Schluss mit der Co-Abhängigkeit - Melody Beattie - E-Book

Schluss mit der Co-Abhängigkeit E-Book

Melody Beattie

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Beschreibung

»Die Pionierin der Selbsthilfeliteratur« Glennon Doyle  Vernachlässigst du dich selbst, weil du dich ganz den Bedürfnissen anderer widmest? Nehmen dich die Probleme anderer so sehr in Anspruch, dass du deine eigenen verdrängst? Wenn du, wie so viele andere, vor lauter Sorge um das selbstzerstörerische Verhalten eines geliebten Menschen dein eigenes Leben aus den Augen verloren haben, bist du vielleicht co-abhängig - und findest dich in diesem Buch wieder.  Dieser moderne Klassiker, der seit seinem Erscheinen im Jahr 1986 das Leben von Millionen Lesern bereichert hat, ist der Schlüssel zum Verständnis von Co-Abhängigkeit und zur Befreiung von deren Einfluss. Melody Beatties mitfühlender und aufschlussreicher Blick auf Co-Abhängigkeit hilft, alte Muster zu durchbrechen und gesunde Grenzen zu wahren, und bietet einen klaren und gangbaren Weg zu Heilung, Hoffnung, Freiheit und Glück. 

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Schluss mit der Co-Abhängigkeit

MELODY BEATTIE (* 1948) ist eine bahnbrechende Stimme in der Selbsthilfeliteratur und weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, co-abhängig zu sein. Sie ist die Autorin vieler Bestseller und lebt in Südkalifornien.

MELODY BEATTIE hat mit ihrer Pioniersarbeit auf dem Gebiet der Co-Abhängigkeit Millionen von Menschen Trost gespendet und zu der Einsicht verholfen, dass sie nicht in der Lage sind, jemanden außer sich selbst zu verändern. Mithilfe persönlicher Reflexionen, Übungen und lehrreicher Geschichten aus ihrem eigenen Leben und dem Leben derer, die sie beraten hat, zeigt Beattie, dass Heilung mit der Verantwortung und Fürsorge für sich selbst beginnt.Diese überarbeitete Ausgabe enthält ein völlig neues Kapitel über Trauma und Angst und ist damit ein wertvoller Begleiter auf dem Weg zu Wachstum und einem selbstbestimmten, leichteren Leben.

Melody Beattie

Schluss mit der Co-Abhängigkeit

Wie du lernst, loszulassen und für dich selbst zu sorgen

Aus dem Englischen von Ursula Pesch

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de© für die deutsche Ausgabe: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024© Melody Beattie, 2022 International Rights ManagementUmschlaggestaltung:  zero-media.de, München,nach einer Vorlage von © David MartyTitel der amerikanischen Originalausgabe: Codependent No More, Spiegel und Grau, New York, 2022.

Die deutsche Erstausgabe dieses Werkes erschien erstmals 1990 unter demTitel Die Sucht, gebraucht zu werden im Wilhelm Heyne Verlag, München.

Autorenfoto: © Derek Rath

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ISBN 978-3-8437-3140-9

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Titelei

Das Buch

Titelseite

Impressum

 

Vorwort

Einleitung

Teil I Was ist Co-Abhängigkeit, und wer ist davon betroffen?

1 Meine Geschichte

2 Andere Geschichten

3 Co-Abhängigkeit

Was ist Co-Abhängigkeit?

Eine kurze Geschichte

4 Merkmale der Co-Abhängigkeit

Sich kümmern

Geringes Selbstwertgefühl

Verdrängung

Besessenheit

Kontrolle

Leugnung

Abhängigkeit/Anhänglichkeit

Mangelhafte Kommunikation

Schwache Grenzen

Mangelndes Vertrauen

Wut

Sexuelle Probleme/Intimitätsprobleme

Sonstiges

Fortschreitende Co-Abhängigkeit

Teil II Die Grundlagen der Selbstfürsorge

5 Loslassen

Anhänglichkeit

Ein besserer Weg

6 Sei kein Fähnchen im Wind

7 Befreie dich

8 Gib die Opferrolle auf

Was bedeutet Rettung?

9 Unabhängigkeit

10 Leb dein eigenes Leben

11 Führ eine Liebesbeziehung mit dir selbst

12 Erlerne die Kunst des Akzeptierens

1. Nichtwahrhabenwollen

2. Zorn

3. Verhandeln

4. Depression

5. Zustimmung

13 Spür deine Gefühle

14 Wut

15 Ja, du kannst denken

16 Setz dir Ziele

17 Kommunikation

18 Praktiziere ein Zwölf-Schritte-Programm

Die zwölf Schritte

Das Praktizieren des Programms

Ist Al-Anon etwas für dich?

Ist Erwachsene Kinder von Alkoholikern etwas für dich?

Die zwölf Schritte der AA

19 Dies und das

Drama-Süchtige

Erwartungen

Angst vor Nähe

Finanzielle Verantwortung

Vergebung

Das Froschsyndrom

Spaß

Grenzen

Körperliche Selbstfürsorge

Professionelle Hilfe

Vertrauen

Sex

20 Beruhige dich selbst

21 Lerne, wieder zu leben und zu lieben

Anfangen

Sich weiterentwickeln

Anhang

Danksagung

Bibliografie

Anmerkungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Vorwort

Widmung

Dieses Buch widme ich mir selbst – und allen Menschen, die von mir gelernt und mir erlaubt haben, von ihnen zu lernen.

Motto

Es ist nicht leicht, Glück in uns selbst zu finden, und nicht möglich, es woanders zu finden.Agnes Repplier

Vorwort

Am Valentinstag 1986 kam mein Nachbar Terry Spahn im Auftrag des Verlegers zu meinem Haus in Stillwater, Minnesota, um mir die mit einem Typenraddrucker ausgedruckten Seiten zu entreißen, aus denen schließlich Schluss mit der Co-Abhängigkeit wurde.

Ich hatte sie auf einem Kaypro-Computer, einem der ersten Homecomputer überhaupt, geschrieben und auf Diskette gespeichert. Die neue Schreibtechnologie faszinierte mich, denn sie ermöglichte es mir, meine Texte immer wieder zu überarbeiten und (anders als bei reinen Textverarbeitungscomputern) in Arbeitspausen Pong zu spielen. Auch deswegen musste Terry vorbeikommen und das Manuskript an sich nehmen. Ich hielt es fest an mich gedrückt und tanzte einen Moment lang damit herum, während Terry es mir wegzunehmen versuchte. Dann ließ ich es los und gab es zur Veröffentlichung frei.

