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Gerade aus der Haft entlassen, pleite und hungrig, bricht der junge Ex-Stricher Tristan in ein scheinbar leeres Haus ein - und läuft ausgerechnet dem attraktiven Polizisten Mark in die Arme. Nach dieser unerfreulichen Begegnung bietet Mark ihm einen Handel an, den Tristan nicht ausschlagen kann - und plötzlich verändert sich sein Leben rasend schnell. Zwischen der Hoffnung, endlich in einem besseren Leben anzukommen und dem Kampf gegen die Dämonen seiner Vergangenheit, sehnt sich Tristan nach Mark. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr verliebt er sich in Mister Perfekt. Doch der Polizist darf das auf keinen Fall erfahren, denn Tristan ist sich sicher - Mark empfindet für jemanden mit seiner Vergangenheit nichts als Mitleid. Während Tristan im Sturm, wie ein Schmetterling unter einem starken Baum, Marks Nähe sucht, fragt er sich, was es mit den widersprüchlichen Signalen auf sich hat, die der aussendet.
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Schmetterlingsliebe
Gay Romance von Alice Camden
Wenn dir die Liebe Flügel schenkt -
aber die Angst dich nicht fliegen lässt
Gerade aus der Haft entlassen, pleite und hungrig, bricht der junge Ex-Stricher Tristan in ein scheinbar leeres Haus ein - und läuft ausgerechnet dem attraktiven Polizisten Mark in die Arme.
Nach dieser unerfreulichen Begegnung bietet Mark ihm einen Handel an, den Tristan nicht ausschlagen kann - und plötzlich verändert sich sein Leben rasend schnell.
Zwischen der Hoffnung, endlich in einem besseren Leben anzukommen und dem Kampf gegen die Dämonen seiner Vergangenheit, sehnt sich Tristan nach Mark. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr verliebt er sich in Mister Perfekt. Doch der Polizist darf das auf keinen Fall erfahren, denn Tristan ist sich sicher - Mark empfindet für jemanden mit seiner Vergangenheit nichts als Mitleid.
Wie ein Schmetterling, der im Sturm Schutz unter einem starken Baum sucht, vertraut Tristan Mark mit jedem Tag mehr. Doch warum sendet der lässige Polizist widersprüchliche Signale aus?
Danksagungen:
Vielen Dank an meine Beta-Leser/innen: Florentina Hellmas, Aina, Simone
& die Facebook-Beta-Leser-Gruppe! Vielen Dank für eure Hilfe!
Copyright Text © Alice Camden 2017
Korrektorat: Florentina Hellmas [email protected]
Coverdesign: Timo Hollenfels & Alice Camden
https://coveredbydesign.wordpress.com/
Unter Verwendung von Bildmaterial von: Vintage Schmetterling: Shutterstock, Urheber: Dark Moon Pictures Paar: Shutterstock, Urheber: Rawpixel.com
Alle Rechte vorbehalten
Kontakt: Alice Camden
c/o Hug Landsweiler-Heiligenwald
Wiebelskircher Straße 4 66587 Schiffweiler
Anmerkungen Alle Personen und Unternehmen sind in meinem Kopf entstanden und somit frei erfunden. Am Ende des Buches, ist die Bonus-Geschichte: Der Weihnachtself zu finden. Eine kleine Episode aus Tristans & Jonathans Kindheit.
Unvermittelt zuckte Tristan zusammen. Aus den Augenwinkeln konnte er ihn erkennen - den Nachtfalter, dessen zarte Flügel sein Ohr gestreift hatten. Schon verschmolzen die Umrisse des Schmetterlings mit der Dunkelheit. Erleichtert atmete Tristan aus und sah sich um. Alles still, niemand unterwegs.
Dieser Einbruch würde leichter, als einem Kind den Lutscher zu klauen, da war er sich sicher. Lautlos übersprang er den Zaun und blickte prüfend zu den Häusern in der Nachbarschaft. Ein milder Wind wehte durch die Märznacht und streichelte sanft über Tristans Wange, beruhigte ihn. Bestens! Nicht einmal eine Katze war zu sehen.
Im Schutz der Dunkelheit schlich er über den Rasen zur Hauswand, tastete sich behutsam weiter und betrat die hölzerne Terrasse.
Laut knarrte der Boden unter seinen Füßen. Fuck! Ganz vorsichtig schob er einen Fuß vor den anderen und blieb vor der gläsernen Terrassentür stehen. Mit zitternden Händen setzte er den Schraubenzieher an. Spürbar pochte die Aufregung in seinen Schläfen. Schauer der Anspannung zuckten durch seinen Körper. Endlich war es zu hören - das vertraute Plopp mit dem die Tür aufsprang.
Na, das war ja fast schon zu einfach gewesen. Wachsam schlich Tristan in das angrenzende Wohnzimmer. Ebenso gut hätte er durch die Haustür spazieren können. Nein, jetzt bloß nicht übermütig werden! Auch ein leeres Haus konnte Gefahr bedeuten. Vielleicht hatte die Oma eine Alarmanlage? Ach was, die wäre längst losgegangen!
Oma Birne wohnte doch ohnehin ganz alleine hier. Vor drei Tagen war sie mit dem Krankenwagen weggebracht worden, er hatte es zufällig gesehen. Dies würde wirklich der einfachste Bruch seines Lebens werden, so viel stand fest.
