Schmitz' Mama - Ralf Schmitz - E-Book
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Ralf Schmitz

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Beschreibung

Warum sagt Mama immer »Dingens«? Was hat sie mit Hannibal gemeinsam? Wie zum Teufel beendet man ein Telefonat mit ihr? Ralf Schmitz geht für solche und ähnlich knifflige Rätsel ungehemmt auf Lösungssuche. Spätestens, wenn er von Mamas schlimmsten Geschenken, unpassendsten Umräum-Aktionen und gruseligsten Kochversuchen erzählt, werden Sie sich fragen: Woher kennt Ralf Schmitz eigentlich meine Mutter?! Eine humorvolle Hommage an die Mama und die »bucklige« Verwandtschaft.

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Seitenzahl: 358

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Ralf Schmitz

Schmitz’ Mama

Andere haben Probleme, ich hab´ Familie

Kleines Vorwort

Herzlichen Glückwunsch!

Der erste Schritt ist getan. Sie haben dieses Buch gekauft, geklaut, geliehen, gewonnen, gefunden, ersteigert, sich schenken lassen oder stehen gerade noch am Bücherregal, lesen diese ersten Zeilen durch und werden es AUF JEDEN FALL gleich mitnehmen. Nun wird alles gut.

Als Erstes: Trösten Sie sich! Wir alle sind hin und wieder ein wenig überfordert von dem teils obskuren Verhalten unserer lieben Frau Mama, unseres Papas oder auch von dem ganz besonderer Exemplare unserer eigenen Familie. Dieses Buch soll Ihnen vermitteln, dass Sie nicht alleine sind. Glauben Sie mir, wir sind eine unendlich große Gruppe Familienbetroffener, die gemeinsam auf der Couch des Lebens liegen und deren Therapie wahrscheinlich niemals enden wird.

Sie sind nicht die oder der Einzige, die oder der im endlos weiten, teils etwas luftleeren Verwandtschafts-Universum mit seinen sich manchmal um sich selbst drehenden Planeten, diversen Supernovas, Asteroiden auf Kollisionskurs, dunkler Antimaterie, aber natürlich auch diversen schwarzen Löchern unterwegs ist und den Weg zur ausgeglichenen, chilligen, coolen Erde sucht.

Also, wie wär’s? Reisen wir doch gemeinsam!

Denken Sie immer daran: Familie ist auch etwas herrlich Spannendes! Allen anderen Menschen kann man mehr oder weniger aus dem Weg gehen, in eine Familie wird man unwiderruflich hineingeboren und muss sie so nehmen, wie sie eben ist. Und ist es nicht toll, dass wir das noch nicht kontrollieren können? Wäre die Welt nicht furchtbar langweilig, wenn wir tatsächlich irgendwann in ferner Zukunft alle Verwandten aus der Retorte züchten könnten, so wie wir sie haben wollen? Worüber sollen wir uns denn dann aufregen? Worüber sollen wir uns wundern? Ganze Generationen von alten Tanten beim Friseur würden an Frustration und Langeweile zugrunde gehen. Der komplette Berufszweig der Psychiater wäre von heute auf morgen arbeitslos. Die Phantastilliarden Nachmittags-Familien-Dokus müssten sofort eingestellt werden … – okay, das wäre der einzige Vorteil.

Ich jedenfalls finde es toll, dass die Natur die Welt vollgestopft hat mit liebenswert durchgeknallten Onkels, mit bis zum Hals mit erdrückender Liebe und Atombusen ausgestatteten Tanten und Omas, die sogar die Staubtücher bügeln. Die Welt ist bunt!

Dieses Buch soll Ihnen klarmachen, dass man das Ganze aus dem Blickwinkel des Humors betrachten sollte. Glauben Sie mir, das meiste ist lange nicht so schlimm, wie es zuerst erscheint. Es ist noch viel schlimmer!

Sehen Sie, im besten Fall hat der erste Versuch schon geklappt. Sie haben geschmunzelt. Und genau darauf kommt es an. Nehmen Sie die vielleicht streitsüchtige Tante, den griesgrämigen Opa oder die nervende Cousine nicht so ernst. Es ist Ihre Familie. Freuen Sie sich darüber, denn Sie werden keine andere bekommen. Und das ist auch gut so! Manche HABEN noch nicht mal eine Familie. Die haben es gu… die hätten gerne eine!

Akzeptieren Sie sie so, wie sie ist. Es lohnt sich. Denn mit der richtigen Einstellung kann Verwandtschaft unglaublich großen Spaß machen.

Falls Sie noch ein wenig zweifeln und es Ihnen hilft: Die ach so zufriedenen anderen tun auch nur so. Die haben die gleiche Familie. Da sehen nur alle anders aus.

Und falls Sie jetzt einer von denen sind, die die ganze Zeit denken: »Was soll das? Bei mir ist doch alles in bester Ordnung. Ich habe die tollste, liebevollste, verständnisvollste Verwandtschaft der Welt! Alle sind immer total freundlich und wir haben nie, aber auch niemals Streit!«, dann ist das entweder gelogen, Sie sind der Meister im Verdrängen, oder Sie kommen vom Mars. Auf jeden Fall sollten Sie dieses Buch dann aber nicht lesen. Sie würden es nicht verstehen. Schenken Sie es besser Ihrem Nachbarn, dem armen Würstchen mit einer RICHTIGEN Familie, der kann es brauchen.

Eine Sache noch zum Schluss, die, bevor Sie anfangen zu lesen, unbedingt gesagt werden muss: Ich liebe meine Mutter.

Ich erwähne das nur, weil Sie im weiteren Verlauf der folgenden Geschichten und Erlebnisberichte der dritten Art hin und wieder daran zweifeln könnten und auch damit ich es dann nicht ständig wiederholen muss.

Mama ist eben eine Mama wie jede andere auch. Sie kann nicht aus ihrer Haut, und so muss es wohl auch sein. Und wenn es anders wäre, worüber hätte ich dann schreiben sollen?

Verstehen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, dieses Buch bitte als Liebeserklärung an eine Spezies, die Gott sei Dank niemals aussterben wird! Bei allen Beinahe-Nervenzusammenbrüchen, Kurz-vor-der-Klapse-Problemen und endlosen Was-soll-denn-das-jetzt-wieder?-Diskussionen, auf die ich zahlreich und in allen Einzelheiten eingehen werde, bin ich mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass Mama zwar hin und wieder nervt, so dass ich in den nächsten Stahlträger beißen könnte, aber eben nur Mütter so lieben können wie Mütter. Und dass diese Liebe etwas ganz Besonderes ist!

Und falls Sie meiner Mutter mal begegnen sollten, dann habe ich das nie gesagt.

TIPP: Legen Sie sich mit Ihrem nächsten Besuch bei Mama nie fest. Sagen Sie immer, dass Sie zwischen Mai und November noch mal reinschauen.

So! Nun, aber los …

Am Anfang war ein Schmitz …

Liebe Leserin, lieber Leser,fangen wir ganz am Anfang an.

