Seawalkers (6). Im Visier der Python - Katja Brandis - E-Book

Seawalkers (6). Im Visier der Python E-Book

Katja Brandis

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Beschreibung

Neue Wandler-Freundschaften und ein großer Showdown - Bist du bereit für das "Seawalkers"-Finale? Klassenfahrt nach Kalifornien! Hai-Wandler Tiago, Delfinmädchen Shari und ihre Freundinnen und Freunde von der Blue Reef High können es kaum erwarten, die Gestaltwandler an der Pazifikküste kennenzulernen. Nur Python-Wandlerin Ella darf nicht mitfahren und soll die Schule sogar ganz verlassen! Plant ihre Mutter, die skrupellose Anwältin Lydia Lennox, eine neue Attacke? An der kalifonischen Redcliff High angekommen, stellen die Seawalker fest, dass sich nicht alle dort auf die Gäste gefreut haben. Das Schneeeulenmädchen Avery und ihre Clique von Windwalkern gibt an der Schule den Ton an und macht allen, die in zweiter Gestalt keine Flügel haben, das Leben schwer. Trotzdem verbringen Tiago, Shari und Co eine tolle Zeit an der Westküste - bis sich bei einem Ausflug nach San Francisco die Ereignisse gefährlich zuspitzen. Kriminelle Tierschmuggler scheinen es auf sie abgesehen zu haben! Schnell wird Tiago klar, dass Lydia Lennox nicht seine einzige Feindin ist - und dass er mitten hinein in einen Kampf mächtiger Umweltgangster geraten ist, der auch die Blue Reef High bedroht. Hier kommt das Finale der "Seawalkers"-Reihe von Bestseller-Autorin Katja Brandis. In der atemberaubenden Unter- und Überwasserwelt der Everglades erleben Tigerhaijunge Tiago und seine Gestaltwandler-Freunde (Delfin-Wandlerin Shari, Gürteltier-Wandler Jasper, Rochen-Wandlerin Finny, Papageifisch Nox u.a.) einzigartig spannende Abenteuer. Packender Lesestoff für alle Tierfantasy-begeisterten Jungen und Mädchen ab 10 Jahren. Mit wunderschönen Illustrationen von Claudia Carls und tollen Gestaltwandler-Portraits. Alle Seawalkers-Bände sind einzeln und unabhängig von den Woodwalkers lesbar. Die Seawalkers-Bände erscheinen halbjährlich. Gedruckt auf Umweltpapier und zertifiziert mit dem "Blauen Engel". Bisher erschienen: Seawalkers (1). Gefährliche Gestalten Seawalkers (2). Rettung für Shari Seawalkers (3). Wilde Wellen Seawalkers (4). Ein Riese des Meeres Seawalkers (5). Filmstars unter Wasser Seawalkers (6). Im Visier der Python Die Gestaltwandler-Reihe geht in die nächste Runde: Im Herbst 2022 beginnt das neue Schuljahr der "Woodwalkers"!

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Seitenzahl: 478

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Bücher von Katja Brandis im Arena Verlag:

Woodwalkers. Carags Verwandlung

Woodwalkers. Gefährliche Freundschaft

Woodwalkers. Hollys Geheimnis

Woodwalkers. Fremde Wildnis

Woodwalkers. Feindliche Spuren

Woodwalkers. Tag der Rache

Woodwalkers and Friends. Katzige Gefährten

Woodwalkers and Friends. Zwölf Geheimnisse

Seawalkers. Gefährliche Gestalten

Seawalkers. Rettung für Shari

Seawalkers. Wilde Wellen

Seawalkers. Ein Riese des Meeres

Seawalkers. Filmstars unter Wasser

Die Jaguargöttin

Khyona. Im Bann des Silberfalken

Khyona. Die Macht der Eisdrachen

Gepardensommer

Koalaträume

Katja Brandis, Jahrgang 1970, hat Amerikanistik, Anglistik und Germanistik studiert und als Journalistin gearbeitet. Schon in der Schule liehen sich viele Mitschüler ihre Manuskripte aus, wenn sie neuen Lesestoff brauchten. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Jugendliche veröffentlicht, zum Beispiel Khyona, Gepardensommer, Floaters – Im Sog des Meeres oder Ruf der Tiefe. Die begeisterte Taucherin hat in den Meeren dieser Welt schon unvergessliche Begegnungen mit Haien, Delfinen und Rochen erlebt. Sie lebt mit Mann, Sohn und drei Katzen, von denen eine ein bisschen wie ein Puma aussieht, in der Nähe von München.

www.seawalkers.de | www.woodwalkers.de

Katja Brandis

Im Visier der Python

Zeichnungen von Claudia Carls

Für Steffi!

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

1. Auflage 2022

© 2022 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Autoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler (München).

Cover und Innenillustrationen: Claudia Carls

E-Book ISBN 978-3-401-80993-9

Besuche den Arena Verlag im Netz:

www.arena-verlag.de

Shari hat als Delfin in einem echten Kinofilm mitgespielt und unser Schülerfilm Magic Fish bekommt viele Klicks. Aber meine Freunde und ich haben auch eine Menge Sorgen: Die Blue Reef High und Lydia Lennox sind noch stärker verfeindet, seit wir ihr Netzwerk von Wandler-Spionen enttarnt haben und deswegen in der Florida Bay und in den Everglades um unser Leben kämpfen mussten. Ist das ein Konflikt, den wir gewinnen können?

Panther und Python

Schau mal!«, flüsterte Jasper und ich wandte den Kopf.

»Oh, das ist cool«, sagte ich erfreut.

In letzter Zeit hatten wir unser Panthermädchen Noemi immer öfter in ihrer Menschengestalt gesehen. Aber an diesem Mittwochmorgen traute sie sich zum ersten Mal, so auch zum Frühstück aufzukreuzen; nicht nur Jaspers und meine Augen folgten dem Mädchen mit den langen schwarzen Locken und den stolzen grünen Augen.

Noah zeigte ihr lächelnd den erhobenen Daumen und unsere neuste Schülerin Daisy applaudierte sogar. Es war für Daisy nicht ganz einfach, sich mit ihrem Rollstuhl durchs knietiefe Wasser der Cafeteria zu bewegen, aber sie beklagte sich nie.

Skeptisch schnupperte Noemi das Buffet ab, was bei einem Mädchen ein bisschen seltsam aussah. »Wo ist denn das rohe Fleisch?«, fragte sie enttäuscht. »Sonst hat mir Joshua immer ein Steak gegeben.«

»Hast du nicht gesagt, du wolltest dich an Menschenessen gewöhnen?«, meinte meine Delfinfreundin Shari, die sich gerade Krabben nahm. »Das hat er bestimmt mitbekommen. Probier mal die Pfannkuchen, die schmecken meerig.«

Also salzig?, fragte Nox, der in der Nähe als Papageifisch herumschwamm, und ich musste grinsen.

Noemi warf einen Blick auf die Pfannkuchen, rümpfte die Nase und wandte sich den Würstchen zu. Sie zückte zwei Gabeln und schaffte es, damit vier Stück gleichzeitig zu harpunieren. »Weißt du, was ich früher als Haustier gemacht habe, wenn Bob mir nicht mein Lieblingsfutter gegeben hat?«

»Nee, was denn?« Shari blickte interessiert drein.

»Auf den Wohnzimmerteppich gepinkelt«, sagte Noemi höchst zufrieden. »Oder auf die Terrasse, wenn ich gerade nicht reindurfte.«

Ich musste grinsen. »Und, ist die Botschaft angekommen?«, rief ich hinüber.

»Meistens schon«, meinte unser Panthermädchen und schnappte sich auch noch die letzten vier Würstchen. »Wenn nicht, hab ich’s einfach noch mal gemacht.«

»He, was soll das?«, protestierte der große dünne Barry, der nach ihr in der Buffetschlange stand. »Ich wollte auch welche!«

»Fressen oder gefressen werden«, sagte Noemi seelenruhig zu ihm. Wir nahmen gerade die Nahrungskette durch.

Barry – zwar ein Barrakuda in zweiter Gestalt, aber kein Gegner für eine Pantherin – wurde blass und zog ab. Höchstens ich als Tigerhai hätte sie besiegen können.

Die Mienen von Barrys Freunden, die zusammen im grünweiß gestrichenen Tischboot saßen, verdüsterten sich. Wütend tippte Ella Lennox auf ihrem Handy herum, was ihr leichtfiel, weil sie gerade keine Python war, sondern ein Mädchen mit sorgfältig gestylten blonden Haaren, großer Nase und ähnlich grünen Augen wie Noemi.

Sofort verkrampfte ich mich. Rief sie jetzt ihre nicht nur fiese, sondern wirklich gefährliche Mutter an – die Anwältin Lydia Lennox –, damit die Noemi irgendwie fertigmachte? Auch ein paar der anderen Leute aus meiner Klasse blickten alarmiert drein.

Miss White hatte mitbekommen, dass hier irgendwas abging, und watete mit strengem Blick auf uns zu. Doch allen war klar, dass sie nicht rechtzeitig kommen würde, um zu verhindern, was Ella gerade machte. Was das war, merkten wir ein paar Sekunden später. Triumphierend drehte Ella ihr Handy um und zeigte es Noemi.

»Na toll«, sagte Jasper und verzog das Gesicht. »Haste das gesehen? Da is ’n Pantherbild drauf!«

Gespannt warteten alle Schüler in der Cafeteria, was passieren würde. Es war noch nicht lange her, dass Noemi sich zum ersten Mal verwandelt hatte … würde sie jetzt, getriggert durch das Foto, wieder zur Raubkatze werden und fauchend im Wasser herumpaddeln?

