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Band 5 der großen Gestaltwandler-Serie von Bestseller-Autorin Katja Brandis: voller neuer Abenteuer für Tigerhaijungen Tiago und seine Freunde Seit Kurzem sind Tiago und Shari zusammen und schon wartet die nächste Herausforderung auf die beiden. Ihre Mitschüler an der Blue Reef High drehen einen Film - und Tiago soll die Hauptrolle spielen! Seine Filmpartnerin wird ausgerechnet Python-Wandlerin Ella, die Tochter der kriminellen Anwältin Lydia Lennox. Während Tiago mit Ella vor der Kamera steht, bekommt Shari unversehens die Chance, an einem echten Filmset zu drehen! Kann das gutgehen? Zur gleichen Zeit wird in der Lagune ein seltsames Päckchen angeschwemmt. Schnell stellt sich heraus, dass eine kriminelle Bande unter Wasser Drogen und Waffen ins Land schmuggelt. Sind etwa auch Seawalker in die Machenschaften verstrickt? Als Tiago und seine Freunde die Spur verfolgen, wird ihnen klar, dass der Einfluss der Verbrecher bis in die Blue Reef High reicht. Hier kommt die zweite Staffel der großen Gestaltwandler-Serie von Bestseller-Autorin Katja Brandis. In der atemberaubenden Unter- und Überwasserwelt der Everglades erleben Tigerhaijunge Tiago und seine Gestaltwandler-Freunde (Delfinwandlerin Shari, Gürteltierwandler Jasper, Rochenwandlerin Finny, Papageifisch Nox u.a.) einzigartig spannende Abenteuer. Packender Lesestoff für alle Tierfantasy-begeisterten Jungen und Mädchen ab 10 Jahren. Mit wunderschönen Illustrationen von Claudia Carls und tollen Gestaltwandler-Portraits. Alle Seawalkers-Bände sind einzeln und unabhängig von den Woodwalkers lesbar. Die Seawalkers-Bände erscheinen halbjährlich. Gedruckt auf Umweltpapier und zertifiziert mit dem "Blauen Engel". Bisher erschienen: Seawalkers (1). Gefährliche Gestalten Seawalkers (2). Rettung für Shari Seawalkers (3). Wilde Wellen Seawalkers (4). Ein Riese des Meeres Seawalkers (5). Filmstars unter Wasser Band 6 der "Seawalkers" erscheint im Januar 2022
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Seitenzahl: 345
Katja BrandisSeawalkersFilmstars unter Wasser
Bücher von Katja Brandis im Arena Verlag:
Woodwalkers. Carags Verwandlung
Woodwalkers. Gefährliche Freundschaft
Woodwalkers. Hollys Geheimnis
Woodwalkers. Fremde Wildnis
Woodwalkers. Feindliche Spuren
Woodwalkers. Tag der Rache
Woodwalkers and Friends. Katzige Gefährten
Seawalkers. Gefährliche Gestalten
Seawalkers. Rettung für Shari
Seawalkers. Wilde Wellen
Seawalkers. Ein Riese des Meeres
Khyona – Im Bann des Silberfalken
Khyona – Die Macht der Eisdrachen
Gepardensommer
Koalaträume
Katja Brandis, Jahrgang 1970, hat Amerikanistik, Anglistik und Germanistik studiert und als Journalistin gearbeitet. Schon in der Schule liehen sich viele Mitschüler ihre Manuskripte aus, wenn sie neuen Lesestoff brauchten. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Jugendliche veröffentlicht, zum Beispiel Khyona, Gepardensommer, Floaters – Im Sog des Meeres oder Ruf der Tiefe. Die begeisterte Taucherin hat in den Meeren dieser Welt schon unvergessliche Begegnungen mit Haien, Delfinen und Rochen erlebt. Sie lebt mit Mann, Sohn und drei Katzen, von denen eine ein bisschen wie ein Puma aussieht, in der Nähe von München.
www.seawalkers.de | www.woodwalkers.de
Katja Brandis
Filmstars unter Wasser
Zeichnungen von Claudia Carls
Für Uschi und Gerhard –danke für eine wunderbare Kindheit!
Ein Verlag in der westermannGRUPPE
1. Auflage 2021
© 2021 Arena Verlag GmbH
Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Autoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler (München).
Cover und Innenillustrationen: Claudia Carls
E-Book ISBN 978-3-401-80962-5
Besuche den Arena Verlag im Netz:
www.arena-verlag.de
Wir haben eine Menge geschafft: Jack Clearwater ist wieder Schulleiter, Buckelwal Wave zieht friedlich durch die Meere und wir haben die Arenakämpfe mit Haien gestoppt, indem wir die Kunden abgeschreckt haben. Ich kann noch immer kaum glauben, dass auch Shari in mich verliebt ist. Mein Leben könnte perfekt sein … aber ich habe ein bisschen Schiss davor, was Lydia Lennox noch vorhat. Inzwischen ist klar, dass sie Gangster nicht nur als Anwältin vertritt, sondern auch selbst im organisierten Verbrechen mitmischt. Außerdem geht mir die Bemerkung von Wave noch immer im Kopf herum. Er hat gehört, wie irgendwelche Woodwalker-Kriminellen im Knast davon geschwärmt haben, wie »praktisch« die Kids dieser Wandler-Highschool in Key Largo wären. Was in aller Welt haben die damit gemeint?
Es war nicht ganz leicht, sauer auf Jack Clearwater zu sein, weil er ein so netter Kerl war. Aber diesmal sah es so aus, als wäre es bei manchen von uns so weit. Als Finny an diesem Morgen neben Shari, unseren Delfinfreunden, Jasper, Chris und mir in der Cafeteria saß, wirkte sie ebenso angefressen wie ihr Frühstücksbrötchen. »Wusstet ihr eigentlich, dass unser sehr verehrter Schulleiter mir schon vor Monaten versprochen hat, dass er im Herbst mal wieder ein Theaterstück mit uns aufführt?«
»Meerig! Jetzt ist Herbst, oder?« Shari blickte ein bisschen unsicher drein. An Land spürte man die Jahreszeiten deutlich stärker als im Meer, in dem sie als Delfin aufgewachsen war. Es war inzwischen November und morgens und abends brauchte man selbst in unserem sonnigen Florida einen Pullover, wenn man sich nicht durchs Leben bibbern wollte.
»Oh echt? Ich wusste gar nicht, dass er das versprochen hat«, meinte ich neugierig und goss Ahornsirup über meinen Pfannkuchen. »Wollte er das Stück selbst schreiben?«
»Klar, und er macht so was auch gut … wenn er mal in die Gänge kommt«, meinte Finny, in zweiter Gestalt ein Teufelsrochen. Sie kämmte sich mit gespreizten Fingern die azurblauen Haare durch und stand auf. »Ich frage ihn jetzt gleich, wie weit er mit dem verdammten Stück ist. Wer kommt mit?«
»Ich«, sagte unser blonder, schlaksiger Seelöwen-Wandler Chris, noch bevor ich meinen Pfannkuchen heruntergeschluckt hatte und dazu gekommen war, den Mund wieder aufzumachen.