Schluss mit der Co-Abhängigkeit hat seit jenem Tag in Stillwater, Minnesota, nichts von seiner Popularität eingebüßt und sich als wirksam und praxisnah erwiesen. Ich bin nach wie vor zufrieden mit dem Rhythmus und der grundlegenden Aussage des Buches.

Doch in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat mich – vor allem angesichts der technologischen Fortschritte, die einen so großen Einfluss auf unser aller Leben haben – einiges daran zusammenzucken lassen: die manchmal archaische Sprache und die überholten Literaturhinweise, die vorsichtige Art, wie ich meine Geschichte erzählt habe, das zeitweilige Geschwafel (in meinem Leben und im Buch) darüber, ob es okay, wirklich okay ist, uns selbst zu lieben, und falls ja, wie sehr und was dies konkret bedeutet.

Wir waren von einem anderen Bewusstsein geprägt, als ich das Buch in den 1980er-Jahren schrieb, begannen aber, Ideen, die wir für selbstverständlich gehalten hatten, infrage zu stellen. Aus abhängigen Frauen mit wenigen Rechten wurden Personen, deren Eigenständigkeit zunehmend anerkannt wurde. Die Menschen suchten begierig nach Informationen, die ihnen helfen würden, das Leben in einer sich rasch verändernden Welt zu verstehen. In den Buchläden gab es noch keine Selbsthilfe-Abteilungen, doch die Menschen wurden neugierig auf ihr Innenleben. Obwohl die grundlegenden Aussagen dieses Buches auch heute noch Bestand haben, fühlte sich einiges Drumherum so veraltet an, dass es von den hilfreichen Informationen ablenkte. Das Buch brauchte ein Update.

»Glauben Sie, dass jüngere Leser überhaupt wissen werden, wer Bob Newhart ist?«, fragte ich meine neue Lektorin mit Blick auf ein Kapitelmotto.

»Nein«, sagte sie, »aber sie wissen, dass sie ihn googeln können.«

Seit der Veröffentlichung von Schluss mit der Co-Abhängigkeit hat es auch in meinem Leben viele Veränderungen gegeben, die mich und meine Überzeugungen geformt haben: den Umzug nach Kalifornien, den Tod meines Ex-Manns (des Vaters meiner Kinder) und den Tod meines Vaters – zwei der drei Personen, von denen ich ursprünglich co-abhängig war – sowie die Pflege meiner Mutter am Ende ihres Lebens (mit der ich eine von Hassliebe geprägte Beziehung hatte).

Der tiefgreifendste Verlust war jedoch der Tod meines Sohnes Shane am Tag nach seinem zwölften Geburtstag. Er stürzte mich in die Welt der Trauer, ja, traumatisierte mich.

Dieser entsetzliche Schicksalsschlag lehrte mich vieles darüber, wie sich Traumata, Angst, PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) und Co-Abhängigkeit überschneiden. Natürlich wusste ich diese Lektionen, als ich sie lernte, nicht zu schätzen. Das Wort Trauma benutzten wir damals nur im Zusammenhang mit Soldaten, die aus einem Krieg zurückkehrten. Erst nachdem wir am 11. September ein kollektives Trauma erlitten hatten, wurde der Begriff Teil unseres Fachjargons. Die Gemeinschaft der Genesenden erkannte nun, dass das innere Chaos und die Angst, die daher rührten, dass wir in einer Alkoholikerfamilie aufgewachsen oder Opfer sexueller Übergriffe oder körperlichen Missbrauchs geworden waren, mit einem Krieg vergleichbar waren. Ich persönlich erkannte, dass ich mich mit meinem Residualtrauma auseinandersetzen musste, um heilen und Frieden finden zu können.

Das inspirierte mich letztlich dazu, das neue Kapitel in diesem Buch, »Beruhige dich selbst«, zu schreiben. Ich bin dankbar, es geschrieben zu haben.

Während ich das Buch überarbeitete, beschloss ich auch, meine eigene Geschichte der Co-Abhängigkeit offen darzulegen. Da die Menschen, von denen ich am stärksten co-abhängig war, 1986 noch lebten, verschleierte ich damals sowohl ihre als auch meine Identität. Ich fand, dass es mir nicht zustand, ihre Geschichten zu erzählen. Jetzt nehme ich diese Geschichten hier mit auf. Ich tue es nicht, um schlecht von den Verstorbenen zu sprechen, aber ich decke sie auch nicht länger, so wie ich es früher tat. Wir können liebevoll und mitfühlend die Wahrheit über unsere Erfahrungen erzählen – ohne andere oder uns selbst herabzuwürdigen.

Ein weiteres Ziel der Überarbeitung war es, das Geschriebene zu entpathologisieren – die Menschen losgelöst von ihren Leiden, von den Etiketten, die man ihnen verpasst hatte, und von ihren Kämpfen und Krankheiten zu sehen. Es gibt eine große Anzahl von Spektren, auf denen viele von uns landen – irgendwo. Obwohl sich ein Großteil dieses Buches auf die Co-Abhängigkeit konzentriert, die durch jemandes Alkohol- oder Drogenmissbrauch getriggert wird, wirst du auch Geschichten finden, die nichts damit zu tun haben. Das Genesungsverhalten, das in diesem Buch erörtert wird, gilt für eine Vielzahl von Co-Abhängigkeits-Triggern.

Je älter ich werde, desto überzeugter bin ich davon, dass unsere primäre Aufgabe im Leben darin besteht, einen Weg zu finden, Frieden mit uns selbst, unserer Vergangenheit und unserer Gegenwart zu schließen – egal, womit wir konfrontiert werden, und egal, wie oft wir es tun müssen. Es ist auch unsere Aufgabe, achtsam Selbstliebe zu praktizieren. Jeden Tag. Unser Leben lang. Damit nehmen wir keine narzisstische oder schädlich egoistische Haltung gegenüber dem Leben und unseren Beziehungen ein. Selbstliebe ist etwas Bescheideneres, Ruhigeres. Du wirst dich daran gewöhnen. Ich mag die Selbstliebe. Vielleicht wirst auch du sie mögen.

