Schönes böses Biest - Mary Roberts Rinehart - E-Book

Schönes böses Biest E-Book

Mary Roberts Rinehart

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Beschreibung

Sie ist so charmant wie rücksichtslos und nutzt Frauen wie Männer aus. Bis Juliette eines Tages zu weit geht. Aus den raffinierten Spielchen wird Ernst, dessen tödliche Folgen sie nicht einkalkuliert hat … (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 326

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Mary Roberts Rinehart

Schönes böses Biest

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Dolly Landolt

FISCHER Digital

Inhalt

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1

Es fällt mir oft schwer, mich zu erinnern, wie normal mein Leben vor diesem Sommer verlief. Und doch verlief es denkbar normal. Mutter war vor einigen Jahren gestorben, kurze Zeit nach Vater; sie hinterließ eine Welt, die sie nicht mehr verstand, ein großes Haus in New York, das niemals einen Käufer finden würde, das Sommerhaus ›Sunset‹ auf einer Insel in New England und ein bescheidenes Vermögen.

»Du wirst wenigstens immer ein Heim haben, Marcia«, hatte sie zu mir gesagt.

Und ich hatte mich ganz gut durchgeschlagen, wenn es auch viele finanzielle Schwierigkeiten zu bekämpfen gab. Einige der Dienstboten durfte ich nicht entlassen. William war seit vierzig Jahren in der Familie, Lizzie, die Köchin, seit dreißig Jahren, und Maggie, meine Zofe und Mädchen für alles, war seinerzeit als mein Kindermädchen zu uns gekommen. Arthur und ich hatten immer Geldsorgen, besonders nach seiner Scheidung und Wiederverheiratung, und es bedrückte mich zu sehen, wie sein Haar bereits mit neununddreißig Jahren zu ergrauen begann; die Alimente, die er Juliette jeden Monat bezahlen mußte, bedeuteten eine Katastrophe für ihn.

Wir hätten billiger leben können, wenn wir alle einen gemeinsamen Haushalt in meinem Haus an der Park Avenue geführt hätten. Doch Mary Lou, Arthurs zweite Frau, wehrte sich dagegen; sie hat zwar nichts gegen mich einzuwenden, doch wie viele kleine Frauen ist sie sehr eifersüchtig und will ihren großen Gatten ganz allein besitzen. Wir haben schließlich einen Kompromiß geschlossen, indem sie den Sommer über mit Junior, ihrem kleinen Jungen, bei mir in Sunset wohnt; Arthur fährt zu uns heraus, so oft er es einrichten kann.

So war die Situation, als mich Mary Lou anfangs Juni dieses Jahres anrief und mir mitteilte, der Kleine habe die Masern gehabt und ob ich Sunset nicht früher als gewöhnlich beziehen könne.

»Er erholt sich immer so gut dort«, sagte sie mit ihrer stets etwas kläglich klingenden Stimme.

Natürlich stimmte ich zu, und so kam es, daß wir dieses Jahr bereits anfangs Juni hier eintrafen; die Dienstboten fuhren mit der Bahn, während ich in aller Ruhe in meinem alten Cabriolet herkutschierte.

Jedes Jahr genoß ich es wie eine kleine Sensation, nach Sunset zurückzukommen. Ich erinnere mich, wie ich auf die offene, vom Sonnenlicht überflutete Terrasse hinauslief und auf die Bucht blickte. Ein Gefühl der Dankbarkeit erfüllte mich damals, Dankbarkeit für den Frieden, den mir Sunset darbot, für die Ruhe und Heiterkeit und die vielen lieben Kindheitserinnerungen …

Alles war noch da, alles unverändert, bis auf eine störende Kleinigkeit, die Maggie sofort bemerkte.

»Ich mag diese Krähen nicht«, sagte sie. »Sie bringen Unglück.«

Es waren ihrer drei; schamlos stolzierten sie am Strand zwischen den Möwen herum, die sie anscheinend auch nicht besonders leiden mochten. Ich lachte Maggie aus.

»Aber, Maggie«, sagte ich. »In deinem Alter noch so abergläubisch zu sein!«

Später habe ich freilich nicht mehr gelacht.

2

Nach meiner Ankunft inspizierte ich wie üblich das ganze Haus; Mrs. Curtis, die Frau des Verwalters, die jeden Frühling das Haus für uns öffnet, begleitete mich. Ich bemerkte gleich, daß sie etwas Besonderes auf dem Herzen hatte.

Sie seufzte und sah bedrückt aus.

»Es ist wegen der Klingeln, Miss Lloyd«, begann sie. »Mein Mann hat sie alle kontrolliert, doch er hat keinen Defekt gefunden.«

»Was ist denn mit den Klingeln?« fragte ich vergnügt. »Pfeifen sie?«

Sie blickte mich erschrocken an.

»Sie klingeln, Miss Lloyd«, sagte sie düster, »sie klingeln, ohne daß sie jemand gezogen hat.«

»Ach, da werden wohl ein paar Drähte verwickelt sein«, tröstete ich sie. »Ich werde sie nachsehen lassen.«

Sie sagte nichts mehr, schien jedoch nicht erleichtert.

Und ich muß gestehen, daß das Rätsel um die Klingeln noch heute ungelöst ist. Sie klingelten den ganzen Sommer durch, wie von Geisterhand gezogen, und brachten uns alle an den Rand des Wahnsinns.

An jenem Junitag kümmerte ich mich freilich wenig darum. Pflichtbewußt folgte ich Mrs. Curtis durch das ganze Haus und hatte die Sache mit den Klingeln bald wieder vergessen. Es ist ein großes Haus, so nahe am Strand gebaut, daß es bei Flut direkt im Meer zu stehen scheint. Eine breite Auffahrt führt von der Hauptstraße her zum Eingang, und wenn man das Gebäude von dieser Seite her betritt, findet man rechts zu ebener Erde das Speisezimmer, die Wirtschaftsräume und die Küche, links die Bibliothek und das frühere Frühstückszimmer meiner Mutter, dessen Fenster auf den Garten blicken; von beiden Zimmern führt eine Tür in das langgestreckte Wohnzimmer, das die ganze Front des Hauses einnimmt. Oben befinden sich die Schlafzimmer, beinahe ein Dutzend im ganzen, mit den Badezimmern dazwischen. Die ehemaligen Zimmer von Vater und Mutter, die auf den Garten blicken, sind geschlossen und werden nie benützt; daneben liegen die Zimmer, die Arthur und Mary Lou mit Junior gewöhnlich bewohnen. Mein eigenes Schlafzimmer befindet sich in der Mitte, anschließend mein Wohnzimmer, und vor diesen beiden Zimmern erstreckt sich die obere gedeckte Terrasse, auf der ich so gerne sitze und auf die Bucht sehe.