Doch nichts passierte, Noemi bekam nicht mal Tasthaare im Gesicht oder einen schwarzen Flaum auf den Händen. Interessiert betrachtete sie das Foto auf Ellas Handy. »Sieht aus wie ich. Ja, und?«

Genervt schob Ella Noemi das Handy so weit ins Gesicht, dass es fast ihre Nase berührte. »Schau genau hin, du blöde …«

»Schluss jetzt!« Miss White nahm ihr das Handy ab. »Noemi, man nimmt sich nicht so viel auf einmal. Und wenn du Würstchen willst, Barry, dann fragst du unseren Koch, ob er noch ein paar machen kann. Klar?«

»Klar«, knurrte Barry und betrachtete sie mit seinen kalten blassblauen Augen.

Toco war ganz klar auf seiner Seite. Er funkelte Noemi drohend an, während er sein Tablett wegbrachte. »Wart nur ab, Katze. Wir werden …«

»Ach komm, sei doch nicht so«, mischte sich Daisy ein, die ihren Rollstuhl zu Finny und Juna geschoben hatte; die drei saßen an einem Cafétischchen in der Nähe der Fensterfront. »Noemi ist doch als Tier aufgewachsen, oder? Woher soll sie wissen, dass man anderen was übrig lässt?«

»Genau«, sagte Noemi und lud sich zehn Streifen gebratenen Speck auf den Teller.

Daisy Cousteau war neben Ella die Einzige, die Toco bändigen konnte. Auch jetzt wurde er weich wie Butter, als sie ihn anlächelte.

»Na gut. Kann passieren«, murmelte er und zog ab.

»Ella, kann ich dich bitte mal sprechen?« Jack Clearwater, unser junger Seeadler-Schulleiter, hatte sich unauffällig genähert. »Am besten gehen wir in mein Büro.«

»Das mit dem Foto war keine Absicht, ich …«, legte Ella sofort los.

»Was für ein Foto? Nein, nein, es geht um etwas anderes.« Mr Clearwater blickte mitleidig drein. »Deine Zukunft hier an der Schule.«

Ella wurde blass.

Jasper, Shari und ich warfen uns einen Blick zu. Normalerweise hätten wir versucht zu lauschen, aber nicht heute. Mittwochs hatten wir in der ersten Stunde Verwandlung und Mr García (mit dem ich unfassbarerweise verwandt war!) kannte keine Gnade mit Zuspätkommern. Sogar Chris, unser Seelöwen-Wandler, gönnte es sich nur noch ab und zu.

Erst in Gewässerkunde bei Mrs Pelagius kam Ella wieder hinzu. Wir sprachen gerade darüber, dass mehrere der extrem seltenen Riesensirenen, die von Wissenschaftlern Siren reticulatagetauft worden waren, plötzlich aus ihrem Lebensraum verschwunden und möglicherweise an Sammler verkauft worden waren. Betroffen betrachteten wir ein Foto des dunkelbraun gefleckten Sumpfwesens, einer Art Riesensalamander ohne Beine.

»Sieht aus wie ein Leopardenaal«, meinte Jasper. »Beißen die?«

»Hey, Mann, du bist gepanzert und praktisch kugelsicher, ist dir das schon mal aufgefallen?« Ralph verdrehte die Augen. »Ist schon klar, ob es wirklich Tierhändler waren, die sich die Sirene geschnappt haben?«

Nein, man vermutet das nur, weil Sammler für neue Arten zigtausend Dollar bezahlen, sagte Mrs Pelagius. Und weil leider durchgesickert ist, wo Forscher die Riesensirenen entdeckt haben. Kurz darauf haben Ranger verdächtige Leute in der Gegend gesehen.

Ich fand Tierschmuggler so was von ekelhaft. »Was ist, wenn diese Riesensirene ausstirbt, nur weil jemand sie in seinem Aquarium haben und damit angeben wollte?«

Mrs Pelagius ruckte ihren Schildkrötenkopf auf und ab. Ja, das könnte passieren. Anscheinend ist ausgerechnet das einzige Weibchen, das bisher entdeckt worden ist, geschnappt worden. Das alles hat auch mit dem zu tun, was ich euch eigentlich erzählen wollte, nämlich wie ich diesen Kratzer auf der linken hinteren Seite meines Panzers bekommen habe …

Die Tür ging auf und Ella kam herein. Sie umklammerte ihr Schultablet und hatte einen so verzweifelten Blick, dass sie mir leidtat, obwohl ich sie nicht mochte. Da Mrs Pelagius gerade berichtete, wie Naturschützer versucht hatten, ihre Schildkrötengestalt zu markieren, und was solche Aktionen für einen Sinn hatten, mussten wir bis zur Pause auf die Neuigkeiten warten. Ella war so fertig, dass sie an unserem kleinen Lagunenstrand draufloserzählte, um was es ging, ohne sich darum zu kümmern, wer zuhörte.

»Meine Mutter will, dass ich sofort die Schule wechsele, weil ihr dafür gesorgt habt, dass ihr Assistent Patrick Blennon und einer ihrer Wandler-Spione – dieser Kaninchenmann – vom Rat verhaftet und verhört werden«, berichtete Ella. »Sie wollte mich noch heute abholen lassen … aber ich habe sie überredet, dass ich wenigstens noch ein paar Tage hierbleiben darf. Sie hat irgendwas Seltsames gesagt … dass es danach sowieso keinen Sinn mehr machen würde, hierher zurückzukommen.«

»Was meint sie damit?«, mischte ich mich beunruhigt ein. Wir wussten alle, dass Lydia Lennox es auf uns abgesehen hatte – und ganz besonders auf mich! –, weil wir ihr immer wieder das Geschäft kaputtgemacht hatten. Plante sie wieder etwas, um uns zu schaden?

Ella zögerte.

Shari blickte unserer Pythonmitschülerin in die Augen. »Ella, bitte. Wenn du etwas weißt, musst du es uns verraten!«

»Wie sie das gesagt hat … es klang irgendwie so, als würde es diese Schule … dann nicht mehr geben«, flüsterte Ella.

»Blödsinn«, sagte Noah heftig. »Was kann sie denn machen? Wenn sie uns angreift, werden Miss White, Tiago und wir anderen ihr schon zeigen, was Sache ist. Schließlich haben wir sie in den Everglades besiegt und auch ihre Muskelmänner davongejagt!«

Ich war nicht so zuversichtlich wie er, und selbst Shari – sonst eine große Optimistin – wirkte beunruhigt. Kein Wunder, sie war bei dem heftigen Kampf in der Florida Bay dabei gewesen, der Farryn García und viele wilde Delfine beinahe das Leben gekostet hatte. Bei einem Kampf, den Lydia Lennox angezettelt hatte, weil wir nicht getan hatten, was sie wollte. Wenn unsere Erzfeindin neue Pläne hatte, konnte das gefährlich werden für uns.

»Glaubst du, sie wird die Schule angreifen? Sobald du hier weg bist, Ella?«, fragte Finny und strich sich mit den gespreizten Fingern durch die blauen Haare.

»Woher soll ich denn das wissen?«, regte sich unsere Mitschülerin auf, ärgerlich wischte sie sich die Tränen ab. »Ich würde die Blue Reef nie angreifen, aber ich bin halt nicht meine Mutter, klar?«

»Jedenfalls ist es übel, dass du hier wegmusst«, sagte Olivia und legte spontan den Arm um Ellas Schultern. In erster Gestalt war sie ein mittelgroßes Mädchen mit freundlichen dunklen Augen, dunkelbraunem Pferdeschwanz und einem Faible für große bunte Ohrringe. Ihre zweite Gestalt war ein gerade mal handlanger Doktorfisch.

»Aber … wo sollst du denn hin?« Toco wirkte geschockt. »Auf irgendein teures Internat oder so?«

»Viel schlimmer.« Tränen liefen Ella über das Gesicht und ruinierten ihr Make-up. »Ich bekomme einen Hauslehrer und werde in unserer Villa in Miami unterrichtet. Könnt ihr euch vorstellen, was das heißt?«

»Deine Mum hat dich wunderbar unter Kontrolle, du kommst fast nie raus und wirst nicht von anderen Jugendlichen verdorben?« Finny verzog das Gesicht. »Außer, ich komme dich mal in Verkleidung besuchen.«

Obwohl die Lage so ernst war, mussten wir grinsen. Was Streiche anging, war das Teufelsrochenmädchen in unserer Blue Reef eindeutig auf Platz 1, dicht gefolgt von der Delfinclique.

»Das ist furchtbar, du brauchst doch Gesellschaft.« Shari wirkte entsetzt, instinktiv nahm sie meine Hand und drückte sie. Ohne Gefährten zu sein, war für einen Delfin eine harte Strafe.

»Ihr wisst noch nicht mal das Schlimmste«, schluchzte Ella auf. »Mein Hauslehrer ist nicht irgendjemand, sondern Stanley Williams! Tut mir leid, Barry.«

»Du musst dich nicht entschuldigen … ich weiß, wie übel mein Dad sein kann«, murmelte Barry und tat so, als würde er sich für zwei streitende Silbermöwen auf dem Strand interessieren.

»Sollte dieser Mr Williams nicht ins Gefängnis, weil er Shari und Tiago mithilfe eines Barrakudaschwarms angegriffen hat?«, fragte Chris.

Ella zog die Nase hoch. »Ja, aber er muss die Haft erst in ein paar Monaten antreten, bis dahin habe ich ihn am Hals. Und wer nach ihm dran ist, ist bestimmt nicht viel netter.«

Was Ella drohte, war wirklich nicht lustig. Mr Williams, der für kurze Zeit unser Schulleiter gewesen war, war ein farbloser ehemaliger Bankmanager mit sehr strikten Vorstellungen von Ordnung und Disziplin. Lydia Lennox war er treu ergeben.

