Seemannsgarn - Heinrich Smidt - E-Book

Seemannsgarn E-Book

Heinrich Smidt

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Beschreibung

"Seemannsgarn" ist ein Sammelband der schönsten Erzählungen und Sagen, die so mancher Schiffer auch heute noch zum Besten gibt. Enthalten sind: Der fliegende Holländer Die fliehende Insel Fata Morgana Das steinerne Schiff The man of war Die glückliche Probe Das Leuchten des Meeres Das Seegespenst Der fliegende Fisch Die Meeres-Fee Die Sturmvögel Helgoland Klabautermann Das Totenschiff Die frommen Schläfer Der Geister-Lotse Die Rose von Seeland Insel Neuwerk Der Elbgeist Der Schiffbrüchige Meerkönigs Töchterlein Der Knurrhahn

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Ähnliche


Seemannsgarn

Gesammelt von Heinrich Smidt

Inhalt:

Heinrich Smidt – Biografie und Bibliografie

Der fliegende Holländer

Die fliehende Insel

Fata Morgana

Das steinerne Schiff

The man of war

Die glückliche Probe

Das Leuchten des Meeres

Das Seegespenst

Der fliegende Fisch

Die Meeres-Fee

Die Sturmvögel

Helgoland

Klabautermann

Das Totenschiff

Die frommen Schläfer

Der Geister-Lotse

Die Rose von Seeland

Insel Neuwerk

Der Elbgeist

Der Schiffbrüchige

Meerkönigs Töchterlein

Der Knurrhahn

Seemannsgarn, Heinrich Smid

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849636326

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Heinrich Smidt – Biografie und Bibliografie

Deutscher Schriftsteller, geb. 18. Dez. 1798 in Altona, gest. 3. Sept. 1867 in Berlin, trat in den Seedienst, machte große Reisen nach allen Weltteilen, verließ nach zehnjährigem Dienst seine bisherige Laufbahn, um 1824 in Kiel und Berlin Universitätsstudien zu machen, erhielt in Berlin eine Anstellung bei der »Staatszeitung«, wurde 1848 Mitglied der Marinekommission und der Marineabteilung des Kriegsministeriums, zuletzt Bibliothekar in demselben. S. machte sich einen Namen durch seine Seeromane, unter denen »Michael de Ruiter« (Berl. 1846, 4 Bde.; 2. Aufl. 1863; Magdeb. 1898) den größten Beifall fand, und die »Devrient-Novellen« (3. Aufl., Berl. 1882; auch in Hendels »Bibliothek der Gesamtliteratur«).

Seemannsgarn

Der fliegende Holländer

Hoch auf den Wellen bewegte sich still und unheimlich der mächtige Rumpf eines Ostindien-Fahrers, der sich der Tafelbai gegenüber befand.

Seit drei Tagen kämpfte er vergebens mit einer Windstille. Die kaum gefüllten Obersegel brachten ihn nur wenig von der Stelle, und die heftige Strömung des Meeres trieb ihn unwiderstehlich seitwärts.

Hundert Augen hingen an der blauen Himmelsdecke, ob nicht irgendwo ein Wölkchen zu erspähen sei, von dem man die Rettung aus der stets wachsenden Gefahr erhoffen könne; aber die war klar und durchsichtig und spiegelte sich in dem glatten Meer wider.

Ein trüber Geist des Unmuts, der noch eine verborgenere Ursache als den der Windstille hatte, beherrschte das Schiff, das den stolzen Namen ›Gelderland‹ führte und der Stolz der holländisch-ostindischen Handelsflotte war. Der böse Geist, der den Frieden aus seinen Kajüten und von seinem Verdeck verjagt hatte, war der Kapitän desselben, Mynheer Claas van Belem, ein stolzer, herrschsüchtiger Mann mit einem versteinerten Herzen und einem belasteten Gewissen. Die Offiziere gingen lautlos auf und ab und warfen verstohlene Blicke nach dem Eingang der Kajüte, fürchtend, daß ihr Oberhaupt erscheinen werde. Die Matrosen ließen sich gar nicht sehen; sie hockten hinter den Booten, dem Spill und den Wasserfässern und flüsterten sich scheu und verstohlen ihre Bemerkungen und Befürchtungen zu.

Ein alter, bärtiger Matrose, der dreimal sieben Jahre auf Ostindien gefahren war, lag auf dem Bugspriet in dem Netz des Stagsegels und schaute auf einen jüngeren Genossen, der dicht unter ihm auf der blinden Rah saß. "Wir gehen hier vielem Unglück aus dem Wege", sprach der junge Seemann von unten herauf. "Der Dienst auf dem Bugspriet hat sein Gutes. Das auswehende Jacksegel macht, daß wir vom Deck aus nicht gesehen werden können, und das Rauschen vor dem Bug übertönt unsere Worte. Wir können ohne Scheu miteinander reden."

"Bis uns einer über den Hals kommt, der stark genug ist, uns das Maul zu stopfen: uns hier vorne und denen auf dem Quarterdeck. Hier in der Tafelbai ist nimmer etwas Gutes für einen Seemann zu hoffen und der soll seinen Gott preisen, der sie mit leicht gerefften Segeln rasch durchschneidet. Wir liegen nun schon drei Tage darin, ohne von der Stelle zu kommen, und wenn der erscheint, dessen Namen ein frommer Seemann nicht aussprechen soll, ohne ein Gebet herzusagen –"

"Ich weiß schon", unterbrach ihn jener. "Ihr meint Vanderdecken, den Fliegenden Holländer."

"Still, du Unglücksbursche!"

"Nun? Ich werde doch wohl von ihm reden können? Ist sein Name so gefährlich, daß er Euch vergiftet, wenn Ihr ihn in den Mund nehmt? Alles Glück mit Hollands Flagge! Sie wird ebenso ungestört von unserer Gaffel wehen, wenn Kapitän Vanderdecken sich tausend Meilen von uns befindet, als wenn er auf Kanonen-Schußweite in unser Kielwasser steuert; denn, mein guter Schiffsmaat, ich muß Euch nur sagen, daß ich von der Geschichte nicht sonderlich viel glaube und sie eher für altes Weibergeklatsche als für Wahrheit halte."

Der bärtige Matrose ward blutrot vor Zorn und richtete sich halb auf: "Die Pest auf deinen Leib, du Hund! Noch einmal stoße solche Lästerung aus, und ich gebe dir einen Fußtritt, daß du rücklings in die See fällst!"

Der junge Seemann eilte mit großer Schnelle nach dem Außenende der Rah und rief: "Seht zu, ob Ihr mich hier mit Eurem Fuß zu erreichen vermögt!" Er hielt einige Augenblicke in seiner gefährlichen Stellung aus, dann aber schwang er sich wieder einwärts und sagte: "Meine Ration Genever sollt Ihr zwei Tage hintereinander haben, wenn Ihr mir sagt, ob etwas an dieser Geschichte mit dem Fliegenden Holländer ist, und was Ihr von der Geschichte eigentlich wißt. Denkt nur, zwei Rationen!"

Dieser Versuchung konnte jener nicht widerstehen; er überwand seine Furcht vor dem Gespensterschiff und begann: "War der Kapitän eines großes und mächtigen Schiffes, dieser Vanderdecken; reiches Gut im Raum und böses Volk in seinen Kojen. Er selbst war der Ärgste an Bord und raste und tobte während einer ganzen Reise mit und ohne Ursache. Wenn er aber in seine Kajüte hinabstieg, schloß er sich ein.

Kein Mensch durfte versuchen, herein zu kommen, wenn ihm sein Leben lieb war, und dann gingen die Greuel erst recht an. Er lärmte und tobte, stampfte mit den Füßen und sprach laut vor sich hin, doch so undeutlich, daß man nicht eine Silbe verstehen konnte. Oft erhielt er auch Antwort von einem Dritten, dessen Gegenwart niemand bemerkte, und wenn dieser sprach, war es ein Lärmen, als ob alle Geister der Hölle zugleich losgelassen würden. Manche wollen sogar gespürt haben, daß es nach höllischem Feuer roch. Gewiß ist es, daß nach einem solchen Versuch jedesmal ein heftiger Sturm folgte, der das Schiff in die größte Gefahr brachte. Ging nun Kapitän Vanderdecken nach einer solchen, vom Teufel unterstützten, Reise vor Anker, dann begab er sich sogleich ans Land und brachte dort alle Teufeleien an, die er unterwegs von dem alten Höllenburschen gelernt hatte."