Mit anderen Worten: das Haus gleicht in allen Dingen, mit einer einzigen Ausnahme, den andern Sommersitzen auf der Insel, die vor Jahren von großen Familien gebaut wurden, um von großen Familien bewohnt zu werden. Diese einzige Ausnahme ist allerdings bemerkenswert: Mutter hatte immer behauptet, wir Kinder wählten mit Vorliebe die Sommerferien, um krank zu werden. Nachdem wir abwechselnd Masern, Scharlach und Windpocken gehabt hatten, richtete sie das sogenannte »Spital« ein, ein Krankenzimmer mit einem Zimmer für die Pflegerin daneben, das wir nur das »Pesthaus« nannten. »Krankenschwestern sind ärger als die Pest«, pflegte Arthur damals zu sagen. Diese Zimmer befanden sich im dritten Stock; eine schmale und ziemlich steile Treppe führte vom zweiten Stock zu ihnen hinauf. Die Kinderzimmer lagen gerade darunter.

Ich war seit Jahren nicht mehr im »Spital« oben gewesen; als Mrs. Curtis mich an jenem Tag hinaufführte, bemerkte ich nur wenig Veränderungen. Das ehemalige »Pesthaus« wurde jetzt als Abstellraum für allerlei Gerümpel benützt, doch das eigentliche Krankenzimmer sah noch genau so aus wie früher, und als ich die beiden sauber gemachten Betten, den abgenützten Teppich und das alte Büchergestell betrachtete, hatte ich einen Augenblick lang das Gefühl, wieder ein Kind zu sein, das man gegen seinen Willen ins Krankenzimmer verbannt. Ein leichter Modergeruch lag über allem, und ich ging hin und öffnete ein Fenster.

»Mein Bruder und ich pflegten früher hier hinauszuklettern«, sagte ich versonnen. »Über die Dachrinne.«

»Ein Wunder, daß Sie sich nie ein Bein gebrochen haben«, brummelte Mrs. Curtis mißbilligend aus dem Hintergrund.

Ich schwieg. Wenige Augenblicke später stiegen wir wieder hinunter; doch irgendwie hatte der Tag etwas von seinem Glanz verloren. In Gedanken hatte ich den übermütigen, lebenslustigen Arthur jener längst vergangenen Tage mit dem Arthur von heute verglichen, und der Vergleich stimmte mich traurig.

Juliette hatte die Scheidung nicht gewünscht. Ihr paßten die Dinge, so wie sie lagen, recht gut. Ihre große, elegante Wohnung war ständig voller Leute, und während Arthur in seinem Advokaturbüro oft bis spät nachts arbeitete, konnte sie ungestört ihr extravagantes Leben führen. Man erzählte sich allerhand pikante Skandalgeschichten über sie, doch ich glaube nicht, daß sie je bis zu Arthur drangen.

Juliette hatte ihn tief unglücklich gemacht. Er hatte bei ihr kein richtiges Heim gehabt. Sie wollte keine Kinder, und sie steckte immer und ständig in Schulden.

Erst als sie fort war, entdeckte er, wie viele Schulden sie hatte, Schulden, die sie auf seinen Namen gemacht hatte.

Ich kaufte ihm seinen Anteil an Sunset ab, obwohl ich damit mein verfügbares Kapital völlig erschöpfte; doch rettete ich damit wenigstens seinen Kredit, und, was noch wichtiger war, sein Glück. Ein Jahr später heiratete er Mary Lou, und die dunklen Tage schienen vorüber.

Als ich von meinem Rundgang nach unten kam, erwartete mich Lizzie mit einer langen Einkaufsliste.

»Sie müssen unbedingt einkaufen gehen«, sagte sie, und ich kam eben vom Fischmarkt, als das Schreckliche passierte.

In meiner Rechten trug ich einen Korb voller frischer, lebender Hummer, und gerade als der Bus vom Festland her angefahren kam, entwischte mir einer und strebte mit beachtenswertem Tempo auf den Straßengraben zu. Als ich ihn endlich wieder erwischt hatte, saß mein Hut völlig schief und meine Sprache war alles andere als damenhaft geworden. In diesem Augenblick ertönte eine kühle, leicht spöttische Stimme hinter mir:

»Was hätte wohl die liebe Mama dazu gesagt – zu dieser Sprache! –«

Und als ich mich blitzartig umdrehte: »Werde bloß nicht ohnmächtig, Marcia – ich bin’s.«

Es war Juliette – Mrs. Juliette Ransom, wie sie sich seit der Scheidung nannte. Sie war größer und sah besser aus, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte, und um ihren Mund spielte das altvertraute spöttische Lächeln. Sie war außerordentlich gut angezogen, und ihre Augen musterten mich neugierig.

»Was machst du bloß, um diese Figur zu behalten?« fragte sie. »Du siehst aus wie sechzehn.«

Endlich fand ich meine Sprache wieder.

»Was in aller Welt tust du hier?« begann ich.

»Ich komme dich besuchen«, sagte sie amüsiert. »Kannst du diese Hummer in deinem Wagen im Zaume halten oder muß ich ein Taxi nehmen?«

3

Ich fuhr mit ihr nach Sunset zurück. Es blieb mir gar nichts anderes übrig. Wir hatten ihre Zofe und ein halbes Dutzend Handkoffer hinten im Wagen verstaut, und während der Fahrt sprachen wir nicht viel, weil die Zofe hinten in Hörweite saß. Juliette schien erleichtert, als sie vernahm, daß Arthur und seine Familie noch nicht in Sunset eingetroffen waren.