Als ich noch ganz klein war … wurde ich geboren. Von meiner Mutter. Was, um spätere Verwechslungen und deren schreckliche Auswirkungen auf die Psyche eines Kindes zu vermeiden, ungemein praktisch war.

Meine Mutter lag drei Tage mit mir in den Wehen. Was wir an Weihnachten immer aufs Neue von ihr erzählt bekommen, als hätten wir es noch nie gehört. Ich vermute, dass meine Mutter auch wirklich glaubt, dass sie uns das noch nie erzählt hat. Nein, keine Sorge, sie leidet nicht an Alzheimer oder Demenz – das würde natürlich vieles erklären –, sie ist eben einfach nur eine Mutter, und ich glaube, dass alle Mütter einen Knall haben. Einen liebenswerten, fürsorglichen, warmherzigen, nervenzerfetzenden und bisweilen in den Wahnsinn treibenden Knall.

Und meine hat’s erfunden.

Ich wollte nicht raus aus dem Bauch. Mama hat sich ganz schön abrackern müssen, bis ich mich dann endlich dazu bequemte, aus der Luxussuite mit Wasserbett und permanentem Zimmerservice auszuchecken. Nun ja, ehrlich gesagt habe ich manchmal immer noch das Gefühl, an der Rezeption zu stehen und auf die Rechnung zu starren.

Nun wird ein Arzt auf die Frage, warum das denn so lange gedauert hat, immer mit einer Floskel antworten à la »Das ist jedes Mal anders. Da steckt man nicht drin.« Herzlichen Dank für das kleine Wortspiel.

Ich persönlich glaube aber, dass ich damals tatsächlich und ganz bewusst nicht aus dem Bauch herauswollte. Warum? Na, ich kannte doch schon meine ganze Familie! Es stimmt nämlich: Man kriegt da drinnen schon eine Menge von draußen mit. Wenn es sich auch noch anhört, als würden alle durch einen Schnorchel sprechen und die Gesichter verschwommenen Lichterscheinungen ähneln. Obwohl das eigentlich auch reicht. Glauben Sie mir. Der eine oder andere hat hinterher live und in Farbe nicht wirklich dazugewonnen. Manchmal sogar im Gegenteil.

Ich war der Letzte. So viel war mir schon unter Wasser klar. Meine gesamte Familie war bereits da und wartete auf mich. Dieses Prinzip haben wir übrigens bis heute beibehalten. Aber das tut an dieser Stelle noch nichts zur Sache.

Bevor wir zu meinen ersten Kontakten mit meiner Familie kommen, möchte ich aber kurz etwas weiter ausholen und noch einen Schritt weiter zurückgehen. Ich glaube nämlich, dass ich mir meine Mutter ausgesucht habe.

Ja, ich wollte genau die Mutter haben, die ich bekommen habe … äh, die mich bekommen hat. Ich kann es ja selbst nicht fassen!!! Aber ich bin mir sicher, dass es keine bessere auf der Welt gibt. Für mich. Schließlich wächst der Mensch mit seinen Aufgaben. Und ich habe mir ganz schön was vorgenommen.

Gehen wir also noch einen kleinen Moment weiter zurück … zum Augenblick, als meine Eltern … äh … als sie sich furchtbar liebhatten und … nun … seien wir mal ehrlich: Niemand stellt sich doch gerne vor, wie die eigenen Eltern miteinander … also … oh Mann, was ist eigentlich aus der schönen, alten Klapperstorch-Geschichte geworden?

Ich versuche es mal anders …

Ich war als kleines weißes Ding ohne Arme und Beine – trotzdem sehr glücklich – munter unterwegs, pfiff ein Liedchen und drehte zufrieden meine Runden, als alle plötzlich durcheinanderbrüllten, dass es losging. WAS um Himmels willen losging, konnte mir keiner sagen, aber alle waren unglaublich aufgeregt. Ich traute dem Braten nicht.

Alle wollten mich überreden, doch mitzukommen, obwohl sie nicht wussten, wohin, und auch das kam mir merkwürdig vor. Wie auf Knopfdruck und von jetzt auf gleich flitzten alle los. Völlig kopflos, total hysterisch und unüberlegt. Aber nicht mit mir. Und heute noch bin ich froh, dass ich damals so weise entschieden habe. Aus den anderen ist nämlich nichts geworden. Da draußen wartete nichts und niemand auf sie. Grausames Schicksal.

Ich aber wartete fest entschlossen auf die Richtige. Nichts konnte mich davon abhalten, so lange Ausschau zu halten, bis die perfekteste, warmherzigste, liebevollste und mütterlichste Frau um die Ecke kam, die es nur gab. Und dann, nach langem, langem bangem Hoffen, war sie endlich da … Leider hat mein Vater nicht mit ihr geschlafen.

Zum Glück! Denn dann kam eine noch viel bessere potentielle Mama um die Ecke, und tatsächlich, hier ging alles ganz schnell. Meine arme Mutter.

Jedenfalls fand ich meinen Weg, dockte an, teilte mich, teilte mich, und teilte mich und schließlich wuchs ich so langsam und gemütlich vor mich hin.

Während dieser Zeit in meinem Zimmer ohne Balkon – ungerecht, die Kängurus haben einen – lernte ich jeden Menschen aus meiner Familie bereits kennen. Ich wusste also schon im Alter von minus vier Monaten, dass ich eine Schwester habe, die sich zwar ein bisschen auf ihren Bruder freut, aber eigentlich lieber ein Fahrrad gehabt hätte.

Außerdem gab’s da noch meinen grobmotorischen Onkel Lutz und Tante Hannelore mit den verrückten Haaren, Onkel Erwin: »Hicks – im wievielten Monat bist du denn? Im 12.? Das müssen wir feiern!« und die böse Tante Brigitte: »Na, du bist ja wohl der dickste Walfisch im Ozean, oder!?«

Das ist aber noch lange nicht alles. Dazu kommen noch mein Schwager, mein Neffe, meine liebenswerte, aber vergessliche Oma, endlos viele andere Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen, diverse Stiefväter, Stiefmütter, deren mitgebrachte Familien und so weiter und so weiter …

Sie sehen also, liebe Leserin, lieber Leser, Material für dieses Buch hatte ich genug. Ich musste nur noch zugreifen und mich für die eine oder andere Geschichte entscheiden. Was gar nicht so leicht war!

Was wollen Sie lieber hören? Die peinliche Geschichte von Romeo in blauen Woll-Strumpfhosen oder die Seniorenfassung von »Highway to Hell« auf der A4 bei Köln? Den Science-Fiction-Reisebericht über ferne Handy-Galaxien, die Captain Mama noch nie zuvor gesehen hat, oder die Horrorstory von Gräfin Hildegard und dem Kuss des Todes? Gar nicht so leicht, oder? Keine Sorge, ich konnte mich auch nicht entscheiden. Deswegen sind alle diese Geschichten fein säuberlich in diesem Buch aufgeschrieben und warten nur darauf, gelesen zu werden.