Still und verheult saß Ella in den nächsten Stunden da und ließ Mathe und Physik über sich ergehen, während ihr das Möwenmädchen Daphne die Schulter tätschelte. Erst in der Mittagspause horchte sie – so wie wir alle – auf, als der Lautsprecher in unserem Klassenzimmer zum Leben erwachte. »In der Mittagspause bitte alle in die Aula, es gibt Neuigkeiten«, verkündete die Stimme unseres Schulleiters.

Ich zog die Augenbrauen hoch. Eine Schulversammlung? Konnte es dabei um den Konflikt mit der Lennox gehen, der sich immer mehr zuspitzte? Jedes Mal, wenn ich daran dachte, wurde mir mulmig zumute.

»Vielleicht hat ihr Assistent endlich gestanden, was sie noch alles Schreckliches getan hat, und die Lennox wird vom Rat in den Knast verfrachtet«, meinte ich hoffnungsvoll zu Shari, die zusammen mit Blue am Tisch neben mir saß. »Was sollte es denn sonst für Neuigkeiten geben?«

Neuigkeiten heißen sie deswegen, weil sie neu sind, Leute! Nox hatte eine leichte Neigung zum Klugscheißen.

»Bestimmt ist es was Gutes.« Shari lächelte mich an und strich sich eine blonde Locke hinters Ohr. Sie war wirklich eine unbeirrbare Optimistin. Wahrscheinlich hätte sie noch irgendetwas Gutes daran gefunden, wenn wir alle einen Fünfer-Schnitt bekamen, eine Riesenwelle Florida unter Wasser setzte oder Aliens das Weiße Haus in die Luft jagten.

Kaum hatte das Muschelhorn die Mittagspause verkündet, bewegten wir uns alle sehr gespannt in Richtung Aula.

Auf zu fernen Ufern

Was für Neuigkeiten gab es? Bestimmt wichtige, denn unsere Lehrer standen vollzählig an der Treppe, die zum ersten Stock führte, und beobachteten, wie sich unsere Eingangshallen-Aula füllte. Ich lächelte Miss White und Farryn García zu, die wahrscheinlich nicht ahnten, dass zwischen ihnen gerade ein eisenhartes Duell um den Platz 1 auf meiner Lieblingslehrer-Liste im Gange war.

Jedes Mal, wenn ich Farryn sah, durchströmte mich ein warmes Gefühl, das ich bei meinen Eltern nie gespürt hatte. Ich fand es immer noch unglaublich, dass wir verwandt waren. Innerhalb von wenigen Monaten hatte ich einen Bruder gefunden oder eher wiedergefunden und nun auch noch einen Onkel, das machte mich unglaublich dankbar.

Miss White nickte mir zu und mein Verwandter lächelte zurück, es konnten also keine wirklich fiesen News sein, die uns erwarteten, oder?

Waren es auch nicht. »Gerade habe ich das Okay bekommen für unseren ersten Schüleraustausch«, verkündete Jack Clearwater und versuchte gar nicht erst zu verbergen, wie sehr er sich darüber freute. »Der Rat hat versprochen, die Kosten zu übernehmen. Jetzt fragt ihr euch bestimmt, wohin es gehen wird. Infrage kam natürlich nur eine Wandler-Schule, die in der Nähe des Meeres liegt, oder eine Seawalker-Schule.«

Ich hielt den Atem an. Peinlich, aber wahr – ich hatte mein ganzes Leben in der Umgebung von Miami verbracht und war kein einziges Mal woanders gewesen.

»Eine Zusage haben wir schließlich von der Redcliff High in Kalifornien bekommen«, fuhr unser Schulleiter fort. »Sie liegt etwa dreißig Meilen nördlich von San Francisco an der Küste und ist erst Mitte September eröffnet worden. Der Schulleiter will sich unbedingt mit mir treffen, um Erfahrungen auszutauschen.«

Kalifornien! Ein aufgeregtes Raunen lief durch den Raum. Wir alle kannten die Westküste aus zahllosen Filmen, in Sachen Coolness gab es außer New York keinen Ort in den USA, der es damit aufnehmen konnte. Eine andere Schule und viele neue Leute kennenzulernen, würde bestimmt spannend werden.

Darf jeder mit?, fragte Papageifisch Nox aus dem Aquarium heraus. Aufgeregt schoss er hin und her, sodass er unsere drei Kleinsten – den Nachwuchs von Seepferdchen Linus – locker abhängte. Kichernd ließen sich Tox, Lox und Mox von seinen Wasserwirbeln herumstrudeln.

»Alle Erstjahresschüler, die ihre Verwandlungen im Griff haben«, informierte ihn Mr Clearwater und Nox – den ich noch nicht oft als Mensch gesehen hatte – begann frustriert an einer Koralle zu nagen. Im Griff, was heißt schon im Griff? Ich hab mein Leben im Griff, ich könnte Videokurse über Gelassenheit und positives Denken geben! Oder über die Erziehung von jungen Seepferdchen!

»Wir werden übermorgen einen strengen Verwandlungstest machen … wer besteht, darf ins Flugzeug«, ergänzte Mr Clearwater mit einem Blick in die Runde.

Ich mache auf jeden Fall mit, verkündete Nox. Ich kann menschlicher sein als jeder Mensch, ihr werdet sehen!

Darunter konnte ich mir nicht rasend viel vorstellen, aber ich wünschte ihm trotzdem viel Glück. Nervös schaute Shari mich an und ich warf ihr einen Du-schaffst-das-Blick zu. Auch Noemi, Zelda und ein paar andere konnten kaum noch stillhalten – die rannten wahrscheinlich gleich in ihre Hütten, um mit dem Üben loszulegen.

»Vielleicht besteht sogar Noemi?«, flüsterte ich Shari ins Ohr und sie nickte. Es war der Hammer gewesen, dass sie es heute Morgen geschafft hatte, ihre Gestalt stabil zu halten – trotz Foto.

»Na klar schaffe ich das, Verwandeln ist nicht schwer, finde ich«, verkündete Noemi, kletterte auf unseren im Boot festgeschraubten Tisch und schien plötzlich zusammenzusacken. Ihre Arme und Beine schrumpften, schwarzes Fell begann ihre Haut zu überziehen und ihre langen Locken zogen sich in den Kopf zurück, als würden sie von ihrem Körper weggesaugt. Dafür reckten sich über ihrer Stirn pelzige Öhrchen hoch. Schon lag eine Pantherin schnurrend mitten auf dem Tisch und grub die Krallen in die Klamotten, auf denen sie lag. Na, wie war das?

Jack Clearwater musste lächeln. »Das war super. Wir alle möchten, dass du mitkommst, also mach das beim Test genauso wie eben, ja?«

»Andere Frage …«, meldete sich Finny gut gelaunt zu Wort. »Meine Oma und ungefähr zehntausend Verwandte von mir leben in Kalifornien oder jedenfalls vor der kalifornischen Küste. Die darf ich doch besuchen, oder? Ich habe sie ewig nicht mehr gesehen!«

»Ja, natürlich, du kannst das Wochenende dranhängen und später zurückfliegen«, erklärte Miss White. »Und wer Verwandte im Großraum San Francisco hat, darf sie direkt besuchen, da wir sowieso in der Nähe sein werden.«

Erst als ich sah, wie Chris nickte und strahlte, wurde mir klar, dass er wahrscheinlich derbes Heimweh gehabt hatte in den letzten Monaten – obwohl sein Vater nach dem Tod von Chris’ Mutter ziemlich entgleist war.

Selbst Ella wirkte aufgeregt, aber würde sie wirklich mitdürfen? Vielleicht war sie dann schon nicht mehr auf der Schule, denn Jack Clearwater erklärte, dass wir bereits am Sonntag losfliegen würden.

»Was ist mit externen Schülern?«, fragte ich, weil ich an meinen Freund Rocket aus Miami dachte, einen Ratten-Wandler, der ab und zu an der Blue Reef Nachhilfe in Wandler-Fächern bekam.

»Leider nein«, informierte mich Farryn García. »Tut mir selber auch leid. Ich mag Rocket. Aber wir haben nur eine begrenzte Anzahl von Plätzen.«

Schade! Trotzdem musste ich ein bisschen grinsen, weil selbst die Lehrer aufgehört hatten, meinen Freund »Edward« zu nennen.

»Ach ja, wichtig – selbst wenn ihr die Prüfung besteht, braucht ihr natürlich eine Erlaubnis eurer Eltern, dass ihr mitdürft«, verkündete unser Schulleiter.

Shari und Blue schauten skeptisch drein – ihre Eltern schwammen irgendwo im Meer herum. »Ach, die finden wir schon«, meinte Shari schließlich. »Und garantiert sagen sie Ja.«

Ich weiß nichts von Eltern, meldete sich Lucy ein bisschen eingeschnappt zu Wort. Forscherleute haben mich ausgebrütet aus einem Ei, um großviele Dinge rauszufinden.

»Für dich haben wir etwas Besonderes geplant«, versprach ihr unser Schulleiter. »Eine Helferin des Rates hat zugesagt, dass sie dich per Tiertransport nach Kalifornien bringt … aber nicht in die andere Schule, sondern zu deinem Freund Leon, damit ihr eine Woche zusammen tauchen könnt.«

Lucy wurde so aufgeregt, dass keiner ihrer acht Arme mehr still halten konnte. Oh ja! Das ist eine tausendgute Idee! Mein Dank ist so groß wie das Meer tief. Schon so lange vermisse ich Leon … Sie umschlang Mr Clearwaters Beine und drückte sie dankbar. Den Rest der Woche würde unser Schulleiter mit dollargroßen Saugnapf-Abdrücken auf den Waden herumlaufen. Aber er war nicht der Typ, dem so was etwas ausmachte.