Ich fuhr vor dem Haus vor, und Williams Augen traten fast aus dem Kopf, als er meinen Fahrgast erblickte. Juliette entschloß sich, charmant zu sein.

»Wie geht es Ihnen, William?« fragte sie gnädig. »Und wie machen Sie es bloß, immer gleich jugendlich zu bleiben?«

»Die Zeit vergeht, Miss Juliette«, sagte er. Für ihn war sie noch immer Miss Juliette. »Soll ich Ihre Koffer hineintragen?« Die Zofe, die Juliette mir als Miss Jordan vorgestellt hatte, war unterdessen ausgestiegen; sie hielt das lederne Schmuckköfferchen ihrer Herrin an sich gepreßt, rührte sonst jedoch keinen Finger, um beim Gepäck zu helfen. Ich führte die beiden nach oben, zu den Zimmern, die Juliette früher bewohnt hatte.

Als wir dort oben einen Augenblick allein waren – die Zofe war ins Nebenzimmer gegangen –, sah ich Juliette zum erstenmal voll ins Gesicht. »Hör’ mal, Juliette«, begann ich. »Du hast weder mich noch dieses Haus je gemocht. Warum bist du jetzt zurückgekommen?«

»Weil ich mit dir zu reden habe«, sagte sie langsam. »Wenn du die Wahrheit wissen willst – ich sitze in der Tinte.«

Da kam William mit dem Gepäck, und wir konnten nicht weitersprechen.

Meine Hoffnungen, es handle sich nur um einen kurzen Besuch, wurden bald zerstört. Am späten Nachmittag trafen zwei riesige Schrankkoffer ein, die in Juliettes Zimmer hinaufgeschafft wurden, und plötzlich empfand ich dringend den Wunsch nach frischer Luft und Bewegung. Juliettes Anwesenheit im Haus drohte mich zu ersticken. Ich nahm Chu-Chu, mein Pekinesenhündchen, und ging spazieren. Nach einigen Schritten drehte ich mich einmal um und blickte mit bitteren Gefühlen auf das Haus zurück, und in diesem Augenblick bemerkte ich, wie sich am Fenster des alten Spitalzimmers oben ein Vorhang bewegte. Eine Weile lang starrte ich verblüfft hinauf, doch die Bewegung wiederholte sich nicht. Schließlich ging ich weiter und setzte mich in der Nähe des ruhig daliegenden Teiches auf eine Bank, um über meinen Kummer nachzudenken; doch die Luft war kühl, und bald begann ich zu frieren. So kehrte ich widerstrebend zum Haus zurück.

Bevor ich mich zum Essen umkleidete, ging ich in den dritten Stock hinauf. Die Zimmer schienen unberührt. Nach kurzem Zögern schloß ich die äußere Tür ab und nahm den Schlüssel mit mir hinunter. Ich versteckte ihn in der obersten Schublade meiner Kommode, wo ich meine Taschentücher aufbewahrte, und zeigte Maggie dieses Versteck, als sie kam, um mir beim Umziehen zu helfen.

»Sie ist eine Schnüfflerin«, sagte Maggie erbost. »Das war sie schon immer. Aber was wollte sie dort oben?«

»Ich weiß nicht, ob sie wirklich oben war, Maggie«, wehrte ich ab.

 

Juliette kam erst um halb acht aus ihrem Zimmer. Sie schwebte die Treppe herunter in einem langen silbergrauen Kleid, das an den Ärmeln mit Silberfuchsstreifen besetzt war.

Das Abendessen war keine erbauliche Mahlzeit. Meistens saßen wir uns schweigend gegenüber.

Als wir uns später beim Kaffee in der Bibliothek niedersetzten, entschloß sich Juliette, etwas freundlicher zu sein.

Bei dieser Gelegenheit erzählte sie mir auch, warum sie gekommen war.

»Ich möchte mein Abkommen mit Arthur ändern, Marcia«, sagte sie obenhin, während sie sich eine Zigarette anzündete,

»Ändern? Wie meinst du das?« Ich war erschrocken.

»Ich möchte eine einmalige Abfindungssumme statt der monatlichen Alimente.«

Ich saß ganz still. Eine Abfindungssumme, wo weder Arthur noch ich über flüssiges Geld verfügten! Dennoch – wie gut wäre es, sie ein für allemal loszuwerden!

»Du sagtest, du sitzest in der Tinte, Juliette«, sagte ich schließlich.

»Handelt es sich um Geld? Ist das der Grund dafür?«

Sie zögerte.

»Ich brauche Geld – ja. Das wird dir übrigens nichts Neues sein. Aber – sieh mal, Marcia, ich bin noch relativ jung. Und kräftig. Rechne dir aus, was Arthur mir in den nächsten zwanzig Jahren wird zahlen müssen!« Sie lachte, doch es klang nicht fröhlich.

»Wieviel willst du?«

»Hunderttausend Dollar.«

Ich muß hörbar nach Luft geschnappt haben, denn sie warf mir einen eigenartigen Blick zu.

»Ich brauche das Geld«, sagte sie. »Und Arthur kommt recht gut weg damit.«

In ihrer Stimme schwang ein verzweifelter Unterton mit. Als sie sich eine neue Zigarette anzündete, zitterten ihre Hände. Langsam trat sie zum Fenster und starrte hinaus.

Doch als sie zum Kamin zurückkam, hatte sie sich wieder in der Hand. Sie lächelte sogar ihr altes spöttisches Lächeln, als ich sie fragte, ob ein unerwartetes Ereignis sie zu dieser Forderung veranlaßt hätte.

»Du kannst es so nennen«, sagte sie. »Warum sollte ich nicht wieder heiraten wollen und versuchen, etwas Kapital für das neue Liebesnest aufzutreiben?«

»Ist das der Grund?«

Eine Weile saß sie schweigend da, und mir schien, als ob sie schauderte. »Nein«, erwiderte sie schließlich, ohne weiter darauf einzugehen.

