Seelenjäger - J. R. Ward - E-Book
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Seelenjäger E-Book

J. R. Ward

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Beschreibung

Düster, erotisch, unwiderstehlich – die letzten Vampire kämpfen um das Schicksal der Welt

In diesem Band wird die Geschichte des Vampirkriegers Vishous erzählt. Seine Vergangenheit hat ihn zu einer atemberaubend schönen Ärztin geführt. Nur ist sie ein Mensch, und ihre gemeinsame Zukunft birgt ungeahnte Gefahren …

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Seitenzahl: 424

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Das Buch

Als der Vampirkrieger Vishous in einem Kampf gegen die untoten Lesser schwer verletzt wird, liefert man ihn, noch bevor die Bruderschaft der BLACK DAGGER ihn aufspüren kann, in ein von Menschen geführtes Krankenhaus ein. Im St.-Francis-Hospital rettet Doktor Jane Whitcomb dem Vampir mit einer Notoperation das Leben. Kaum schlägt er die Augen wieder auf, weiß Vishous mit unumstößlicher Sicherheit, dass Jane die Eine ist, die Frau seines Lebens. Doch ihr seine Liebe zu gestehen, erscheint unmöglich. Denn Jane ist ein Mensch, und Vishous’ Vergangenheit holt ihn immer wieder ein. Als die Jungfrau der Schrift auch noch den Entschluss fasst, Vishous zum Primal machen, dem Mann, der eine neue Generation von Vampiren zeugen soll, steht die Liebe des grausamsten Kriegers der BLACK DAGGER zu seiner Lebensretterin endgültig auf dem Spiel …

 

 

Die BLACK DAGGER-Serie Erster Roman: Nachtjagd Zweiter Roman: Blutopfer Dritter Roman: Ewige Liebe Vierter Roman: Bruderkrieg Fünfter Roman: Mondspur Sechster Roman: Dunkles Erwachen Siebter Roman: Menschenkind Achter Roman: Vampirherz Neunter Roman: Seelenjäger Zehnter Roman: Todesfluch Elfter Roman: Blutlinien

Die Autorin

J. R. Ward begann bereits während ihres Studiums mit dem Schreiben. Nach ihrem Hochschulabschluss veröffentlichte sie die BLACK DAGGER-Serie, die in kürzester Zeit die amerikanischen Bestseller-Listen eroberte. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrem Golden Retriever in Kentucky und gilt seit dem überragenden Erfolg der Serie als neuer Star der romantischen Mystery.

 

Besuchen Sie J. R. Ward unter: www.jrward.com

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Titel der Originalausgabe LOVER UNBOUND (PART 1)

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Astrid Finke

Deutsche Erstausgabe 3/09 Redaktion: Natalja Schmidt

Copyright © 2007 by Jessica Bird Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-06684-0 V003

www.heyne.de

Gewidmet: Dir. Anfangs hatte ich dich falsch eingeschätzt und dafür bitte ich um Verzeihung. Es ist so typisch für dich, dass du trotzdem geholfen und nicht nur ihn, sondern auch mich dadurch gerettet hast.

DANKSAGUNG

Mit unendlicher Dankbarkeit den Lesern der Black Dagger und ein Hoch auf die Cellies – Ich fange gar nicht erst mit den Sofas an. So weit kann ich nicht zählen.

 

Ich danke euch so sehr: Karen Solem, Kara Cesare, Claire Zion, Kara Welsh.

 

Dank an euch, Dorine und Angie, dass ihr euch so gut um mich kümmert – und ich danke auch S-Byte und Ventrue für alles, was ihr aus der Güte eures Herzens tut!

 

Und wie immer Dank an meinen Exekutivausschuss: Sue Grafton, Dr. Jessica Andersen, Betsey Vaughan und meinen Partner. Und mit dem größten Respekt an die unvergleichliche Suzanne Brockmann.

 

DLB – rate mal: deine Mami liebt dich immer noch × × × NTM – wie immer in Liebe und Dankbarkeit. Wie du weißt.

 

Und ich muss sagen, nichts von all dem wäre möglich ohne: meinen liebenden Mann, der immer zu mir hält; meine wunderbare Mutter, die für mich da ist, seit … na ja, von Anfang an; meine Familie (die blutsverwandte wie auch die frei ge- wählte) ; und meine liebsten Freunde.

GLOSSAR DER BEGRIFFE UND EIGENNAMEN

Attendhente – Auserwählte, die der Jungfrau der Schrift aufwartet.

Die Auserwählten – Vampirinnen, deren Aufgabe es ist, der Jungfrau der Schrift zu dienen. Sie werden als Angehörige der Aristokratie betrachtet, obwohl sie eher spirituell als weltlich orientiert sind. Normalerweise pflegen sie wenig bis gar keinen Kontakt zu männlichen Vampiren; auf Weisung der Jungfrau der Schrift können sie sich aber mit einem Krieger vereinigen, um den Fortbestand ihres Standes zu sichern. Sie besitzen die Fähigkeit zur Prophezeiung. In der Vergangenheit dienten sie alleinstehenden Brüdern zum Stillen ihres Blutbedürfnisses, aber diese Praxis wurde von den Brüdern aufgegeben.

Bannung – Status, der einer Vampirin der Aristokratie auf Gesuch ihrer Familie durch den König auferlegt werden kann. Unterstellt die Vampirin der alleinigen Aufsicht ihres Hüters, üblicherweise der älteste Mann des Haushalts. Ihr Hüter besitzt damit das gesetzlich verbriefte Recht, sämtliche Aspekte ihres Lebens zu bestimmen und jeglichen Umgang zwischen ihr und der Außenwelt zu regulieren.

Die Bruderschaft der Black Dagger – Die Brüder des Schwarzen Dolches. Speziell ausgebildete Vampirkrieger, die ihre Spezies vor der Gesellschaft der Lesser beschützen. Infolge selektiver Züchtung innerhalb der Rasse besitzen die Brüder ungeheure physische und mentale Stärke sowie die Fähigkeit zur extrem raschen Heilung. Die meisten von ihnen sind keine leiblichen Geschwister; neue Anwärter werden von den anderen Brüdern vorgeschlagen und daraufhin in die Bruderschaft aufgenommen. Die Mitglieder der Bruderschaft sind Einzelgänger, aggressiv und verschlossen. Sie pflegen wenig Kontakt zu Menschen und anderen Vampiren, außer um Blut zu trinken. Viele Legenden ranken sich um diese Krieger, und sie werden von ihresgleichen mit höchster Ehrfurcht behandelt. Sie können getötet werden, aber nur durch sehr schwere Wunden, wie zum Beispiel eine Kugel oder einen Messerstich ins Herz.

Blutsklave – Männlicher oder weiblicher Vampir, der unterworfen wurde, um das Blutbedürfnis eines anderen zu stillen. Die Haltung von Blutsklaven ist heute zwar nicht mehr üblich, aber nicht ungesetzlich.

Doggen – Angehörige (r) der Dienerklasse innerhalb der Vampirwelt. Doggen pflegen im Dienst an ihrer Herrschaft altertümliche, konservative Sitten und folgen einem formellen Bekleidungs- und Verhaltenskodex. Sie können tagsüber aus dem Haus gehen, altern aber relativ rasch. Die Lebenserwartung liegt bei etwa fünfhundert Jahren.

Ehros – Eine Auserwählte, die speziell in der Liebeskunst ausgebildet wurde.

Gesellschaft derLesser – Orden von Vampirjägern, der von Omega zum Zwecke der Auslöschung der Vampirspezies gegründet wurde.

Glymera – Das soziale Herzstück der Aristokratie, sozusagen die »oberen Zehntausend« unter den Vampiren.

Gruft – Heiliges Gewölbe der Bruderschaft der Black Dagger. Sowohl Ort für zeremonielle Handlungen wie auch Aufbewahrungsort für die erbeuteten Kanopen der Lesser. Hier werden unter anderem Aufnahmerituale, Begräbnisse und Disziplinarmaßnahmen gegen Brüder durchgeführt. Niemand außer Angehörigen der Bruderschaft, der Jungfrau der Schrift und Aspiranten hat Zutritt zur Gruft.