Vor der Glasvitrine blieb er stehen und starrte einen Moment mit großen Augen hinein. Da war der Schatz, den er heben wollte: Drei Regale voller Eier, die im schwachen Mondlicht glitzerten und blinkten. Große, kleine, manche von ihnen waren aus geschliffenem Glas gefertigt, viele aus Porzellan oder sogar Holz. Alle waren reich geschmückt und verziert mit Gold und Silbermustern. Wann hatte er diese Eier eigentlich zum ersten Mal gesehen? Das war so lange her. Für einen Augenblick schob sich Wehmut durch Tristans Körper.
Damals hatte er mit seinen Bruder Jonathan auf dem Sportplatz in der Nähe gekickt und war hingefallen, hatte sich das Knie aufgeschlagen. Die Bewohnerin dieses Hauses konnte alles von ihrem Küchenfenster aus sehen. Besorgt war sie zu ihnen gelaufen und hatte gefragt, ob es dem kleinen Fünfjährigen, der er damals war, gut ginge. Das hatte Tristan wirklich gewundert. Erwachsene fragten nie, wie es ihm ging. Im Grunde fragte doch niemand außer Jonathan jemals nach ihm. Aber die Oma hatte ihn ausgiebig für seine Tapferkeit gelobt und das blutende Knie in ihrem Badezimmer versorgt. Als sie schließlich in der Küche verschwunden war, um Kakao für ihn und seinen Bruder zu kochen, hatte Tristan mit großen Augen vor dieser Vitrine gestanden.
„Schau mal Jonathan, die Oma hat ganz viele Ostereier. Aber jetzt ist doch gar nicht Ostern?“
„Nicht Trissi! Fass die bloß nicht an. Das sind solche Eier, die sie im Fernsehen manchmal zeigen. Die sind ganz viel Geld wert. Lass die Finger von denen!“
Aber jetzt war Jonathan nicht hier, um ihn zu warnen. Für einen Augenblick fühlte Tristan sich unendlich einsam. Behutsam strich er mit den Fingerspitzen über das kühle Glas der Vitrine.
Ob er der Oma Birne ein paar Eier dalassen sollte? So könnte sie weiterhin einige der kleinen Schmuckstücke bewundern, während er für den Rest des Jahres seine Miete zahlen konnte und einen vollen Kühlschrank hatte. Hey, vielleicht war das hier der letzte Bruch für dieses Jahr! Voller Vorfreude setzte er den Schraubenzieher erneut an.
Das leise Klicken ließ ihn erstarren. Der Gegenstand, der sich jetzt in seinen Hinterkopf bohrte, trieb ihm den kalten Schweiß auf die Haut. Verdammt! Eine Waffe! Eine Waffe, die gerade entsichert worden war. Eiskalt kroch der Schock durch Tristans Adern, seine Glieder zuckten unkontrolliert. Langsam hob er seine Hände.
„So ist es brav!“ Tief und bedrohlich erklang eine männliche Stimme in seinem Rücken. „Jetzt machst du zwei Schritte von der Vitrine weg und kniest dich auf den Boden, die Arme über dem Kopf verschränkt!“
Der Befehl setzte Tristans Glieder wie von selbst in Bewegung. Langsam kniete er sich auf den staubigen Teppich und verengte die Augen zu Schlitzen, doch im Halbdunkel des Raumes blieb der Mann nur ein Schatten. Plötzlich fiel grelles Licht in Tristans Augen und ließ ihn blinzeln. Als er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, konnte er endlich ausmachen, wer ihn überrascht hatte.
Vor ihm stand ein großer Mann in T-Shirt und Jogginghose. Tristan schätzte ihn auf Mitte oder Ende 20. Er war barfuß, sein dunkles Haar war etwas wirr, als hätte er eben noch im Bett gelegen, und ein leichter Bartschatten war zu erkennen. Sicher kein zweiter Einbrecher, der hier ebenfalls einfache Beute vermutete, dachte Tristan verwirrt. Denn der Typ hatte ohne Zweifel gerade noch geschlafen.
„Zieh dich aus!“, befahl der Mann mit der Waffe nun. „Ganz langsam, keine hektischen Bewegungen!“
Mit klammen Fingern zog Tristan seine schwarze Trainingsjacke und sein T-Shirt aus. Die dunkle Jeans folgte zuletzt. Der Mann ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.„Und jetzt - wirf alles in meine Richtung!“, befahl er mit drohendem Unterton.
Mit flinken Händen filzte er einen Augenblick später Tristans Kleidung. Schließlich hielt er einen kleinen, flachen Gegenstand aus Leder in die Luft und grinste breit.
„Ist das dein Ernst, Junge? Du bringst dein Portemonnaie mit zu einem Bruch?“ Er schnaufte und schüttete den Inhalt des Portemonnaies auf den Wohnzimmertisch.
Tristan schluckte mehrmals, doch der dicke Kloß in seinem Hals wollte sich einfach nicht lösen. Verflucht! Wie konnte dieser Bruch nur so dermaßen schiefgehen? Er hatte doch bloß die Eier gewollt! Wer braucht so ein überflüssiges Zeug überhaupt, während andere Menschen Hunger hatten?
„Tristan Buchmann, neunzehn Jahre alt, wohnhaft in der Luisenstraße.“
Der Mann las es laut vor, als wüsste Tristan nicht, wer er war und wo er wohnte. Idiot! Was ist los mit dem Typ? Der hätte doch längst die Bullen rufen können. Ein unbestimmtes Kribbeln breitete sich von Tristans Magen in seinem gesamten Körper aus. Schnell! Etwas musste ihm einfallen.
