Schlafwandelnd in den Ersten Weltkrieg? Die deutsche historiographische Kontroverse um Christopher Clarks Monographie "Die Schlafwandler" - Laura Baier - E-Book

Schlafwandelnd in den Ersten Weltkrieg? Die deutsche historiographische Kontroverse um Christopher Clarks Monographie "Die Schlafwandler" E-Book

Laura Baier

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Bachelorarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Geschichte Deutschlands - Erster Weltkrieg, Weimarer Republik, Note: 2,0, Universität Bremen (Geschichtswissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: Er ist englischer Historiker australischer Herkunft. Er ist ausgewiesener Preußenkenner und populärer Autor zweier großer, „konsequent gegen die „Sonderweg“-These gerichteten […] und verständnisvollen“ Bücher über Preußens Aufstieg und Niedergang und Wilhelm II. Und er ist Moderator der Doku-Reihe „Deutschland-Saga“ im ZDF, in der er mit Fliege und einem roten VW-Käfer-Cabriolet durch Deutschlands Geschichte fährt. Es ist Christopher Clark, in Cambridge lehrender Geschichtsprofessor für Neuere Europäische Geschichte, der seit der Publikation „Die Schlafwandler“ 2012 in England und wenig später 2013 in Deutschland Bestsellerautor ist. Seine umfangreiche, 718seitige Monographie mit 112seitigen Anmerkungen, schrieb in Deutschland fünf Monate nach ihrer Publikation, pünktlich zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges, ca. 170.000 verkaufte Exemplare in der 12. Auflage. Mittlerweile existiert sogar auf der Internetplattform youtube ein Buchtrailer zu den „Schlafwandlern“, in dem der Autor persönlich zu den Inhalten seines Buches Stellung nimmt. Die Verkaufs- und Auflagenzahlen sowie die mediale Präsenz in Deutschland sind Sinnbild für die starke Aufmerksamkeit durch Zeitungen und Fernsehen, die Öffentlichkeit und vielfaches Forschungsinteresse an dem neuen Bestseller, der eine Ursachengeschichte des Ersten Weltkriegs aus internationaler Perspektive für die Vorkriegsgeschichte von 1914 darlegt.Die Kriegsursachenforschung beschäftigt sich seit Beginn der Julikrise 1914 mit der entscheidenden Frage nach Ursachen, Verantwortung und Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Christopher Clark liefert nun mit den „Schlafwandlern“ eine diskussionswürdige Interpretation, in der ein „Hauch von Entlastung“ für die deutschen Verantwortlichen wehe, so der jüngst verstorbene Historiker Wehler. Diese Lesart stört vornehmlich jene Grundposition in der aktuellen, generational-historiographischen Debatte, die von einer deutschen Hauptverantwortlichkeit für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs ausgeht. Dem gegenüber steht eine den clark´schen Thesen wohlgesonnene Position, vertreten durch Cora Stephan, Sönke Neitzel etc., die auf eine Neuverhandlung bzw. Ausklammerung der „Kriegsschuldfrage“ abzielt. Für sie gilt: „An das Selbstverständnis der Deutschen als schuldige Nation ist eine Mine gelegt.“ .

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung

2. Ursachen, Verantwortung, Haupt-Mit-Alleinschuld in der Kriegsursachenforschung

3. Clarks Hauptthesen in „Die Schlafwandler“

4. Die historiographische Rezeption der Schlafwandler in Deutschland

4.1 Die Schlafwandler als Auslöser einer generationalen Kontroverse mit zwei Grundpositionen

4.2 Der Clark-Effekt als Sinnbild von „schlafwandlerischem“ Erfolg?

4.3 Fischer und Lloyd George reloaded

5. Schlussbetrachtung

6. Bibliographie

 

1. Einleitung

 