»Bin dabei«, meinte ich.
»Ich auch«, verkündete Juna, unsere zierliche Falterfisch-Klassensprecherin, die anscheinend im benachbarten Tischboot mitgehört hatte. »Das ist schließlich meine Pflicht.«
Da gerade auch die anderen Mitglieder der Delfinclique sich melden wollten, sagte Finny: »Drei Leute reichen. Sonst fühlt er sich bedroht, haha, besonders wenn auch Tiago mitwill.«
»Sehr witzig«, sagte ich und teilverwandelte meine Zähne zu einem Tigerhaigebiss.
Shari musste lachen und nahm meine Hand. »He, mach mich nicht neidisch. Bis ich meine Teilverwandlungen so gut im Griff habe …«
Ihre Hand zu halten, fühlte sich unglaublich an. Wahrscheinlich stand auf meinem Gesicht ein großes, seliges Idiotengrinsen.
Finny winkte den anderen und mir mitzukommen und watete rüber zum Lehrertisch, an dem richtig gute Stimmung herrschte. Miss Bennett, unsere neue Igelfisch-Lehrerin, lachte über einen Witz, den Mr García gerade gemacht hatte, unsere Orca-Kampflehrerin Miss White knabberte lächelnd – lächelnd! – an einer Melonenscheibe, während sie und Mr Clearwater einander anblickten. Unser junger Schulleiter war ein großer, breitschultriger Mann mit hellblonden Haaren, die verrieten, dass er in zweiter Gestalt Weißkopf-Seeadler war. Gerade trank er entspannt seinen Kaffee und las dabei die Zeitung. »Es gibt richtig meerige Neuigkeiten«, sagte er und zeigte eine Meldung herum. Neugierig las ich die Überschrift: Mutmaßlicher Gangsterboss verhaftet!
»Was, etwa Carl Bittergreen, der Kumpan von Lydia Lennox?« Mein Puls beschleunigte sich. »Der, der mit ihr zusammen hinter den Wetten auf Haikämpfe und diesen Umweltschweinereien steckte?«
»Genau. Er ist wegen Mordes, Erpressung und Bedrohung angeklagt und diesmal sind die Beweise erdrückend«, berichtete Jack Clearwater bestens gelaunt. »Sie haben einen wichtigen Zeugen gegen ihn. Demnächst ist die Gerichtsverhandlung. Bittergreen könnte gut zwanzig Jahre hinter Gitter wandern.«
Er zeigte uns das Zeitungsfoto eines nicht sehr großen, quadratisch gebauten Mannes mit steinernem Gesichtsausdruck. Sein Blick ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Er war einer dieser Typen, mit denen man sich auf keinen Fall anlegen wollte, doch wir hatten ihm und der Lennox schon ein paarmal das Geschäft verdorben.
Aber jetzt war er auf dem Weg in den Knast! Chris, Finny und ich klatschten uns ab. Das waren wirklich gute Neuigkeiten.
»Die Lennox vertritt ihn natürlich, nehme ich an?«, fragte Finny.
»Wer sonst?«, sagte unser Schulleiter und warf einen Blick zu Ella hinüber, die so tat, als würde sie nichts hören, und mit Daphne, Toco und Barry plauderte.
Lydia Lennox, Ellas Mutter, hatte immer behauptet, sie wäre ja nur die Anwältin dieser Kriminellen. Doch bei den Haikämpfen, die wir gestoppt hatten, hatten wir sie erst an Bord gesehen und dann mitbekommen, dass sie dabei sogar das Kommando hatte! Seither wussten wir, dass sie und ihr Kumpel Carl Bittergreen zumindest manche Verbrechen (von denen mich eines fast das Leben gekostet hätte) gemeinsam organisiert und durchgeführt hatten.
Würde die Lennox auch weitermachen, wenn Bittergreen erst mal von der Bildfläche verschwunden war? Keine Ahnung. Doch es würde ein herber Rückschlag für sie sein, ihren Kumpan zu verlieren.
»Aber deswegen wolltet ihr mich nicht sprechen, oder?«, fragte Jack Clearwater. »Was gibt’s?«
Um die Dinge herumzureden, war nicht Finnys Art. »Wie sieht’s aus mit dem neuen Theaterstück? Wie weit sind Sie damit? Wir hätten Lust, mal wieder eine Aufführung zu machen.«
Gespannt warteten wir und die Leute an den anderen Tischen auf die Antwort.
»Äh, ja«, sagte unser Schulleiter. »Ich fürchte, das dauert noch. Das Stück ist erst halb fertig.«
»Erst halb fertig?! Das haben Sie im Sommer auch schon gesagt!« Finny stemmte die Hände gegen die Hüften.
»Es war ziemlich viel los bei uns, falls du es nicht bemerkt hast«, verteidigte ihn Miss White.
»Geben Sie es zu, Sie haben eine Schreibblockade«, sagte Chris.
»He, Moment mal, wie redest du mit unserem Schulleiter?« Juna blickte ihn stirnrunzelnd von der Seite an.
Jack Clearwater seufzte. »Lass nur, Juna, er hat recht. Ja, es stimmt, ich komme mit dem verdammten Stück nicht weiter und habe keine Ahnung, woran das liegt.«
»Also erst mal keine neue Aufführung?« Finny kniff die Lippen zusammen. »Wozu haben wir dann überhaupt eine Theatergruppe?«
Juna und Chris zogen sie weg, bevor es noch mehr Stress zwischen den beiden geben konnte.
»Chillt mal, Leute«, sagte Chris, als wir uns im blau-weißen Boot um den Tisch drängten. »Ich hab eine Idee.«
»Na, da bin ich aber gespannt – hat sie irgendwas mit Schuleschwänzen zu tun?«, zog ihn Noah auf, während Finny düster durch die Panoramafenster auf die Lagune hinausstarrte.
»Nein, aber dafür mit Hollywood«, sagte Chris und lächelte geheimnisvoll, während er sich vorbeugte. »Wir packen das Ganze einfach selbst an. Aber nicht als Theaterstück … sondern gleich als Film. Ich wollte schon immer einen Film machen. Wann, wenn nicht jetzt?«
Verdutzt blickten wir uns an.
»Weißt du denn, wie das geht?«, fragte Blue ein bisschen ratlos – auch sie war so wie Shari als Delfin aufgewachsen. Plötzlich fiel mir auf, dass sie einen guten Filmstar abgeben würde mit ihren langen dunklen Haaren, ihrem feinen, ovalen Gesicht und ihrer Turnerinnenfigur.
»Hab ich euch nie erzählt, dass ich mal in einem Film mitgespielt habe, als ich noch in Kalifornien gewohnt habe?« Chris strich sich das schulterlange, von der Sonne gebleichte Haar aus der Stirn und wirkte so, als würde ihm unsere gebannte Aufmerksamkeit ziemlich gut gefallen.
»War es eine Tierdoku?«, fragte Finny trocken.