Er legte den Kopf zur Seite und betrachtete den jungen Mann in der Jogginghose genauer. Er war mindestens 1,85 Meter groß und muskulös. Sein dunkles, kurzes Haar rahmte ein schönes, männliches Gesicht ein. Mist, die Wahrscheinlichkeit, aus dieser Nummer heil rauszukommen, schwand sekündlich. Egal. Er musste es trotzdem versuchen. Jetzt konnte er nicht aufgeben!
Ohne die Arme nach unten zu nehmen, sagte Tristan: „Im Grunde ist doch gar nichts passiert. Ich habe nichts angefasst.“
Der Mann mit der Waffe riss die Augen auf, ein schiefes Grinsen bildete sich auf seinem Mund.
„Ach, ein Scherzkeks bist du auch? Aber egal, das ist bald nicht mehr mein Problem.“
Tristan seufzte resigniert. „Nicht die Bullen! Bitte, ruf nicht die Polizei! Ich mache auch alles, was du willst. Ehrlich. Ich blase dir einen, wenn du willst. Ich bin richtig gut. Du kannst ja dabei an deine Freundin denken. Nur, ruf bitte nicht die verdammten Bullen!“
Der Gesichtsausdruck des Mannes änderte sich schlagartig und Tristan war sich sicher, Ekel und Abscheu darin zu erkennen. Okay.Das war’s jetzt. Wenn der Typ kriminell ist, schießt er mir gleich das Hirn weg, wenn nicht, ruft er die Bullen, was ungefähr auf das Gleiche rauskommt.
Der Mann hatte sich inzwischen an einer schwarzen Jacke zu schaffen gemacht, die über der Lehne der Couch lag. Mit langsamen Schritten kam er auf Tristan zu und hielt mit einer Hand die Waffe auf ihn gerichtet, mit der anderen einen scheckkartengroßen Ausweis vor seine Nase. Verwirrt betrachtete Tristan den Ausweis und las:
„Mark Birnert“ Über dem Namen stand in großen Buchstaben:
„Polizeidienstausweis“
Shit! Kann sich bitte die Erde auftun und mich verschlingen? Ein Bulle? Er war bei einem Polizisten eingebrochen? Wie viel Pech konnte man eigentlich noch haben?
„Du siehst, dein großzügiges Angebot kam zu spät, Junge. Die verdammten Bullen sind schon hier.“ Der Gesichtsausdruck des Mannes war nicht einmal triumphierend. Tristan konnte ihn nicht deuten.
So ein Mist. Tristans Brust wurde eng, sein Atem noch schneller, Tränen der Wut stiegen in seinen Augen auf und er hasste sich dafür. Er hatte noch eine Chance, eine winzige vielleicht, aber er musste sie nutzen!
„Du… du bist der Sohn von Oma Birne?“ Verflucht, er konnte nur stottern.
„Enkel! Du kennst meine Oma Lotti und wolltest sie trotzdem beklauen? Widerlich!“
Jetzt rollten die Tränen doch über Tristans Wange. So elend und hoffnungslos war ihm zumute, dass ihm keine gute Geschichte einfallen wollte, wie er die Situation noch retten könnte. Einzig die Wahrheit bohrte ihren schmerzhaften Weg von seinem Hirn zum Mund.
„Die… die Oma Birne hat mir und meinem Bruder früher ab und zu Kakao gemacht und Schokolade gegeben. Damals habe ich die bunten Eier gesehen. Mein Bruder sagte, sie sind wertvoll. Na ja, sind sicher nicht die ganz Teuren, aber ... ich brauchte dringend Geld und habe im Netz nachgesehen, was das für Eier sind. Ich wollte doch nur ein paar nehmen.“
Der Polizist in der Jogginghose schnaufte verächtlich. „Och, nur ein paar? Wie freundlich von dir. Wenn meine Oma Lotti im Haus gewesen wäre, hättest du sie zu Tode erschreckt!“
„Nein, nein, ich wusste, sie ist nicht hier. Ich habe gesehen, wie sie vor ein paar Tagen mit dem Krankenwagen weggebracht wurde. Sie ist schon ziemlich alt, oder? Ich dachte mir, sie kommt nicht so schnell wieder.“
Tristans Stimme zitterte. Endlich ließ der große Mann die Waffe sinken.
„Glaubst du ernsthaft, ich habe Mitleid mit einem Typen wie dir, der nachts bei alten Omas einbricht und ihre Schätze klauen will? Sei nicht lächerlich, ich rufe jetzt …“
„Nein! Bitte nicht!“, unterbrach Tristan ihn flehend.
„Ah ja? Da ist wohl jemand auf Bewährung draußen?“ Es schwang kein Gefühl in seiner Stimme mit. Jetzt klang er wirklich wie ein Polizist. Tristan nickte heftig. „Seit wann bist du frei?“
„Seit drei Monaten. Bewährung geht noch fast zwei Jahre. Wenn sie mich jetzt dran kriegen, bin ich sofort wieder drin.“
„Und das mit Recht!“
„Bitte!“, flehte Tristan und war sich doch sicher, gerade seine letzten Minuten in Freiheit zu erleben.
Lange sah ihn der Mann an und Tristan fühlte, wie Hoffnung in ihm aufkeimte. Ja, er war hübsch anzusehen, das wusste er. Das einzig Brauchbare, das er und Jonathan je von ihrer Mutter bekommen hatten, waren schöne, zarte Gesichtszüge und naturblondes Haar. Für einen blonden Kerl waren seine braunen Augen ungewöhnlich. Die magische ein Meter achtzig Grenze hatte er nur knapp verpasst. Aber sein feingliedriger Körper passte gut zu einem mittelgroßen Jungen. Die Kunden hatten sein jungenhaftes Aussehen jedenfalls gemocht. Aber was nützte das bei einem Bullen, der mit Sicherheit auf Frauen stand?