Apropos nur darauf warten: Es wurde nun langsam Zeit für mich, endlich das Licht der Welt zu erblicken. Nachdem ich kurz noch mal alles durchgegangen war (Mama aussuchen: erledigt! Den Aufenthalt so lange ausreizen, wie es geht: jap! Groß genug werden: na ja …), wurde es plötzlich so hell, dass ich am liebsten die Hände vor die Augen gehalten hätte. Nur leider konnte ich das ja noch nicht.

TIPP: Sollten Sie im Sexualkundeunterricht, aus welchen Gründen auch immer, plötzlich anfangen, sich die eigene Entstehung bildlich vorzustellen, schlagen Sie sich selbst k.o., bitten Ihren Tischnachbarn darum oder nehmen – falls zur Hand – gefährliche Drogen, die Ihr Bewusstsein – vielleicht auch dauerhaft – ausschalten. Die Alternative wäre hundertmal schrecklicher!

Kurz nach der Geburt

Die erste Geschichte meines Lebens, also die Geschichte, an die sich meine Mutter liebevollst und immer als Erstes erinnert, dieses romantische Stückchen Kindheitserinnerung … handelt von Pickeln.

Ja, so ist es, von kleinen Bläschen, die angeblich über meinen ganzen schrumpeligen Babykörper verteilt waren. Und wie soll es anders sein, so wird meine Mutter BIS HEUTE auch nicht müde, diese Geschichte in jeder Runde zu erzählen. Ob es sich dabei um die weltgewandten und weitgereisten Kollegen handelt, die fast von einer Beziehung überzeugte Freundin in spe oder meine zum Geburtstag eingeladenen Kumpels (das sagte man damals noch so).

Diese peinliche Geschichte klebt also an mir wie die Pest am Bein und verfolgt mich seit nunmehr über dreißig Jahren. (Es gibt noch eine andere, aber zu der komme ich erst, wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, die erste erfolgreich verkraftet haben.) Ich hasse es, wenn meine Mutter immer und immer wieder damit ankommt, und ich würde meinen ersten Strampelanzug dafür hergeben, wenn niemand diese »nette Anekdote« jemals wieder hören würde. Sie geht so …

»Hier bringe ich Ihnen Ihr kleines Primelchen!« Das schrie Schwester Margarethe wohl immer, wenn sie ins Krankenhauszimmer kam. Und meine Mutter macht die schrille Stimme der Schwester BIS HEUTE perfekt nach. In allen Frequenzen. Stellen Sie sich einfach ein Stück Kreide vor, das langsam über die Tafel gezogen wird. Oder Sie erinnern sich ohnehin bereits, wenn Sie schon mal im Krankenhaus nächtigen durften, an diese pummelige, unglaublich gutgelaunte fleischgewordene Heimsuchung, die es anscheinend in JEDER Klinik gibt. Tür auf, Licht an: »Haben wir heute denn schon Stuhlgang gehabt?« Und genau DIESE Schwester mit dem Charme einer Alarmanlage arbeitete bei meiner Geburt auf der Entbindungsstation.

Wie kommt nun eine sicher ansonsten liebenswerte und sich aufopfernde Krankenschwester auf solch einen Kosenamen?

»Primelchen.«

Primeln, für die noch unkundigen Leser kurz erklärt, sind Blumen, die bei Wikipedia folgendermaßen charakterisiert werden:

Die Primeln (Primula) sind eine Pflanzengattung aus der Familie der Primelgewächse (Primulaceae). Wilde Primeln sind auf der gesamten Nordhalbkugel verbreitet, etwa die Hälfte aller Arten ist in China beheimatet.

Liebe Leserin, lieber Leser, meine Augen waren und sind weder geschlitzt, noch habe ich eine gelbliche Hautfarbe. Ich habe mich als drei Stunden alter Säugling weder tief verbeugen können noch im Kreißsaal gleich Ente süß-sauer bestellt. Daran kann es also nicht gelegen haben.

Weiter heißt es …

Primeln im Flachland blühen durchwegs gelb, alpine Primeln (mit Ausnahme der gelben Aurikel) rosa, rotviolett bis blau. Dieser Umstand kann dadurch erklärt werden, dass im Flachland eher Bienen und im Gebirge eher Falter die Bestäubung übernehmen.

Ich wurde nicht bestäubt, dafür hatte ja wohl hinsichtlich meiner Mutterblume mein Vater nebst Stempel schon gesorgt.

Und dann …

Die Pflanzen können behaart oder unbehaart sein. Die einfachen Laubblätter stehen in einer Rosette.

Das geht aber jetzt wirklich zu weit. Ich war doch erst acht Minuten alt.

Der Fruchtknoten ist oberständig. Die Kapselfrüchte enthalten viele Samen.

Stimmt alles auffallend! Ich bezweifle aber, dass Arnold Schwarzenschwester die Fachtermini zur Gattung Primula kannte.

Warum aber bekam ich dann den Kosenamen »Primelchen«? Und woher kamen die Pickelchen?

Letzteres ist schnell erklärt. Meine Mutter erzählte mir irgendwann – völlig zusammenhangslos übrigens, als wir in der Eisdiele saßen (Sie: »Amarenabecher, nur Nusseis«. Ich: »Spaghettieis«) –, dass ich wohl »zu lange in ihrem Fruchtwasser« geschwommen wäre. Mal abgesehen davon, dass man als Sohn im Alter von ungefähr elf Jahren selbst die Worte Wurzelvereiterung oder »Mathetest, Hefte raus!« lieber hören würde als »Mamas Fruchtwasser«, schilderte sie in allen absolut NICHT erfragten Einzelheiten, wie das bei meiner Geburt abgelaufen war. Dass ich ganz schlimm ausgesehen hätte, total verschrumpelt und verklebt mit … und überall rotes … Das will man doch nicht hören! Und ich hatte auch noch ein Spaghettieis. Sie wissen schon, mit ganz … viel ………. Erdbeerso… ……………………….. Ich hör jetzt auf.

Entschuldigen Sie, ich habe das Ende der Geschichte selbst nicht kommen sehen. Sollten Sie gerade bei einem leckeren Stück Kirschtorte völlig ahnungslos dieses Buch aufgeschlagen haben, dann wollte ich Ihnen um Himmels willen nicht den Appetit verderben. Verschieben wir die tatsächliche Ergründung der Namensfindung besser auf ein andermal …

Viel Spaß nun mit dem Buch!

TIPP: Kaufen Sie sich beim Hörgeräteakustiker zwei topmoderne Modelle. Behaupten Sie beim nächsten Besuch bei oder von Mama, dass man das jetzt so trägt, und drehen Sie die erforderlichen Frequenzen raus.

Die ersten Male

Es gibt als Kind unendlich viele erste Male. Das erste Mal ohne Windel, das erste Mal ohne Stützräder fahren, das erste Mal in die Hose machen, weil man vergessen hat, dass man keine Windel mehr trägt. Eine herrliche Zeit.