Zur Vorbereitung auf den Austausch krempelten unsere Lehrer kurzerhand den Stundenplan um, der am Eingang des Klassenzimmerbereichs aushing – ein Fach nach dem anderen wurde ausgestrichen und durch Verwandlung ersetzt. Wow, die meinten es ernst!

»Das wird die Redcliff-Leute bestimmt beeindrucken, wenn ihre Gäste sich exzellent verwandeln können, aber das kleine Einmaleins nicht im Griff haben«, witzelte unser Maori-Freund Noah und ließ uns den Vortritt, als wir losmarschierten zur Verwandlungsarena. Irgendetwas hatten seine Eltern bei seiner Erziehung richtig gemacht.

»Ach, wir werden nicht gleich verblöden, weil wir mal ein paar Tage keinen normalen Unterricht haben«, hielt ich dagegen.

»Manche sind eh schon verblödet.« Finny warf einen Blick zu Toco hinüber, der die Bemerkung hoffentlich nicht gehört hatte. So wie ich hatte er, wie Miss White das manchmal nannte, ein Problem mit seiner »Impulskontrolle«.

Also ICH kann das Einmaleins. Noemi blickte uns mit vorgereckten Tasthaaren an. Wollt ihr wissen, wie viel dreimal acht ist? Oder fünfmal sieben?

»Lass stecken«, sagte Chris, doch Blue stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen.

»Klar, sag mal«, meinte ich und stolz verkündete Noemi ihre Ergebnisse, die immerhin stimmten.

»Ich finde es enorm, wie viel du in so kurzer Zeit gelernt hast«, lobte Shari unser Panthermädchen. »Als wir dich gefunden haben, konntest du nicht mal zählen, oder? So wie ich, als ich hier an der Schule ankam …«

Na ja, ich konnte schon unterscheiden, ob Bob mir zwei oder vier Portionen Futter spendiert hatte, meinte Noemi, während sie als Pantherin vor uns entlangtappte.

Vorfreude und Pickel-Alarm

Wir übten alle wie verrückt für die Prüfung, auch ich. Angeblich war ich zwar laut Mr García ein Naturtalent in Verwandlung, aber in letzter Zeit waren mir ein paar Pannen passiert (Menschenzähne sahen an einem Tigerhai unglaublich lächerlich aus). Ich wollte nicht erleben, dass alle anderen strahlend ins Flugzeug kletterten und ich hinter den Glasscheiben stand und ihnen traurig hinterherwinkte. Das war meine Chance, wenigstens ein Mal aus Florida rauszukommen, und die würde ich nicht verpatzen!

Am Donnerstag kam Johnny vorbei, um den Abend mit mir zu verbringen und meine Austausch-Erlaubnis zu unterschreiben. Wir aßen in der Blue Reef Highschool zu Abend und saßen dann gemütlich im Palmhain und beobachteten den Sonnenuntergang. Ich freute mich total, dass er mich besuchte; das machte er gar nicht so oft, weil er nach wie vor viele Schichten im Orange Blossom Motel arbeitete.

Mit einem Motel-Kuli kritzelte Johnny seine Unterschrift unter die Erlaubnis. »Du wirst bestimmt eine tolle Zeit haben«, meinte er und klang ein klein bisschen wehmütig. Auch er war weder als Mensch noch als Zackenbarsch viel herumgekommen. Doch ansonsten ging es meinem Onkel gerade ziemlich gut, er hatte seine massige Gestalt in einen Liegestuhl gepresst und schlürfte entspannt einen frisch gepressten O-Saft, den ihm unser Koch Joshua persönlich zubereitet hatte (er hatte Johnny irgendwie ins Herz geschlossen).

»Hoffentlich klappt es auch wirklich!« Ich teilverwandelte probeweise eine Hand zur Flosse. Johnny musste grinsen, doch dann wurde er plötzlich nachdenklich.

»Kalifornien … ist das nicht, wo dieser Alan Dorn wohnt?«, fragte er.

»Ja, stimmt«, sagte ich mit gemischten Gefühlen.

Eigentlich hatte ich den reichen Wandler nett gefunden, als ich ihn vor Kurzem in Mr Clearwaters Büro kennengelernt hatte, und er hatte uns mit Waves Kaution geholfen und dabei, feindliche Wandler-Spione aus nichts ahnenden Familien herauszuholen. Noch immer hatte ich keinen Schimmer, wie er es geschafft hatte, innerhalb kürzester Zeit ein absolut identisches Kaninchen aufzutreiben. Andererseits hatten Dorns Leute uns seltsamerweise im Stich gelassen, als wir beim Kampf gegen die Lennox und ihre Tigerinnen in Lebensgefahr gewesen waren. Außerdem war mir nach wie vor nicht klar, was seine Leute wirklich in den Behältern dabeigehabt hatten, mit denen wir sie in den Everglades gesehen hatten.

»Weißt du, wo in Kalifornien er seine Zentrale hat?«, fragte Johnny.

»Moment«, sagte ich, googelte es und fand heraus, dass sein Unternehmen – das den nichtssagenden Namen Worldwide Traders Export/Import trug – lustigerweise ebenfalls in San Francisco saß. »Besuchen werde ich ihn aber sicher nicht«, meinte ich zu meinem Erziehungsberechtigten. Ich hatte Alisha Whites Warnung, ich sollte mich von dem mysteriösen Mr Dorn besser fernhalten, nicht vergessen.

»Was ist, wenn er möchte, dass du vorbeischaust? Schließlich hat er die Blue Reef unterstützt.« Johnny furchte die Stirn und genehmigte sich einen seiner geliebten Zimtkaugummis.

»Dann mache ich das halt. Sollen die Lehrer entscheiden.« Ich zuckte die Schultern. »Eigentlich fand ich ihn ja total nett, er hat uns bisher nur Gutes getan. Er hat noch kein einziges Mal gefragt, wann er endlich Waves Kaution zurückbekommt.«

Waves Verhandlung war in zwei Wochen und wir alle hofften, dass unser Buckelwal-Bekannter so wie vereinbart rechtzeitig aus dem Meer an Land zurückkommen würde.

»Ist vielleicht ganz praktisch, dass ihr dort in Kalifornien jemanden außer den Redcliff-Leuten kennt, der euch im Notfall helfen kann«, meinte Johnny.

Ich grinste. »Du meinst, falls wir mal wieder ein ganz besonderes Kaninchen brauchen?«

Johnny klang amüsiert. »Kann sein. Wenn man einen Notfall hat, beruhigt einen Kaninchenknuddeln enorm.«

Einen sehr kleinen Notfall hatte ich jetzt schon und bei dem half ganz sicher kein Kaninchen. Auf meiner Stirn und meiner Wange hatten sich in kürzester Zeit zwei dicke rote Pickel gebildet. Ich hatte sie schon mit Alkohol betupft, was sie leider überhaupt nicht beeindruckt hatte. »Meinst du, Shari liebt mich noch, wenn sie mich so sieht? Sie hat doch als Delfin wahrscheinlich nie im Leben einen Pickel gehabt!« Verstohlen blickte ich mich um. Zum Glück war Shari gerade mit Blue und Noah unterwegs.

»Wenn sie dich nicht inklusive Pickeln liebt, solltet ihr eure Beziehung mal überdenken«, brummte Johnny und stellte sein leeres Saftglas beiseite. »Als ich noch als Frau gelebt habe, hatte ich komischerweise auch ziemlich viele Pickel … vielleicht war das so ein Hormon-Ding. Aber Mari-Anne hat nie ein Wort darüber verloren.«

Ich nickte – mit Mari-Anne war er mehrere Jahre zusammen gewesen, vor und nach seinem Wechsel von Jenny zu Johnny.

Wir verabschiedeten uns mit einer festen Umarmung, dann fuhr Johnny mit seinem schrottigen Toyota zurück nach Miami. Ich blickte ihm noch lange nach. Was wäre wohl aus mir geworden, wenn meine Eltern mich irgendwo anders abgegeben hätten als ausgerechnet bei ihm? Ich verdankte ihm sehr viel.

Am nächsten Morgen sah mich Shari zum ersten Mal mit meiner neuen Gesichtsdeko. Natürlich bemerkte sie sie sofort … und Shari war nicht der Typ, der über etwas Interessantes keine Worte verlor. »Die sehen aus wie kleine Vulkane, du weißt schon, diese Dinger aus dem Dokumentarfilm neulich?«

»Äh, ja«, sagte ich und spürte, wie ich rot wurde.

»Manchmal kommt aus Pickeln auch was raus – allerdings keine Lava, sondern Eiter«, verriet ihr Blue und ein gemeinschaftliches »Iiiih!« schallte mir entgegen. Oh, nice. Vielleicht sollte ich eine Zeit lang als Tigerhai leben … die hatten keine Hautprobleme, oder?

»Aber das macht nichts.« Shari nahm mich in die Arme und küsste mich. Erst danach fragte sie: »Ansteckend sind die Dinger nicht, oder?«

»Nein«, murmelte ich, nachdem ich sie zurückgeküsst hatte.

