach Gelegenheit Beute zu unsrer gemeinschafftlichen Casse machen sollte.
Lykas war unglaublich froh darüber, daß wir in seinen Vorschlag willigten. Er beschleunigte unsre Abreise. Wir sagten einander das gewöhnliche Lebewohl und an eben diesem Tage kamen wir noch auf sein Landgut.
Lykas hatte die Sachen so fein geordnet, daß er unterwegs neben mir und Tryphäna dem Giton zur Seite saß. Wegen der ihm sehr wohl bekannten Unbeständigkeit dieses Mädchens hatt' er dieses so bewerkstelliget und hatte sich auch nicht betrogen, denn sie brannte gleich vor Liebe zu dem Knaben, welches ich sehr leicht bemerken konnte. Lykas gab mir auch dieses sehr genau zu verstehen und ich mußt' es leider! glauben.
Deswegen bezeigt' ich mich ihm auch gefälliger und er wurde ganz entzückt darüber; denn er glaubte gewiß, ich würde sie deswegen verachten, und ihm desto eher Gehör geben.
In dieser Verfassung waren wir in dem Hauße des Lykas. Tryphäna liebte den Giton aufs äusserste und Giton war ihr mit Leib und Seel' ergeben. Beydes war mir im mindesten nicht angenehm. Lykas aus Begierde, mir zu gefallen, ersann täglich neue Vergnügungen, welche Doris, seine schöne Gemahlin um die Wette vermehrte.
Diese machte ihre Sachen so gut, daß sie gleich anfänglich Tryphänen aus meinem Herzen verbannte; mein Liebäugeln gab ihr meine Liebe zu verstehen und voll von schalkhaffter Zärtlichkeit waren ihre Gegenblicke, so daß diese stumme Sprache der Liebe, vor der Zunge, die Sympathie unsrer Seelen verstohlner Weise ausdrückte.
Die Eyfersucht des Lykas, welche mir schon bekannt war, verursachte mein Stillschweigen, und die Liebe selbst hatte die Neigung ihres Mannes gegen mich der Gemahlin kund gemacht. So bald wir Gelegenheit hatten, mit einander zu sprechen, entdeckte sie mir es. Aufrichtig gestand ich ihr die Wahrheit, und erzählt' ihr zugleich, wie streng' ich ihm immer begegnet wäre. »Wir müssen hierbey ein wenig listig seyn!« sagte die schlaue; und nach ihrem Rathe war die Gewährung des einen mit dem Besitze des andern verbunden.
Unterdessen, da der erschöpfte Giton wieder Kräffte sammeln sollte, machte sich Tryphäna wieder an mich; aber weil sie kein Gehör bey mir fand, so verwandelte sich ihre Liebe in Wuth. Hitzig verfolgte sie mich überall und entdeckte endlich meinen Umgang mit Mann und Frau. Der Umgang des Mannes mit mir war ihr gleichgültig, dieser entzog ihr nichts. Aber die heimlichen Liebeshändel der Doris behagten ihr nicht, und diese machte sie dem Lykas bekannt; und da die Eyfersucht die Liebe bey ihm überwog, so rüstete er sich zur Rache. Aber Doris, welcher die Magd der Tryphäna alles verrathen hatte, enthielt sich unsrer heimlichen Zusammenkünfte, um den Sturm abzuwenden.
Wie ich dieses merkte, so verflucht' ich die Falschheit der Tryphäna und die undankbare Seele des Lykas und entschloß mich, wegzugehen. Das Glück war mir günstig, denn das reich beladne Schiff der Göttin Isis war den Tag zuvor an einer benachbarten Klippe gestrandet.
Ich besprach mich deswegen mit dem Giton, welcher sehr vergnügt über meinen Endschluß war, weil ihn Tryphäna, da er an Kräfften erschöpft, nicht mehr zu achten schien. In aller Frühe giengen wir also nach dem Meere zu und kamen desto leichter auf das Schiff, weil wir den Bedienten des Lykas bekannt waren. Aber da sie uns immer mit ihrer Gegenwart beehrten und wir keine Gelegenheit hatten, Beute zu machen, so ließ ich den Giton zurück, stahl mich glücklich davon, schlich mich auf das Vordertheil des Schiffs, wo die Statue der Isis stand, raubte das kostbare Gewand und das silberne Sistrum davon und andere reiche Kleider, welche dem Steuermann zugehörten, stieg heimlich auf einer Schiffsleiter hinab vom Giton allein bemerkt, welcher sich dann auch davon machte und heimlich mir nachfolgte.