Noch am selben Abend schrieb ich an Arthur, frankierte den Brief und legte ihn unten in die Halle, dann ging ich zu Bett. Doch ich konnte nicht schlafen. Meine Gedanken flogen zurück zum jungen Arthur, der Juliette heimlich geheiratet hatte und sie stolz zu uns nach Sunset brachte. Ich war erst siebzehn damals, doch ich erinnerte mich an jede Einzelheit. Wir saßen gerade bei Tisch; Arthur führte sie an seiner Hand herein, und während er etwas unsicher wirkte, war sie völlig ruhig; sie lächelte sogar.

»Das ist meine Frau«, sagte er. »Ich hoffe, ihr werdet sie alle liebhaben.«

Vater sprang auf, die Überraschung raubte ihm die Sprache. Mutter blieb sitzen und sah die beiden hilflos an.

»Seit wann?« fragte Vater endlich.

»Seit gestern.«

Juliette ergriff die Initiative; sie ging geradewegs zu Mutter hinüber, beugte sich zu ihr und küßte sie auf die Wange. »Ich bitte euch um Verzeihung«, sagte sie, »ich liebe ihn so sehr.«

Und Mutter, die eine gütige Frau war, legte den Arm um sie und zog sie an sich.

Arthur hatte sie in New York kennengelernt, wo sie angeblich Musik studierte. Sie war ein bildhübsches Geschöpf, entzückend und anmutig, und wir taten unser Bestes, ihr freundlich entgegenzukommen. Sie war übrigens sehr gelehrig und verstand bald, sich gut anzuziehen und sich richtig zu benehmen. Arthur war rührend stolz auf sie.

Doch ich mochte sie nie und hatte auch kein Vertrauen zu ihr, und mit der Zeit bemerkte ich, daß ich mit meiner Abneigung nicht allein war. Die meisten Frauen mochten sie nicht; auf die Männer dagegen übte sie eine große Wirkung aus. Sie umschwärmten sie wie Fliegen den Honigtopf, und sie liebte es, mit ihnen zu trinken, zu lachen und zu flirten.

Während ich in meinem Bett lag, fielen mir alle diese Dinge wieder ein. Und dazwischen sah ich immer wieder ihre Gestalt, wie sie heute abend vor mir die Treppe hinaufgestiegen war, mühelos und leichtfüßig wie ein ganz junges Mädchen. Oben drehte sie sich um und blickte auf mich herunter. Ihre Augen waren kalt und sehr blau.

»Ich warne dich, Marcia«, sagte sie. »Ich bleibe hier, bis ihr das Nötige unternehmt. Es gibt keinen andern Weg für mich.«

4

»Kann ich den Wagen haben? Ich will reiten gehen, ich habe das Herumlungern satt.« Juliette war in vollem Reitdreß: Breeches, Stiefel und eine wunderbar geschnittene Jacke. »Ed Smith vermietet doch immer noch Reitpferde?«

»Gewiß.«

Eigentlich hatte ich selber wegfahren wollen und ich war ziemlich wütend, als ich den Wagen wegfahren hörte. Schließlich begnügte ich mich damit, schwimmen zu gehen, und obschon das Wasser noch eisig war, fand ich es herrlich. Die letzte Woche hatte mich ziemlich mitgenommen.

Ich hatte mich kaum wieder angezogen, als Arthur mich von New York aus anrief.

»Ist sie in der Nähe, Marcia?«

»Sie ist ausgeritten.«

»Sie muß verrückt sein. Ich kann das Geld nicht auftreiben, und sie weiß das verdammt gut.«

Natürlich wäre er froh gewesen, die verdammten Alimente endgültig loszuwerden, doch sah er keine Möglichkeit dazu. Außerdem war er wütend über ihre Anwesenheit in Sunset, denn dies machte es Mary Lou unmöglich, mit dem Kleinen herzukommen. Sie wollte sich nun in Millbank, einem Dorf am Festlandstrand, ungefähr zwanzig Meilen von uns entfernt, einmieten und dort Juliettes Abreise abwarten.

»Wann reist sie wieder ab?« fragte er.

»Keine Ahnung. Sie scheint sich hier häuslich niederlassen zu wollen.«

»Sei kein Narr, Marcia«, waren seine Abschiedsworte. »Wirf sie hinaus, sobald du kannst. Sie ist ärger als Gift.« Er hängte ein, und ich hatte das bestimmte Gefühl, daß gleichzeitig irgendwo im Haus ein Hörer sorgfältig in die Gabel gelegt wurde. Lizzie und William waren in der Küche beschäftigt, Maggie und Ellen in der Waschküche; da gab es keine Telefonapparate. In diesem Augenblick fiel mir Juliettes Zofe, die Jordan, ein, und ich ging hinauf, um sie zu suchen. In meinem Schlafzimmer befindet sich ein Telefonapparat, doch dort war sie nicht. Ich fand sie schließlich in ihrem eigenen Zimmer, damit beschäftigt, ein Kleid von Juliette zu bügeln, und zwar mit einem offensichtlich kalten Bügeleisen. Sie warf mir einen eisigen Blick zu.

»Möchten Sie etwas, Miss?« fragte sie.

»Ich wollte bloß wissen, wo Sie sich gerade aufhielten«, sagte ich trocken. »Bei dieser Gelegenheit: sind Sie am Tag Ihrer Ankunft einmal in die Krankenzimmer gegangen?«

»In die Krankenzimmer? Wo sind die?«

»Oben, am Ende des Korridors.«

Sie preßte die Lippen zusammen. »Natürlich nicht. Ich gehe nirgends hin, wo ich nicht hingehöre.«

Ich fühlte mich geschlagen. Und nicht nur geschlagen, sondern auch deutlich entlassen.

 

Juliette kam erst spät von ihrem Ritt zurück, sie ging direkt auf ihr Zimmer und ließ sich das Mittagessen auf einem Tablett hinaufbringen.

Im Laufe des Nachmittags erhielt ich mehrere Besuche. Ganz offensichtlich hatte die Neuigkeit bereits die Runde gemacht.

Sie kam auch zum Abendessen nicht zum Vorschein, so aß ich allein und zog mich früh zurück.

Es war ein warmer Juniabend; ich schlüpfte in einen leichten Morgenrock und trat auf meinen Balkon hinaus.