Am Valentinstag 2022 reichte ich die neu überarbeitete und aktualisierte Version von Schluss mit der Co-Abhängigkeit ein. Sie ist mein Vermächtnis und mein längst überfälliges Geschenk an uns, während wir nach dem chaotischen Ende des vergangenen Zeitalters in das Zeitalter des Wassermanns eintreten.

Möge diese neue Ausgabe gesegnet sein.

Einleitung

Meine erste Begegnung mit Co-Abhängigen hatte ich Anfang der Sechzigerjahre. In jener Zeit bezeichnete man Menschen, die unter dem Verhalten anderer zu leiden hatten, noch nicht als Co-Abhängige und Menschen, die alkoholsüchtig oder von anderen Drogen abhängig waren, noch nicht als substanzabhängig. Obwohl ich nicht wusste, was Co-Abhängige kennzeichnete, wusste ich in der Regel doch, wer sie waren. Als jemand, der mit Alkoholsucht und Abhängigkeit zu kämpfen hatte, trug ich, während ich durchs Leben stürmte, dazu bei, dass weitere Menschen co-abhängig wurden.

Co-Abhängige waren ein notwendiges Übel. Sie waren feindselig, kontrollsüchtig, manipulativ und unaufrichtig. Sie sorgten dafür, dass ich Schuldgefühle hatte, waren schwierige Gesprächspartner, im Allgemeinen unangenehm, ja, manchmal ausgesprochen gemein, und vor allem stellten sie sich meinem Zwang in den Weg, high zu werden. Sie schrien mich an, versteckten meine Pillen, schauten mich böse an, kippten meinen Alkohol in den Ausguss, versuchten, mich davon abzuhalten, mir mehr Drogen zu besorgen, wollten wissen, warum ich ihnen das antat, und fragten, was mit mir los sei. Aber sie waren immer da, bereit, mich vor selbst verschuldeten Katastrophen zu bewahren. Die Co-Abhängigen in meinem Leben verstanden mich nicht, und dieses Nichtverstehen beruhte auf Gegenseitigkeit. Ich verstand sie nicht, aber ich verstand auch mich nicht.

Den ersten beruflichen Kontakt mit Co-Abhängigen hatte ich Jahre später, 1976. Damals waren Süchtige und Alkoholiker in Minnesota im allgemeinen Sprachgebrauch zu Suchtkranken, ihre Familien und Freunde zu Bezugspersonen und ich zu einer genesenden Süchtigen und trockenen Alkoholikerin geworden. Inzwischen arbeitete ich auch als Beraterin in der Suchtkrankenhilfe, dem riesigen Netzwerk von Institutionen, Programmen und Vermittlungsstellen, die Suchtkranken helfen, gesund zu werden. Da ich eine Frau bin, die meisten Bezugspersonen damals Frauen waren, ich das geringste Dienstalter hatte und keine meiner Kolleginnen die Aufgabe übernehmen wollte, trug mein Arbeitgeber im Behandlungszentrum in Minneapolis mir auf, im Rahmen des Programms Selbsthilfegruppen für die Ehefrauen von Suchtkranken zu organisieren.

Ich war auf diese Aufgabe nicht vorbereitet, empfand Co-Abhängige nach wie vor als feindselig, kontrollsüchtig, manipulativ und vieles mehr.

In meiner Gruppe waren Menschen, die sich für alles und jeden verantwortlich fühlten, aber sich weigerten, die Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen.

Ich sah Menschen, die permanent anderen etwas gaben, aber unfähig waren, Dinge anzunehmen; Menschen, die gaben, bis sie wütend, erschöpft und völlig leer waren. Ich sah manche geben, bis sie aufgaben. Eine Frau gab sogar so viel und litt so stark, dass sie im Alter von 33 Jahren eines natürlichen Todes starb, nämlich an »Altersschwäche«. Sie war die Mutter von fünf Kindern und die Ehefrau eines Alkoholikers gewesen, der zum dritten Mal im Gefängnis gelandet war.

Ich arbeitete mit Frauen, die Expertinnen darin waren, für alle um sie herum zu sorgen, doch ihre Fähigkeit, für sich selbst sorgen zu können, anzweifelten.

Ich sah Menschen, die nur noch ein Schatten ihrer selbst waren und sich gedankenlos von einer Aktivität in die nächste stürzten. Ich hatte es mit Jasagerinnen, Märtyrerinnen, Stoikerinnen, Tyranninnen, ausgelaugten Frauen, klammernden Frauen und – um H. Sacklers Die große weiße Hoffnung zu zitieren – mit »verhärmten Gesichtern, die das Elend verrieten« zu tun.

Die meisten Co-Abhängigen waren besessen von anderen Menschen. Sie konnten präzise und detailliert eine lange Liste der Taten und Missetaten anderer herunterbeten: was diese dachten, fühlten, taten und sagten und was sie nicht dachten, fühlten, taten und sagten. Die Co-Abhängigen wussten, was die anderen tun und nicht tun sollten. Und sie machten sich eingehende Gedanken darüber, warum sie es taten oder nicht taten.

Doch diese Co-Abhängigen, die so umfassende Erkenntnisse in Bezug auf andere hatten, waren nicht in der Lage, sich selbst zu sehen. Sie wussten nicht, was sie fühlten. Sie waren nicht sicher, was sie dachten. Und sie wussten nicht, was sie, wenn überhaupt, tun konnten, um ihre Probleme zu lösen – falls sie tatsächlich irgendwelche anderen Probleme hatten als andere Personen.

Sie waren eine schwierige Gruppe, diese Co-Abhängigen. Sie litten, klagten und versuchten, alles und jeden, außer sich selbst, zu kontrollieren. Und mit Ausnahme einiger weniger Pioniere der Familientherapie wussten viele Berater (einschließlich meiner selbst) nicht, wie man ihnen helfen könnte. Die Suchtkrankenhilfe wurde ausgebaut, konzentrierte sich jedoch auf die Süchtigen. Es gab kaum Literatur zur Familientherapie und so gut wie keine Ausbildungsmöglichkeiten. Was brauchten Co-Abhängige? Was wollten sie? Waren sie nicht einfach nur Anhängsel von Alkoholikern, Besucher des Behandlungszentrums? Warum konnten sie nicht kooperieren, statt ständig Probleme zu machen? Alkoholiker hatten eine Entschuldigung dafür, so verrückt zu sein – sie waren betrunken. Die Bezugspersonen hatten keine Entschuldigung. Sie waren, was Alkohol anging, nüchtern.