„Keine Einstiche“, murmelte der Kerl und kam einen Schritt näher. „Du siehst auch nicht aus, als wärst du auf etwas drauf.“ Er beugte sich zu Tristan, um ihn in die Augen zu sehen. „Ungewöhnlich für einen Stricher.“
„Ich bin kein Stricher ... nicht mehr.“
„Das klang eben ganz anders.“
„Aber es ist die verdammte Wahrheit.“
„Klingt für mich aber nach einem Märchen.“
Tristan blickte dem Fremden in die Augen. „Ich hasse Drogen! Und wenn meine Bewährung nicht gerade auf dem Spiel steht, ist mein Körper auch nicht mehr für Geld zu haben. Das ist die Wahrheit, ob ein Bulle sie mir glaubt oder nicht.“
Der Mann trat einen Schritt zurück und neigte den Kopf zur Seite. Tristan schluckte erneut hart. Unaufhörlich tickten die Sekunden dahin, jeden Augenblick konnten die Kollegen dieses Typs anrücken. Verdammter Knast! Da gehe ich nie mehr hin! Sollen die mich doch erschießen. Nun hatte ihn die Verzweiflung vollkommen im Griff, schüttelte ihn, ließ ihn heftig zittern.
Plötzlich änderte sich der Gesichtsausdruck des Mannes. Unter einem Schnaufen warf er die Kleidung vor Tristans Füße. „Zieh dich an und steh auf!“
Nicht nachdenken! Nichts fragen. Hastig griff Tristan nach seinen Sachen. So schnell hatte er sich noch nie angezogen. Schwer atmend und zitternd vor Angst und Erwartung sah er zu dem Kerl.
„Hau ab!“, brummte der nur und zeigte mit dem Kinn in Richtung Terrassentür.
Verstört riss Tristan die Augen auf. Was? Hatte er sich verhört? „Hau ab, bevor ich es mir anders überlege!“
Rasend schnell verschwand Tristan durch die gleiche Tür, die er kurz zuvor aufgehebelt hatte. Atemlos hetzte er durch die Nacht. Weg von diesem Bullen! Am besten hielt er nie mehr an. Die Häuser und Autos flogen nur so an ihm vorbei, er nahm sie kaum wahr.
Nur zwanzig Minuten brauchte er in dieser Nacht für die ganze Strecke vom Haus von Oma Birne, bis zu der trostlosen Hochhaussiedlung, die seit drei Monaten seine Heimat war. Vor der Tür blieb er für einen Moment stehen und sah ängstlich über seine Schulter. Schließlich rannte er die Treppen hinauf, schloss mit klammen Fingern die Wohnungstür auf und eilte durch den viel zu großen Flur in sein Schlafzimmer. Verstört und erschöpft ließ er sich auf das Bett fallen.
Eine ganze Weile lag er dort, atmete nur. Gedanken quollen aus seinem Kopf, das Gefühl gleich von der Polizei abgeholt zu werden, lastete schwer auf seiner Brust. Panik ließ seinen Oberarm wild zucken. Dieser verdammte Bulle wusste, wo er wohnte! Er konnte ein böses Spiel mit ihm treiben und er konnte jederzeit doch noch seine Kollegen alarmieren!
Tristans Blick wanderte unruhig umher und fiel auf Hansi, den alten Teddy mit den vielen, kahlen Stellen im Fell. Ein Auge fehlte ihm. Der Bär saß an die Wand gelehnt auf dem Bett und starrte ihn aus seinem Glasauge neugierig an. Tristan hatte versucht, das Fehlende selbst aufzunähen, aber das X hatte aus Hansi einen Piratenbären gemacht. Dieser Teddy hatte einmal seinem Bruder gehört. Der Gedanke mischte das Gefühl von Einsamkeit unter Tristans Angst.
Fest bohrte er seine Nase in den struppigen Bauch und atmete ein. Der Bär roch nach einem längst vergessenen Traum von Heimat und ein bisschen nach seinem Bruder. Tristan drückte das alte Plüschtier fest an sich und strich sanft über die Stellen, an denen das Fell immer noch weich war.
„Du und ich gehen nicht wieder in den Knast, das verspreche ich dir!“
Unruhig rutschte Tristan auf dem Stuhl nach vorne. Der Mann hinter dem Schreibtisch sah irritiert auf.
„Ist alles okay?“ Er verengte die Augen zu Schlitzen und rückte seine schwarz umrandete Brille gerade.
„Klar. Alles bestens“, log Tristan.
Konnte dieser Termin bitte bald vorbei sein? Noch einmal wandte sich sein Bewährungshelfer dem Bildschirm zu, dann sah er auf und nickte beiläufig.
„Gut Herr Buchmann, haben sie noch Fragen?“
„Nein, alles geklärt.“ Fragen? Er wollte einfach hier raus! Hauptsache, der Polizist hatte ihn nicht verpfiffen - mehr musste er nicht wissen.
„Dann können Sie gehen. Wir sehen uns in zwei Wochen.“
Sein Bewährungshelfer ratterte den Satz tonlos herunter und Tristan war sich sicher, das Gleiche sagte er jeden Tag mehrmals zu seinen Ex-Häftlingen. Schnell stand er auf, eilte durch die kahlen Gänge und verließ das Verwaltungsgebäude.