Unten, am Strand, stand ein Mann. Er blickte zum Haus herauf, doch als er mich entdeckte, zog er seinen weichen Hut tief über die Augen und glitt davon.

Ein unbehagliches Gefühl von Verwirrung und Furcht ließ meinen Atem stocken; ich wartete, doch er kam nicht zurück.

Der nächste Tag verlief ziemlich normal. Nach dem Frühstück forderte mich Juliette zu einem Spaziergang auf. Sie war liebenswürdiger als sonst und hatte viel von ihrer spöttischen Haltung abgelegt. Als wir außer Hörweite des Hauses waren, fragte sie mich, ob ich etwas von Arthur gehört hätte.

»Ja«, erwiderte ich. »Er hat mich gestern angerufen, während du fort warst. Es ist so, wie ich dir sagte. Er kann das Geld nicht beschaffen.«

Sie schwieg. Wir gingen den Pfad zum Teich hinunter, und ich sah, daß sie unter ihrer Schminke bleich geworden war.

»Warum sagst du mir nicht, was los ist, Juliette?« fragte ich. »Willst du wieder heiraten und bedeutet die Forderung gewissermaßen dein Lösegeld? Oder sitzt du wirklich in der Tinte, wie du es vorgibst?«

»Ich weiß nicht«, antwortete sie langsam. »Das ist das Schlimme, Marcia – ich weiß es nicht sicher.«

Sie starrte einige Sekunden ins Leere, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging allein zum Haus zurück.

 

Zwei oder drei Tage später traf Mary Lou mit Junior in Millbank ein; ich fuhr hinüber, um sie zu begrüßen, und traf Mary Lou beim Auspacken, eine erhitzte und ärgerliche Mary Lou, die ihrer Empörung hemmungslos Luft machte.

»Von diesem Frauenzimmer verdrängt zu werden«, rief sie wie ein zorniges Kind. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich sie etwas beruhigt hatte.

Als ich nach Hause zurückfuhr, fühlte ich mich ganz zuversichtlich. Neben der Straße tauchte plötzlich ein junger Mann vor einer Staffelei auf, und einem Impuls gehorchend, hielt ich an. Der junge Mann war groß und breitschultrig; er trug graue Flanellhosen und einen alten Sweater und wandte mir ein Paar erstaunlich blauer Augen zu.

»Stört es Sie, wenn ich zuschaue?« fragte ich.

»Im Gegenteil. Ich fing gerade an, mich zu langweilen.«

Sein Lächeln und seine Stimme, überhaupt der ganze gutaussehende, unbekümmerte Mensch gefielen mir.

Ich setzte mich auf das Trittbrett des Wagens und genoß die friedliche Stimmung des Nachmittags. Nach einer Weile legte er seinen Pinsel weg, nahm ein Päckchen Zigaretten hervor und zündete sich eine an, nachdem er sie mir angeboten hatte. Ich sah jetzt, daß er nicht mehr ganz jung war, ungefähr Mitte Dreißig.

Es stellte sich heraus, daß er vom Campingplatz von Pine Hill, ganz in der Nähe, hergekommen war und daß er in einem Wohnwagen reiste. Weiter vernahm ich, daß er lange krank gewesen sei, der Arzt ihm viel frische Luft verordnet hatte, und so bummelte er nun herum und malte. »Ziemlich miserable Bilder, aber ich bilde mir wenigstens nicht ein, ein guter Maler zu sein.«

Es gelang mir schließlich, soviel Mut aufzubringen, um ihn zu fragen, ob er mir das Bild verkaufen würde, wenn es fertig wäre.

»Es gefällt mir wirklich«, sagte ich, »es ist nicht bloß –«

»Nicht bloß Wohltätigkeit?« Er lachte. »Ehrlich gesagt, ich hoffte, Sie würden es kaufen wollen. Wenn Sie mir Ihren Namen geben wollen –«

Ich nannte ihm Namen und Adresse, und es war mir, als werfe er mir einen raschen Seitenblick zu. »Ich glaube, ich kenne Ihr Haus«, sagte er langsam. »Wohnen Sie dort ganz allein?«

»Meistens. Gerade jetzt habe ich Besuch.«

Er sah mich wieder an, ohne jedoch weiter zu fragen, und bald darauf verabschiedete ich mich und fuhr nach Hause. Erst später fiel mir ein, daß er mir seinen Namen nicht genannt hatte.

5

In den Tagen nach Juliettes Ankunft waren viele Sommergäste auf der Insel eingetroffen, denn die Hitze hatte dieses Jahr früher als sonst eingesetzt. Marjorie Pendexter war angekommen, und ihr Verlobter, Howard Brooks, befand sich mit seiner Luxusjacht, der »Seehexe«, auf dem Weg hierher. Im Hause der Burtons war ein Ehepaar Dean eingezogen; Tony Rutherford hatte sich wie üblich im Broxton Hotel eingemietet, und nach und nach verwandelte sich das ruhige Dorf in einen belebten Ferienort.

Eines Tages waren auch Bob und Lucy Hutchinson da, und schon am gleichen Nachmittag kam Lucy zu mir herüber. Ich fand sie in der Bibliothek, wo sie unruhig auf und ab ging.

»Stimmt es, Marcia«, fragte sie ohne Einleitung, »stimmt es, daß Juliette hier ist?«

»Ja, nur für einige Tage. Ich hoffe es wenigstens.«

Lucy war stets eine der elegantesten Erscheinungen der ganzen Sommerkolonie gewesen. Die andern Frauen versuchten eifrig ihre Toiletten nachzuahmen, doch da sie weder Lucys schlanke Figur noch ihr leuchtendes kupferrotes Haar besaßen, war das Resultat meist enttäuschend. Nur Juliette hatte sie mit Erfolg kopiert, und eines Sommers war dieser Erfolg fast zu weit gegangen, denn sie hätte Lucy beinahe Bob Hutchinson weggeschnappt.

An das dachte Lucy, als sie sagte: »Sag ihr jedenfalls, sie soll nicht in meine Nähe kommen; dann bin ich zufrieden.«

»Meinst du vielleicht, ich sei froh über ihre Anwesenheit?« gab ich gereizt zurück.