»Nee, ein richtiger Kinofilm! Ein Kumpel kannte jemand, der jemand kennt, so bin ich an die Rolle drangekommen. Na ja, ich musste nur mal mit Surfbrett durchs Bild laufen und zwei Sätze sagen, aber trotzdem habe ich ein bisschen was davon mitgekriegt, wie das an einem Filmset läuft.«
»Wow«, entfuhr es mir. »Was durftest du denn sagen?«
»He, rück mal beiseite, denkst du, der Strand gehört dir oder was?«, zitierte Chris. »Das war witzig gemeint. Ich war damals erst zwölf und noch etwas kurz geraten, der andere Typ war erwachsen und hatte Muskeln Marke Superheld.«
»Wieso hast du uns das nie erzählt?« Shari wirkte fasziniert.
»Darf ich in deinem neuen Film mitspielen?«, fragten Noah und Juna fast gleichzeitig. Auch in den anderen Tischbooten waren die Schüler aufmerksam geworden, sie standen auf und wateten auf uns zu. Zum Beispiel Toco, unser fiesester Alligator, ein kräftiger, karottenhaariger Junge, und die schlanke blonde Ella, in zweiter Gestalt Python.
Einen Moment lang wirkte Chris so, als würde ihm das ein kleines bisschen Sorgen machen. Aber dann war er wieder so lässig wie sonst. »Klar«, meinte er. »Jeder, der möchte, kann mitmachen, ich schreibe das Drehbuch gleich so, dass es genügend Rollen gibt.«
Moment mal, das ging alles ziemlich schnell … er wollte Produzent sein und außerdem das Drehbuch schreiben?
Bau unbedingt auch einen witzigen Papageifisch ein, meldete sich Nox aus dem Wasser zu Wort. Ich könnte der beste Freund des Helden sein, wie klingt das?
Ein Krakententakel packte ihn um den Bauch. Schlecht. So eine Rolle ist vielgut für MICH!, verkündete Lucy.
»Kein Stress, Leute, ich denk mal drüber nach.« Chris’ Augen glänzten, er wirkte so energiegeladen wie selten zuvor. »Übernimmst du die Regie, Finny? Natürlich brauche ich dich auch für all die schrägen Nebenrollen, für die sich jemand verkleiden muss.«
»Ist gebongt«, sagte Finny. Sie wirkte schon deutlich glücklicher als vorhin. »Aber ich glaube, es gibt ein Problem. Ohne richtige Kamera nix Film.«
»Ach Quatsch.« Noah, unser neuseeländischer Schwarzdelfin, winkte ab. In erster Gestalt war er ein Junge mit brauner Haut und schwarzen, welligen Haaren. »Wir nehmen das Ganze mit dem Handy auf.«
»Es gibt einen Grund, warum ›Handyvideo‹ ein Schimpfwort ist«, wandte ich ein und auch mehrere andere aus unserer Gruppe wirkten skeptisch.
Also zwängte sich Noah aus dem Boot und zückte sein Handy. »Wir probieren das gleich aus. Tut bitte mal so, als würdet ihr euch darüber streiten, wer die Hauptrolle bekommt, ja?«
»Na, die kriege natürlich ich«, sagte ich zum Spaß und haute mit der Faust auf den Tisch. Eins der Bretter knackte und bekam einen Riss. Ups. Manchmal vergaß ich, wie stark ich war.
»Sagt wer?« Noah grinste. »Ich sage, das kannst du dir abschminken. Schließlich haben wir einen wahren Star unter uns, dieses hübsche blonde Mädel.« Er deutete mit dem Kinn auf den Platz neben mir.
Shari schaute sich verwirrt um und wir mussten lachten. Noch immer fand sie es seltsam, dass sie in ihrer Menschengestalt Finger und eine im Vergleich zu ihrer Delfinschnauze winzige Nase hatte. »Das haben mir schon ein paar Leute gesagt, dass ich in erster Gestalt hübsch bin … stimmt das etwa wirklich?« Shari betastete ihr Gesicht und gab zu: »In letzter Zeit habe ich mich manchmal im Spiegel angeschaut und gedacht: Hey, das ist vielleicht gar nicht so schlecht, was ich da als Menschengestalt abbekommen habe.«
»Natürlich bist du hübsch, das sage ich dir doch schon die ganze Zeit«, meinte ihre beste Freundin Blue.
Ich nickte heftig. »Genau.«
»Äh, danke«, sagte Shari verlegen und lächelte. »Na, dann glaube ich das jetzt mal!«
»Vergiss es, die Hauptrolle spiele ich«, trumpfte Juna auf, zog eine fiese Grimasse und krümmte ihre Hände zu Klauen. »Euch war nie wirklich klar, dass ich in Wirklichkeit der Folterfisch Juna Jaxxon bin, eine Superschurkin, die die Welt zerstören und alle Meere trockenlegen will!«
Sehr überzeugend wirkte das nicht, weil Juna klein und schmal war und mit ihren schulterlangen dunkelblonden Haaren mit ordentlichem Mittelscheitel ein bisschen brav aussah. Jasper rutschte vor Lachen fast unter den Tisch. »Meinste wirklich? Und du schwimmst dann in einem Eimer rum oder was?«
»Genau das muss sie, weil ich als Seawalker-Agentin sie nämlich stoppen werde«, verkündete Sharis sonst eher schüchterne beste Freundin Blue und versuchte, einen stahlharten Blick aufzusetzen. Jasper quiekte vor Vergnügen.
»Cut! Das reicht schon«, unterbrach uns Noah und wir beugten uns gespannt über sein Handy, um die Aufnahme zu überprüfen.
Sie war beschissen. Obwohl Noahs Handy ziemlich neu war, verstand man durch die Hintergrundgeräusche in der Cafeteria nur die Hälfte des Dialogs, außerdem schwankte das Bild und war überbelichtet. Sah nicht wirklich nach Kinoqualität aus. Außer für jemanden, der noch nie im Kino gewesen war. Shari und Blue staunten den Film an wie das achte Weltwunder.
»Hey, siehst du das? Das bin ich als Agentin«, flüsterte Blue stolz ihrer besten Freundin zu.
Chris dagegen wirkte ernüchtert, er schob Noahs Gerät beiseite und blickte in die Runde. »Okay, Leute. Eins ist klar – wir brauchen eine echte Kamera.«
»Gerade fällt mir was ein«, meinte Juna. »Barry hat sich neulich eine gekauft – einen wasserdichten Camcorder.« Verblüfft blickten wir sie an.
Ausgerechnet Barry, unser Barrakuda. Na toll. Er war neben Toco und Ella eine der übelsten Gestalten hier an der Schule, obwohl es ihn ein bisschen milder gemacht hatte, dass er nun mit Carmen, unserem Hammerhaimädchen, zusammen war.
Doch bevor wir darauf reagieren konnten, stürmte Mara – in zweiter Gestalt Seekuh – durch den Cafeteria-Eingang, der zum Strand führte. Sie hatte es so eilig, dass ihr massiger Körper im knietief gefluteten Raum eine Bugwelle hatte. »He, Leute! Ralph hat draußen am Riff was gefunden! Schnell, kommt schauen …«
Wir ließen unsere fast leeren Teller stehen und folgten ihr eilig nach draußen.