Hellren – Männlicher Vampir, der eine Partnerschaft mit einer Vampirin eingegangen ist. Männliche Vampire können mehr als eine Vampirin als Partnerin nehmen.

Hohe Familie – König und Königin der Vampire sowie all ihre Kinder.

Hüter – Vormund eines Vampirs oder einer Vampirin. Hüter können unterschiedlich viel Autorität besitzen, die größte Macht übt der Hüter einer gebannten Vampirin aus.

Jungfrau der Schrift – Mystische Macht, die dem König als Beraterin dient sowie die Vampirarchive hütet und Privilegien erteilt. Existiert in einer jenseitigen Sphäre und besitzt umfangreiche Kräfte. Hatte die Befähigung zu einem einzigen Schöpfungsakt, den sie zur Erschaffung der Vampire nutzte.

Leahdyre – Eine mächtige und einflussreiche Person.

Lesser – Ein seiner Seele beraubter Mensch, der als Mitglied der Gesellschaft der Lesser Jagd auf Vampire macht, um sie auszurotten. Die Lesser müssen durch einen Stich in die Brust getötet werden. Sie altern nicht, essen und trinken nicht und sind impotent. Im Laufe der Jahre verlieren ihre Haare, Haut und Iris ihre Pigmentierung, bis sie blond, bleich und weißäugig sind. Sie riechen nach Talkum. Aufgenommen in die Gesellschaft werden sie durch Omega. Daraufhin erhalten sie ihre Kanope, ein Keramikgefäß, in dem sie ihr aus der Brust entferntes Herz aufbewahren.

Lewlhen – Geschenk.

Lheage – Respektsbezeichnung einer sexuell devoten Person gegenüber einem dominanten Partner.

Lielan – Ein Kosewort, frei übersetzt in etwa »mein Liebstes«.

Mahmen – Mutter. Dient sowohl als Bezeichnung als auch als Anrede und Kosewort.

Mhis – Die Verhüllung eines Ortes oder einer Gegend; die Schaffung einer Illusion.

Nalla – Kosewort. In etwa »Geliebte«.

Novizin – Eine Jungfrau.

Omega – Unheilvolle mystische Gestalt, die sich aus Groll gegen die Jungfrau der Schrift die Ausrottung der Vampire zum Ziel gesetzt hat. Existiert in einer jenseitigen Sphäre und hat weitreichende Kräfte, wenn auch nicht die Kraft zur Schöpfung.

Phearsom – Begriff, der sich auf die Funktionstüchtigkeit der männlichen Geschlechtsorgane bezieht. Wörtlich Übersetzt in etwa »würdig, in eine Frau einzudringen«.

Princeps – Höchste Stufe der Vampiraristokratie, untergeben nur den Mitgliedern der Hohen Familie und den Auserwählten der Jungfrau der Schrift. Dieser Titel wird vererbt; er kann nicht verliehen werden.

Pyrokant – Bezeichnet die entscheidende Schwachstelle eines Individuums, sozusagen seine Achillesverse. Diese Schwachstelle kann innerlich sein, wie zum Beispiel eine Sucht, oder äußerlich, wie ein geliebter Mensch.

Rahlman – Retter.

Rythos – Rituelle Prozedur, um verlorene Ehre wiederherzustellen. Der Rythos wird von dem Vampir gewährt, der einen anderen beleidigt hat. Wird er angenommen, wählt der Gekränkte eine Waffe und tritt damit dem unbewaffneten Beleidiger entgegen.

Schleier – Jenseitige Sphäre, in der die Toten wieder mit ihrer Familie und ihren Freunden zusammentreffen und die Ewigkeit verbringen.

Shellan – Vampirin, die eine Partnerschaft mit einem Vampir eingegangen ist. Vampirinnen nehmen sich in der Regel nicht mehr als einen Partner, da gebundene männliche Vampire ein ausgeprägtes Revierverhalten zeigen.

Symphath – Eigene Spezies innerhalb der Vampirrasse, deren Merkmale die Fähigkeit und das Verlangen sind, Gefühle in anderen zu manipulieren (zum Zwecke eines Energieaustauschs). Historisch wurden die Symphathen oft mit Misstrauen betrachtet und in bestimmten Epochen auch von den Vampiren gejagt. Sind heute nahezu ausgestorben.

Tahlly – Kosewort. Entspricht in etwa »Süße«.

Transition – Entscheidender Moment im Leben eines Vampirs, wenn er oder sie ins Erwachsenenleben eintritt. Ab diesem Punkt müssen sie das Blut des jeweils anderen Geschlechts trinken, um zu überleben und vertragen kein Sonnenlicht mehr. Findet normalerweise mit etwa Mitte zwanzig statt. Manche Vampire überleben ihre Transition nicht, vor allem männliche Vampire. Vor ihrer Transition sind Vampire von schwächlicher Konstitution und sexuell unreif und desinteressiert. Außerdem können sie sich noch nicht dematerialisieren.

Triebigkeit – Fruchtbare Phase einer Vampirin. Üblicherweise dauert sie zwei Tage und wird von heftigem sexuellem Verlangen begleitet. Zum ersten Mal tritt sie etwa fünf Jahre nach der Transition eines weiblichen Vampirs auf, danach im Abstand von etwa zehn Jahren. Alle männlichen Vampire reagieren bis zu einem gewissen Grad auf eine triebige Vampirin, deshalb ist dies eine gefährliche Zeit. Zwischen konkurrierenden männlichen Vampiren können Konflikte und Kämpfe ausbrechen, besonders wenn die Vampirin keinen Partner hat.

Vampir – Angehöriger einer gesonderten Spezies neben dem Homo sapiens. Vampire sind darauf angewiesen, das Blut des jeweils anderen Geschlechts zu trinken. Menschliches Blut kann ihnen zwar auch das Überleben sichern, aber die daraus gewonnene Kraft hält nicht lange vor. Nach ihrer Transition, die üblicherweise etwa mit Mitte zwanzig stattfindet, dürfen sie sich nicht mehr dem Sonnenlicht aussetzen und müssen sich in regelmäßigen Abständen aus der Vene ernähren. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme können Vampire Menschen nicht durch einen Biss oder eine Blutübertragung »verwandeln«; in seltenen Fällen aber können sich die beiden Spezies zusammen fortpflanzen. Vampire können sich nach Belieben dematerialisieren, dazu müssen sie aber ganz ruhig werden und sich konzentrieren; außerdem dürfen sie nichts Schweres bei sich tragen. Sie können Menschen ihre Erinnerung nehmen, allerdings nur, solange diese Erinnerungen im Kurzzeitgedächtnis abgespeichert sind. Manche Vampire können auch Gedanken lesen. Die Lebenserwartung liegt bei über eintausend Jahren, in manchen Fällen auch höher.

Vergeltung – Akt tödlicher Rache, typischerweise ausgeführt von einem Mann im Dienste seiner Liebe.

Wanderer – Ein Verstorbener, der aus dem Schleier zu den Lebenden zurückgekehrt ist. Wanderern wird großer Respekt entgegengebracht und sie werden für das, was sie durchmachen mussten, verehrt.

Zwiestreit – Konflikt zwischen zwei männlichen Vampiren, die Rivalen um die Gunst einer Vampirin sind.

PROLOG

Greenwich Country Day SchoolGreenwich, ConnecticutZwanzig Jahre früher

 

»Nimm ihn einfach mit, Jan e.«

Jane Whitcomb griff nach dem Rucksack. »Du kommst aber trotzdem, oder?«

»Das hab ich dir doch heute Morgen schon gesagt. Ja.«

»Okay.« Jane blickte ihrer Freundin nach, wie sie den Bürgersteig hinunterging, bis eine Hupe ertönte. Sie strich sich die Jacke glatt, straffte die Schultern und drehte sich zu einem Mercedes um. Ihre Mutter blickte durch die Scheibe auf der Fahrerseite, die Augenbrauen zusammengezogen.

Jane eilte über die Straße, der verdächtige Rucksack mit der Schmuggelware machte viel zu viel Lärm, fand sie. Sie hüpfte auf den Rücksitz und verstaute ihn zu ihren Füßen. Der Wagen rollte an, bevor sie noch die Tür zugezogen hatte.