"So trieb er es wohl nicht besonders in Zucht und Ehren", fragte der junge Matrose, "und es ist am Ende wahr, daß er dem Weibsvolk absonderlich mitgespielt haben soll?"

"Der Teufel lasse ihm seine Niederträchtigkeiten wohl bekommen", brummte jener. "Er büßt sie jetzt ab und wird büßen müssen bis an das Ende aller Tage. Hoch auf den Dünen der Nordsee und fern von jedem bewohnten Ort hatte er ein großes Haus zum Eigentum, darin trieb er sein Unwesen. Innerhalb der wohlverschlossenen Pforte saß ein altes Hexenweib als Wächterin, die war ihm treu ergeben und mit allen boshaften Ratschlägen schnell bei der Hand. Brachte ihm sein Gevatter Pferdefuß aus den Töchtern des Landes einen fetten Bissen zur Büßung seiner bösen Lust, dann nahm die Alte sie erst vor und richtete sie gehörig ab, damit der gestrenge Gebieter keinen Anlaß zur Klage haben sollte. Dafür soll der Teufel dieser Alten besonders geneigt gewesen sein und hat versprochen, ihr den ganzen reichen Nachlaß des Gebieters zuzuwenden, wenn er diesem eines Tages den Hals umdrehen werde."

"Und hat die Hexe diese Erbschaft bekommen?"

"Nichts hat sie bekommen. Der Teufel sagte, sie solle erben, sobald er dem Vanderdecken den Hals umgedreht habe; aber dieser lebt gewissermaßen heute noch, und das ist ja eben die Teufelei, daß der Teufel seine eigene Base bei dieser Gelegenheit betrogen hat. Sie ging leer aus und er braucht das erbeutete Gold nun dazu, um unschuldiges Blut in seinen Schlingen zu fangen. Alle Goldstücke, welche die ostindische Compagnie uns zeigt, sind solche Teufels-Lockspeise, und das ehrliche Seemannsblut geht richtig in die Falle. Ich für mein Teil bin nun schon viermal hineingeplumst, denn eine Reise nach Batavia ist nichts anderes als ein Kreuzzug nach der Hölle, von dem Ihr mit leeren Taschen heimkehrt, und der ärgste Streich, den Euch der Teufel spielt, ist der, daß bei der Abrechnung jedesmal Null mit Null aufgeht und Ihr von Glück sagen könnt, wenn Ihr eine Handvoll Silbergulden kriegt. Aber um wieder auf den Vanderdecken zu kommen und damit ich meinen Genever ehrlich verdiene: Es wurden in dem alten Hause arge Dinge angestellt und die Mädel waren dir so gelehrig, daß sie das tollste Zeug trieben, was nur von ihnen verlangt wurde. Nun dauerte aber eine solche Freude nicht lange, und wenn er einer Dirne satt war, gab er ihr nicht etwa eine Handvoll Gold und schickte sie fort; nein, er drehte ihr den Hals um, damit sie nicht ausplaudern sollte, wie es bei ihm zugehe. Brach dann die Nacht herein, so steckte er, mit Hilfe seiner Hexe, die Leiche in einen großen Sack; sie schleppten diesen an den Strand und warfen ihn in die See. Wenn nun der Sack hineinplumpste, und die See darüber zusammenschlug, lachten die beiden Bösewichter laut auf, und der Teufel antwortete ihnen von ferne.

Einstmals aber nahm das Ding ein unerwartetes Ende. Der Teufel hatte wieder ein kostbares Stück für seinen Freund ausgesucht und brachte es ihm. Es war ein Mädchen wie Milch und Blut und das Schönste, was Vanderdecken bisher gesehen hatte. Der Teufel hatte sie geraubt, als sie aus der heiligen Messe kam, in demselben Augenblick, als sie dem harrenden Diener das Meßbuch zu tragen gab, denn vorher hatte er keine Macht über sie. Man sagt, die Jungfrau habe in jenem Augenblick an ein großes Kirmesfest gedacht, wo sie ihren Herzallerliebsten treffen sollte; darüber sei ihr Gemüt in weltliche Dinge versenkt und die Messe vergessen worden. Dies benutzte der Teufel und führte sie ungesehen nach dem Hause Vanderdeckens. Die alte Hexe gab sich mit dem schönen Kind die allererdenklichste Mühe, aber es wollte ihr nicht gelingen. Alles war vergebens, und wenn die Alte ihr das Sündenleben in den schönsten Farben malte, fiel die Jungfrau auf die Knie und betete um Erlösung aus diesem Elend. Da erwachte der Zorn der Alten und brach maßlos über das arme Kind herein. Sie schlug es und eilte zu Vanderdecken, die widerspenstige Dirne bei ihm zu verklagen. Dieser geriet ebenfalls in Wut und rannte nach dem Flur, wo sich das fromme Mägdelein befand, um sie auch zu züchtigen. Als er ihrer jedoch ansichtig ward und den Heiligenschein bemerkte, der von ihr ausging, bemächtigte sich seiner ein sanfteres Gefühl, und er suchte sie durch freundliche Worte zu kirren . Aber welche Künste er auch versuchen mochte, alles blieb fruchtlos, denn lieber wollte sie ihren Leib mit ihren Nägeln zerfleischen, als zugeben, daß er ihn mit seinen unheiligen Händen berühre. Da wurde Vanderdecken noch dreimal zorniger und außer sich rief er: ›Wenn du der Bitte eines Mannes widerstehst, der sich zum ersten Male zu solcher Feigheit erniedrigte, so wollen wir sehen, was die Gewalt über dich vermag. Steh mir bei, Hexenweib! Wir wollen ihr zeigen, wie dem geschieht, der sich dem Willen Vanderdeckens widersetzt!‹ Und kaum hatte er diese Worte gesprochen, als beide über das arme Geschöpf herfielen und sie jämmerlich schlugen. Lange ertrug sie diese barbarische Behandlung nicht, sondern sank tot zu den Füßen ihrer Peiniger nieder. Darüber verzehrte sich Vanderdecken fast vor Zorn und goß all seine Wut auf den Nacken seiner Hexe aus; dann aber nähten sie auch dies Mägdelein in einen Sack und trugen es zum Meer."

"Das ist eine grauenhafte Geschichte, Schiffsmaat", sprach der junge Matrose, sich schüttelnd; "wie ward es denn weiter?"

Der Bärtige fuhr fort: "Ich will es zu Ende bringen. Sie schleppten also den Leichnam nach dem Strand und stürzten ihn in die See. Diemal lachten sie nicht dabei, aber desto lauter lachte der Teufel: denn das ist ein feiner Bursche und er mochte wohl merken, daß er seinen Freund Vanderdecken jetzt beim Schopf habe. Kaum aber war das Gelächter des Teufels verhallt, als man ein helles Klingen vernahm, und obgleich der Himmel von düsteren Wolken eingehüllt war, verbreitete sich doch ein so heller Schein auf dem Meer, als ob es vom Mond beschienen würde. Und in diesem Augenblick tauchte auch die Leiche der frommen Jungfrau aus den Wellen auf, das bleiche Antlitz zu Vanderdecken gewendet und ihm unaufhörlich die Worte zurufend: ›Folge mir! Folge mir!‹ Das brachte ihn so sehr außer sich, daß er sich kopfüber in die See gestürzt hätte, wenn ihn die Hexe nicht mit Gewalt zurückgehalten hätte, wobei sie vom Teufel tüchtig unterstützt wurde, denn der hatte ihm ein weit schlimmeres Ende zugedacht. Darum flüsterte er dem halb besinnungslosen Kapitän zu, die Jungfrau sei gar nicht tot, und er könne sie für seine Lust retten, wenn er nur wolle.