»Dann wirf sie doch hinaus«, sagte sie ohne Umschweife. »Es ist mein völliger Ernst, Marcia. Gott sei Dank habe ich damals Bob zur Vernunft gebracht – aber dir hat sie Tony Rutherford abspenstig gemacht, das weißt du verdammt gut. Warum ziehst du nicht deine Konsequenzen?«

Nach dieser Erklärung ging sie hinaus und warf die Tür unsanft hinter sich ins Schloß; wie ich später erfuhr, traf sie Juliette beim Weggehen in der Halle und ignorierte sie völlig.

Betrübt blieb ich zurück. Es stimmte – Juliette hatte mich um Tony gebracht. Ich hatte zwar nie erfahren, wie weit der Flirt zwischen den beiden damals gegangen war, und als Juliette Arthur verließ, waren wir sogar immer noch verlobt; doch es war nie mehr das gleiche gewesen.

Wir versuchten beide vergeblich, den Graben zwischen uns zu überbrücken – und schließlich machte ich Schluß.

 

Juliette erschien in einer sehr gereizten Stimmung zum Abendessen. »Wenn Lucy Hutchinson glaubt, mich schneiden zu können, irrt sie sich«, sagte sie böse. »Ich kann ihr noch heute Schwierigkeiten machen, wenn ich will.«

»Laß lieber deine Finger von Bob«, warnte ich sie, »Lucy ist auf dem Kriegspfad.«

Diese Warnung schien Juliette nur zu amüsieren, und nach dem Abendessen nahm ich einen Mantel um und flüchtete hinaus. Mir war, als ob ich es nicht mehr fünf Minuten im gleichen Zimmer mit ihr aushalten könne.

Die Nacht war sehr schön, zu schön, um allein herumzusitzen. Einem Impuls gehorchend, ging ich zum Burtonschen Haus hinüber, um die neuangekommenen Deans zu besuchen.

Die erhellten Fenster leuchteten einladend zu mir herüber, und überhaupt war mir alles lieber, als zu Juliette zurückzugehen. Ich überquerte also die Straße, stieg die Treppe hinauf und zog die Türglocke.

Der Butler, der mir öffnete, betrachtete mich erstaunt, und ich begann meinen vorschnellen Entschluß zu bereuen. Doch als ich dann vor Mrs. Dean stand, die neben dem offenen Kaminfeuer in dem großen, vornehmen Wohnzimmer saß, war ich froh, gekommen zu sein. Sie hatte sich offensichtlich einsam gefühlt, denn ihre Begrüßung war überaus herzlich.

»Wie reizend von Ihnen«, sagte sie. »Mansfield wird sich freuen. Wir kennen noch gar niemanden hier, müssen Sie wissen.«

»Ich bin Ihre nächste Nachbarin«, erklärte ich. »Marcia Lloyd. Ich sah Licht bei Ihnen, und da dachte ich –«

»Nachbarin«, sagte sie leise. »Welch ein gutes Wort – ich habe es seit langem nicht mehr gehört.«

Ich bemerkte nun, wie mager und abgezehrt sie war; sie war nicht mehr jung, doch trug ihr Gesicht immer noch Spuren früherer großer Schönheit. Sie war völlig schwarz gekleidet, und als sie meinen Blick bemerkte, sagte sie leise: »Wir haben vor einem Jahr unsere Tochter verloren. Deshalb sind wir hierhergekommen; mein Mann dachte, eine Abwechslung würde mir guttun.«

Es war nett, beim Feuer zu sitzen und zu plaudern. Eine Weile später erschien auch Mr. Dean, ein schwerer, großer Mann mit breiten Schultern und mächtiger Stimme. Er schrie nach einem Whisky, klopfte seiner Frau mit einer gewaltigen Pranke liebevoll auf die Schulter und versicherte mir seine Freude über mein Kommen.

Später begleitete mich Mr. Dean nach Sunset hinüber, und als ich mich am Tor von ihm verabschiedete, glaubte ich einen Augenblick lang ein Licht im alten Spitalzimmer zu sehen. Es erlosch in der selben Sekunde, und ich redete mir ein, einfach das Opfer einer Täuschung geworden zu sein.

Bevor ich zu Bett ging, stieg ich in den dritten Stock hinauf, um meinen Argwohn zu beruhigen. Die Tür war noch immer verschlossen, und fünf Minuten später schlief ich beruhigt ein.

Die Sonne schien in mein Zimmer, als ich am nächsten Morgen erwachte; vor meinem Bett stand Maggie mit dem Frühstückstablett, und ihr Gesicht paßte schlecht zu dem strahlenden Tag. »Wenn Sie angezogen sind, muß ich Ihnen etwas zeigen«, verkündete sie.

»Was denn? Und wo?«

»Im Spitalzimmer«, sagte sie, während sie meine Kleider für den Tag herauslegte.

»Warum tust du so geheimnisvoll?« fragte ich gereizt. »Was ist los im Spitalzimmer?«

Doch Maggie weigerte sich zu antworten. »Wenn Sie angezogen sind, werde ich’s Ihnen zeigen«, beharrte sie.

»Wo ist Mrs. Ransom? Ist sie schon auf?« fragte ich schließlich.

»Sie ist ins Dorf gefahren, um sich die Haare waschen zu lassen. Die Jordan hat sie mitgenommen.«

Als ich angezogen war, stiegen wir also wieder einmal die Treppe zum dritten Stock hinauf, ich voraus, Maggie hintendrein. Die äußere Tür war ordentlich verschlossen, doch dies war das einzige, was ordentlich war. Vor uns lag ein Chaos. Im »Pesthaus« herrschte ein wildes Durcheinander; sämtliche Koffer waren geöffnet, und ihr Inhalt lag wahllos auf dem Boden verstreut, sogar die Matratze des alten Kinderbettchens hatte man herausgerissen, und jede Schachtel und jede Kiste schien durchwühlt zu sein. Maggie stand hinter mir und wartete, bis ich meinen Atem wiedergefunden hatte.