»Dein Vater kommt heute Abend nach Hause.«

»Was?« Jane schob die Brille auf der Nase nach oben. »Wann?«

»Später. Ich befürchte also …«

»Nein! Du hast es versprochen!«

Ihre Mutter blickte über die Schulter. »Ich muss doch sehr bitten, junges Fräulein.«

Jane stiegen die Tränen in die Augen. »Du hast es mir zum dreizehnten Geburtstag versprochen. Katie und Lucy wollen doch …«

»Ich habe schon mit ihren Müttern telefoniert.«

Jane ließ sich in den Sitz zurücksinken.

Ihre Mutter sah sie im Rückspiegel an. »Bitte nicht diesen Gesichtsausdruck. Glaubst du etwa, du bist wichtiger als dein Vater? Ja?«

»Natürlich nicht. Er ist ja auch Gott.«

Mit einem Ruck fuhr der Mercedes auf den Seitenstreifen und hielt mit quietschenden Bremsen. Ihre Mutter wirbelte herum, hob die Hand und verharrte in dieser Stellung. Ihr Arm zitterte.

Erschrocken wich Jane zurück.

Für einen Augenblick lag Gewalt in der Luft, dann wandte ihre Mutter sich ab und strich sich das perfekt frisierte Haar glatt. Aber ihre Hand war nicht ruhiger als kochendes Wasser. »Du … du wirst heute nicht mit uns zu Abend essen. Und dein Kuchen wird entsorgt.«

Das Auto setzte sich wieder in Bewegung.

Jane wischte sich Tränen von den Wangen und blickte auf den Rucksack zu ihren Füßen. Noch nie hatte jemand bei ihr übernachten dürfen. Sie hatte monatelang darum gebettelt. Ruiniert. Alles war ruiniert.

Die gesamte Heimfahrt über schwiegen sie, und als der Mercedes in der Garage stand, stieg Janes Mutter aus und ging ins Haus, ohne sich umzusehen.

»Du weißt ja, wohin du zu gehen hast«, war alles, was sie sagte.

Jane blieb im Auto sitzen und versuchte, sich zu beruhigen. Dann hob sie den Rucksack und ihre Bücher auf und schleppte sich durch die Küchentür ins Haus. Richard, der Koch, beugte sich eben über die Mülltonne und schob einen Kuchen mit weißem Zuckerguss und roten und gelben Blumen darauf von einer Platte herunter.

Sie sagte nichts zu Richard, weil ihr Hals fest zugeschnürt war. Richard sagte nichts zu ihr, weil er sie nicht mochte. Er mochte niemanden außer Hannah.

Als Jane durch die alte Schwingtür ins Esszimmer ging, hoffte sie, ihrer jüngeren Schwester nicht in die Arme zu laufen. Hoffentlich lag Hannah schon im Bett. Heute Morgen hatte sie sich nicht gut gefühlt. Wahrscheinlich, weil sie ein Referat hätte halten sollen.

Auf dem Weg zur Treppe bemerkte Jane ihre Mutter im Wohnzimmer.

Die Sofakissen. Schon wieder.

Ihre Mutter trug immer noch den blassblauen Wollmantel und hielt ihren Seidenschal in der Hand. Zweifellos würde sie genauso bleiben, bis sie zufrieden mit dem Aussehen der Sofakissen war. Was eine Weile dauern konnte. Der Standard für die Kissen war derselbe wie der Haarstandard: Hundertprozentige Glätte.

Jane ging auf ihr Zimmer. Mittlerweile hoffte sie nur noch, dass ihr Vater erst nach dem Abendessen käme. So würde er zwar trotzdem erfahren, dass sie Hausarrest hatte, aber wenigstens müsste er nicht ihrem leeren Stuhl gegenübersitzen. Wie ihre Mutter hasste er jegliche Abweichung von der Ordnung, und Janes Fehlen am Abendbrottisch wäre eine massive Abweichung von der Ordnung.

Das würde die Predigt, die sie von ihm zu erwarten hatte, noch verlängern, denn dann müsste er neben der Unverschämtheit ihrer Mutter gegenüber auch noch die Enttäuschung ansprechen, die sie für die Familie war.

Janes butterblumengelbes Zimmer oben entsprach exakt dem Rest des Hauses: so glatt wie das Haar und die Sofakissen und die Art der Bewohner, sich auszudrücken. Jedes Stück war an seinem Platz. Alles befand sich in dem Zustand erstarrter Perfektion, die man sonst in Schöner-Wohnen-Zeitschriften sah.

Das Einzige, was nicht dazu passte, war Hannah.

Der verdächtige Rucksack wanderte in den Schrank auf die ordentlichen Reihen von College-Schuhen und Riemchenballerinas; dann zog Jane die Schuluniform aus und ein Flanellnachthemd an. Sie hatte keine Veranlassung, richtige Klamotten zu tragen. Sie hatte heute nichts mehr vor.

Dann trug sie den Stapel Bücher zu ihrem weißen Schreibtisch. Sie musste Englisch-Hausaufgaben machen. Algebra. Französisch.

Kurz schielte sie zu ihrem Nachttisch. 1001 Nacht wartete auf sie.

Eine bessere Art, ihre Strafe abzusitzen, konnte sie sich nicht vorstellen, aber die Hausaufgaben kamen zuerst. Mussten sie. Sonst hätte sie ein schlechtes Gewissen.

Zwei Stunden später saß sie mit 1001 Nacht auf dem Schoß auf ihrem Bett, als die Tür sich einen Spalt öffnete und Hannah den Kopf hereinsteckte. Ihr rotes, lockiges Haar war eine weitere Abweichung. Alle anderen Familienmitglieder waren blond. »Ich hab dir was zu essen gebracht.«

Jane setzte sich auf, besorgt um ihre jüngere Schwester. »Du wirst Ärger kriegen.«

»Nein, nein.« Hannah schlüpfte ins Zimmer, ein Körbchen mit einer karierten Serviette, einem Sandwich, einem Apfel und einem großen Keks in der Hand. »Das habe ich von Richard bekommen, damit ich später noch etwas essen kann.«

»Willst du es denn nicht?«

»Ich habe keinen Hunger. Hier.«

»Danke, Han.« Jane nahm den Korb entgegen, und Hannah setzte sich ans Fußende des Bettes.

»Also, was hast du angestellt?«

Jane schüttelte den Kopf und biss in das Roastbeef-Sandwich. »Ich bin wütend auf Mama geworden.«

»Weil du deine Party nicht feiern durftest?«

»M-hm.«

»Aber ich hab hier was, um dich aufzumuntern.« Hannah schob ein zusammengefaltetes Stück kariertes Papier über die Decke. »Alles Gute zum Geburtstag!«

Jane musste ein paar Mal schnell blinzeln. »Danke, Han.«

»Sei nicht traurig, ich bin doch hier. Sieh dir die Karte an! Die hab ich für dich gebastelt.«

Auf die Vorderseite hatte ihre Schwester zwei krumme Strichmännchen gemalt. Das eine hatte glatte blonde Haare und darunter stand in ihrer schlampigen Handschrift Jane. Das andere hatte lockige rote Haare und trug den Namen Hannah unter den Füßen. Die beiden hielten sich an der Hand und hatten ein breites Lächeln auf den kreisrunden Gesichtern.

Gerade, als Jane die Karte aufklappen wollte, strich ein Paar Scheinwerfer über die Hauswand, und dann kroch das Licht in die Auffahrt.

»Das ist Papa«, zischte Jane. »Du solltest besser hier verschwinden. «

Hannah wirkte nicht so beunruhigt wie üblich, wahrscheinlich, weil es ihr nicht gutging. Oder vielleicht war sie auch mit ihren Gedanken … wo auch immer Hannah eben mit ihren Gedanken war. Den Großteil der Zeit war sie in ihre Tagträume versunken, was vermutlich der Grund war, warum sie ständig fröhlich wirkte.

»Geh schon, Hannah, im Ernst.«

»Okay. Aber es tut mir ehrlich leid, dass deine Party abgeblasen wurde.« Hannah schlurfte zur Tür.

