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Lutz Seiler kehrt nach zwei Romanen zurück in den Heimathafen der Gedichte. Zurück in die Stimmen der Kindheit, ins Waldstadion, in den »Knochenpark« und zur Frage, wo unser »eignes schmales erdreich ankern kann«. Er entdeckt den »Ahnenapparat« seines vom Uranbergbau geschleiften Heimatdorfes, um dort »seinen Toten« zu lauschen. Er durchstreift die Klangwelt des märkischen Kieferngewölbes und ist unterwegs: ob in den Legenden von Trouville oder in Stockholm, seiner zweiten Heimat, immer auf der Suche nach einer »schrift für blinde riesen« und ihrem Blick dorthin, »wo die welt vermutet werden könnte«.
Mit seiner suggestiven Stimme und einer gehärteten Sprache jenseits aller Moden eröffnet Lutz Seiler einen ureigenen poetischen Raum. Vor allem ist es die Materialität der Dinge, das Sprechen nah an den Substanzen – verwandelt in Rhythmus und Klang, bilden sie den Erzählton seiner neuen Gedichte: »Der Hallraum eines Gedichts sollte nicht kleiner sein als der eines Romans«, schreibt Seiler. »Jedes gute Gedicht kann der gestische Kern eines Romans sein und die Verbindung herstellen zum Ursprung des Genres: zum Epos und seinem Gesang.«
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Seitenzahl: 48
Lutz Seiler
schrift für blinde riesen
Gedichte
Suhrkamp
schrift für blinde riesen
für Charlotta
Cover
Titel
Inhalt
Informationen zum Buch
Impressum
Hinweise zum eBook
Cover
Titel
Motto
Inhalt
morgenrot & knochenaufgänge
ich hab dem vogel stimmen nachgesagt
ich hab dem vogel stimmen nachgesagt
waldstadion traktor langenberg
kindheit & weiter
WAS
in der luft liegt, wird leise
in schreibschrift geschrieben
das war der knochenpark, sagt a.
bis die tiere starben, fraßen sie
herr klotz
prometheus als kind
technisches museum in berlin
im kieferngewölbe
hubertusweg
mann in der mark
der waldgang
als unser sprechen einmal diese frage
eintrag vierter februar
im kieferngewölbe
heimwärts, im regen
müssen wir riesen verhungern?
drüben stehen die robinien
sagagatan
solna, sagagatan
signalstation arholma
abel, babel & cabel
tulpen
trockenbodenträume
nichts geschieht
ein paar freunde
laweder lavendel
laweder lavendel
alte sterndreherweise
sitzen, trinken
kommst du zurück
schon nach dem abendbrot
achaemenides
nachdem ich deinen brief gelesen
hortensie
schweizer söldner in der fremde
anfang des gedichts
im haus des ersten kammerdieners
nostalgia
in caisleán ghriaire
irisches tagebuch
passepartout menaggio
hausen
woher kommt das stumme
rykestraße
trouville & du
fußgesänge, plattenwege
am ahnenapparat
ortsdurchfahrt culmitzsch
am ahnenapparat
als kind
als das jahrhundert überstanden, als
die schwarze monika
der junge, das lied
hof mit mond
am grunde eines hochgefühls
für alle & jeden
für alle & jeden
nur zwei kragenbinden
29. märz 2020
vaduz
zungenabgabe
auf sendung
unten auf der treppe
land’s end
tage-läuten, tage-pfeifen
zuerst siehst du die blätter
Anmerkungen
das war der knochenpark, sagt a.
mann in der mark
eintrag vierter februar
signalstation arholma
abel, babel & cabel
trockenbodenträume
achaemenides
passpartout menaggio
trouville & du
ortsdurchfahrt culmitzsch
die schwarze monika
nur zwei kragenbinden
29. märz 2020
unten auf der treppe
Informationen zum Buch
Impressum
Hinweise zum eBook
stunde null im habitat. der sogenannte affenmensch
sitzt in der savanne & kann
nichts sehen – das gras
ist zu hoch. dann das knacken, hörbar
in den kapseln, ein druck, ein griff
nach der geschichte: daumen & zeigefinger
kommen zusammen, die
schreibhand entsteht. zehntausend jahre
vor dem aufrechten gang
ich hab dem vogel stimmen nachgesagt
in sprachen, die es kaum noch gab.
ich hab dem knochenausschuss vorgetanzt
ich hatte keinen blassen.
ich war ein maurer, nicht zum spaß
(»ein guter estrich sandet nicht«) & so
misslang mir auch das.
ich übte das köderköcheln im dunkel –
die grundredensarten, die sprachgliedmaßen, ich
las. so wurde ich besser, so wurde ich blass; ich war
ein insekt, der droste nahestehend, ja: »ich hab
auch die vokale hier ins feld
geführt, viel edler rüdiger«, ich war
ein held voll aventure, »doch
nun sagt an, herr lutz, für wen?« »für dich, allein
für dich, mein unersättliches poem«
seit dem sturz trag ich das mal
der aschenbahn in meiner hand, ich
nannte es: den schlangenbiss.
jeder wusste, woher, aus
welcher grube diese schwärze
kam & lange wusch ich die wunde
im bach. ich spürte die kühle
der schatten im nacken:
die eichen, der hausberg, das waldstadion –
ich spielte bei den »knaben« (später »schüler«
»jugend« »junioren«), ich war
verteidigung, dann mittelfeld, kein
linksfuß, aber immer links, ich spielte
mit uran im urin & zerschlagenen knien
auf dem schlackeplatz unserer lieder
unten die anstalt … in
den schächten das licht, die hände
lagen auf dem tisch, es fehlte
das gebet. das gebet war verloren
gegangen über die felder, das akkordeon war
verloren gegangen, äste brachen
ab & man stürzte (das akkordeon im aschekübel)
von bäumen herunter ohne
gebet; man lag im krankenhaus von gera (es war
noch das alte bezirkskrankenhaus), lange
flure, hohes gewölbe, man weinte, erwachte, litt
man sah ja die häuser, wie sie vorüber
flogen, das waren fassaden
ohne gebet & die eltern
in lochkarten begriffen, jedes haus eine schöne maschine, 0
oder 1, ohne gebet …
ich musste genesen.
ich sammelte dinge, als hätten sie inne
das gebet; es war nur verstummt, in ihnen verstummt, es
hob manchmal an & verstummte, hob an
& verstummte
WAS in der luft liegt, wird leise
beiseite gesprochen. der regen
füllt die stimmen auf
& ordnet die reste im graben:
ein schuhabsatz, ein fingernagel.
banderolen an den stämmen heißt
wo jetzt zu roden ist.
so kehrtest du nach haus zurück
in die langsam
langsam atmenden schatten der bäume
weil kiefern sind wie zum erinnern
dachtest du an HEIKO, deinen kolbenfüller
aus dem schmiergerätewerk:
aufstrich, abstrich, kleiner bogen
großer bogen, in tinte ertrunken
& immer das löschblatt gerade verschwunden …
einmal hat dein vater dir
aus düsseldorf geschrieben & einmal
sogar aus wien, einundsiebzig:
ein pferd, ein fiaker in farbe, »das ist vom vati!«
hat deine mutter gerufen, die karte
steckte noch jahre im flur
hinter der garderobe (man sagte gohrdruhbe)
im luftreich fallen die fußspuren ab. mit jedem
schritt durch diese weiten … auch du
bist angekommen in der schrift, du schreibst
& hast es nie erreicht. & was erreicht?
das kiefernlicht.
erst weiß, dann gold, am ende blut
in ihren spitzen, so