Kaum hatte der Teufel das gesagt, als auch ein großes Schiff sichtbar wurde, das Vanderdecken bis dahin nicht gesehen hatte, und als er genauer hinsah, entdeckte er, daß es sein eigenes war. Jetzt trieb es ihn an Bord und kaum war er über das Fallreep, so stiegen alle Segel am Mast wie von selbst in die Höhe. Er aber befahl, dem hellen Schein nachzusteuern, der um das Haupt des jungen Mädchens strahle, und den nur er ganz allein erblickte. So trieb er durch die Nordsee, durch den Kanal , am Pic von Teneriffa vorüber, durch den weiten Atlantischen Ozean. Die Mannschaft war nicht wenig über eine so schnelle Abreise verwundert gewesen, und die Offiziere wagten es, bescheiden darum zu fragen. Sie aber erhielten keine andere Antwort als Verwünschungen und daß ein Mädchenhaupt vor ihnen auf der See herumtanze, das von einem Heiligenschein umgeben sei und das er haben müsse. Wenn die Männer solche Äußerungen vernahmen, zuckten sie die Achseln und gingen auf die Seite, denn sie konnten nicht anders glauben, als daß ihr Kapitän um seinen Verstand gekommen sei, und dachten schon daran, ihn abzusetzen. So erreichten sie nun die Tafelbai, eben den Punkt, wo wir uns befinden und wo –"

Die Furcht übermannte den Erzähler abermals; er hielt inne und blickte nach allen Seiten um sich.

"Die Sonne sinkt immer tiefer und bald wird es stockfinster sein; dann ist die Zeit, wo der böse Vanderdecken sich sehen läßt, darum laß uns rasch enden. Er erreichte nun die Tafelbai und hier ging das Ungemach erst recht an; der Wind blies ihm heftig entgegen. Wochen und Monate vergingen, ohne daß er die Bai zu durchschneiden vermochte; bald lag das Schiff über Steuerbords-, bald über Backbords-Halsen, aber immer trieb es während des einen Ganges ebensoviel rückwärts, wie es im vorigen gewonnen hatte, und alle Mühe und Arbeit war vergebens gewesen. Da ergriff den Vanderdecken eine ungeheure Wut. Er lästerte den Namen Gottes und rief: ›Nun will ich hier segeln bis an das Ende aller Tage! Soll ich mir selbst ein Schrecken und Grauen sein, will ich es auch für alle diejenigen werden, die in mein Kielwasser steuern, so lange der Wind weht und der Hahn kräht!‹ Und kaum hatte er diese Worte gesprochen, als der Hahn, der sich in den Hühnerhocken befand, überlaut zu krähen anfing. In demselben Augenblick brach ein heftiger Sturm aus und das Schiff raste, fast auf die Seite geworfen, mit einer solchen Schnelligkeit dahin, wie es noch jetzt die Unglückskinder sehen, die das Schicksal haben, sein Kielwasser zu schneiden."

Der junge Seemann, der ein sehr aufmerksamer Zuhörer gewesen war, schüttelte sich vor Furcht, denn er hatte schon anderswo gehört, daß derjenige, der des Fliegenden Holländers Kielwasser kreuzt, sich selbst den Lebensfaden durchschneidet und leise wiederholte er sich die Worte Vanderdeckens:

"So lange der Wind weht, Und der Hahn kräht."

Die Pfeife des Bootsmanns unterbrach das Gespräch der beiden Maaten. Der Wind hatte etwas geraumt, und die Rahen wurden aufgebraßt. Kaum war die Ordnung wieder hergestellt, als Kapitän Claas van Belem das Deck der ›Gelderland‹ betrat. Er grüßte seine Offiziere mit einem mürrischen Kopfnicken und begann dann nach seiner Gewohnheit das Quarterdeck auf- und abzuschreiten. Überall war sein Auge und überall fand er etwas zu tadeln. Die Offiziere erhielten entweder offene Verweise oder ironische Lobsprüche, und die Matrosen wurden bis in die höchsten Toppe geschickt, um die Launen des Kapitäns auszuführen. Die rascheste Befolgung der Befehle reichte nicht aus, den Unmut des Gebieters zu besiegen, sondern dieser wuchs, und wer in seine Nähe kam, war gewiß, die nachdrücklichsten Beweise seiner Unzufriedenheit zu empfangen.

Auf der Bramsahling des Fockmastes trafen zwei junge Toppgasten zusammen, die hierher auf den Udkiek geschickt waren.

"Hörst das Donnerwetter unter uns, Jantje?"

"Höre es. Ist gerade so, als ob du auf einem Berg stehst; da blitzt und donnert es auch unter dir."

"Mag sein. Bin niemals auf einem Berg gewesen, außer auf dem Hamburger , da hat es aber nicht gedonnert und geblitzt, wohl aber gepaukt und trompetet. Was, zum Teufel, ist denn wieder los?"

"Weißt es nicht? Der Kapitän trägt in seiner Brust eine Art Ding, das man Gewissen nennt. So groß er auch ist, so ist das kleine Ding doch größer und will subtil behandelt sein, darum hat er es am liebsten, wenn es ruhig schläft. Nun aber wacht das unverschämte Ding mitunter auf und dann soll es ihn unbarmherzig zwicken und zwacken. Sage mir doch, was tat deine Mutter, als du ein kleines Kind warst, und sie dich in den Schlaf bringen wollte?"

"Sie sang mir etwas vor vom weißen Gänschen."

"So macht's der da unten auch. Er singt seinen Leuten so viel vom Teufelholen und vom Donnerwetter vor, bis das Gewissen die Kneifzange ruhen läßt."

"Was hat es denn mit dem bösen Gewissen auf sich? Ist es wahr, daß er eine hübsche Frau hatte?"

"So ist es, Backsmaat! Sie war so schön, daß man sie das Auge von Brabant nannte, denn sie war in Brabant geboren. Sie trug auch ihren Mann auf Händen, aber der hat sich nicht sonderlich um sie gekümmert und sie stets rauh und kurz behandelt. Darüber hat sich das arme Weib gegrämt und ist ihm aus dem Wege gegangen. Eines Tages, als der Kapitän unverhofft in den Garten tritt, sieht er seine Frau in einer Laube sitzen und ihr zur Seite einen Mann, der sein Angesicht an der Brust des schönen Weibchens verbirgt. Er soll sehr aufgebracht gewesen sein von Galle und Wein, sonst hätte er doch wohl erst ein wenig näher hingesehen, aber der Teufel hatte ihn schon in den Krallen, darum zog er den Degen und stach beide durch und durch."

"Alle Wetter!"

"Durch und durch, sage ich dir! Und die Folge davon war, daß er ein paar Tage darauf seine Frau samt ihrem Vater begraben mußte."

"Halt ein mit deiner Geschichte, mich packt der Schwindel!"

"Sei kein Narr, Bursche! Es ist auch schon aus. Weißt du nun, warum ihn sein Gewissen wie das höllische Feuer brennt? Das ist kein Brand, den man so leicht löschen kann."

"Haben sie ihn denn nicht für seine Untat gestraft?"

"Hat sich was! Mynheer Claas van Belem ist ein reicher, angesehener Mann, und reiche, angesehene Leute haben immer recht. Er wurde zwar in Gewahrsam gebracht, aber die Doktoren steckten sich dazwischen und sagten – gib acht, Junge, du sollst hören, daß ich durch die hohe Schule gelaufen bin, und sollst Respekt vor mir kriegen! – sie sagten, er leide an momentanem Wahnsinn und da könne ihm keiner etwas anhaben."

"Ein Segel! Ein Segel!" rief der Udkiekmann vom großen Topp.

Die beiden Vortopp-Männer fuhren bei diesem Ruf erschrocken von ihrer Sahling auf; ihr Blick schweifte über den Horizont hin und gleich darauf schrien auch sie: "Ein Segel!"