»Hey, Schwesterchen. Mir gefällt deine Karte.«

»Du hast doch noch gar nicht reingeschaut.«

»Muss ich nicht. Sie gefällt mir, weil du sie für mich gemacht hast.«

Hannahs Gesicht verzog sich zu dem unverwechselbaren breiten Grinsen, das Jane immer an einen sonnigen Tag erinnerte. »Es geht darin um dich und mich.«

Als die Tür ins Schloss fiel, hörte Jane die Stimmen ihrer Eltern aus dem Flur heraufwehen. Hastig aß sie Hannahs Imbiss auf, schob das Körbchen unter die Vorhänge neben dem Bett und ging zu ihrem Stapel Schulbücher. Sie nahm Die Pickwickier von Dickens mit aufs Bett. Wenn sie sich mit Schulkram beschäftigte, konnte sie sich vielleicht bei ihrem Vater ein paar Punkte verdienen, falls er denn in ihr Zimmer käme.

Eine Stunde später kamen ihre Eltern die Treppe herauf, und sie wartete angespannt auf das Klopfen ihres Vaters. Nichts geschah.

Was wirklich merkwürdig war. Er war, auf seine alles kontrollierende Art, so verlässlich wie ein Uhrwerk, und in seiner Berechenbarkeit lag ein seltsamer Trost, obwohl sie nicht gerne mit ihm zu tun hatte.

Sie legte Dickens beiseite, machte das Licht aus und zog die Füße unter die Rüschendecke. Doch sie konnte in ihrem Himmelbett nicht einschlafen, und schließlich hörte sie die Standuhr oben am Treppenabsatz zwölf Mal schlagen.

Mitternacht.

Sie schlüpfte aus dem Bett, ging zum Schrank, holte den verdächtigen Rucksack hervor und zog den Reißverschluss auf. Das Ouija-Brett fiel heraus, klappte auf und landete mit dem Spielfeld nach oben auf dem Fußboden. Sie zuckte zusammen und riss es an sich, als könnte es kaputtgegangen sein. Dann nahm sie den Zeiger aus der Tasche.

Sie und ihre Freundinnen hatten sich darauf gefreut, das Spiel auszuprobieren, weil sie alle unbedingt erfahren wollten, wen sie heiraten würden. Jane mochte einen Jungen namens Victor Browne aus ihrem Mathekurs. In letzter Zeit hatten sie sich öfter unterhalten, und sie hatte wirklich die Hoffnung, aus ihnen könnte ein Paar werden. Das Blöde war nur, dass sie nicht sicher war, was er für sie empfand. Vielleicht mochte er sie nur, weil sie ihm die Lösungen vorsagte.

Jane platzierte das Brett auf ihrer Decke, legte die Finger auf den Zeiger und atmete tief ein. »Wie heißt der Junge, den ich heiraten werde?«

Sie rechnete nicht damit, dass sich das Ding bewegen würde. Was es auch nicht tat.

Nach ein paar weiteren Versuchen lehnte sie sich frustriert zurück. Dann klopfte sie leise an die Wand hinter dem Kopfteil ihres Bettes. Ihre Schwester antwortete, und kurze Zeit später schlich sich Hannah durch die Tür. Als sie das Brett entdeckte, wurde sie ganz aufgeregt, sprang aufs Bett und wedelte mit dem Zeiger in der Luft herum.

»Wie spielt man das?«

»Sch-sch!« Mein Gott, wenn sie hierbei erwischt wurden, würden sie totalen Hausarrest bekommen. Für immer.

»Entschuldige.« Hannah legte ihre Beine auf das Bett und hielt sie fest, um sie am Zucken zu hindern. »Wie geht …«

»Du kannst Fragen stellen, und das Brett antwortet.«

»Was können wir fragen?«

»Wen wir heiraten werden.« Na gut, jetzt wurde Jane nervös. Was, wenn die Antwort nicht Victor lautete? »Fang du an. Leg deine Fingerspitzen auf den Zeiger, aber nicht schieben oder so was. Einfach nur – genau, so. Also gut … Wen wird Hannah heiraten?«

Der Zeiger bewegte sich nicht. Selbst nicht, als Jane die Frage wiederholte.

»Es ist kaputt«, sagte Hannah und zog die Hand weg.

»Lass mich mal eine andere Frage ausprobieren. Leg die Finger wieder drauf.« Jane holte tief Luft. »Wen werde ich heiraten?«

Ein leises Quietschen ertönte vom Brett, als der Zeiger sich langsam zu bewegen begann. Als er auf dem V verharrte, begann Jane zu zittern. Dann schob er sich zum Buchstaben I. Jane schlug das Herz bis zum Hals.

»Es ist Victor!«, sagte Hannah. »Es ist Victor! Du wirst Victor heiraten!«

Jetzt war es Jane egal, dass ihre Schwester so laut war. Das war zu gut um …

Der Zeiger landete auf dem S. S?

»Das ist falsch«, sagte Jane. »Das muss falsch sein …«

»Nicht aufhören. Wir müssen herausfinden, wer es ist.«

Doch wenn es nicht Victor war, hatte sie keine Ahnung, um wen es ging. Und was für ein Jungenname fing denn mit Vis …

Jane wehrte sich gegen den Zeiger, doch er bestand darauf, zum H weiter zu rutschen. Dann kamen O, U und erneut das S.

VISHOUS.

Furcht legte sich von innen auf Janes Brustkorb.

»Ich hab dir doch gesagt, dass es kaputt ist. Wer heißt denn schon Vishous?«

Jane wandte den Kopf von dem Brett ab und ließ sich rückwärts auf die Kissen fallen. Das war der schlimmste Geburtstag aller Zeiten.

»Vielleicht sollten wir es noch mal versuchen«, schlug Hannah vor. Da Jane zögerte, runzelte sie die Stirn. »Komm schon, ich will auch eine Antwort. Das ist sonst unfair.«

Sie legten die Finger zurück auf den Zeiger.

»Was bekomme ich zu Weihnachten?«, fragte Hannah.

Der Zeiger rührte sich nicht.

»Versuch es mit einem Ja oder Nein für den Anfang«, meinte Jane, immer noch leicht in Panik wegen der Antwort, die sie erhalten hatte. Vielleicht konnte das Brett nicht vernünftig buchstabieren?

»Bekomme ich etwas zu Weihnachten?«, formulierte Hannah um.

Es quietschte leise auf dem Brett.

»Ich hoffe, es ist ein Pferd«, murmelte Hannah, als der Zeiger Kreise über das Brett zog. »Ich hätte gleich danach fragen sollen.«

Der Zeiger blieb bei Nein stehen.

Beide Mädchen starrten das Ding an.

Hannah schlang die Arme um sich. »Ich will aber Geschenke. «

»Es ist ja nur ein Spiel.« Jane klappte das Brett zu. »Außerdem ist das Ding wirklich kaputt. Ich habe es fallen gelassen. «

»Ich will Geschenke.«

Jane umarmte ihre Schwester. »Mach dir keine Gedanken wegen des dummen Bretts, Hannah. Ich werde dir immer etwas zu Weihnachten schenken.«

Als Hannah kurze Zeit später in ihr Zimmer ging, legte sich Jane wieder unter die Decke.

Blödes Brett. Blöder Geburtstag. Alles ist blöde.

Dann schloss sie die Augen, doch in dem Moment fiel ihr ein, dass sie sich die Karte ihrer Schwester noch gar nicht angesehen hatte. Also knipste sie das Licht wieder an und holte sie vom Nachttisch. Auf der Innenseite stand: Wir werden uns immer an den Händen halten! Ich hab dich lieb! Hannah

Diese Antwort, die sie wegen Weihnachten bekommen hatte, war völlig falsch. Jeder liebte Hannah und schenkte ihr etwas. Sie konnte sogar ab und zu ihren Vater zu einer Gemütsregung bewegen, und das gelang sonst niemandem. Deswegen würde sie selbstverständlich etwas bekommen.

Blödes Brett …

Nach einer Weile döste Jane ein. Sie musste eingeschlafen sein, denn Hannah weckte sie auf.