Schon bald machte ich mir zwei verbreitete Meinungen zu eigen: Diese verrückten Co-Abhängigen (Bezugspersonen) sind kränker als die Alkoholiker. Und kein Wunder, dass der Alkoholiker trinkt. Wer würde das nicht tun mit einer derart verrückten Ehepartnerin?

Damals war ich schon eine Weile lang trocken. Ich begann, mich selbst zu verstehen, verstand jedoch nicht die Co-Abhängigkeit. Ich versuchte es, aber vergeblich – bis ich mich Jahre später so stark im Chaos meines Alkoholikers verstrickte, dass ich aufhörte, mein eigenes Leben zu leben. Ich hörte auf zu denken. Ich hatte keine positiven Gefühle mehr, sondern wurde beherrscht von Wut, Bitterkeit, Hass, Angst, Depressionen, Hilflosigkeit, Verzweiflung und Schuldgefühlen. Manchmal wollte ich einfach nicht mehr leben. Ich hatte keine Energie. Ich verbrachte die meiste Zeit damit, mir Sorgen um andere Menschen zu machen und herauszufinden, wie es möglich wäre, sie zu kontrollieren. Ich konnte nicht Nein sagen (zu nichts, außer Freizeitaktivitäten), nicht einmal, wenn mein Leben davon abhing, was der Fall war. Meine Beziehungen zu Freunden und Familienmitgliedern waren in einem desolaten Zustand. Ich fühlte mich völlig ungerecht behandelt. Ich verlor mich selbst und wusste nicht, wie es passiert war. Ich wusste nicht, was passiert war. Ich glaubte, verrückt zu werden. Und ich dachte, während ich meinem Alkoholiker mit dem Finger drohte: Es ist seine Schuld.

Traurigerweise wusste abgesehen von mir selbst niemand, wie schlecht ich mich fühlte. Meine Probleme waren mein Geheimnis. Im Unterschied zu dem Alkoholiker sorgte ich nicht dauernd für Chaos und erwartete auch nicht, dass jemand hinter mir aufräumte. Tatsächlich gab ich im Vergleich zu meinem Alkoholiker ein gutes Bild ab. Ich war so verantwortungsbewusst, so verlässlich. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob ich wirklich ein Problem hatte. Ich wusste, dass ich mich elend fühlte, begriff aber nicht, warum mein Leben nicht funktionierte.

Eine Zeit lang war ich völlig verzweifelt, begann dann jedoch zu verstehen. Wie viele Menschen, die hart über andere urteilen, erkannte ich, dass ich gerade einen sehr weiten und schmerzhaften Weg in den Schuhen der von mir Verurteilten zurückgelegt hatte. Ich verstand jetzt diese verrückten Co-Abhängigen. Denn ich war selbst eine von ihnen geworden.

Nach und nach gelang es mir, aus diesem dunklen Loch herauszukommen. Dabei entwickelte ich ein leidenschaftliches Interesse am Thema Co-Abhängigkeit. Als Suchtberaterin und Autorin war meine Neugier geweckt. Und ich hatte auch ein persönliches Interesse an diesem Thema. Was geschah mit Menschen wie mir? Wie geschah es? Warum? Und vor allem: Was mussten Co-Abhängige tun, um sich auf Dauer besser zu fühlen?

Ich sprach mit Beratern, Therapeuten und Co-Abhängigen. Ich las die wenigen zu diesem Thema und zu verwandten Themen verfügbaren Bücher. Ich las auf der Suche nach nützlichen Ideen noch einmal die grundlegende Literatur – die Therapiebücher, die die Zeit überdauert hatten. Ich ging zu Meetings von Al-Anon, einer 1951 gegründeten Selbsthilfegemeinschaft für Angehörige und Freunde von Alkoholikern, die nach dem Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker arbeitet, dieses jedoch so abgewandelt hat, dass es auf diejenigen ausgerichtet ist, die durch den Alkoholkonsum einer anderen Person in Mitleidenschaft gezogen werden.

Schließlich fand ich, wonach ich suchte. Ich begann zu sehen, zu verstehen und mich zu verändern. Mein Leben funktionierte nach und nach wieder. Schon bald leitete ich eine weitere Gruppe für Co-Abhängige in einem anderen Behandlungszentrum in Minnesota. Und dieses Mal hatte ich eine vage Vorstellung von dem, was ich tat.

Ich empfand Co-Abhängige nach wie vor als feindselig, kontrollsüchtig, manipulativ und unaufrichtig. Ich sah noch immer all die eigenartigen Persönlichkeitsveränderungen, die ich zuvor beobachtet hatte. Aber ich blickte tiefer.

Ich sah Menschen, die feindselig waren. Sie hatten so viel Schmerz erfahren, dass Feindseligkeit ihr einziger Schutz davor war, erneut verletzt zu werden. Sie waren so wütend, weil jeder, der erduldet hatte, was sie erduldet hatten, so wütend wäre.

Sie waren kontrollsüchtig, weil alles in ihnen und um sie herum außer Kontrolle war. Ständig drohte der Damm ihres Lebens und des Lebens der Menschen, die sie umgaben, zu brechen, mit negativen Folgen für alle. Und außer ihnen schien dies niemand zu bemerken oder zu interessieren.

Ich sah Menschen, die manipulierten, weil Manipulation die einzige Möglichkeit zu sein schien, irgendetwas geregelt zu kriegen. Ich arbeitete mit Menschen, die unehrlich waren, weil die Systeme, in denen sie lebten, Ehrlichkeit nicht tolerieren konnten.

Ich arbeitete mit Menschen, die dachten, sie würden verrückt werden, weil sie so vielen Lügen geglaubt hatten, dass sie nicht mehr wussten, was wahr war.

Ich sah Menschen, die so sehr von Problemen anderer eingenommen waren, dass sie keine Zeit hatten, ihre eigenen zu erkennen oder zu lösen. Diese Menschen hatten sich so stark und oft destruktiv um andere gekümmert, dass sie vergaßen, sich um sich selbst zu kümmern. Die Co-Abhängigen fühlten sich für so vieles verantwortlich, weil die Menschen um sie herum sich für so wenig verantwortlich fühlten; sie sprangen einfach für diese ein.