Es dämmerte schon. Die Nebel brauten auf dem Meere und machten den Blick in die Ferne unsicher. Man sah hoch im Luv etwas Weißes auf den Wellen zittern, es konnte ein Segel, aber auch irgendeine Luftspiegelung sein. In wenigen Minuten war es ganz und gar verschwunden. Die Mannschaft war in Aufruhr. Der Ruf: "Ein Segel!" war den Matrosen durch Mark und Bein gedrungen, sie sahen schon den verdammten Vanderdecken sich ihnen nähern und sie in den Abgrund ziehen. Überall steckte man die Köpfe zusammen, überall war ein unheimliches Flüstern: "Wenn er es ist, haben wir ihn in einer Stunde längsseits." "Und dann setzt er ein Boot aus."

"Das tut er immer. Und gnade uns Gott, wenn er an Bord kommt; dann bringt er Briefe, über deren Bestellung uns der Atem ausgehen kann."

"Verdammt sei mein Eifer, an Bord dieses heillosen Schiffes zu gehen! Nun muß ich doch in den Rachen dieses Teufels fahren und kann nicht mit meiner Gesche Hochzeit machen." Auch auf dem Halbdeck herrschte einige Aufregung; die Offiziere warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Der Kapitän trat zu ihnen: "Wollen die Offiziere den Matrosen nachäffen, die schon alle den Verstand verloren haben und nach einem Gespenst Ausschau halten, das nirgends als in ihrem Gehirn spukt?"

"Doch, Kapitän!" entgegnete der erste Offizier, ein alter, sturmfester Seemann. "Der Mord hat den Fliegenden Holländer auf das flüchtige Element gebannt, und leicht wittert er Blut. Ich gehöre nicht zu den starken Geistern, die alles hinwegleugnen wollen, was über ihren Horizont geht, und nie werde ich es mir einfallen lassen, das Dasein jenes unheilvollen Schiffes zu leugnen. Mag er immerhin kommen; fest und ruhig will ich ihm entgegensehen, denn ich habe ein unbelastetes Gewissen."

Der Kapitän biß sich auf die Lippen und ging hastig auf und nieder; die Offiziere erwarteten mit kalter Resignation den Zornesausbruch ihres Gebieters.

"Ein Segel! Ein Segel!" schrie es wieder, und derselbe gespenstische weiße Streifen flog in Luv hin.

" Bootsmann!" rief der Kapitän überlaut. "Achtet auf die Leute! Der erste, der wieder ruft: Ein Segel! soll an den Mast gebunden und gepeitscht werden, bis ihm der Atem ausgeht. Ruhe überall! – Für jedes Wort, das aus dem ungewaschenen Maul eines Matrosen geht, ein Dutzend Hiebe mit der Katze ."

Grabesstille herrschte an Bord des Ostindien-Fahrers; stumm und scheuen Blickes schlichen die Leute aneinander vorüber. Düstere Nebel schaukelten sich auf den Wellen, die Nacht brach unheilverkündend herein.

Ein junger Offizier, ein Verwandter des Kapitäns, wagte es endlich, diesen anzureden. Er erhielt eine kurze, beleidigende Antwort. Jener erwiderte lebhaft. Der Wortwechsel wurde heftiger und außer sich schrie der Kapitän: "Schlagt den Rebellen in Ketten ."

Der junge Offizier trat ganz nahe an ihn heran: "Mich wunderts, daß ihr das Richteramt nicht stehenden Fußes ausübt, und mich dahin sendet, wohin Ihr meinen Oheim und Euer Weib gesendet habt, sollte es auch abermals in momentanem Wahnsinn geschehen."

Da wich alles Blut aus dem Gesicht des Kapitäns, seine Hände ballten sich krampfhaft, und der Schaum trat ihm vor den Mund. Er griff nach dem Dolch, ein Stoß, und der junge Mann lag röchelnd am Boden.

Ein Schrei des Entsetzens entfuhr den Offizieren, die ihrem sterbenden Kameraden zu Hilfe eilten.

"Jesus Maria und Joseph!" schrie ein junger Portugiese, der hoch auf dem Spill stand und deutete mit der Hand vor sich hin.

Durch die Finsternis wurde die unförmige Gestalt eines riesenhaften Schiffes sichtbar und schwankte geräuschlos vor dem Bug der ›Gelderland›/‹ vorüber.

Es war der Fliegende Holländer!

Mit stillem Grauen starrten die Matrosen die unheilvolle Erscheinung an, die sich langsam fortbewegte und endlich im Nebel verschwand.

Der Kapitän zog sich in seine Kajüte zurück. Die Offiziere standen auf einem Haufen zusammengedrängt und berieten miteinander, während einige unerschrockene Toppmänner, unter Anleitung des Bootsmanns, die Leiche des jungen Mannes unter Deck trugen. Die Leute rannten in großer Unordnung durcheinander. Keine Ermahnung, kein Befehl der Backsoffiziere vermochte sie zur Ruhe zu verweisen; sie verweigerten den Gehorsam und schickten sich an, Gewalt mit Gewalt zu beantworten.

So ging die Nacht vorüber und der anbrechende Morgen fand den Aufruhr im vollen Gange. Aber als der erste Strahl des Tages über das Deck hinflog, wich der Zorn von den erbleichenden Gesichtern, denn das gespenstische Schiff des entsetzlichen Vanderdecken dehnte sich vor ihnen auf den Wogen und seine Schaluppe stieß von Bord.

Mit Entsetzen sahen Offiziere und Matrosen diesem Schauspiel regungslos zu. Nur der Kapitän blickte trotzig um sich; auf seinem Gesicht sah man keine Furcht und halb drohend, halb spottend rief er über das Deck hin: "Haltet ein starkes Tauende bereit, um es diesem Burschen zuzuwerfen. Wir wollen hören, was er uns zu sagen hat."

Dieser Befehl ward nicht befolgt, denn alle starrten nach der Schaluppe, die ohne Ruder über die Wellen glitt und gerade auf die ›Gelderland‹ zuhielt. Nur ein Mann befand sich darin und starrte das Schiff unverwandten Blickes an.

Zum ersten Mal beschlich jetzt ein Gefühl der Furcht das Herz des Kapitäns und er unterließ es, seinem Befehl den gehörigen Nachdruck zu geben. Auch sein Auge haftete auf der Schaluppe, die jetzt den Bug streifte und darauf am Fallreep des Steuerbords wie gefesselt lag. Der Seemann, der sich darin befand, stieg das Deck hinan, ging gerade auf den Kapitän zu, der sich an die Spitze seiner Offiziere gestellt hatte und fragte mit einer hohlen Grabesstimme: "Wer seid Ihr und woher kommt Ihr?"

"Wir kommen von Amsterdam. Dies ist das Schiff ›Gelderland‹, und ich bin Claas van Belem, der Befehlshaber desselben."

"Claas van Belem, Ihr wollt so gut sein, diese Briefe, die Euch mein Kapitän, Mynheer Vanderdecken sendet, mit nach Holland zu nehmen und sie gewissenhaft zu besorgen."

"Was fällt Euch ein? Wann soll ich diese Briefe besorgen? Jetzt segle ich nach Batavia und erst in sieben Jahren kehre ich nach Amsterdam zurück."

"Eine kurze Frist! Ihr kehrt immer noch früher zurück als wir, denn wir kreuzen hier in der Tafelbai und finden nimmer das Ende. Nehmt die Briefe!"

Der Ton des gespenstischen Seemannes war so dringend, so Mitleid erregend und furchtbar zugleich; der Blick, den er auf den Kapitän warf, verwirrte diesen so sehr, daß er die Hand ausstreckte und zum großen Entsetzen aller die Briefe annahm.

In diesem Augenblick hob sich eine hohe Gestalt über die Galerie des Gespensterschiffes empor; sie breitete die Arme aus, wie zum Gruße, dann brachte sie das Sprachrohr an den Mund und rief über das Meer hin: "Grüßt die Heimat!" Und gleich darauf war sie wieder verschwunden.

"Das ist Vanderdecken!" sprach der gespenstische Seemann. "Er sendet nur dem einen Gruß, den er dieser Ehre besonders wert hält."

Und als er das gesagt hatte, war er vom Deck und seine Schaluppe vom Fallreep verschwunden, das Gespensterschiff aber schien vor den Augen der ganzen Mannschaft in den Abgrund zu sinken.