Auf dem Weg nach Hause entspannten sich Tristans verkrampfte Glieder langsam. Vielleicht hatte der komische Bulle einfach einen Mutter-Theresa-Moment gehabt und ihn deshalb laufen lassen?
Gut. Er war also immer noch in Freiheit, seine Bewährung war scheinbar nicht bedroht. Aber abgesehen von einer Scheibe vergammeltem Käse, war in seinem Kühlschrank so viel Platz, dass ganze Pinguin-Familien dort Partys veranstalten konnten. Zum Glück kam heute Lars!
Tristan öffnete die Tür, warf seinen Rucksack in die Ecke und riss erneut die Kühlschranktür auf. Aber die gammelige Käsescheibe hatte sich nicht auf magische Weise vermehrt. Bedauerlich.
Der monotone Summton der Türklingel schreckte ihn auf. Lars war pünktlich? Wie ungewöhnlich. Tristan sprang zur Tür und öffnete sie mit einem Ruck. Ein junger Kerl im grauen Kapuzen-T-Shirt stand davor und grinste breit. Unter dem Arm hatte er ein gut verklebtes Paket verstaut und mit einer Hand schwang er triumphierend eine dünne Plastiktüte vor Tristans Nase, aus der es verführerisch roch. Döner!
„Ah! Mein Retter. Komm rein.“ Grinsend zeigte Tristan in den Flur.
Lars trabte an ihm vorbei, warf das Paket achtlos aufs Bett und legte die gefüllte Tüte auf den Tisch im Wohnraum.
„Bevor wir zum geschäftlichen Teil kommen, kannst du mich mal kurz retten.“
Mit der ausgestreckten Hand deutete er in seinen Schritt. Tristan legte den Kopf zur Seite und grinste. Lars war ein alter Freund seines Bruders und stockhetero, behauptete er zumindest. Aber jedes Mal, wenn er Stoff vorbeibrachte, war er für ein bisschen Spaß zu haben. Besser als nichts. Seit er aus dem Knast entlassen war, hatte Tristan kaum Kontakt zu anderen Menschen und schon gar keine Körperkontakte. Es konnte verdammt einsam werden, in dieser Wohnung, mit all den Gedanken, Ängsten und Hoffnungen. Und Lars, na, der hatte einen guten Grund niemand etwas über diese kleinen ... Unterhaltungen zu berichten. Seine Freundin! Tristan wollte auf keinen Fall wieder Kontakt zu den anderen aus der alten Clique. Lars reichte völlig aus. Blöd genug, dass er wieder etwas verticken musste. Wenn ich das Geld nicht brauchen würde! Seine Miete war auch schon zwei Monate im Rückstand.
Mit einem geschickten Griff öffnete Tristan Lars‘ Jeans und sank vor ihm in die Hocke. Mist! Der Typ ist eindeutig hetero. Ohne Stimulation ging bei dem gar nichts. Tristan sah nach oben und lächelte so charmant wie möglich. Mit einem Griff zog er Lars‘ Jeans nach unten und begann, seine Hoden mit einer Hand zu massieren. Mit der anderen strich er über den Schwanz, der sich ihm langsam entgegenstreckte. Diese Erektion, die dort vor ihm anschwoll, war wie ein Döner - Fast Food, dessen war sich Tristan bewusst. Aber wenn du wirklich Hunger hast, dann isst du alles, dachte er und seufzte
Für einen winzigen Augenblick blitzte ein ganz anderer Hunger in ihm auf. Sehnsucht nach etwas, das er nicht haben konnte, vielleicht? Nein, er brauchte diese Gedanken jetzt nicht! Mit Druck ließ er seine Hand an dem harten Schwanz auf und abgleiten. Dann hakte er seine gierigen Finger in den Gummizug von Lars Briefs und wollte sie herunterziehen, da läutete es erneut an der Tür. Tristan ignorierte das Geräusch. Seine Mahlzeit schwoll schon vor seinen Augen an und er wollte sie jetzt! Schon wieder erklang der summende Ton. Er seufzte. Ein lautes Klopfen mischte sich darunter.
„Fuck!“ Fluchend ließ er von seinem pochenden Ziel ab und kam in den Stand.
„Was geht?“, murmelte Lars und umfasste seinen Oberarm.
„Lass los! Ein Nachbar muss die Tür unten geöffnet haben. Ich bekomme Ärger, wenn jemand zu viel Lärm draußen macht“, schnaufte Tristan, ging zur Tür und sah prüfend durch den Spion. Ein eiskalter Schauer lief über seinen Rücken.
„Scheiße! Nimm das Zeug und hau ab! Sofort! Das sind die Bullen“, flüsterte er panisch in Richtung Wohnraum. Aber es regte sich nichts. „Verflucht, Lars! Hau jetzt ab! Ich mache gleich die Tür auf, dann renn einfach vorbei, okay? Ich glaube, er ist alleine und er hat es sowieso nur auf mich abgesehen.“
Jetzt endlich hörte er ein Rascheln hinter sich. Dann klopfte es erneut laut an der Tür. Tristan zählte bis dreißig, atmete durch und öffnete. Bevor er etwas Anderes wahrnehmen konnte, hastete eine dürre Gestalt mit hochgezogener Kapuze und Rucksack an ihm vorbei. Im Vorbeirennen schloss Lars den Gürtel seiner Jeans und war schon im Treppenhaus verschwunden.