Wie er zu mir kam, zeigte ich ihm den Raub. Nun beschlossen wir in aller Eile Ascylten aufzusuchen. Aber es war nicht eher wohl möglich, als den Tag darauf in das Hauß des Lykurg zu kommen. Ich erzählte kürzlich dem Ascylt den Diebstahl und wie wir ein Spiel der Liebe gewesen waren. Er gab uns den Rath, Lykurgen für uns einzunehmen und ihn zu verfuhren, daß die neuen Ausschweifungen des verliebten Lykas unsere heimliche und plötzliche Abreise verursacht hätten. Welches wir denn auch thaten, und Lykurg schwur, daß wir immer unter seinem Schutze wider unsere Feinde seyn sollten.
Unsere Flucht blieb verborgen, bis Tryphäna und Doris aufgestanden waren; denn wir versäumten keinen Morgen, auf das höflichste bey ihren Nachttischen unsere Aufwartung zu machen. Da wir also wider unsere Gewohnheit aus blieben, so ließ uns Lykas aufsuchen, vornemlich an dem Strande. Und da erfuhr er dann, daß wir auf das Schiff der Isis gegangen wären; des Diebstahls aber wurde nicht dabey erwähnt, indem man selbst auf dem Schiffe noch nichts davon wußte, da der Schiffsschnabel nach dem Meere zu sah und der Steuermann noch nicht auf das Schiff zurückgekommen war.
Da man endlich nun von unserer Flucht gewisse Nachricht hatte und sich Lykas darüber ärgerte, so fiel sein ganzer Zorn auf seine Frau, von welcher er glaubte, daß sie die Ursache davon sey. Ich will der Scheltworte und der Grobheiten seiner Hände gegen sie nicht erwähnen, denn ich weiß die besondern Umstände nicht davon. Ich will nur erzählen, daß Tryphäna, welche Schuld an allen diesen Verwirrungen war, dem Lykas den Rath gab, uns bey Lykurgen aufzusuchen, weil wir daselbst vielleicht unsere Zuflucht genommen hätten; sie wollte ihn selbst mit dahin begleiten, und uns, wie wir es verdienten, die Wahrheit sagen.
Den Tag drauf reisten sie ab und kamen auf das Schloß, aber wir waren eben nicht da; denn Lykurg hatte uns mit sich zu einem Feste des Herkules in ein benachbartes Städtchen genommen. So bald sie es erfuhren, reisten sie uns nach und trafen uns in der Vorhalle des Tempels an. Ihre unvermuthete Gegenwart machte uns ein wenig bestürzt. Lykas beklagte sich in den härtesten Ausdrücken bey dem Lykurg über unsere Flucht, aber er wurde so verdrüßlich und so verächtlich von ihm aufgenommen, daß ich, muthiger dadurch gemacht, mit überlauter Stimme ihm alle seine Bubenstücke und geilen Anfälle vorwarf, die er bey dem Lykurg so wohl, als bey sich auf mich gemacht hatte.
Tryphäna wollte ihm beystehen, aber sie kam mir iezt eben recht. Ich predigte der ganzen Versammlung, die auf meinen Lärm herbey gelaufen war, ihre Schandthaten. Zum Beweis der Wahrheit führt' ich den ausgemergelten Giton hervor und zeigte mich, wie ich von der alles verschlingenden Geilheit dieses Weibes bey nahe den Tod davon getragen hätte.
Die ganze Versammlung schlug ein helles Gelächter darüber auf; sie kamen darauf aus aller Fassung, dachten auf Rache und giengen ganz beschämt von dannen. Wie sie bemerkt hatten, daß wir den Lykurg eingenommen, so beschlossen sie, ihn auf seinem Schlosse zu erwarten, um ihn aus seinem Irrthume zu bringen. Da aber das Fest etwas spät geendiget wurde, so konnten wir nicht mit ihm nach Hauße kommen und er führte uns auf ein Landgut, welches in der Mitte des Wegs lag, und verließ uns den andern Morgen, da wir noch schliefen, weil er Geschäffte zu Hauße zu verrichten hatte. Daselbst traf er denn den Lykas und Tryphänen an, welche auf ihn warteten, und ihm nun so viele Schmeicheleyen vorsagten, bis sie ihn dahin brachten, daß er uns ihrer Rache übergäbe. Lykurg war von Natur grausam und treulos und dachte schon darauf, wie er uns in ihre Hände spielen könnte. Er rieth dem Lykas, sich mit einiger Mannschafft zu versehen, unterdessen wollte er selbst uns schon auf dem Landgute fest halten.