Der Kapitän hielt noch immer die Briefe vor sich hin und las:

"An den ehrenwerten Kaufmann, Mynheer Berend van den Stagen, wohnhaft Stubenhuik 3."

Der erste Offizier unterbrach ihn: "Das Haus Berend van Stagen ist bereits verschollen und Stubenhuik seit länger als hundert Jahren niedergerissen, um an dieser Stelle eine neue Kirche zu bauen. Ihr seht, der Fliegende Holländer ist nun doch bei uns an Bord gewesen und wir sind verloren."

Der ausbrechende Sturm verschlang seine Worte und brachte die Tafelbai in solche Aufregung, daß das Schiff binnen wenigen Minuten in die äußerste Gefahr geriet. Schwere Gewitterwolken senkten sich immer tiefer herab und umleuchteten es mit ihren Blitzen. Der Notschrei der Mannschaft verhallte ungehört im Brausen des Sturmes.

Das Schiff ›Gelderland‹ ist nie in Batavia angekommen.

Die fliehende Insel

Das Schiff steuerte auf der glatten Fläche des Ozeans unter den südlichen Breiten , fern von jeder Küste. Ganz außer allem Kurse liegend, irrte es umher in der unendlichen Wasserwüste. Die Mannschaft ging ernst und gottergeben nebeneinander hin, dem Augenblick mit Entsetzen entgegensehend, der ihnen das Ende der Vorräte ankündigen würde.

Die Sonne fiel in glühenden Strahlen lotrecht auf das Deck herab und kochte das Pech und das Harz aus den klaffenden Fugen; die Farben, welche die Seitenborde, die Masten und Galerien zierten, bröckelten ab, und die Hitze spaltete die Rundhölzer. Das Verderben drohte immer unvermeidlicher.

Ein leichter Wind schwellte kaum die Obersegel, und das Schiff brach sich nur zögernd Bahn durch die kristallhelle Flut. Man hörte vor dem Bug nicht das dumpfe Rauschen der auseinanderbrechenden Wellen, die lieblichste Musik für das Ohr des Seemanns. Lässig trieben einige Schaumblasen zu beiden Seiten vorüber und ehe sie an der Hacke des Steuers zusammentreffen konnten, waren sie schon zerplatzt.

Auf dem Steuerbord des Quarterdecks lag auf einem Ruhebett ein junger Mann in halbaufgerichteter Stellung und blickte forschend in die Ferne. Es war der Kapitän, der, von einer langen Krankheit genesen, neuen Lebensmut unter dieser tropischen Sonne schöpfte. Aber mit der wiederkehrenden Kraft erwachte auch in ihm die Erinnerung an die große Gefahr, worin er mit seinem Schiff schwebte, und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust.

"Der günstige Wind hat uns verlassen für lange Zeit, ich fürchte, für immer", sprach der Steuermann, der neben dem Lager des Kapitäns stand. Es war ein sturmkalter Seemann mit einer durchwetterten Physiognomie und grauem Scheitel, der die meiste Zeit seines Lebens unter diesen tropischen Breiten hingebracht hatte.

"Dann lebe ich der Hoffnung", antwortete mit schwacher Stimme der Kapitän, "daß ein sonst unheilvolles Ereignis rettend über uns hereinbricht und uns in den Abgrund zieht, ehe die Plage der Hungersnot oder die noch schlimmere des Verdurstens uns heimsucht."

"Das möge geschehen nach der Einsicht und dem Willen dessen, der von allen lebenden Wesen verehrt wird, den aber der Seemann am meisten in seiner furchtbaren Größe und Herrlichkeit sieht und erkennt. Der Ozean birgt in seinem Wellengrabe gar viel geheime Wunder. Bis wir aber dahin gelangen, will es uns geziemen, die irdischen Dinge, die unserer Obhut anvertraut sind, mit dem größten Ernst zu behüten. Unser Wasservorrat neigt sich seinem Ende, und wenn wir den Leuten auch schon die Rationen verkürzten, so muß doch eine neue Beschränkung eintreten."

"Nein!" rief der Kapitän in fiebriger Anstrengung und richtete sich von seinem Lager auf. "Ihr bleibt ein Eisberg, selbst unter Indiens Sonne und habt kein Mitleid mit den Verschmachtenden. Hättet Ihr, wie ich, wochenlang in steigender Fieberglut gelegen, Ihr wüßtet, weiche Wonne ein Wassertropfen gewährt, der unsere brennende Zunge kühlt. Nein! die Leute sollen trinken! Trinken, bis der letzte Wassertropfen versiegt. Dann wollen wir miteinander sterben!"

Er sank erschöpft auf sein Lager zurück, schloß die Augen und träumte von der jüngsten Vergangenheit. Er sah sich, den man weit und breit den schönen Robert nannte, unter den hohen Palmen wandeln, womit die Plantagen Südamerikas geschmückt sind, und ergötzte sich, wenn die Augen der lieblichsten Mädchen verstohlen auf ihm ruhten. Manches Herz brach in Liebe und Verlangen und flehte zur Heiligen Mutter , den Jüngling ihrer Wahl ihr in die Arme zu führen. Die glühende Tochter Mexikos und die frühreife Jungfrau des paradiesischen Brasiliens taten Gelübde auf Gelübde, aber keine fand jemals Veranlassung, es einzulösen. Robert ging kalt an ihnen vorüber, denn Herz und Sinn waren ausschließlich einem Mädchen zugewendet, das auf einer kleinen Insel, inmitten des Ozeans, in dem Haus eines durch sie beglückten Vaters lebte. Mit lautem Jubel hatte er ihr das Geständnis der Liebe abgerungen und sie in seine Arme geschlossen, als seine Braut. Der Vater gab seine Einwilligung, doch nur unter der einzigen Bedingung, daß Robert nie die Insel verlassen solle, so lange er lebte, da er nicht die Kraft besaß, sich von seinem Kind oder seiner Heimat zu trennen. Robert weigerte sich. Sein Ehrgeiz strebte mächtig in die Ferne. Der Vater versagte ihm die Tochter; er aber blieb beharrlich bei seinem Werben. Die Liebe war willig gegen die Sprache der Verführung, und er entführte Elise heimlich aus dem Hause ihres Vaters. Als dieser die Flucht entdeckte, waren die Segel von Roberts Brigantine kaum noch am fernen Horizont sichtbar. Sein Fluch donnerte den Flüchtigen nach.

Lange schwammen sie auf der Flut des Ozeans umher, ohne die Küste eines befreundeten Landes zu erreichen. Der Bund der Herzen war nicht durch den Segen der Kirche geheiligt. Robert versuchte die Angst der Geliebten hinwegzuspotten, aber sie brach in Tränen aus und flehte mit den Tönen der Verzweiflung, Mitleid zu haben mit ihrer Qual. Vor ihr erschien in stets drohender Haltung die Gestalt ihres Vaters und nicht eher glaubte sie der Vergebung des Himmels würdig zu sein, bis sie zu seinen Füßen ihre Schuld gebüßt habe und von ihm entsündigt worden sei. Robert ward von ihren Klagen gerührt und versprach, die Insel aufzusuchen, wo der Vater wohnte. Ein günstiger Wind, der sich erhob, schien die Versöhnung beschleunigen zu wollen, und an einem Abend lag die Insel, vom Gold der Sonne bestrahlt, vor ihnen. Ein Boot ward bereitgehalten, und Elise fuhr dem Lande zu; sie wollte dem Zorn ihres Vaters zuerst allein begegnen. Kaum hatte ihr Fuß das Land betreten, als die Sonne niedertauchte und tiefe Nacht den weiten Ozean umhüllte. Ein wilder Sturm brach aus und gebot den Schiffen, auf ihrer Hut zu sein. Es gelang ihnen, den mächtig eindringenden Wogen, die hoch aus der Tiefe wuchsen und sich über das Schiff hinstürzten, Trotz zu bieten. Aber was waren die Schrecken der augenlosen Nacht gegen diejenigen, die der junge Morgen den Seefahrern brachte? Rings um sie brauste der Ozean in seiner wildesten Aufregung, und die Insel war verschwunden. Anfangs hielten sie es für eine Täuschung der Sinne, aber man überzeugte sich nur zu bald von der Wahrheit; die wilde Flut hatte nach und nach die Grundfesten der Insel untergraben und sie während der Nacht für immer in die Tiefe des Meeres versenkt. Wie sinnlos raste Robert durch das Schiff und konnte nur mit der größten Anstrengung von einem Selbstmord zurückgehalten werden. Er wütete gegen sich und seine Umgebung, und erst dann war Hoffnung, ihn zu beruhigen, als die Gewalt des Fiebers ihn zu Boden warf und seiner Tobsucht ein Ende setzte.