»Mike wollte heute früh etwas aus diesem Zimmer holen«, sagte sie, »so nahm ich den Schlüssel aus Ihrer Kommode und ging mit ihm hinauf. Und da fanden wir diese Bescherung. Und als wir in das andere Zimmer gingen, fanden wir das da.«

Sie zog mich zu der Tür des alten Spitalzimmers. Auf den ersten Blick schien hier alles beim alten zu sein, doch dann sah ich, was Maggie meinte. Auf einem der Betten lag eine Axt.

»Bist du sicher, daß nicht Mike die Axt hier oben vergessen hat?«

»Ganz sicher. Er kommt nie hier herauf. Und außerdem gehört die Axt nicht zum Haus; ich habe unten gefragt. Unsere alte Axt hängt im Werkzeugkasten, wo sie hingehört.«

Eines der Betten war leicht zur Seite geschoben, sonst schien das Zimmer jedoch unberührt zu sein. Wenn jemand auf Arthurs altem Wege von außen in das Zimmer gekommen war, hatte er jedenfalls keine Spuren hinterlassen.

Ich fühlte mich hilflos. Schließlich nagelte ich mit Maggies Hilfe den Fensterladen zu, indem ich das stumpfe Ende der Axt als Hammer benützte, und befahl William und Mike, in meiner Gegenwart ein Vorlegeschloß an der äußeren Tür anzubringen.

Erst als ich unten in meinem Zimmer den Schlüssel wieder in meiner Schublade versteckte, fiel mir ein, daß ich die Axt oben auf dem Bett vergessen hatte.

6

Juliette hatte sich für das Dinner ganz besonders hübsch angezogen und trank ziemlich viele Cocktails, bevor wir zu Tisch gingen. Nach dem Abendessen nahm sie den Wagen und fuhr fort.

Kaum war Juliette gegangen, tauchte Tony Rutherford auf.

»Habe mich in den Büschen versteckt, bis sie weg war«, sagte er lachend. »Ich hörte, daß sie hier ist. Was steckt denn bloß dahinter? Und wie geht es dir überhaupt, Marcia?«

Er betrachtete mich prüfend. »Nicht gerade blendend«, stellte er fest. »Na ja, Juliette und Gespenster im Haus –«

Er schenkte sich ein Glas Whisky ein und setzte sich in einen Lehnstuhl. Als ich ihm von Juliettes Forderung erzählte, pfiff er leise durch die Zähne. »Hunderttausend Dollar! Das ist eine hübsche Menge Geld. Wofür braucht sie es denn? Will sie am Ende wieder heiraten?«

»Ich weiß nicht. Wenn ja, benimmt sie sich allerdings sehr eigentümlich. Ich glaube, sie fürchtet sich vor etwas.«

»Juliette fürchtet sich nicht so leicht«, sagte Tony spöttisch. »Jedenfalls würde ich versuchen, sie bald loszuwerden, Marcia; sie bringt nur Unglück, das weißt du ja.«

Bald darauf kam Juliette zurück; sie schien erregt, doch als sie Tony erblickte, lächelte sie strahlend.

»Wie nett, Tony, Liebling«, rief sie, »nach all dieser Zeit!«

Sie zog ihn auf das Sofa neben sich, und er ließ es sich, halb geschmeichelt, halb unbehaglich, gefallen. Eine Weile blieb ich noch dabei, dann rief ich Chu-Chu und ging hinaus. Durch das erleuchtete Fenster sah ich die Dienstboten noch bei Tisch sitzen; es schien allerdings keine vergnügliche Mahlzeit zu sein, wohl wegen der Jordan, die in steifer Pose neben William thronte. In diesem Augenblick begann Chu-Chu kurz und scharf zu bellen, und als ich ihn zurückrief, trat ein Mann aus dem Gebüsch.

Es war Arthur.

Es war so dunkel, daß ich ihn erst erkannte, als er zu reden begann.

»Bist du’s, Marcia?«

»Arthur! Was um Himmels willen –«

»Ich will nicht gesehen werden«, sagte er. »Ich bin heute nachmittag hergeflogen. Mary Lou glaubt, ich sei mit dem Boot unterwegs. Wo können wir ungestört sprechen?«

Ich sagte ihm, daß Tony und Juliette im Hause seien, und schlug die Bank unten am Teich vor. Als wir uns hinsetzten, zündete er sich eine Zigarette an; im Licht des Streichholzes bemerkte ich, wie abgehärmt er aussah.

»Es geht nicht mehr so weiter, Marcia«, sagte er, »diese neueste Forderung ist nur der Höhepunkt. Ich stecke bis zum Hals in Schulden; mit den Steuern und allem bin ich völlig am Abgrund.« Er habe im Sinn, mit Juliette zu sprechen, erklärte er, deshalb sei er heimlich hergekommen, ohne Mary Lou etwas zu sagen; er wolle seine geschiedene Frau auffordern, sich mit weniger Alimenten zu begnügen. Wenn sie sich weigerte, würde er vor Gericht gehen. »Sie wird natürlich Himmel und Hölle in Bewegung setzen«, murmelte er. »Aber ich muß etwas tun. Ich habe überall Schulden, sogar beim Zahnarzt –« Seine Stimme erstarb; ich beugte mich zu ihm und legte meine Hand auf die seine.

In diesem Augenblick erklang von oben Tonys Stimme. »Marcia«, rief er, »Marcia, wo steckst du eigentlich?«

»Ich komme«, gab ich laut zurück und erhob mich hastig.

»Sag den Dienstboten nicht, daß ich da bin«, flüsterte Arthur.

»Nein. Ich hole dich, sobald Tony weg ist.«

In der Bibliothek herrschte eine andere Stimmung als zuvor. Während Juliette sich gelassen und zufrieden in ihrem Sessel räkelte, verhielt sich Tony schweigsam, fast mürrisch, und als ihn Juliette aufforderte, sie am nächsten Morgen auf ihrem Ausritt zu begleiten, schützte er eine Verabredung vor. Sie hob die schmalen Augenbrauen und warf ihm einen eigenartigen Blick zu.