Darauf kam er zu uns und begegnete uns schlimmer, als uns selbst Lykas hätte begegnen können, und nachdem er uns sehr rednerisch ausgescholten, daß wir bey ihm den Lykas so sehr verläumdet hätten, befahl er, daß man uns in die Kammer einsperren sollte, wo wir geschlafen, den Ascylt ausgenommen, von welchem er aber nicht ein Wörtchen zu unserer Vertheidigung anhören wollte. Nach diesem führt' er ihn mit sich nach Hauße, uns aber übergab er Hütern bis auf weitern Befehl.
Unterwegs suchte Ascylt das harte Herz des Lykurg zu erweichen; aber alle Bitten und Liebe und Thränen vermochten nichts über ihn. Er hielt also für das sicherste, uns selbst aus der Gefangenschafft zu erlösen; zankte sich mit dem Lykurg, und da er nicht bey ihm schlafen wollte, so konnte er desto leichter ausführen, was er beschlossen.
Da alles im Hauße in dem ersten Schlafe begraben lag, warf Ascylt unsere Sachen auf seine Schultern, stieg durch den Riß einer Mauer, welchen er zuvor bemerkt, und kam mit der Morgendämmerung auf das Landgut, gieng sonder Hinderniß hinein und auf unsere Kammer, welche die Wächter verschlossen hatten. Die Eröffnung aber war nicht schwer, es war nur ein hölzerner Riegel, welchen er mit einem Eisen von einander zwängte. Der Riegel fiel herab und weckte uns auf, denn wir liessen bey unserm Unglücke uns nichts vom Schlafe abgehen.
Da aber die Wächter wegen der Nachtwache in einem tiefen Schlafe lagen, so wurden wir allein von dem Schall aufgeweckt. Ascylt kam zu uns und erzählte uns kürzlich, was er unsertwegen gethan. Es bedurfte keines mehrern. Indem wir in aller Eile uns ankleideten, kam mir in Sinn, die Wächter tod zu schlagen und das Landgut zu plündern. Ich entdeckte dieses dem Ascylt; das Plündern gefiel ihm, aber er sagte, daß es ohne Blutvergießen geschehen könne; denn er kannte alle Zugänge und Gelegenheiten des ganzen Haußes und führte uns gleich in ein Kleiderbehältniß, welches er sehr leicht eröffnete. Alles, was von Kostbarkeiten da war, wurde eingepackt, und darauf schlichen wir uns in aller Frühe davon, vermieden alle öffentliche Wege und ruhten nicht eher aus, als bis wir sicher zu seyn glaubten.
Dann schöpfte Ascylt wieder Athem und vergrößerte die Freude, mit welcher er das Landgut des Lykurg, eines Erzgeizhalses, geplündert. Und wahrhafftig! er hatte auch Ursache sich über seine Sparsamkeit zu beklagen, denn er hatte ihm für keine einzige Nacht was gegeben und mußte noch dazu an einem trocknen und hungrigen Tische speisen. Ein solcher Filz war Lykurg, daß er bey einem übermäßigen Reichthume sich so gar die Nothwendigkeiten des Lebens versagte –
Im Wasser will fast Tantalus versinken, Und dennoch darf er nicht ein Tröpfchen trinken! Wie unglückseelig ist nicht Tantalus Daß er darinnen schmachten muß! Ihn hungert's – Aepfel schwimmen vor dem Munde, Er schnappt nach ihnen und – sie fliehen vor dem Munde! – Dies ist wohl eines Reichen Bild, Der alles, was er sieht, begehret Und fürchtet, nie den Hunger stillt, Ihn selber lieber gar verzehret.