Jetzt erst sah sich Tristan den Besuch vor der Tür genauer an. Wie schon bei ihrem ersten Zusammentreffen trug Mark Birnert keine Uniform. In Jeans, dunklem T-Shirt und Lederjacke war er lässig gegen das Treppenhausgeländer gelehnt. Da stand er, mit vor der Brust verschränkten Armen und verzog keine Miene. Heute wirkten seine Haare gekämmt, dafür waren die dunklen Bartstoppeln besser zu sehen.
„Habe ich dich bei der Arbeit gestört?“, fragte er mit versteinerter Miene.
„Nein. Mein Privatleben hast du gestört“, brummte Tristan und versuchte die Fassung zu bewahren. „Was willst du hier? Warten die Kollegen unten im Wagen?“
„Ich bin alleine.“
Jetzt war Tristan’s Geduld zu Ende! „Bulle, was willst du hier?“, brach es ungehalten aus ihm heraus.
„Dir ein Geschäft vorschlagen.“
Der Typ am Geländer zuckte nicht einmal mit der Wimper. Skeptisch verengte Tristan die Augen zu engen Schlitzen. Er wollte zumindest aufgesetzt freundlich sein und sich zusammenreißen, aber die Angst der letzten Tage, die Wut auf sich selbst und den verkorksten Bruch, alles vermischte sich und zwang ihn förmlich zu einer Antwort.
„Kannste vergessen! Der Blowjob war ein einmaliges Angebot. Ehe ich mich von einem aus deinem Verein erpressen lasse, gehe ich lieber zurück in den Knast.“
Etwas im Gesicht des Polizisten bewegte sich. „Sehe ich etwa aus, als hätte ich das geringste Interesse an deinem Angebot?“ Er schnaufte abschätzig. „Es handelt sich nicht um die Art Geschäft, die man in Hausfluren bespricht. Was ist? Kann ich reinkommen?“
„Klar“, erwiderte Tristan und zwang sich zu einem Grinsen. „Jederzeit, Herr Wachtmeister. Mit einem gültigen Durchsuchungsbefehl bist du ein willkommener Gast in meiner Hütte.“
Der junge Polizist seufzte und sah Tristan in die Augen. „Krieg dich wieder ein. Du weißt genau, wenn ich einen Durchsuchungsbefehl will, habe ich ihn innerhalb eines Tages. Und dann kannst du nur beten, dass der Typ eben auch alles mitgenommen hat. Er wollte doch Stoff an dich verkaufen, oder?“ Er machte einen Schritt auf Tristan zu. „Nun?“
Geschlagen trat Tristan zur Seite und ließ seinen ungebetenen Gast passieren. Was nun? Sollte er weglaufen wie Lars? Er atmete tief ein und aus. Nein, das war ein sinnloser Plan. Immerhin war er noch auf Bewährung draußen und sie hatten ohnehin schon ein Auge auf ihn geworfen. Seufzend schloss er die Tür und sah sich um. Der Flur war der einzige Stauraum, den er besaß und so stapelten sich dort alle möglichen und unmöglichen Dinge.
Unzählige leere Wasserflaschen, Rucksäcke, Wäsche, die darauf wartete, dass sie jemand in den Waschsalon brachte. Im Wohnraum gab es nur ein 1,40 Bett, einen schmalen Kleiderschrank, einen quadratischen Tisch und zwei Stühle. Die Wände waren in einem grellen Blau und Orange gestrichen. Vor dem Bett stand ein großer Flachbildschirm, an den eine Spielekonsole angeschlossen war.
„Hm“ Der Polizist sah sich ebenfalls um. Dann zeigte er mit der Hand auf Fernseher und Konsole. „Mich ohne Durchsuchungsbefehl reinzulassen, war eine gute Entscheidung.“
Tristan zuckte mit den Schultern. Klar, wusste der, dass das Zeug vom LKW gefallen war. Na und? Der Typ hatte ihn so oder so in der Hand. Sein Besucher setzte sich auf einen der beiden Stühle und zeigte auf den zweiten.
„Okay. Damit das klar ist: Bulle oder Herr Wachtmeister - so will ich nicht angesprochen werden! Mein Name ist Mark.“ Tristan nickte ergeben und setzte sich ebenfalls. „Ich bin froh, dass unsere Datei nicht gelogen hat. Du begreifst schnell.“ Gerade wollte Tristan etwas antworten, als der Kerl die Hand hob und fortfuhr: „Deine Akte ist nämlich der Grund, warum ich hier bin.“
Ich bin ja so was von gefickt, dachte Tristan und ließ die Schultern hängen. „Na, nicht so bescheiden. Immerhin hast du den besten Hauptschulabschluss gemacht, den die hiesige Jugendstrafanstalt jemals gesehen hat. Sie haben dich auch einen IQ Test machen lassen, den du mit einem beeindruckenden Ergebnis bestanden hast. Glaub mir, ich war erstaunt, dass ein so schlauer Kerl wie du so leicht zu erwischen war.“ Tristan lachte kurz und bitter. Er fühlte sich auf der ganzen Linie besiegt. Der Cop soll man zum Punkt kommen! „Alle deine Drogenscreenings kamen negativ zurück. Obwohl du mehr als einen Vermerk in der Akte hast, dass du das Zeug sehr wohl verkaufst, genommen hast du es tatsächlich nicht.“
„Idioten, Lebensmüde …und lebensmüde Idioten, die Langeweile haben, nehmen das harte Zeug“, schnaufte Tristan und mit einem halben Gedanken schweifte er zu seinem Bruder und Jan ab. „Ich gehöre zu keiner dieser Gruppen!“
„Nein, du bist schlauer als die anderen. Du hast den Mist nur vertickt. Und du warst so lange besser, bis sie dich erwischt haben. Bis selbst der sanfteste Richter keine Lust mehr auf deine Ausreden hatte und dich samt Bambiblick für drei Jahre in den Knast geschickt hat.“
„Dreieinhalb“, verbesserte Tristan. „Ich hab mich gut geführt und kam nach achtzehn Monaten raus. Die Reststrafe wurde auf zwei Jahre Bewährung ausgesetzt. Das weißt du alles, B …. Mark. Was an meiner Akte war denn so spannend für dich, dass du dich in den dreckigen Teil der Stadt bemüht hast?“
„Du kannst verstehen und lernen! Und man muss dich nicht nach drei Tagen aus einer Ecke kratzen, weil du drauf bist. So jemand wie dich kann ich derzeit gut gebrauchen.“
Tristan verstand kein Wort. Was wollte der Bulle nur von ihm? Und warum starrte der ihn schon wieder mit seinen blauen Augen an? „Ich bin bei der Sitte. seit einigen Monaten gibt es ungewöhnlich viele neue Stricher aus Osteuropa auf der Straße. Wir brauchen einen Informanten aus der Szene, um Licht in die Angelegenheit zu bringen.“
„Nein!“, sagte Tristan mit fester Stimme, ohne nachzudenken. „Such dir einen anderen.“
Der Gesichtsausdruck des Polizisten veränderte sich plötzlich. War das Sorge, die sich jetzt zeigte? Nein, sicher nicht.