»Alles okay?«, fragte Jane und setzte sich auf. Ihre Schwester stand in ihrem Flanellnachthemd neben dem Bett, einen eigenartigen Ausdruck auf dem Gesicht.

»Ich muss gehen.« Hannahs Stimme klang traurig.

»Ins Bad? Ist dir schlecht?« Jane schlug die Decke zurück. »Ich komme mit …«

»Das kannst du nicht.« Hannah seufzte. »Ich muss gehen. «

»Gut, aber wenn du fertig bist mit was auch immer, dann kannst du zurückkommen und bei mir schlafen, wenn du willst.«

Hannah blickte zur Tür. »Ich hab Angst.«

»Es ist ja auch unheimlich, wenn man spucken muss. Aber ich werde immer für dich da sein.«

»Ich muss gehen.« Als Hannah sich noch einmal umdrehte, sah sie so … erwachsen aus. Überhaupt nicht wie eine Zehnjährige. »Ich versuche, zurückzukommen. Ich werde mein Bestes geben.«

»Äh … in Ordnung.« Vielleicht hatte ihre Schwester Fieber? »Soll ich Mama wecken?«

Hannah schüttelte den Kopf. »Ich möchte nur dich sehen. Schlaf weiter.«

Als Hannah gegangen war, sank Jane in die Kissen. Sie überlegte, ob sie ins Bad gehen und nach ihrer Schwester sehen sollte, doch der Schlaf übermannte sie, bevor sie ihrem Gedanken folgen konnte.

Am folgenden Morgen wachte Jane von schweren Schritten draußen im Flur auf. Zuerst dachte sie, jemand hätte etwas verschüttet, was einen Fleck auf einem Teppich oder einer Bettdecke hinterlassen hatte. Aber dann hörte sie das Martinshorn vor dem Haus.

Jane stand auf, warf einen Blick durch das Fenster, dann steckte sie den Kopf in den Flur. Ihr Vater sprach unten mit jemandem, und die Tür zu Hannahs Zimmer stand offen.

Auf Zehenspitzen tapste Jane über den Orientläufer. Normalerweise war Hannah an einem Samstag nicht so früh auf. Sie musste wirklich krank sein.

Jane blieb im Türrahmen stehen. Hannah lag reglos auf ihrem Bett, die Augen an die Decke gerichtet, die Haut so weiß wie das frische Laken, auf dem sie lag.

Sie blinzelte nicht.

In der gegenüberliegenden Ecke, so weit von Hannah entfernt wie möglich, saß ihre Mutter am Fenster. Ihr elfenbeinfarbener Seidenmorgenmantel ergoss sich auf den Fußboden. »Geh wieder ins Bett. Sofort.«

Jane raste in ihr Zimmer. Sie zog die Tür zu und sah gerade noch durch den Spalt ihren Vater mit zwei Männern in dunkelblauen Uniformen die Treppe hochkommen. In seiner Stimme lag Bestimmtheit, und sie hörte die Worte angeborener Herz-Soundso.

Jane machte einen Satz in ihr Bett und zog sich die Decke über den Kopf. Zitternd lag sie dort im Dunklen und fühlte sich sehr klein und sehr verängstigt.

Das Brett hatte recht gehabt. Hannah würde keine Weihnachtsgeschenke bekommen und auch niemanden heiraten.

Aber Janes kleine Schwester hielt ihr Versprechen. Sie kam wirklich zurück.

1

»Das geht ja ü-ber-haupt nicht.«

Vishous blickte von seiner Computerwand auf. Butch O’Neal stand mitten im Wohnzimmer ihrer Höhle, an den Beinen eine schwarze Lederhose und auf dem Gesicht einen Ausdruck von Das-ist-jetzt-nicht-dein-Ernst.

»Passt sie dir nicht?«, fragte V seinen Mitbewohner.

»Darum geht es nicht. Nimm’s mir nicht übel, aber ich bewerbe mich doch nicht bei den Village People.« Butch hob die Arme und drehte sich im Kreis, die nackte Brust fing das Licht ein. »Ich meine, mal ehrlich …«

»Die sind zum Kämpfen da, nicht für den Laufsteg.«

»Das sind Kilts auch, aber trotzdem würde ich mich nicht mal tot im Schottenkaro erwischen lassen.«

»Das ist mit deinen O-Beinen auch besser so.«

Butch setzte eine gelangweilte Miene auf. »Beiß mich doch.«

Nichts dagegen, dachte V.

Gleichzeitig krümmte er sich innerlich und tastete nach seinem Tabaksbeutel. Während er ein Blättchen bereitlegte, den Tabak darauf ausbreitete und sich eine Kippe drehte, tat er, womit er generell ziemlich viel Zeit verbrachte: Er erinnerte sich selbst daran, dass Butch glücklich vereint mit der Liebe seines Lebens war, und dass er – selbst wenn das nicht zutreffen würde – einfach nicht so drauf war.

Als V sich die Zigarette anzündete, bemühte er sich, den Ex-Cop nicht anzusehen. Und scheiterte. Scheiß peripheres Sehvermögen. Brach ihm jedes Mal das Genick.

Mann, er war vielleicht ein perverser Freak. Besonders, wenn man bedachte, wie eng sie befreundet waren.

In den vergangenen neun Monaten war V Butch näher gekommen als irgendeinem anderen Wesen in seinen über dreihundert Jahren auf dieser Erde. Er hatte sich die Wohnung mit dem Kerl geteilt, sich mit ihm betrunken, mit ihm trainiert. War mit ihm durch Leben und Tod, Prophezeiung und Verdammnis gegangen. Hatte ihm geholfen, die Gesetze der Natur zu beugen, um ihn von einem Menschen zum Vampir zu wandeln, und ihn dann jedes Mal geheilt, wenn er seine Spezialnummer mit ihren Feinden abzog. Er hatte ihn für die Mitgliedschaft in der Bruderschaft vorgeschlagen … und neben ihm gestanden, als er den Bund mit seiner Shellan einging.

Während Butch auf und ab wanderte, als wollte er sich mit seiner Lederhose anfreunden, starrte V die sieben Buchstaben an, die in altenglischer Schrift über den Rücken des Ex-Cops verliefen: MARISSA. V hatte beide As geschrieben, und sie waren gut geworden, obwohl seine Hand die ganze Zeit gezitterte hatte.

»Hm«, murmelte Butch. »Ich weiß nicht, ob ich mit dem Ding klarkomme.«

Nach der Hochzeitszeremonie hatte V die Höhle für einen Tag geräumt, um dem glücklichen Paar etwas Privatsphäre zu gönnen. Er war über den Hof hinüber ins große Haus gegangen und hatte sich mit drei Flaschen Wodka in einem Gästezimmer eingeschlossen. Er hatte sich professionell betrunken, richtig knietief geflutet, hatte aber sein Ziel, sich ins Koma zu befördern, nicht erreicht. Die Wahrheit hatte ihn unbarmherzig wach gehalten: V fühlte sich zu seinem Mitbewohner auf eine Art hingezogen, die alles verkomplizierte und doch nichts änderte.

Butch wusste, was los war. Zum Henker, sie waren beste Kumpel, und er kannte V besser als irgendjemand sonst. Und Marissa wusste es, weil sie nicht dumm war. Und die Bruderschaft wusste es, weil diese albernen alten Waschweiber leider irgendwann hinter jedes Geheimnis kamen.

Keiner von ihnen hatte ein Problem damit.

Er schon. Er hasste diese Gefühle. Und sich selbst auch.

»Probierst du jetzt mal den Rest der Ausrüstung an?«, fragte er mit einem Seufzen. »Oder willst du lieber noch ein bisschen wegen der Hose heulen?«

»Wenn du nicht die Klappe hältst, zeig ich dir den bösen Finger.«

»Warum sollte ich dir eins deiner liebsten Hobbys verwehren? «

»Weil ich sonst bald eine Sehnenscheidenentzündung bekomme.« Butch ging zu einem der Sofas und nahm ein Brusthalfter in die Hand. Er streifte es über die breiten Schultern, das Leder passte sich dem Oberkörper perfekt an. »Scheiße, wie hast du es geschafft, dass der so gut sitzt?«

»Ich hab deine Maße genommen, schon vergessen?«

Butch schloss die Schnallen, dann beugte er sich herunter und strich mit den Fingerspitzen über den Deckel einer schwarzen Lackdose. Er verharrte bei dem goldenen Wappen der Black Dagger, dann fuhr er die Zeichen der Alten Sprache nach, die seinen Namen bezeichneten: Dhestroyer, Nachkomme des Wrath, Sohn des Wrath.