»Na, dann ist ja gut«, sagte Shari und wandte sich an uns. »Was meint ihr zu diesem Telefongespräch von Ella? Wir müssen Mr Clearwater und Miss White unbedingt sagen, dass die Lennox etwas vorhat! Vielleicht sollten wir irgendwelche Verteidigungsmaßnahmen organisieren?«

»Gute Idee«, sagte ich und war sehr erleichtert über den Themawechsel. Also gingen wir gleich los, um unseren Lehrern Bescheid zu sagen.

Wie sich herausstellte, waren sie nicht so ahnungslos, wie wir befürchtet hatten.

»Es war Absicht, dass das mit dem Austausch nun so schnell gegangen ist«, erklärte Jack Clearwater, den wir in seinem Büro antrafen, wo er gerade etwas mit unserer Kampflehrerin besprach.

»Ja, in der Tat«, sagte Miss White, ihr Blick war prüfend. Fragte sie sich, wie viel sie mir anvertrauen konnte? »In letzter Zeit haben wir uns mit gefährlichen Leuten angelegt … wir wollten dich und deine Klasse wenigstens ein paar Tage lang aus der Schusslinie nehmen. Außerdem können Farryn, Jack und ich uns in Kalifornien mit ein paar wichtigen Ratsmitgliedern besprechen. Wegen Mrs Lennox und der Art, wie sie Wandler in ihre kriminellen Machenschaften verwickelt.«

Rasch berichteten wir den beiden, was Ella am Telefon erfahren hatte. »Aber was ist, wenn die Lennox und ihre Mafia-Freunde unsere Schule angreifen, während so viele Lehrer nicht da sind?«

Meine Kampflehrerin lächelte grimmig. »Mach dir deswegen keine Sorgen – Farryn hat beim Rat Schutz für die Schule angefordert … und bekommen.«

»Was für Schutz denn?«, fragte ich verblüfft. »Ich habe niemanden gesehen, keine Kämpfer oder so.«

»Es ist ein sehr unauffälliger Schutz … unsichtbar, bis wir ihn brauchen. Mehr werde ich dir darüber nicht sagen.«

»Aber Tiago hat recht, wir müssen auf der Hut sein«, meinte Jack Clearwater mit gerunzelter Stirn. »Die Lennox ist unberechenbar. Vielleicht kommt ihr Angriff von einer Seite, mit der wir nicht rechnen.«

Wir nickten schweigend.

Am Freitag, kurz vor der Prüfung, hatten fast alle aus meiner Klasse die Erlaubnis ergattert. Aber was war mit Ella? Freitag früh tänzelte sie in die Verwandlungsarena und schwenkte dabei einen Zettel. »Meine Mutter hat unterschrieben, dass ich mitdarf!«

Verblüfft blickten meine Freunde und ich uns an. Nur Barry und Toco wirkten nicht überrascht, denen hatte Ella es sicher schon vorher erzählt.

Sofort nahm ihr Mr García das Formular aus der Hand, prüfte es und legte es zu seinen Unterlagen. »Freut mich, das wird ein schöner Abschied für dich.«

Dann teilte er Zettel mit Nummern aus, um auszulosen, in welcher Reihenfolge wir die Prüfung ablegen sollten. Uff, ich war Nummer zwei hinter Mara!

»Gleich zu Anfang dran zu sein, ist nicht lustig«, ächzte ich.

»Aber dann haste es schnell hinter dir«, wandte mein bester Freund Jasper ein.

Gespannt schauten wir alle Shari an – sie starrte mit Muss-das-sein?-Ausdruck auf ihren Zettel. »Vorletzte!«

»Öh …« Man konnte förmlich sehen, wie in Jaspers Gehirn die Zahnrädchen ratterten, während er versuchte, daran irgendetwas Gutes zu finden. »Dann siehste, wie die anderen sich schlagen, und machst nich den gleichen Fehler.«

»Bist du bei Shari in die Lehre gegangen, oder was?«, brummte Noah, was unseren beiden Delfin-Girls ein Lächeln entlockte. »Möge Tangaroa mit euch sein! Kommt, wir machen den hongi.«

Der hongi war ein Maori-Gruß, bei dem man Stirn und Nase gegeneinanderlegte. Wie selbstverständlich zogen mich die drei Delfin-Wandler in ihre Runde und feierlich widmeten wir uns dem Ritual. Es fühlte sich immer noch wunderbar an, Teil dieser Clique zu sein, obwohl ich ein Hai war, der als sehr gefährlich und angriffslustig galt. In letzter Zeit hatte Miss White wegen der Kämpfe mit den Lennox-Leuten keine Zeit gehabt, mit mir weiter an meiner Selbstbeherrschung zu arbeiten, aber wirkliche Sorgen machte ich mir deswegen gerade nicht. Ich hatte schon echte Fortschritte dabei gemacht, meine Wut im Griff zu behalten.

Bestimmt würde alles gut gehen … es musste! Ich konnte mir nicht vorstellen, ohne meine Delfinfreundin nach Kalifornien zu fliegen.

Falls ich überhaupt mitdurfte.

Menschlicher als ein Mensch

Na, dann legen wir mal los mit der Prüfung«, sagte Farryn García und nickte unserem Schulleiter zu, der gemeinsam mit unserer Igelfisch-Lehrerin Ivy Bennett in die Verwandlungsarena kam. Ah, eine dreiköpfige Jury. Das hatten wir bisher noch nie gehabt.

Ich wurde noch ein bisschen nervöser und bekam prompt Schluckauf.

Vor mir war Seekuh-Wandlerin Mara dran, in ihrer Menschengestalt ein schwergewichtiges Mädchen mit rundem Gesicht und langen blonden Haaren.

»Bitte auf Zeit verwandeln – du hast fünfzehn Sekunden. Ich sage Bescheid, wenn es losgeht.« Mr García zückte eine Stoppuhr.

Mara blieb vor Entsetzen der Mund offen stehen. Alle wussten, dass sie langsamer war als andere, und die Lehrer hatten immer darauf Rücksicht genommen. Aber diesmal gab es anscheinend keine Gnade.

»Na gut«, sagte Mara und entschied sich für den grünen Süßwasserbereich der Verwandlungsarena – Seekühe lebten in Florida, schwammen aber im Winter die Flüsse hoch, sie kam also mit beiden Wasserarten gut klar. Mara trug nur einen Bikini, der würde problemlos abfallen, wenn sie plötzlich zu einem drei Meter langen Meeressäuger wurde.

»Drei – zwei – eins …«, zählte Mr García und Mara warf sich mit einem Aufplatschen ins Verwandlungsbecken. Eine Welle schwappte über die Glasscheibe und unseren streberhaften Alligator-Wandler Nestor. Ohne eine Miene zu verziehen, kippte er sein Schultablet, um das Wasser davon ablaufen zu lassen, und machte sich dann weiter Notizen.

»… noch zwölf Sekunden, noch dreizehn Sekunden … prima, danke, Mara!«, verkündete unser Verwandlungslehrer.

Durch die Glasscheiben blickte uns das graue, elefantenhafte Knautschgesicht einer Manatee an (wie Seekühe in Florida genannt werden). Yeah, ich hab’s geschafft, jubelte Mara in unseren Köpfen.

Das Lachen verging ihr schnell, als unsere Lehrer sie noch eine Serie von Teilverwandlungen, eine schnelle Tier-zu-Mensch-Rückverwandlung und einen Stresstest mit einem Seekuhvideo machen ließen. Aber Mara ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Prüfung bestanden«, verkündete Mr Clearwater persönlich und wir applaudierten.

»Ganz wunderbar, Mara!« Ivy Bennett freute sich mit.

»Jetzt Tiago, bitte«, sagte Farryn und ich fühlte mich wieder so wie in meiner allerersten Verwandlungsstunde, als ich die Rampe zum Wasser hochging. Weiche Knie und so.

Würden die Lehrer uns allen die gleichen Aufgaben geben? Wie sich herausstellte, nein, denn jeder hatte ja besondere Probleme oder, wie Miss Bennett gerne sagte, Herausforderungen.

Als Junge in Badehose wartete ich wassertretend auf Anweisungen.

»Schau dir das mal an – und bitte keine Verwandlung, auch keine Teilverwandlung«, sagte Mr García und zeigte mir durch die Glasscheibe ein Video, in dem ein Tigerhai in glasklarem Wasser um mehrere Taucher in schwarzem Neopren herumkurvte, die auf einem Sandboden knieten.

Der Hai gab einem davon einen Schnauzenstoß, was der Taucher witzig zu finden schien. Kapierte er nicht, dass das eine Warnung war und er besser aus dem Revier dieses Hais verschwand, so schnell er konnte? Nein, er blieb, wo er war. Ich hoffte, dass er nicht gebissen werden würde. Gleichzeitig versuchte ich mit aller Kraft, das Verwandlungskribbeln zu unterdrücken, das gerade in mir hochstieg.

Es funktionierte, das Kribbeln verschwand wieder. Puh. Auch der Taucher hatte Glück, der Hai drehte ab und schwamm genervt weg.

»Jetzt bitte mal Kiemen bilden, sonst Mensch bleiben«, kommandierte mein Verwandlungslehrer, während er das Tablet weglegte.

Ich konzentrierte mich auf den Bereich hinter meinen Ohren. Jetzt Kiemen bitte, befahl ich meinem Wandler-Ich, blickte an mir herab … und erschrak. Hups, ich hatte gerade Brustflossen statt Arme. Mist! Hektisch wedelte ich damit herum, versuchte, sie wieder loszuwerden. Das wirkte hundertpro nicht sehr kontrolliert.

»Zweiter und letzter Versuch«, sagte Farryn García und meine Freunde sahen besorgt aus. Shari klammerte sich an ihren Stuhl. Sie hatte sicher auch keine Lust, ohne mich nach Kalifornien zu fahren.