„Tristan, du bist genau der Richtige. Wir suchen seit Wochen nach einem passenden Informanten. Die Jungs in der Szene sind nicht verlässlich. Die sind fast alle auf Drogen und die Aussteiger sind zu alt, um sich unerkannt in diesem Umfeld zu bewegen.“ Tristan schüttelte den Kopf. Unmöglich. Er fühlte die Übelkeit, die aus seinem Magen aufstieg. „Du sollst keine Freier abschleppen! Ich garantiere dir Schutz und…“
„Du hast doch keine Ahnung, wovon du sprichst, Bulle!“ Tristan musste nach Luft schnappen, bevor er weiterreden konnte. „Was weißt du schon von diesem Umfeld? Weißt du überhaupt, was wirklich in den abgewrackten Kneipen und auf der Straße los ist? Wie willst du mir dort ständig Schutz garantieren?“
„Ich bin seit drei Jahren bei der Sitte. Ja, ich weiß, was abgeht. An die aktiven Stricher kommt kein Polizist ran. Aber wir brauchen diese Informationen dringend. Wer schleust die Jungs ein, wer gibt ihnen eine Unterkunft und an wen geben sie ihr Einkommen ab? Wir nehmen an, sie sind nicht freiwillig hier.“
Wut stieg in Tristan auf. „Was soll der Scheiß? Willst du mich zum Täter machen? Ich zwinge diese Jungs nicht zum Anschaffen! Das ist nicht mein Problem! Versuch deine lahmen Tricks bei einem anderen.“
Mark lächelte verständnisvoll, was Tristan noch wütender machte. „Okay, es ist nicht dein Fall und nicht deine Verantwortung. Aber es wird zu deinem Vorteil sein, wenn du uns hilfst.“
„Was kann die Polizei schon groß zahlen?“
„Die Bezahlung ist denkbar mies. Aber, wenn du dabei bist, sorge ich dafür, dass deine Bewährung glatt verläuft, und du wirst eine Zukunft haben und eine Ausbildung machen können.“
Tristan begann zu lachen. „Ah, da ist er wieder, der Bulle, der Mutter Theresa sein wollte. Hör zu … Mark, vielleicht könnt ihr wirklich etwas mit meiner Bewährung drehen, du hast mich so oder so in der Hand. Aber eine Ausbildung? Das kannst du vergessen. Ich bin aus drei Maßnahmen des Arbeitsamtes geflogen, die nehmen mich nie mehr. Und eine Firma? Verdammt! Ich bin vorbestraft! Wer nicht ganz doof ist, wird herausfinden, wo ich meinen Hauptschulabschluss gemacht habe. Super Idee, leider nicht umsetzbar. Was hast du sonst für mich im Angebot?“
„Das mit dem Arbeitsamt ist kein Problem. Sagen wir, ich kenne jemanden, der jemanden kennt, der dir einen Ausbildungsplatz garantieren kann. Du hast am Montag einen Termin dort und erfährst Näheres. Das Ganze steht und fällt mit deiner Zusammenarbeit.“
Tristans Augen wurden immer größer. Was erzählte der Bulle da für einen Schwachsinn? „Woher weiß ich, dass ich dir glauben kann?“, fragte er unsicher.
„Noch gar nicht. Du fängst erst nach dem Gespräch in der Arbeitsagentur an. Dann kannst du dich immer noch entscheiden.“
Tristan überlegte, das absurde Angebot wurde langsam spannend. „Du würdest mir meine Sicherheit garantieren? Kein dreckiger Freier wird Hand an mich legen?“
Mark nickte. „Das verspreche ich dir! Und der Job ist einfach. Du sollst dich in den bekannten Gegenden aufhalten und Informationen besorgen.“ Der Ton des Polizisten war freundlich geworden.
Fahrig strich Tristan sich mit einer klammen Hand über den Mund. Er musste sich entscheiden, jetzt.