Ein paar von diesen ersten Malen möchte ich an dieser Stelle herausgreifen, weil der ein oder andere Familienmensch mich natürlich auch dabei begleitet hat.

Der erste Schultag

Oma war dem Herzinfarkt nahe, mein Stiefvater reparierte noch schnell den Fotoapparat, Mama fand die Schultüte nicht, und Onkel Pit kam nicht vom Klo runter. So soll es sein: Die ganze Familie vermittelt dir Souveränität und Zuversicht, damit du deine eigene Nervosität besser ertragen kannst.

Warum kann nicht EINMAL alles glatt laufen in meiner Familie? Bei anderen klappt es doch auch. Warum muss bei uns immer das Chaos ausbrechen?

Weil es mehr Spaß macht und man weiß, dass man noch nicht tot ist. Ganz einfach.

Ich hatte eine tolle Schultüte, mit Max und Moritz drauf. Eigentlich. Ich weiß auch nicht, wie man eine ganze große, für einen Erstklässler allerheiligste und einzige Schultüte verlieren kann, aber so sah’s aus. Meine Mutter hatte Tränen in den Augen. Sie hatte sogar Oma im Verdacht, die Tüte weggeräumt und dann vergessen zu haben, wohin. Oma vergaß viel, aber das verbat sie sich auf das Entschiedenste.

Doch dann erinnerte sich meine Mutter plötzlich, dass sie sie im Auto deponiert hatte. Die Tüte, nicht die Oma. Ich sollte sie vorher ja nicht zu Gesicht bekommen, und deshalb hatte sie sie schlauerweise im Kofferraum gelassen. Todsicheres Versteck.

Stimmte auffallend, hatte prima funktioniert.

Wir standen dann doch irgendwann alle fertig geschniegelt und gestriegelt in einer Reihe an der Tür – Onkel Pit, durch die Rache des Herrn Montezuma eher etwas verkniffen – Mama zupfte noch mal an allen herum, und schon machten wir uns auf den Weg.

Die Fahrt zur Schule war okay, auch wenn ich alle zwei Sekunden auf meine neue Delphin-Uhr gespickt habe, um mich zu vergewissern, dass wir auch auf keinen Fall zu spät kamen. Das war eine tolle Uhr, bei der Flipper immer auf und ab sprang, um mit dem Wasserball zu spielen. Wenn man an einem der Knöpfe drehte, dann … – zurück zum Thema.

An der Schule angekommen, ging alles drunter und drüber. Ich war wahnsinnig aufgeregt. Hunderte von Kindern rannten durcheinander und brüllten, lachten oder weinten. Mitten in diesem Orkan, quasi im windstillen Auge des Sturms, stand Winnie, den ich sofort in mein Herz schloss und der von da an auf ewig mein Freund bleiben sollte.

Winnie, eigentlich Winfried – die Eltern müssen einen sarkastischen Anfall gehabt haben, als sie den Namen aussuchten –, stand mit weit aufgerissenen Augen und seiner Fix-&- Foxi-Schultüte im Arm mitten auf dem Schulhof und bewegte sich keinen Millimeter. Sicher ist sicher.

Meine Eltern hatten mich schon seit Monaten mit dem langweiligen Kram vollgequatscht, dass nun ein neuer Abschnitt in meinem Leben beginnen würde, dass das ein weiterer großer Schritt zum Erwachsenwerden sei und dass ich diese herrlichen Jahre genießen solle, weil sie viel zu schnell vorbeigehen würden. Das sahen ich und vor allem Winnie definitiv nicht so. Man sah ihm an, dass er am liebsten sofort wieder schreiend abgehauen wäre und auch ohne Rechnen, Schreiben, Lesen prima in einem Baumhaus hätte leben können. Aber er hatte keine Wahl.

»Ich heiße Ralf. Wie heißt du denn?«

»Winnie.«

»Lustiger Name. Bist du allein?«

»Meine Oma ist auf dem Klo.«

»Und deine Eltern?«

»Mit meinem Bruder beim Arzt. Hat sich beim Klettern ’nen Finger abgerissen. Die nähen ihn aber wieder an.«

»Cool. Willst du mein Freund sein?«

»Ja, ist okay.«

Fertig.

So einfach geht das. Warum die Leute ums Freundefinden immer so ein Bohei machen, ist mir bis heute schleierhaft.

Danach wurden wir alle freundlich begrüßt und in die Turnhalle gebeten, weil die Direktorin, Frau Popella, eine Rede halten wollte. Raten Sie mal, was für einen Spitznamen Winnie und ich uns sofort, als wir nebeneinander auf den kleinen Stühlen saßen, für sie ausgedacht hatten? Richtig: Frau Propeller.

NEIN, natürlich nicht. Kinder denken nun mal so, wie es sich die Erwachsenen nicht trauen oder was sie furchtbar albern finden würden. NATÜRLICH nannten wir sie heimlich »Frau Popel«. Und originell, wie wir waren, waren wir auch ganz sicher die Einzigen. Genau so, wie wir ein Jahr später übrigens eine Höhle im Wald entdeckt hatten und jedermann nur dann Zutritt erhielt, wenn er das Codewort unserer »A-Bande« (geklaut beim A-Team) wusste. Das Codewort war »A-Bande«. Todsicher. Da würde niemals jemand draufkommen.

Frau Popel erzählte den zu erwartenden Kram, dass wir alle nun ins Leben einstiegen bla, bla, dass wir uns freuen sollten bla, bla, bla und dass dieser erst bla, bla, bla, bla und später bla, bla, bla, bis bla. Aber das kannte ich ja schon von meinen Eltern. Man verstand auch nicht so gut, was sie sagte, weil die Halle tierisch hallte. Wodurch klar sein dürfte, wie dieser Gebäudeteil zu seinem Namen gekommen ist. Die ganze Rede hörte sich so an, als ob Frau Popel alles ganz schnell dreimal hintereinander ins Mikrophon gesprochen hätte, und Oma fragte ständig: »Was hat sie gesagt? Und wieso wiederholt sie alles, Herrgott nochmal?«

Onkel Pit – wir saßen da alle in einer Reihe – bekam mit der Zeit einen deutlich gequälten Gesichtsausdruck. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und wühlte sich unter unaufhörlichem »Entschuldigen Sie!« durch die Reihe – er saß leider genau in der Mitte – und verschwand für ein paar Minuten. Als er wieder zurückkam, fragte Oma, wo er denn schon wieder gewesen wäre, er würde ja alles verpassen. Und er versuchte ihr durch die Blume zu erklären, dass er … also, dass er leider … dass er mal gemusst hat. Die anderen Menschen in unserer Reihe kriegten das natürlich überhaupt nicht mit, weil Oma so angemessen leise sprach. Genau, und der Papst fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit.

»DU MUSST MAL? WARUM BIST DU DENN NICHT ZU HAUSE GEGANGEN?«

»Das bin ich doch. Dreißigmal«, zischte er.