Durch fünf Sekunden eiserne Konzentration brachte ich die Brustflossen wieder zum Verschwinden, atmete tief, ließ mich unter Wasser sinken und wiederholte das Ganze. Stellte mir vor, wie mir als Hai Wasser durch meine Kiemen strömte, und behielt gleichzeitig meine Menschengestalt vor dem inneren Auge. Kompliziert! Aber diesmal klappte es. Erleichtert applaudierten Shari, Finny, Jasper und Co, als sie sahen, wie ich unter Wasser zu atmen anfing.

Alle anderen Übungen gelangen mir. Sehr erleichtert kletterte ich aus dem Riesenaquarium und ließ mich auf meinen Stuhl fallen. Jasper und ich klatschten uns ab.

Alligator-Wandler Nestor, gerade ein kräftiger Junge mit eckigem Kinn und kurz geschorenem Blondhaar, brauste locker durch seine Übungen. Ebenso Leonora, Ralph, Izzy, Barry und Toco. Dann wurde es wieder spannend, denn nun war Nox dran. Als blau-rosa Papageifisch war er schon zur Stelle. Ivy Bennett, Mr García und Mr Clearwater betrachteten ihn ernst. Jasper eilte mit einem rot-gelb-violetten Badetuch herbei – wahrscheinlich erinnerte er sich von der Party, dass Nox bunte Klamotten mochte.

»Nimm bitte deine erste Gestalt ein, Nox«, sagte Mr García förmlich. Diesmal gab es kein Geplauder darüber, ob Beine ihm standen oder nicht.

Nox hielt sich in mittlerer Tiefe auf Position und konzentrierte sich wahrscheinlich. Mit angehaltenem Atem beobachteten wir, wie sich sein Körper zu verändern begann, einen Kopf bekam, Arme, Beine und all die Körperteile, die man als Junge so hatte. Höflich wandten die Mädchen sich ab, so war es üblich, sonst hätte sich ja niemand verwandeln können, ohne an Peinlichkeit zu sterben.

»Ich hab’s geschafft!«, brüllte Nox, sodass es vom nagelneuen Glasdach der Verwandlungsarena widerhallte, und riss triumphierend die Arme hoch. Das führte dazu, dass er unterging. Wahrscheinlich war er noch nie als Mensch geschwommen.

Noah und Chris hechteten mit Kopfsprung ins Wasser, um ihn zu retten (was gelang). Jasper überreichte ihm ein Badetuch. Kurz darauf gingen sie alle die Rampe hinunter, einen breit grinsenden Nox zwischen sich: ein Junge mit schwarzen Haaren, dunklen Augen, einem verschmitzten Lächeln (dabei sah man die Lücke zwischen seinen etwas vorstehenden Vorderzähnen) und nicht besonders sportlicher Figur. Mit ungeschickt schlenkerndem Arm winkte Nox in die Runde und wir winkten zurück.

»Gut gemacht«, rief ihm Finny zu. »Aber was ist an dir menschlicher als menschlich?«

»Ach, das hab ich nur so gesagt.« Nox öffnete das Badetuch und inspizierte seinen Menschenkörper. »Ist doch toll, dass ich überhaupt normal bin, oder?«

»Sehr gut«, sagte Mr García zufrieden. »Würdest du jetzt bitte …«

Nox stieß ein kleines Keuchen aus, dann war er auf einmal weg. Dafür zappelte etwas unter dem Badetuch. Erschrocken beugten wir uns nach vorne, um besser sehen zu können, und Juna und Jasper eilten hin, um zu helfen.

Oh Mann, das macht die fehlende Übung, verkündete ein ziemlich kleinlauter Papageifisch, als er wieder im Meerwasserbereich schwamm.

»Nicht schlimm … bestimmt kannst du beim nächsten Austausch mit«, meinte Jack Clearwater und notierte etwas auf einem wasserfesten Block.

Zu unserer Überraschung machte Noemi nach ihm ihre Sache richtig gut und bekam ein »Go« von unseren Lehrern.

»Das ist so katzig!«, schwärmte sie, als sie sich wieder an ihren Tisch setzte. Wir lieferten Glückwünsche.

Daisy durfte die Prüfung ebenfalls mitmachen, obwohl sie erst seit ein paar Tagen bei uns war. Ihre Lippen waren vor Konzentration zusammengepresst, als sie die Teilverwandlungen versuchte. Es klappte erst mal nicht, aber die Lehrer erlaubten ihr ausnahmsweise einen dritten Versuch und diesmal schaffte es Daisy, sich in ein Mädchen mit grauen Pelikanflügeln zu verwandeln. Sehr cool, sie würde dabei sein!

Dafür hatte Daphne, die nach ihr dran war, eine Totalblockade und brachte es nicht mehr fertig, aus ihrer Lachmöwengestalt herauszufinden. Mit hängendem Schnabel hockte sie auf ihrem Pult. Aber … ich hab mich doch schon so gefreut, stammelte sie.

»Wir können nicht riskieren, dass im Flugzeug etwas schiefgeht«, meinte Mr García, dem sie offensichtlich leidtat.

Eine Prüfung nach der anderen wurde erfolgreich beendet, obwohl auch der zarte blonde Linus und Zelda, unsere Ohrenqualle, zwei Versuche brauchten. Dafür waren Jasper, Blue und Noah in Hochform.

Dann versagte ausgerechnet Juna, unsere Klassensprecherin, und verwandelte sich beim Videogucken in einen Falterfisch. Und das zweimal hintereinander! In Tränen aufgelöst umarmten sie und ihre beste Freundin Olivia sich. »Wenn du nicht fährst, bleibe ich auch hier«, verkündete Olivia. »Ich will mit dir zusammen sein … hier und überall!«

Erstaunt blickten Jasper und ich uns an. Was ging denn hier ab?

»Ich mit dir doch auch«, sagte Juna und lächelte unter Tränen. Dann drückten die beiden sich noch einmal … und küssten sich auf den Mund.

Nicht nur ich war erstaunt, aber Farryn García ließ sich nicht das Geringste anmerken. Vielleicht hatte er es schon länger geahnt, dass diese beiden Mädchen mehr waren als beste Freundinnen.

»Macht das bitte nachher«, sagte er nur. »Wir müssen hier mit den Prüfungen weiterkommen.« Er wandte sich Shari zu. »Du bist dran, Artgenossin.«

Meine Delfinfreundin stand auf, sie wirkte entschlossen.

Ganz schön grau

Hatte Shari genug geübt und gelernt, um die Prüfung zu bestehen? Zu meiner Schande glaubte ich selbst nicht ganz daran. Shari schenkte mir ein nervöses Lächeln, das ich mehr schlecht als recht erwiderte, dann zog sie sich die Kette mit den drei silbernen Delfinflossen über den Kopf, hastete zum Meerwasserbereich und sprang hinein.

»Komplette Verwandlung in fünfzehn Sekunden bitte«, sagte Mr García. Das war klar gewesen, wir hatten es fast alle machen müssen … aber für Shari war es eine besonders schwere Aufgabe. Ich sah, wie ihre Lippen sich unter Wasser bewegten, bestimmt bat sie Tangaroa um seinen Beistand.

Dann drückte unser Verwandlungslehrer auf die Stoppuhr.

In der Verwandlungsarena war es so still, dass ich Wasser von Nestors Pult auf den Boden tropfen hörte. Gespannt beobachteten wir alle, auch Mr Clearwater und Miss Bennett, das blonde Mädchen dort im Wasser, das keinem von uns egal war. Blue hatte vor Anspannung die Hände ineinander verkrampft und die Lippen zwischen die Zähne geklemmt. Noah knetete unruhig seine Hände.

»… sieben Sekunden … acht Sekunden …«, zählte Mr García und noch immer war nichts passiert. Dann veränderte sich Sharis Körper und in der Klasse wurde aufgeregt geflüstert. Noah, Blue und ich stöhnten.

Ella lachte. »Oh wow, vielleicht wird das jetzt der neue heiße Look.«

Glaub ich eher nicht, sagte Shari unglücklich und blickte an sich herab. Sie hatte immer noch ihre menschliche Gestalt, aber am ganzen Körper graue Haut. Gut, dass ihr das nicht an einem öffentlichen Strand passiert war, als Sonnenbrand hätte man das nicht wegerklären können. Außer, es gab seit Neustem einen Sonnenbrand, der einem auch sämtliche Haare wegsengte, eine Glatze hatte Shari nämlich ebenfalls.

»Digga, du siehst aus wie ein Alien«, sagte Ralph fasziniert.

»Probier es weiter, Shari, du hast noch ein paar Sekunden!«, rief Jack Clearwater, doch ich ahnte, dass es keinen Sinn hatte, bestimmt war Shari inzwischen zu nervös.

Und so war es, sie schaffte es nur noch, ihren Alien-Look wieder loszuwerden.

Als die Lehrer sich kurz besprachen, sprang ich auf und hastete zum Meerwasserbereich. »Du schaffst das, denk an deine Kindheit im Meer und wie du dich als Delfin gefühlt hast … ruck, zuck bist du einer«, flüsterte ich meiner Freundin zu.

Shari nickte, zwang sich zu einem Lächeln und legte ihre Hand an die Glasscheibe.

Ich legte meine darauf und blickte ihr in die Augen. In diesem Moment beschloss ich, dem Beispiel von Olivia zu folgen: Wenn Shari nicht fahren durfte, würde ich auch hierbleiben! Sie bedeutete mir mehr, als ich sagen konnte.

»Okay, zweiter Durchgang«, kündigte Mr García an und scheuchte mich mit einer Handbewegung auf meinen Platz zurück.