„Okay! Ich will den Termin auf dem Amt. Wenn es so ist, wie du sagst, mache ich es.“
Mark sah für einen Moment überrascht aus. „Schön. Dann notier dir meine Handynummern.“
„Hat die Polizei jetzt schon mehrere Nummern für ihre Spitzel? Falls mal eine besetzt ist, oder was?“ Tristan wunderte sich, zog aber sein Handy aus der Tasche und nahm die Visitenkarte, auf die Mark gerade eine zweite Nummer geschrieben hatte. Sorgsam tippte er und wollte sie unter „B“ wie Bulle abspeichern. Im letzten Moment entschied er sich für „M“ wie Mark.
„Die zweite ist meine private Handy-Nummer. So erreichst du mich auf jeden Fall, wenn du noch Fragen hast. Nach Feierabend stelle ich mein Diensthandy aus. Ruf mich an, wenn du auf dem Amt warst. In der nächsten Zeit wohne ich im Haus meiner Oma. Haben wir alles geklärt?“
Wie der verdammte Bewährungshelfer, dachte Tristan und blinzelte dem jungen Polizisten zu. Aber wenigstens war der Bulle netter anzusehen. Deutlich netter, sogar.
Dieser Typ war ja wie aus einem Actionfilm entstiegen. Seit wann waren Polizisten so attraktiv? Auch egal, es könnte den Auftrag erleichtern. Tristan nickte stumm. Mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck stand Mark auf, verabschiedete sich schnell und verließ die Wohnung. Ungläubig sah Tristan ihm nach. Worauf hatte er sich gerade eingelassen?
Ruf mich an, wenn du auf dem Amt warst! Marks Worte drehten sich in seinem Kopf. Zum gefühlten zehnten Mal an diesem Abend betrachtete Tristan den Busfahrplan. Mist! Ich hätte den Bullen einfach anrufen können. Okay, sein Handyguthaben war fast abgelaufen, aber für ein Gespräch würde es schon reichen. Unruhig trat Tristan von einem Bein aufs andere, doch da kam der Bus schon.
Ein letzter Zweifel zuckte durch sein Hirn, dann kramte er in seiner Tasche. Einen Moment später zählte er dem Fahrer 1,50 Euro hin und überlegte, wieso er sein letztes Geld ausgerechnet für eine Fahrt zu einem Polizisten ausgab? Die Gedanken rasten durch seinen Kopf, überschlugen sich, brachten eigenartige Gefühle mit - er merkte nicht einmal, wie die Zeit verging. Schon hielt der Bus und Tristan sprang hinaus, überquerte die Straße und blieb einen Moment vor dem niedrigen Gartenzaun stehen. Vor ein paar Wochen wollte er hier einbrechen und jetzt? Jetzt musste er nicht einmal hier sein. Was mache ich nur?
Während er durch das locker angelehnte Gartentor schritt, schüttelte er ungläubig den Kopf. Dieses Mal hatte er nicht mal einen Schraubenzieher dabei. Wie in alten Zeiten, dachte Tristan und freute sich für einen Moment.
Mit zitternden Fingern drückte er auf die Messingklingel. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet und ein überraschter Mark blinzelte ihn an. Nur für einen überrumpelten Moment zog er die Augenbrauen zusammen, dann lächelte er erfreut.
Mark trug Jeans und T-Shirt und hatte den massigen, kabellosen Hörer eines Festnetztelefons zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt. Das Teil sah aus, als stamme es aus den neunziger Jahren. Er nickte Tristan kurz zu.
„Ähm … Tim? Ich muss aufhören. Ich rufe dich später zurück, okay?“ Langsam senkte er den Hörer.
„Zahlen die Bullen dir so wenig, dass du mit diesem Steinzeit - Festnetzknochen telefonieren musst? Man hat heute Flatrates fürs Handy, weißt du?“ „Musste aufgeladen werden“, erwiderte Mark und klang verwirrt. „Was ist mit deinem Telefon? Verloren? Ich hatte dir doch meine Nummern gegeben.“
Beschämt sah Tristan zu Boden. Er fühlte sich erwischt. Ja, zur Hölle! Was tat er eigentlich hier? „Die Karte war leer.“ Nur fast gelogen.
„Dann komm doch rein.“
Mark trat einen Schritt zur Seite und verbeugte sich, als wäre er Kellner in einem Nobelrestaurant. Als Kind war Tristan Oma Birnes Haus immer groß und schrecklich altmodisch vorgekommen. Gut, altbacken wirkte dieser Schuppen immer noch, aber nicht mehr so groß wie früher. Tristan sah sich neugierig um. Jetzt, bei Tageslicht wirkte alles anders.
Wohn- und Esszimmer bildeten einen großen Raum. Dicke Teppiche lagen über einem abgenutzten Dielenboden. Ein riesiger Wohnzimmerschrank aus dunklem Holz bedeckte eine Wand und im Wohnbereich stand eine Couch mit Platz für drei Menschen und zwei Sessel. Im Gegensatz zu modernen Ausführungen, war die Sitzfläche kurz und die Lehne hoch und steif.
Man musste genau hinsehen, um zu erkennen, dass die weißen Fellkissen auf den beiden Sesseln Perserkatzen waren. Friedlich eingerollt schliefen sie dort. Jetzt fiel Tristans Blick auf die Wand hinter dem Sofa. Sie war voller Fotos - glückliche Menschen lächelten auf ihn herab. Aber nur eines davon zog Tristan in seinen Bann. Auf einem der Bilder war Mark zu sehen, zusammen mit einer hübschen jungen Frau. Er hatte den Arm um sie gelegt und beide strahlten in die Kamera. Tristan spürte einen unangenehmen Ruck, der durch seinen Magen ging. Na und? Der Bulle hatte eine Freundin - normale Sache!