Als wir, vor Neugier fast platzend, am Strandabschnitt hinter dem Bootshaus ankamen, scharten sich schon einige Erst- und Zweitjahresschüler um etwas, das am Strand lag. Finny, Shari und ich reckten den Hals, um herauszufinden, was es war – irgendein seltsames Geschöpf aus der Tiefsee vielleicht oder ein interessantes Trümmerstück, das beim Hurrikan ins Meer hinausgerissen und nun wieder ausgespuckt worden war?
Nein, es war eine Maschine.
Endcool, oder? Das Ding hat am Riff festgehangen, berichtete Ralph stolz. Er flösselte noch immer in seiner Gestalt als Schwarzspitzen-Riffhai durchs Wasser. Weil der Akku schon ziemlich schwach war und es nicht so richtig weiterkam, habe ich es Richtung Strand geschubst, bis es hier gestrandet ist.
»Sag mal, ist das … ein Torpedo?«, fragte Vincent, ein dünner blasser Junge, dessen zweite Gestalt ein Moskito war.
Ungefähr gleichzeitig fiel uns ein, dass Torpedos die schlechte Angewohnheit hatten zu explodieren. Schließlich wurden sie von U-Booten dazu benutzt, Schiffe zu versenken. Wir alle wichen ein paar Meter zurück.
»Bist du irre, dass du das Ding hierher mitgebracht hast?«, beschwerte sich Ella. »Willst du, dass die ganze Schule in die Luft fliegt?«
Seid ihr krass blöd oder was? Ralph wirkte ein bisschen beleidigt. Das Ding hat ein Bullauge vorne, wozu würde ein Torpedo denn so was brauchen?
»Ich glaube auch nicht, dass es eine Waffe ist«, wandte Izzy ein, ein grünäugiges Mädchen aus Kalifornien, das sich in einen fliegenden Fisch verwandeln konnte. Wie üblich trug sie bequeme Klamotten, die aussahen, als wäre eine Farbfabrik explodiert. »Wenn bei einem Torpedo der Motor ausfällt, sinkt er auf den Meeresgrund und bleibt da liegen. Hab ich mal gelesen.«
Ich betrachtete Ralphs Fund, so gut es aus dem Sicherheitsabstand ging. Es war ein Zylinder aus grauem Metall, fast so lang wie ein kleiner Mensch und am einen Ende bestückt mit einer Schiffsschraube und einem Ruder, mit dem es in alle Richtungen steuern konnte. Am anderen Ende hatte es tatsächlich ein rundes Fensterchen aus einem durchsichtigen Material – wahrscheinlich Plexiglas.
»Also, ich finde, es sieht aus wie ein kleines U-Boot«, verkündete Shari, die sich nach unserem Tieftauchversuch einige Dokus zum Thema reingezogen hatte.
Ich nickte und hatte allmählich eine Vermutung, was wir da vor uns hatten. »Stimmt, irgendwie sieht es so aus.«
Die große, dünne Leonora – in zweiter Gestalt ein Zitteraal – grinste. »Soll ich ihm einen Elektroschock verpassen? Vielleicht erwacht es dann wieder zum Leben.« Sie streckte den Fuß aus, um das Ding anzustupsen, doch ich hielt sie zurück. »Besser nicht. Das muss sich die Polizei anschauen.«
»Die Polizei?« Shari blickte mich fragend an, so wie einige andere aus meiner Klasse. »Aber es ist keine Wasserleiche oder so was.«
Olivia, in zweiter Gestalt ein Doktorfisch, zuckte die Achseln. »Wirklich gefährlich sieht es auch nicht aus. Besser, Ralph ruft im Fundbüro an.«
Offenbar waren die anderen deutlich behüteter aufgewachsen als ich. Gerade wollte ich ihnen erklären, warum das Fundbüro in diesem Fall eine maximal schlechte Idee war, da knirschten Schritte auf dem Sand. Drei unserer Lehrer drängten sich durch die Menge – Mr Clearwater, Miss White und Mr García.
»Schöne Bescherung«, sagte Jack Clearwater, der anscheinend die gleiche Vermutung hatte wie ich. »Ich rufe die Cops an.«
Miss White drängte Toco zurück, der sich neben das seltsame U-Boot gekniet hatte und die Hand danach ausstreckte. »Stopp! Fass das bloß nicht an! Wahrscheinlich haben Kriminelle damit versucht, Drogen aus Südamerika in die USA zu schmuggeln.«
»Glaube ich auch«, meinte Mr García. »In letzter Zeit hat die Küstenwache besonders viel patrouilliert und einige Schnellboote abgefangen, die nachts versucht haben, mit einer Drogenlieferung nach Florida zu kommen. Flugzeuge mit heißer Ware kommen auch immer seltener durch. Anscheinend suchen die Schmuggler nun nach neuen Methoden.«
»Oh.« Mara – als Mensch ein rundliches Mädchen mit langem Blondhaar, in zweiter Gestalt Seekuh – blickte betroffen drein. »Vielleicht hättest du das Ding besser dort gelassen, wo es war, Ralph.«
Ralph sah so aus, als hätte er als Hai zu viel Gammelfleisch gefressen.
An Unterricht war vorerst nicht zu denken. Mr Clearwater improvisierte eine Menschenkundelektion, um allen Schülern, die als Tier aufgewachsen waren, zu erklären, dass heiße Ware nicht deswegen so hieß, weil man sie in einer Pfanne zubereitete. Unsere Pantherin Noemi konnte sich noch nicht so gut verwandeln und musste aufs Dach außer Sicht, aber wir anderen durften am Strand bleiben, bis die Polizei aus Key Largo angerückt war und das U-Boot untersucht hatte.
»Ah, noch eins dieser Dinger.« Einer der Cops, ein kräftiger schwarzer Patrol Officer, kniete sich auf den Sand und schraubte eine Klappe an der metallenen Torpedo-Oberseite auf – daraus kamen braune, quadratische Pakete zum Vorschein. Sie waren dick mit Folie und Klebeband umwickelt, wahrscheinlich damit sie wasserdicht waren. »Vermutlich Kokain. Da wird sich jemand ärgern, schätze ich.«
Oje. Für meinen Geschmack hatte ich in den letzten Monaten deutlich zu viel mit Kriminellen zu tun gehabt. Immerhin hatten wir einige von ihnen – die gedacht hatten, sie könnten Giftmüll in der Natur entsorgen – zur Strecke gebracht und jetzt war mit Carl Bittergreen einer der größten Verbrecher auf dem Weg in den Knast. Aber die kriminellen Geschäfte liefen weiter, das war deprimierend.
Die kleinere, langhaarige Kollegin des Officers versuchte, irgendwelche Spuren oder Fingerabdrücke von dem Mini-U-Boot zu sichern. Anscheinend vergeblich, denn nach einer Viertelstunde gab sie es auf. Die beiden packten die Drogenpakete ein und machten sich bereit zum Abmarsch.