Diesmal schaffte Shari die Verwandlung in der vierzehnten Sekunde. Erleichtert sackte ich auf meinem Stuhl zusammen. Aber noch musste sie die anderen Teile des Tests bestehen. Shari nahm ihre Menschengestalt wieder ein und wartete auf die nächste Aufgabe.

Inzwischen hatte Ivy Bennett auf ihrem Schultablet einen Film aufgerufen – mehrere Große Tümmler tummelten (oder eher, tümmelten) sich am Bug eines schnellen Schiffs, um sich von der Druckwelle tragen zu lassen. Untergetaucht, mit im Wasser wogenden Haaren, betrachtete Shari den Film durch die Glasscheibe … und behielt dabei ihr Menschen-Ich.

Wir applaudierten erleichtert. Shari hatte bestanden!

»Herzlichen Glückwunsch, schön, dass du dabei sein wirst.« Jack Clearwater lächelte ihr zu.

Damit war ihr Test beendet, sie kletterte aus dem Meerwasserbereich und kehrte zu ihrem Stuhl zurück. Aber warum ging sie so komisch? Sie schaute weiter zu den drei Lehrern hinüber, als ob sie sich nicht sicher wäre, ob sie wirklich bestanden hatte. Ging sogar fast seitwärts, bis sie an ihrem Platz neben mir angekommen war.

Zum Glück achtete außer mir niemand darauf, weil Chris, der nach ihr dran war, gerade nach vorne stolzierte, als sei er ein großer Filmstar (der Ruhm von Magic Fish war ihm ein bisschen zu Kopf gestiegen). Toco versuchte natürlich sofort, ihm ein Bein zu stellen, doch Chris hatte gute Reflexe und stieg einfach über seinen Fuß.

Als Chris sich in einen Seelöwen mit Menschenkopf verwandeln sollte, hörte ich ein Geräusch … hatte in der Klasse jemand gepupst? Nein, es klang eher, als hätte ein Delfin geatmet. Es war aber keiner in Sicht. Seltsam.

Als ich zu Shari rüberschaute, merkte ich, dass sie verlegen grinste. Ich hob fragend die Augenbrauen. Absichtlich blickte sie nach rechts, von mir weg … und beinahe hätte ich losgeprustet. Sie hatte ein Blasloch am Hinterkopf! Zum Glück hatte keiner der Lehrer es gemerkt, dass sie eigentlich nicht bestanden hatte.

In der Pause umarmten meine Freunde und ich uns stürmisch und feierten, dass wir bald die Westküste erkunden würden. Mein nicht ganz dünner, bester Freund Jasper tanzte so wild herum, dass ihm beinahe die Brille vom Kopf geflogen wäre. »Meinste, wir dürfen schon Koffer packen?«, fragte er atemlos.

»Klar, bestimmt.«

»Ich hab aber keinen«, wandte Shari ein.

»Das macht nichts, ich leihe dir meinen«, sagte Juna tonlos und wir machten uns zusammen mit Olivia daran, sie zu trösten.

Währenddessen versuchte Ella, Daphne davon zu überzeugen, dass der Kalifornien-Trip bestimmt total anstrengend werden würde und sie Glück hatte, weil sie nicht mitmusste.

Das zog nicht richtig. »Dann bleib du doch auch daheim, wenn es so blöd wird«, motzte Daphne.

Blue und Shari verschwanden in der Küche, um für Juna und Olivia Buttermilch-Mandel-Muffins zu backen (Junas Lieblingssorte), und ich zog mit Jasper ab zu unserer Hütte Nr. 3, um etwas für die beiden zu zeichnen. Mir schwebte da ein Gruppenbild von Falter- und Doktorfisch vor. Wie schön, dass die beiden ihr Glück gefunden hatten.

»Haste nicht auch gedacht, dass Juna in Mr Clearwater verliebt ist?«, fragte mich Jasper, der noch ein bisschen überfordert wirkte von dieser romantischen Wendung.

Ich zuckte die Achseln. »Tja, und ich war früher verknallt in Shakira, aber da war mir auch klar, dass das nichts wird.«

»Das war nich, was ich meinte … ich wusste nich, dass man Jungs und Mädchen lieben kann«, wandte Jasper ein.

Das brachte mich zum Grinsen. »Du bist eben nicht mit einer Tante aufgewachsen, die irgendwann zum Onkel geworden ist. Alles ist möglich!«

Mein Handy meldete sich und ich sah, dass es Rocket war. Ugh, ich musste ihm noch beichten, dass wir ohne ihn auf Klassenfahrt gehen würden. Doch im absolut gleichen Moment, als ich das dachte, hatte ich eine supergeniale Idee. Also ging ich ran und sagte: »Hi Rocket … sag mal, könntest du dich als Ratte an Flughafenkontrollen vorbeiwieseln?«

»Fliegen Raketen nach oben?«, kam es sofort zurück. »Und übrigens, Wiesel wieseln. Ratten dagegen …«

»Rätteln?«, schlug ich vor. »Was meinst du, würden deine Eltern erlauben, dass du mit uns auf Klassenfahrt gehst?«

»Never ever, die wissen nichts von euch. Aber ich könnte meiner Mum sagen, dass ich ein paar Tage bei Oma Sally und euch wohne, weil meine Schwestern mich gerade zu Tode nerven. Und für die Schule fälsche ich eine Entschuldigung.«

»Cool«, sagte ich. »Sally verpetzt dich nicht, oder?«

»Ich hab noch was gut bei ihr für den blöden Spruch mit dem Ungeziefer«, behauptete Rocket. Als er sich versehentlich verwandelt hatte, hatte seine Oma mit ihrer gewohnten Energie Jagd auf ihn gemacht, bis Johnny und ich sie davon abgehalten und ihr die Wahrheit über ihren Enkel und sie selbst gesagt hatten.

»Stimmt. Das heißt, dass sie dich auch hier abliefern könnte, oder? Und zwar heimlich, am besten in ihrer Gestalt als Fischadler.« Mein Gehirn ratterte auf Hochtouren, während ich zu planen versuchte, wie ich meinen Freund unentdeckt auf so eine weite Reise mitnehmen konnte. Wie viel Ärger würde ich dafür bekommen? Mir fiel ein, dass ich damit womöglich mein Stipendium in Gefahr brachte. Oh Mann. Vielleicht war das alles eine Eins-a-Scheißidee …

»Wohin fahren wir eigentlich?«, drang es an mein Ohr. »Oder ist das geheim?«

»Kalifornien«, sagte ich.

»Sauber – da wollte ich schon immer mal hin!«, kam es zurück und danach brachte ich es nicht mehr übers Herz, Rocket wieder abzusagen. Stattdessen erzählte ich ihm, dass Lydia Lennox anscheinend vorhatte, unsere Schule zu sabotieren, sobald Ella nicht mehr dorthin ging. »Oje … wisst ihr schon, auf welche Art?«

»Leider nein«, sagte ich mit gemischten Gefühlen. Die Lehrer wollten uns aus der Schusslinie haben, doch das hieß auch, dass nur die Zweitjahresschüler vor Ort waren, um die Blue Reef zu verteidigen.

Aber das konnte ich gerade nicht ändern. Ich presste ein paar Extraklamotten für Rocket in meinen Koffer und hockte am Sonntag, auf dem Weg zum Flughafen, mit Herzklopfen auf meinem Sitz im Kleinbus. Hoffentlich ahnten die Lehrer nicht, dass ich einen blinden Passagier im Rucksack hatte …

Durch die Kontrollen

Meine Freunde wussten Bescheid über Rocket, aber ich hoffte, dass Ella und ihre Kumpane es nicht mitbekamen, weil die es in ungefähr fünf Millisekunden dem nächstbesten Lehrer weitertratschen würden.

Unsere Begleitlehrer waren Miss White, Mr García und Mr Clearwater. Irgendwann würden die sowieso rausfinden, was wir getan hatten, aber hoffentlich nicht bevor wir im Flugzeug saßen. Danach war es zu spät, dann würde Rocket in Kalifornien dabei sein, ob genehmigt oder nicht.

»Alles klar, Tiago? Du wirkst ein bisschen verkrampft«, fragte mich Miss White, als wir am Flughafen von Miami unsere Koffer abgegeben hatten und uns als aufgeregt schwatzendes Rudel zur Sicherheitskontrolle bewegten. »Du hast doch nicht etwa ein Messer oder Sprengstoff eingepackt?«

»Haha, nein – und Sie?«, fragte ich zurück. Ganz schön frech, aber bei einer Lieblingslehrerin ging das vielleicht durch.

»Sehe ich aus, als würde ich so etwas brauchen?«, erwiderte Miss White, ohne eine Miene zu verziehen. Alle Schüler, die in der Nähe standen – Jasper, Chris und Finny –, murmelten sofort ein respektvolles »Nein«. Inzwischen wussten wir ja, was für eine krasse Vergangenheit unsere Lehrerin hatte.

Weil unser Budget für den Austausch nicht gerade bombastisch war, reisten nicht alle von uns als Menschen. Zelda hockte als Qualle gut angefeuchtet in Ralphs Brotdose (das war ihre Idee gewesen) und Linus blickte uns aus einer Schneekugel an, in der er vor dem Hintergrund einer Korallenlandschaft herumschwamm.

Wenn ich gewusst hätte, wie eng das hier drin ist, hätte ich das nicht vorgeschlagen, beschwerte er sich. Und das Korallenfoto sieht total kitschig aus!

»Du hast als Einziger von uns echtes Florida-Meerwasser, also mecker hier nicht rum«, sagte Finny, die das angebliche Geschenk dabeihatte.