Ich sah verletzte, verwirrte Menschen, die Trost, Verständnis und Informationen brauchten. Ich sah Opfer des Alkoholismus, die nicht tranken, aber dennoch dem Alkohol ausgeliefert waren. Ich sah Menschen, die verzweifelt darum kämpften, eine gewisse Macht über die Verursacher ihrer Co-Abhängigkeit zu erlangen. Sie lernten von mir, und ich lernte von ihnen.

Schon bald begann ich, mir einige neue Überzeugungen in puncto Co-Abhängigkeit zu eigen zu machen. Co-Abhängige sind nicht verrückter oder kränker als Alkoholiker, leiden aber genauso oder sogar noch mehr. Sie sind nicht die Einzigen, die unerträgliche Qualen leiden, aber sie durchleben ihren Schmerz ohne die betäubende Wirkung von Alkohol oder anderen Drogen und ohne die anderen Rauschzustände, in die sich Suchtkranke begeben. Und der Schmerz, der daher rührt, dass man jemanden liebt, der in Schwierigkeiten steckt, kann gewaltig sein.

»Der substanzabhängige Partner betäubt die Gefühle, und der nicht Drogenabhängige krümmt sich vor Schmerz – der nur durch Wut und gelegentliche Fantasien gelindert wird«, schrieb Janet Geringer Woititz in einem Artikel des Buches Co-Dependency, An Ermerging Issue.1

Co-Abhängige sind insofern nüchtern, als sie bei dem, was sie durchgemacht haben, nüchtern waren.

Kein Wunder also, dass Co-Abhängige so verrückt sind. Wer wäre das nicht, wenn er mit den Menschen zusammengelebt hätte, mit denen sie zusammengelebt haben?

Für Co-Abhängige war und ist es nach wie vor nicht leicht, die Informationen und die praktische Hilfe zu erhalten, die sie brauchten und verdienten. Es ist schon schwer genug, Alkoholiker oder Menschen, die mit anderen Krankheiten zu kämpfen haben, davon zu überzeugen, sich Hilfe zu suchen. Noch schwieriger ist es, Menschen, die mit Co-Abhängigkeit kämpfen – diejenigen, die im Vergleich mit den Suchtkranken »normal« wirken, sich aber nicht so fühlen –, davon zu überzeugen, dass sie Probleme haben.

Co-Abhängige litten im Schatten des Suchtkranken. Wurden sie wieder gesund, taten sie auch das im Hintergrund. Manchmal wurden Co-Abhängigen Vorwürfe gemacht, manchmal wurden sie ignoriert, manchmal erwartete man von ihnen, dass sie auf magische Weise genesen würden (eine längst überholte Einstellung, da dies weder beim Alkoholismus noch bei Co-Abhängigkeit funktioniert). Nur selten wurden Co-Abhängige als Individuen behandelt, die Hilfe brauchten, um wieder gesund zu werden. Nur selten erhielten sie ein auf ihre Probleme und ihren Schmerz abgestimmtes Therapieprogramm. Doch naturgemäß machen die Alkoholsucht und andere Abhängigkeiten alle durch die Krankheit in Mitleidenschaft Gezogenen zu Opfern – Menschen, die Hilfe brauchen, selbst wenn sie nicht trinken, keine anderen Drogen nehmen, weder spiel- noch esssüchtig sind oder unter einer Zwangsstörung leiden.

Deswegen habe ich dieses Buch geschrieben. Es entstand aus meinen Recherchen, meinen persönlichen und beruflichen Erfahrungen und meiner Leidenschaft für das Thema. Es ist Ausdruck meiner persönlichen und an manchen Stellen voreingenommenen Meinung.

Ich bin keine Expertin, und dies ist kein Fachbuch für Experten. Ob die Person, durch die du dich hast in Mitleidenschaft ziehen lassen, mit Drogenmissbrauch, Spielsucht, Essstörungen oder Sexsucht kämpft; ob es sich um einen rebellischen Teenager, einen neurotischen Elternteil, einen anderen Co-Abhängigen oder eine Kombination aus alldem handelt, dieses Buch ist für euch, die Co-Abhängigen.

Dieses Buch handelt nicht davon, wie du der anderen Person helfen kannst, obwohl auch deren Chance, zu genesen, größer ist, wenn du dich wieder besser fühlst.2 In diesem Buch geht es um deine wichtigste und wahrscheinlich am meisten vernachlässigte Aufgabe: dich um dich selbst zu kümmern. Es geht darum, was du tun kannst, um dich besser zu fühlen.

Ich habe einige der besten, hilfreichsten Informationen über Co-Abhängigkeit zusammengestellt. Ich habe auch Zitate und Geschichten in dieses Buch mit aufgenommen, um zu zeigen, wie andere Menschen mit echten Co-Abhängigkeits-Problemen fertiggeworden sind. Ich habe zwar Namen und gewisse Details geändert, um die Privatsphäre zu schützen, doch alle Geschichten sind wahr.

Scott Egleston, ein Freund und Experte im Bereich psychischer Gesundheit, erzählte mir eine Therapiefabel. Er hatte sie von jemandem gehört, der sie wiederum von jemand anderem gehört hatte. Sie lautet:

Es war einmal eine Frau, die sich zu einer Höhle in den Bergen begab, um bei einem Guru zu studieren. Sie wollte, wie sie sagte, alles lernen, was es zu wissen gab. Der Guru versorgte sie mit Stapeln von Büchern und ließ sie dann allein, damit sie studieren konnte. Jeden Morgen kehrte der Guru zu der Höhle zurück, um die Fortschritte der Frau zu überprüfen. In der Hand hielt er einen schweren Holzstock. Jeden Morgen stellte er ihr die gleiche Frage: »Hast du schon alles gelernt, was es zu wissen gibt?« Jeden Morgen gab sie ihm die gleiche Antwort: »Nein, habe ich nicht.« Daraufhin schlug der Guru ihr mit dem Stock auf den Kopf.

Dieses Szenario wiederholte sich monatelang. Eines Tages betrat der Guru die Höhle, stellte die gleiche Frage, hörte die gleiche Antwort und hob den Stock, um die Frau wie immer zu schlagen, doch diese entriss ihm den Stock und verhinderte so seinen Angriff.