»Was ist mit dem U-Boot?«, rief ihnen Jack Clearwater nach.
»Das können Sie behalten«, kam es zurück. »Wir haben allein in unserer Station schon fünf dieser Dinger.«
»Cool«, sagte Chris und grinste in die Runde. »Die können wir bestimmt irgendwie für unseren Film verwenden.«
»Ihr plant einen Film?« Jack Clearwater zog die Augenbrauen hoch.
»Absolut«, gab Finny zurück und in ihren blaugrauen Augen stand stählerne Entschlossenheit. »Das ist sowieso viel besser als Theater, weil man es auf YouTube stellen kann, wenn es fertig ist. Und zur Strafe, weil Sie mit Ihrem Stück nicht fertig geworden sind, dürfen Sie nicht mitspielen!«
Unser junger Schulleiter grinste. »Gemein. Aber wir Lehrer unterstützen euch trotzdem, so gut wir können, okay? Braucht ihr irgendwas Bestimmtes?«
»Ein Drehbuch, aber das schreibe ich ab heute«, sagte Chris. »Außerdem eine gute Kamera, mit der wir filmen können.«
Doch da musste Mr Clearwater ebenso passen wie die anderen Lehrer, selbst Mr García, der, wie ich inzwischen wusste, früher nicht wenig verdient hatte und der Schule vom Schnellboot bis zum amphibischen Kleinbus schon ziemlich viele Sachen zur Verfügung gestellt hatte.
Nach und nach zogen die anderen ab, weil die Lehrer den Unterricht drinnen fortsetzen wollten. Doch Mr García zeigte auf mich, Finny, Chris und Toco. »Wir schaffen das Ding erst mal in den Bootsschuppen, es macht keinen Sinn, es hier am Strand liegen zu lassen.«
Schwitzend schleppten wir das U-Boot, das ganz schön schwer war, ins Bootshaus, das am anderen Ende des Strandes aufragte. Jasper trippelte als Gürteltier aufgeregt neben uns her. Wow, dieses Ding ist so cool! Meinste, wir können das reparieren, Tiago?
Ich hatte einen Geistesblitz. Nein, ich konnte so was bestimmt nicht, aber ich kannte jemanden, der es vielleicht hinbekam. Und beim Blick auf Jasper wusste ich auch, wozu es dann dienen konnte. Er ärgerte sich oft genug darüber, dass er nicht mit uns im Meer herumschwimmen und -tauchen konnte. Jasper hatte mir schon so oft geholfen, deshalb wollte ich unbedingt mal was für ihn tun – schließlich war er einer meiner besten Freunde. Da er im Moment so zufrieden mit seinem Leben war und nicht viel brauchte, war mir vorher nichts eingefallen, wie ich mich revanchieren konnte.
Vielleicht lag die Lösung für Jaspers Problem groß und grau gerade in unserem Bootsschuppen! Außer die Besitzer des U-Boots kamen zurück, um es zu suchen und zurückzuholen. Oder um nachzuschauen, was wir mit ihrer Lieferung gemacht hatten. Konnten sie das Ding irgendwie orten? Der Gedanke lag mir im Magen wie ein Klumpen Blei und schon kamen die Gedanken an das zurück, was Wave im Gefängnis gehört hatte. Noch hatten Johnny und ich es niemandem gesagt.
Mr García, der neben mir herging, schien zu spüren, dass mich etwas beschäftigte. »Alles in Ordnung, Tiago?«
»Haben Sie meine Gedanken gelesen?«, fragte ich ein bisschen misstrauisch, denn unser Verwandlungslehrer war einer der am stärksten begabten Wandler im ganzen Land.
»Das mache ich nur mit Erlaubnis«, erwiderte er sofort und lächelte mich an. »Es ist auch so ziemlich leicht zu merken, dass dich irgendwas beschäftigt.«
Da erzählte ich es ihm einfach. »Wave war ja eine ganze Weile im Gefängnis … dort hockten auch ein paar andere Wandler. Er hat gehört, wie die sich darüber unterhalten haben, dass man Woodwalker und Seawalker sehr gut für illegale Aktionen einsetzen könne. Und besonders praktisch seien die Schüler dieses Wandlerinternats in Key Largo.«
Ruckartig blieb Farryn García stehen und wandte sich mir zu. »Beim großen Hurrikan! Hast du das Jack schon gesagt?«
Ich musste zugeben, dass ich das noch nicht getan hatte.
»Das klingt furchtbar«, sagte Mr García und wirkte dabei aufgewühlter als ich. »Hat Wave sonst noch irgendwas gehört? Irgendetwas, was darauf hindeuten könnte, welche Schüler in irgendwelche kriminellen Machenschaften verwickelt sein könnten?«
Entschuldigend schüttelte ich den Kopf. »Sonst hat er nichts gehört, er hätte es bestimmt erzählt. Am besten, Sie fragen ihn noch mal selbst, wenn er das nächste Mal vorbeikommt.« Dass dieser Buckelwal-Wandler vorbeikommen würde, war sicher, weil es zwischen ihm und Finny heftig gefunkt hatte.
»Ich sage gleich Jack und Alisha Bescheid – wir werden nachforschen müssen«, sagte Mr García, der sich wieder in Bewegung gesetzt hatte. »Wenn wir Glück haben, war es nur Prahlerei oder ein Gerücht und es steckt nichts dahinter.«
»Aber was, wenn doch?«
Darauf hatte keiner von uns eine Antwort.
Könntest du die Augen aufhalten nach Anzeichen, dass jemand in seltsame Geschäfte verwickelt ist?«, bat mich Mr García.
»Klar, mache ich«, versprach ich.
Dann mussten wir beide in den Unterricht. Es war ein Donnerstag und ich tat mein Bestes, um mich auf Englisch und Mathe zu konzentrieren. Nur ganz kurz zeichnete ich einen Delfin und einen Tigerhai, die nebeneinanderschwammen, und schob Shari das Blatt zu. Shari strahlte mich an.
Wie durch einen Glücksnebel hörte ich Mr Garcías Stimme: »Tiago, kommst du bitte mal an die Tafel und rechnest uns diese Gleichung vor?«
Ich unterdrückte ein Ächzen. Seit wir Mr Williams verjagt hatten – den Möchtegern-Schulleiter, den uns Lydia Lennox aufgezwungen hatte –, war Mr García wieder unser strengster Lehrer. Zum Glück schaffte ich es, mich an der Tafel nicht komplett zum Deppen zu machen. Finny wirkte erleichtert, dass sie nicht drangekommen war. Wie wir inzwischen wussten, hatte sie eine Rechenschwäche und drückte sich vor allem, was irgendwie mit Zahlen zu tun hatte.
Sobald das Muschelhorn die erste Pause verkündete, ging ich sofort mein Handy holen und schrieb eine lange SMS an Rocket, meinen Rattenfreund aus Miami. Das U-Boot für Jasper UND MICH umbauen? Coole Idee!, kam es sofort zurück. Ich könnte übers Wochenende zu euch kommen, ihr habt in der Schule ’ne viel bessere Werkstatt als ich daheim.