Butchs neuer Name. Butchs alte, edle Abstammung.

»Ach, Mann, jetzt mach das Ding schon auf.« V drückte seine Zigarette aus, drehte sich eine neue und zündete sie an. Schön, dass Vampire keinen Krebs bekommen konnten. In letzter Zeit hatte er Kette geraucht, wie ein Schwerverbrecher. »Los doch.«

»Ich kann es immer noch nicht fassen.«

»Klapp einfach die verdammte Kiste auf.«

»Ehrlich, ich kann nicht …«

»Aufmachen.« Mittlerweile war V gereizt genug, um aus seinem bescheuerten Stuhl zu levitieren.

Der ehemalige Cop löste den massivgoldenen Verschlussmechanismus und hob den Deckel an. Auf einem Kissen aus roter Seide lagen vier identische Dolche mit schwarzer Klinge, deren Gewicht exakt für Butchs Brustmuskeln kalibriert war, und deren Schneiden einen tödlichen Schliff aufwiesen.

»Heilige Maria, Mutter Gottes … Sie sind wunderschön. «

»Danke.« Wieder stieß V beim Sprechen die Luft aus. »Ich kann übrigens auch gut Brot backen.«

Ein Blick aus den haselnussbraunen Augen des Ex-Cops flitzte quer durch den Raum. »Du hast die für mich gemacht? «

»Ja, aber das ist keine große Sache. Ich mache sie für uns alle.« V hob seine behandschuhte rechte Hand. »Ich kann gut mit Hitze umgehen, wie du weißt.«

»V … danke.«

»Ist ja gut. Wie gesagt, ich bin der Klingenmann. Mach ich ständig.«

Klar … nur vielleicht nicht mit genau derselben Hingabe. Für Butch hatte er in den letzten vier Tagen durchgehend an den Dolchen gearbeitet. Nach den sechzehnstündigen Marathonschichten, in denen er sich mit seiner verfluchten Hand an dem Verbundstahl zu schaffen gemacht hatte, brannte sein Rücken, und die Augen waren überanstrengt, aber verflucht noch mal, jedes einzelne Stück sollte des Mannes wert sein, der es führen würde.

Sie waren immer noch nicht gut genug.

Butch holte einen der Dolche aus der Schachtel, und seine Augen blitzten auf, als er ihn in der Handfläche spürte. »Herr im Himmel … fass das Ding mal an.« Er vollführte ein paar Bewegungen vor der Brust. »Ich hab noch nie eine Waffe in der Hand gehalten, die so perfekt ausbalanciert war. Und dieser Griff. Einfach perfekt.«

Das Lob freute V mehr als jedes andere, das er je erhalten hatte.

Was bedeutete, dass es ihn auch total nervös machte.

»Tja, so sollen sie ja wohl auch sein, oder?« Wieder drückte er die Selbstgedrehte im Aschenbecher aus, zermalmte die fragile glühende Spitze. »Hätte ja keinen Zweck, dich mit ein paar Kartoffelschälern ins Feld zu schicken.«

»Danke.«

»Schon gut.«

»V, im Ernst …«

»Ich nehm’s zurück und sage lieber: Leck mich.« Als keine passende Retourkutsche kam, hob er den Kopf.

Shit. Butch stand direkt vor ihm, die braunen Augen verdunkelt von einem Wissen, das der Bursche lieber nicht haben sollte, wenn es nach V ging.

Er senkte den Blick wieder auf sein Feuerzeug. »Ist ja gut, Bulle. Sind doch nur Messer.«

Die schwarze Spitze des Dolches glitt unter Vs Kinn und neigte seinen Kopf nach oben. Als er gezwungen war, Butch in die Augen zu sehen, verspannte sich Vs gesamter Körper. Dann begann er zu zittern.

Über die Waffe mit ihm verbunden, sagte Butch: »Sie sind wunderschön.«

V schloss die Augen, er verachtete sich selbst. Dann lehnte er sich absichtlich auf die Klinge, so dass sie sich in seinen Hals grub. Er schluckte den Schmerz hinunter, hielt ihn unten in seinem Magen fest, benutzte ihn als Ermahnung, dass er ein kaputter Freak war, und Freaks es verdienten, verletzt zu werden.

»Vishous, sieh mich an.«

»Lass mich in Ruhe.«

»Zwing mich doch dazu.«

Den Bruchteil einer Sekunde lang wollte V sich auf Butch stürzen und ihm eine verpassen. Aber dann sagte der Cop: »Ich bedanke mich einfach nur für ein großartiges Geschenk bei dir. Das ist kein Staatsakt.«

Kein Staatakt? Vs Augenlider klappten hoch, und er spürte, dass sein Blick glühte. »Das ist doch großer Quatsch. Aus Gründen, die du verdammt gut kennst.«

Butch zog die Klinge weg, und als er den Arm sinken ließ, spürte V ein Rinnsal Blut über seine Kehle fließen. Es war warm … und weich wie ein Kuss.

»Sag jetzt nicht, dass es dir leidtut«, murmelte V in die Stille hinein. »Sonst werde ich gewalttätig.«

»Tut es mir aber.«

»Das ist nicht nötig.« Mann, er hielt es nicht mehr aus, hier mit Butch zu wohnen. Besser gesagt mit Butch und Marissa. Ständig vor Augen zu haben, was er nicht haben konnte und gar nicht wollen dürfte, brachte ihn um. Und er war weiß Gott schon in ausreichend schlechter Verfassung. Wann hatte er das letzte Mal einen Tag durchgeschlafen? Das musste Wochen her sein.

Butch steckte den Dolch in das Brusthalfter, mit dem Griff nach unten. »Ich möchte dir nicht weht-«

»Kein Wort mehr über die Angelegenheit.« Er legte den Zeigefinger an die Kehle und fing das Blut auf, das die von ihm hergestellte Klinge ihm entlockt hatte. Als er es ableckte, ging die Geheimtür zum unterirdischen Tunnel auf, und der Duft des Meeres erfüllte die Höhle.

Marissa kam um die Ecke, strahlend wie Grace Kelly, wie üblich. Mit ihrem langen blonden Haar und ihren perfekt ebenmäßigen Gesichtszügen galt sie als die größte Schönheit unter den Vampiren, und selbst Vs Miene wurde vor Liebe weich, obwohl er eigentlich nicht so auf ihren Typ stand.

»Hallo, Jungs …« Marissa blieb abrupt sehen und starrte Butch an. »Gütiger … jetzt sieh sich einer diese Hose an.«

Butch krümmte sich. »Ja, ich weiß. Die ist …«

»Hast du mal einen Augenblick Zeit für mich?« Rückwärts ging sie über den Flur Richtung Schlafzimmer. »Ich bräuchte dich hier mal für eine Minute. Oder zehn.«

Butchs Bindungsduft flackerte auf, und V wusste verdammt genau, dass sein Körper hart wurde. »Baby, du kannst mich so lange haben, wie du willst.«

Als er schon halb aus der Tür war, blickte er noch einmal über die Schulter. »Diese Hose ist ja so geil. Sag Fritz, ich will fünfzig Stück davon. Aber dalli.«

Allein gelassen, legte Vishous Music Is My Savior von MIMS ein und drehte die Anlage auf volle Lautstärke. Zum hämmernden Rap sinnierte er, dass er den Sound früher benutzt hatte, um die Gedanken anderer zu übertönen. Seit seine Visionen versiegt waren und die ganze Gedankenlesesache sich verflüchtigt hatte, brauchte er die Bassbeats, um seinem Mitbewohner nicht beim Sex zuhören zu müssen.

V rieb sich das Gesicht. Er musste echt hier raus.