Die Frau, die erleichtert war, den täglichen Misshandlungen ein Ende gesetzt zu haben, aber Angst vor Vergeltung hatte, sah den Guru an. Zu ihrer Überraschung lächelte dieser. »Glückwunsch«, sagte er, »du hast dein Studium abgeschlossen. Du weißt jetzt alles, was du wissen musst.«

»Wie das?«, fragte die Frau.

»Du hast gelernt, dass du nie alles lernen wirst, was es zu wissen gibt«, erwiderte er. »Und du hast gelernt, wie du dem Schmerz ein Ende setzen kannst.«

Genau darum geht es in diesem Buch: dem Schmerz ein Ende zu setzen und die Kontrolle über dein Leben zu gewinnen.

Viele Menschen haben das gelernt. Und auch du kannst es lernen.

Teil I Was ist Co-Abhängigkeit, und wer ist davon betroffen?

1 Meine Geschichte

Die Sonne schien, und es war ein wunderschöner Tag, als ich ihn kennenlernte.Dann lief alles aus dem Ruder.

Melody, verheiratet mit einem Alkoholiker

Als wir uns kennenlernten, hatte ich seit zwei Jahren keinen Alkohol mehr getrunken und auch keine anderen Drogen genommen. Ich arbeitete als Sekretärin in einer angesehenen Anwaltskanzlei in Minneapolis und besuchte gleichzeitig Kurse an der University of Minnesota, um Suchtberaterin zu werden. Wir waren einander durch meinen Sponsor bei den Anonymen Alkoholikern (AA) vorgestellt worden. Ich war begeistert.

David war alles, was ich mir hätte erhoffen können, und mehr als das. Er war 1,92 Meter groß, sah gut aus, war intelligent, belesen und lustig. Er gehörte der Gründungsfamilie eines großen therapeutischen Gemeinde-/Rehazentrums in Minneapolis an (nicht das Rehazentrum, in dem ich gewesen war) und leitete es. Da er mit Richtern und einflussreichen Persönlichkeiten verkehrte, war er oft in der Zeitung. Sein Aufgabenbereich war die Diversionsberatung, d. h., er half Menschen, sich einer Behandlung zu unterziehen, anstatt wegen Straftaten, die mit Drogenmissbrauch sowohl vor als auch nach der Verurteilung zusammenhingen, eine Gefängnisstrafe abzusitzen. Diese Arbeit war aufregend und neu. Als Gesellschaft begannen wir gerade erst, die Tragweite und Auswirkungen des Drogenmissbrauchs zu erkennen – und ehrlich damit umzugehen.

Alle liebten David: die Menschen, denen er half, die Richter, seine Freunde und seine Familie. Schon bald liebte auch ich ihn. Inzwischen war es mit mir bergauf gegangen – emotional und finanziell. Ich war meinem Genesungsprogramm streng gefolgt, und dieser Prozess bedeutete mir alles. David war schon fünf Jahre länger abstinent als ich, obwohl er nicht zu den Anonymen Alkoholikern ging. Er sagte, dass er mit der therapeutischen Gemeinschaft, in der er arbeite, einen anderen Weg gefunden habe, trocken zu bleiben. Da er mit genesenden Suchtkranken arbeitete und so sehr respektiert und geliebt wurde, glaubte ich ihm.

Unsere Beziehung entwickelte sich schnell. Er zog zu mir in meine kleine Zweizimmerwohnung. Da wir beide arbeiteten – David oft an Abenden, Wochenenden und Feiertagen –, war unsere gemeinsame Zeit begrenzt und kostbar. Ich war mit meinem Studium beschäftigt, arbeitete in der Anwaltskanzlei und ging zu den Meetings der AA.

Sechs Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten, heirateten wir in Sioux Falls, South Dakota. Ich hatte mich riesig auf die Feier gefreut, aber das Ganze fühlte sich … nicht gut an. Eigentlich wollten wir in South Dakota bleiben und dort unsere Flitterwochen verbringen, doch David änderte in letzter Minute die Pläne und wollte sofort nach Minneapolis zurückkehren, um für seinen Bruder Jim bei einer Theaterproduktion einzuspringen. (Er und Jim arbeiteten beide im Theater, im Boxsport und im Bereich Rehabilitation.) Ich fragte, ob er wolle, dass ich zur Aufführung komme. Er sagte Nein. Als David nach der Show zurück in die Wohnung kam – unsere erste Nacht zu Hause als verheiratetes Paar –, erzählte er mir, sein Vater habe einen Schlaganfall erlitten und sei am Abend gestorben. Er müsse ins Krankenhaus fahren, bei seinen Brüdern sein und Dinge regeln.

Ich fragte, ob er wolle, dass ich mitkomme. Er sagte Nein. Am nächsten Morgen um halb sieben tauchte er wieder zu Hause auf und erklärte, er habe beschlossen, mit seinen Freunden Karten zu spielen, um sich von dem Verlust abzulenken. Ich war die ganze Nacht aufgeblieben, hatte geweint und auf eine Nachricht von ihm gewartet. David ging ruhelos auf und ab. Seine riesige Gestalt füllte die kleine Wohnung und ragte über mir auf, während ich auf dem Sofa saß und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie verzweifelt ich war.

»Ich habe viel riskiert, als ich dich geheiratet habe«, sagte er missmutig. »Du bist erst seit zwei Jahren trocken, du bist noch nicht gefestigt, wenn es um Abstinenz geht. Das ist alles neu für dich. Enttäusch mich nicht. Lass mich meine Entscheidung nicht bereuen.«

Seine Worte trafen ins Schwarze. Die Wahrheit war, dass ich nichts über die Ehe und noch weniger über die Liebe wusste. Meine Mutter war achtmal verheiratet gewesen. Keine ihrer Ehen hatte länger als zwei Jahre gehalten. Sie war eine aggressive, fordernde, kontrollsüchtige – leidende – Frau, die mit sieben Brüdern, von denen zwei später des Kindesmissbrauchs angeklagt wurden und im Gefängnis landeten, auf einem Bauernhof aufgewachsen war. Ich war das jüngste ihrer vier Kinder; zwischen dem dritten Kind und mir lagen zehn Jahre. Mom hatte den Vater meiner drei älteren Geschwister, als diese noch klein waren, ins Krankenhaus einweisen lassen und sich dann von ihm scheiden lassen. Jahre später, als sie mit mir schwanger war, heiratete sie meinen Vater. Ihr Lieblingsspruch? »Ich hätte dich abtreiben sollen, als es noch möglich war.«

Verletzte Menschen verletzen Menschen, manchmal sogar ihre Kinder.