Geniale Idee!, antwortete ich. Wenn du schon am Freitag kommen kannst, darfst du bestimmt zu unserer Wild-Thing-Party.
Inzwischen war Jasper wieder in seiner etwas moppeligen Menschengestalt, das sahen die Lehrer im Unterricht lieber. »Was schreibste denn?«, fragte er neugierig und beugte sich über mein Display.
Spontan beschloss ich, Jasper mit dem umgebauten U-Boot zu überraschen – ich wusste, dass er am Wochenende bei seinen Eltern sein würde. Wenn ich ihm nichts versprach, war er wenigstens auch nicht enttäuscht, falls Rocket und ich es doch nicht hinbekamen. Also sagte ich schnell »Ach, nichts« und Jasper warf mir einen anklagenden Blick zu, während er sich mit dem Zeigefinger die Brille auf der Nase hochschob.
»Über nichts schreibt man nich’ so lange«, sagte er.
»Na gut, es ist nicht nichts, aber dafür eine Überraschung«, gab ich zu und damit war er zum Glück zufrieden. Überraschungen liebte Jasper fast so sehr wie Kreuzworträtsel.
Als wäre er völlig übernächtigt, hatte Chris während der ersten Stunden auf seinem Stuhl gehangen.
Woran das lag, erfuhren wir in der Pause. »Ich hab letzte Nacht zehn Seiten Drehbuch geschafft«, verkündete unser Seelöwen-Wandler.
»Ernsthaft?« Shari wirkte beeindruckt. »Also weißt du schon, worum es im Film gehen wird?« Ein paar Leute in der Nähe spitzten die Ohren.
»Ja – es wird ein Fantasy-Agententhriller«, kam zur Antwort, mehr wollte Chris nicht verraten.
»Hast du dir schon überlegt, wer die Hauptrollen spielen soll?«, fragte ich, während ich meine Klassenkameraden musterte. Dabei dachte ich allerdings weniger an irgendwelche Rollen als daran, ob sich tatsächlich jemand hier von üblen Gestalten hatte anwerben lassen. Wer konnte so blöd sein? Klar, diese Leute hatten jede Menge Kohle, aber so was war doch ein Pakt mit dem Teufel!
»Ich finde, wir sollten abstimmen, damit es fair zugeht«, sagte Blue. »Schließlich arbeiten am Film viele Leute mit, wieso sollte nur Chris entscheiden, wer die wichtigen Rollen übernehmen darf?«
»Ja genau!« Izzy strich sich das braune, halblange Haar zurück und lächelte uns an. »Wenn ihr mögt, organisiere ich eine anonyme Online-Abstimmung, getrennt nach ›männliche‹ und ›weibliche Hauptrolle‹.«
Produzent und Regisseurin sahen ein bisschen überrumpelt aus, aber schließlich sagte Finny: »Von mir aus, okay«, und auch Chris nickte. Er reichte einen Block herum, auf den jeder, der mitspielen wollte, seinen Namen eintragen konnte. Jede Menge Leute rissen sich darum und erstaunt sah ich, dass auch Shari, Blue und Noah dabei waren.
»Aber du hast doch furchtbares Lampenfieber«, sagte ich zu Shari und ärgerte mich gleich darauf, dass ich es gesagt hatte – ich wollte sie nicht entmutigen!
»Ach so, ja stimmt.« Shari grapschte nach dem Block, um ihren Namen wieder auszuradieren, aber Blue zog ihn ihr weg. »Wieso probierst du es nicht wenigstens? Vielleicht merkst du, dass es dir Spaß macht!«
»Na gut – Lust hätte ich schon darauf.« Shari lächelte schief.
Blue hatte recht und ich fühlte mich schlecht, weil ich meine Freundin nicht in ihrem Plan bestärkt hatte. Abwesend kritzelte ich meinen Namen ebenfalls hin, obwohl ich wusste, dass das eine miese Idee war. Leider waren meine schauspielerischen Fähigkeiten noch begrenzter als mein Wandler-Gespür – wir hatten an der Grundschule mal ein Weihnachtstheaterstück aufgeführt und mich hatten sie nicht mal für die Rolle des Herbergstypen genommen, der nur zwei Sätze zu sagen hat. Zum Schluss hatte ich einen Baum spielen müssen.
Deswegen verdrängte ich den Gedanken an die Abstimmung fast sofort. Doch beim Mittagessen wunderte ich mich, wieso mich so viele Leute angrinsten oder anlächelten. »Was ist eigentlich los, habe ich eine Nudel am Kinn hängen?«, stellte ich Izzy schließlich zur Rede.
»Hast du noch nicht in die Abstimmung geschaut? Du und Shari, ihr liegt vorne!«
»Was?« Ich hatte tatsächlich vergessen, selbst abzustimmen. Also ging ich mein Handy aus der Hütte holen und klickte auf den Abstimmungslink. Tatsächlich. Oje. In der Rubrik »Männliche Hauptrolle« hatte ich deutlich mehr Stimmen als Toco – der erstaunlich gut im Rennen lag –, Noah, Ralph und Linus. Der arme Nestor war auf dem letzten Platz. Schnell stimmte ich für ihn.
Am Nachmittag war klar, dass Shari die weibliche Hauptrolle bekommen würde. Im Gegensatz zu mir war sie begeistert. »Ist das nicht meerig?«, fragte sie, drückte meine Hand und sah mir tief in die Augen. »Wir beide spielen bald zusammen in einem Film mit, ich kann’s noch gar nicht glauben.«
»Äh, ja«, sagte ich skeptisch. »Ich auch nicht. Wieso haben die alle mich gewählt?«
Juna musste lachen. »Wann hast du das letzte Mal in den Spiegel geschaut?«
»Außerdem mag dich jeder – äh, fast jeder – hier an der Schule«, fügte Leonora hinzu und ein warmes Glühen breitete sich in meiner Magengegend aus. Wer hätte das gedacht? Nach meiner heftigen ersten Verwandlungsstunde, bei der ich allen Angst eingejagt hatte, bestimmt niemand.
Erst als auch Chris zu mir kam und mir gratulierte, begriff ich, dass ich mich diesmal wirklich tief in die Algenpampe geritten hatte.
»So etwa am Montag sollte ich das Drehbuch fertig haben, dann kannst du anfangen, deinen Text für die ersten Szenen zu lernen«, kündigte er an und schlug mir auf die Schulter. »Heute Nachmittag spreche ich mit Barry und frage ihn, ob wir seine Kamera ausleihen dürfen.«
»Meinen Text lernen …«, wiederholte ich etwas betäubt. »Chris, jetzt ganz im Ernst, ich hab mich nur zum Spaß angemeldet. So was kann ich nicht.«
»Was genau?«
»Schauspielern!« Ich erklärte ihm, Finny, Shari und Jasper die Sache mit dem Krippenspiel und meiner Rolle als Baum. Alle schmissen sich weg vor Lachen.