Eine Zeitlang hatte er versucht, sie zum Ausziehen zu bewegen, aber Marissa blieb dabei, dass die Höhle so »gemütlich« sei, und dass sie gern dort wohne. Was eine Lüge sein musste. Das halbe Wohnzimmer wurde von einem Kickertisch eingenommen, den lieben langen Tag lief der Sportkanal auf stumm und ständig donnerte Hardcore-Rap durch alle Räume. Der Kühlschrank war eine entmilitarisierte Zone, gefüllt mit verwesenden Opfern aus diversen Imbissketten. Grey Goose und Lagavulin waren die einzigen im Haus verfügbaren Getränke. Der Lesestoff beschränkte sich auf die Sports Illustrated und … na ja, alte Ausgaben der Sports Illustrated.

Also alles in allem nicht gerade ein niedlicher Frauentraum. Das Haus war eine Mischung aus Studentenwohnheim und Männerumkleidekabine.

Und was Butch betraf? Als V ihm einmal eine kleine Möbelpackeraktion vorgeschlagen hatte, hatte der ihm quer durch den Raum einen finsteren Blick zugeworfen, einmal den Kopf geschüttelt und war in die Küche gegangen, um sich einen Nachschlag Lagavulin zu holen.

V weigerte sich zu glauben, dass sie blieben, weil sie sich Sorgen um ihn machten oder so einen Blödsinn. Allein schon der Gedanke machte ihn irre.

Er stand auf. Wenn eine räumliche Trennung stattfinden sollte, dann musste er sie initiieren. Der Mist war nur, Butch nicht immer um sich zu haben, war … undenkbar. Besser die Folter, die er jetzt hatte, als das Exil.

Er sah auf die Uhr. Er könnte genauso gut gleich durch den Tunnel ins große Haus gehen. Obwohl der gesamte Rest der Bruderschaft der Black Dagger in diesem Ungetüm von einem Herrenhaus mit dem steinernen Antlitz wohnte, gab es noch reichlich freie Räume. Vielleicht sollte er einfach mal einen ausprobieren. Nur für ein paar Tage.

Bei der Vorstellung drehte sich ihm der Magen um.

Auf dem Weg zur Geheimtür fing er den Bindungsduft auf, der aus Butchs und Marissas Schlafzimmer drang. Als er sich ausmalte, was dort drin gerade geschah, heizte sich sein Blut auf, obwohl ihm gleichzeitig vor Scham Eiszapfen wuchsen.

Fluchend marschierte er zu seiner Jacke und holte ein Handy aus der Tasche. Beim Wählen fühlte sich seine Brust so warm an wie ein Kühlschrank, aber wenigstens unternahm er etwas gegen seine Obsession.

Als die weibliche Stimme ertönte, fuhr V ihr schneidend durch das rauchige Hallo. »Sonnenuntergang. Heute. Du weißt, was du zu tragen hast, und dein Nacken ist frei. Wie heißt das?«

Die Antwort war ein unterwürfiges Schnurren. »Ja, mein Lheage.«

V legte auf und schleuderte das Telefon auf den Schreibtisch, wo es mehrmals abprallte und schließlich vor einer der vier Tastaturen liegen blieb. Die Partnerin, die er sich für heute Nacht ausgesucht hatte, mochte es besonders hart. Und er würde sie nicht enttäuschen.

Scheiße, er war wirklich pervers. Bis ins Mark. Ein amtlicher sexueller Außenseiter ohne jede Reue … der für das, was er war, innerhalb seiner Art eine gewisse Berühmtheit genoss.

Es war schon absurd; andererseits waren die Geschmäcker der Vampirinnen schon immer schräg gewesen. Und sein schriller Ruf hatte für ihn nicht mehr Bedeutung als seine verschiedenen Subs. Für ihn zählte nur, dass er Freiwillige für das fand, was er sexuell brauchte. Das, was man sich über ihn erzählte, das, was die Frauen über ihn glauben wollten, war nur orale Selbstbefriedigung für gelangweilte Mäuler.

Auf dem Weg durch den Tunnel ins Haupthaus war er gründlich genervt. Dank diesem blöden Rotationsplan, den die Bruderschaft ausgearbeitet hatte, durfte er heute Nacht nicht raus auf die Straße, und das war ihm verhasst. Er würde viel lieber Untote, die seiner Spezies nachstellten, jagen und töten, als faul auf seinem Allerwertesten zu hocken.

Aber es gab noch andere Wege, die schädelspaltende Frustration zu verbrennen.

Dazu waren Fesseln und willige Leiber doch da.

 

Phury spazierte in die Großküche des Hauses und erstarrte wie beim Anblick eines Unfalls der blutigen Sorte: Seine Fußsohlen blieben am Boden kleben, der Atem stockte, das Herz setzte erst kurz aus und geriet dann in Hektik.

Bevor er noch leise rückwärts durch die Schwingtür fliehen konnte, wurde er jedoch erwischt.

Bella, die Shellan seines Zwillingsbruders, blickte auf und lächelte. »Hallo.«

»Hallo.« Bloß weg hier. Schnell.

Gott, sie roch gut.

Sie wedelte mit dem Messer in ihrer Hand, mit dem sie sich an dem gebratenen Truthahn zu schaffen machte. »Soll ich dir auch ein Sandwich machen?«

»Was?«, fragte er wie ein Vollidiot.

»Ein Sandwich.« Sie deutete mit der Klinge auf das fast leere Mayonnaiseglas und den Kopfsalat. »Du musst doch Hunger haben. Beim Letzten Mahl hast du nicht viel gegessen. «

»Äh, ja … nein, ich hab keinen …« Sein Magen strafte diesen Unsinn Lügen, indem er knurrte wie eine hungrige Bestie. Verräter.

Bella schüttelte den Kopf und machte sich wieder über die Truthahnbrust her. »Hol dir doch einen Teller und setz dich.«

Okay, das war jetzt so ungefähr das Letzte, was er gebrauchen konnte. Besser noch lebendig begraben zu werden, als allein mit ihr in der Küche zu sitzen, während sie ihm mit ihren schönen Händen etwas zu essen machte.

»Phury«, sagte sie ohne aufzublicken. »Teller. Setzen. Hopp.«

Er fügte sich, weil er sich trotz seiner Abstammung aus einer Kriegerblutlinie und seiner Zugehörigkeit zur Bruderschaft und seinen gut fünfzig Kilo mehr an Körpermasse kraftlos und matt fühlte, wenn es um Bella ging. Die Shellan seines Zwillingsbruders – die schwangere Shellan seines Zwillingsbruders – war jemand, dem Phury nichts abschlagen konnte.

Nachdem er einen Teller neben ihren gestellt hatte, setzt er sich ihr gegenüber an die Kochinsel aus Granit und schärfte sich ein, ihre Hände nicht anzusehen. Solange er ihre langen, eleganten Finger mit den kurzen, glänzenden Nägeln nicht …

Mist.

»Ich schwöre dir«, begann sie, während sie noch mehr Fleisch absäbelte. »Zsadist will mich ungefähr auf Bungalowgröße füttern. Wenn er mich noch dreizehn Monate lang so vollstopft, dann passe ich nicht mehr in den Swimmingpool. Ich bekomme meine Hosen kaum noch zu.«

»Du siehst gut aus.« Von wegen gut, sie sah vollkommen aus, mit ihrem langen dunklen Haar und den Saphiraugen und dem sportlichen Körper. Das Baby in ihr konnte man unter dem weiten Shirt noch nicht erkennen, aber die Schwangerschaft zeigte sich deutlich an ihrer schimmernden Haut und der Häufigkeit, mit der sie ihre Hand auf den Bauch legte.

Ihr Zustand war ebenfalls klar erkennbar an der Unruhe in Zs Augen, wann immer er sich in ihrer Nähe aufhielt. Da Vampirschwangerschaften von einer hohen Sterblichkeit sowohl der Mütter als auch der Kinder bedroht wurden, waren sie gleichzeitig Segen und Fluch für den jeweiligen Hellren.

»Fühlst du dich denn gut?«, fragte Phury. Zsadist war ja nicht der Einzige, der sich um sie sorgte.