Alle Kinder in meiner Familie, ich selbst eingeschlossen, hauten von zu Hause ab, sobald sie konnten. Mom schrie ständig. Schreiend und brüllend betrat sie ein Zimmer und verließ es auf die gleiche Weise. Ablehnend, anklagend, vorwurfsvoll und gnadenlos schlug sie meine Geschwister. Ich erinnere mich noch heute daran, dass ich mich hinter einem Stuhl versteckte, als ich noch sehr klein war, und beobachtete, wie sie meinen 13-jährigen Bruder gegen die Wand drückte. Sie hielt ihn mit einer Hand an den Haaren fest und schlug ihm mit einem schweren Holzlöffel ins Gesicht. Immer wieder. Ein Schlag nach dem anderen. Da ich Herzprobleme hatte, bekam ich keine Prügel, es sei denn, Mom forderte den Stiefvater des Jahres auf, mich zu bestrafen. Der tat dann, was immer er wollte. Du wirst noch vor mir aus diesem Haus verschwunden sein, dachte ich, während ich darauf wartete, dass er mein Zimmer verließ.

Mit elf Jahren begann ich, mich mit Alkohol zu betäuben. Mein Bruder und ich konsumierten nach und nach den gesamten Alkohol, den Mom für die Männer, die sie einlud, unter der Spüle aufbewahrte. (Mom trank nicht und nahm auch kaum jemals eine Schmerztablette, wenn sie Kopfschmerzen hatte.) Ich hakte in einem großen Kalender, den ich unter meiner Matratze aufbewahrte, die Tage bis zu meinem 18. Geburtstag ab.

An der privaten Highschool, die ich besuchte, glänzte ich – ich lernte, 150 Wörter pro Minute zu tippen, zu stenografieren und Fremdsprachen zu sprechen. Ich entdeckte auch meine Leidenschaft fürs Schreiben, als ich für die Schülerzeitung arbeitete – die jüngste Schülerin, die jemals daran mitwirkte. Doch ich hatte überhaupt kein Sozialleben. Seit ich mit vier Jahren auf der Straße, in der ich wohnte, von einem Fremden entführt und belästigt worden war, hatte meine Mutter mir keines mehr erlaubt. Es war ihre Art, mich zu beschützen.

Mein Vater hatte uns verlassen, als ich zwei war. Er war ein talentierter und äußerst kreativer Musiker und arbeitete als Feuerwehrmann. Außerdem war er Alkoholiker. Ich kann mich nicht mehr genau an die vernichtenden Worte erinnern, die er an dem Abend, an dem er für immer verschwand, im betrunkenen Zustand murmelnd von sich gab, doch sie hinterließen bei mir tiefgreifende unbewusste Schuld- und Schamgefühle, ja, gaben mir das Gefühl, dass es mein Fehler war, dass ich keinen Vater hatte, der mich liebte.

Es hätte mich nicht überraschen sollen, dass ich keine Ahnung hatte, wie es war, verheiratet zu sein, wie man eine gute Ehe führte oder wie eine gute Ehe überhaupt aussah. Bis ich 18 war und zu Hause auszog, durfte ich mit niemandem ausgehen und keine Freunde haben. Schon bald nach meinem Auszug stolperte ich in meine erste echte Beziehung. Mein Freund war zehn Jahre älter als ich und dealte mit Marihuana und Pillen. (Später wurde er clean und gründete in Minneapolis eine Gruppe der Narcotics Anonymous.) Zwei Jahre später verließ ich ihn für einen Betäubungsmittel-Dealer, einen reichen Jungen aus der Vorstadt, der noch bei seinen vornehmen Eltern in einem vornehmen Haus wohnte. Dann stellte ich fest, dass ich schwanger war.

Ich wollte das Baby bekommen und zur Adoption freigeben. Mein Freund sagte, er habe eine Familie gefunden. Doch dann erfuhr ich, dass er von diesen Leuten nur eines wusste: dass sie bereit waren, ihm 20 000 Dollar für das Baby zu bezahlen. Dem schob ich einen Riegel vor; nie und nimmer würde ich es zulassen, dass er unser Baby verkaufte. Nach Johns Geburt wohnten mein Freund und ich ein paar Monate lang zusammen. Wir besorgten uns eine Heiratserlaubnis, die ich nach weniger als 24 Stunden zerriss. Ich war aufgrund meiner Sucht nicht hundertprozentig zurechnungsfähig, wusste aber trotzdem, dass diese Ehe niemals funktionieren würde.

Doch wenn wir nicht heirateten, würde John für den Rest seines Lebens als »unehelich« abgestempelt sein. Ich klebte die Heiratserlaubnis also wieder zusammen, und eine Woche später heirateten wir.

Inzwischen arbeitete ich als Anwaltssekretärin, um unsere finanzielle Situation zu verbessern. Die Kanzlei, für die ich tätig war, vertrat eine neue Klinik innerhalb des Mount-Sinai-Komplexes, der um 1970 eröffnet wurde. Eines Tages spazierte ich in das Büro meines Chefs und schloss die Tür hinter mir. »Ich bin suchtkrank«, sagte ich ihm. »In den Kaffeepausen spritze ich mir Dilaudid. Können Sie meinem Mann und mir bitte helfen, in das Methadonprogramm aufgenommen zu werden?«, fragte ich. Methadon ist ein Opioid-Ersatz, den Süchtige statt Drogen einnehmen. »Bitte. Die Warteliste ist lang, und wir können nicht warten.«

Er überlegte einen Moment und erklärte sich dann einverstanden. Am nächsten Tag wurden wir ins Methadonprogramm aufgenommen. Doch ich verlor meinen Job. Die Kanzlei konnte es sich nicht leisten, eine Drogenabhängige auf ihrer Gehaltsliste zu haben.