»Tiago, das war in der Grundschule«, erklärte mir Finny so langsam und geduldig, als hätte sie es mit einem Volldeppen zu tun. »Ist es rein theoretisch möglich, dass du dich seither ein bisschen weiterentwickelt hast?«
»Theoretisch«, gab ich zu und wir einigten uns darauf, es auszuprobieren und den Nächstplatzierten auf der Liste zu nehmen, wenn ich Mist baute. Das war leider Toco mit knappem Vorsprung vor Noah. Wie hatte er das geschafft, hatte er die Abstimmung gehackt?
Chris sah so aus, als hätte er keinerlei Lust, diesem Alligator die Hauptrolle zu geben. »Du strengst dich gefälligst an, Tiago!«, ermahnte er mich und ich musste grinsen.
Weil die ganze Aufregung irgendwo hinmusste, war ich im Kampfunterricht kaum zu bremsen und war froh, als mir Miss White erlaubte, ein paar Äste zu zerbeißen.
Als letzte Stunde hatten wir heute ein ganz neues Fach – Tiersprachen. Ich war gespannt. Dieses Fach würde, wie auch das zweite neue Fach Gesellschaftskunde, unsere neuste Lehrerin Miss Bennett unterrichten. Die Arme war ziemlich nervös, wahrscheinlich weil sie noch gut in Erinnerung hatte, wie sie als Kampflehrerin bei uns durchgefallen war.
»Liebe Kinder …«, begann sie, doch schon wurde sie von Juna unterbrochen.
»Miss Bennett, könnten Sie sich bitte eine andere Begrüßung angewöhnen?«, meinte sie. »Wir sind keine Kinder mehr, sondern Jugendliche.«
»Oh, entschuldigt … also ›Guten Morgen‹«, sagte Miss Bennett, was etwas besser war, auch wenn es jetzt am Nachmittag nicht mehr wirklich passte. »Heute nehmen wir die Sprache der Clownfische durch, die werdet ihr wahrscheinlich gut gebrauchen können, weil Clownfische von ihren Wohn-Anemonen aus ziemlich viel mitkriegen von dem, was in der Umgebung passiert. Wenn ihr also mal eine Auskunft über eine bestimmte Gegend braucht …«
Fasziniert erfuhr ich, dass Fische keineswegs stumm waren. Clownfische brachten Klopflaute hervor und klapperten mit den Kiemendeckeln, um sich etwas mitzuteilen, Demoisellen trommelten mit speziellen Muskeln auf ihrer Schwimmblase herum, die gestreiften Süßlippen grunzten, indem sie ihre Zähne aufeinanderrieben. Und – der Hit! – Heringe verständigten sich mit den anderen Schwarmmitgliedern tatsächlich durch Pupsen in unterschiedlicher Tonhöhe.
»Meinen Sie das ernst?«, fragte Mara.
»Sollen wir das jetzt nachmachen?« Toco grinste über das ganze Gesicht.
»Gute Idee, Toco – aber nicht hier. Wenn dich das Thema interessiert, gebe ich dir Hausaufgaben, die du in deiner Hütte erledigen kannst.« Miss Bennett schenkte ihm ein charmantes Lächeln. Nestor, der mit Toco in einem Zimmer wohnte, blickte alarmiert drein.
Miss Bennett lächelte noch breiter. »Nur Spaß«, sagte sie. »Eure Hausaufgabe sind Anemonenfisch-Klopflaute.«
Ich war nicht der Einzige, der aufatmete … und ein bisschen verwirrt war. »Aber … wie soll ich die denn nachahmen, wenn ich ein Tigerhai bin? Durch Magenknurren?«
»Nein – Arme teilverwandeln, zwei Steine nehmen und gegeneinanderschlagen«, empfahl mir Miss Bennett.
Es war eine richtig gute Stunde gewesen und ich war froh, dass ich Mr Clearwater vorgeschlagen hatte, Miss Bennett an der Schule zu behalten und sie andere Fächer unterrichten zu lassen. Wir hatten eine gute neue Lehrerin gewonnen und dafür zwei Schüler eingebüßt – Polly und Tino, die letzten verbliebenen Sumpfschüler, hatten Heimweh bekommen und unsere Erstjahresklasse verlassen, um wieder in die Everglades zurückzukehren. Das war vor allem deswegen schade, weil Polly Backtalent gehabt hatte und uns noch zuverlässiger mit Muffinkreationen versorgt hatte als Juna, die ebenfalls gerne backte.
Nach dem Unterricht begannen im Palmhain harte Verhandlungen zwischen Chris, Finny und Barry über die Benutzung der Kamera. Die Delfinclique und ich taten so, als würden wir am Strand Frisbee spielen, während wir uns in Wirklichkeit anstrengten, um kein Wort zu verpassen.
»Ich hab drüber nachgedacht und könnte mir vorstellen, euch die Kamera für den Film zu leihen«, hörte ich Barry sagen. Wir wollten schon jubeln, da fügte er hinzu: »Aber ich hätte ein paar Bedingungen.«
»Welche?«, fragte Finny vorsichtig und blickte ihm wahrscheinlich gerade in die kühlen blassblauen Augen. Niemand in unserer Klasse hatte so kalte Augen wie Barry.
»Ich will der Kameramann sein. Dann ist wenigstens garantiert, dass ihr meinen Camcorder nicht kaputt macht – das Ding war teuer!«
»Okay«, stimmte Chris sofort zu. »Prima, dann können wir ja …«
»Es gibt noch eine Bedingung«, fuhr Barry fort mit seiner Stimme, der sämtliche Betonungen fehlten. »Ella spielt die Hauptrolle, nicht Shari. Sonst könnt ihr den Deal vergessen.«
Ella?«, stießen Chris und Finny fast gleichzeitig hervor.
Shari blieb der Mund offen stehen. Blue lief vor Ärger rot an. Und ich verfehlte das Frisbee, das gerade auf mich zuschoss. Es traf mich voll an der Stirn. Aua.
»Ja, genau. Ella«, wiederholte Barry, während ich mir die Stirn rieb. »Und Carmen bekommt auch eine wichtige Rolle, klar?«
Produzent und Regisseurin bissen die Zähne zusammen. »Wir denken drüber nach«, presste Chris hervor. Er wusste ebenso gut wie wir, dass Ella bei der Abstimmung nicht allzu gut abgeschnitten hatte.
Auch unser rotblondes, durchtrainiertes Hammerhaimädchen Carmen hatte sich in Hörweite herumgetrieben, rein zufällig natürlich. Sie wirkte ebenso geschockt wie die beiden Filmemacher. »Aber … ich will gar nicht mitspielen!«, rief sie hinüber.