»UND DU MUSST IMMER NOCH? NA, DEINE VERDAUUNG MÖCHTE ICH HABEN.«

»Möchtest du nicht. Ich … ich kann es nicht kontrollieren.«

»DAS KENNE ICH. DAS MIT DEM SCHLIESSMUSKEL IST IM ALTER SO EINE SACHE. WENN …«

DAS wollte nun wirklich keiner hören. Selbst Winnie und ich nicht. Mama schon gar nicht, die sich so hinsetzte, als ob sie mit uns nichts zu tun hätte. Die Großmutter von Winnie, die leider sehr schlecht hörte, interessierte das Thema aber umso mehr. Sie brüllte zu meiner Oma rüber: »DER SCHLIESSMUSKEL FUNKTIONIERT NICHT MEHR RICHTIG? DAS KENNE ICH AUCH. FRAU TAPPE VON GEGENÜBER RUTSCHT SOGAR IMMER EIN STÜCK DER DARM RAUS. FURCHTBAR UNANGENEHM MUSS DAS SEIN.«

Tja, wie das Schicksal so spielt, hatte Frau Direktor Popel unmittelbar vorher eine theatralische Kunstpause gemacht. Und die Turnhalle – Sie erinnern sich – hallte wie der Petersdom.

Ich glaube nicht, dass alle gehört haben, welche Probleme Frau Tappe mit ihrem Rektum hatte. Aber fast alle. Die Direktorin zumindest bekam nur mit, dass da jemand nicht aufpasste, und bedauerte es sichtlich zutiefst, dass man unaufmerksame Eltern nicht ins Klassenbuch eintragen konnte.

Meine und Winnies Großmutter gingen einfach zur Tagesordnung über – wenn sie blufften, dann verdammt gut –, Winnie schämte sich schon wieder zu Tode und bewegte sich keinen Millimeter (als ob das etwas genützt hätte), Onkel Pit machte sich mal wieder auf den Weg, und ich … ich fand es großartig. Ich war sicher, dass mich Frau Popel nicht gesehen hatte, geschweige denn später wiedererkennen würde – was nebenbei gesagt leider eine falsche Annahme war –, und hatte großen Spaß an meinem ersten Schultag.

Ach so, interessiert es Sie noch, wie es weiterging? Okay, im Zeitraffer, sonst dauert das hier zu lange:

– Klassenbesichtigung mit über Bauklötzchen in der Spielecke fallenden Omas.

– Kennenlernen der eigenen Klassenlehrerin, die sehr nett war, aber keine Augen hatte. Nicht, weil sie die verloren hatte, sondern weil sie sie beim Grinsen so eng zusammenpresste, dass man sie nicht mehr sehen konnte. Die Augen, nicht die ganze Lehrerin. Und sie grinste eigentlich die ganze Zeit.

– Große Verabschiedung, bei der mich Frau Direktor Popel so wissend ansah. Was mich damals schon hätte stutzig machen sollen.

– Fahrt nach Hause mit mehrmaligem Anhalten, damit Onkel Pit in einem Chinarestaurant, dann in einem Kiosk, kurze Zeit später fast in einer öffentlichen Toilette – die aber leider kaputt war – und schließlich hinter einem Baum austreten konnte.

– Endlich wieder zu Hause: Kaffee und Kuchen. Mama nervt tierisch, weil ich alles noch mal erzählen muss, obwohl sie ja dabei gewesen ist. Totaler Blödsinn.

Oma fand das Theaterstück – sie hatte da wohl was falsch verstanden – ziemlich mittelmäßig, die Hauptdarstellerin wäre unglaublich schlecht gewesen. Die hätte so genuschelt.

Am nächsten Tag: Schulbeginn!

Leider ohne mich, weil ich krank war.

Ich hatte Schließmuskel.

Der erste Schluckauf

Ein Teil der Familie war mal wieder bei meiner Mutter versammelt. Es war Silvester! Anwesend waren Mama, Stiefvater, Onkel Lutz und Tante Hannelore, Onkel Erwin und Tante Brigitte. Onkel Knochenbrecher Lutz drückte mich zur Begrüßung wie immer fast zu Tode, Tante Brigitte fand die Dekoration bescheiden, und Onkel Erwin hatte schon einen im Tee.

»Woran erkennt man, dass eine Frau und kein Mann in den Schnee gepinkelt hat?« Der Abend sollte spannend werden. Vor allem für einen Sechsjährigen.

Es gab Chili. Und meine Mutter hatte es zum ersten Mal ausprobiert.

Eigentlich könnte ich jetzt schon aufhören zu schreiben, wenn Sie das Kapitel »In Teufels Küche« bereits gelesen hätten. Dann könnten Sie sich nämlich bildhaft vorstellen, was damals passiert ist. Da diese Geschichte aber erst etwas später auftaucht, berichte ich weiter.

Kochrezepte sind was für Penetranten, äh, Akribisten, nein, Penibalen – ach, Pedanten! DAS war das Wort, auf das Mama nicht kam. »Ja, nur Pedanten halten sich genau und kleinlich an die Vorgaben und sind nicht in der Lage, auch selbst ein wenig kreativ zu sein oder auch mal etwas zu wagen.« Hört, hört! So viel zur heroischen Theorie meiner Mutter.

Leider gehört zu aller Kreativität aber auch eine Spur Talent in der jeweiligen Sparte. Und damit haperte es dann schon wieder ein bisschen mehr.

Nachdem der Abend immer feuchtfröhlicher wurde, Tante Hannelore beim Bleigießen das Zeug nicht in die Wasserschüssel, sondern in den Drink von Onkel Erwin kippte, Tante Brigitte das unerhört fand, er aber gar nichts merkte, austrank und den nächsten diesmal OHNE Eis bestellte, kam das Essen.

Mama hatte in der Küche lange herumgewerkelt – das ließ nichts Gutes ahnen – und servierte in einer großen weißen Porzellanschüssel den sensationellen Hauptgang des Abends, der leider aussah, als hätte man ihn schon mal gegessen. Da alle außer mir bereits diverse Spirituosen verköstigt hatten, war das aber egal und der Hunger groß. Alle griffen beherzt zu, häuften sich große Portionen auf den Teller und begannen zu essen.

Onkel Lutz war der Erste, der innehielt. Dann Tante Brigitte. Nach und nach hörten wir alle auf zu essen. Nur meine Mutter machte tapfer weiter, wobei ihre Halsschlagader immer weiter hervortrat und sie eine SEHR gesunde Gesichtsfarbe bekam. Ich nehme an, sie versuchte das Unvermeidliche so lange wie möglich hinauszuzögern und gab sich der Illusion hin, dass, wenn sie einfach weiteressen würde, keiner etwas merken würde. Selbst wenn wir das gewollt hätten, wir hätten es gar nicht gekonnt.