Das war die Geschichte des unglücklichen Kapitäns, der, in Tränen versunken, sich auf seinem Ruhebett umherwarf.

"Ein verdammtes Gespenst hat seinen Kopf berückt", brummte der alte Steuermann vor sich hin, der ganz allein auf dem Deck hin und her ging, denn die Brise hatte ganz aufgehört. Die Segel hingen schlaff am Mast, und die Pinne des Steuers war am Backbord festgebunden. Die Matrosen lagen schlafend im Schatten der Boote.

"Ich sage es nochmals, ein verdammtes Gespenst hat ihn bezaubert", brummte der Alte, "und jene Insel, wo er es gefunden, war kein wirkliches Eiland, sondern die irrende Insel, wovon sie in den Liedern singen, daß sie unstet durch den Ozean schwimmt und nur denen sichtbar wird, die ihre Königin verderben will. Fluch dieser Hexe, denn sie hat unseren Kapitän aus einem braven Seemann zu einem trübseligen Mannweib gemacht, das Verse girrt und sein Auge mit Tränen netzt."

Der Tag war unterdessen längst hinabgesunken in die Flut, und einzelne Sterne blitzten mit südlichem Feuer an der tiefblauen Himmelsdecke. Der Mond stieg aus den Wellen auf und hüllte das Meer in einen feenhaften Lichtmantel. Die Wunder des Ozeans tauchten auf. Strahlend in den sieben Farben des Regenbogens schwamm eine ganze Flotte der leichtbeschwingten men of war heran, geschaukelt von der Dünung des Meeres und sich badend im Mondlicht; jetzt rannten sie gegen den riesigen Rumpf eines Hais, der sich schlafend von den Wellen wiegen ließ, und sanken lautlos in die Tiefe hinab; plötzlich erschien ein großer Teil des Meeres mit Schlingpflanzen bedeckt; in diesem schwimmenden Wald ruhten die trägen Schildkröten und ließen sich forttragen der unbekannten Ferne zu. Weiter gen Westen ruderten zwei sprühende Delphine mit ihren farbenreichen Flossen durch die Flut, gleich leidenschaftlich erregten Jägern und ängstlich vor ihnen herfliehend, tauchte plötzlich eine Schar von fliegenden Fischen aus den Wogen auf, die feuchten Schwingen im Strahl des Mondes spiegelnd. Am äußersten Horizont erhoben sich einzelne Wellen, sie brachen mit dumpfem Geräusch auseinander und besäten das weite Meer mit Millionen blitzender Sterne, die in dem Moment des Entstehens auch wieder vergingen.

Das Auge des Steuermanns weilte mit finsterem Blick auf allen diesen Erscheinungen des Tropenmeeres; sein Verstand wollte die Wunder hinwegleugnen, aber seine Phantasie trug den Sieg davon; sie nahm die kalte Überlegung gefangen und rollte die seltsamen Erscheinungen der Geisterwelt vor ihm auf.

Da fuhr er plötzlich zusammen, als hätte ein Blitzstrahl, der aus heiterer Höhe herabfährt, ihn vernichtend berührt. Die Augen drängten sich fast aus ihren Höhlen und stierten in die Zaubernacht hinein. Er sah, wie in weiter Ferne sich eine bläuliche Masse aus dem Ozean hob und sich im Mondlicht badete; sie stieg immer höher und grenzte scharf gegen den klaren durchsichtigen Himmel. In demselben Augenblick, da diese neue Erscheinung den einzigen wachen Mann an Bord des Schiffes mit tausend Ängsten erfüllte, flog ein seliges Lächeln über das Gesicht des Kapitäns, und seine Arme breiteten sich weit aus; aber die Augen blieben geschlossen, nur im Traum hatte er sein Weib, seine Elise, wiedergefunden. Kein Lüftchen kräuselte die weite Fläche des Meeres. Das Schiff lag wie angefesselt auf der Flut und dennoch näherte es sich mehr und mehr der Insel, die immer deutlicher aus der Nacht hervortrat.

Plötzlich vernahm man ein lautes Krachen, als ob die Brigantine mit furchtbarer Eile auf den Strand jagte; sie bebte vom Kiel bis zum höchsten Topp. Der Kapitän erwachte nicht aus seinem tiefen Schlaf, der Steuermann lehnte an der Reling, das Auge auf die Insel gerichtet, außerstande sich zu bewegen. Aber die Mannschaft sprang auf und rieb sich schlaftrunken die Augen.

"Was ist das? Sind wir der Küste nahe und jagen wir unsere Brigantine auf den Strand?" riefen einzelne.

"Albernes Zeug!" schrie der Bootsmann dazwischen; "das Schiff liegt wie angenagelt und hascht nach Brise. Ein Hai rannte mit dem Kopf gegen unseren Backbord. Das ist alles!"

Die Matrosen legten sich beruhigt wieder hin. Der Steuermann, vom Fieberfrost geschüttelt, nicht wagend, das Auge noch einmal auf die Zauberinsel zu richten, warf sich neben dem Lager des Kapitäns auf das Deck und schloß die Augen.

Aufs neue flammte der Morgen über das Meer hin, aber ein Schrei des Erstaunens begrüßte ihn aus allen Teilen des Schiffes. Vor ihnen lag eine Insel in allem Schmuck des tropischen Himmels, dieselbe, auf der Kapitän Robert seine Geliebte gefunden und wo er sie gelandet hatte, um die Vergebung ihres Vaters zu erflehen.

Kapitän Robert fuhr von seinem Lager auf, und als er die Insel vor sich sah, erschien ihm alles, was von dem Augenblick an vorgegangen war, als er seine Frau ans Land geschickt hatte, bis zu dem gegenwärtigen, nichts als ein langer wüster Traum.

"Unser Boot bleibt über Gebühr aus", rief er dem Steuermann zu. "Es könnte schon längst zurück sein. Die Nacht war lang genug zu einer Unterredung mit ihrem Vater."

"Mehr als lang", war die unwillkürliche Antwort.

"Boot über Bord!" befahl der Kapitän. "Am Ende macht der Alte noch Schwierigkeiten. Verdammt sei er!"

Die Leute machten sich sogleich ans Werk, der Steuermann aber flüsterte dem Kapitän zu: "Geht nicht! Es ist Hexenwerk!"

"Einfalt! Soll ich nicht mehr wissen, was gestern abend geschehen ist, oder bin ich am hellen Morgen betrunken?"

"Und das Fieber, das in Eurem Blute rast?"

"Fieber! Ja, wahrhaftig! Es träumte mir über Nacht, ich irrte auf der See umher und hatte heftiges Fieber. Sonderbar! Ihr müßt denselben Traum gehabt haben."

"Ihr träumtet nicht. Es war die Wahrheit!"

"Ha! ha! ha! Und jetzt auf einmal alles vorüber. Mein Kopf ist klar und hell, und meine Arme und Beine sind Eisen und Stahl! Bringt Eure Narreteien anderswo an und laßt mich nach meinem Weibe sehen."

"Dann begleite ich Euch."

"Und das Schiff bliebe ohne Aufsicht? Ihr bleibt an Bord und gebt wohl acht auf Wind und Wetter."

Er sprang ins Boot und es flog dem Lande zu. Deutlich sah der Steuermann, wie es hinter einen Felsvorsprung glitt und nicht wieder zum Vorschein kam. Der Kapitän wurde am Ufer sichtbar, doch nur für wenige Augenblicke. Kaum war er hinter einer blühenden Baumhecke verschwunden, als man bemerkte, daß die Distanz zwischen Insel und Schiff sich erweiterte.