Ascylt wollte noch diesen Tag in Neapel seyn; ich aber sagte ihm: »Es ist sehr unklüglich, daß wir an einen Ort gehen, wo wir wahrscheinlicher Weise können ausgeforscht werden. Wir wollen uns also entfernen und auf einige Zeit das Land durchstreichen; wir haben ja, um gut zu leben.« – Dieser gute Rath wurde angenommen und wir nahmen den Weg auf einen Flecken, welcher in einer entzückenden Gegend lag, wo nicht wenige von unsern Bekannten die Wollust der schönen Jahrszeit genoßen. Kaum aber waren wir auf die Mitte des Wegs gekommen, so fieng es an zu regnen, als wenn es mit Krügen göße. Wir mußten, um unter zu kommen, in ein benachbartes Dörfchen fliehen; und wie wir in die Schenke kamen, trafen wir verschiedene an, welche eben auch, um den Regen zu vermeiden, sich dahin begeben hatten.
Die Menge verhinderte, daß man uns beobachtete. Wir sahen uns allenthalben sehr begierig um, ob wir nicht etwas in dem Gewimmel stehlen könnten. Indem hob Ascylt ein Säckchen von der Erde auf und steckte es zu sich, ohne daß es iemand gewahr wurde, in welchem wir hernach viele Goldstücke fanden.
Dieser glückliche Anfang machte uns muthig; aber aus Furcht, daß man darnach suchen möchte, schlichen wir uns durch ein Hinterthürchen davon. Bey diesem Thürchen trafen wir einen Sklaven an, welcher Pferde sattelte; dieser gieng von den Pferden ins Hauß, weil er etwas vergessen hatte. Wie er weg war, stahl ich einen prächtigen Mantel und löste die Riemen auf, mit welchen er an den Sattel gebunden war. Dann flohen wir längst den Häußern in den benachbarten Wald.
Wie wir weit genug in dem Walde und in mehrerer Sicherheit waren, so machten wir allerhand Anschläge, um das Gold zu verbergen, damit wir nicht entweder des Diebstahls beschuldiget, oder selbst geplündert werden könnten. Endlich wurden wir einig, es in den Bund eines alten Rocks zu nähen, welchen ich um mich hängte; und Ascylt mußte den Mantel besorgen; und so beschloßen wir durch krumme Wege in die Stadt zu gehen. Wie wir aber aus unserm Schlupfwinkel heraus giengen, so hörten wir hinter uns rufen: »Sie sollen uns nicht entwischen! dort hinein hab' ich sie gehen sehen! wir wollen uns theilen, damit wir sie desto eher fangen können.« Diese Stimme fuhr uns wie ein Donnerschlag durch Mark und Gebeine. Ascylt und Giton flohen durch das Dickicht nach der Stadt zu; ich aber sprang in der größten Eile wieder in den Wald hinein und in der größten Bestürzung verlohr ich den Rock mit den Goldstücken, ohne daß ich es merkte.
Ermüdet, und so abgemattet, daß ich nicht einen Schritt weiter gehen konnte, verbarg ich mich unter die Zweige eines Baumes, wo ich zuerst den Verlust des Rockes gewahr wurde. Der Schmerz darüber gab mir wieder neue Kräffte. Ich stand auf, um den Schatz zu suchen; und wie ich lange vergebens herum gelaufen war, begab ich mich in den dunkelsten Schlupfwinkel des Waldes von Strapatzen und Traurigkeit ganz niedergeschlagen. Wie ich vier Stunden daselbst zugebracht hatte, so suchte ich einen Ausgang, dieser fürchterlichen Einöde überdrüßig.
Im heraus gehen erblickt' ich einen Bauer. Hier mußt' ich allen meinen Muth zusammen nehmen. Kühnlich gieng ich auf ihn los, und fragte ihn, wo man nach der Stadt zu gienge? und klagte ihm, daß ich schon lange in dem Walde herum irre. Mein Zustand gieng ihm zu Herzen, weil ich durchaus von Kothe besprützt und blässer, als der Tod aussah. Er fragte mich, ob ich iemanden in dem Walde gesehen? Keine Seele! gab ich zur Antwort. Dann führt' er mich auf das leutseeligste in die Straße. Hier traf er zweene von seinen Bekannten an, welche ihm zur Nachricht brachten, daß sie alle Wege des Waldes durch gelaufen wären, ohne etwas ausser dem Rocke zu finden, welchen sie ihm hier zeigten.