Er ist englischer Historiker australischer Herkunft. Er ist ausgewiesener Preußenkenner[1] und populärer Autor zweier großer, „konsequent gegen die „Sonderweg“-These gerichteten […] und verständnisvollen“[2] Bücher über Preußens Aufstieg und Niedergang[3] und Wilhelm II.[4] Und er ist Moderator der Doku-Reihe „Deutschland-Saga“ im ZDF, in der er mit Fliege und einem roten VW-Käfer-Cabriolet durch Deutschlands Geschichte fährt. Es ist Christopher Clark, in Cambridge lehrender Geschichtsprofessor für Neuere Europäische Geschichte, der seit der Publikation „Die Schlafwandler“[5] 2012 in England und wenig später 2013 in Deutschland Bestsellerautor ist. Seine umfangreiche, 718seitige Monographie mit 112seitigen Anmerkungen, schrieb in Deutschland fünf Monate nach ihrer Publikation, pünktlich zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges, ca. 170.000 verkaufte Exemplare in der 12. Auflage.[6] Mittlerweile existiert sogar auf der Internetplattform youtube ein Buchtrailer zu den „Schlafwandlern“, in dem der Autor persönlich zu den Inhalten seines Buches Stellung nimmt.[7] Die Verkaufs- und Auflagenzahlen sowie die mediale Präsenz in Deutschland sind Sinnbild für die starke Aufmerksamkeit durch Zeitungen und Fernsehen, die Öffentlichkeit und vielfaches Forschungsinteresse an dem neuen Bestseller, der eine Ursachengeschichte des Ersten Weltkriegs aus internationaler Perspektive für die Vorkriegsgeschichte von 1914 darlegt. Dieser nun hundert Jahre zurückliegende Krieg, der Zivilisationsbruch, ca. 15 Mio. Tote, Leid und Zerstörung nach Europa brachte, wirkt damit bis heute nach und gibt Anlass zu Diskussionen. „Von einer jungen Generation, der Geschichte egal ist“[8], könne nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Wochenmagazins „stern“ mit 1004 ausgewählten Befragten (08. und 09.01.2014) keine Rede sein, so ein Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ im Januar 2014. Im Gegenteil. „Kaum ein Zeitraum in der europäischen Geschichte findet derzeit ein so reges Interesse in Forschung, Medien und Publizistik wie die Großmächtebeziehungen im Vorfeld des Ersten Weltkrieges. Dessen Ursachen haben auch hundert Jahre später offenbar nichts von ihrer Faszination eingebüßt.“[9]. Von diesen Ursachen, die Teil einer Epoche „[…] gewaltiger Umwälzungen“[10] sein sollten, seien hier einige in stark selektiver Form, vornehmlich auf europäischem Territorium aus „deutscher Sicht“, genannt, da aus eben dieser Perspektive anlässlich der „Schlafwandler“ eine publizistische, historiographische Kontroverse in Deutschland geführt wird: Nach der Jahrhundertwende wandelten sich Zwei- bzw. Dreibund und Triple Entente zu „Offensivblöcken“[11] in einem internationalen Beziehungsgeflecht, das von einem Paradigmenwechsel gekennzeichnet war.[12] Berlin sah sich mit dem Verlust seiner Mittlerposition konfrontiert, da sich die britisch-französischen/russischen Antagonismen verringerten und fühlte sich zunehmend „eingekreist“.[13] In der ersten Marokkokrise 1905/06 und in der bosnischen Annexionskrise 1908/09 übte das Deutsche Reich erst Druck auf die „Entente cordiale“ und dann auf Sankt Petersburg aus.[14] Das gereizte internationale Klima wurde durch die zweite Marokkokrise, in der das Kanonenboot „Panther“ nach Agadir entsandt und gleichzeitig die deutschen kolonialen Hoffnungen enttäuscht wurden, weiter aufgeheizt und die Konfliktintensität nahm zu.[15] Nach einer Phase schnellen ökonomischen Aufschwungs war das deutsche Kaiserreich „[…] zur führenden Industrienation des Kontinents“[16] aufgestiegen und beanspruchte nun mittels des Flottenbaus, eingeleitet als Teil der von Wilhelm II. initiierte „Weltpolitik“, einen „Platz an der Sonne“[17]. Diese Entwicklung belastete nachhaltig das deutsch-britische Verhältnis. Die Balkankriege 1912/13, serbische Truppen, die an der Adria die Interessensphären der Donaumonarchie bedrängten sowie die Liman von Sanders Krise Ende 1913, in der der Generalleutnant das Kommando über türkische Truppen an den Meerengen übernehmen sollte, stellten das Krisenmanagement der einzelnen Staaten in den Vorkriegsjahren auf die Probe.[18] Trotzdem gab es auch Schlüsselmomente der Deeskalation wie beispielsweise die Haldane-Mission von 1912, „der letzte Versuch einer britisch-deutschen Annäherung im Flottenstreit“[19]. Dissens um Kolonialgebiete im Rahmen imperialistischer Bestrebungen, der Schritt für Schritt nach Europa rückte[20], machtpolitische Gegensätze zwischen Deutschland und England/Frankreich, Nationalismus, der Rüstungswettlauf der Großmächte, sukzessive Schwächung Österreich-Ungarns durch Autonomiebestrebungen der Serben/Tschechen und der „Verlust des defensiven Charakters der europäischen Bündnisse“[21] führten zu einer zunehmend wahrgenommenen Alternativlosigkeit aus Sicht der Verantwortlichen.[22] Ein starkes Bedrohungsgefühl in einem Klima gegenseitigen Misstrauens entstand, das einen europäischen Konflikt „wahrscheinlicher“[23], nicht jedoch unvermeidlich werden ließ.[24] In der Julikrise im Sommer 1914 zeigte sich dann, dass die politische Führung, die Tauben, von der militärischen, den Falken, abhängig blieb. Auf das Attentat von Sarajevo folgte in dieser Situation das österreichisch-ungarische Ultimatum inakzeptablen Charakters.[25] Nach der serbischen Ablehnung folgten Mobilmachung und Kriegserklärung der Habsburger Monarchie. Zwischenzeitlich befanden sich Poincaré und Viviani in Sankt Petersburg, Wilhelm II. sowie führende deutsche Entscheidungsträger im Urlaub. Am 30. Juli 1914 begann in Russland, das Serbien unterstützte, die Mobilmachung und „[…] damit waren dann die Würfel gefallen“[26]. Deutschland erklärte Russland und Frankreich den Krieg, begann mit der Invasion in Belgien und Luxemburg und Großbritannien erklärte Deutschland wenig später am 4.August 1914 den Krieg, der zu diesem Zeitpunkt als legitimes „Mittel zur Lösung von Spannungen und Rivalitäten zwischen Staaten“[27] galt. Eines der Schlüsseldokumente zu Beginn der Julikrise ist der von der deutschen Reichsregierung für Österreich-Ungarn ausgestellte „Blankoscheck“ anlässlich eines Krieges gegen Serbien. Dieser „verpflichtete“ weitere Bündnispartner, die sich wie oben geschildert für Mobilmachungen und Kriegserklärungen entschieden. Handelte es sich dabei um einen „point of no return“[28] für die Zeitgenossen?