Mama hatte das Rezept, wie bereits angedeutet, nicht so richtig ernst genommen und mit künstlerischer Freiheit nicht drei Chilischoten verarbeitet, sondern dreißig. DREISSIG!

»Die waren doch so klein!«

Ich hatte erst einen halben Löffel gegessen, aber mein Mund brannte bereits, als ob ich mir eine von Onkel Erwins Zigarren angezündet hätte. Nur ohne Zigarre.

Wissen Sie, was zu viel Schärfe auslösen kann? Waren Sie schon mal beim Inder oder Chinesen und haben von der Karte großspurig das Gericht mit den fünf Chilischoten bestellt? Dann wissen Sie ja, was jetzt kommt.

Keiner sprach ein Wort. Stille. Die Ruhe vor dem Sturm.

Mit Mama fing es an. Sie schaute zum ersten Mal von ihrem Teller auf, war krebsrot, hatte Schweißperlen auf der Stirn und Tränen in den Augen. Und dann hickste sie. Laut, schrill und unkontrollierbar.

Es klang lustig. Onkel Erwin wollte gerade darüber lachen, kam aber nicht mehr dazu, weil er selbst hickste. Noch lauter, noch schriller, noch viel unkontrollierbarerer. Gleich darauf wieder Mama.

Es folgten Tante Hannelore, die in ihre Serviette hickste, was nicht im mindesten zur Lautstärkenunterdrückung taugte, Tante Brigitte, die dabei merkwürdigerweise klang wie ein Elch in der Brunft, mein Stiefvater, dem dabei das Essen wieder hochkam, Onkel Lutz, der es als Einziger nahezu tonlos schaffte, und schließlich natürlich ich mit dem feinsten Sopran-Hickser, den die Oper je gesehen hat. Beziehungsweise gehört.

Niemanden, wirklich niemanden hatte der Chili-Gott verschont. Wir alle saßen am Tisch, sprachen kein Wort mehr, weil die Schärfe des Salzsäuren-Chilis unsere Geschmacksnerven und Schleimhäute dahingerafft hatte, und hatten Schluckauf. Das Unglaubliche daran war, dass sich in der Zeit, in der wir alle darauf warteten, dass es endlich vorbeiging, so etwas wie eine Melodie aus Hicksern entwickelte. Wirklich wahr, kein Schmuh, keine Übertreibung. Es war nicht die Fünfte von Beethoven, und sie war eher kurz, aber es war eine Melodie.

Stellen Sie sich dieses Häuflein Elend aus sechseinhalb Personen bildlich vor. Schweigend um den Tisch versammelt, rote Gesichter, Schweiß auf der Stirn, der Verzweiflung nahe. Abwechselnd hickst es links, dann wieder rechts, dann in der Mitte. Hoch, tief, dunkel, hell. Und selbst die feine Tante Brigitte, der Bass in der Runde, konnte nichts dagegen tun.

Falls Sie es mal nachhicksen wollen: Ich habe die Melodie aufgeschrieben und will sie Ihnen nicht vorenthalten. Schauen Sie sich die Noten in aller Ruhe an. Und wenn Sie Lust auf einen abwechslungsreichen Abend haben, dann laden Sie Ihre Freunde ein, kochen das Überraschungs-Chili meiner Mutter, verteilen die hier abgedruckten Noten und verraten bis zum ersten Bissen kein Wort.

Wünsche musikalische Unterhaltung!

Die erste Katze

Also hören Sie mal. Wenn Sie DAS noch nicht mitbekommen haben, dann kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen.

Das erste Mal woanders schlafen

Was für ein Abenteuer! Endlich in die Welt hinaus!!

Ich durfte mit fünf Jahren zum ersten Mal ganze zwei Straßen entfernt von zu Hause bei Oma übernachten. Wow! Und ich freute mich darauf wie Bambi sich auf den ersten Schnee.

Ich und mein kleiner roter Koffer waren bereit, und schon waren wir auf dem Weg zu meiner Großmutter. Ich hatte alles Wichtige eingepackt: den gelben Kran, meinen Lieblingshasen und die Benjamin-Blümchen-Zahnbürste. Gut, Mama hatte noch ein paar völlig überflüssige Dinge hinzugefügt, aber damit konnte ich leben. Oma hatte mir das Bett von Opa hergerichtet.

»Den hat der liebe Gott schon zu sich geholt, weil er ihn so gern mag«, sagte sie immer. Wenn ich im Nebenzimmer spielte und sie mit jemand anderem sprach, dann war Opa im Himmel, weil er so gerne Schweinerippchen gegessen hat.

Zu Omas Zeiten schlief man übrigens noch getrennt. Auch wenn alle noch am Leben waren.

Das Bett war himmlisch, denn nur Omas können Betten machen wie Omas. Es müssen mindestens zwanzig Schichten aus Laken, Oberbetten, Plümos und Biberbettwäsche gewesen sein. Mindestens!

Und es war ein toller Abend. Mama war schnell wieder gegangen, zu ihrem Kegelclub »Die Pudelköniginnen«, und so saßen Oma und ich zusammen am Tisch und aßen »Abendbrot«. Ja, so hieß das damals noch. Das nannte man so, weil es abends nicht Pommes von McDonald’s oder Döner vom Imbiss um die Ecke gab, sondern tatsächlich Brot mit Wurst, Käse und Gürkchen.

Ich fand es herrlich. Nachdem wir fürstlichst gespeist hatten, gab’s noch das Sandmännchen, und dann musste ich schon ins Bett. Was ich irgendwie merkwürdig fand, denn Oma hatte mir versprochen, dass ich heute ausnahmsweise bis neun Uhr aufbleiben durfte. Aufregend! Was Oma aber nicht wusste, war, dass ich dummerweise wenige Tage zuvor angefangen hatte, Uhrlesen zu lernen. Und so flog bereits um acht Uhr auf, dass meine kriminelle Großmutter mich heimtückisch und verschlagen hintergehen wollte. Aber nicht mit mir! HA!

Fünf Minuten später lag ich mit frisch geputzten Zähnen und unter bis zur Zimmerdecke gestapelten Decken-Schichten im Bett. Dass man mich übrigens am nächsten Tag überhaupt wiedergefunden hat, grenzt an ein kleines Wunder.

Ich hatte natürlich den felsenfesten Entschluss gefasst, mindestens bis Mitternacht wach zu bleiben. Und schlief nach zwei Minuten ein. Allerdings wurde ich tatsächlich mitten in der Nacht durch ein lautes Geräusch wieder wach. Tiefe dunkle Nacht umgab mich. Himmel, war das gruselig. Klasse!

Ich lauschte … und hörte den großen, bösen Wolf, der sehr laut schnarchend Rotkäppchen verdaute. Er hatte sich die Sachen von Großmutter angezogen und schlief in ihrem Bett. Große Ohren, große Augen und eine riesengroße Nase hatte er auch. Alles wahr. Das Märchen stimmte.