Der Steuermann fuhr bestürzt zurück. Als wollte er seinen Augen nicht trauen, wandte er sie ab, aber als er zögernd wieder nach der Insel ausschaute, war diese noch weiter entfernt. Er schrie laut auf: "Seht Ihr den grauenvollen Spuk? Zum zweiten Male läuft diese Zauberinsel uns davon. Gebt acht, ob wir sie vielleicht wiedergewinnen können. – Mich dünkt, der Wind frischt auf! – Stellt euch zu Fall und Brassen!"

Die Segel lagen fest und unbeweglich an den Mast gedrückt. Der Steuermann löste die Pinne des Steuers und riß sie mit einem gewaltigen Stoß auf die entgegengesetzte Seite. Durch die plötzliche Aufregung im Wasser bewegte sich der Vorderteil des Schiffes seitwärts; dann aber lag es wieder wie angefesselt.

Die Insel war indessen aus dem Gesichtskreis der entsetzten Schiffsmannschaft gerückt. Als die Sonne unterging, war sie völlig verschwunden.

Die Brigantine schwebte zwischen Himmel und Wasser; kein Lüftchen kühlte die sengende Glut der Sonne. Seit dem Verschwinden des Kapitäns war geraume Zeit verstrichen, und die Verhältnisse hatten sich auf eine grauenvolle Weise geändert.

An Bord herrschte Mangel, und jeder suchte die armseligen Reste für sich zu erbeuten. Es war ein steter Kampf in den unteren Räumen und auf dem Deck. Bereits war Blut geflossen und die Mörder jauchzten auf, wenn einer unter ihren Messern fiel, denn nun reichte der Vorrat länger. Der Steuermann hatte die Vorderdecks-Offiziere zu sich gerufen. Er wollte sie anreden, aber die Kraft mangelte ihm, und er deutete nur auf seine weißen Locken. Der Bootsmann sah ihn mit seinen dunkelglühenden Augen an, in denen die Wut des Tigers lauerte, und der Zimmermann lächelte, abwesenden Geistes, vor sich hin, mit seinen abgemagerten Fingern die Schärfe der Axt prüfend.

"Einen Schlag auf den Kopf dieses Graubarts!" sagte der Bootsmann zu seinem wohlbewaffneten Genossen, "dann sind wir ein unerträgliches Großmaul los und können unseren Durst mit seinem Blut löschen."

Der Zimmermann starrte ihn an, als hätte er ihn nicht verstanden, dann aber lachte er laut, sprang auf, und getroffen von der scharfen Axt lag der Bootsmann leblos am Boden.

"Was hast du getan, Gottfried?" schrie der Steuermann auf; aber mit diesen Worten brach seine Kraft; er sank auf das Deck nieder und murmelte in längeren Zwischenräumen vor sich hin: "Der Teufel ist wach und holt sich die Seelen der sündigen Menschen. Er hat unsern Kapitän geholt, weil er einem redlichen Manne seine schuldlose Tochter stahl; er wird uns holen, weil wir Hand an unsere Brüder legen und unser Deck mit ihrem Blut färben. Komm bald, Teufel, damit der unnatürliche Kampf hier unten ende." Eine laute Bewegung durchzitterte das Schiff. Hoch auf dem Spill stand der wahnsinnige Zimmermann, die Axt um den Kopf schwingend, und schrie: "Land! Land!"

"Wo? wo?" riefen die Matrosen von allen Seiten, sich mühsam zu ihm hinschleppend.

Er deutete in die unabsehbare Ferne: "Da liegts! Gerade vor dem Bugspriet. Gebt mir eine starke Trosse! Ich will damit ans Land schwimmen und sie an den nächsten Baum festknüpfen, wir können uns dann leicht hinziehen. Seht da, drei frische Quellen und ein grüner Baum! Da steht auch der Bootsmann! Er hält den abgeschlagenen Kopf unter dem Arm und winkt mir! Wer schwimmt mit?"

Er machte einen Satz vom Spill nach dem Bugspriet und sprang mit hochgeschwungener Axt über Bord. In der nächsten Minute tauchte er wieder aus der Salzflut auf, in der folgenden ward er das Opfer eines Hais.

Eine dumpfe Stille herrschte nach diesem furchtbaren Ereignis; aber nicht lange darauf tönte abermals der Ruf: "Land!" Diesmal wußte keiner, wer gerufen hatte. Der Ton schien von einer übermenschlichen Stimme aus der Luft zu kommen und dem schwarzen Vogel anzugehören, der mit rauschendem Flügelschlag die Spitzen der Masten umkreiste. Aber aus den Fluten tauchte zum dritten Male die Insel vor den Blicken der Seeleute auf und kam der Brigantine mit fliegender Hast näher.

"Land! Land! Land!" tönte es jetzt aus allen Teilen des Schiffes zugleich. Der Steuermann hatte sich aufgerichtet und starrte die spukhafte Erscheinung an. "Endlich! Erlösung!" flüsterte er, und die Knie brachen ihm zusammen.

Die Leute achteten nicht auf die Todesstunde ihres letzten Offiziers; sie standen dicht gedrängt auf der Back, denn jeder wollte der erste sein, der das Land vom Schiff aus springend erreichte. Als sie endlich ganz im Schutz des Landes lagen, riefen sie ein heiseres Hurra und verschwanden hinter einem hohen Felsenvorsprung.

Weit ab von diesem Schauplatz des Entsetzens flog ein stolzer Dreimaster durch die Wellen. Ein munterer Knabe sprang vom Bugspriet nach dem Quarterdeck und schmiegte sich an den Kapitän: "Lieber Vater! Jakob hat mir schon wieder ein schönes Märchen erzählt."

"Der Träumer! Er erzählt so lange von Gespenstern, bis er selbst ein Gespenst wird. Sollst nicht darauf hören."

"Es ist aber doch gar so hübsch und vor allem heute das von der fliehenden Insel."

"Was ist das für eine Insel, die auf keiner Karte verzeichnet ist?"

"Sie ist nirgends und überall. Ein mächtiger Zauberer wohnt darauf; für die redlichen Seefahrer hüllt er sie in einen Nebel, wo aber böse Menschen an Bord sind, da schwimmt er mit seiner Insel heran, und es hilft nichts, sie müssen zu ihm kommen. Wenn sie nun aber das Land betreten und meinen, zwischen Gras und Blumen umher zu gehen, versinken sie plötzlich in einen höllischen Pfuhl und müssen sterben."

"Ein Schiff! Ein Schiff!" rief es vom Udkiek her. In der Tat erblickte man eine Brigantine auf den Wogen schwanken, die sich aber kaum noch über Wasser zu halten vermochte; die furchtbarste Zerstörung hatte dort gehaust, und kein lebendes Wesen war an Bord. Der Knabe war wieder zu seinem Freund Jakob gegangen. Dieser, ein bleicher Jüngling, mit einer edlen Stirn und hellfunkelnden Augen, sah fest auf die Brigantine und sagte: "Die Unglücklichen haben die fliehende Insel betreten. Gott sei ihrer Seele gnädig." "Woher weißt du das?"

"Siehst du nicht die langen grünen Fäden, die sich rund um seine Wasserlinie gesetzt haben? Das ist das Gras, das auf jener unglücklichen Insel abgemäht ist. Bete für die Unglücklichen, damit sich Gott ihrer erbarme."

Der Knabe faltete gehorsam die Hände und sprach ein Gebet. In demselben Augenblick briste der Wind frischer auf, und die Brigantine ward von den Fluten verschlungen.

Fata Morgana

Die Offiziere des Schiffes standen mit ernsten Gesichtern auf dem Quarterdeck. Vor ihnen der Kapitän mit der Miene des Zorns. Die Mannschaft reihte sich um den großen Mast, bleich, mit klopfendem Herzen und verhaltenem Atem.

Die Stunde des Gerichts hatte geschlagen.