Wir näherten uns den Kontrollen, vor denen ein paar Leute in der Schlange standen. Ich konnte die Metalldetektoren und Fließbänder schon sehen, auf denen die Rucksäcke durch das Röntgengerät geschickt wurden. Boah, wenn ich in deinem Rucksack bleibe, können die sich mein Skelett anschauen, meinte Rocket.

Ja, genau, und dann bekommen sie die Vollkrise, also halt dich bereit zum Absprung, flüsterte ich ihm zu.

Am Freitag hatten alle, die mitdurften und als Tier aufgewachsen waren, einen Extrakurs »Verhalten am Flughafen« bekommen. Aber das hieß nicht, dass diese Schüler alles richtig machen mussten. Falsch war für Rocket und mich hier und heute viel besser! Gerade ging vor mir Shari durch den leeren Türrahmen des Metalldetektors und tat erstaunt, als es piepte. In Wirklichkeit hatte sie absichtlich ihre Kette mit den drei Delfinflossen anbehalten, um davon abzulenken, was ich in der Zwischenzeit machte.

Während eine Angestellte auf Shari zuging, um sie abzutasten, stellte ich unauffällig meinen Rucksack am Fließband ab, bückte mich und zog den Reißverschluss ein Stück auf. So, raus da, beeil dich – und pass auf, dass dich niemand sieht!

Ach, es ist gerade so gemütlich hier drin, wandte Rocket ein.

Du hast noch einen Fünf-Stunden-Flug in diesem gemütlichen Handgepäck vor dir, also Schnauze halten und los!

Vielleicht hätte ich mich vorher mal umschauen sollen und nicht erst, als Rocket schon das Schnäuzchen ins Freie streckte. Dass Jack Clearwater ein paar Meter hinter mir in der Schlange stand, hatte ich übersehen – und Adler-Wandler sind nicht dafür bekannt, dass sie eine Brille brauchen.

Zum Glück stand Finny ebenfalls hinter mir. Als sie meine Blödheit bemerkte, reagierte sie sofort. »Mr Clearwater, ich schaffe es nicht, meine Wasserflasche leer zu trinken, und man darf sie so nicht durch die Kontrollen mitnehmen. Was soll ich machen?«

Unser Schulleiter wandte sich ihr zu und nahm die Flasche in Augenschein, die Finny schwenkte. »Halb so schlimm, kipp das Wasser halt in den Mülleimer da.«

Die Sekunde, in der er nicht hinschaute, reichte Rocket. Während ich meine Taschen leerte und Geld, Hausschlüssel und Handy in die Plastikschale legte, huschte er los.

Die Angestellten starrten hoch konzentriert auf die Bilder unserer durchleuchteten Rucksäcke und merkten nichts davon, dass ein kleiner Wandler hinter ihnen vorbeiwitschte.

Da hatte ich noch keine Ahnung, was für ein Wächter auf der anderen Seite der Sperre wartete.

Scheiße, da ist ein Drogensuchhund!, japste Rocket. Wenn der mich wittert …

Damit hatte ich nicht gerechnet. Rocket hatte zwar nichts mit Drogen am Hut, aber der große Vierbeiner würde durchdrehen, wenn er den kleinen witterte.

Ablenkung, Ablenkung, wir brauchten jetzt dringend irgendeine Ablenkung, aber welche? Meine Gedanken flossen so zähflüssig wie diese eklige, viel zu süße Marshmallow-Creme aus dem Supermarkt. Zu allem Überfluss hatte Rocket eben nicht daran gedacht zu flüstern, anscheinend hatte Ella etwas von unserem Austausch gehört. Während sie ihr Handy ausschaltete, schaute sie mich seltsam von der Seite an. »Tiago, du …«

»Später!«, sagte ich und bekam dafür einen giftigen Blick.

Wahrscheinlich merkte man mir an, dass ich angespannt war. Der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes wurde sofort misstrauisch. Ich sah, wie er einem Kollegen einen Blick zuwarf. Während er mich extragründlich abtastete, musterte die Frau am Monitor meinen Rucksackinhalt und meine ebenfalls geröntgten Schuhe intensiv.

Fünf oder sechs Leute aus meiner Klasse, die in der Schlange hinter mir gestanden hatten – darunter Daisy und Chris –, überholten mich und ich hatte meine Sachen noch nicht zurück. Mir wurde immer mulmiger zumute.

»Gibt’s hier ein Problem?«, fragte Mr Clearwater höflich, bekam aber keine Antwort.

Auch Finny hatte Schwierigkeiten wegen der Flüssigkeit im angeblichen Geschenk, aber sie war mit Miss White an ihrer Seite schon dabei, sich rauszureden, dass sich ihre Freundin in Kalifornien nun mal genau so eine Kugel gewünscht hatte.

»Was ist das für ein Seepferdchen? Das ist aber nicht echt, oder? Das wäre Schmuggel einer geschützten Art.« Die Security-Mitarbeiterin wirkte noch nicht überzeugt. »Damit haben wir leider oft zu tun, jedes Jahr sterben allein für die traditionelle chinesische Medizin Millionen von Seepferdchen.«

»Ich weiß – dabei gibt es keinen Beweis, dass sie gegen irgendeine Krankheit wirken«, bestätigte Finny düster. »Aber keine Sorge, dieses Tierchen hier ist aus Plastik.«

Linus machte sich steif und glotzte geradeaus, damit er möglichst unecht aussah. Doch dann kam Finny auf die Idee, die Schneekugel zu schütteln, sodass Seepferdchen und Sand darin herumwirbelten. He, was soll das, mir wird schlecht!, beschwerte sich Linus, musste aber zum Glück nicht kotzen und konnte weiter so tun, als wäre er ein Plastiktier.

»Na gut, nehmt das Ding mit.« Die Angestellte winkte Finny und Linus durch und Miss White nickte ihr dankend zu.

In der Kontrollstation neben uns hatte es Zelda in ihrer Brotdose inzwischen auf die andere Seite geschafft.

»Die Security-Leute waren nicht besonders genau, die haben sogar ein Minitaschenmesser in meinem Rucksack übersehen«, verkündete Barry.

Ella zog ihn weg, bevor er noch mehr zum Thema Messer von sich geben konnte. Gut! Die war ich los. Aber ich hatte noch keine Lösung für Rockets und mein größtes Problem, das vier Pfoten, ein goldbraunes Fell und vermutlich Maulgeruch hatte!

Chris warf mir einen schnellen Blick von der Seite zu. Ich nickte in die Richtung des Drogensuchhundes, der eine signalfarbene Weste trug und neugierig nach rechts und links schaute. Er war ein seidenhaariger, schmusefester Golden Retriever, dem man absolut nicht zutraute, dass er in Wirklichkeit ein Cop war. Das war garantiert Absicht. Die fiesen Schmuggler unterschätzten ihn, und zack, schon klickten die Handschellen.

Noch während ich hinschaute, hob der Pseudo-Familienhund – der noch ziemlich jung wirkte – die Schnauze und witterte. Er sah sehr interessiert aus. Garantiert war Rattengeruch für ihn eine tolle Abwechslung von seinem üblichen Job.

Mist, der hat mich bemerkt. Ich zisch ab – wir treffen uns im Duty-free-Shop! Jede Deckung ausnutzend machte sich Rocket auf den Weg.

Der Drogenhund bellte und zog an seiner Leine, aber nicht in Richtung Handgepäck. Sein Führer sah verdutzt aus. »Was ist denn, Bubbles?«, fragte er.

»Na, das ist aber ein niedlicher Hund, wieso haben Sie ihn Bubbles genannt? Macht er gerne Kaugummiblasen?« Chris beugte sich hinunter, die Hand zum Streicheln ausgestreckt. Eine bessere Ablenkung war ihm anscheinend nicht eingefallen.

»Streicheln verboten!«, wurde er angeblafft. »Das ist ein Diensthund in der Ausbildung!«

Der Diensthund schnupperte ungläubig an Chris – er hatte bestimmt nicht mit Seelöwengeruch gerechnet, nicht jetzt, nicht hier – und zerrte dann in Richtung Duty-free-Shop. »Das ist wirklich ungewöhnlich.« Sein Besitzer runzelte die Stirn. »Ich überprüfe besser mal, was er gewittert hat. Nur für alle Fälle.«

Nervös schaute ich mich nach den Leuten aus meiner Klasse um, die alle zum Gate B 08 strebten, dann warf ich einen Blick auf die Uhr. Ich hatte nur zwanzig Minuten, um Rocket zu retten, sonst verpasste ich unseren Flug! Mit Shari und Jasper, die sich an meine Fersen hefteten, rannte ich los.

Über den Wolken

Ich war noch nie in einem Duty-free-Shop gewesen und war ein bisschen eingeschüchtert davon. Regal um Regal voller Parfüm und Kosmetik, Whiskyflaschen in edlen Verpackungen, Klamotten der teuersten Marken, Großpackungen von Süßigkeiten und dazwischen überteuerte Miami-Souvenirs. Makellose Verkäuferinnen schwebten über den Marmorboden.

Wo bist du?, fragte ich Rocket lautlos.

Bei den Parfüms – Irreführung von Hundenasen, flüsterte er zurück und klang dabei ziemlich nervös.

»Sorry, wo geht es zu den Parfüms?«, fragte ich hastig eine der Verkäuferinnen.

Die Frau schaffte es irgendwie, auf mich herabzublicken, obwohl ich größer war als sie. »Da vorne«, sagte sie. »Aber an der Kasse kontrollieren sie die Rucksäcke, das ist dir schon klar, oder?«

Sprachlos blickte ich sie an, bis mich Shari am Jackenärmel weiterzog.