Aber … wenn ich jetzt schon mal wach war, … konnte ich die Zeit doch auch sinnvoll nutzen. Ich suchte gefühlte Stunden den Ausgang aus meinem Decken-Labyrinth, kletterte dann langsam aus dem Bett und machte mich auf den Weg zur Erkundung des neuen Territoriums. Sicher, es war dieselbe Oma-Wohnung wie noch vor wenigen Stunden, aber es war NACHT! Und nachts, da sind wir uns doch alle einig, da kann man Sachen machen, die tags- über nicht erlaubt sind. Nicht zuletzt, weil Oma es nicht merkt.

Es ging also los: Zuerst erforschte ich die unglaublich geheime Schublade, an die ich eigentlich nicht dran durfte, weil darin »UNGEHEUER wichtige Papiere« aufbewahrt wurden. Ich platzte fast. Was mochte da nur drin sein? War Oma vielleicht eine russische Geheimagentin, und niemand durfte davon erfahren? Sie sprach manchmal schon ein wenig komisch … War sie in Wahrheit gar nicht meine Oma, sondern eine fremde Frau wie alle anderen Mitglieder meiner Familie auch, und ich war nur adoptiert? Wurde ich von königlichen Häschern verfolgt, vor denen sie mich beschützten, bevor ich als rechtmäßiger Thronfolger auf mein Schloss in Österreich zurückkehren konnte? (Ich hatte gerade mit Oma den Film »Sissi« geguckt.) Oder war sie sogar eine gute Hexe, die dort nur ihre Zaubersprüche aufbewahrte? (… und den »Zauberer von Oz«.) Ich würde es erfahren. Heute. Jetzt. In dieser Nacht. Ich kletterte auf die vorstehende, kniehohe Stufe des Schranks, öffnete die Schublade so leise, wie ich das auf Zehenspitzen konnte, und schaute hinein. Es war unglaublich. ICH HATTE RECHT GEHABT. Dort lagen tatsächlich zwei phänomenal wichtige Dokumente.

Leider konnte ich noch nicht lesen.

So, dieses Abenteuer war also bestanden. Als Nächstes ging es ins Badezimmer. Ach, hätte ich es doch gelassen.

Meine Augen hatten sich mittlerweile perfekt an die nächtliche Dunkelheit gewöhnt, wodurch ich mich katzengleich zurechtfand. Und sogleich im Flur an den doofen Messingschirmständer stieß. Da aber das Sägewerk im Schlafzimmer die Produktion weiter steigerte, war alles in bester Ordnung.

Ich kam ins Badezimmer und checkte erst mal die Lage. Alles wie immer. Langweilig. Die Ersatz-Klorolle unter der Häkelmütze mit Bommel? Kannte ich schon. Die Badehaube mit rosa Gummiblumen? Schon diverse Male heimlich anprobiert. Aber dann … Was war das? Ich blieb wie vom Donner gerührt stehen. Am Boden festgeschraubt starrte ich auf ein kleines, unscheinbares, mit Wasser gefülltes Glas auf der Ablage unter dem Allbert-Schränkchen. Unaussprechlicher Horror kribbelte in meinen Adern. Ich war etwas ganz Großem auf der Spur … Dort, in diesem Wasserglas, das waren Zähne! Was für ein Schock! Oma war ein Vampir.

Ein Vampir, der seine Mordinstrumente nur dann anzog, wenn er sie brauchte. Was für ein genialer Trick. So konnte man Vampire auf der Straße ja nicht erkennen.

Nee, konnte doch nicht sein. Die Dinger waren nicht spitz genug.

War sie vielleicht die Zahnfee und hatte vergessen, die Ernte des Tages wegzuräumen?

Auch nicht. Dafür waren es zu wenige.

Dann der nächste Erkenntnisschock. Es waren ihre! Ja genau. Oma hatte sie verloren. Oh mein Gott. Die Arme wollte sicher nur noch schnell einen Schluck Wasser trinken, und dabei sind sie ihr aus Versehen aus dem Mund gerutscht. Flutsch ins Glas, und sie hat nichts davon gemerkt.

DAS war möglich? Sofort wackelte ich an meinen eigenen Zähnen. Na ja, ich hatte noch die Milchzähne, aber Oma doch nicht mehr, oder?

Der nächste Schock. JETZT hatte ich es aber: Keine ganzen Reihen, sondern ja nur ein paar einzelne Zähne klebten da nämlich aneinander und waren mit glitzerndem Metall verbunden. Oh Gott, Oma war der Beißer aus dem James-Bond-Film.

Nein verdammt, das konnte auch nicht sein. Sie schnitt doch immer das Schwarzbrot klein, damit sie es besser essen konnte. Schwarzbrot wäre für Beißer doch kein Problem gewesen. Jetzt fiel mir nichts mehr ein.

Doch dann war es mir plötzlich klar. Wie gruselig …

…das waren MEINE Zähne, und Oma hob sie nur für mich auf. Genau! Das waren MEINE späteren Erwachsenenzähne, und alle hatten mich angelogen. Die Schweine! Ja, man verlor zwar seine Milchzähne, aber es wuchsen keine neuen nach.

Man bekam neue GEMACHT. Und weil ich noch ein wenig Zeit hatte, bevor ich sie brauchen würde, waren sie auch noch nicht fertig.

Ich probierte sie an. Natürlich waren sie noch zu groß – ich war ja nicht doof –, aber ich wollte halt schon mal sehen, wie sie mir stehen würden.

Ging so. Und sie schmeckten komisch, so nach Zahnpasta mit Brause, weshalb ich auch wieder vom Waschbecken herunterklettern und die Dinger zurücklegen wollte.

Leider rutschte ich mit dem Knie ab und knallte mit dem Bauch auf den Beckenrand, wodurch ich meine späteren Zähne aus dem Mund ins Waschbecken torpedierte. Was keine so gute Sache war, denn einer der Zähne sprang ab und verschwand auf Nimmerwiedersehen im Ausguss.

Ach, du Scheiße. Jetzt musste ich wohl den Rest meines Lebens mit ’ner fiesen Zahnlücke durch die Gegend laufen. Schnell ließ ich den Rest der Zähne in das Glas zurückplumpsen, rannte durch den Flur zurück ins Schlafzimmer – wobei ich mich diesmal mit voller Wucht um den doofen Messingschirmständer wickelte –, zog die hundert Millionen Decken über den Kopf und hoffte, dass Oma am nächsten Tag nichts davon merken würde.

So war’s dann auch. Sie hat nie etwas erwähnt, nur zwei Tage lang so komisch nach innen gesprochen. Mit zusammengepressten Lippen.

Vielleicht war sie doch sauer.

Das erste Mal allein beim Zahnarzt

Ich hatte als kleiner Junge eigentlich ganz gute Zähne, wodurch ich auch keine so große Angst vor dem Zahnarzt zu haben brauchte wie zum Beispiel meine Freundin Sabine damals. Die hatte dafür panische und ihrem Doc sogar mal in die Finger gebissen. Keine Sorge, er kann den Zeigefinger wieder vollständig bewegen. Meistens jedenfalls.