Nur einen Monat später war meine erste Ehe am Ende. Mein Mann nahm unser Baby und zog zurück zu seinen Eltern. Tief in meinem Herzen wusste ich, dass ich das Kind nicht großziehen konnte. Ich wusste auch, dass ich es auf keinen Fall meiner Mutter überlassen durfte. Soweit es unter diesen Umständen überhaupt möglich war, Frieden zu finden, war es wohl das einzig Richtige, John bei seinen Großeltern väterlicherseits aufwachsen zu lassen. Nachdem ich diese Entscheidung getroffen hatte, war ich jedoch völlig am Ende. Etwa ein Jahr lang tauchte ich in die Dunkelheit ab, gab mich völlig dem Vergessen hin. Die Folge war ein Gerichtsurteil, mich in Behandlung zu begeben, und die Warnung, dass schon ein kleiner Strafzettel zu einem Gefängnisaufenthalt führen würde.

Jetzt, fünf Jahre später, versuchte ich, meine Ehe mit David in Ordnung zu bringen. Vielleicht war ja alles, was uns passierte, normal. Vielleicht war ja auch dieses überwältigende Durcheinander von Gefühlen im Bauch normal. Mein Sponsor war der Meinung, dass David und ich ein Traumpaar seien. Ich war mir da nicht so sicher. Ich wollte, dass es funktionierte. Es musste funktionieren. Ich hoffte, dass unsere Ehe nicht nur gut für uns wäre, sondern auch andere inspirieren würde.

Meine Seele und mein Selbstwertgefühl konnten keine weitere Scheidung verkraften. Eines Tages fragte ich eine Frau in meinem Alter, die seit zwölf Jahren mit einem anderen Mitgründer des Rehabilitationsprogramms, für das David arbeitete, verheiratet war: »Wie bleibt man verheiratet und wird nicht geschieden?« Sie und ihr Mann schienen sehr verliebt zu sein; ihre Ehe funktionierte.

»Lass dich einfach nie scheiden«, sagte sie. »Egal, was passiert.«

Klingt gar nicht so schwer, dachte ich.

Einen Monat nachdem David und ich geheiratet hatten, wurde ich schwanger mit unserer Tochter Nichole. Die Schwangerschaft inspirierte mich, meinen Traum, als Suchtberaterin zu arbeiten, in die Tat umzusetzen. Ich wollte anderen helfen, so wie mein Sponsor mir geholfen hatte, mein Leben zu verändern, und bewarb mich bei sämtlichen Suchtbehandlungszentren in Minnesota, die Personal suchten.

Mitte der 1970er-Jahre gab es in den Behandlungszentren, abgesehen von Büroarbeit, nicht viele offene Stellen für Frauen. Nachdem bei keinem der vielen Vorstellungsgespräche, zu denen ich eingeladen wurde, etwas herausgekommen war und ich mich der Verzweiflung hingegeben hatte, kam David eines Tages von der Arbeit nach Hause und sagte, sein Rehazentrum habe beschlossen, mich einzustellen. »Es ist ein Bürojob; er umfasst die Zusammenarbeit mit dem Vorstand«, erklärte er. »Aber vielleicht tut sich irgendwann später etwas anderes auf.«

Ich nahm den Job an.

David und ich zogen in eine größere Wohnung in Edina. Ich arbeitete, bis Nichole zur Welt kam.

David schien sich riesig über die Kleine zu freuen, obwohl er die ganze Zeit arbeitete und beruflich viel unterwegs war.

Drei Wochen nach Nicholes Geburt war ich mit ihr und David zu Hause, als die Toilettenspülung nicht aufhörte zu laufen. Ich ging ins Badezimmer und rüttele ein paarmal am Spülkastengriff. Das half nicht. Schließlich entfernte ich den Deckel des Spülkastens.

Wie in einem schlechten Film steckte darin eine Flasche Wodka.

David trank? Ich konnte es kaum fassen; das war mir nie in den Sinn gekommen. Niemals. Keine Sekunde lang.

Als ich David später zur Rede stellte, drohte ich damit, ihn zu verlassen. Aber wo sollte ich hin mit einem drei Wochen alten Baby? Er versicherte mir, der Wodka sei ein Ausrutscher gewesen; es würde nicht wieder vorkommen. Sein älterer Bruder kam vorbei und redete mir gut zu – flehte mich an –, David noch eine Chance zu geben.

Es kam mir merkwürdig vor, dass ich die Einzige von uns dreien war, die Davids Alkoholkonsum für ein Problem hielt. Ich wusste, dass es nicht klug war, mit jemandem, der trank, zusammenzubleiben, wenn ich selbst nicht rückfällig werden wollte.

Doch ich blieb.

Zu dieser Zeit zog unsere kleine Familie in ein Haus auf der Pleasant Avenue in South Minneapolis. Meine Mutter hatte uns das Geld für eine Anzahlung geliehen. Das Haus war völlig heruntergekommen. Es war vorher eine Mietimmobilie gewesen und man hatte sich offenbar seit Jahren nicht mehr darum gekümmert. Ich fand schnell heraus, dass David keinerlei handwerkliche Fertigkeiten besaß. Also lernte ich selbst, Wände auszubessern und zu streichen; schmirgelte und lackierte die Böden neu. Ich reparierte ein riesiges Loch in der Badezimmerwand, das bis nach draußen reichte. Ich sorgte dafür, dass die Küche hübsch und einladend aussah, verwandelte das Haus in ein warmes, gemütliches Zuhause.

Bei der Arbeit wurde ich befördert. Um Bundesmittel zu erhalten, musste das Rehazentrum, in dem ich arbeitete, Gruppen für Angehörige von Drogenkonsumenten finanzieren.

»Wir wollen, dass du diese Gruppe organisierst und leitest«, sagte David. »Für die Familien.«

Grauenhafte Vorstellungen davon, mit Frauen wie meiner Mutter arbeiten zu müssen, gingen mir durch den Kopf. Während AA uns Tür und Herz geöffnet hatte, nahmen die meisten jüngeren Leute im Programm nicht an den Al-Anon-Meetings teil. Ich betrachtete das Ganze eher als Programm für ältere katholische Frauen.

»Ich weiß nicht, was ich mit … denen machen soll«, erwiderte ich.

»Wir auch nicht«, sagte David. »Deswegen kriegst du den Job.«

Ich war nicht gerade begeistert. Ich wollte mit den Drogenabhängigen arbeiten, den Menschen mit dem echten Problem. Nicht mit den »Angehörigen«, um die sich niemand kümmerte, weder andere noch sie selbst.