Verdattert blickte Barry sie an. »Oh, ich dachte …«
»Trotzdem lieb, dass du mir den Gefallen tun wolltest«, brummte Carmen. »Wenn ich die Beleuchtung, den Ton und so was machen könnte, fände ich das cool. Ginge das?«
Finny und Chris tauschten einen kurzen Blick. »Natürlich gerne«, sagte Chris sichtlich erleichtert. »Danke, dass du dich um die Technik kümmerst.«
»Dürfen ich und Juna den Schnitt machen?«, mischte sich Izzy ein, die in der Nähe herumgelungert hatte. Da sie es bunt mochte, trug sie gerade ein scharlachrotes indisches Gewand; ihre braunen Haare waren verwuschelt, wahrscheinlich hatte sie wieder mal vergessen, sich zu kämmen. »Oh bitte! Ich hab schon mal mit diesem Schnittprogramm gearbeitet und kenne mich ein bisschen damit aus …«
Chris blickte skeptisch drein, er wusste natürlich, dass die Fliegender-Fisch-Wandlerin unsere chaotischste Schülerin war. Doch er zögerte nur kurz, dann lächelte er Izzy und Juna an. »Geht klar. Total nett von euch, dass ihr das machen wollt.«
Ich wusste, dass er Izzy mochte – er hatte sie sogar mal, ohne uns zu fragen, zu unserem Geheimversteck mitgenommen. Und genau dort, im Wrack, mussten wir uns nun wieder einmal zur Krisensitzung treffen. Es tat mir im Herzen weh, wie traurig uns Jasper hinterherschaute. Hoffentlich klappte das mit dem U-Boot, damit wir ihn in Zukunft mitnehmen konnten!
Kaum waren wir runtergetaucht und hatten uns im rostigen, immer etwas feuchten Innenraum verwandelt, da schimpfte Finny auch schon los. »Dieser stinkende, halb verdaute Hering, was fällt dem ein, uns zu erpressen? So was Dreistes habe ich noch nie erlebt! Man müsste Barry jede Schuppe einzeln abziehen!«
»Ich bin dabei«, sagte ich grimmig. »Nur weil der Typ eine Kamera hat, denkt er, er kann unseren Film sabotieren? Anscheinend haben Barrakudas mehr Zähne als Gewissen!«
Chris, Blue und Noah schimpften ebenfalls, was ihre Menschenlungen hergaben.
Nur eine sagte nichts. Diejenige, um die es hier ging und die sich wahrscheinlich vergeblich auf ihre Hauptrolle gefreut hatte. Schließlich wandte ich mich direkt an Shari und versuchte, ihr die Stimmung vom Gesicht abzulesen.
»Was hältst du von der ganzen Sache?«, fragte ich sie.
»Ach, weißt du, vielleicht ist es besser so.« Shari sah nicht so traurig aus, wie ich erwartet hatte. »Klar habe ich mich drauf gefreut mitzuspielen. Aber es ist nicht mein Lebenstraum oder so. Bis vor ein paar Monaten wusste ich nicht mal, dass es Leute gibt, die vorgeben, jemand anders zu sein, und davon sogar leben können.«
Chris stutzte. »Stimmt. Ein seltsamer Beruf, wenn man drüber nachdenkt. Du wirst dafür bezahlt, dass du nicht du selbst bist.«
»Darauf kommt es hier überhaupt nicht an!« Finny war immer noch auf hundertachtzig. »Die Frage ist, gehen wir auf diesen Deal ein oder nicht?«
»Haben wir denn eine Wahl?«, fragte Noah zurück. »Falls wir keine andere Kamera auftreiben können, müssen wir die Kröte schlucken.«
Trotz allem musste ich grinsen. »Die Python, meinst du wohl. Können wir nicht ein Casting machen, bei dem Ella zeigen muss, was sie draufhat? Vielleicht kann sie noch weniger schauspielern als ich.«
Finny verdrehte die Augen. »Halten wir noch mal fest, dass Tiago nicht weiß, ob er schauspielern kann.«
»Also ich finde, Ella hat eine Chance verdient«, meldete sich überraschend die ruhige dunkelhaarige Blue zu Wort. »Kann ja sein, dass sie es toll macht.«
Shari hatte von Anfang an nachdenklich gewirkt. Nun blickte sie ernst in die Runde. »Blue hat recht. Bitte lehnt Barrys Angebot nicht wegen mir ab, okay? Es macht mir wirklich nicht viel aus.«
Gerührt nahm ich ihre Hand und drückte sie. Das war echt edel von ihr – durch unsere enge Verbindung spürte ich, dass sie sehr wohl enttäuscht war.
»Na gut«, sagte Chris zögernd. »Aber wenn die junge Lennox die ganze Zeit über die Zicke vom Dienst gibt, bin ich so frei, sie im Drehbuch umzubringen und durch jemand anderes zu ersetzen!«
Wir mussten grinsen. »Du bist der Chef«, sagte ich. »Das ist deine Chance, Gott zu spielen. Viel Spaß dabei.«
Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen. Aber woher hätte ich denn wissen sollen, was er vorhatte? Mir fiel nur auf, dass sein Grinsen ein bisschen seltsam aussah.
»Woher hat Barry eigentlich das Geld für einen so abgefahrenen Camcorder? Und ich habe neulich gesehen, wie er Carmen ziemlich wertvollen Schmuck geschenkt hat«, warf ich in die Runde. Wenn es einen guten Kandidaten für krumme Dinger gab, dann wohl jemanden, der über Ella mit Mrs Lennox zu tun hatte. Es konnte gut sein, dass die Anwältin auch bei dieser Sache mit drinhing. Die Lennox war im Gegensatz zu Carl Bittergreen eine Wandlerin, sie wusste, was Woodwalker und Seawalker für Fähigkeiten hatten … und hatte bestimmt viele Ideen, wie man sie missbrauchen konnte. Ich fragte die anderen: »Ist euch irgendwas an Barry aufgefallen in letzter Zeit? War er anders oder hat er andere Sachen gemacht als sonst?«
»Nee, er war genauso unausstehlich wie sonst.« Endlich war das sonnige Shari-Lächeln zurück. »Wieso?«
Also erzählte ich es auch ihnen. Ich wusste, dass ich bei meinen Ermittlungen Hilfe brauchen würde. Natürlich blickten meine Freunde ebenso geschockt drein wie Mr García noch vor kurzer Zeit. »Also, Barry traue ich das zu … aber sonst niemandem«, meinte Noah. »Wer würde sich denn auf so was Mieses einlassen?«
Wir zuckten die Schultern.
»Kommt, wir schwimmen zurück, schließlich musst du am Drehbuch weiterarbeiten, Chris«, meinte Shari.
»Zu Befehl.« Chris sprang auf und tat so, als würde er salutieren, was durch seinen langen, schlaksigen Körper besonders witzig aussah. Nie hatte jemand weniger nach Soldat ausgesehen als er, dazu trugen auch die regenbogenfarbenen Schwimmshorts bei.
Die anderen Leute in unserer Klasse nahmen es grummelnd auf, dass Ella in Chris’ Film die weibliche Hauptrolle spielen würde, aber nachdem ihnen Finny klargemacht hatte, dass keine Ella auch keinen Film bedeuten würde, akzeptierten es alle mehr oder weniger.