Es kam der Tag, an dem auch ich meinen ersten Termin hatte, und ich zwar nicht ängstlich, aber aufgeregt war. Ich war immer noch fünf. Sabine hatte mir schon die schrecklichsten Horrorgeschichten erzählt, und ich wollte doch jetzt endlich auch mal eine erleben. Vielleicht nicht unbedingt am eigenen Leib erfahren, aber wenigstens aus dem Nebenzimmer mitbekommen. Toll! Vielleicht würde ich ja sehen, wie jemandem ein fetter Backenzahn gezogen werden würde. Oder ich könnte beobachten, wie ein Arzt sich aus Versehen in den Finger bohrte. Oder ich war vielleicht sogar dabei, wenn jemand ohnmächtig vom Stuhl fallen würde! Boah!

All das hatte ich von Sabine. Sie hatte schon so viel gesehen von der Welt. Sie hatte ja auch ’ne Klammer.

Nicht dass Sie jetzt denken, ich wäre ein sadistisches Kind gewesen, alles andere als das. Ich hatte nur heimlich schon »Die Vögel« von Hitchcock gesehen – danach übrigens drei Nächte nicht geschlafen –, dazu kam die in diesem Alter in absolut ausreichender Menge vorhandene kindliche Neugier und zack, saßen wir beim Horror-Metzger-Zahnarzt von Leverkusen-Opladen. Ich glaube, das stand auch so an seinem Klingelschild.

Da ich damals noch zu klein war, um allein zum Arzt zu gehen, begleitete mich Sabines Opa, der ja durch seine Enkelin schon genügend Übung darin hatte. Nein, meine Mutter war nicht so herzlos, mich bei meinem ersten Zahnarztbesuch allein zu lassen. Vielmehr hatte Sabines Opa – der übrigens Johann hieß und den sensationell lustigen Spitznamen »Joghurt« mit sich herumschleppte – selbst einen Termin, ich wollte UN-BE-DINGT mit, und alle anderen konnten sich so kurzfristig nicht freimachen. Ich fand es großartig!

Wir saßen also im Wartezimmer. Und warteten. Und warteten. Verdammt schlaue Bezeichnung für so ein Zimmer, dachte ich. Und schon wurde mir langweilig. Sabines Opa nickte ein und war der coolste Joghurt überhaupt.

Nach der schlechten Erfahrung mit meinem nächtlichen Ausflug bei Oma und »meinen zukünftigen Zähnen« wollte ich es diesmal ein wenig langsamer angehen lassen. Ich schaute mich um.

Da war eine Fensterbank, vollgestellt mit verwelkten Pflanzen: uninteressant. Daneben stand ein Aquarium mit verwelkten Fischen, sie waren zumindest mangels regelmäßiger Wasserreinigung kurz vorm Exitus: auch uninteressant. In der Ecke stand eine Spielzeugkiste mit Bauklötzchen: noch viel uninteressanter. Das hatte ich schon weit hinter mir gelassen. Dann aber fiel mein Blick auf die anderen Wartenden.

Da saß eine dicke Frau, eine SEHR dicke Frau mir genau gegenüber und grinste mich an. Dabei nickte sie immer so mit dem Kopf, als ob jemand etwas gesagt hätte und sie zustimmte. Ich grinste zurück. Sie grinste noch mehr. Ach, das war ein Wettkampf? Klasse! Ich grinste, so breit ich konnte. Die dicke Dame war entzückt und lachte jetzt mit offenem Mund. (Die musste DRINGEND zum Zahnarzt.) Aber so einfach wollte ich sie nicht gewinnen lassen. Ich riss meinen Mund auf und lachte ohne Ton mit dem größten Schlund, den man nur zeigen konnte. Dachte ich. Aber der Feind hatte verstanden. Sie riss nun ihren Mund so weit auf, wie sie konnte, lachte dabei aus vollem Halse und wippte dabei in ihrem Stuhl vor Freude weit nach hinten. Was keine gute Idee gewesen war. Sie knallte mit dem Kopf gegen das Aquarium, zuckte dadurch instinktiv zur Seite und rammte sich am Fenster einen fetten Kaktusstachel hinters Ohr. Sie schrie wie am Spieß, Opa Joghurt fiel fast vom Stuhl, und die Schwester meldete durch die Sprechanlage: »Der Nächste, bitte!« Das waren wir.

Zuerst war der Opa dran. Er saß auf dem Behandlungsstuhl, ich auf einem normalen neben dem Waschbecken an der Wand. Die Sprechstundenhilfe hatte Opa Joghurt schon so ein Lätzchen umgehängt, weiße Watteröllchen in den Mund gestopft und war wieder verschwunden. Ich fragte ihn, wie die denn schmeckten, und er sagte: »Doff iff fffffum unffferffffuuuuchn.« Sehr lustig! Ich wollte auch solche.

Der Arzt kam rein, ein sportlicher junger Mann im weißen Kittel, und setzte sich gleich neben seinen Patienten auf so einen kleinen, drehbaren Hocker. Er wirbelte zu mir herum und versicherte mir, dass ich keine Angst zu haben brauchte. Ich wäre ja auch gleich dran. Ich wollte noch entgegnen, dass ich überhaupt keine Angst hätte, aber er war schon wieder weggewirbelt. Opa Joghurt erklärte dem Doktor, warum er gekommen war.

»Alfffffooo, refffftch untä fffutff äächh ähh ännn ann draaafffdrügggt.«

Klare Sache. Alf hatte auf ihn draufgefurzt.

Der Zahnarzt war anderer Meinung, als ich ihm versuchte, den Satz zu übersetzen, und nickte dem Opa nur zu. Bitte schön! Als der Herr Supersimultanübersetzer gerade so eine komische silberne Gabel mit nur einem Zinken in Opas Mund stecken wollte, klopfte es wie verrückt an der Milchglastür zum Behandlungsraum. Sie sprang auf, und dort stand mit bösem Blick die dicke Frau aus dem Wartezimmer. Mit Lätzchen auf ihrem gigantischen Dekolleté und Wattebäuschchen im Mund.

»Fffffeem Fffffffie gloooon, däffff ifffff ir affff efffallln afffe, annnn aenn Ffffie ffifff aer eirrr! Iffff ae eien Acchhhl in eien Kofffff un aaaate ffffffon Chchchchtunden.«

»Aun Ffffie ack. Iffff in rannnn«, gab Joghurt zurück.

»Ffffiie aen ir arnichchc u agn. Ffffiie önn a ochhch iffff al aufff Ihrn Änkchl aaafpaffffn!«

Es war herrlich absurd. Wir Außenstehende verstanden nur bruchstückhaft, aber die beiden Streitenden anscheinend jedes Wort. Der Arzt versuchte die offensichtlich erboste Patientin zu beruhigen und Opa Joghurt daran zu hindern, aufzustehen, um noch vehementer in die entstandene, nennen wir es »Diskussion« einsteigen zu können.