»Im Prinzip schon. Ich werde schnell müde, aber so schlimm ist das nicht.« Sie leckte sich die Finger ab, dann griff sie nach dem Mayonnaiseglas. Als sie darin herumkratzte, machte das Messer ein rasselndes Geräusch, als würde eine Münze auf und ab geschüttelt. »Aber Z treibt mich in den Wahnsinn. Er weigert sich, sich zu nähren.«

Phury erinnerte sich daran, wie ihr Blut geschmeckt hatte, und wandte den Kopf ab, als seine Fänge sich unwillkürlich verlängerten. In dem, was er für sie empfand, lag kein Edelmut, nicht im Mindesten, und als Mann, der sich immer etwas auf seine Ehrenhaftigkeit zugutegehalten hatte, konnte er seine Gefühle nicht mit seinen Prinzipien in Einklang bringen.

Und was da von seiner Seite aus stattfand, wurde definitiv nicht erwidert. Sie hatte ihn dieses eine Mal trinken lassen, weil er es dringend gebraucht hatte, und weil sie selbst eine Frau von Wert war. Nicht, weil sie das Bedürfnis hatte, ihn zu nähren, oder weil sie sich nach ihm sehnte.

Nein, all das galt seinem Zwillingsbruder. Von der ersten Begegnung an hatte Zsadist sie gefesselt, und das Schicksal hatte für sie vorgesehen, die Einzige zu sein, die ihn wahrlich aus der Hölle, in der er eingesperrt gewesen war, zu retten vermochte. Phury mochte Zs Körper nach einhundert Jahren als Blutsklave gerettet haben; aber Bella hatte seinen Geist wiederauferstehen lassen.

Was selbstverständlich nur ein weiterer Grund war, sie zu lieben.

Verflucht, er wünschte, er hätte etwas roten Rauch bei sich. Sein Vorrat lag oben in seinem Zimmer.

»Und wie geht es dir?«, fragte sie jetzt, während sie dünne Scheiben Truthahnbrust auf die Salatblätter legte. »Macht die neue Prothese immer noch Ärger?«

»Es geht schon ein bisschen besser, danke.« Die heutige Technologie war Lichtjahre weiter entwickelt als noch vor einem Jahrhundert, aber in Anbetracht all der Kämpfe, die er bestreiten musste, war sein verlorener Unterschenkel eine Dauerkrise.

Verlorener Unterschenkel … ja, verloren hatte er ihn, das stimmte. Hatte ihn sich abgeschossen, um Z aus den Händen dieser kranken Hexe zu befreien. Das Opfer war es wert gewesen. Genau wie sein eigenes Glück zu opfern es ihm wert war, damit Z mit der Frau, die sie beide liebten, zusammenleben konnte.

Bella legte eine Brotscheibe oben auf das Sandwich und schob ihm den Teller über die Granitplatte zu. »Bitte schön.«

»Das ist genau das, was ich jetzt brauche.« Er kostete den Moment aus, in dem seine Zähne in dem weichen Brot versanken.

Beim Schlucken wurde ihm mit trauriger Freude bewusst, dass sie dieses Essen für ihn zubereitet hatte, und dass sie es mit einer gewissen Liebe getan hatte.

»Gut. Das freut mich.« Jetzt biss sie in ihr eigenes Sandwich. »Also … ich wollte dich schon seit ein oder zwei Tagen etwas fragen.«

»Ach ja? Was denn?«

»Ich habe mit Marissa im Refugium gearbeitet, wie du weißt. Es ist so ein großartiges Projekt, lauter großartige Leute …« Eine lange Pause entstand – von der Art, dass er sich innerlich wappnete. »Jedenfalls hat eine neue Sozialarbeiterin dort angefangen, die die Frauen und ihre Kinder betreut.« Sie räusperte sich. Wischte sich den Mund mit einer Papierserviette ab. »Sie ist wirklich toll. Warmherzig, lustig. Ich dachte, vielleicht …«

O gütige Jungfrau im Schleier. »Danke, aber nein.«

»Sie ist aber wirklich nett.«

»Nein, danke.« Seine Haut zog sich am ganzen Körper zusammen, und er biss sich jetzt im Eiltempo durch sein Sandwich.

»Phury, ich weiß ja, dass mich das nichts angeht. Aber warum das Zölibat?«

Scheiße. Noch schneller kauen. »Können wir vielleicht das Thema wechseln?«

»Es ist wegen Z, oder? Dass du nie mit einer Frau zusammen warst. Es ist dein Opfer für ihn und seine Vergangenheit. «

»Bella, bitte …«

»Du bist über zweihundert Jahre alt, und es wird endlich Zeit, an dich zu denken. Z wird nie ganz normal sein, und niemand weiß das besser als du und ich. Aber er ist jetzt stabiler. Und er wird mit der Zeit noch gesünder werden. «

Das stimmte schon, vorausgesetzt Bella überlebte diese Schwangerschaft: Bis sie die Entbindung nicht lebend überstanden hatte, wäre sein Zwillingsbruder nicht über den Berg. Und dementsprechend auch Phury nicht.

»Bitte, lass mich euch doch miteinander bekannt …«

»Nein.« Phury stand auf. Seine Zähne mahlten wie die eines Ochsen. Tischmanieren waren sehr wichtig, aber dieses Gespräch musste ein Ende haben, bevor ihm noch der Kopf platzte.

»Phury …«

»Ich möchte keine Frau in meinem Leben.«

»Du würdest einen wunderbaren Hellren abgeben, Phury.«

Er wischte sich den Mund an einem Geschirrtuch ab und sagte in der Alten Sprache: »Danke für diese Mahlzeit, zubereitet von deinen eigenen Händen. Einen gesegneten Abend, Bella, geliebte Partnerin meines Fleisch und Blut Zsadist.«

Zwar hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er nicht beim Abräumen half, aber das war besser, als auf der Stelle ein Aneurysma zu bekommen. Also drückte er sich durch die Schwingtür ins Esszimmer. Auf halbem Weg an der zehn Meter langen Tafel vorbei ging ihm allerdings der Saft aus, er zog einen Stuhl heran und ließ sich darauf fallen.

Mann, sein Herz hämmerte.

Als er aufsah, stand Vishous auf der anderen Seite des Tisches und musterte ihn. »Hast du mich erschreckt!«

»Bisschen verspannt, was, mein Bruder?« Mit seinen knapp zwei Metern und seiner Abstammung von dem großen Krieger, den man nur als den Bloodletter kannte, war V eine wuchtige Erscheinung. Seine schneeweißen Iris mit dem blauen Rand, das pechschwarze Haar und das kantige, intelligente Gesicht hätten ihn durchaus als schönen Mann durchgehen lassen. Aber das Ziegenbärtchen und die warnenden Tätowierungen an der Schläfe verliehen seinem Aussehen etwas Dunkles, Bösartiges.

»Nicht verspannt. Kein bisschen.« Phury legte die Hände flach auf die glänzende Tischplatte und dachte an den Joint, den er sich anzünden würde, sobald er in sein Zimmer kam. »Eigentlich wollte ich dich gerade suchen.«

»Ach ja?«

»Wrath war nicht begeistert von der Stimmung bei der Versammlung heute Morgen.« Was noch eine Untertreibung war. Am Ende hatten V und der König wegen einiger Dinge Nase an Nase voreinander gestanden, und das war nicht der einzige Streit, der sich entladen hatte. »Er hat uns für heute Nacht alle vom Kampfplan gestrichen. Meinte, wir könnten alle eine kleine Verschnaufpause gebrauchen. «

V zog die Augenbrauen hoch, wodurch er schlauer aussah als Einstein im Doppelpack. Die Genie-Ausstrahlung war keine rein äußerliche Angelegenheit. Der Kerl sprach sechzehn Sprachen, entwickelte nur so zum Zeitvertreib Computerspiele und konnte die gesamten zwanzig Bände der Chroniken auswendig aufsagen. Gegen den Bruder wirkte Stephen Hawking wie ein Berufsschulanwärter.

»Uns alle?«, fragte V.

»Ja, ich wollte gerade los ins ZeroSum. Lust, mitzukommen? «

»Hab gerade einen privaten Termin gemacht.«