Vor dem Kapitän lag ein junger Seemann auf den Knien und hielt die Hände flehend empor. Feierlich beteuerte er seine Unschuld, aber der Kapitän schüttelte ungläubig das Haupt.

"Du bist ein Sohn Uli Maströms, des Finnen, der den Wind beschwören und Verderben über das Schiff bringen kann, zwischen dessen Planken er weilt. Du hast die verfluchte Kunst deines Vaters geerbt –."

"Ich beschwöre Euch, Kapitän!" schluchzte der Unglückliche. "Da hört Ihr es! Er beschwört schon wieder! Sollen wir ihn länger unter uns dulden?"

"Fort mit ihm!" riefen die Offiziere, wie aus einem Munde.

"Fort mit ihm!" hallte es am großen Mast wider.

"Weh mir Armen! Das ist nun meine Strafe, daß ich nicht zufrieden sein wollte in der Beschränktheit des väterlichen Hauses, sondern in die weite Welt hinaus trachtete, wo ich das Glück in aller Pracht und Herrlichkeit erhaschen wollte."

"Du bist gescholten worden um eines Vergehens willen, gescholten und gezüchtigt", sprach der Kapitän. "Damals sprachst du auch, du seiest schuldlos und es werde uns übel bekommen. Das ist eingetroffen. Der Sturm brach aus, er machte unser Schiff einem Wrack ähnlich und verschlug es weit von seinem Kurs. Empfange jetzt den Lohn deiner Taten."

"Ich sterbe schuldlos!"

"Verhüte es Gott, daß wir Hand an dich legen sollten. Wir übergeben dich deiner eigenen Kunst. Es ist dir selbst anheim gestellt, ob du dich retten willst. Hinab mit dir in das Boot, das wir dir bereitet haben und siehe zu, daß du dir den Wind herbeischaffst, der dich heimwärts führt. Wir zweifeln nicht, daß du der erste sein wirst, der uns in der Heimat begrüßt, wenn uns der Herr die Gnade erzeigt, daß wir sie jemals wiedersehen. Lebe wohl, du rüstiger Wetter-Beschwörer! – Glück auf die Fahrt!"

Lautes Gelächter erscholl; ein Gelächter der Offiziere und Matrosen, das grausam in das wunde Herz des Verurteilten schnitt. Am Fallreep lag ein kleines Boot. Ein Mast, ein Steuer, ein Segel und zwei Ruder befanden sich darin. Ihm zum Spott und um ihm die bevorstehenden Leiden noch fühlbarer zu machen, fand er neben seinem Sitz eine reichliche Mahlzeit von Fleisch und Brot und ein Gefäß mit süßem Wasser.

Man stieß ihn über das Fallreep. Seine Kameraden, die ihn früher liebten, haßten ihn jetzt aus Furcht und Aberglauben und riefen ihm höhnende Schimpfworte nach. Man löste die Fangleine des Bootes und die Wellen trugen es fort. Als es aus dem Gesichtskreis des Schiffes verschwunden war, ging der Kapitän in seine Kajüte und strich den Namen des Matrosen Maström aus der Schiffsliste.

Die Blicke des Unglücklichen hafteten fest an dem Schiff, dessen unbarmherziger Führer ihn ausgestoßen hatte. Als es völlig aus seinem Gesichtskreis verschwand, brach er in Tränen aus und versank dann in dumpfe Schwermut.

Als sein Bewußtsein wiederkehrte, umfing Nacht das Meer. Die Sterne senkten Mut und Vertrauen in seine Seele, das Gefühl seiner Unschuld stärkte ihn. Er betete lächelnd: "Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist!" und schlief ein.

Kaum hatten sich seine Augen geschlossen, als eine Schar von Delphinen das Boot umringte; sie umwanden es mit Ketten, die aus glänzenden Fischschuppen geschmiedet waren, und schlangen sich deren Ende um den Leib. Ein großer Schwarm von fliegenden Fischen tauchte aus der grünen Meerflut auf und flog dem Fahrzeug, das, von den Delphinen gezogen, rasch durch die Wogen schoß, als Wegweiser voran.

Als der erste Strahl der herannahenden Dämmerung über das Meer hinflog, sanken die fliegenden Fische in die Salzflut hinab, die Delphine lösten ihre Ketten und tauchten tief in den Abgrund; der junge, ausgestoßene Seemann erwachte.

Sein maßloses Elend stand hell und klar vor seiner Seele: "Warum soll ich langsam hinsterben, getäuscht von Furcht und Hoffnung, den langsamen, fürchterlichen Hungertod vor Augen? Viel besser, ich ende rasch. Ein Sprung in diese Fluten erlöst mich von jeder Qual!"

Er richtete sich auf, aber regungslos blieb er vor dem Bild stehen, das sich ihm darbot. Nahe vor sich sah er Land. Eine breite, den ganzen Horizont einschließende Felskette dehnte sich vor ihm aus; bald himmelhoch getürmte Berge mit schneebedeckten Gipfeln, bald tiefe Einschnitte, die den Blick in ein reizendes Tal gewährten.

Tränen der Freude stürzten aus seinen Augen; er setzte die Ruder ein und trieb sein Boot dem Strand entgegen. Ein wunderbarer Zauber schien auf diesem Teil des Ozeans zu ruhen; die Fläche desselben wurde immer ebener und den Fuß der Felsen umrauschte keine Brandung. Das Meer, von der steigenden Sonne bestrahlt, erschien wie ein ungeheurer Brennspiegel.

Maström traute seinen Augen nicht, als er jetzt nahe an die Küste kam, das Boot mitten durch die Felswand hinfuhr, und auf einer Blumenwiese stillstand. Er stieg aus und ging wie ein Träumender langsam weiter; aber wenn er die Hand nach den glänzenden Blumen ausstreckte, bogen sie sich zurück; er griff in die leere Luft: Alles schien nur Dunst und Schaum zu sein.

Plötzlich erblickte er eine aus Gold und Elfenbein kunstreich zusammengefügte Pforte mit der diamantenen Inschrift: "Reich der Fata Morgana."

Als der Wanderer sich der Pforte näherte, sprang diese auf und er schritt ungehindert hindurch. Er stand vor einem reichblühenden Garten, der mit den seltensten Blumen und Gewächsen geziert war. Die Blätter an den Bäumen und Pflanzen aber strahlten in des Regenbogens sieben Farben und waren mit goldenen und silbernen Rändern eingefaßt. Kristallhelle Quellen plätscherten durch die Ebene hin und auf den Fluten wiegten sich kunstreiche Muscheln und andere seltsame Gestalten, die sich auf und ab bewegten und eine liebliche Musik ertönen ließen.

Der überraschte Jüngling blieb am Eingang dieses Zaubergartens stehen. Luftige Mädchengestalten schwebten ihm entgegen, winkten ihm mit süßem Lächeln und zogen ihn mit sanfter Gewalt in das Innere des Gartens.

"Wohin führt ihr mich, ihr schönen Engel?" fragte er leise, aber sie antworteten nicht, sondern tanzten, kaum den Boden berührend, vor ihm her. Da stieg aus der Tiefe ein Thron empor, der mit einem Meer von Sternen übersät war. Darauf saß ein Weib voll Schönheit und Majestät, anzuschauen wie eine Göttin und Königin, denn Himmlisches und Irdisches spiegelte sich auf ihrem Gesicht; beides in gleicher Vollkommenheit. Hier winkten die Mädchen ihm mit freundlichen Gebärden und verschwanden im Gebüsch.

"Sei mir in meinem Reich willkommen, Jüngling", sprach die Herrscherin mit überaus lieblicher Stimme. "Durchwandere es nach allen Richtungen und sei ein glücklicher Bürger. Alle Schätze, die du hier siehst, sind dein, wie sie das Eigentum eines jeden sind, der hier seine Wohnung aufgeschlagen hat. Die Menschen schelten mich und das Reich meiner Wunder. Sie spotten meiner, sie nennen mich eine Dämonin des Unheils, die alles verspricht, aber nichts wirklich gibt, und nennen, was ich zu ihrem Heil beginne, eine endlose Täuschung.