»Wie du willst«, bemerkte sie mit einem spöttischen Lächeln. »Ganz wie du willst, mein lieber Tony.«

Draußen hatte es zu regnen begonnen, und ich hoffte im stillen, Arthur würde sich noch erinnern, wo wir den Garagenschlüssel aufzubewahren pflegten, und dort Schutz suchen. Bald darauf begann Juliette zu gähnen, und Tony, der den Wink verstand, erhob sich gehorsam. Ich begleitete ihn hinaus. Mir schien, als wollte er mir noch etwas sagen, doch die Tür zur Bibliothek hinter uns stand offen, so verabschiedete er sich nach kurzem Zögern und fuhr in seinem gewohnten Höllentempo davon. Es hatte wieder aufgehört zu regnen, und ein kalter Nebel begann aufzusteigen. Obwohl der Dienstbotenflügel bereits dunkel war, wagte ich noch nicht, Arthur hereinzuholen; zuerst mußte Helen Jordan ihre Herrin zu Bett bringen, und das dauerte meistens eine gute Weile. Es war halb ein Uhr vorüber, als ich Arthur endlich hereingeholt hatte und nun zu Juliettes Zimmer hinaufstieg. Einmal glaubte ich von ferne das Läuten einer Klingel zu vernehmen, doch nahm ich mir nicht die Zeit, mich darum zu kümmern. Ohne jedes Zeremoniell betrat ich Juliettes Zimmer.

Sie saß im Bett und las und betrachtete mich mit ärgerlichem Erstaunen. »Du könntest zumindest anklopfen«, bemerkte sie mürrisch.

»Ich will nicht das ganze Haus wecken. Arthur ist unten, Juliette.«

»Arthur! Was will er denn?«

»Das wird er dir selber sagen.«

Sie schlüpfte aus dem Bett. In diesem Moment war ihr Gesicht nicht hübsch; ohne das gewohnte Make-up wirkte es nackt und hart und berechnend, doch malte sich auch ein Schimmer von Erleichterung und Hoffnung in ihren Zügen.

Arthur stand vor dem Feuer in der Bibliothek; er hielt ein volles Whiskyglas in der Hand und warf Juliette nur einen flüchtigen Blick zu.

»Was soll die ganze Heimlichtuerei?« fragte Juliette mit leichtem Spott.

Nun wandte er ihr seine Augen voll zu. »Wenn ich dich so anschaue«, sagte er langsam, »scheint es unmöglich, daß du einen Mann ruinieren kannst – so wie du mich ruiniert hast.«

Sie machte eine ungeduldige Bewegung.

»Was willst du eigentlich?«

Er sagte es ihr, ohne seine Worte mit besonderer Schonung zu wählen. Von einer Abfindungssumme könne keine Rede sein. Die Krise habe uns alle ruiniert, und er verdiene nicht genug, um seine Familie zu erhalten und ihr gleichzeitig ein Leben in Luxus zu bieten. Wenn sie nicht freiwillig auf eine Kürzung der Alimente eingehe, werde er vor Gericht gehen.

Sie versuchte sich zu beherrschen, obwohl ihr Gesicht von Wut und Ärger verzerrt war. Sie möchte fort von Amerika, sagte sie schließlich, und nie zurückkommen. Sie liebe Europa, und in Südfrankreich kenne sie einen kleinen Landsitz, den sie billig kaufen könnte. Das Leben sei angenehm dort und nicht teuer. Mit einer Abfindungssumme –

»Was ist los mit dir?« unterbrach sie Arthur brutal. »Ich kenne dich recht gut, Juliette. Amerika paßt dir viel zu gut, als daß du freiwillig fortgehen möchtest. Was hast du angestellt, daß du verschwinden mußt?«

Sie wurde blaß, doch ihre Stimme zitterte nicht.

»Ich habe nichts getan«, sagte sie. »Ich habe dieses Land einfach satt, das ist alles. Denk nochmals darüber nach. Ich gebe nicht nach, darauf kannst du dich verlassen.«

Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus.

Damit die Dienstboten nichts merken sollten, brachte ich Arthur für die Nacht im alten Krankenzimmer unter. Das Herz tat mir weh beim Gedanken, daß sich Arthur wie ein Dieb in sein eigenes Haus schleichen und es auch heimlich wieder verlassen mußte. Er sah sich neugierig in dem Raum um.

»Komisches Gefühl, wieder hier zu sein«, lächelte er. »Als wäre man wieder ein Kind!« Da erblickte er die Axt und hob sie verwundert auf. »Nette Waffen hast du da herumliegen«, sagte er.

»Was tut das Ding hier?«

Ich wollte ihn nicht noch mehr beunruhigen und murmelte etwas von einem schlecht schließenden Fensterladen; gemeinsam entfernten wir die Nägel. Als ich ihm gute Nacht sagte, hatte er sich bereits hingelegt; er wollte sich nicht ausziehen, sondern nur ein paar Stunden schlafen.

7

Ich schlief länger als gewöhnlich, und es war bereits neun Uhr vorbei, als ich erwachte und nach Maggie klingelte. Maggie berichtete mir, Juliette sei bereits im Reitkostüm weggegangen; wie üblich hatte sie den Wagen genommen. Mary Lou habe in der Frühe angerufen, doch als sie hörte, daß ich noch schlief, wollte sie mich nicht stören. Und schließlich – Maggie pflegte die interessantesten Neuigkeiten stets bis zum Schluß aufzusparen – erzählte sie, Lizzie, deren Zimmer nach hinten hinaus liegt, habe um drei Uhr morgens einen Mann die Auffahrt hinunterlaufen sehen – einen barhäuptigen Mann, der eine Axt in der Hand schwang.

»Sie sagt, es sei ein Gespenst gewesen«, brummte Maggie. »Aber ich will meinen Kopf wetten, daß die Axt nicht mehr oben liegt.«

Mein Kopf wirbelte, als ich Maggie hinausschickte. Eine Stunde später erschien Mike in der Küche; er hielt eine Axt in den Händen, und mein Herz begann rascher zu klopfen. Entweder war es die Axt aus dem Krankenzimmer oder dann ihr genaues Ebenbild.

»Wo haben Sie sie gefunden?« fragte ich mit mühsam bezwungener Erregung.

»Unten am Rand des Teiches«, sagte er. »Am obern Ende. Sie lag halb im Wasser.«